Schülerarbeitsheft FOLGEN UND REIHEN

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AC
Mathe
Plus
Aachen
Schülerarbeitsheft
FOLGEN UND REIHEN
Sebastian Walcher
Karolina Helmin
Johanna Heitzer
FOLGEN UND REIHEN
Sebastian Walcher
Karolina Helmin
Johanna Heitzer
Prof. Dr. S. Walcher
Lehrstuhl A für Mathematik
RWTH Aachen University
D-52056 Aachen
E-Mail: [email protected]
Internet: http://www.mathA.rwth-aachen.de/
Mathe Plus AaChen (MPAC) ist eine Initiative, die von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern
der FH Aachen und der RWTH Aachen sowie von Lehrerinnen und Lehrern der Sekundarstufe II
getragen wird.
Diese Unterlagen befinden sich noch in der Erarbeitung und sind nur für den persönlichen Gebrauch
bestimmt. Erlaubt ist eine Vervielfältigung zur Nutzung im Unterricht bei der Endversion, die Anfang
2011 im Netz hinterlegt wird unter: http://www.matha.rwth-aachen.de:8062/
© S. Walcher, Aachen, Dezember 2010
5
Inhaltsverzeichnis
Vorwort: MathePlus Schülerarbeitshefte
9
Folgen und Reihen: Übersicht
1
2
3
4
11
Folgen: Fakten und Beispiele
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(Unendliche) Folgen . . . . . . . . . . . . . . .
Exkurse: Populationsmodelle und Grenzwerte
Graphische Darstellung von Folgen . . . . . .
Geometrische Folgen und Reihen . . . . . . . .
Geometrische Summenformel . . . . . . . . . .
Spezialfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Reihen: Begriff und erste Beispiele . . . . . . .
Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . .
Rück- und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . .
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Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Exkurse: Paradoxien, Primzahlen und ein Gasgesetz
Geometrische Folgen und Reihen in der Anwendung
Die Dezimalbruchentwicklung rationaler Zahlen . . .
Anwendungen in der Physik . . . . . . . . . . . . . .
Fraktale geometrische Figuren . . . . . . . . . . . . .
Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Grenzübergänge und Grenzen des Rechners
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Harmonische Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Divergenz der harmonischen Reihe . . . . . . . . .
Reziproke Quadratsumme . . . . . . . . . . . . . .
Exkurs: Reziproke Quadratsumme und Kreiszahl
Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ungleichungen und Betrag
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anordnung auf R . . . . . . . . . . . . .
Exkurs: Minimalität von Regelsystemen
Betrag und Abstand reeller Zahlen . . .
Exkurs: Warum gerade ε . . . . . . . . .
Gleichheit mittels ε . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
Die Bernoulli-Ungleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
5
6
7
8
9
Grenzwerte: Die Definition
Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Konvergenz und Divergenz von Folgen
Exkurs: Konvergenz anschaulich . . . .
Exkurs: ε-n0 -Beweise rückwärts . . . . .
Konvergenz geometrischer Folgen . . .
Bestimmte Divergenz . . . . . . . . . . .
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Grenzwerte: Rechenregeln und Berechnung
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Grenzwert der doppelten Folge . . . . . . . . . . . . .
Exkurs: ε-Trick-Beweis?! . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rechenregeln für Grenzwerte . . . . . . . . . . . . . .
Geometrische Reihe: Partialsummen und Grenzwert
Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Teilfolgen und Häufungspunkte
Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Eindeutigkeit des Grenzwerts . . . . . . . . . . . . .
Teilfolgen und Häufungspunkte . . . . . . . . . . .
Häufungspunkt mittels ε . . . . . . . . . . . . . . . .
Häufungspunkt bei Konvergenz . . . . . . . . . . .
Für rekursiv definierte Folgen hilfreicher Spezialfall
Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Monotonie, Beschränktheit und ein Konvergenzkriterium
Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Monotonie und Beschränktheit . . . . . . . . . . . . . . . . .
Monotonie-Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Konvergenz von Dezimalbruchentwicklungen . . . . . . . .
Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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81
Anwendung: Babylonisches Wurzelziehen
83
Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
Iterationsverfahren Quadratwurzeln . . . . . . . . . . . . . . . 83
Exkurs: Die Idee des Iterationsverfahrens . . . . . . . . . . . . 84
10 Näherungswerte für die Kreisfläche
Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Trigonometrische Grundlagen . . . . . . . . .
Flächenberechnung Viertelkreis . . . . . . . .
Flächenberechnung Einheitskreis . . . . . . .
Exkurs: Kreisberechnung nach Archimedes .
Exkurs: Die Folgen der Rechenungenauigkeit
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
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Inhaltsverzeichnis
7
11 Populationsmodelle
Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Populations-Bilanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Das Malthus-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Idealisierung des Populationsmodells . . . . . . . .
Exkurs: Zur Realitätsnähe der Idealisierung . . . . .
Das Beverton-Holt-Modell . . . . . . . . . . . . . . .
Exkurs: Zur Entstehung des Beverton-Holt-Modells
Mathematik des Beverton-Holt-Modells . . . . . . .
Das Ricker-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Exkurs: Unterschiede der Modelle . . . . . . . . . .
Konvergenzverhalten der Ricker-Folge . . . . . . . .
Wissensspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
9
Vorwort: MathePlus
Schülerarbeitshefte
MathePlus ist eine Initiative, die von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern der FH Aachen und der RWTH Aachen sowie von Lehrerinnen und Lehrern der Sekundarstufe II getragen wird.
Was ist MathePlus?
Die Initiative ist entstanden, weil der reguläre Mathematikunterricht,
durch Curriculumsreformen bedingt, in immer geringerem Maß auf
die Mathematikanforderungen in vielen Studienfächern, insbesondere
in MINT-Fächern, vorbereitet. MathePlus will hier Akzente setzen und
den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern Wissen und Können
vermitteln, das den Einstieg in solche Studiengänge erleichtert.
Warum MathePlus?
MathePlus ist ein zusätzliches Unterrichtsangebot für Schülerinnen
und Schüler der Sekundarstufe II, das von teilnehmenden Schulen in
Kooperation mit der FH Aachen und der RWTH Aachen entwickelt
und durchgeführt wird. MathePlus kann und soll den regulären Mathematikunterricht nicht ersetzen und kann und soll auch nicht als
vertiefendes Angebot für die Abiturvorbereitung dienen.
Vielmehr werden mathematische Strukturen und Anwendungsbereiche präsentiert, die im regulären Unterricht keinen Platz finden, für
ein MINT-Studium oder andere mathematikhaltige Studiengänge aber
sehr nützlich und wichtig sind. Den Schülern und Schülerinnen sollen über einen frühzeitigen Kontakt mit mathematischen Strukturen
mögliche Ängste vor Abstraktem genommen werden. Über geeignete
Inhalte und Aufgabenstellungen soll die Freude am logischen Denken geweckt werden. Auch echte und relevante Anwendungen der
Mathematik sind Thema. Material zum Download finden Sie (nach
Registrierung) unter dem Punkt »Materialien«.
Grundsätzlich stellen die Autoren Texte und Aufgaben allen Interessierten zur Verfügung (einzige Voraussetzung ist eine Registrierung).
Einsetzbar sind diese Materialien zum Beispiel im Wahlunterricht, insbesondere im künftig vorgesehenen Projektunterricht. Die Unterrichtseinheiten (Lehrtexte und Aufgaben) sind konzipiert für ein Halbjahr
mit 2 Wochenstunden; sie bauen aufeinander auf.
Einsetzbarkeit
10
Schülerarbeitshefte
Vorwort: MathePlus Schülerarbeitshefte
Die Schülerarbeitshefte sind als Unterrichtsgrundlage konzipiert, mit
deren Hilfe sich Schülerinnen und Schüler weitgehend selbständig in
das Thema einarbeiten können. Sie beginnen mit einer Einführung
in das übergeordnete Thema und einem Überblick über die nötigen
Vorkenntnisse. Am Ende stehen eine Zusammenfassung und übergeordnete Aufgaben zum Thema. Die Teilkapitel enthalten Einführungen
und Einführungsaufgaben, Basiswissen, Beispiele, einfache Übungsaufgaben, komplexere Aufgaben, Anwendungen und Probleme sowie
Zusammenfassungen des jeweiligen Themengebiets. Neben diesem
»roten Faden« gibt es (am Rand) auch historische und sonstige Anmerkungen, Tipps und Hilfen sowie Merkkästen.
Jedes Heft sollte bei zwei Wochenstunden etwa die Grundlage für ein
Schulhalbjahr bilden. Die Themen der bisher geplanten beziehungsweise erschienenen MathePlus Schülerarbeitshefte sind:
Themen
• Mathematische Notation und Beweisverfahren
• Mengenlehre und Aussagenlogik
• Folgen und Reihen
• Komplexe Zahlen
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
11
Folgen und Reihen: Übersicht
Was sind Folgen? Sieht man in Wikipedia nach, so wird eine Folge als
„eine Auflistung (Familie) von endlich oder unendlich vielen fortlaufend nummerierten Objekten (beispielsweise Zahlen)“ bezeichnet. In
dieser Lehreinheit sind die Objekte immer Zahlen, wir interessieren
uns fast ausschließlich für den Fall „unendlich vieler Objekte“ und
nummeriert wird meistens mit natürlichen Zahlen (1,2,3,...) oder mit
natürlichen Zahlen einschließlich Null (0,1,2,3,...). Außerdem werden
die so genannten Folgenglieder meist nach einer festen Vorschrift
gebildet.
Thema
Ein Beispiel für eine Folge ist ( n1 )n>1 = (1, 21 , 13 , 41 , ...) ,
ein weiteres Beispiel ist (2−n )n>0 = (1, 12 , 41 , 18 , ...) .
Hier wird auch schon die Schreibweise angedeutet. Allgemein wird
eine Folge „ordentlich“ in der Gestalt
( a n ) n >1
dargestellt (oder ( an )n>0 , wenn die Nummerierung bei 0 beginnt).
Jeder natürlichen Zahl wird also in eindeutiger Weise (z.B. durch eine
Formel) eine reelle Zahl an zugeordnet. Die Schreibweise
( a1 , a2 , a3 , ...)
mit „Undsoweiterpünktchen“ ist nützlich, wenn man sich eine Vorstellung verschaffen will, wie die Folge aussieht, und sie wird auch
benutzt, wenn man davon ausgehen kann, dass dem Publikum klar
ist, wie die Folge weiter geht. Formal gesprochen, ist eine Folge eine
Abbildung von N (oder N0 , oder ..) in die reellen Zahlen.
Warum interessiert man sich in der Mathematik für Folgen?
√
Viele reelle Zahlen (wie 1/3 oder π oder 2) lassen sich in Dezimalbruchschreibweise nicht „exakt“ angeben; man muss auf Näherungswerte zurückgreifen (wie 0.3333, 3.1415, 1.4142). Will man diese
Näherungswerte immer weiter verbessern, so landet man bei einem
„unendlichen Dezimalbruch“. Wenn jemand fragt, was das ist, sagt
man am besten, das sei eine Folge von endlichen Dezimalbrüchen.
Ausserdem lassen sich viele Gleichungen in der Mathematik nicht
„exakt“ lösen, man ist aber mit einer Folge immer besserer Näherungslösungen durchaus glücklich.
Bedeutung
12
Folgen und Reihen: Übersicht
Schliesslich gibt es viele mathematische Modelle in den Naturwissenschaften (z.B. Modelle für die zeitliche Entwicklung von Pflanzenoder Insektenpopulationen), die am besten mit Hilfe von Folgen beschrieben und analysiert werden. Folgen sind also für die Mathematik
und ihre Anwendungen von grossem Interesse.
Wichtige Inhalte
Wir starten mit zahlreichen Beispielen, unter besonderer Betonung
der sogenannten geometrischen Folgen und Reihen. Dadurch werden
Sie auch besser verstehen, was es mit den periodischen unendlichen
Dezimalbrüchen auf sich hat.
Was an einer Folge ( an )n>1 besonders interessiert, ist ihr „Verhalten
für n gegen Unendlich“. Viele interessante Folgen und Reihen „streben
gegen einen gewissen Wert (Grenzwert), wenn n gegen Unendlich
geht“. Eine präzise Fassung und Erkundung dieses Phänomens („Konvergenz“) hat die Mathematiker lange Zeit beschäftigt, und sie waren
erst vor etwa 150 Jahren erfolgreich in dem Sinn, dass sie klar sagen
konnten, was mit dem Grenzwert einer Folge eigentlich gemeint ist.
Schon deshalb starten wir langsam in die Thematik. In Beispielen hat
man natürlich eine intuitive Vorstellung: Als Grenzwert von (1/n), also
den Wert, gegen den die Folge für wachsendes n strebt, würde man
wohl die 0 bezeichnen. Aber es gibt schwierigere Fälle. Wir machen
uns an Hand von Beispielen klar, dass man sich bei der Untersuchung
der Grenzwertproblematik nicht auf Rechner verlassen kann. Also
beißen wir in den saueren Apfel einer formal sauberen Definition und
sehen uns an, dass und wie man damit weiterkommt.
Theoretisches Highlight ist das sogenannte „Monotoniekriterium“
− sowohl eine tief liegende Aussage über die Struktur der reellen
Zahlen als auch ein gutes Mittel zur Bestimmung einiger Grenzwerte.
Anwendungen und Beispiele spielen in allen Phasen eine wichtige
Rolle.
Historisches
Folgen und Grenzwerte sind ein zugleich altes und neues Thema.
Schon die Babylonier kannten ein Verfahren, Quadratwurzeln näherungsweise (und sukzessive immer besser) zu berechnen. Die (näherungsweise und Schritt für Schritt bessere) Berechnung etwa einer
Kreisfläche durch einbeschriebene und umbeschriebene Polygone geht
auf Archimedes zurück. Die alten Griechen waren aber − aus philosophischen Gründen − sehr genau darauf bedacht, dieser Prozedur
keinen „Grenzwert“ zuzuordnen.
Der Grenzwertbegriff, so wie wir ihn kennen, wurde informell erst zu
Beginn der Neuzeit mit der Erfindung der Differentialrechnung (Newton, Leibniz) eingeführt. Eine „saubere“ Formulierung des Begriffs
gelang erst Mitte des 19. Jahrhunderts, nachdem zahlreiche Mathematiker schon lange fröhlich mit Grenzwerten rumhantiert hatten. (Die
Notwendigkeit einer ordentlichen Definition entstand daraus, dass
machmal bei diesem Rumhantieren Unsinn herauskam.)
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
13
Folgen und Reihen: Übersicht
Heutzutage gelten Folgen als Fundament der Analysis. In der Forschung und in den Anwendungen (Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften etc.) spielen Folgen eine enorm wichtige Rolle: Zahlreiche Berechnungen und Simulationen benutzen Folgen und ihre
Eigenschaften.
Zusammenfassung
Das MathePlus Schülerarbeitsheft zum Thema Folgen und Reihen ist
in die folgenden Teilkapitel eingeteilt:
Gliederung
• Folgen: Fakten und Beispiele
• Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen
• Grenzübergänge und Grenzen des Rechners
• Ungleichungen und Betrag
• Grenzwerte: Die Definition
• Grenzwerte: Rechenregeln und Berechnung
• Teilfolgen und Häufungspunkte
• Monotonie, Beschränktheit und Konvergenzkriterium
• Anwendung: Babylonisches Wurzelziehen
• Näherungswerte für die Kreisfläche
• Populationsmodelle
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
15
Kapitel 1
Folgen: Fakten und Beispiele
Folgen sind in der Mathematik und ihren Awendungen von großer
Bedeutung. Allerdings ist das Thema „Folgen“ anscheinend (auch an
der Uni) nicht sehr beliebt: Es gilt als trocken, abstrakt und langweilig.
Wir beginnen deshalb hier mit einer Reihe von Beispielen, die zwei
Funktionen haben: Erstens sollen sie belegen, dass Folgen in der Mathematik und ihren Anwendungen wirklich wichtig sind; zweitens
sollen sie zeigen, dass Folgen „gar nicht so schlimm“ sind.
Einführung
Hier kommen ein paar mathematische und nicht so mathematische
Anlässe, Folgen näher anzusehen.
1. Sie möchten lange in einer Wirtschaft sitzen bleiben, haben aber
nur für ein großes Glas Wasser (d.h. 0.3`) Geld und das Personal
guckt alle zwei Minuten nach, ob Sie auch trinken. Angenommen,
Sie verfahren nach folgender Strategie: Sie trinken tatsächlich alle
zwei Minuten, und zwar jedesmal exakt die Hälfte des noch im
Glas befindlichen Wassers.
a) Wie viel Wasser haben Sie nach dem zweiten (fünften) Trinken
noch übrig?
b) Wie viel Wasser haben Sie nach dem zehnten (zwanzigsten)
Trinken schon intus?
c) Wie oft können Sie insgesamt trinken und wie lange auf diese
Weise weiter machen, bevor Sie die Wirtschaft verlassen oder
das nächste Getränk bestellen müssen?
√
2. Was
ist
eigentlich
2? Ein nicht so guter Taschenrechner liefert
√
2 = 1.41421, aber wenn man nachrechnet, ist √
1.414212 = 1.99999 6=
2. Ein etwas besserer Taschenrechner liefert 2 = 1.41421356237,
aber das Quadrat dieser Zahl ist (bei genauem Nachrechnen) ebenfalls von
√ 2 verschieden. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran,
dass 2 eine irrationale Zahl ist, also nicht als Bruch mit ganzzahligem
Zähler und Nenner darstellbar ist. Erst recht lässt sich
√
2 dann nicht als endlicher Dezimalbruch darstellen. (Das geht ja
schon für viele rationale Zahlen schief, etwa 4/9 = 0.444 . . . = √
0.4,
oder 37/99 = 0.37.) Wir haben also keinen “exakten” Wert für 2,
Anmerkung
Da ein reales Glas nur
endlich viele Wassermoleküle enthält, handelt es sich hier um ein
idealisiertes Gedankenexperiment.
16
Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele
sondern nur Näherungswerte,
√ welche wir immer weiter verbessern
können. Offenbar existiert 2 als Länge der Diagonale im Einheitsquadrat. Denkt man aber nur an die
√Darstellung im Dezimalsystem,
könnte man sogar fragen: Gibt es 2 überhaupt?
3. In der Populationsbiologie (z.B. für Insekten oder einjährige Pflanzen) werden Modelle verwendet, über die im Exkurs auf S.20 genaueres zu finden ist. Hier ein erstes Beispiel:
Die Grösse der Population in Generation 1, 2, 3,. . . wird (sagen wir
in Tausend) durch Zahlen c1 , c2 , c3 , . . . beschrieben. Die Grösse der
folgenden Generation ist festgelegt durch die Grösse der momentan
existierenden, und zwar in folgender Weise (dabei ist e ≈ 2.72 die
Eulersche Zahl):
cn+1 = 3cn · e−cn
a) Berechnen Sie für die Anfangspopulation c1 = 2 (Tausend) näherungsweise die Populationsgrößen in der zweiten, dritten und
vierten Generation.
b) Berechnen Sie für die Anfangspopulation c1 = 0, 2 näherungsweise die Populationen in der zweiten, dritten und vierten Generation.
c) Äußern Sie eine Vermutung über das Verhalten der Populationsgröße auf Dauer.
d) Es sei cn+1 = 1. Bestimmen Sie cn näherungsweise.
e) Gibt es eine Populationsgröße cn für die die der Folgegeneration
cn+1 genau gleich groß ist; sich also ein Gleichgewicht einstellt?
Bestimmen Sie diese gegebenenfalls.
(Unendliche)
Folgen
Anmerkung
Eine Folge kann statt
1 auch 0 oder N ∈ N
als Startindex haben
(d.h. N0 oder N> N als
Definitionsmenge).
Die Buchstaben a und n
können durch beliebige
andere ersetzt werden.
Zum Beispiel: (bm )m>3
In diesem Abschnitt werden (unendliche) Folgen einschließlich der zugehörigen Begriffe und Schreibweisen eingeführt. Das ist grundlegend
für das gesamte Schülerarbeitsheft.
(Unendliche) Folgen
Eine Folge ist eine Abbildung N → R. Statt N → R, n 7→ an
schreibt man für die Folge kurz ( an )n>1 .
Bezeichnungen:
W = { an |n ∈ N} Wertemenge der Folge
n
Laufindex der Folge
Drei Arten, eine Folge aufzuschreiben:
explizit durch Folgenglieder: (1, 4, 9, 16, . . .)
explizit durch Folgenterm:
an = n2 oder (n2 )n>1
√
rekursiv:
a 1 = 1 , a n +1 = a n + 2 a n + 1
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele
17
Die folgenden Beispiele dienen dem Vertrautmachen mit dem Folgenbegriff. Zugleich werden einige wichtige Bezeichnungen eingeführt.
(A) Zu den einfachsten Folgen gehören solche, bei denen die Differenz
aufeinander folgender Glieder konstant ist. Solche Folgen nennt
man arithmetisch. Beispiele sind (n)n>1 = (1, 2, 3, 4, 5, . . .) oder
auch (7 − 0.3k )k>2 = (6.4, 6.1, 5.8, 5.5, . . .).
Cafebesuchers
kann man
(B) Beim Problem des unterfinanzierten
1 1 1 1
1
1
−
n
einerseits die Folge 2n−1
= 2
= 1, 2 , 4 , 8 , 16 , . . .
n >1
n >1
der “Pegelstände” im Glas betrachten, andererseits aber auch die
Folge ( an )n>1 der getrunkenen Flüssigkeitsmengen.
(C) Man könnte auf die
√ Idee kommen, die zunehmend bessere Approximation von 2 durch die Folge
Beispiele
Arithmetische Folge
Achtung!
Bei expliziter Angabe
durch endlich viele
Folgenglieder muss
klar sein, was „. . .“
bedeutet.
(bm )m>0 = (1, 1.4, 1.41, 1.414, 1.4142, . . .)
zu beschreiben. Dann sollte man aber die Pünktchen (. . .) genauer
erklären können. Invielen Fällen scheint intuitiv klar, wie es weiter
geht (auch wenn man nur die ersten paar Folgenglieder kennt);
im vorliegenden Beispiel aber wohl erst mal nicht.
(D) Bei einer rekursiv definierten Folge wie im dritten Einstiegsbeispiel hat man einen Anfangswert c1 und eine Vorschrift, wie aus
einem Folgenglied jeweils das nächstfolgende gebildet wird. Eine explizite Darstellung (c1 , c2 , c3 , . . .) eines endlichen Abschnitts
erfordert (unter Umständen viel) Rechenarbeit.
Harmonische Folge
(E) Bekannte Folgen sind die „harmonische Folge“
1
1 1 1 1
= 1, , , , , . . .
n n >1
2 3 4 5
sowie
1
n2
=
n >1
1 1 1 1
1, , , , , . . .
4 9 16 25
.
(F) Bei der Folge
( p m ) m >0 =
1
1 1
1 1 1
1 1 1 1
1, 1, , 1, , , 1, , , , 1, , , , , . . .
2
2 3
2 3 4
2 3 4 5
sagen einem „scharfes Hinsehen“ oder Intuition vermutlich, wie
es weitergehen könnte. (Wäre es angenehm, p99999 bestimmen zu
müssen?)
Alternierende Folgen
(G) Die Folge
((−1)k )k>0 = (1, −1, 1, −1, 1, −1, 1, −1, . . .)
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
18
Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele
nennt man eine „alternierende Folge“, weil das Vorzeichen der
Folgenglieder hin- und herspringt (alterniert). Auch die Folge
„geschlossene
Darstellung“
=
„Darstellung durch
Folgenterm“
((−1)` · 3` )k>0 = (1, −3, 9, −27, 81, −343, . . .)
ist alternierend.
(H) Bei der Folge
3 + 4n
6 + 7n
=
n >0
1 7 11 5 19
, , , , ,...
2 13 20 9 34
ist die geschlossene Darstellung links wohl übersichtlicher als
die Auflistung der ersten paar Folgenglieder.
Übungsaufgaben
1. Der Folgenterm kann auch in Form einer Summe gegeben sein.
Jedes Folgenglied geht dann aus dem vorangegangenen durch Hinzunahme eines weiteren Summanden hervor. Zum Beispiel ist
!
n
1 1 1 1 1 1
1 3 7
−k
=
, + , + + , ... =
, , , ...
∑2
2 2 4 2 4 8
2 4 8
k =1
n >1
eine Folge von Partialsummen.
a) Berechnen Sie die nächsten drei Folgenglieder.
b) Sehen Sie einen Zusammenhang mit Beispiel (B)?
2. Gegeben ist die Folge ( gk )k>1 = (0.3, 0.37, 0.373, 0.3737, 0.37373, . . .).
a) Nennen Sie g6 und beschreiben Sie g1000000 .
b) Weisen Sie für gerade Indizes k = 2` nach:
!
`
g2` = 37
∑ 100− j
`−1
= 37
j =1
∑ 100j
!
/100`
j =0
c) Bestimmen Sie einen ähnlichen Ausdruck für ungerades k.
n
3. Folgen der Form ∑ j=0 (c + j · d)
mit c, d ∈ R nennt man arithArithmetische Reihe
n>1
metische Reihen. Die arithmetischen Reihen zu den arithmetischen
Folgen aus Beispiel (A) sind (1, 3, 6, 10, 15, . . .) (mit c = 1, d = 1)
und (6.4, 12.5, 18.3, 23.8, . . .) (mit c = 6.4, d = −0.3).
a) Was sagt Ihnen der Begriff „Gauß-Trick“? (Falls nichts, recherchieren Sie!)
b) Berechnen Sie die Summe aller natürlichen Zahlen von 1 bis 17.
Geben Sie einen allgemeinen Ausdruck für die Summe von 1 bis
n an.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele
19
c) Berechnen Sie die Summe der ganzen Zahlen 37, 35, 33, 31, . . . ,
−5. Was sind hier c, d und n? Geben Sie einen allgemeinen
Ausdruck für die Summe von 137 bis z ∈ Z an.
4. Wie stellt sich Aufgabe 3 bei der Folge aus Beispiel (F) dar? Würden
Sie der Aussage zustimmen, dass die Folge “unendlich viele Werte
unendlich oft annimmt”?
Kurzkontrolle
1. Wiederholen Sie die Begriffe Relation, Funktion und
Abbildung, Injektivität, Surjektivität und Bijektivität.
2. Bestimmen Sie die Definitions- und Wertemengen der
Funktionen mit den folgenden Termen.
1
b) ln( x )
c) x!
d) sin( x )
a)
x+3
3. Schreiben Sie mit Hilfe des Summenzeichens:
a) 1 + 4 + 9 + . . . + 144
b) 1 − 12 + 14 − 81 ± . . .
c) 1 + 3 + 6 + 10 + . . . + 5050
4. Schreiben Sie ausführlicher und vereinfachen falls möglich:
37
∞
100 1
1
i
k
−1
−
a) ∑ 5
b) ∑ (−1) · (k!)
c) ∑
j
j+1
i =0
j
=
5
k =1
1. Finden Sie eine geschlossene Darstellung für die pm aus Beispiel
(F), also einen Folgenterm, welcher eine Bestimmung von pm aus
m (ggf. mit Fallunterscheidungen) gestattet. (Tipp: Sie kennen eine
Formel für ∑nk=1 k. Das sollte Ihnen helfen.)
2. Übungsaufgabe 1 legt die Formel ∑nj=1 2− j = 1 − 2−n nahe. Können
Sie diese beweisen?
3. Geben Sie eine Folge an, welche jede natürliche Zahl unendlich oft
als Wert annimmt. Geben Sie eine Folge an, welche jede ganze Zahl
unendlich oft als Wert annimmt.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Probleme und
Anwendungen
20
Exkurse
Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele
Populationsmodelle
Die Gleichung für das Populationsmodell wird von Biologen
wirklich verwendet; wir haben nur einige Zahlenwerte willkürlich fixiert. Allgemein werden Gleichungen der Gestalt
c n +1 = r · c n · e − k · c n
betrachtet, wobei r und k positive Konstanten sind, welche an die
spezielle Population angepasst werden. Allerdings entspringt die
Gleichung einer Näherung, welche auf einem komplizierteren
Modell beruht. (Eigentlich sind stochastische Effekte mit zu berücksichtigen. Wenn diese vernachlässigt werden können, ist das
Modell nützlich.)
Grenzwerte in der Mathematikgeschichte
Ab S.25 werden Ausdrucksweisen wie „strebt gegen 0“, „strebt
gegen ∞“ usw. benutzt. Was will man mit solchen und ähnlichen Sprechweisen ausdrücken? Eine präzise Fassung des Begriffs
„Grenzwert“ stellen wir noch zurück; wir kümmern uns später
darum. Diese präzise Fassung hat auch in der geschichtlichen
Entwicklung der Mathematik auf sich warten lassen: Es dauerte
bis Mitte des 19. Jahrhunderts, ehe eine einwandfreie Definition
stand. Andererseits haben schon die alten Griechen mit Folgen
hantiert, und seit der Erfindung der Infinitesimalrechnung (im 17.
Jahrhundert durch Newton und Leibniz) wurde wild mit Grenzwerten herumgearbeitet, auf der Basis von Intuition und Rechenregeln. Auch solche „unpräzisen Phasen“ gehören zur Mathematik und ihrer Entwicklung. An irgend einer Stelle ist es dann aber
so weit, dass einem die fehlende Präzision Ärger macht. Dann ist
Handeln nötig.
„Das Unendliche hat wie keine andere Frage von jeher so tief
das Gemüt des Menschen bewegt; das Unendliche hat wie kaum
eine andere Idee auf den Verstand so anregend und fruchtbar
gewirkt; das Unendliche ist aber auch wie kein anderer Begriff so
der Aufklärung bedürftig.“
David Hilbert
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele
Ein wichtiges Mittel zur Veranschaulichung von Folgen und ihren
Eigenschaften ist deren graphische Darstellung durch Punkte in einem
Koordinatensystem. Darum geht es im folgenden Abschnitt.
21
Graphische
Darstellung von
Folgen
Graphische Darstellung von Folgen:
Man kann sich die Folge ( an )n>.. veranschaulichen, indem man
jedes Wertepaar (n| an ) als Koordinatenpaar eines Punktes Pn in
der Ebene auffasst. Auf diese Weise entsteht der Graph der Folge
als einer diskreten Funktion.
(A) Die Glieder der harmonischen Folge sind die Kehrwerte der natürlichen Zahlen: ( f m )m>1 = ( m1 )m>1 = (1, 21 , 13 , 14 , · · · ) .
Der Graph dieser Folge (für die ersten zwanzig Folgeglieder) ist
in Abb.1.1 abgebildet. Man kann sehen, dass die Folgenglieder
für grösser werdendes m immer kleiner werden und der Null
immer näher kommen, aber wegen m ∈ N nicht negativ werden
können. Das Bild legt die Vermutung nahe, dass die Folgenglieder
für grosse m „gegen Null streben“.
Abbildung 1.1: Ausschnitt von ( f m )m>1
(B) (ek )k>3 = ( 1k + k )k>3 : Bei dieser Folge beginnt der Laufindex erst
17 26
bei 3. Es gilt: (ek )k>3 = ( 10
3 , 4 , 5 , · · · ). In Abb.1.2 ist der Graph
der Folge zu sehen (die ersten zwanzig Folgenglieder). Man kann
Abbildung 1.2: Ausschnitt von (ek )k>3
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Beispiele
Anmerkung
Der Graph einer Folge
zeigt das Verhalten „auf
einen Blick“ und lässt
häufig erahnen, wie
sich die Folge für große
n entwickelt.
22
Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele
sehen, dass die Folgeglieder immer grösser werden. Es liegt die
Vermutung nahe, dass sie mit wachsendem k „gegen Unendlich
strebt“.
Anmerkung
Bei den hier veranschaulichten Folgen ist
mehrfach davon die Rede, dass sie „für n → ∞
gegen Null, gegen Unendlich oder gegen eine
andere reelle Zahl streben“. Was das genau
heißt, wird in Kapitel 5
klar.
(C) (hm )m>1 = 10 · 2−m + 1 = (6, 3.5, 2.25, 1.625, · · · ). Für m = 10
gilt beispielsweise: h10 = 1.0098. In diesem Fall liegt also die
Vermutung nahe, dass die Folgeglieder „gegen 1 streben“, wenn
der Laufindex gross wird. Man vergleiche hierzu auch Abb.1.3.
Abbildung 1.3: Ausschnitt der Folge (hm )m>1
(D) (ik )k>1 = (−1)k · 2k: Es handelt sich hierbei um eine alternierende
Folge mit (ik )k>1 = (−2, 4, −6, 8, −10, 12, · · · ). Ihr Graph ist in
Abb.1.4 zu sehen. Man entnimmt der graphischen Darstellung,
dass sich diese Folge wohl keinem Wert annähert, wenn n gross
wird, sondern immer „hin und her springt“.
Abbildung 1.4: Ausschnitt der Folge (ik )k>1
Übungsaufgaben
Was ging hier schief?
(1/k)k>4
=
(1, 1/2, 1/3, 1/4, . . .)
1. Skizzieren
Sie Graphen zu den Folgen:
√
a) ( k )k>0
b) ( 2 − 1k )k>1
c) ( 1 + (−1)k · k )k>3
2. Formulieren Sie für die Beispiele aus Aufgabe 1. Aussagen darüber,
wie sich die Folgen für n → ∞ entwickeln.
3. Geben Sie jeweils selbst eine Folge an, die für n → ∞
a) gegen 0 strebt,
b) gegen 7 strebt,
c) gegen −∞ strebt.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele
23
4. Skizzieren Sie die Graphen zu den selbst gewählten Folgen aus
Aufgabe 3.
5. Wie sieht der Graph einer arithmetischen Folge aus? Wo findet man
die Parameter des Folgenterms im Graphen wieder?
6. Geben Sie einen zu Abb.1.5 passenden Folgenterm an.
(Die exakten Funktionswerte sind 0.25, 0.0625, 0.015625, 0.00390625.)
Abbildung 1.5: Ausschnitt der Folge ( gn )n>1
Wir wollen uns jetzt spezielle Folgen genauer ansehen, die sowohl in
der reinen als auch in der angewandten Mathematik eine wichtige
Rolle spielen:
Geometrische Folgen und Reihen
Eine Folge, bei der der Quotient aufeinanderfolgender Glieder
konstant ist, nennt man geometrisch. Die allgemeine Form einer
geometrischen Folge mit dem konstanten Quotienten q (6= 0) ist:
( a n ) n> N = c · q n
N ∈ N0 , c, q ∈ R
,
Ist eine geometrische Folge (c · qk )k>0 gegeben, so nennt man für
jedes n ∈ N die Zahl
Geometrische
Folgen und Reihen
Die Folge (0, 0, 0,. . .)
mit q = 0 kann man
ebenfalls als geometrisch
bezeichnen, aber nicht
über Quotientengleichheit
definieren.
n
sn :=
∑ c · qk
k =0
die n-te Partialsumme dieser Folge. Die Folge (sn )n>0 dieser Partialsummen nennt man auch geometrische Reihe und schreibt kurz
k
∑∞
k =0 c · q .
(A) Die Folge der Zweierpotenzen (1, 2, 4, 8, 16, . . .) ist eine geometrische Folge mit dem konstanten Quotienten q = 2. Die zugehörige
geoetrische Reihe hat die Form (1, 3, 7, 15, 31, . . . ).
1 n
(B) Die Folge (0.37 · ( 100
) )n>0 = (0.37, 0.0037, 0.000037, . . .) ist eine
1 n
geometrische Folge; und ∑∞
n=0 0.37 · ( 100 ) ist eine geometrische
Reihe: Die Abkürzung für die Folge (0.37, 0.3737, 0.373737, . . .).
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Beispiele
Merke:
Eine nicht konstante
arithmetische Folge
ist niemals zugleich
geometrisch!
24
Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele
(C) Es gibt eine geometrische Folge ( an )n>1 mit a0 = 2 und a1 = 7:
Man muss nur q = a1 /a0 = 7/2 und c = a1 /q = 4/7 setzen. Es
gibt hingegen keine geometrische Folge, welche an = 56, an+1 = 57
und an+2 = 58 für irgendein n erfüllt, denn man hätte dann
q = 57/56 einerseits und q = 58/57 andererseits.
Übungsaufgaben
1. Geben Sie jeweils die ersten fünf Glieder der (mit N = 0 beginnenden) geometrischen Folgen mit den folgenden Parametern an:
1
d) c = 1000, q = −0.3
a) c = 3, q = 2
b) c = −7, q = 10
2. Geben Sie jeweils die ersten fünf Glieder der zu den Folgen in
Aufgabe 1. gehörenden geometrischen Reihen an.
3. Untersuchen Sie, ob es eine geometrische Folge gibt, welche die angegebenen Teilabschnitte enthält. Geben Sie im Fall einer positiven
Antwort passende Konstanten c und q an. Sind diese eindeutig?
a) 3, 3, 3, 3, 3
b) 2, 3, 5, 9, 12
c) 64, 256, 1024, 4096
3 3
3
4 8 16 32
e) 3; 4 , 16 , 64
f) 1, −3, 9, −27, −81
d) 3 , 9 , 27 , 81
Tipp zu 4.
Betrachten Sie jeweils die
zugehörige Differenzenfolge (s0 , s1 − s0 , s2 − s1 ,
s3 − s2 , . . .) .
Geometrische
Summenformel
4. Untersuchen Sie, ob es eine geometrische Reihe gibt, welche die angegebenen Teilabschnitte enthält. Geben Sie im Fall einer positiven
Antwort passende Konstanten c und q an. Sind diese eindeutig?
a) 1, 4, 13, 40, 121
b) −5, −5.5, −5.55, −5.555, −5.5555
c) 7, 17, 30, 46, 65, 87
d) 1536, 768, 1152, 960, 1056, 1008
Bei geometrischen Folgen kann man die zugehörigen Partialsummen
statt durch sukzessive Addition auch auf elegante Weise direkt berechnen. Wer die zugehörige Summenformel kennt und korrekt anwendet,
kann sich in vielen Aufgaben eine Menge Arbeit ersparen.
Geometrische Summenformel
Seien c ∈ R, q ∈ R gegeben und q 6= 1. Dann gilt
n
∑ c · qk = c ·
k =0
1 − q n +1
1−q
für alle n > 0.
Beispiele
5
(A) Es gilt:
∑
k =0
10
(B) Es gilt:
∑
1 − 25 + 1
3 · 2k = 3 ·
= 189
1−2
−1 · 0.5
k
= −1 ·
k =0
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
1 − 0.510+1
−2047
=
≈ −1.999
1 − 0.5
1024
Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele
1. Betrachten Sie noch einmal die Aufgabe mit dem ewigen Glas
Wasser. Wo tritt dort die Summenformel für die geometrische Reihe
auf?
25
Übungsaufgaben
k
2. Betrachten Sie die geometrische Reihe 0.1 = ∑∞
k=1 (0.1) . Was ergibt
die Summenformel hier? Würden Sie auf Grund dieser Information
zustimmen, dass gilt: 0.1 = 19 ?
3. Wie sieht es mit 0.37 aus?
4. Beweisen Sie die geometrische Summenformel mit vollständiger
Induktion.
Probleme und
Anwendungen
5. Beweisen Sie diese Formel durch Ausmultiplizieren des Terms
(1 + q + · · · + q n ) · (1 − q ).
6. Was ist im Fall q = 1 zu sagen?
7. Bestimmen Sie auch eine Formel für ∑nk= N c · qk , wobei N ∈ Z
beliebig und q 6= 1.
8. Betrachten Sie eine geometrische Folge (c · qn )n>0 mit c 6= 0. Wie
verhält sich die Folge für grosse n? Die Antwort wird von q und c
abhängen. Nehmen Sie geeignete Fallunterscheidungen vor.
Abhängig vom Betrag der Basis q lassen sich die Eigenschaften geometrischer Folgen in drei Klassen aufteilen. Besonders wichtig und
auf den ersten Blick erstaunlich ist die Tatsache, dass für |q| < 1 die
„unendlichen Summen“ nur endliche Werte annehmen.
Feststellung und Arbeitsdefinition
Seien c ∈ R, c 6= 0 und q ∈ R gegeben. Dann gilt:
(a) Für |q| < 1 strebt die Folge (c · qk )k>0 gegen 0, wenn k über
alle Grenzen wächst. Die Folge der Partialsummen (∑nk=0 c · qk )n>0
strebt in diesem Fall gegen c/(1 − q).
(b) Für q = 1 ist die Folge (c · qk )k>0 konstant; für q = −1 ist sie
alternierend und nimmt genau zwei Werte an.
(c) Im Fall q > 1 wächst die Folge (c · qk )k>0 über alle Grenzen
(“strebt gegen Unendlich”), wenn k über alle Grenzen wächst. Im
Fall q < −1 ist die Folge (c · qk )k>0 alternierend. Die Folge der
Beträge (|c · qk |)k>0 “strebt gegen Unendlich”, wenn k über alle
Grenzen wächst.
Hier wurden Ausdrucksweisen wie „strebt gegen unendlich“ einfach
in den Mund genommen, ohne weiter darüber nachzudenken. Einige
historische Bemerkungen dazu finden sich auf S.20.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Spezialfälle
26
Übungsaufgaben
Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele
1. Was lässt sich in den Fällen mit |q| > 1 zu den Partialsummen
sagen?
2. Geben Sie die Werte an, gegen die die folgenden Partialsummen für
n → ∞ streben:
a) ∑nk=0 5 · (0.3)k n>0
b) ∑nk=0 −2 · (−0.9)k n>0
c) ∑nk=0 0.2 · 41k
n >0
Reihen: Begriff
und erste Beispiele
Anmerkung
Es geht also bei unendlichen Reihen nicht
darum, „unendlich
viele Additionen“ auszuführen. Das sieht nur
durch die Schreibweise
so aus. Wir kommen
später darauf zurück
(und machen die verwirrenden Bezeichnungen dann noch ein
bisschen verwirrender).
Beispiele
Zum Abschluss dieses Abschnittes notieren wir noch eine Definition,
welche wir im Spezialfall der geometrischen Reihen schon vorgenommen haben.
(Unendliche) Reihen:
Sei eine Folge ( an )n>0 = ( a0 , a1 , a2 , · · · )n>0 gegeben. Man bildet ausgehend von dieser Folge eine neue Folge (s0 , s1 , s2 , · · · )
mit der Vorschrift: s0 = a0 , s1 = a0 + a1 , s2 = a0 + a1 + a2 , · · · ,
sn = a0 + a1 + · · · + an = ∑nk=0 ak . Man nennt sn die n-te Teilsumme oder Partialsumme von ( an )n>0 . Umgekehrt nennt man
( an )n>0 die Differenzenfolge von (sn )n>0 . Die Folge der Teilsummen (sn )n>0 ) = (s0 , s1 , s2 , · · · ), nennt man unendliche Reihe,
oder kurz Reihe und benutzt dafür die Schreibweise: ∑∞
k=0 ak . Es
sei betont, dass diese „unendliche Summe“ nur eine neue Bezeichnung für die Folge der Partialsummen ist.
Startet man mit einer Folge ( an )n>1 oder allgemeiner ( an )n> N , so
bildet man analog die Folgen der Teilsummen und bezeichnet
∞
diese mit ∑∞
k=1 ak bzw. ∑k= N ak .
(A) Zur Folge der natürlichen Zahlen (i )i>1 = (1, 2, 3, 4, . . .) gehört
alsReihe der Partialsummen die Folge der Dreieckszahlen
i ·(i +1)
2
i >1
= (1, 3, 6, 10, . . .) .
(B) Zur Folge der Quadratzahlen (i2 )i>1 = (1, 4, 9, 16, . . .) gehört
als Differenzenfolge die Folge der ungeraden Zahlen (2 · i + 1)i>0 =
(1, 3, 5, 7, . . .) .
Übungsaufgaben
3. Geben Sie für jede der Folgen die ersten fünf Glieder der zugehörigen Reihe an:
a) (5, 5, 5, 5, 5, . . .)
b) (3, 6, 9, 12, . . .)
c) (1, 12 , 31 , 14 , 15 , . . .)
d) (−1)k · 2 k>1
e) (0.5) j j>0
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele
4. Geben Sie für jede der (als Reihe aufzufassenden) Folgen die ersten
fünf Glieder der zugehörigen Differenzenfolge an:
a) (5, 5, 5, 5, 5, . . .)
b) (1, 8, 27, 64, 125, . . .)
c) (1, 3, 7, 15, 31, . . .)
d) (7, 1, 6, 2, 5, . . .)
n · ( n + 1)
e)
2
n >0
5. Sehen Sie sich die Aufgaben 3. und 4. in Hinblick auf interessante,
eventuell als Formel verallgemeinerbare Zusammenhänge an.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
27
28
Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele
Wissensspeicher
Eine unendliche reelle Folge lässt sich als eine geordnete Liste reeller
Zahlen auffassen, die den natürlichen Zahlen ab einem Startwert
N ∈ N0 zugeordnet sind.
Folge
Häufig sind Folgen auf eine der drei folgenden Arten gegeben: Explizit durch Auflistung endlich vieler Folgenglieder (mit „Pünktchen“),
explizit durch einen Term, der die Berechnung des Folgenwertes aus
dem Laufindex der Folge beschreibt, oder rekursiv durch Angabe eines
Startwertes (bzw. mehrerer Startwerte) und einer Formel, nach der
jedes Folgenglied aus dem (den) vorangegangenen zu berechnen ist.
Folge
( an )n> N , N ∈ N0
Folgenterm
(2n + 1)n>4
Besondere Folgen:
arithmetisch,
geometrisch,
alternierend
Folgen, bei denen die Differenz aufeinanderfolgender Glieder konstant ist, nennt man arithmetisch. Folgen, bei denen der Quotient
aufeinanderfolgender Glieder (sofern definiert) konstant ist, nennt
man geometrisch. Folgen, deren Glieder abwechselnd positives und
negatives Vorzeichen haben, nennt man alternierend.
Arithmetische Folge
Geometrische Folge
Alternierende Folge
Reihen
(c + k · s)k>0 , c, s ∈ R
z. B. (11, 8, 5, 2, −1, . . .)
(c · qk )k>0 , c , q ∈ R
(6, 12, 24, 48, 96, . . .)
z. B. ((−1)k · (k2 + 1))k> N
oder (5, −6, 8, −9, . . .)
Folgen, deren Glieder in Form von Partialsummen gegeben sind,
nennt man Reihen. Reihen sind also selbst Folgen, zu denen es aber
eine weitere Folge (ihre Differenzenfolge) gibt, aus denen Sie durch
Summieren der Folgenglieder entstehen: n-tes Glied der Reihe ist die
Summe der ersten n Glieder der (Differenzen-)Folge.
Folge
( a n ) n >0
Summenformeln
Werteliste
(9, 11, 13, 15, 17, . . .)
Rekursive Definition
a 4 = 9 , a n +1 = a n + 2
Partialsumme
sn = ∑nk=0 ak
Reihe
(sn )n>0 oder ∑∞
n =0 a n
Für einige Reihen, insbesondere für arithmetische und geometrische
Reihen gibt es Summenformeln. Sie liefern einen geschlossenen Term
zur Berechnung der Reihenglieder ohne Summenzeichen.
n
Arithmetische Reihe
∑ ( c + s · k ) = ( n + 1) · c + s ·
k =0
n
Geometrische Reihe
∑ c · qk = c ·
k =0
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q n +1 − 1
q−1
,
n · ( n + 1)
2
q ∈ R \ {1}
Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele
In diesem Kapitel haben Sie Folgen als geordnete Zahlenreihen oder
Abbildungen von N oder N0 nach R kennengelernt. Sie haben einfache Beispiele dazu gesehen oder selbst konstruiert und Aufgaben dazu
gelöst. Eine wichtige Rolle spielten dabei drei Darstellungsformen für
Folgen: Durch explizit aufgezählte Folgenglieder (mit „Pünktchen“),
durch einen Folgenterm oder durch eine Rekursionsformel. Exemplarisch wurden dabei auch schon die Zusammenhänge zwischen diesen
Darstellungsformen beleuchtet.
Gegen Ende des Kapitels wurden Reihen als besondere Folgen eingeführt, bei denen die Summenschreibweise eine wichtige Rolle spielt
und geschickte Umformungen oder der „mathematische Blick“ zu
erheblichen Vereinfachungen führen können.
Im Rahmen des Kapitels haben Sie bereits einige spezielle Folgen kennengelernt wie die harmonische Folge, alternierende, arithmetische
und geometrische Folgen. Letztere nahmen dabei zusammen mit den
geometrischen Reihen eine besonders wichtige Rolle ein. Sie sind wegen ihrer großen Bedeutung auch Gegenstand des nächsten Kapitels,
wobei es verstärkt um Anwendungen geht: Es wird sich herausstellen,
dass geometrische Folgen und Reihen in den unterschiedlichsten Zusammenhängen auftauchen und ihre Kenntnis einem viele Probleme
lösen helfen kann.
Die nachfolgenden Aufgaben sind von etwas höherem Anspruch, weil
Sie entweder mehrere Zusammenhänge gleichzeitig erfordern oder
über den im Kapitel behandelten Stoff hinaus gehen. Sie können sie
also gerne ansehen, um Ihr Verständnis auf die Probe zu stellen oder
Ausblicke auf weitere Aspekte des Themas oder noch offene Fragen zu
erhalten. Sie sollten sich allerdings keine Sorgen machen, wenn Ihnen
diese Aufgaben noch nicht ohne weiteres gelingen.
1. Weitere Fragen zur Populationsbiologie (Aufgabe 3 S.16):
a) Generation für Generation auszurechnen, wie gross die Population nach 10 oder 50 Generationen ist, ist zwar möglich aber
ausgesprochen mühsam. Gibt es einen einfacheren Weg, sich
einen Überblick zu verschaffen?
b) Skizzieren Sie den Graphen der Funktion f mit f ( x ) = 3x · e− x .
Beschreiben Sie ein Verfahren, mittels dessen sich bei gegebener Anfangspopulation die Populationen der Folgegenerationen
graphisch bestimmen lassen.
c) Angenommen es gäbe zwei aufeinanderfolgende Generationen
mit gleicher Populationsgröße cn = cn+1 = c. Wie groß müsste
die dafür in Frage kommende Populationsgröße c sein?
(Können Sie auch dieses Ergebnis anhand des Funktionsgraphen
interpretieren?)
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
29
Rück- und
Ausblick
30
Kapitel 1 Folgen: Fakten und Beispiele
2. Der Jäger und sein Hund:
Ein Jäger spaziert mit seinem Hund zur 10km entfernten Jagdhütte.
Weil der Jäger für den Geschmack des Hundes allerdings deutlich
zu langsam läuft, verfährt letzterer wie folgt: Er läuft alleine vor
bis zur Jagdhütte, kehrt dort unverzüglich um und läuft seinem
Herrchen entgegen. Sobald er dieses erreicht, dreht er wieder um,
läuft vor bis zur Jagdhütte und so weiter.
a) Fertigen Sie eine dem Verständnis der Sachlage dienende Skizze
an.
b) Angenommen, der Hund läuft exakt doppelt so schnell wie der
Jäger: Wo werden sich die beiden zum ersten (zweiten, dritten)
mal wieder treffen?
c) Welche Gesamtstrecke hat der Hund bis zu diesen Begegnungen
jeweils zurückgelegt.
d) Welche Gesamtstrecke hat der Hund zurückgelegt, wenn der
Jäger schließlich die Jagdhütte erreicht?
e) Inwiefern ist auch diese Problemstellung sehr theoretisch: Wie
oft treffen sich Jäger und Hund insgesamt, bevor der Jäger die
Hütte erreicht? Erwarten den Hund irgendwelche technischen
Probleme?
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
31
Kapitel 2
Geometrische Folgen und
Reihen: Anwendungen
In diesem Kapitel wird an Beispielen klar, warum die geometrischen
Folgen und Reihen eine Sonderstellung einnehmen. Sie treten in den
unterschiedlichsten Zusammenhängen auf. Die Kenntnis ihrer Eigenschaften und der flexible Umgang mit Parametern und Summenformeln sind deshalb unverzichtbar für das Lösen vieler Probleme.
Viele davon erwachsen aus Anwendungen in anderen Wissenschaften
oder kommen scheinbar spielerisch daher. Andere sind dagegen absolut innermathematisch und rühren an wichtige Grundlagen wie den
Zahlbegriff.
1. Achilles und die Schildkröte
Einer antiken Legende nach wurde Achilles zum Wettlauf mit einer
Schildkröte aufgefordert. Da er (immerhin) zehnmal so schnell war
wie die Schildkröte, sollte diese allerdings zehn Meter Vorsprung
erhalten. Nach einem Gespräch mit Zenon (vgl. S. 33) weigerte sich
Achilles anzutreten mit der Begründung, er habe keine Chance,
die Schildkröte einzuholen: In der Zeit, die er für die ersten 10m
benötige, sei die Schildkröte schon wieder 1m voraus. In der Zeit,
die er für diesen Meter benötige, sei sie schon wieder 10cm weiter.
In der Zeit, die er für diese 10cm benötige, wäre sie wieder 1cm
voraus und so weiter.
a) Was meinen Sie dazu? (Bearbeiten Sie Aufgabenteil b) bis e) nur,
wenn Sie mit dieser allgemeinen Frage nicht recht weiter kommen.)
b) Wo ist die Schildkröte, wenn Achilles 20m zurückgelegt hat?
c) Wo ist die Schildkröte, wenn Achilles 12m zurückgelegt hat?
d) Versuchen Sie durch Annäherung aus beiden Richtungen, möglichst genau den Ort zu bestimmen, an dem Achilles die Schildkröte einholt.
e) Ignorieren Sie Achilles’ Argumentation einmal vollständig: Ordnen Sie ihm und seiner Widersacherin konkrete Geschwindigkeiten zu und bestimmen dann Ort und Zeitpunkt des Einholens.
Einführung
32
Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen
f) Trotzdem hat Achilles doch irgendwie recht?! Die Geschichte ist
in der Logik als Paradoxon von Zenon bekannt.
Warnung:
Wie überzeugend Sie
Zenons Erklärung auch
finden: Rennen Sie bitte
nicht Richtung Wand!
2. Nachdem ihm logisch einwandfrei klar gemacht wurde, dass er
das Rennen nicht gewinnen kann, will Achilles aus Wut mit vollem
Schwung gegen die Stadionwand rennen. Aber auch das klappt
nicht, wie ihm Zenon gleich erklärt: Bis er die Strecke zwischen
seinem Standpunkt und der Wand zurücklegt, muss er ja erst mal
die Hälfte zurücklegen, und dann vom Rest wieder die Hälfte, und
so weiter. Bis er an der Wand ankommt, muss er also unendlich
viele Teilstrecken durchlaufen. Versuchen Sie mit einfachen Worten,
das Paradoxon aufzulösen. Können Sie auch diesen Widerspruch
für Achilles auflösen?
3. Gehen Sie Aufgabe 1. noch einmal aus einer anderen Richtung an:
Setzen Sie sich in das mitbewegte Bezugssystem der Schildkröte.
4. Eine umständliche Art, eine Dreiecksfläche zu berechnen:
a) Gegeben sei ein gleichschenkliges rechtwinkliges Dreieck ∆,
wobei die Schenkel die Länge a haben. (Für Skizzen können Sie
a = 5cm wählen.) Berechnen Sie die Fläche von ∆.
b) Bestimmen Sie nun näherungsweise die Fläche von ∆ (die Näherungswerte heissen im Folgenden A1 , A2 , . . .), indem Sie sie in
mehreren Schritten durch die Flächensummen von Quadraten,
die im Dreieck liegen, annähern. (Siehe Skizze: Im ersten Schritt
nimmt man ein Quadrat, im zweiten zwei weitere hinzu, im
dritten vier weitere, usw.)
Dreiecksnäherung
durch Quadrate
Erstellen Sie auch eine Tabelle, in der Sie die Berechnungen und
Näherungswerte protokollieren. (Falls Ihnen dies mit a = 5 angenehmer ist, rechnen Sie mit diesem konkreten Wert. Aber es
geht eigentlich einfacher mit allgemeinem a.)
c) Zeigen Sie, dass Teil b) zur allgemeinen Flächenformel für gleichschenklig rechtwinklige Dreiecke führt.
d) Lässt sich irgendein Informationsgewinn aus dieser Aufgabe
ziehen?
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen
Paradoxien in der griechischen Philosophie
Der griechische Philosoph Zenon (auch Zeno) von Elea lebte um
450 v. Chr. und beschäftigte sich vor allem mit dem Verhältnis
von Raum, Zeit und Bewegung. Er tat dies in Form sogenannter
Paradoxien, unter denen „Achilles und die Schildkröte“ eine der
bekanntesten ist. Im Wesentlichen geht es dabei um die Frage, ob
die Welt in diskrete Einheiten zerlegbar oder kontinuierlich ist.
Die Paradoxien sind ähnlich angelegt wie indirekte Beweise: Der
zu widerlegende Standpunkt (z.B. dass eine Strecke in unendlich
kleine Teile geteilt werden kann) wird angenommen, um daraus
die Unmöglichkeit der Alltagserfahrung nach sehr wohl möglicher
Vorgänge (z.B. das Einholen eines langsameren Läufers durch
einen schnelleren) zu folgern. Insofern spielen mathematische
Begriffe wie der des Unendlichen oder des Grenzwerts in den
Paradoxien eine wichtige Rolle.
Tatsächlich gehen die Grundfragen Zenons und seines Lehrers
Parmenides noch wesentlich weiter. Es wird zum Beispiel bezweifelt, ob Raum und Zeit überhaupt teilbar und Bewegungen
überhaupt möglich sind. Ad absurdum führen dabei Annahmen
wie die, das ein Ereignis nie eintritt, wenn man unendlich viele
Zeitpunkte benennen kann, zu denen es noch nicht eingetreten ist.
33
Exkurse
Zenon aus Elea
(Die beiden folgenden Exkurse stehen hier „auf Vorrat“. Wie sie mit
dem Thema zusammenhängen, wird einige Seiten später klar.)
Interessantes über Primzahlen
Umgekehrt zur Aussage im Kasten auf S.36 lässt sich jede rationale Zahl in einen periodischen Dezimalbruch entwickeln, wie Sie
vielleicht in der Sekundarstufe I gelernt haben. Wenn man das als
gegeben annimmt, folgt eine seltsame Aussage: Zu jeder Primzahl
p 6∈ {2, 5} existiert ein n ∈ N so, dass p Teiler von ∑nk=1 9 · 10k−1
ist. Unter den Teilern der Zahlen 9, 99, 999, 9999, . . . sind also alle
Primzahlen ausser der 2 und der 5 zu finden.
Das Boyle-Mariotte-Gesetz
Befindet sich ein („ideales“) Gas in einem Gefäss (mit variablem
Volumen) und hält man die Temperatur konstant, so ist das Produkt aus Druck und Volumen konstant:
p · V = const.
Verdoppelt man also z.B. das Volumen, so halbiert sich der Druck.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
13 - 9
13 - 99
13 - 999
13 - 9999
13 - 99999
13 | 999999
34
Geometrische
Folgen und Reihen
in der Anwendung
Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen
Thema des folgenden Abschnitts ist die Anwendung des neu erworbenen mathematischen Fachwissens auf inner- und außermathematische
Probleme: Geometrische Folgen und Reihen sind in vielen Bereichen
von Bedeutung und die Übertragung der Mathematik auf das jeweilige
Problem will gelernt sein.
Geometrische Folgen und Reihen in der Anwendung
Sowohl geometrische Folgen als auch geometrische Reihen kommen in zahlreichen inner- und außermathematischen Anwendungen vor. Wichtige Beispiele sind Wachstumsprozesse und
Abbauvorgänge aus den Naturwissenschaften, die Dezimalbruchentwicklung rationaler Zahlen und fraktale geometrische Figuren.
In den jeweiligen Anwendungen ist es wichtig zu erkennen,
• ob es sich überhaupt um ein geometrisches Bildungsgesetz
handelt,
• ob jeweils die geometrische Folge oder die geometrische
Reihe gefragt sind,
• welches die jeweiligen Parameter c und q sind bzw. wie man
sie aus den gegebenen Informationen bestimmen kann und
• bei welchem Startwert N die Folge oder Reihe beginnt.
Beispiele
(A) Ein Schilfrohr, das am ersten Tag der Messung 17cm hoch ist,
wächst von da an täglich um 4mm. Wann wird es eine Höhe von
1m erreichen?
Hier handelt es sich gar nicht um einen geometrischen Vorgang,
da in jedem Schritt ein fester Summand hinzukommt.
(B) Beim Entladen eines Kondensators wurde alle zwei Sekunden die
Restspannung gemessen. Gefragt ist, ob die Messwerte zu einer
geometrischen Folge gehören könnten und welches gegebenenfalls
die Parameter sind.
Zeit in s
Spannung in V
Un+2 /Un
0
12.5
2
4
6
10.1 7.95 6.45
0.81 0.79 0.81
8
5.1
0.79
10
4.1
0.80
Um das Vorliegen einer geometrischen Folge zu prüfen, berechnet
man am besten die Quotienten aufeinanderfolgender Spannungen
zu äquidistanten Zeitpunkten, wie es hier in der dritten Zeile bereits geschehen ist. Bis auf durch Messungenauigkeiten erklärbare
Schwankungen scheint der Quotient konstant zu sein, d. h. es handelt sich um eine geometrische Folge. Möchte man Sekunden als
Zeiteineinheiten haben entspricht der hier errechnete Quotient allerdings dem Quadrat des Parameters: q2 = 0.8. Der Startwert zur
Zeit t = 0 (s) beträgt c = 12.5 (V). Zur Zeit t (in s) erhält man also
√ t
die Spannung U (in V) mittels: U (t) = 12.5 · 0.8 ≈ 12.5 · 0.89t
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen
35
(C) Weil Robin schon 14 Jahre alt ist, hat er anstelle eines Adventskalenders einfach eine 100g-Tafel Schokolade bekommen. Statt nun
aber jeden Tag eines der 24 Stücke zu essen, isst er jeden Tag die
Hälfte dessen, was noch übrig ist. Wie viel g Schokolade hat er
am Nikolaustag bereits verdrückt?
Da hier die Summe sukzessive immer kleiner werdender Teile
gesucht ist, geht es um eine geometrische Reihe. Die bereits gegessene Menge in g ist nach sechs Tagen gegeben durch:
100 · ∑6j=1 0.5 j ≈ 98.44
1. Woran erinnert Sie Aufgabe 2. aus dem Einstieg? Können Sie das
Paradoxon damit auflösen?
Übungsaufgaben
2. Ein Ball („Flummi“) wird senkrecht fallen gelassen. Jedes Mal, wenn
er auf dem Boden auftrifft, springt er wieder hoch und erreicht
jeweils 90% der vorherigen Höhe. Welche Gesamtstrecke legt er
zurück, wenn er ursprünglich aus 1.5m Höhe losgelassen wird? Wie
gross wird die Gesamtstrecke, wenn der Ball beim Hochspringen
99% der vorherigen Höhe erreicht?
3. Bearbeiten Sie das Problem vom Jäger und seinem Hund (S.30)
unter Nutzung der neu gewonnenen Kenntnisse noch einmal.
4. Cäsium137 zerfällt infolge seiner Radioaktivität; und zwar halbiert
sich die vorhandene Menge etwa alle dreißig Jahre.
a) Handelt es sich hierbei überhaupt um einen durch eine geometrische Folge beschreibbaren Vorgang?
b) Falls ja, wie viel Prozent des Cäsiums sind nach 90 (15, 40) Jahren
noch vorhanden?
5. Schaffen Sie es, die Situation aus „Achilles und die Schildkröte“ allgemein mathematisch zu fassen? Den anfänglichen Abstand können
Sie d nennen (oder auch als 1 annehmen; das ist nur eine Frage der
Längenskala). Die Geschwindigkeit des Läufers geben Sie allgemein
als v2 = v > 0 vor, und setzen dann v1 = q · v für die Geschwindigkeit der Schildkröte an. (Dabei ist 0 < q < 1, um die Ehre des
Läufers zu retten.)
Probleme und
Anwendungen
6. Können Sie das Paradox allgemein auflösen? Wo steckt der Fehlschluss? (Hat Ihnen die Wand beim Aufdecken geholfen, oder eher
nicht?)
Wie der folgende Abschnitt zeigt, sind geometrische Reihen auch von
großer Bedeutung für die Dezimalbruchentwicklung rationaler Zahlen. Dies ermöglicht neue Einsichten insbesondere über periodische
Dezimalbrüche.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Die Dezimalbruchentwicklung
rationaler Zahlen
36
Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen
Dezimalbruchentwicklung rationaler Zahlen:
Gegeben seien eine natürliche Zahl m sowie m Zahlen
d1 , . . . , dm ∈ {0, . . . , 9}. Dann gilt für den Wert des rein periodische Dezimalbruchs:
m−k
∑m
k=1 dk · 10
0.d1 · · · dm =
k −1
∑m
k=1 9 · 10
„Man übernimmt die
Periode in den Zähler und
im Nenner stehen soviele
Neunen, wie die Periode
Ziffern hat.“
Beispiele
Für einen gemischt periodischen Dezimalbruch benutzt man
0.a1 · · · as d1 · · · dm = 0.a1 · · · as + 10−s · 0.d1 · · · dm
und benutzt dann den oberen Zusammenhang.
(A) Soll ein abbrechender Dezimalbruch wie 0.375 als gewöhnlicher
Bruch dargestellt werden, wählt man zuerst eine Zehnerpotenz als
Nenner und kürzt dann gegebenenfalls. (Es sei denn man erkennt
den Bruch direkt.)
3
375
= .
0.375 =
1000
8
(B) Soll ein rein periodischer Dezimalbruch wie 0.517 als gewöhnlicher
Bruch dargestellt werden, nutzt man die Darstellung von oben:
0.517 =
517
999
Manchmal kann auch hier im Anschluss noch gekürzt werden:
0.407 =
11 · 37
11
407
= 3
=
999
81
3 · 37
(C) Soll ein gemischt periodischer Dezimalbruch wie 0.4123 als gewöhnlicher Bruch dargestellt werden, spaltet man ihn zunächst
wie oben angegeben auf und fasst dann falls gewünscht noch
zusammen:
41
23
4082
2041
−2 23
0.4123 = 0.41 + 10 ·
=
+
=
=
99
100 9900
9900
4950
Übungsaufgaben
Primfaktor-Tipps:
11, 73, 101, 239, 271
1. Stellen Sie die folgenden Dezimalbrüche als gewöhnliche Brüche
dar.
a) 0.25
f) 2.01
b) 0.142857
g) 105.05
c) 0.09
d) 4.0625
h) 54.54 i) 0.743
e) −7.076923
j) 0.267
2. Lesen Sie sich den mittleren Exkurs auf S.33 durch. Bestimmen Sie
die Primfaktorzerlegungen der Zahlen mit der 9 als einziger Ziffer
bis einschließlich 109 − 1. Markieren sie jeweils die Stelle, an der ein
bestimmter Primfaktor dabei zum ersten mal auftaucht.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen
3. Beweisen Sie detailliert die Aussagen aus dem Kasten der vorangegangenen Seite.
37
Probleme und
Anwendungen
4. a) Begründen Sie die Aussage über Primzahlen aus dem Exkurs.
b) Entdecken Sie einen Zusammenhang mit der Periodenlänge
bestimmter Brüche?
Wichtige Anwendungen haben geometrische Folgen und Reihen auch
in der Physik. Davon wollen wir uns im Folgenden einige genauer
ansehen.
Anwendungen in
der Physik
Exponentielle Vorgänge in der Physik:
In der Physik verlaufen zum Beispiel Entladevorgänge von Kondensatoren exponentiell. Auch Abläufe, bei denen sukzessive
derselbe Vorgang wiederholt wird, führen auf geometrische Folgen.
1. Eine einfache Vakuumpumpe mit Hubraum Vh pumpt ein Gefäss
mit Volumen Vg schrittweise leer. In jedem Pumpschritt (siehe Skizze) wird
(i) ein Ventil zwischen Pumpe (Pumpenvolumen auf 0) und Gefäss
geöffnet,
(ii) das Pumpenvolumen um Vh vergrössert,
(iii) das Zwischenventil geschlossen und die Pumpe über ein anderes Ventil nach aussen entleert.
Übungsaufgabe
Für den Druck pn nach dem n-ten Schritt (n > 1, Anfangsdruck p0 )
gilt dann
Vg
p n = p n −1 ·
,
Vg + Vh
wie man mit physikalischen Argumenten (siehe unten) zeigen kann.
Anmerkung
Vergleichen Sie auch
den Exkurs auf S.33
unten.
Vg
.
VVgs
Vh
Abbildung 2.1: Einfache Vakuumpumpe
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
38
Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen
a) Zeigen Sie, dass die pn eine geometrische Folge bilden.
b) Wie viele Pumpschritte benötigt man im Fall Vg = Vh , um den
Druck auf 1/1000 des Anfangsdrucks abzusenken? Wie sieht es
im Fall Vg = 10Vh aus?
Probleme und
Anwendungen
2. Leiten Sie die Formel für die Druckänderung beim n-ten Pumpschritt aus dem Boyle-Mariotte-Gesetz her. (Beachten Sie insbesondere Teilschritt (ii) hierfür, und nehmen Sie Vs = 0 an.)
3. Bei den obigen Überlegungen wurde die Tatsache vernachlässigt,
dass auch die Anschlussrohre ein positives Volumen Vs besitzen.
Wie sieht die Formel unter Berücksichtigung dieses Faktums aus?
(Hier spielt auch der Druck p∗ im Aussenraum eine Rolle!) Was
lässt sich hier für sehr grosse n sagen?
4. Andererseits kann man auch Gas in den Behälter hineinpumpen.
Was ergibt sich für die Folge der Drücke qn im Behälter, wenn im
Aussenraum und anfangs auch im Behälter der Druck gleich p∗ ist?
(Nehmen Sie erst mal wieder einfachheitshalber Vs = 0 an. Führt
auch dieses Problem auf eine geometrische Folge?)
Fraktale
geometrische
Figuren
Helge von Koch
Manchmal haben Folgen und Reihen ihren Usprung auch (ganz dem
Namen nach) in der Geometrie: Iterativ fortgesetzte Konstruktionsvorschriften können zu Figuren mit interessanten Eigenschaften führen,
bei denen zum Beispiel die Frage nach der Endlichkeit des Umfangs
nicht mehr trivial ist. Solche Figuren fallen in das Themengebiet der
Fraktale. Wir behandeln hier ein bekanntes Beispiel.
Die Kochsche „Schneeflocke“
Helge von Koch, ein schwedischer Mathematiker, untersuchte
1906 eine interessante Figur: Man kann sie aus einem gleichseitigen Dreieck konstruieren, indem man folgendes Verfahren iteriert
(also die selbe Prozedur immer wieder vornimmt): Man unterteilt
jede Seite in drei gleichgrosse Stücke und setzt auf das mittlere Stück ein gleichseitiges Dreieck. Man hat damit eine Strecke
durch vier zusammengesetzte Strecken ersetzt; jede von diesen ist
1/3 so lang wie die ursprüngliche.
Fängt man mit einem gleichseitigen Dreieck an, so ersetzt man
im ersten Schritt die drei Seiten des Dreiecks durch 3· 4 = 12
Strecken. Nach dieser ersten Durchführung des Verfahrens liegt
nun anstatt des gleichseitigen Dreiecks ein sechseckiger Stern vor.
Man fährt weiter fort. Helge von Koch stellte fest:
“Führt man unendlich viele Iterationen durch, so stellt man fest, dass die
so entstehende Schneeflocke einen endlich grossen Flächeninhalt, aber einen
unendlich grossen Umfang besitzt.”
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen
Abbildung 2.2: Die ersten sechs
Schneeflocke
Iterationen
der
39
Kochschen
Aufgaben zur „Kochschen Schneeflocke“
1. Konstruieren Sie eine Kochsche Schneeflocke und führen Sie vier
Iterationen durch. Nehmen Sie dabei an, dass das gleichseitige
Dreieck, mit dem Sie starten, eine Seitenlänge von a hat. Für die
Zeichnung im Heft wählen Sie ein geeignetes a.
Probleme und
Anwendungen
2. Weisen Sie Helge von Kochs Feststellung über die Fläche und den
Umfang nach, indem Sie:
• eine Tabelle aufstellen, die die jeweilige Seitenanzahl, den Umfang und die Fläche der Figur angibt (vier Iterationen),
• für jeden Iterationsschritt eine allgemeine Formel für den Umfang und die Fläche angeben (in Form einer Folge) und
• betrachten, wie die Folge sich verhält, wenn man „unendlich
viele Iterationen“ durchführt.
Hilfreiche Tipps:
• Zerlegen Sie den Stern in gleichgrosse Dreiecke.
• Berechnen Sie die Höhe eines gleichseitigen Dreiecks (Seitenlänge
a) mit dem Satz des Pythagoras.
• Zerlegen Sie die Brüche so, dass eine wiederkehrende Struktur
deutlich wird.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Erste Iteration der
Kochschen Schneeflocke
40
Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen
Für den Umfang gilt also: Un = 3a ( 43 )n−1 = 3a · 34 ( 43 )n .
Lässt man n gegen ∞ laufen, so gilt wegen q = 34 > 1: Die Folge (Un )
strebt gegen ∞. Der Umfang wächst über alle Schranken.
Für die Fläche gilt:
−2 4 k
An = A1 + 31 (1 + 94 + ( 49 )2 + ( 49 )3 + · · · + ( 49 )n−2 ) A1 = A1 + A31 ∑nk=
0(9) .
Lässt man n gegen ∞ laufen, so gilt wegen q = 49 < 1: Die Folge der
An strebt gegen A1 + A31 · 1 4 = 58 A1 und hat somit einen endlichen
1− 9
Wert.
Damit ist die Feststellung von Helge von Koch nachgewiesen.
Kurzkontrolle
1. Führen Sie die Polynomdivision durch:
(3x3 − 7x2 − 2x + 8) : ( x + 1)
2. Berechnen Sie:
17
a)
∑ 27 + 4k
k =0
20
b)
∑
3·2
m
m =5
7
c)
∑ 15 + (−1) j · 3
j =1
3. Geben Sie die Produkt-, Quotienten- und Kettenregel für
Ableitungen an.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 2 Geometrische Folgen und Reihen: Anwendungen
Geometrische Folgen und Reihen kommen in zahlreichen Anwendungen vor. Um die mathematischen Kenntnisse einsetzen zu können
muss man erkennen, ob eine entsprechende Struktur vorliegt. Dafür
spricht zum Beispiel das Auftreten bestimmter Schlagworte.
Typische Schlagworte für geometrische Verhältnisse:
wird in jedem Durchgang halbiert, verdreifacht sich alle sieben Tage, nimmt
jährlich um 12% zu, ändert sich proportional zum Bestand, . . .
41
Wissensspeicher
typische Schlagworte
Ob eine gegebene Werteliste zu einer geometrischen Folge oder Reihe
gehört, untersucht man (sofern definiert) mittels Quotientengleichheit.
Fall
( an )n> N ( an 6= 0) geom. Folge
⇔
( an )n> N ( an 6= an+1 ) geom. Reihe ⇔
Erkennungsmerkmal
a n +1
= q für alle n > N
an
a n +2 − a n +1
= q f. alle n > N
a n +1 − a n
Werteliste
Zu den innermathematischen Anwendungen geometrischer Reihen
zählen periodische Dezimalbrüche und fraktale Figuren.
Innermathematische
Anwendungen
Periodische Dezimaldarstellungen
∞
0.4 + 0.027 · ∑ (0.001)i = 0.4270 =
i =0
4
27
79
+
=
10 999
185
Fraktale Iterationsprozesse
rrr
1
1+4·
1
9
1 + 4 · 19 + 4 · 31 ·
2
1
9
∞
i +2
1
1+4· ∑
3
i =0
Zu den außermathematischen Anwendungen geometrischer Folgen
oder Reihen zählen vor allem Wachstums- und Zerfallsprozesse.
Wachstumsprozesse in der Biologie
Im Bereich zwischen 1mm und 1cm nimmt der Durchmesser
eines Bambushalms jede Woche etwa um 10% zu:
(rn )n>0 = (r0 · 1.1n )n>0 , r0 = 1
(n Zeit in Wochen, rn Bambusdurchmesser in mm)
Zerfallsprozesse in der Physik
In lebenden Organismen wird der Anteil des instabilen Isotops
14 C am gesamten Kohlenstoffgehalt durch Stoffwechsel konstant
auf 10−12 gehalten. Stirbt der Organismus, zerfällt 14 C mit einer
Halbwertszeit von 5730 Jahren:
(tn )n>0 = (10−12 · 2−n/5730 )n>0
(n Zeit ab Tod in Jahren, tn 14 C-Anteil)
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Außermathematische
Anwendungen
43
Kapitel 3
Grenzübergänge und Grenzen
des Rechners
Die Auseinandersetzung mit der geometrischen Reihe hat uns gezeigt, dass unendliche Summen einen endlichen Wert haben können.
Obwohl also immer noch etwas hinzukommt, übersteigt die Gesamtsumme einen vorgegebenen Wert nie. Dafür muss allerdings das was
hinzukommt (also die Folgenglieder) immer kleiner werden.
Einführung
In diesem Kapitel wird es darum gehen, ob das immer so ist. Das
heißt: Wenn die Folge eine Nullfolge ist, ist dann der Wert der zugehörigen Partialsummen immer begrenzt? (Dabei drücken wir uns noch
immer um eine ordentliche Begriffsbildung, erhöhen aber langsam
den Leidensdruck.)
1. Ein wichtiges Untersuchungsmittel wird der Taschenrechner sein.
Betrachten Sie einige geometrische Folgen oder Reihen mit verschiedenen |q| < 1 und verfolgen das Verhalten mit dem Rechner.
Inwiefern wird diese Untersuchung mühsamer, wenn |q| sehr nah
an 1 liegt?
2. Im hinteren Teil wird eine so genannte „Teleskopsummen“ eine
Rolle spielen. Damit wollen wir uns in dieser Aufgabe schon einmal
auseinandersetzen.
a) Schreiben Sie die ersten vier Glieder der Reihe ausführlich und
∞ berechnen Sie sie dann: ∑ i2 − (i + 1)2
Vereinfachen Sie den
Term in der Klammer
ausnahmsweise nicht!
i =1
b) Was ist da los? Formulieren Sie eine Erklärung und geben Sie
n 2
2
eine kürzere Formel für ∑ i − (i + 1)
an.
i =1
c) Weisen Sie folgende Beziehung für alle k ∈ N>1 nach:
1
1
1
=
−
k ( k − 1)
k−1 k
Teleskopsummen
44
Kapitel 3 Grenzübergänge und Grenzen des Rechners
n
d) Geben Sie eine einfachere Formel an für:
∑
k =2
1
1
−
k−1 k
e) Diskutieren Sie mit Ihrem Nachbarn die Bezeichnung „Teleskopsumme“.
Harmonische
Reihe
Als harmonisches Mittel
von a und b bezeichnet
man 2/( 1a + 1b ). Dies
führt in der Musik zu
harmonischen Klängen.
Beispiele
Eines der wichtigsten Beispiele im Zusammenhang mit dem Verhalten
unendlicher Reihen ist die harmonische Reihe.
Die harmonische Reihe
Man nennt die Folge ( an )n>1 = ( n1 )n>1 bekanntlich harmonische
Folge. Die Folge ihrer Partialsummen heisst die harmonische
Reihe.
n
∞
1
1
Mit sn = ∑
ist also (sn )n>1 = ∑ .
k
k
n =1
k =1
(A) Der einfachste Weg, die harmonische Reihe ein wenig kennenzulernen, ist natürlich das Berechnen einiger Werte:
n
1
3
4
5
...
1
n
1
1
2
= 0.5
1
3
≈ 0.33
1
4
= 0.25
1
5
1
j
k =1
1
3
2
= 1.5
11
6
≈ 1.83
25
12
≈ 2.08
137
60
≈ 2.28 ...
2
+
1
2
an =
n
sn =
2
∑
(B) Das harmonische Mittel der Zahlen 1 und 2 ist
1
1
= 0.2
=
...
4
.
3
In Frequenzverhältnissen gesprochen bedeutet dies: Das harmonische Mittel eines Tons und der Oktave darüber ist die Quart über
dem unteren Ton.
Übungsaufgaben
1. a) Berechnen Sie das harmonische Mittel von 4 und 5.
b) Berechnen Sie das harmonische Mittel von 1 und 3/2.
c) Informieren Sie sich über die Frequenzverhältnisse wichtiger
Intervalle und interpretieren das Ergebnis von b) musikalisch.
Die folgenden Aufgaben haben die Untersuchung der harmonischen
1
Reihe ∑∞
k=1 k zum Ziel; und zwar insbesondere die Frage, welchen
Wert sie − wenn überhaupt − hat.
2. Begründen Sie möglichst genau, dass die Folge (1/n)n>1 gegen 0
strebt. (Strebt sie nicht auch gegen −5?)
3. Für diese Aufgabe muss zunächst Ihr Taschenrechner präpariert
werden, so dass er „primitiver“ wird.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 3 Grenzübergänge und Grenzen des Rechners
a) Tippen Sie 0.12345678 in Ihren Rechner ein und kleben Sie dann
alle Ziffernanzeigen hinter der ersten Nachkommastelle ab. Sie
haben sich somit einen Taschenrechner gebastelt, der nur eine
Nachkommastelle hat (und auch nicht rundet).
b) Untersuchen Sie die harmonische Reihe, indem Sie die Summe
mit dem Primitivrechner bestimmen. Berechnen Sie dazu zunächst die Glieder der harmonischen Folge ( an )n>1 = ( n1 )n>1 ,
und addieren diese dann. Wie viele Summanden müssen berücksichtigt werden? Welchen Wert hat die harmonische Reihe
gemäß dieser Prozedur?
45
1/k
1/1
1/2
1/3
1/4
...
Näh.
1.0
0.5
0.3
0.2
...
Sum.
1.0
1.5
1.8
2.0
...
c) Etwas weniger primitiv: Der Rechner führt weiterhin nur eine
Stelle hinter dem Komma, aber er rechnet zunächst zwei Stellen
aus und rundet dann. Was kommt nun als Ergebnis heraus?
d) Basteln Sie einen wesentlich besseren Taschenrechner, der zwei
Nachkommastellen hat, indem Sie analog zu a) verfahren, aber
alle angezeigten Ziffern hinter der zweiten Nachkommastelle
abkleben. Wie viele Summanden müssen nun berücksichtigt
werden? Wie ändert sich die Angelegenheit mit verbesserter
Rundung?
4. Ein normaler Taschenrechner hat eine Anzeige, die 10 Stellen umfasst. Nimmt man an, dass dies auch seiner Rechengenauigkeit
entspricht, so wird er für jede Zahl a > 1 und jedes b < 10−9 als
Ergebnis von a + b den Wert a liefern. Begründen Sie das.
5. Die „Bestimmung“ des Wertes der harmonischen Reihe mit einem
solchen Taschenrechner liefert also einen endlichen Wert. Begründen
Sie auch diese Tatsache. (Oder wollen Sie die Rechnung ausführen?
Wenn nein, warum nicht?)
6. Nehmen Sie jetzt einen Superrechner, der über beliebig (aber endlich) viele Stellen verfügt. Was können Sie darüber sagen?
Kurzkontrolle
1. Ein Guthaben von 2400e wird 7 Jahre lang zu einem Zinssatz
von 3% verzinst. Berechnen Sie das Endguthaben.
2. Geben Sie die Terme für das arithmetische und das
geometrische Mittel zweier Zahlen a und b an. Berechnen Sie
beides konkret für a = 1 und b = 2.
3. Skizzieren Sie frei Hand die Graphen der Sinus-, Cosinus- und
Tangensfunktion.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Lösungen:
4.82 2.7 3.9 6.46
Probleme und
Anwendungen
Anmerkung
Wenn der Rechner intern genauer ist, als
es seiner Anzeige entspricht, dann wird die
Schranke für b eben
kleiner, aber es ändert
sich nichts Grundsätzliches.
46
Divergenz der
harmonischen
Reihe
Kapitel 3 Grenzübergänge und Grenzen des Rechners
Die harmonische Reihe ist das wichtigste Beispiel einer Reihe, die −
obwohl aus einer Nullfolge gebildet − jeden beliebigen Wert irgendwann übersteigt. Sie wird auch bei der Untersuchung anderer Reihen
häufig zu Rate gezogen.
Divergenz der harmonischen Reihe
1
Die harmonische Reihe ∑∞
k=1 k strebt gegen ∞.
Rechner sind bei der Begründung dieser Aussage keine Hilfe.
Aber folgendes geniale Argument hilft weiter:
1 1
1
1 1
1
1
+
> 1+ +
+
= 1+2· .
1+ +
2
3 4
2
4 4
2
Weiter gilt
1 + 12 + 13 + 14 + 15 + 16 + 71 + 18
> 1 + 2 · 12 + 18 + 18 + 18 + 18
= 1 + 3 · 12
und so weiter. Allgemein findet man so
2m
1
1
> 1+m· .
k
2
k =1
∑
Also strebt die harmonische Reihe gegen ∞.
Beispiele
(A) Eine Abschätzung für das zwanzigste Glied der harmonischen
Reihe ist
24
20
1
1
1
∑ k > ∑ k > 1+4· 2 = 3 .
k =1
k =1
Diese Abschätzung ist natürlich recht grob − tatsächlich gilt
1
∑20
k=1 k ≈ 3.60
(B) Möchte man wissen, ab der wievielten Partialsumme die harmonische Reihe den Wert 10 übersteigt, kann man wie folgt überlegen:
Anmerkung
Die harmonische Reihe
strebt sehr langsam
gegen Unendlich, z.B.
liegt erst die 12367-ste
Partialsumme über 10.
Probleme und
Anwendungen
218
1
> 10 . Geht man bis zum 218 -ten
k
k =1
(d.h. 262144-sten) Glied, liegt man sicher über zehn.
Es ist 10 = 1 + 18 ·
1
2,
also
12367
Tasächlich ist schon
∑
k =1
∑
1
> 10
k
218
und
1
≈ 13.05.
k
k =1
∑
1. Zeigen Sie jedes Detail des obigen Beweises. Als Zwischenschritt ist
der Nachweis der Ungleichung
2m
m
2
1
1
>
∑ k
∑ 2m −1
k =2m −1 +1
k =2m −1 +1
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 3 Grenzübergänge und Grenzen des Rechners
47
für alle m > 1 von Nutzen.
2. Melden Sie sich bei Ihrer Lehrkraft und sagen Sie Folgendes: „Es
ist ja klar, dass das alles gegen Unendlich strebt. Man addiert ja immer
wieder eine positive Zahl dazu.“
Übungsaufgaben
3. Beschreiben Sie anschliessend in einem kurzen Aufsatz das Entsetzen im Gesicht Ihrer Lehrkraft.
4. Erklären Sie Ihrer Lehrkraft nun, dass Sie das nur als kleinen Scherz
gemeint haben und überzeugen Sie sie - etwa durch Nennen von
Beispielen - dass Sie es in Wirklichkeit besser wissen.
5. In dieser Aufgabe wollen wir uns eine besondere Reihe ansehen
und erkunden, ob und wie der Rechner bei ihrer Untersuchung
helfen kann
a) Berechnen Sie mit Ihrem Taschenrechner (jetzt wieder auf voller
Power) die zehnte Partialsumme von
1
+···.
∑ k12 = 1 + 41 + 19 + 16
b) Wenn Sie Lust und Zeit haben, bestimmen Sie noch weitere
Partialsummen. Erreichen Sie 1.7?
Es folgt ein Beispiel für die Tatsache, dass schon kleinere Änderungen
gegenüber der harmonischen Reihe das Verhalten grundlegend ändern
können: Sorgt man zum Beispiel durch Quadrieren der Nenner dafür,
dass die Folgenglieder schneller gegen Null streben, wächst die Summe
nicht mehr über alle Grenzen.
Eine obere Schranke für die Partialsummen von ∑ k12
Definiert man die Folge (bm )m>1 durch b1 = 1 sowie bm =
für alle m > 1, so gilt:
(a) bm >
1
m2
Reziproke Quadratsumme
Lösungen:
≈ 1.5498 nein, nie!
Reziproke
Quadratsumme
1
m ( m −1)
für alle m > 1.
n
(b)
n
1
6
bk
∑
k2
k =1
k =1
∑
n
(c)
1
∑ bk = 2 − n
für alle n > 1.
für alle n > 1.
k =1
(A) Offenbar ist
1
22
<
1
2·1
,
1
32
< 1+
1
2·1
+
1
3·2
<
1
3·2
,
1
42
<
1
4·3
Beispiele
usw.
(B) Es ist z.B.
1+
1
22
+
1
32
= 1+ 1−
1
2
+
= 1 + 1 + − 12 +
1
2
1
2
−
1
3
−
1
3
= 2−
1
3
.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
48
Probleme und
Anwendungen
Kapitel 3 Grenzübergänge und Grenzen des Rechners
1. Beweisen Sie die Aussagen aus dem Kasten im Detail. Tipp: Für
Teil (c) ist es zwar nicht zwingend notwendig, aber sehr erhellend,
zunächst die Beziehung
1
1
1
=
−
k ( k − 1)
k−1 k
( k > 1)
zu beweisen.
Zusammenfassung: Eigenschaften der reziproken Quadratsumme
n
1
Für die reziproke Quadratsumme mit sn = ∑ 2 gilt:
k
k =1
• sn+1 > sn für alle n ∈ N
(d.h. die Folge ist streng monoton wachsend)
• sn < 2
Probleme und
Anwendungen
Exkurs
für alle n ∈ N (d.h. die Folge ist beschränkt).
2. Der guten Ordnung halber: Begründen Sie das nochmal im Detail!
3. Würden Sie sagen, dass die Folge (sn )n>1 , bedingt durch diese
Eigenschaften, gegen (irgend-) eine Zahl streben muss? Oder wären
prinzipiell andere Verhaltensweisen möglich?
Reziproke Quadratsumme und Kreiszahl
Die Folge der sn strebt gegen π 2 /6 ≈ 1.6445; prägnanter ausgedrückt: Es gilt
∞
π2
1
∑ k2 = 6 .
k =1
Dass die Folge der Partialsummen gegen eine gewisse reelle Zahl
strebt, werden Sie bald (im Rahmen dieser Einheit) verstehen.
Dass diese Zahl etwas mit der bekannten „Kreiszahl“ π zu tun
hat, ist schwieriger zu begründen. Solche überraschenden Einsichten und Entdeckungen machen für manche Leute den Reiz (um
nicht zu sagen den Suchtfaktor) der Mathematik aus. (Mathe ist
nachweislich gesünder als Rauchen.)
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 3 Grenzübergänge und Grenzen des Rechners
49
Die Partialsummen aus Nullfolgen gebildeter Reihen können für n →
∞ trotz der unendlichen Zahl von Summanden beschränkt bleiben. Sie
können aber auch jeden beliebigen Wert irgendwann überschreiten.
Das wichtigste Beispiel für den zweiten Fall ist die harmonische Reihe.
Die Folge der Partialsummen der harmonischen Folge heisst harmonische Reihe:
sn =
1
k
k =1
∑
Die harmonische
Reihe
∞
n
Mit
Wissensspeicher
ist
( s n ) n >1 =
1
.
k
n =1
∑
Obwohl aus einer Nullfolge gebildet, übersteigt die harmonische Reihe
auf Dauer jeden beliebigen Wert. Das beweist man zum Beispiel durch
geschicktes Bündeln und Abschätzen der Folgenglieder.
Divergenz der
harmonischen Reihe
Für beliebiges J ∈ N gilt:
2J
J
1
=
1
+
∑
∑k
j =1
k =1
2j
∑
k =2 j −1 +1
1
k
!
> 1+ J·
1
2
für beliebiges J ∈ N
Demnach übersteigen die Partialsummen der harmonischen Reihe
auf Dauer jeden vorgegebenen Wert.
Das Verhalten für n → ∞ kann sich allerdings ändern, sobald die
Summanden einer Reihe etwas schneller gegen Null streben als bei
der harmonischen Reihe. Ein einfaches Beispiel dafür ist die Reziproke
Quadratsumme.
n
1
Für alle e > 1 werden die endlichen Partialsummen ∑ e auch
k
k =1
für n → ∞ nicht beliebig groß. Für e = 2 zeigt man das mittels
einer geschickten Abschätzung gegen eine Teleskopsumme: Für
beliebiges N ∈ N gilt
N
N
N
1
1
6
1
+
=
1
+
∑ k2
∑ k · ( k − 1)
∑
k =2
k =2
k =1
1
1
−
( k − 1) k
= 1+1−
1
.
N
Demnach übersteigt die reziproke Quadratsumme auch für n →
∞ nie den Wert 2.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Konvergenz für
Exponenten > 1
51
Kapitel 4
Ungleichungen und Betrag
Das vorangegangene Kapitel hat Sie hoffentlich überzeugt, dass vor
einer weiteren Untersuchung von Folgen eine begriffliche Klärung
notwendig ist: Wenn man nicht weiss, worüber man im Grunde redet,
wird es schwer, belastbare Aussagen zu treffen. Die Mathematikerzunft hat sich (unbewusst) beachtlich lange davor gedrückt, in diesem
Bereich Ordnung zu schaffen. Erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts
gelang dies, obwohl schon Jahrtausende früher (und in der Neuzeit
immerhin Jahrhunderte früher) mit Grenzwerten hantiert wurde. Der
Fortschritt gelang interessanterweise dadurch, dass man aufhörte, nebulös von ünendlich kleinen Grössenünd Ähnlichem zu reden und
sich statt dessen auf handfeste Dinge wie Betrag und Ungleichungen
zurückzog. In diesem zutiefst trockenen Abschnitt packen wir deshalb Werkzeuge wieder aus, die Sie vielleicht schon vergessen oder
verdrängt haben.
Einführung
1. Was kann man über Zahlen sagen, die „unendlich nahe beieinander
liegen“? Können solche Zahlen verschieden sein?
2. Wie kann man überhaupt die "Nähe"von Zahlen zueinander quantifizieren? Würden Sie zustimmen, dass −3 näher bei 5 liegt als 17?
Wie würden Sie das begründen? Würden Sie zustimmen, dass eine
Zahl, welche „sehr nahe bei 5 liegt“, zwischen 4 und 6 liegen sollte?
Wie würden Sie das begründen?
3. Was ist überhaupt der Abstand zweier reeller Zahlen? Gibt es dafür
eine Formel?
Im folgenden Abschnitt geht es um die Anordnung der reellen Zahlen. Das ist als Vorbereitung wichtig, weil es bei Ungleichungen und
Beträgen sonst regelmäßig zu Fehlern kommt.
Anordnung auf R
52
Kapitel 4 Ungleichungen und Betrag
Anordnung auf R
Anmerkung
Neben > und < benutzt man auch >
(„grösser oder gleich“)
sowie 6 - („kleiner oder
gleich")’.
Anmerkung
Alle Regeln zur Verträglichkeit mit der Addition bleiben richtig,
wenn man > durch >
und < durch 6 ersetzt.
Achtung!
Hier muss man mit
Vorzeichen enorm
aufpassen! So ist
etwa −4 < −3 und
−7 < 1, aber
(−4) · (−7) > (−3) ·
1. Nutzen Sie keine
Regel ungeprüft!
Beispiele
a) Man kann reelle Zahlen ihrer Grösse nach (mit > und < )
vergleichen. Sind a und b reelle Zahlen, so gilt genau eine der
folgenden drei Beziehungen:
a < b
a = b
a > b
a „ist kleiner als“ b
a „ist gleich“ b
a „ist größer als“ b
Wir sammeln einige wichtige Eigenschaften dieser Anordnung.
b) Die Anordnung reeller Zahlen ist mit der Addition verträglich:
Gilt a < b, so auch a + c < b + c für alle reellen Zahlen c.
Gilt a < b und c < d, so auch a + c < b + d.
Für die Negativen kehrt sich die Anordnung um:
Ist a < b, so folgt (− a) > (−b).
c) Die Anordnung reeller Zahlen ist mit der Multiplikation mit
positiven Zahlen verträglich:
Gilt a < b und ist c > 0, so ist auch ac < bc.
Gilt 0 < a < b und 0 < c < d, so ist auch ac < bd.
Für die multiplikativ Inversen positiver reeller Zahlen kehrt
sich die Anordnung um:
Ist 0 < a < b, so folgt 1/a > 1/b > 0.
(A) Sind die Zahlen −7, 2.5, −1.3, 4, −5.1, 0, −0.4, 23/9 mit >
zu ordnen, so gilt:
23
> 2.5 > 0 > −0.4 > −1.3 > −7
9
Für den Vergleich von Brüchen muss man ggf. gleichnamig machen.
4>
(B) Zur Lösung der Gleichung x − 5 > −11 kann man auf beiden
Seiten 5 addieren und erhält x > −6 .
(C) Zur Lösung der Gleichung 3x < 4 kann man beide Seiten
mit 1/3 multiplizieren und erhält x < 43 . Multipliziert man
dagegen zur Lösung von − 15 x > 2 mit −5 , so muss man das
Ordnungszeichen umkehren und erhält x < −10 .
(D) Multipliziert man zur Lösung einer Gleichung mit der Variablen,
muss man Fallunterscheidungen bzgl. deren Vorzeichen machen:
Aus 3x 6 6 , x ∈ R \ {0} folgt
1
6x ∧ x>0
2
∨
1
>x ∧ x<0
2
1
2
∨
x<0.
also
x>
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 4 Ungleichungen und Betrag
53
Übungsaufgaben
1. Ordnen Sie folgende Zahlen gemäß <:
4
37
5
36
, − , −2,
, 5, −
23
3
24
4
2. Skizzieren Sie auf der Zahlengeraden die Mengen
{ x ∈ R : 3 − r < x < 3 + r },
r ∈ {1, 1/2, 1/5}
3. Gegeben sind reelle Zahlen a 6= 0 und b 6= 0, mit a < b. Geben Sie
Beispiele an, wo 1/a < 1/b. Gehen Sie systematisch die möglichen
Vorzeichenkombinationen von a und b durch und versuchen Sie,
dafür jeweils allgemeine Regeln aufzustellen.
4. Zeigen Sie mit Hilfe der oben aufgestelten Regeln: Ist die reelle Zahl
x 6= 0, dann gilt x2 > 0.
5. Gegeben sind reelle Zahlen a > 0 und b > 0.
a) Zeigen Sie mit Hilfe der oben aufgestellten Regeln:
Tipp: Unterscheiden Sie
die Fälle x > 0 und
x < 0.
Probleme und
Anwendungen
a < b ⇔ a2 < b2
b) Folgern Sie
√
2 > 1.4142.
Nicht minimales Regelsystem
Im Prinzip haben wir oben „zu viele“ Regeln angegeben, weil sich
einige davon aus anderen herleiten lassen. (Dies ist ein beliebter
Sport für Studienanfänger im Fach Mathematik.) So kann man
die zweite Regel unter (b) mit zweifacher Anwendung der ersten herleiten. (Probieren Sie es, wenn Sie Lust haben!) Wir haben
hier den intellektuell vielleicht weniger zufriedenstellenden, aber
bequemeren Weg gewählt, einen praktischen (aber nicht unübersichtlich grossen) Vorrat an Regeln anzugeben.
Wiederholung
Kurzkontrolle
1. Veranschaulichen Sie in einem Mengendiagramm:
a) A ∪ B
Exkurs
b) A ∩ B
c) ( A ∪ B) ∩ C
2. Bestimmen Sie die Scheitelpunktsform der durch
y = 5x2 − 2x + 7 gegebenen Parabel.
3. Ein Kapital von 2400e ist nach dreijähriger Verzinsung auf
2699,67e angewachsen. Bestimmen Sie den Zinssatz.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
54
Kapitel 4 Ungleichungen und Betrag
Betrag und
Abstand reeller
Zahlen
Wir kommen nun zum Abstandsmessgerät für reelle Zahlen, dem
Betrag. Alle wissen, was das ist, aber wir definieren es lieber nochmal.
Betrag und Abstand reeller Zahlen
a) Der Betrag | x | einer reellen Zahl x bestimmt sich wie folgt:
| x | = x,
| x | = − x,
Zeile zwei nennt man
wegen der anschaulichen Bedeutung bei
Vektoren Dreiecksungleichung.
ε-Umgebung
Beachte: Ist ε klein, so
liegen alle Elemente
von Uε ( a) nahe bei a.
falls x > 0
falls x < 0
b) Es gelten folgende Rechenregeln für beliebige reelle Zahlen x
und y:
| x | > 0 für x 6= 0
| x + y| 6 | x | + |y|
| x · y| = | x | · |y|
c) Der Abstand zweier reeller Zahlen x und y ist definiert als
| x − y|. Ist a ∈ R und ε > 0, so nennt man
Uε ( a) := { x ∈ R : | x − a| < ε}
die ε-Umgebung von a.
-10
-5
0
5
10
-
U0.5 (8)
|2 − (−7)| = 9
Beispiele
(A) Es ist:
|5 + 7|
|5 + (−7)|
|(−5) + 7|
|(−5) + (−7)|
= |12|
= | − 2|
=
|2|
= | − 12|

= 12 


= 2
6 12 = | ± 5| + | ± 7|
= 2 


= 12
(B) Es ist:
|5 · 7|
|5 · (−7)|
|(−5) · 7|
|(−5) · (−7)|
= |35|
= | − 35|
= | − 35|
= |35|




= 35 = | ± 5| · | ± 7|



(C) Die 5-Umgebung von −2 ist ] − 7; 3[ .
1
-Umgebung von 2.4 ist ]2.39; 2.41[ .
Die 100
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 4 Ungleichungen und Betrag
1. Welche Glieder der Folge (1/n)n>1 liegen in der 1/1000-Umgebung
von 0? Welche Folgenglieder liegen in der 1/3-Umgebung von 1/2?
Wie viele Folgenglieder liegen in einer beliebigen ε-Umgebung von
0?
55
Übungsaufgaben
2. Skizzieren Sie Uε ( a) für verschiedene Werte von a und ε auf derZahlengerade.
3. Weisen Sie nach, dass
Uε ( a) := { x ∈ R : a − ε < x < a + ε}
Warum gerade ε?
Das berüchtigte ε hat soeben seinen ersten Auftritt gehabt. Es
wird nicht der letzte sein. Statt ε kann man auch andere Buchstaben (δ, r, d usw.) verwenden, und das tun wir auch manchmal.
Die Verwendung dieses speziellen Buchstabens bei zahlreichen
Definitionen hat keine tieferen mathematischen Gründe, sondern
vor allem historische. Das ist so ähnlich wie die massenhafte Verwendung des Buchstabens x als Unbekannte bei Gleichungen oder
als Variable.
Im Folgenden stellen wir eine seltsame Art vor, Gleichheit zu testen.
Für reelle Zahlen wirkt sie sehr umständlich, für Folgen und Reihen
hat sie aber durchaus ihre Berechtigung.
Exkurs
Gleichheit mittels ε
Gleichheit mittels ε
a) Sind a und x reelle Zahlen und gilt x ∈ Uε ( a) für jede reelle
Zahl ε > 0, so ist a = x.
b) Sind a und x reelle Zahlen und gilt x ∈ Uε ( a) für jede rationale
Zahl ε > 0, so ist a = x.
1. Können Sie das begründen?
Teil a) ist der leichtere.
Für Teil b) müssen Sie auf eine offensichtlich erscheinende Eigenschaft der reellen Zahlen zurückgreifen: Ist y ∈ R, so gibt es ein
n ∈ N derart, dass n > |y| („Archimedisches Axiom“).
Mit Ungleichungen als Werkzeugen kann man in der Mathematik viel
anrichten. Wir sehen uns eine spezielle Ungleichung an, die sich bald
als nützlich erweisen wird.
Die Bernoulli-Ungleichung
Ist a eine positive reelle Zahl und n ∈ N, so gilt
(1 + a)n > 1 + n · a.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Probleme und
Anwendungen
Tipp: Beweis mit Widerspruch!
Die BernoulliUngleichung
Anmerkung
Die Bernoulli-Ungleichung gilt sogar für alle
a > −1 und n ∈ N.
56
Beispiele
Kapitel 4 Ungleichungen und Betrag
(A) Es ist (1 + 0.04)3 ≈ 1.125 > 1.12 = 1 + 3 · 0.04 .
(B) Für a > 0 ist (1 + a)5 = 1 + 5a + 10a2 + 10a3 + 5a4 + a5 > 1 + 5a
.
Übungsaufgaben
1. Beweisen Sie die Bernoulli-Ungleichung für n = 2 mit der Binomischen Formel.
2. Schreiben Sie (1 + a)n mittels Binomialkoeffizienten (Pascalsches
Dreieck) als Summe. Begründen Sie dann die Bernoulli-Ungleichung
für a > 0 .
3. Für welche natürlichen Zahlen n gilt sicher die Ungleichung (3/2)n >
10000? (Das können Sie ohne Rechner!)
4. Gegeben sei ε > 0. Zeigen Sie, dass es nur endlich viele n ∈ N gibt,
so dass (3/2)−n 6∈ Uε (0).
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 4 Ungleichungen und Betrag
57
Das Wissen über Ungleichungen und Beträge ist grundlegend für die
Untersuchung von Folgen und Reihen und erfahrungsgemäß recht
fehleranfällig. Es wird hier noch einmal zusammengefasst.
Wissensspeicher
Die reellen Zahlen können mittels der Relation < angeordnet werden.
Anordnung auf R
Man kann reelle Zahlen in eindeutiger Weise ihrer Größe nach
anordnen. Die Anordnung ist mit der Addition und der Multiplikation mit positiven Zahlen verträglich.
Bei Multiplikation mit negativen Zahlen kehrt sich die Anordnung um. Grundsätzlich ist bezüglich der Vorzeichen Vorsicht
geboten; gegebenenfalls sind Fallunterscheindungen nötig.
Über den Betrag erhält man einen Abstands- und Umgebungsbegriff.
Beides braucht man zur Untersuchung von Folgen und Reihen.
Betrag und Abstand,
ε-Umgebung
x,
falls x > 0
.
− x, falls x < 0
| x | > 0 für x 6= 0
Dabei gilt für beliebige x, y ∈ R | x + y| 6 | x | + |y|
.
| x · y| = | x | · |y|
Der Betrag einer reellen Zahl ist | x | =
Der Abstand von Zahlen x und y ∈ R ist | x − y|.
-10
-5
0
5
10
-
U0.5 (8)
|2 − (−7)| = 9
Für a ∈ R und ε > 0 nennt man Uε ( a) := { x ∈ R : | x − a| < ε}
die ε-Umgebung von a.
Um das Verhalten unendlicher Folgen und Reihen zu untersuchen,
braucht man die folgende Aussage über Gleichheit.
Gleichheit mittels ε
Sind a und x reelle Zahlen und gilt x ∈ Uε ( a) für jede reelle Zahl
ε > 0, so ist a = x. Die Gleichheit gilt bereits, wenn x ∈ Uε ( a) für
jede rationale Zahl ε > 0 gilt.
Die folgende spezielle Ungleichung lässt sich mittels binomischer
Formeln begründen und erweist sich als nützlich für Folgen und
Reihen.
Ist a eine positive reelle Zahl und n ∈ N, so gilt
(1 + a)n > 1 + n · a.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Die BernoulliUngleichung
59
Kapitel 5
Grenzwerte: Die Definition
Sehen wir uns nochmal einige verbale Ansätze an, dem Problem
Grenzwert auf den Leib zu rücken. Wir tun dies erst mal anhand
der Folge (1/n)n∈ N , deren Grenzverhalten wir intuitiv gut im Griff
haben. Wir sagen, dass 1/n für wachsendes n "gegen 0 strebt", aber
was meinen wir damit?
Einstieg
Erster Versuch: „Für wachsendes n wird der Abstand von 1/n und 0
immer kleiner.“ Das ist eine richtige Aussage, aber auch die folgende
ist richtig: „Für wachsendes n wird der Abstand von 1/n und −37
immer kleiner.“ Wir meinen aber wohl eher nicht, dass die Folge gegen
−37 strebt in dem Sinn, dass −37 Grenzwert der Folge ist. (Man kann
in dem Argument übrigens −37 durch jede negative Zahl ersetzen.
Zweiter Versuch: „Der Abstand der Folgenglieder zu 0 wird unendlich
klein, wenn n unendlich gross wird.“ Das ist intuitiv ganz akzeptabel,
aber was heisst „unendlich klein“? Wir haben im vorigen Abschnitt
gesehen, dass ein „unendlich kleines“ x > 0 schon gleich 0 sein muss,
aber wir wollen ja eben nicht sagen, dass 1/n = 0, wenn n nur gross
genug ist gross wird, oder was auch immer. (Und was heisst eigentlich
„unendlich gross“? Eine natürliche Zahl n würde man wohl nicht so
nennen, denn es ist ja leicht, eine grössere anzugeben (etwa n + 1).
Definitionen stehen in der Mathematik oft nicht am Anfang eines Verstehensprozesses, sondern am Ende. Die folgende Definition stammt
von A.L. Cauchy und ist durchaus als Geniestreich zu sehen.
Augustin-Louis Cauchy
Cauchy war ein bedeutender französischer Mathematiker. Er leistete wesentliche Beiträge zur Infinitesimalrechnung, komplexen
Analysis und abstrakten Algebra sowie zur theoretischen Physik. Seine Karriere als Professor der Pariser Universität schwankte
mit den politischen Veränderungen der Nachrevolutionszeit. Als
gläubiger Katholik und entschiedener Royalist ging er zwischenzeitlich ins Exil. Nichtsdestotrotz veröffentlichte Cauchy mehr als
achthundert Forschungsbeiträge und fünf Lehrbücher.
A. L. Cauchy
1789 − 1857
60
Konvergenz und
Divergenz von
Folgen
Kapitel 5 Grenzwerte: Die Definition
Hier kommt eine mathematisch exakte Definition dessen, was man
im Zusammenhang mit Folgen unter Formulierungen wie „strebt
gegen...“ versteht.
Konvergenz und Divergenz von Folgen
Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 und eine reelle Zahl a. Man sagt,
dass die Folge gegen a konvergiert (symbolisch: lim an = a),
Anmerkung
Der Startindex der
Folge tut nichts zur
Sache. Die selbe Definition geht auch für
( an )n > N. Es kommt
ohnhin nur darauf an,
was die Folge für grosse n tut.
Exkurs
Ein Folgenglied liegt
genau auf dem Rand der
(offenen) Umgebung.
wenn es zu jedem ε > 0 ein n0 ∈ N gibt, so dass
n→∞
| an − a| < ε für alle n > n0 .
(Hierbei ist n0 abhängig von ε; dies drückt man manchmal durch
die Schreibweise n0 = n0 (ε) aus.)
Wenn dies der Fall ist, nennt man a auch Grenzwert oder Limes
der Folge ( an )n>1 .
Ist eine Folge nicht konvergent, so nennt man sie divergent.
Konvergenz anschaulich
Man kann sich diesen Begriff auch so klar machen: ( an ) konvergiert gegen a dann und nur dann, wenn sich in einer beliebigen
ε-Umgebung von a nur endlich viele an nicht befinden (denn jedenfalls liegen alle mit einem Index > n0 (ε) in Uε ( a)). Graphisch
kann man sich das Ganze mit einem „ε-Streifen um a“ darstellen,
der ab einem gewissen Index alle Folgenglieder enthält.
0
1s sssssssss s s s
2ss
U0.2 (1)
Nur 5 Folgenglieder liegen außerhalb der Umgebung.
Die Pointe ist, dass diese Eigenschaft für alle positiven ε gilt. So
wird aus der schwammigen Ausage im Einstieg etwas ganz Klares, das auch noch die intuitive Vorstellung trifft.
Beispiele
(A) Im Kasten ist die Folge
1+
1
n n >1
= 2, 32 , 43 , . . . abgebildet.
Von ihr liegen nur 5 Folgenglieder außerhalb der 0.2-Umgebung
von 1. Für beliebiges ε > 0 findet man das passende n0 wie folgt.
Ist ε > 0 gegeben,
so gibt es ein n0 ∈ N derart, dass n0 > 1/ε.
1
Also gilt 1 +
− 1 < ε, und für alle n > n0 gilt
n0
1
= 1 < 1 < ε,
1−
−
1
n
n
n0
was zu beweisen war.
In der Tabelle sind einige konkrete Werte angegeben:
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 5 Grenzwerte: Die Definition
ε
n0
Folgenglieder außerhalb der Umgebung
0.2
6
5
0.1
11
10
61
0.05
21
20
0.01
101
100
1
735
736
735
10−9
109 + 1
109
Wir haben die Rechenregeln für Ungleichungen mehrfach benutzt.
1
= 0 , denn:
n → ∞ n2
q
1
Ist ε > 0 gegeben, so gibt es ein n0 ∈ N derart, dass n0 >
ε.
1
Also gilt 2 < ε, und für alle n > n0 gilt
n0
1
− 0 = 1 < 1 < ε,
n2
n2
n20
(B) Es gilt lim
was zu beweisen war.
Wieder zeigt die Tabelle einige konkrete Werte:
ε
n0
Folgenglieder außerhalb der Umgebung
0.2
3
2
0.1
4
3
0.05
5
4
0.01
11
10
1
735
28
27
−9
√ 10
[ √
109 ] + 1
[ 109 ]
Vollziehen Sie die Beweise in den Beispielen Schritt für Schritt nach.
Geben Sie genau an, welche Regeln benutzt werden.
Die Gauß-Klammer
[..] schneidet von jeder
positiven reellen Zahl
sämtliche Nachkommastellen ab. Es ist also z.B.
[12.374] = 12 .
Übungsaufgabe
Hier sollten noch konkretere Beispielaufgaben rein!
ε-n0 -Beweise rückwärts
Der Beweis in Beispiel (A) ist sicher nachvollziehbar, aber wie
kommt man auf so etwas? Man arbeitet sozusagen "rückwärts":
Zu gegebenem ε sucht man ein n0 so, dass |1/n − 0| < ε, also
1/n < ε für alle n > n0 . Diese Bedingung ist äquivalent zu n >
1/ε für alle n > n0 . Die Wahl n0 = 1/ε liegt nahe, hat aber den
Schönheitsfehler, dass 1/ε nicht unbedingt eine natürliche Zahl
ist. Also wählt man n0 als (irgend) eine natürliche Zahl, die > 1/ε
ist.
(C) Ist an = c für alle n, also ( an )n>1 eine konstante Folge, so gilt auch
lim an = c. Ist ε > 0 gegeben, so kan man stets n0 = 1 wählen.
n→∞
(−1)n
= 0: Zu ε > 0 wähle n0 > √1ε .
n → ∞ n2
(E) Die Folge ((−1)n )n>0 konvergiert nicht. Anschaulich ist dies klar,
weil die Folgenglieder zwischen 1 und −1 hin- und herspringen,
sich also keinem einzelnen festen Wert nähern können. Ein wasserdichter Beweis geht mit Widerspruch: Angenommen, lim (−1)n =
(D) Es ist lim
n→∞
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Exkurs
Weitere Beispiele
62
Kapitel 5 Grenzwerte: Die Definition
a existiert. Dann gilt | a − 1| > 1 oder | a − (−1)| > 1. Wähle ε = 1.
Im ersten Fall gilt
|(−1)n − a| > ε für alle geraden n,
im zweiten Fall ist
|(−1)n − a| > ε für alle ungeraden n.
Also kann es kein n0 geben, so dass |(−1)n − a| 6 ε = 1 für alle
n > n0 .
Übungsaufgaben
1. Führen Sie alle Schritte beim Nachweis der obigen Beispiele im
Detail aus.
2
2. Bestimmen Sie lim 1 +
und beweisen Sie Ihre Aussage.
n→∞
n
Konvergenz
geometrischer
Folgen
Wir wollen uns nun noch um die geometrischen Folgen kümmern,
und auch diese mit Epsilons verarzten.
Konvergenz geometrischer Folgen
a) Für 0 6 q < 1 ist lim qn = 0.
n→∞
b) Allgemeiner gilt lim qn = 0 für alle reellen Zahlen q mit
n→∞
|q| < 1.
Um Teil a) nachzuweisen, benutzt man die Bernoulli-Ungleichung:
Es ist 1q > 1, also gilt 1q = 1 + a, wobei a > 0. Mit der BernoulliUngleichung folgt nun
(1 + a)n > 1 + na > na für alle n ∈ N.
Daraus ergibt sich
0 < qn 6 1/(1 + na) < 1/(na)
für alle n ∈ N.
Ist ε > 0 gegeben, so wähle n0 > 1/( aε). Es folgt dann
Sie finden das alles ganz
furchtbar? Halten Sie
durch und lesen Sie
weiter!
|qn − 0| = qn < 1/(na) < ε für alle n > n0 .
Also limn→∞ qn = 0, was zu beweisen war.
Teil b) ist nun (dank |q|n = |qn |) eine einfache Folgerung.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 5 Grenzwerte: Die Definition
63
Nun soll auch noch die Sprechweise „strebt gegen Unendlich“, die wir
in einem früheren Abschnitt eingeführt hatten, präzise gefasst werden.
Bestimmte
Divergenz
Bestimmte Divergenz
Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 . Man sagt, dass die Folge bestimmt gegen ∞ divergiert (symbolisch: lim an = ∞), wenn
n→∞
es zu jedem M > 0 ein n0 ∈ N gibt, so dass
an > M
für alle n > n0 .
Man sagt, dass die Folge bestimmt gegen −∞ divergiert (symbolisch: lim an = −∞), wenn es zu jedem M > 0 ein n0 ∈ N gibt, so
dass
n→∞
an < − M
für alle n > n0 .
Hierbei ist jeweils n0 abhängig von M; dies drückt man manchmal durch die Schreibweise n0 = n0 ( M) aus.
(A) Es ist lim (2n) = −∞.
Beispiele
n→∞
(B) Ist q > 1, so gilt lim qn = ∞.
n→∞
(C) Ist q < −1, so ist die Folge (qn )n>1 divergent, aber nicht bestimmt
divergent. Alternierende Folgen sind naturgemäß nie bestimmt
divergent.
1. Weisen Sie die Aussagen der Beispiele nach!
2. Was halten Sie von folgender verbaler Definition: „Eine Folge ( an )
konvergiert gegen a, wenn an mit wachsendem n der Zahl a beliebig
nahe kommt.“
Falls Sie nicht gut allein weiterkommen betrachten Sie das folgende
Beispiel:
1
n
an = (1 + (−1) ) · 1 +
n
3. Beweisen oder widerlegen Sie folgende Aussage: Ist ( an )n>1 eine
Folge mit an 6= 0 für alle n, so gilt:
Ist a1n bestimmt divergent, so gilt lim an = 0.
n→∞
4. Beweisen oder widerlegen Sie folgende Aussage: Ist ( an )n>1 eine
Folge mit an 6= 0 für alle n, so gilt:
Ist lim an = 0, so ist a1n bestimmt divergent.
n→∞
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Übungsaufgabe
Probleme und
Anwendungen
Tipp:
Zum Widerlegen einer
Aussage reicht ein
Gegenbeispiel.
64
Kapitel 5 Grenzwerte: Die Definition
Wissensspeicher
Hier werden die wichtigsten Fakten über das Grenzwertverhalten von
Folgen in mathematisch exakter Fassung zusammengefasst.
Konvergenz und
Divergenz von Folgen
Zunächst die mathematisch exakte Definition dessen, was man im Zusammenhang mit Folgen unter Formulierungen wie „strebt gegen...“
versteht.
Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 und eine reelle Zahl a. Man sagt,
dass die Folge gegen a konvergiert (symbolisch: lim an = a),
wenn es zu jedem ε > 0 ein n0 ∈ N gibt, so dass
n→∞
| an − a| < ε für alle n > n0 .
Wenn dies der Fall ist, nennt man a auch Grenzwert
oder
Li1
mes der Folge. Die Abbildung zeigt das Beispiel 1 + n
:
n >1
0
1s sssssssss s s s
s
2s-
U0.2 (1)
Für alle n > 5 = n0 liegen die Folgenglieder weniger als ε = 0.2
von 1 entfernt. Da sich für jeden noch so kleinen Abstand ε ein
passender Startwert n0 finden lässt, konvergiert die Folge gegen 1.
Ist eine Folge nicht konvergent, so nennt man sie divergent.
Bestimmte Divergenz
Hier kommt die mathematisch präzise Fassung der Sprechweise „strebt
gegen Unendlich“.
Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 . Man sagt, dass die Folge
bestimmt gegen ∞ bzw. −∞ divergiert
(symbolisch: lim an = ∞ bzw. lim an = −∞ ),
n→∞
n→∞
wenn es zu jedem M > 0 ein n0 ∈ N gibt, so dass
an > M
für alle n > n0 .
an < − M
Konvergenzverhalten
wichtiger Folgen
Wir haben von einigen Folgen das Konvergenzverhalten bestimmt und
bewiesen. Hier kommt nochmal eine Liste:
Konstante Folgen
Es ist lim (c) = c.
Harmonische Folge
Es ist lim
Geometrische Folgen
Es ist lim qn = 0, falls |q| < 1,
n→∞
1
= 0.
n→∞ n
n→∞
und lim qn = ∞, falls q > 1.
n→∞
Für q < −1 ist (qn )q>0 unbestimmt divergent.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
65
Kapitel 6
Grenzwerte: Rechenregeln und
Berechnung
Man könnte aus dem letzten Abschnitt den Eindruck gewinnen, dass
beim Arbeiten mit Folgen und Grenzwerten die Epsilons nur so umher
fliegen. Das ist aber in vielen Fällen nicht so. In der Praxis reicht es
oft, einen Vorrat bekannter Folgen, Grenzwerte und Rechenregeln zu
benutzen, um Grenzwerte mit relativ wenig Mühe zu bestimmen. Die
Regeln und ihre Anwendung sehen wir uns in diesem Abschnitt an.
Einführung
1. Wenn lim an = a, kann man dann folgern, dass lim (2an ) = 2a?
n→∞
n→∞
Erst mal ist durch die Definition bn = 2an eine Folge (bn ) definiert,
also ist die Frage nach dem Grenzwert legitim. Und eigentlich
scheint die Aussage auch ganz plausibel. Aber wie sieht es mit den
Epsilons aus?
a) Betrachten Sie erst mal das Beispiel an = 1 + n1 . Ist die vermutete
Regel hier richtig?
b) Betrachten Sie nun den allgemeinen Fall mit beliebigen an und
bn = 2an . Welche Ungleichung können Sie aus | an − a| < ε für
|bn − 2a| schliessen? Reicht das für Ihre Zwecke?
c) Die Folge (cn ) sei definiert durch cn = a2n , n ∈ N. Zeigen Sie,
a
dass aus lim an = a folgt lim cn = . Warum geht dieser Fall
n→∞
n→∞
2
leichter?
Für den Nachweis der eigentlich interessierenden Aussage muss man
sich vielleicht von einigen geistigen Fesseln verabschieden.
Der folgende Satz stellt erst einmal fest, dass man den Faktor 2 beim
Grenzwertbilden konvergenter Folgen ausklammern darf.
Grenzwert der doppelten Folge
Ist ( an )n>1 eine Folge mit lim an = a, und ist bn = 2an für alle n,
so gilt lim (bn ) = 2a.
Kurz:
n→∞
n→∞
Es gilt
lim (2an ) = 2a.
n→∞
Grenzwert der
doppelten Folge
66
Kapitel 6 Grenzwerte: Rechenregeln und Berechnung
Zum Beweis sei ε > 0 vorgegeben. Weil ( an )n>1 gegen a konvergiert,
existiert eine natürliche Zahl n0 derart, dass | an − a| < ε/2 für alle
n > n0 . Für alle n > n0 gilt dann aber
|bn − 2a| = |2an − 2a| = 2 · | an − a| < 2 ·
ε
=ε.
2
Nach Definition folgt lim bn = 2a .
n→∞
Exkurs
Merke: ρ („rho“), δ
(„delta“), σ („sigma“)
sind einige weitere
Buchstaben des griechischen Alphabets,
die bei Mathematikern
populär sind. Aber
auch das ist alles nur
Konvention, und historisch bedingt. Mathe
ginge auch ganz ohne
griechische Buchstaben (ausser vielleicht
in Griechenland).
Beispiele
ε-Trick-Beweis?!
Wieso plötzlich 2ε ? Das sieht nach einem üblen Trick aus! Ist so
ein Vorgehen legal? Ja, aber man sollte noch was dazu sagen.
a) Scheinbar etwas ganz anderes: Löse 3x + 2 = 8! Lösung: x = 2.
Nun löse 2x + 3 = 11. Lösung: x = 4. Einwand: „Aber wir
haben doch eben erst gesagt, dass x = 2 ist.“ Wer diesen
Einwand vorbringt, hat die Rolle von x missverstanden.
Natürlich kann man diesem Missverständnis vorbeugen, wenn
man die zweite Gleichung in der Form 2y + 3 = 11 schreibt,
aber das wird nicht immer geschehen.
b) In ähnlicher Weise geht es um ein richtiges Verständnis der
Rolle von ε im Beweis oben. Auch hier kann man durch
bessere Bezeichnungen Abhilfe schaffen, und zwar wie folgt:
Zum Beweis sei ε > 0 vorgegeben. Weil ( an )n>1 gegen a konvergiert, existiert zu jedem ρ > 0 eine natürliche Zahl n0 derart, dass
| an − a| < ρ für alle n > n0 . Wähle nun ρ = 2ε . Für alle n > n0 gilt
dann
ε
|bn − 2a| = |2an − 2a| = 2 · | an − a| < 2 · = ε.
2
Nach Definition folgt lim bn = 2a.
n→∞
Besser? Sie sollten immer daran denken, dass die griechischen
oder sonstigen Buchstaben (ε, ρ . . .) nur für irgendwelche positiven
Zahlen stehen.
8 5 4 7
n+1
4
und
(A) Es ist
, 1, , , , , . . . = 2 ·
3
9 6 5 9
3n
n+1
n+1
1
2
lim 2 ·
= 2 · lim
= 2· = .
n→∞
n→∞
3n
3n
3
3
1
1
(B) Es ist lim 2 · cos
= 2 · lim cos
= 2·1 = 2 .
n→∞
n→∞
n
n
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 6 Grenzwerte: Rechenregeln und Berechnung
67
Nun wollen wir uns ernsthaft an Rechenregeln für Folgen machen.
Rechenregeln für
Grenzwerte
Rechenregeln für Grenzwerte
Gegeben seien konvergente Folgen ( an )n>1 mit Grenzwert a und
(bn )n>1 mit Grenzwert b. Dann gelten folgende Aussagen:
a) Für jede Konstante c ∈ R ist die Folge (c · an )n>1 konvergent
und es gilt lim (c · an ) = c · a.
n→∞
b) Die Folge ( an + bn )n>1 ist konvergent und es gilt
lim ( an + bn ) = a + b .
n→∞
c) Die Folge ( an · bn )n>1 ist konvergent und es gilt
lim ( an · bn ) = a · b .
n→∞
d) Sind alle bn 6= 0 sowie b 6= 0, so ist die Folge
an
a
konvergent und es gilt lim
= .
n → ∞ bn
b
an
bn
n >1
Alle diese Regeln werden „mit ε und n0 “ nachgewiesen. Wir wollen
uns nur den Beweis der zweiten ansehen. (Die letzten beiden sind
ein bisschen komplizierter.) Also: Sei ε > 0 vorgegeben. Weil ( an )n>1
gegen a konvergiert, existiert zu jedem ρ > 0 eine natürliche Zahl
n1 derart, dass | an − a| < ρ für alle n > n1 . Weil (bn )n>1 gegen b
konvergiert, existiert zu jedem σ > 0 eine natürliche Zahl n2 derart,
dass | an − a| < σ für alle n > n2 . Wähle nun ρ = σ = 2ε , und n0 als
das Maximum von n1 und n2 Für alle n > n0 gilt dann
| an + bn − ( a + b)| = |( an − a) + (bn − b)|
ε
ε
6 | a n − a | + | bn − b | <
+ =ε.
2 2
Nach Definition folgt lim ( an + bn ) = a + b.
n→∞
1. Gehen Sie jeden Schritt im Beweis von (b) durch. Begründen Sie
insbesondere die 6-Abschätzung.
Probleme und
Anwendungen
2. Können Sie a) beweisen? (Den Fall c = 0 nicht vergessen!)
Wir wissen schon, dass limn→∞ 1/n = 0. Daraus und aus den Rechenregeln können wir weitere Grenzwerte bestimmen.
(A) Die Folge
1
n2
n >1
konvergiert gegen den Grenzwert 0.
(Benutzen Sie Teil c) mit an = bn = 1/n).
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Beispiele
68
Kapitel 6 Grenzwerte: Rechenregeln und Berechnung
(B) Ist
k eine beliebige natürliche Zahl, so konvergiert die Folge
1
gegen 0. (Induktion nach k und Teil c).)
nk
n >1
(C) Für alle reellen Zahlen c und d ist
c+
d
n n >1
konvergent mit
Grenzwert c. (Regeln a) und b) benutzen.)
+3
2
(D) Die Folge 2n
3n+4 n>1 ist konvergent mit Grenzwert 3 . (Das geht
etwas umständlicher: Man kann (d) nicht direkt anwenden, weil
die Folge (2n + 3)n>1 der Zähler (und auch die Folge der Nenner) nicht konvergent ist. Aber Bruchrechnen hilft: Erweitern des
Bruches mit n1 ergibt
2+
2n + 3
=
3n + 4
3+
3
n
4
n
und jetzt klappt es mit a), b) und d).)
Übungsaufgaben
3. Vollziehen Sie die Beispiele oben nochmal genau nach, inklusive
aller nötigen Rechnungen.
4. Untersuchen Sie auf Konvergenz und bestimmen Sie gegebenenfalls
den Grenzwert:
2
n+7
2n + (−1)n
4n + 2n + 5
a)
b)
c)
6n + 2 n>0
n+4
3n2 + 4
n>1
n >1
d)
2n2 + 3
3n + 4
e)
n>−2
n−3
3n2 + 4
n >1
5. Untersuchen Sie auf Konvergenz und bestimmen Sie gegebenenfalls
den Grenzwert:
n
7 + 3n
2 + 3n
4 · 2n + (3/2)n
a)
b)
c)
2 n − 3 n n >2
2n + 8
2 n + 6 n >2
n >0
Geometrische
Reihe:
Partialsummen
und Grenzwert
Achtung! Irritierende
Mathematikermarotte:
mit ein und demselben
∞
Symbol
∑
c · qn zugleich
Mit den Beispielen und Übungsaufgaben von oben haben wir schon
viele von unseren „intuitiven Grenzwerten“ aus früheren Abschnitten
auf ein sicheres Fundament gestellt. Jetzt kommt noch einer dazu:
Geometrische Reihe: Partialsummen und Grenzwert
Ist |q| < 1 und c ∈ R beliebig, so gilt
∞
c
∑ c · qn = 1 − q
.
n =0
n =0
die Folge der Partialsummen und (im Falle
der Konvergenz) den
Grenzwert zu bezeichnen.
m
Genauer: Die Folge der Partialsummen sm =
c
konvergiert gegen
.
1−q
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
∑ c · qn
n =0
Kapitel 6 Grenzwerte: Rechenregeln und Berechnung
∞
(A) Es ist
n
1
3
∑ 3· 2 = 1−
n =0
1
2
=6.
∞
(B) Es ist
69
Beispiele
0.4
∑ 0.4 · (−0.6)n = 1 − (−0.6) = 0.25 .
n =0
6. Vergleichen Sie die Aussage dieses Kastens mit der Geometrischen
Summenformel auf S.24. Wo ist der Zusammenhang?
Probleme und
Anwendungen
7. Weisen Sie die Aussage im Kasten ausführlich nach.
8. Wie ist die berühmt-berüchtigte Formel 0.9 = 1 zu verstehen?
Wie ist es mit 0.37 = 37/99?
∞
9. Was sagen Sie zu
1
∑ 2n = 1 − 2 = −1 ?
n =0
10. Geben Sie eine allgemeine Formel für
∞
∑
c · qn
(|q| < 1)
n=m
an und beweisen Sie sie.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Übungsaufgaben
70
Kapitel 6 Grenzwerte: Rechenregeln und Berechnung
Wissensspeicher
Hier werden die Rechenregeln zur Berechnung von Grenzwerten zusammengefasst.
Rechenregeln für
Grenzwerte
Sofern die einzelnen Grenzwerte existieren ist die Grenzwertberechnung mit Addition und Multiplikation verträglich. Dehalb kann man
aus bekannten Grenzwerten auf weitere schließen.
Gegeben seien konvergente Folgen ( an )n>1 mit Grenzwert a und
(bn )n>1 mit Grenzwert b, sowie eine reelle Zahl c. Dann gelten für
die Grenzwerte folgende Rechenregeln:
a) lim (c · an ) = c · a
n→∞
b) lim ( an + bn ) = a + b
n→∞
c) lim ( an · bn ) = a · b
n→∞
d) Sind außerdem
alle bn 6= 0 sowie b 6= 0, dann gilt:
a
an
=
lim
n → ∞ bn
b
Grenzwert der
geometrischen Reihe
Einer der wichtigsten Grenzwerte ist der für die geometrische Reihe.
Ist |q| < 1 und c ∈ R beliebig, so gilt:
∞
c
∑ c · qn = 1 − q
n =0
Konvergenzverhalten
wichtiger Reihen
Um das Konvergenzverhalten von Reihen ohne ε-δ-Beweis nach den
oben angegebenen Regeln berechnen zu können, greift man auf eine
Liste weiterer bekannter Grenzwerte zurück. Hier sind einige davon.
(Man beachte das Auftreten der Kreiszahl π!)
∞
Harmonische Reihe
Es ist
Quadratreziproke
Es ist
Spezielle Teleskopreihe
Es ist
1
=∞.
n
n =1
∑
∞
1
π2
=
∑ n2 6 ≈ 1.645 .
n =1
∞
1
=1.
n · ( n + 1)
n =1
∑
∞
Exponentialreihe
Es ist
n =0
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
e
∑ e−n = e − 1 ≈ 1.582 .
71
Kapitel 7
Teilfolgen und Häufungspunkte
In Zusammenhang mit dem Konvergenzverhalten von Folgen und
Reihen treten einige auf den ersten Blick verwirrende Phänomene auf.
Wir wollen uns in diesem Abschnitt den nötigen Begriffsapparat zum
Umgang mit solchen Phänomenen verschaffen.
1. Wie würden Sie das Verhalten der Folge
1
n
(−1) +
n + 1 n >0
charakterisieren? Ist sie konvergent? Welche Rolle spielen die Zahlen
1 und −1?
2. Die Folge
( b n ) n >1 =
1
1 1
1 1 1
1 1 1 1
1, 1, , 1, , , 1, , , , 1, , , , , . . .
2
2 3
2 3 4
2 3 4 5
ist uns schon früher begegnet. (Wir haben auch schon gesehen, dass
sich ihre Glieder auch genauer als durch . . . angeben lassen.)
a) Diese Folge ist nicht konvergent. Weisen Sie das nach.
b) Gewisse Zahlen spielen für das „Grenzverhalten“ dieser Folge
dennoch eine besondere Rolle. Welche?
3. Die Folge
( a n ) n >1 =
1 1 2 1 2 3 1 2 3 4
, , , , , , , , , , ...
2 3 3 4 4 4 5 5 5 5
soll zunächst präzise beschrieben werden:
a) Jede natürliche Zahl n lässt sich eindeutig in der Gestalt
n=
m ( m + 1)
+ k,
2
m > 1, 0 6 k < m + 1
darstellen. Begründen sie das. Man setzt dann an =
k +1
m +1
.
b) Verifizieren Sie, dass die Folge jede rationale Zahl r mit 0 < r < 1
als Wert annimmt.
c) Welchen reellen Zahlen „kommt die Folge beliebig nahe“?
Einstieg
72
Eindeutigkeit des
Grenzwerts
Kapitel 7 Teilfolgen und Häufungspunkte
Im ersten Beispiel könnte man versucht sein zu sagen, dass sich die
Folgenglieder für n → ∞ „sowohl 1 als auch −1 immer mehr nähern“.
Man sollte aber keinesfalls sagen, dass „die Folge gegen 1 und −1
konvergiert“. Das passt nicht mit unserer Definition von Konvergenz
zusammen. Allgemein gilt nämlich:
Eindeutigkeit des Grenzwerts
Der Grenzwert einer konvergenten Folge ist eindeutig bestimmt.
Zum Beweis (per Widerspruch) nehmen wir an, dass es eine Folge
( an )n>1 gibt, welche zwei verschiedene Grenzwerte b und c besitzt.
|b−c|
Dann ist b − c 6= 0 und zu ε := 2 gibt es
ein n1 derart, dass | an − b| < ε für alle n > n1 und
ein n2 derart, dass | an − c| < ε für alle n > n2 .
Was hier im ersten
Schritt passiert ist,
nennt man das Einfügen
einer konstruktiven
Eins. Es hilft oft.
Ist n > n1 und n > n2 , so folgt
|b − c| = |(b − an ) + ( an − c)| 6 |b − an | + | an − c| < ε + ε = |b − c| .
Das ist ein Widerspruch, denn die Zahl |b − c| kann nicht kleiner
als sie selbst sein. Also war die Annahme falsch: Es kann nur einen
Grenzwert geben!
Übungsaufgabe
1. Falls Ihnen die Abschätzung oben zu wenig instruktiv ist, skizzieren
Sie für selbst gewähltes b und c und hinreichend kleines ε die Mengen { x; | x − b| < ε} und { x; | x − c| < ε} auf der Zahlengeraden.
Welche gemeinsamen Punkte haben diese beiden Mengen?
Teilfolgen und
Häufungspunkte
Zur Beschreibung von Phänomenen wie den oben genannten sind die
folgenden Begriffe hilfreich.
Teilfolgen und Häufungspunkte
Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 .
Anmerkung
Ist der Startindex der
Folge von 1 verschieden, so gilt die Definition mit entsprechenden
Modifikationen.
a) Ist (m(k ))k>1 eine strikt monoton wachsende Folge natürlicher
Zahlen, also 1 6 m(1) < m(2) < m(3) < · · · , so nennt man
( b k ) k >1 : = ( a m ( k ) ) k >1
eine Teilfolge von ( an )n>1 .
b) Eine reelle Zahl c heisst Häufungspunkt von ( an )n>1 , wenn es
eine Teilfolge von ( an )n>1 gibt, welche gegen c konvergiert.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 7 Teilfolgen und Häufungspunkte
73
(A) Die Folge (cn )n>1 aus der ersten Einstiegsaufgabe besitzt die Teilfolge
1
(c2k )k>0 = 1 +
2k + 1 k>0
Beispiele
der Folgenglieder mit geraden Indizes, welche gemäss bekannter
Grenzwertregeln gegen 1 konvergiert. Also ist 1 ein Häufungspunkt der Folge.
(B) Die Folge ( an )n>1 aus der dritten Einstiegsaufgabe besitzt die
Teilfolge
1
( am(m+1)/2 )m>1 =
m + 1 m >1
mit Grenzwert 0. Also ist 0 ein Häufungspunkt dieser Folge.
1. Geben Sie zur Folge (cn )n>1 aus der ersten Einstiegsaufgabe eine
Teilfolge an, welche gegen −1 konvergiert.
Übungsaufgaben
2. Welche konstanten Teilfolgen besitzt die Folge (bn ) aus der zweiten
Einstiegsaufgabe? Welche Zahlen sind deshalb sicher Häufungspunkte? Gibt es noch weitere Häufungspunkte dieser Folge?
3. Geben Sie eine Folge an, die sicher keinen Häufungspunkt besitzt.
4. Welche Häufungspunkte können Sie bei der Folge
[1 + (−1)n ] · 2n + [1 + (−1)n+1 ] · 2−n
n>1
finden?
Es gibt noch eine andere Charakterisierung von Häufungspunkten,
die manchmal besser in der Handhabung ist.
Häufungspunkt mittels ε
Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 . Genau dann ist eine reelle Zahl c
Häufungspunkt dieser Folge, wenn gilt: Zu jedem ε > 0 und zu
jedem n0 ∈ N gibt es ein n > n0 derart, dass | an − c| < ε gilt.
In Worten: Es gibt Folgenglieder mit beliebig großem Index, die c
beliebig nahe kommen.
Wir werden diese Aussage nicht beweisen, obwohl wir das könnten.
Sehen wir uns lieber eine Anwendung an, die zeigt, dass Folgen ein
ziemlich verrücktes Verhalten an den Tag legen können.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Häufungspunkt
mittels ε
74
Kapitel 7 Teilfolgen und Häufungspunkte
Beispiel
(A) Jede reelle Zahl zwischen 0 und 1 ist Häufungspunkt der Folge
( an )n>1 aus der dritten Einstiegsaufgabe. Dazu muss man nur
wissen, dass jede reelle Zahl zwischen 0 und 1 als Grenzwert einer
Folge paarweise verschiedener rationaler Zahlen darstellbar ist
(denn alle rationalen Zahlen zwischen 0 und 1 kommen unter den
an vor). Für alle irrationalen Zahlen und alle rationalen Zahlen mit
unendlicher Dezimalbruchentwicklung folgt dies durch Betrachten
der Dezimalbruchentwicklung.
Problem
1. Was machen Sie mit den restlichen rationalen Zahlen?
Häufungspunkt
bei Konvergenz
Zum Abschluss dieses Abschnittes wollen wir noch eine Eigenschaft
konvergenter Folgen ansehen, die eine Nutzanwendung zur Berechnung von Grenzwerten besitzt.
Häufungspunkt bei Konvergenz
Konvergiert eine Folge ( an )n>1 gegen den Grenzwert a, so gilt
dies auch für jede ihrer Teilfolgen. (Der einzige Häufungspunkt
einer konvergenten Folge ist ihr Grenzwert.)
Zum Beweis: Ist ε > 0 vorgegeben, so gibt es ein n0 derart, dass
| an − a| < ε für alle n > n0 . Ist ( am(k) )k>1 eine Teilfolge, also
1 6 m (1) < m (2) < m (3) < · · · ,
so ist insbesondere m(n) > n für alle n, und es folgt | am(k) − a| < ε für
alle k > n0 ; also Konvergenz.
Für rekursiv
definierte Folgen
hilfreicher
Spezialfall
Der Satz über Häufungspunkte im Konvergenzfall hat eine hilfreiche
Konsequenz für rekursiv definierte Folgen: Ohne zu wissen, ob tatsächlich Konvergenz vorliegt, kann man den potentiellen GrenzwertsKandidaten aus der Rekursionsformel berechnen.
Für rekursiv definierte Folgen hilfreicher Spezialfall
Konvergiert eine Folge ( an )n>1 gegen den Grenzwert a, so gilt
auch lim an+1 = a.
n→∞
(Zum Beweis wähle m(k ) = k + 1.)
Beispiel
(A) Ein spezielles Beverton-Holt-Modell: Gegeben sei die Folge (cn )n>0
mit c0 = 1 und der Rekursion
c n +1 =
10cn
.
cn + 3
Angenommen, die Folge konvergiert gegen einen Grenzwert b.
Dann ist b = 0 oder b = 7. Denn geht man auf beiden Seiten
Beverton und Holt
bei der Arbeit
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 7 Teilfolgen und Häufungspunkte
75
der Rekursionsgleichung zum Grenzwert über, so erhält man mit
bekannten Grenzwertregeln
10 limn→∞ cn
10cn
=
,
n→∞ cn + 3
limn→∞ cn + 3
lim cn+1 = lim
n→∞
also
Anmerkung
Wir haben nicht gezeigt, dass die Folge
konvergiert. Das ist ein
Problem für sich.
10b
b=
.
b+3
Falls b 6= 0, ergibt sich hieraus 10/(b + 3) = 1, also b = 7.
1. Das allgemeine Beverton-Holt-Modell: Gegeben sind positive Konstanten r und K, sowie eine Folge (cn )n>1 mit einem Anfangswert
c0 > 0 und der Rekursionsvorschrift
c n +1
rcn
=
.
cn + K
Was können Sie über mögliche Grenzwerte aussagen? (Betrachten
Sie auch den Fall r 6 K.)
(B) Im ersten Abschnitt haben wir schon ein anderes Modell (das
Ricker-Modell, S.20) kennen gelernt. Hier sind r und k positive
Konstanten und die Rekursion ist gegeben durch
Probleme und
Anwendungen
Das Beverton-HoltModell ist ein zeitdiskretes, rekursives
Populationsmodell, dass
1957 für die Fischerei
entwickelt wurde.
Beispiel
cn+1 = rcn e−kcn .
Versuchen wir den selben Trick hier: Angenommen, (cn )n>0 konvergiert gegen die Zahl b. Mit den Grenzwertregeln erhalten wir
b = lim cn+1 = r lim cn · lim e−kcn = rb · lim e−kcn .
Hier kommen wir nicht weiter, weil in unserem Repertoire eine
Regel fehlt, welche das Vertauschen von „ehoch “ und Grenzwertbildung erlauben würde. Eine solche Regel existiert (und sie gilt
wegen der Stetigkeit der Exponentialfunktion, was immer das
auch wieder ist). Wenn wir sie glauben und benutzen, kommen
wir weiter:
b = rb · e−kb ,
also b = 0 oder re−kb = 1. Zweiteres ist äquivalent zu b =
ln r
k .
Rechnungen und Argumente dieser Art werden in der Mathematischen
Biologie regelmässig genutzt. Wir kommen später nochmal zu diesem
Anwendungsbereich.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Das Ricker-Modell ist
eine Verallgemeinerung des BevertonHolt-Modells unter
Berücksichtigung von
Konkurrenz-Effekten.
Es wurde ebenfalls in
Zusammenhang mit
Fischerei-Fragen entwickelt.
76
Kapitel 7 Teilfolgen und Häufungspunkte
Wissensspeicher
Wichtige Phänomene im Zusammenhang mit Folgen und Reihen bekommt man durch Berücksichtigung von Teilfolgen und Häufungspunkte in den Griff. Hier werden die wichtigsten Fakten darüber noch
einmal zusammengefasst.
Eindeutigkeit des
Grenzwerts
Zwar gibt es Folgen, die mehreren verschiedenen Werten beliebig nahe
kommen, doch spricht man in diesem Fall weder von Konvergenz
noch von Grenzwert.
Der Grenzwert einer konvergenten Folge ist eindeutig bestimmt.
Teilfolgen und
Häufungspunkte
Zur Beschreibung solcher Phänomenen sind vielmehr die Begriffe
Teilfolge und Häufungspunkt hilfreich:
Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 .
Ist (m(k))k>1 eine strikt monoton wachsende Folge natürlicher
Zahlen, also 1 6 m(1) < m(2) < m(3) < · · · , so nennt man
( b k ) k >1 : = ( a m ( k ) ) k >1
eine Teilfolge von ( an )n>1 .
Eine reelle Zahl c heisst Häufungspunkt von ( an )n>1 , wenn es
eine Teilfolge von ( an )n>1 gibt, welche gegen c konvergiert.
Häufungspunkt
mittels ε
Eine alternative Charakterisierung von Häufungspunkten ist manchmal besser zu handhaben: Es gibt Folgenglieder mit beliebig großem
Index, die dem Häufungspunkt beliebig nahe kommen.
Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 . Genau dann ist eine reelle Zahl c
Häufungspunkt dieser Folge, wenn gilt: Zu jedem ε > 0 und zu
jedem n0 ∈ N gibt es ein n > n0 derart, dass | an − c| < ε gilt.
Häufungspunkt bei
Konvergenz
Der kommende Satz stellt fest, dass der einzige Häufungspunkt einer
konvergenten Folge ihr Grenzwert ist.
Konvergiert eine Folge ( an )n>1 gegen den Grenzwert a, so gilt
dies auch für jede ihrer Teilfolgen.
Für rekursiv definierte
Folgen hilfreicher
Spezialfall
Für rekursiv definierte Folgen hat dieser Satz eine hilfreiche Konsequenz: Man kann man potentielle Grenzwert-Kandidaten aus der
Rekursionsformel berechnen, ohne zu wissen, ob tatsächlich Konvergenz vorliegt.
Konvergiert eine Folge ( an )n>1 gegen den Grenzwert a, so gilt
auch lim an+1 = a.
n→∞
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
77
Kapitel 8
Monotonie, Beschränktheit und
ein Konvergenzkriterium
In Kapitel 3 haben wir gesehen, dass alle Partialsummen der Reihe
∞
1
∑ n2 durch 2 nach oben beschränkt sind, also
n =1
Einstieg
m
1
< 2 für alle m.
n2
n =1
∑
Ist es nicht ganz klar, dass diese Reihe konvergieren muss?
Zur genaueren Beschreibung von Folgeneigenschaften, insbesondere
von Konvergenzfragen, sind die folgenden Begriffe hilfreich:
Monotonie und Beschränktheit von Folgen
Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 . Die Folge heißt
a)
monoton wachsend,
streng monoton wachsend,
monoton fallend,
streng monoton fallend,
b) nach oben beschränkt,
nach unten beschränkt,
für ein geeignetes M ∈ R bzw. K ∈ R
(A) Die Folge
1
n n>1
wenn an+1 > an ,
wenn an+1 > an ,
wenn an+1 6 an ,
wenn an+1 < an
für alle n ∈ N gilt.
unten) beschränkt. Denn es ist
1
1
n+1−n
1
−
=
=
>0
n n+1
n ( n + 1)
n ( n + 1)
0<
Sinngemäss gelten die
Definitionen auch für
Folgen mit anderen Startindizes. Man spricht
auch zusammenfassend
von monotonen, streng
monotonen und beschränkten Folgen.
wenn an 6 M,
wenn an > K
für alle n ∈ N gilt.
ist streng monoton fallend und (nach oben und
für alle n, und
Monotonie und
Beschränktheit
1
6 1 für alle n ∈ N .
n
Beispiele
78
Kapitel 8 Monotonie, Beschränktheit und ein Konvergenzkriterium
(B) Die Folge (−2n )n>0 ist streng monoton fallend und (durch 0) nach
oben beschränkt, aber nicht nach unten beschränkt.
(C) Die Folge ((−1)n · 2n )n>0 ist weder monoton noch beschränkt.
(D) Die Folge ((−1)n )n>0 ist nicht monoton, aber nach oben und unten
beschränkt.
∞
1
(siehe Einstieg) ist
n2
n =1
streng monoton wachsend und nach oben beschränkt.
(E) Die Folge der Partialsummen der Reihe
Es ist 9, 8 6 9, 83 6
9, 837 6 9, 8370 6
9, 83704 6 . . . 6 10.
∑
(F) Es sei (dk )k>1 eine Folge ganzer Zahlen mit 0 6 dk 6 9 für alle k.
Dann ist die Partialsummenfolge (sn )n>1 mit
n
sn =
∑ dk · 10−k
k =0
monoton wachsend und (durch 10) nach oben beschränkt.
Übungsaufgaben
1. Weisen Sie die Aussagen in den Beispielen (B), (C) und (D) im Detail
nach.
2. Weisen Sie die Aussagen in den Beispielen (E) und (F) im Detail
nach. (Tipp für (F): Vergleichen Sie mit einer geeigneten geometrischen Reihe.)
3. Begründen Sie: Eine monoton wachsende Folge ist nach unten
beschränkt. Eine monoton fallende Folge ist nach oben beschränkt.
MonotonieKriterium
Eine Kombination aus Monotonie und Beschränktheit ist oft die einfachste Möglichkeit, die Konvergenz einer Folge nachzuweisen.
Monotoniekriterium
Eine monoton wachsende und nach oben beschränkte
bzw. monoton fallende und nach unten beschränkte
Folge reeller Zahlen ist konvergent.
Das Monotoniekriterium scheint, wie bereits in der Einstiegsaufgabe
angedeutet, anschaulich praktisch trivial: „Was soll eine solche Folge
denn sonst tun, außer konvergieren?“
Vollständigkeit der
reellen Zahlen
Der lückenlose Nachweis des Kriteriums berührt aber eine grundlegende Eigenschaft von R, die sogenannte Vollständigkeit. (Man kann
auch sagen, dass die Gültigkeit des Monotoniekriteriums gerade die
Vollständigkeit ausdrückt.) Wer denkt, dass man eine solche Eigenschaft auch für die rationalen Zahlen Q haben müsste, sollte weiter
lesen.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 8 Monotonie, Beschränktheit und ein Konvergenzkriterium
∞
(A) Die Reihe
1
konvergiert nach dem Monotoniekriterium.
2
n
n =1
∑
79
Beispiele
∞
(B) Für jedes ganze k > 2 konvergiert die Reihe
Monotoniekriterium.
(−1)n
(C) Die Folge
n
n ∈N
1
nach dem
k
n =1 n
∑
ist nicht monoton, aber konvergent. Das
Monotoniekriterium liefert also eine hinreichende Bedingung für
Konvergenz, ist aber nicht notwendig dafür.
1. Weisen Sie die Aussagen des zweiten Beispiels nach. (Tipp: Vergleim
m
1
1
chen Sie die Partialsummen ∑ 2 und ∑ k .)
n
n =1
n =1 n
Übungsaufgabe
Das nächste Beispiel ist so wichtig, dass es einen prominenten Platz
bekommt.
Konvergenz von
Dezimalbruchentwicklungen
Konvergenz beliebiger Dezimalbruchentwicklungen
Es sei (dk )k>1 eine Folge ganzer Zahlen mit 0 6 dk 6 9 für alle k.
Dann konvergiert die Partialsummenfolge der
n
sn =
∑ dk 10−k
k =0
gegen eine reelle Zahl. Jeder (endliche oder unendliche, periodische oder nicht periodische) Dezimalbruch stellt also ein reelle
Zahl dar.
Es folgen Beispiele, von denen das zweite zeigen soll, wie Monotoniekriterium und bekannte Fakten zu Teilfolgen die explizite Bestimmung
von Grenzwerten ermöglichen.
∞
(D) Durch
∑ 10−k! wird eine reelle Zahl bestimmt, welche nicht ra-
k =0
tional ist.
(E) Die rekursiv definierte Folge ( an )n>0 sei gegeben durch
a0 = 1,
a n +1 =
3an
.
1 + an
Man benötigt ein bisschen Anlauf. Es gilt:
(i) an > 0 für alle n ∈ N0 . (Leichte Induktion.)
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Beispiele
80
Kapitel 8 Monotonie, Beschränktheit und ein Konvergenzkriterium
(ii) an < 2 für alle n ∈ N0 .
Dies ist eine nicht ganz so leichte Induktion: Der Induktionsanfang ist klar. Weil wegen an > 0 gilt:
an+1 < 2 ⇔ 3an < 2(1 + an ) ⇔ an < 2,
ist auch der Induktionsschritt erledigt.
(iii) an+1 > an für alle n ∈ N:
Dies folgt aus
a n +1 − a n =
3an
3an − an − a2n
a n (2 − a n )
− an =
=
>0
1 + an
1 + an
1 + an
wegen (i) und (ii).
(iv) Dank Monotoniekriterium ist die Folge konvergent.
(v) Zur Bestimmung des Grenzwertes benutzen wir den Trick
aus dem vorhergehenden Abschnitt: Es ist
3 lim an
3an
n→∞
=
,
n→∞ 1 + an
1 + lim an
lim an+1 = lim
n→∞
n→∞
also erfüllt der Grenzwert a die Gleichung
a=
3a
, somit a ∈ {0, 2}.
1+a
Ist a = 0 möglich? Nein, denn mit der Anfangsbedingung
und (iii) gilt an > 1, also | an − 0| > 1 für alle n. Wir schliessen
a = 2.
Übungsaufgaben
1. Diskutieren Sie sie Folge (bn )n>0 mit der selben Rekursionsvorschrift und Anfangsglied b0 = 4.
2. Diskutieren Sie die Folge (cn )n>0 mit
c0 = 2,
c n +1 =
5cn
.
2 + cn
in ähnlicher Weise wie das Beispiel oben. (Tipps: Die möglichen
Grenzwerte kann man schon vorab ausrechnen. Wenn das Monotoniekriterium klappt, was wir als Arbeitshypothese annehmen
wollen, können Sie einen naheliegenden Kandidaten für eine obere
bzw untere Schranke (je nachdem, was benötigt wird) angeben.)
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 8 Monotonie, Beschränktheit und ein Konvergenzkriterium
81
Zur Beschreibung und Untersuchung von Folgen sind Monotonie und
Beschränktheit wichtige Hilfsmittel. Hier werden die entsprechenden
Begriffe und Aussagen noch einmal zusammengefasst.
Wissensspeicher
Zunächst die Begriffe:
Monotonie und
Beschränktheit von
Folgen
Gegeben sei eine Folge ( an )n>1 .
a) Die Folge heisst monoton wachsend, wenn an+1 > an für alle
n ∈ N gilt, und streng monoton wachsend, wenn an+1 > an für
alle n ∈ N.
Die Folge heisst monoton fallend, wenn an+1 6 an für alle
n ∈ N gilt, und streng monoton fallend, wenn an+1 < an für
alle n ∈ N.
Die Folge heisst monoton bzw. streng monoton, wenn sie eine
der obigen Eigenschaften besitzt.
b) Die Folge heisst nach oben beschränkt, wenn es ein M ∈ R
derart gibt, dass an 6 M für alle n ∈ N.
Die Folge heisst nach unten beschränkt, wenn es ein K ∈ R
derart gibt, dass an > K für alle n ∈ N.
Die Folge heisst beschränkt, wenn sie nach oben und nach
unten beschränkt ist.
Häufig lässt sich die Konvergenz von Folgen mittels einer Kombination
von Monotonie und Beschränktheit nachweisen.
Monotoniekriterium
Eine monoton wachsende und nach oben beschränkte Folge reeller Zahlen ist konvergent. Eine monoton fallende und nach unten
beschränkte Folge reeller Zahlen ist konvergent.
Das folgende Beispiel ist besonders wichtig:
Es sei (dk )k>1 eine Folge ganzer Zahlen mit 0 6 dk 6 9 für alle k.
Dann konvergiert die Partialsummenfolge der
n
sn =
∑ dk 10−k
k =0
gegen eine reelle Zahl. Jeder (endliche oder unendliche, periodische oder nicht periodische) Dezimalbruch stellt also ein reelle
Zahl dar.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Konvergenz von
Dezimalbruchentwicklungen
83
Kapitel 9
Anwendung: Babylonisches
Wurzelziehen
√
Um 2 auszurechnen, drückt man die entsprechende Tastenkombination auf dem Rechner und erhält einen Näherungswert. Aber wie
kriegt der Rechner eigentlich den Wert? Ist das alles fest gespeichert?
Typischerweise sind einige Werte von Funktionen in der Tat fest gespeichert, aber bei weitem nicht alle. Wesentlich sind hier sogenannte
Iterationsverfahren, die auf rekursiv definierte Folgen basieren.
Das folgende Verfahren zeigt, wie man den Wert von Quadratwurzeln
mittels einer rekursiv definierten Folge immer genauer bestimmen
kann.
Einstieg
Iterationsverfahren
Quadratwurzeln
Ein Iterationsverfahren zur Berechnung von Quadratwurzeln
Gegeben sei eine positive reelle Zahl q. Die rekursiv definierte
Folge mit (beliebigem) Startwert a0 > 0 und
a n +1
konvergiert gegen
√
1
=
2
q
an +
an
=
a2n + q
2an
q.
Bevor wir das begründen, sehen wir erst mal Beispiele an:
√
(A) Zur Bestimmung von 9 beginnen wir mit dem Startwert a0 = 1.
Dann ist:
a1 =
12 +9
2·1
a3 =
3.42 +9
2·3.4
=5
≈ 3.0235
(B) Zur Bestimmung von
Dann ist:
a1 =
1.52 +2
2·1.5
√
a2 =
52 +9
2·5
a4 ≈
3.02352 +9
2·3.0235
= 3.4
≈ 3.0000
2 beginnen wir mit dem Startwert a0 = 1.5.
= 1.416
a2 =
2
1.416 +2
2·1.416
≈ 1.4142
Beispiele
84
Kapitel 9 Anwendung: Babylonisches Wurzelziehen
Übungsaufgaben
1. Führen Sie jeweils vier Iterationsschritte des Verfahrens durch und
vergleichen Sie dann mit dem "Taschenrechnerwert". Bei Aufgabe a)
wählen Sie a0 = 4. In den Aufgabn b) bis h) sollen Sie selbst einen
(vermutlich möglichst günstigen, ganzzahligen) Startwert wählen.
Wie viele Iterationsschritte benötigen Sie, um dieselbe Genauigkeit
wie der Taschenrechner zu erreichen?
√
√
√
√
a) √25
b) √111
c) √2
d) √77
e)
3
f)
41
g)
737
h)
63
Probleme und
Anwendungen
2. Die Begründung für die Konvergenz der Folge mit dem behaupteten
Grenzwert gehen wir stückchenweise an.
Gegeben ist eine positive reelle Zahl q.
Tipp: Hier gibt es
die Möglichkeit, eine
Kurvendiskussion mit
Minimumsbestimmung
durchzuführen. Sie koennen die Behauptung
auch in eine quadratische Ungleichung
umwandeln.
a) Zeigen Sie, dass für alle x > 0 gilt
1
q √
x+
> q.
2
x
b) Zeigen Sie: Für jeden Anfangswert a0 > 0 ist a1 >
c) Zeigen Sie: Ist an >
Achtung:
Auf Startindex achten!
Exkurs
√
√
q.
q, dann ist an − an+1 > 0.
d) Zeigen Sie: Die Folge ( an )n>1 ist monoton fallend und nach
unten beschränkt.
√
√
e) Zeigen Sie, dass limn→∞ an = q. (Warum nicht − q?)
Die Idee des Iterationsverfahrens
Wir haben jetzt gesehen, dass das Verfahren zur iterativen Berech√
nung von q funktioniert. Es ist noch nicht so klar, wie man auf
die Idee dazu kommt. Das wollen wir jetzt ansehen, erst an einem
Beispiel und dann allgemein.
√
a) Im Folgenden soll ein Näherungswert für a = 18 berechnet
werden. Da 42 = 16 und 52 = 25 kann zu Beginn festgehalten
werden, dass 4 < a < 5 gilt. Somit setzt man a0 = 4 und weiter
an:
√
18 = 4 + r1
,
0 < r1 < 1
Wegen 4.52 = 20.25 > 18 gilt sogar r1 < 0.5.
Fortsetzung auf der nächsten Seite
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 9 Anwendung: Babylonisches Wurzelziehen
a) Zur Bestimmung von r1 wird quadriert:
18 = 16 + 8r1 + r12 .
Da |r1 | < 0.5, ist r12 „sehr viel kleiner“ als 8r1 und auch „sehr
viel kleiner als“ 16. noch kleiner ist vernachlässigt werden
kann. Dann gilt näherungsweise:
18 ≈ 16 + 8r1
,
also
r1 ≈
18 − 16
1
=
.
8
4
Also setzt man a1 = a0 + r1 = 4 + 0.25 = 4.25 und macht weiter
mit
√
18 = 4.25 + r2
,
85
Das hier gebrachte
Argument ist mathematisch nicht
wasserdicht, aber
eine sehr nützliche
Überlegung, die einen
auf den richtigen
Weg bringt. Natürlich
ersetzt das nicht den
Konvergenzbeweis,
aber solche Überlegungen sind wichtige
Ideengeneratoren.
|r2 | < 1 .
Nun wiederholt man den Trick von oben und erhält
18 ≈ 18.0625 + 8.5r2
,
also r2 ≈
18 − 18.625
≈ 0.00735 .
8.5
Man setzt a2 = a1 + r2 = 4.2426 (hier wird nochmal gerundet)
mit a22 = 17.9997. Das kann man zufriedenstellend finden oder
weiter machen.
b) Jetzt die allgemeine Version des Arguments: Ist q > 0 und hat
√
man einen (vermutlich) guten Näherungswert a0 für q, so
setzt man an
a1 = a0 + r1
mit zu bestimmendem r1 . Man hätte gerne a21 = q, also
q = ( a0 + r1 )2 ≈ a20 + 2a0 r1
Also
r1 =
q − a20
2a0
,
,
a1 =
da r12 „klein“.
q + a20
2a0
und das ist der Anfangsschritt des Iterationsverfahrens. Sie
kennen das vielleicht aus einem anderen Zusammenhang: Dies
ist gerade das Newton-Verfahren zur Nullstellenbestimmung
einer quadratischen Funktion.
1. Warum spricht man hier vom „babylonischen“ Wurzelziehen? Dazu
müsste doch Information zu finden sein.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Aufgabe
87
Kapitel 10
Näherungswerte für die
Kreisfläche
Es wird gesagt, dass die alten Griechen keinen Grenzwertgebriff hatten. Das scheint richtig zu sein, aber das hat sie nicht daran gehindert,
beliebig gute Näherungswerte für die Kreisfläche (also effektiv für π)
anzugeben und - in heutiger Sprache - Folgen zu konstruieren, deren
Grenzwert gleich π ist. Die Idee wird Archimedes zugeschrieben; sie
besteht darin, einem Kreis regelmässige 2n -Ecke mit wachsendem n
einzubeschreiben. Die Flächen dieser Polygone konvergieren (anschaulich gesehen) gegen die Kreisfläche. Wir kürzen die Argumentation an
einigen Stellen ziemlich zusammen und verwenden auch mal ungeniert die trigonometrischen Funktionen Sinus und Cosinus (die den
alten Griechen nicht bekannt waren), um auf schnellerem Weg zum
Ziel zu kommen.
Einstieg
Die folgende Vorüberlegung aus der Trigonometrie wird uns die weitere Darstellung erheblich erleichtern.
Trigonometrische
Grundlagen
Etwas Trigonometrie:
Gegeben ist ein gleichschenkliges Dreieck mit Schenkellänge
r und Öffnungswinkel α; seine Fläche wird mit F1 bezeichnet.
Weiter ist gegeben ein gleichschenkliges Dreieck mit Schenkellänge r und Öffnungswinkel α2 ; seine Fläche wird mit F2 bezeichnet.
Dann gilt:
s
p
α
2 sin( 2 )
2F2
1 − 1 − sin2 α
=
=2
>1
F1
sin α
2 sin2 α
1. Beweisen Sie die Aussage oben. Ein bisschen Hilfe kriegen Sie:
i) Dass 2F2 > F1 , ist aus einer einfachen Skizze ersichtlich.
ii) Drücken Sie Grundseite und Höhe des Dreiecks mit Scheitelwinkel α durch α und r aus. (Tipp: Rechtwinklige Dreiecke,
Formeln benutzen.) Als Ergebnis sollten Sie F1 = 12 r2 sin α erhalten.
Additionstheoreme:
sin(2β) q
= 2 sin β cos β
1−cos 2β
sin β =
2
sin2 β + cos2 β = 1
Übungsaufgabe
88
Kapitel 10 Näherungswerte für die Kreisfläche
iii) Damit können Sie die erste Gleichung bestätigen.
iv) Die zweite Gleichung erhalten Sie durch kreatives Herumschaufeln mit der Formelsammlung.
(Wegweiser: Sie wollen sin( α2 ) loswerden.)
Flächenberechnung
Viertelkreis
Jetzt können wir eine Folge angeben, deren Grenzwert dem Flächeninhalt des Viertelkreises entspricht:
Eine Folge zur Flächenberechnung eines Viertelkreises
Wir starten nun mit einem gleichschenklig-rechtwinkligen Dreieck
(also α1 = π2 ), setzen allgemein αn = 2πn und definieren gn :=
sin αn . Dann gilt
s
p
1 − 1 − gn2
g n +1
.
g1 = 1,
=
gn
2 gn2
Jawoll: Wir sind den
Sinus wieder los!
Man hat also eine Rekursionsformel für die gn . Bezeichnet An die
Fläche des "Viertel-2n -Ecks", welches dem Viertelkreis einbeschrieben ist, so ergibt sich:
r2
A1 =
2
,
A n +1 = 2 ·
g n +1
· An
gn
Übungsaufgabe
2. Vollziehen Sie alle Schritte der Überlegung im letzten Kasten nach.
Flächenberechnung
Einheitskreis
Nun ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Berechnung der Fläche des
Einheitskrieses und damit der Kreiszahl π.
Verfahren zur Berechnung der Fläche des Einheitskreises (r = 1)
Die rekursiv definierte Folge der An , mit A1 = 1/2, ist monoton
wachsend und (durch die Fläche eines Viertelkreises mit Radius
1) nach oben beschränkt. Also konvergiert sie gegen die Fläche
eines Viertelkreises vom Radius 1.
Übungsaufgabe
Exkurs
3. Diese Argumentation hat ziemlich viele Löcher. Finden Sie zumindest die wesentlichen. (Stopfen werden wir sie aber nicht.)
Kreisberechnung nach Archimedes
Archimedes war viel besser! Archimedes hat nicht nur eine Folge
einbeschriebener 2n -Ecke (mit monoton wachsender Flächenfolge)
betrachtet, sondern auch noch eine Folge umbeschriebener 2n Ecke (mit monoton fallender Flächenfolge) und gezeigt, dass die
Differenz der umbeschriebenen und einbeschriebenen Polygonflächen mit wachsendem n beliebig klein wird. (Wenn man mal den
Konvergenzbegriff hat, konvergieren also beide Flächenfolgen gegen den selben Grenzwert. Nun besteht kein vernünftiger Zweifel
mehr, dass der Grenzwert die Kreisfläche ist.
Archimedes
ca. 287−212 v.Chr.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 10 Näherungswerte für die Kreisfläche
89
(A) Nun rechnen wir mal: Wir haben g1 = 1 und die Rekursionsformel
ergibt unter Berücksichtigung von vier Nachkommastellen:
r √
q
1− 1− g12
g2
1
=
=
g1
2 = 0.7071
2 g2
Beispiel
1
g3
g2
g5
g4
r
=
r
=
1−
1−
√
1− g22
2 g22
= 0.5412
g4
g3
= 0.5194
g6
g5
r
=
√
1− g42
2 g42
r
=
1−
1−
√
1− g32
2 g32
= 0.5212
√
1− g52
2 g52
= 0.5192
Die genäherten Kreisflächen sind nun (bei Radius 1) wie folgt:
4A1 = 2 r2
g
4A2 = 2 g12 · 4A1 = 2 · 0.7071 · 2 = 2.8284
g
4A3 = 2 g32 · 4A2 = 2 · 0.5412 · 2.8284 = 3.0615
4A4 = 2
g4
g3
· 4A3 = 2 · 0.5212 · 3.0615 = 3.1912
Die Folgen der Rechenungenauigkeit
Da haben Ihnen Ihre Lehrerinnen und Lehrer immer eingetrichtert, dass π = 3.14159usw, und da oben steht π > 3.19. Was nun?
Es liegt wieder ein Fall von Problemen mit der Rechengenauigkeit
und Rechnergenauigkeit vor: Die gn werden zusehends kleiner,
und die Folge ihrer Quotienten nähert sich 1/2, aber zur Flächenberechnung kommt im Effekt eine Multiplikation mit 2n (oder so)
hinzu. Auch kleine Rundungsfehler bei den gn können sich so
stark auf die Verfälschung es Ergebnisses auswirken. (Und Rundungsfehler entstehen leicht bei der Abfolge von Quadrieren und
Wurzelziehen mit kleinen Zahlen.) Wenn Sie Lust haben, gehen
Sie der Sache mit verbesserter
nach, und verbessern
q Genauigkeit
p
Sie die Formel zu gn+1 = (1 − 1 − gn2 )/2. Können Sie sehen,
dass dies eine Verbesserung ist? Das Problem des Teilens durch
kleine Zahlen bleibt aber noch. Wenn Sie solche Dinge interessant
finden, haben Sie vermutlich ein Herz für die Numerische Mathematik.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Achtung!
Was stimmt hier
nicht?!
Exkurs
91
Kapitel 11
Populationsmodelle
Die Entwicklung der Grösse von Populationen wird oft durch Folgen
beschrieben oder auch modelliert. Man betrachtet zum Beispiel die
Populationsgrösse in festen Zeitabständen: In der folgenden Tabelle
ist die Entwicklung der US-amerikanischen Bevölkerung von 1930 bis
1960 abgebildet.
Jahr
Pop./1000
1930
122988
1935
127252
1940
131684
1945
131976
1950
151345
1955
164301
Einstieg
1960
179990
Man versucht nun - neben einer rein deskriptiven Darstellung - auch
eine Erklärung für die Entwicklung zu finden, also im Idealfall eine Gesetzmässigkeit anzugeben, welche eine Prognose gestattet. Wir machen
also jetzt ein bisschen mathematische Modellierung.
Als ersten Schritt zur Modellierung von Populations-Entwicklungen
brauchen wir eine mathematische Darstellung der Verhältnisse.
Populationsbilanzen
Wir wählen uns feste Zeitschritte (Tage, Jahre, . . .), die wir mit
t = 0, 1, 2, . . . bezeichnen, und betrachten die jeweilige Grösse
Pt der Population. Hier legen wir fest, dass Pt proportional zur
Anzahl der Individuen in der Population ist (also z.B. auch in
Tausenden, Millionen oder bei Mikroben durch die Gesamtmasse
gemessen werden kann). Dann hat man die Bilanzgleichung
Pt+1 − Pt = Geburten − Todesfälle
bezogen auf den Zeitraum zwischen t und t + 1. (Die Geburten
und Todesfälle sind ggf. auch mit der vorgegebenen Proportionalitätskonstante zu multiplizieren.) Die Bilanzgleichung ist reine
Buchhaltung; darin ist noch keine Annahme und kein Erklärungsansatz enthalten.
PopulationsBilanzen
92
Das
Malthus-Modell
Kapitel 11 Populationsmodelle
Ein frühes Populationsmodell wurde bereits Anfang des 19. Jahrhunderts in Großbritannien entwickelt.
Das Malthus-Modell
Nimmt man an, dass sowohl die Anzahl der Geburten wie auch
die Anzahl der Todesfälle im betrachteten Zeitraum proportional
zur Populationsgrösse Pt ist (Proportionalitätsfaktoren a > 0 bzw.
b > 0), so wird die Bilanzgleichung zu
Pt+1 − Pt = a · Pt − b · Pt ,
Pt+1 = q · Pt ,
Thomas Malthus
1766 − 1834
Übungsaufgaben
also
mit q = 1 + a − b.
Das Malthus-Modell führt also auf eine geometrische Folge mit
Parameter q.
1. Begründen Sie, dass q > 0.
2. Beschreiben Sie das Verhalten der Folge ( Pt )t>0 für t → ∞, in
Abhängigkeit von q.
3. Ist die Entwicklung der US-Bevölkerung (siehe Einstieg) mit dem
Malthus-Modell gut zu beschreiben? Können Sie Abweichungen
ggf. begründen?
Beispiel
(A) Beispiel für eine Population (mit getrennten Generationen und
einem starren Lebenszyklus) liefert eine Eintagsfliegenpopulation,
die in einem Labor untersucht wird. Allgemein ist zu sagen, dass
eine weibliche, fortplanzungsfähige Eintagsfliege in der kurzen
Lebensdauer (etwa 2-4 Tage) begattet wird und ihre Eier im Flug
auf einer Wasseroberfläche ablegt. In dieser Lebensphase nimmt
sie keine Nahrung mehr auf und stirbt. Die Larven der Eintagsfliege verbringen jedoch bis zu drei Jahre unter Wasser, während
derer sie sich mehrmals häuten, bevor sie das Wasser verlassen
und geschlechtsreif werden.
Im Labor wird das Larvenstadium in einem Inkubator durchlaufen und die Muttertiere werden nach der Eiablage von dem
Laich getrennt. Dadurch verhindert man eine Überlappung der
Generationen.
Im Folgenden wird angenommen, dass eine weibliche Eintagsfliege im Mittel 6000 Eier legt (europäische Gemeine Eintagsfliege),
von denen im Mittel 50 weibliche Larven das Fortpflanzungsalter erreichen und sich fortpflanzen können. Stellt man diese
Population nun durch das Malthus-Modell dar, so nimmt man
vereinfachend an, dass die Anzahl von Nachkommen für jede geschlechtsreife weibliche Eintagsfliege gleich 50 sei und zu Beginn
der Beobachtungen P0 = 500 geschlechtsreife Fliegen vorhanden
sind. Die Betrachtung der Population beschränkt sich hierbei nur
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 11 Populationsmodelle
93
auf die weiblichen Tiere. Ebenso wird angenommen, dass die Larven nach einem Jahr geschlechtsreif sind und dass alle weiblichen
Tiere zur gleichen Zeit Eier legen, sodass keine Überschneidungen vorliegen. Die Anzahl der Fliegen wächst somit immer nach
einem Jahr an. (Im Labor lassen sich die Umstände entsprechend
kontrollieren!) Die Individuenanzahl im t + 1-ten Jahr ergibt sich
aus dem vorherigen t-ten Jahr durch:
Pt+1 = 50Pt .
Es liegt also eine geometrische Folge vor. Man kann nun feststellen, dass die Population nach diesem Modell über alle Grenzen
wächst. (Die geometrische Folge divergiert bestimmt gegen ∞.)
Eine Illustration dazu wird in der folgenden Aufgabe geliefert.
Deshalb ist das Modell für grosse Populationen unrealistisch. Die
Begrenzung des Lebensraums, der Nahrungsvorräte etc. bremst
das Wachstum der Population. Dies wird auf verschiedene Weisen
in realistischeren Modellgleichungen berücksichtigt.
1. Wie lange würde es in dem obigen Beispiel mit dem Malthus-Modell
dauern, bis die ganze Erde nur noch aus Eintagsfliegen besteht?
(Die Erde wiegt etwa 6 · 1024 kg, das Gewicht einer Eintagsfliege
können Sie selbst schätzen.)
Übungsaufgabe
Bevor wir weitere Modelle betrachten, wollen wir uns unter der Vielzahl möglicher Generationenabfolgen und Verteilung von Nachkommen - der Einfachheit halber - auf eine der einfachsten einschränken.
Idealisierung des
Populationsmodells
Spezielle Annahmen über das Populationsmodell
Wir gehen im Folgenden von Populationen aus, die folgende
(idealisierende) Bedingungen erfüllen:
• Die Generationen sind getrennt, d.h. die Elterngeneration ist
ausgestorben, wenn die Tochtergeneration in das
fortpflanzungsfähige Alter kommt.
• Aus jedem fortpflanzungsfähigen Individuum geht die
gleiche Anzahl von Nachkommen hervor; diese Anzahl ist
nur von der Grösse der Gesamtpopulation abhängig.
Man hat also die Bilanzgleichung
Pt+1 = Geburten
,
Anzahl abhängig von Pt .
In jedem Fall hat man also eine rekursiv definierte Folge, welche
die Entwicklung beschreibt.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
94
Exkurs
Das Beverton-HoltModell
Kapitel 11 Populationsmodelle
Zur Realitätsnähe der Idealisierung
Die Annahme getrennter Generationen ist für einjährige Pflanzen,
Insekten etc. recht gut erfüllt. Die Annahme, dass die Nachkommenzahl nur vom Zustand der Population abhängt, bedeutet zum
einen konstante Umweltbedingungen und zum anderen vernachlässigbaren Einfluss der Wechselwirkung mit anderen Spezies.
Das ist nicht immer der Fall: So sind für Insekten natürlich die
Temperaturen im Winter vor dem Schlüpfen wesentlich, und für
Beutetiere macht es einen grossen Unterschied, ob viele oder wenige Räuber präsent sind. Wir betrachten also eine sehr einfache
Idealsituation. Im Malthus-Modell ist die Geburtenzahl proportional zu Pt .
Auf das folgende Modell wurde bereits in Kapitel 7 (S. 74 f.) eingegangen.
Das Beverton-Holt-Modell
Dieses Modell stellt eine modifizierte Version des MalthusModells dar und beinhaltet einen Faktor, der das Wachstum der
Population begrenzt. Die Grösse der Population wird durch eine
rekursive Folge beschrieben; deren Darstellung lautet:
Pt+1 =
q Pt
,
1 + Pt /K
q > 0, K > 0.
Die aus dem Malthus-Modell bekannte Konstante q für den Vermehrungsfaktor wird nun also ersetzt durch
q
1 + Pt /K
Mit wachsendem Pt nimmt dieser Faktor ab.
Exkurs
Aufgabe
Zur Entstehung des Beverton-Holt-Modells
Beverton und Holt haben ihr Modell für Fischpopulationen (in
Zuchtteichen) entworfen. Dabei ging es ihnen vor allem um die
Frage der optimalen Aufzucht und Befischung, welche wir hier
nicht diskutieren wollen. Der Korrekturfaktor (1 + Pt /K )−1 zur
Berücksichtigung begrenzten Lebensraums wurde “experimentell”
gefunden und erwies sich in vielen Situationen als adäquat. (Die
Konstanten q und K werden dann aus Populationsdaten für die
ersten Generationen bestimmt.
1. Es seien folgende Grössen gemessen worden (je in Tausend):
P0 = 5, P1 = 7, P2 = 8.
Wie müssen die Konstanten q und K gewählt werden, wenn die
Populationsentwicklung dem Beverton-Holt-Modell gehorcht?
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 11 Populationsmodelle
95
Kommen wir zurück zu den mathematischen Eigenschaften des Modells.
Verhalten der Populationsgrösse im Beverton-Holt-Modell
Gegeben seien positive Konstanten q und K und die rekursiv
definierte Folge mit Vorschrift
Pt+1 =
q Pt
,
1 + Pt /K
Mathematik des
Beverton-HoltModells
P0 > 0.
Dann gilt:
(a) Falls q 6 1, so ist die Folge konvergent mit limt→∞ Pt = 0.
(b) Falls q > 1, so ist die Folge konvergent mit
lim Pt = P∗ := K · (q − 1).
t→∞
(Biologisch interpretiert: Im Fall (a) stirbt die Population aus, im
Fall (b) stellt sich ein positives Gleichgewicht ein.)
Wir wollen das nun beweisen.
3. Zeigen Sie der Reihe nach Folgendes:
i) Falls der Grenzwert limt→∞ Pt existiert, so ist er im Fall q 6 1
gleich 0 und im Fall q > 1 entweder gleich 0 oder gleich P∗ .
ii) Im Fall q 6 1 ist die Folge für jeden positiven Anfangswert
monoton fallend. Also konvergiert sie gegen 0.
iii) Im Fall q > 1 gilt: Ist P0 > P∗ , so fällt die Folge monoton. Ist
0 < P0 < P∗ , so wächst die Folge monoton. In beiden Fällen
konvergiert sie gegen P∗ .
In diesem Modell liefert also die Mathematik eine solide Prognose
für die Entwicklung der Population. Betrachten wir noch kurz ein
anderes: Das Ricker-Modell, das ebenfalls bereits in Kapitel 7 erwähnt
wurde (siehe S.75).
Das Ricker-Modell
Wie das Beverton-Holt-Modell ist das Ricker-Modell ursprünglich
für Fischpopulationen entwickelt worden und stellt eine Modifikation des Malthus-Modells dar. Die Rekursionsgleichung des
Ricker-Modells lautet
Pt+1 = qPt e−k· Pt ,
q > 0, k > 0 Konstanten
wobei nur positive Startwerte interessieren. Wir sprechen auch
von Ricker-Folgen.
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Probleme und
Anwendungen
Tipp: Das letzte Beispiel und die letzte
Übungsaufgabe aus
Abschnitt 8 können als
Leitlinie dienen. Dort
steht eine Beverton-HoltGleichung mit konkreten
Zahlenwerten.
Das Ricker-Modell
96
Exkurs
Kapitel 11 Populationsmodelle
Unterschiede der beiden Modelle
Diese Modifikation unterscheidet sich wesentlich von derjenigen
beim Beverton-Holt-Modell. Beim Beverton-Holt-Modell führt
eine grössere Individuenanzahl in der Elterngeneration stets zu
einer grösseren Individuenanzahl in der Filialgeneration. Beim
Ricker-Modell ist dies nicht mehr unbedingt der Fall: Wegen
lim x · e−kx = 0 (wir borgen hier mal einen Grenzwert aus dem
"normalenÜnterricht, ohne weiter darüber zu philosophieren)
wird Pt+1 sehr klein, wenn Pt gross ist. Das macht die Analyse
deutlich schwieriger, das Verhalten aber - wenigstens für Mathematiker - deutlich interessanter.
Je nach Wahl von k, q und P0 kann es zu sehr unterschiedlichem
Konvergenzverhalten Verhalten der Folgen kommen. Eine tiefergehende Analyse werden
der Ricker-Folge
wir hier nicht durchführen können. Immerhin halten wir fest:
Die zweite Aussage können wir nicht
beweisen (vgl. Kap. 7).
Übungsaufgaben
Konvergenzverhalten der Ricker-Folge
Die Ricker-Folge konvergiert gegen 0, falls q 6 1. Falls q > 1 und
lnq
die Ricker-Folge konvergiert, ist der Grenzwert gleich k .
1. Weisen Sie die erste Aussage zur Ricker-Folge nach.
2. Zum Abschluss sollen Sie mit Hilfe des Rechners das Verhalten
der Populationen für einige Generationen verfolgen. Probieren Sie
folgende Kombinationen für die Konstanten aus, um zu sehen, wie
sich die Population nach dem Ricker-Modell entwickelt. Berechnen
Sie jeweils die Zahl der Indivuen für die ersten zehn Generationen
nach dem Ricker-Modell mit folgenden Konstanten:
a) P0 = 10, q = 1.5, k = 0.01. Berechnen Sie P∗ . Tragen Sie Pt gegen
t auf. Was fällt auf?
b) Wiederholen Sie Aufgabe (a) für P0 = 100, q = 1, k = 0.01.
c) Wiederholen Sie Aufgabe (a) für P0 = 10, q = 2, k = 0.4.
d) Wiederholen Sie Aufgabe (a) für P0 = 1, q = 10, k = 0.4.
e) Wiederholen Sie Aufgabe (a) für P0 = 1, q = 10, k = 2.7.
f) Wählen Sie Ihre eigenen Werte und experimentieren Sie damit.
(Tipp: Grosses q macht die Sache interessanter. Natürlich müsste
man auch nach der Zuverlässigkeit von Rechnern bei solchen
Experimenten fragen.)
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Kapitel 11 Populationsmodelle
97
Hier werden die wichtigsten Inhalte der letzten drei Kapitel zusammengefasst, die allesamt wichtige Anwendungen des Themas Folgen
und Reihne betreffen.
Gegeben sei eine positive reelle Zahl q. Die rekursiv definierte
Folge mit (beliebigem) Startwert a0 > 0 und
a n +1
konvergiert gegen
√
1
=
2
q
an +
an
=
Wissensspeicher
Berechnung von
Quadratwurzeln
a2n + q
2an
q.
Mittels Näherung durch eine immer größere Zahl gleichschenkliger Dreiecke findet man für den Flächeninhalt des Einheitskreises
folgende rekursiv definierte Folge:
A1 = 4 ·
1
2
,
A n +1 = 2 ·
wobei
g1 = 1
,
g n +1
=
gn
s
1−
Berechnung der
Kreisfläche
g n +1
· An
gn
p
1 − gn2
.
2 gn2
Diese Folge ist monoton wachsend und (durch die Fläche des
Einheitskreises) nach oben beschränkt. Also konvergiert sie gegen
die Fläche π des Einheitskreises.
Das Malthus-Modell: Sind sowohl die Anzahl der Geburten wie
auch die Anzahl der Todesfälle im betrachteten Zeitraum proportional zur Populationsgrösse Pt (Proportionalitätsfaktoren a > 0
bzw. b > 0), so gilt:
Pt+1 − Pt = a · Pt − b · Pt ,
Pt+1 = q · Pt
,
also
mit q = 1 + a − b
Das Beverton-Holt-Modell: Dieses Modell beinhaltet einen Faktor, der das Wachstum der Population begrenzt. Die Grösse der
Population wird durch folgende rekursive Folge beschrieben:
Pt+1 =
q Pt
1+
Pt
K
,
q > 0, K > 0 Konstanten
Das Ricker-Modell Bei diesem Modell hat eine größere Elterngeneration nicht mehr notwendig eine größere Filialgeneration zur
Folge:
Pt+1 = qPt e−k· Pt , q > 0, k > 0 Konstanten
MPAC: S. Walcher, K. Helmin, J. Heitzer
Populationsmodelle
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