Zielprioritäten der Abfallpolitik zwischen Staat und Markt Stefanie Mangel Martina Cwojdzinski Hauptseminar zur Umweltökonomik, Prof. Dr. Gerd-Jan Krol (IÖB), Dr. Robert Malina (IVM) Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Wintersemester 2007/2008 Gliederung 1. Begrifflichkeiten der Abfallpolitik 1. 2. 3. 2. 3. Marktwirtschaftliche Grundlagen der Abfallpolitik Begründungen für eine spezielle Abfallpolitik 1. 2. 4. 5. 6. Definition Abfall Abfallaufkommen Abfallentsorgung Normativ Über Marktversagen Entwicklung gesetzlicher Grundlagen und Ziele der Abfallpolitik Die Verpackungsverordnung Fazit 1 Begrifflichkeiten der Abfallpolitik Definition Abfall • Nach KrW-/AbfG v. 27.09.1994, § 3 Art. 1 sind Abfälle: „…alle beweglichen Sachen, die unter der in Anhang I aufgeführten Gruppen fallen und deren sich der Besitzer entledigen will oder entledigen mu[ss]. Abfälle zur Verwertung sind Abfälle, die verwertet werden; Abfälle, die nicht verwertet werden, sind Abfälle zur Beseitigung.“ 2 Abfallgruppen nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz Quelle: VerpackV (1998), Anhang I. Erhaltung der Materie /Entropiebegriff Das Naturwissenschaftliche Gesetz der Thermodynamik besagt: 1. Hauptsatz: Energie ist einem geschlossenen System konstant, kann also weder erschaffen, noch vernichtet werden. 2. Hauptsatz: Energie wird bei physischen Vorgängen von nutzbaren (niedrige Entropie) in nicht nutzbare Zustände (hohe Entropie) umgewandelt. 3 Abfallaufkommen 2005 Abfallaufkommen 2005 4 Abfallaufkommen 2002-2005 Quelle: http://www.destatis.de, (04.11.2007) Abfallentsorgung /Abfallwirtschaft Abfallentsorgung • Umfasst die Verwertung und Beseitigung von Abfällen (Recycling, Deponierung) • „End-of-the-pipe-Strategie“ Abfallwirtschaft • Gesamtheit aller Maßnahmen, die zur Vermeidung und Entsorgung von Abfällen durchgeführt werden • Umfassendes Konzept vor- und nachsorgender Abfallpolitik 5 Vermeidung, Verwertung, Beseitigung Vermeidung • Anbieter können bestimmte Materialen bei der Produktherstellung ersetzen • Nachfrager können Produkte länger nutzen oder auf wenig Abfall erzeugende Produkte umsteigen Verwertung • Abfälle werden einer neuen Nutzung zugeführt • Wiederverwertung, stoffliches bzw. energetisches Recycling • Anbieter können verwertbare Stoffe in Produktion einsetzen • Nachfrager können solche Produkte kaufen und nach Nutzung der Verwertung zuführen Beseitigung • Erfolgt in Deutschland durch Deponierung und Verbrennung Marktwirtschaftliche Grundlagen der Abfallpolitik 6 Abfallentsorgung über den Marktmechanismus • Aus A und NF ergeben sich: – pB = Beseitigungspreis – xB = Abfallmenge, die periodisch beseitigt wird • Abfallerzeuger, die Preis nicht zahlen wollen/können à Verwertung o. Vermeidung (Quelle: Hecht/Werbeck 1998, S. 241) • Erhöhung von N1 auf N2 à Beseitigungspreis steigt à xB* wird zu PB* beseitigt • Durch steigenden Preis wird nicht die gesamte zusätzliche Menge beseitigt à wg. höherer Preise wird sie zum Teil auch vermieden o. verwertet Entscheidungen/ Verhalten von Konsumenten & Produzenten • Voraussetzung – Idealtypisch funktionierende Abfallwirtschaft = Effiziente Regulierung von Vermeidung, Verwertung, Beseitigung über Marktpreise • Rationales Handeln – Abwägung von Vor- & Nachteilen von Vermeidung, Verwertung, Beseitigung • Verhaltensregeln in marktwirtschaftlichen Abfallwirtschaft: – Vermeidung: • eingesparte Kosten + evtl. zusätzliche Erlöse > Grenzvermeidungskosten – Verwertung: • Summe der zusätzlichen Erlöse > Summe der Mehrkosten • Anreiz zur Verwertung größer, je knapper/teuerer c.p. die Rohstoffe & Abfallbeseitigungsmöglichkeiten sind 7 Beispiel: Kosten-/Nutzenkalkulation bzgl. Verwertung + eingesparte Ausgaben der Beseitigung - Kosten der Sammlung, Sortierung und des Transports der Abfälle - Kosten der Aufbereitung der Abfälle - Kosten des Absatzes der aufbereiten Abfälle + Erlöse aus dem Absatz bzw. der Selbstverwendung der aufbereiteten Abfälle _______________________________________________________________________________________________________________________________________ ≤ 0 oder ≥ 0 ? Marktwirtschaftliche Zielprioritäten der Abfallpolitik • Effiziente Abfallentsorgung über den Preis-Mengen-Mechanismus des Marktes • Rationales Verhalten der Subjekte der Abfallwirtschaft 8 Begründungen für eine spezielle Abfallpolitik Normativ & über Markversagen Normative Begründungen einer speziellen Abfallpolitik Allgemein: Normative Begründungen… • …stellen nicht die Funktionsfähigkeit der Marktkoordination in Frage • …sehen die aus der Marktkoordination resultierenden Ergebnisse in Frage à Ergebnisse im Widerspruch • zu politisch gewünschtem Sollzustand bzw. • zu Zielen der Abfallpolitik 9 Normative Begründungen einer speziellen Abfallpolitik Sicherheitspolitische Begründungen • Problem der Ressourcenabhängigkeit – Mehr Abfallvermeidung & -verwertung = Schonung von wenig vorhandenen Ressourcen = weniger Ressourcenimport = weniger politische Abhängigkeiten – Staatl. Eingriffsmöglichkeiten: z.B. Verwendungsverbote oder Anreize zur Reduzierung/Substitution der entsprechenden Rohstoffe • Problem der Exportabhängigkeit – Politische Abhängigkeiten gilt es zu vermeiden – Staatl. Eingriffsmöglichkeiten: z.B. Verbot der Grenzüberschreitung oder Zuweisung von Abfallproduzenten zu Entsorgungskapazitäten nach bestimmten Einzugsgebieten Verteilungspolitische Begründungen • Abfallexport gefährdet Nachfrage nach heimischen Beseitigungsanlagen & somit deren Rentabilität Begründungen einer speziellen Abfallpolitik über Marktversagen Allgemein: Begründungen über Marktversagen… • …stellen Funktionsfähigkeit der Marktkoordination in Frage • Angebot & Nachfrage tendieren nicht zum optimalen Gleichgewicht • Ansatzpunkte: – Marktversagen durch negative externe Effekte – Marktversagen durch Freifahrerverhalten – Marktversagen durch hohe Transaktionskosten 10 Begründungen einer speziellen Abfallpolitik über Marktversagen Marktversagen durch negative externe Effekte • Volkswirtschaftliche Kosten > privatwirtschaftliche Kosten der Abfallproduzenten = Externe Kosten Dritter bleiben unberücksichtigt • Folge: zu hohe Beseitigungsmengen aufgrund zu niedriger Beseitigungspreise = zu wenig Vermeidung und Verwertung wg. ungenügender Anreize • Beispiele neg. ext. Effekte: – Neg. Beeinträchtigungen der Gesundheit, des Landschaftsbildes, Gewässerqualität – Imageverluste von Gemeinden, die Deponiestandorte sind, Minderung von Grundstückspreisen etc. • Staatl. Eingriffsmöglichkeiten zur Internalisierung: – z.B. Emissionsrichtlinien/-grenzwerte, Lizenzen, Abgaben, Auflagen (Ge-/ Verbote), … Begründungen einer speziellen Abfallpolitik über Marktversagen Marktversagen durch Freifahrerverhalten • Gründe für Freifahrerverhalten – Kollektivgutproblematik (Umweltmedien Luft, Wasser, Boden + Deponien) – Auseinanderfallen von Nutzen- & Kostenträgern • Folgen: Akzeptanzkrise & Entsorgungsnotstand • Staatl. Eingriffsmöglichkeiten: Staat sorgt z.B. über Planfeststellungsverfahren dafür, dass trotzdem neue Entsorgungskapazitäten gebaut werden 11 Begründungen einer speziellen Abfallpolitik über Marktversagen Marktversagen durch Transaktionskosten • Marktmechanismus setzt keine Anreize zur Vermeidung & Verwertung = es verwerten & vermeiden nicht diejenigen, die es am kostengünstigsten können • Grund: hohe Transaktionskosten für Informations-, Durchführungs- und Kontrollprozesse • Staatl. Eingriffsmöglichkeiten: Rücknahmeverpflichtungen, Ver-/ Gebote auf Produktion-/ Vertriebs-/ Nutzungsebene Entwicklung der Abfallpolitik gesetzliche Grundlagen und Ziele 12 Gesetzliche Entwicklung • Das Abfallbeseitigungsgesetz von 1972 • Das Abfallgesetz von 1986 • Das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz 1994 Abfallbeseitigungsgesetz von 1972 • Fokus auf Beseitigung zunehmender Abfallmengen • Einsammeln, Befördern, Behandeln, Lagern und Ablagern von Abfällen • Gefährdungspotential von Sonderabfällen noch nicht bekannt • drei Novellen/Änderungsgesetze 13 Abfallgesetz von 1986 • Gesetz über Vermeidung und Verwertung von Abfällen • Vorrang für Vermeidung vor Verwertung vor Beseitigung • Forderung nach „ökologischer Ressourcenbewirtschaftung“ • Planung von modernen Deponien, da immer weniger Deponieraum • Umdenken: „Abfallentsorgung“ statt „Abfallbeseitigung“ Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz 1994 • Gesetz zur Vermeidung von Rückständen, Verwertung von Sekundärrohstoffen und Entsorgung von Abfällen • „Abfallrecht der dritten Generation“ • Harmonisierung des nationalen Abfallrechts mit EGRichtlinien • Eintritt in die Kreislaufwirtschaft 14 Kreislaufwirtschaft • Konzept der Nachhaltigkeit • Positive Effekte auf Schutz von Böden, Gewässern, Klima und Gesundheit • Abfallhierarchie: Vermeiden, Verwerten, Beseitigen • Produzenten / „Inverkehrbringer“ tragen Produktverantwortung • Verbraucher sollten durch umweltbewusstes Verhalten die Kreislaufwirtschaft unterstützen • Handlungsziel 2020 Quelle: http://www.umweltbundesamt.de, (04.11.2007) 15 Abfallhierarchie Ziel 2020 Abfallpolitik am Beispiel der Verpackungsverordnung 16 Verpackungsverordnung von 1991 • Reaktion auf hohen Stellenwert der Verpackungsabfälle im Hausmüll • Ziele: Reduzierung des Verpackungsmüllaufkommens & Abkehr von der Wegwerfgesellschaft • Rücknahme- und Verwertungspflichten für die Verpackungsindustrie werden eingeführt • Selbstentsorger oder Duale Systeme (Der Grüne Punkt) • Verwertungsquoten bis 31.12.2008: Duales System Deutschland • Seit der Einführung Anfang der neunziger Jahre bereits 79,4 Mio. Tonnen Verpackungsabfälle eingesammelt und davon 68 Mio. Tonnen verwertet • Organisiert bundesweit die Rücknahme von Verpackungen in Gelben Säcken • Wettbewerber „Landbell AG“ und „ISD Interseroh GmbH“ 17 Duales System Deutschland Fünfte Novelle • Fünfte Novelle der Verpackungsverordnung wurde am 19. September 2007 vom Bundeskabinett beschlossen • Warten auf Zustimmung von Bundestag und Bundesrat • Zukünftig sollen alle Verpackungen, die an den privaten Endverbraucher gelangen, lizenziert werden • Änderungsverordnung richtet sich gegen „Trittbrettfahrer“ • Ziel: Ein klarer Rahmen für den Wettbewerb bei der Sammlung und Verwertung von Verpackungsabfällen 18 Streitfall „Brötchentüte“ • Fünfte Novelle der Verpackungsverordnung schließt Lebensmittelhandwerk (Bäcker) mit ein • Brötchentüten sollen in Zukunft mit einer Entsorgungsabgabe für ein Duales System belastet werden • Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks protestiert Streitfall „Brötchentüte“ • Bäcker sammeln 175.000 Kundenunterschriften • Übergabe am 25.10.2007 an den Parlamentarischen Staatssekretär Hartmut Schauerte vor dem Bundeswirtschaftsministerium 19 Fazit • Staatliche Abfallpolitik ist normativ oder über Marktversagen zu begründen • Deutsche Abfallpolitik agiert nach Prinzip der Kreislaufwirtschaft & zielt auf Stoffstromwirtschaft • Abfallpolitische Maßnahmen sind ein Balanceakt zwischen staatlichen und marktwirtschaftlichen Zielprioritäten 20