KW39/Tellur Prof. Dr. Johannes Beck

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KW39/Tellur
Prof. Dr. Johannes Beck
Die Entdeckungsgeschichte des Elements Tellur spielte sich in den letzten beiden Jahrzehnten des 18.
Jahrhunderts ab. Der österreichische Chemiker und Mineraloge Franz Joseph Müller von
Reichenstein beobachtete 1782 an Golderzen aus Hermannstadt, dem heutigen Sibiu in Rumänien, eine
geringere Goldausbeute als erwartet. Man hielt die zusätzlichen enthaltenen Minerale für Antimonsulfid oder
Bismutsulfid, was Müller von Reichenstein auf der Basis seiner Experimente jedoch ausschloss. Er vermutete ein
neues Metall, dem er die Namen „problematisches Metall“ und „paradoxes Gold“ gab. Geklärt wurden die Fragen
erst rund ein Jahrzehnt später, nachdem der Berliner Chemiker Martin Heinrich Klaproth die Proben erhalten
hatte. Ihm gelang die Extraktion und erste Reindarstellung des neuen Elements. 1798 würdigte Klaproth
zwar Müller von Reichenstein als Entdecker, benannte das Element aber selbst mit dem „nach dem von der alten
Mutter Erde (lat. tellus) entlehnten Namen Tellurium“.
Tellur ist auf der Erde ein sehr selten vorkommendes Element. Der Anteil an der Erdkruste beträgt nur 0,001 ppm
oder 1 Gramm auf tausend Tonnen Gestein. Damit ist es noch seltener als Gold. Man findet es bisweilen in
elementarer Form, vorwiegend jedoch in Form von Tellurmineralien, von denen der Calaverit (Goldditellurid,
AuTe2), der Sylvanit (ein gemischtes Silber/Goldtellurid, (Au,Ag)2Te4) und der Tellurit (Tellurdioxid, TeO2) die
größte Bedeutung haben. Die häufige Vergesellschaftung des Tellurs mit Erzen der edlen Metalle Kupfer, Silber
und Gold sorgt für seine Anreicherung im Produktionsprozess. Bei der Herstellung von Reinkupfer durch
elektrolytische Raffination von Rohkupfer wird Tellur im Anodenschlamm als wasserunlösliche Edelmetalltelluride
M2Te (M = Cu, Ag, Au) abgeschieden. Pro Jahr werden weltweit nur 180 Tonnen Tellur gewonnen.
Mit dem silbernen Glanz und den scharfen Kanten sind Kristalle von Tellur von ausgesuchter Schönheit (Abb. 1).
Sie lassen uns meinen es sei ein Metall. Allerdings sind die Kristalle weich und spröde. Sie lassen sich leicht zu
einem grauen Pulver zermahlen. Bestimmt man die elektrische Leitfähigkeit, zeigt sich eine Verringerung des
elektrischen Widerstands mit steigender Temperatur, was das typische Verhalten eines Halbleiters und nicht
eines Metalls ist.
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Abbildung 1. Kristalle von elementarem Tellur
Die Kristallstruktur des Tellurs liefert hierfür eine Erklärung. Es liegen Spiralketten von Telluratomen mit kurzen
Abständen innerhalb der Kette von 284 pm vor. Jedes Telluratom hat vier weitere Nachbarn aus benachbarten
Spiralketten im Abstand von jeweils 350 pm. Berücksichtigt man alle sechs nächsten Nachbarn eines jeden
Telluratoms ergibt sich eine Anordnung von verzerrten Würfeln (Abb. 2). Im strukturellen Aufbau zeigt Tellur
seinen Charakter als Hauptgruppenelement. Die Ausbildung der beiden kurzen, lokalisierten Bindungen eines
jeden Telluratoms verhindert die metallische Leitfähigkeit. Beim Übergang in die flüssigen Phase, oberhalb des
Schmelzpunkts von 450 °C, steigt die Leitfähigkeit sprunghaft um das 15-fache an. Im geschmolzenen Zustand
ist die Bindungs- und Elektronenlokalisation nicht mehr vorhanden.
Abbildung 2. Die Kristallstruktur von Tellur. Die Anordnung der Atome entspricht einer verzerrten Würfelpackung.
Die Verzerrung ist durch die Ausbildung von Spiralketten bedingt, die entlang der Raumdiagonalen verlaufen
(grüne Kugeln und grüne Bindungen; nur eine der Ketten ist hervorgehoben).
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Eine herausragende Eigenschaft des Tellurs ist seine Fähigkeit zur Bildung mehratomiger Kationen und Anionen.
Durch gezielte Oxidation oder gezielte Reduktion des Elements lassen sich formal Aggregate aus der
Elementstruktur ausschneiden. Geeignete Reduktionsmittel sind unedle Metalle, geeignete Oxidationsmittel
Metallhalogenide mit dem Metall in einer hohen Oxidationsstufe wie AsF5 oder WCl6. Auch die elektrochemische
Oxidation des Elements ist möglich. Die Zufuhr von Elektronen bei der Reduktion verringert im Mittel die Zahl der
Bindungen pro Telluratom, der Elektronenentzug bei der Oxidation erhöht die Zahl der Bindungen im Mittel über
zwei. Die gebildeten Strukturen sind überaus vielfältig. Man findet kleine, geladene Moleküle in Form von Ketten,
Ringen, verknüpften Ringen oder polyedrischen Clustern (Abb. 3). Es sind neben den molekularen Spezies auch
zu unendlichen Ketten, zu Schichten und zu räumlichen Gerüsten vernetzte, polymere Ionen bekannt. Die große
strukturelle Vielfalt ist durch die Fähigkeit der Telluratome zur Ausbildung unkonventioneller
Mehrzentrenbindungen mit erhöhter Koordinationszahl bedingt.
Abbildung 3. Die Strukturen einiger ausgewählter molekularer Tellurpolykationen und -polyanionen. Das Auftreten
verschiedener Strukturisomere bei identischer Summenformel ist bei diesen Ionen ein häufig beobachtetes
Phänomen.
Abbildung 4. Mikroskopisches Bild eines tellurhaltigen Phasenwechselmaterials aus Silber, Indium, Antimon und
Tellur zur Datenspeicherung. Die kreisförmige amorphe Phase, durch Erhitzen mit Laserlicht und schnelles
Abkühlen erzeugt, ist in die kristalline Phase eingebettet.
Der Autor dankt Prof. M. Wuttig/RWTH Aachen für die Genehmigung der Nutzung des Bildes.
Die geringe Produktionsmenge deutet an, dass Tellur kein Material für Massenanwendungen ist. Jedoch haben
das Element und manche seiner Verbindungen besondere Eigenschaften, die für spezielle Anwendungen
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interessant sind. So wird Tellur als Legierungsbestandteil vor allem für Kupfer und rostfreien Stahl zur
Verbesserung der Bearbeitbarkeit eingesetzt. Gläser aus Tellurdioxid haben hohe Brechungsindices und werden
zur Herstellung von Lichtwellenleitern eingesetzt. TeO2-Kristalle dienen als akustooptische Modulatoren zur
Manipulation von Laserlicht. Bismuttellurid (Bi2Te3) ist ein Basismaterial für die Herstellung von
elektrothermischen Wandlern (Peltier-Elementen), die bei Stromdurchfluss eine Temperaturdifferenz erzeugen
oder aus einer Temperaturdifferenz elektrischen Strom generieren. Zentrale Bedeutung für die Datenspeicherung
haben Phasenwechselmaterialien in wiederbeschreibbaren Datenträgern wie CD, DVD und Blue Ray Discs.
Hierfür werden tellurhaltige Mehrkomponentenlegierungen verwendet, die beim Erhitzen und schnellen Abkühlen
amorph erstarren. Die kristalline und die amorphe Phase dieser Substanzen weisen große Unterschiede in der
Lichtreflexion auf, was für das Schreiben von Bits genutzt wird (Abb. 4).
Was für Speisen die Gewürze, sind manche metallische Elemente für die moderne Technik. Sie werden nur in
kleinen Mengen benötigt, sind aber aufgrund spezieller Eigenschaften nur schwer zu ersetzen oder gänzlich
unverzichtbar. Zu diesen "Gewürzmetallen" zählt man Molybdän, Niob, Tantal, Indium, Gallium, Germanium,
Antimon und mehrere Vertreter der Seltenen Erden. Auch Tellur kann in diese Reihe aufgenommen werden. Es
wird nur in kleiner Menge gebraucht, hat aber durch die spezifischen Eigenschaften des Elements und mancher
seiner Verbindungen einen festen Platz in der Herstellung elektronischer und optischer Produkte.
Literatur
Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Tellur) hat einen lesenswerten Artikel zu Tellur.
Ch. Schulz, J. Daniels, Th. Bredow, J. Beck, Die elektrochemische Synthese polykationischer
Cluster, Angew. Chem. 2016, 128, 1128-1192; Angew. Chem. Int. Ed. 2016, 55, 1173-1177.
E. Ahmed, M. Ruck, Homo- and heteroatomic polycations of groups 15 and 16. Recent advances in synthesis and
isolation using room temperature ionic liquids, Coord. Chem. Rev. 2010, 255, 2892-2903.
O. Kysliak, M. Marcus, Th. Bredow, J. Beck, Polytellurides of Mn, Fe, and Zn from Mild Solvothermal Reactions in
Liquid Ammonia, Inorg. Chem. 2013, 52, 8327-8333.
W. Bensch, M. Wuttig, Optische Speichermedien und Phasenwechselmaterialien, Chemie in unserer
Zeit, 2010, 44, 92-107.
T. Chivers, R. S. Laitinen, Tellurium: a maverick among the chalcogens (Tutorial Review), Chem.
Soc. Rev. 2015, 44, 1725-1739.
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