Ökonomische Analyse des Rechts

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Einführung in die Rechtstheorie
Methoden und Verfahren
5. Vorlesung
26.11.2015
Überblick
Thema der heutigen Sitzung
Grundzüge der ökonomischen Analyse des Rechts
Struktur der Vorlesung
• Teil 1: Grundlegende Überlegungen zu
Rechtswissenschaft und juristischen Methoden
• Teil 2: Grundzüge der ökonomischer Analyse des
Rechts anhand konkreter Fallbeispiele
Zwei leitende Fragen
• Ökonomische Analyse als Rechtswissenschaft?
• Ökonomische Analyse als Methode zur Lösung von
Rechtsfällen?
Was ist Rechtswissenschaft?
Wissenschaftsbegriff:
BVerfGE 35, 79 (112): Alles, was nach Inhalt und
Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur
Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist.
Rechtswissenschaftsbegriff:
Überbegriff für eine Vielzahl wissenschaftlicher
Zugänge zum Gegenstandsbereich Recht
Disziplinen der Rechtswissenschaft
• Exegetische Fächer (Rechtsdogmatik)
– Anwendungsbezogen
– Beschäftigung mit Vorschriften einer geltenden
Rechtsordnung
• Nicht-exegetische Fächer (insb. Rechtsphilosophie,
Rechtssoziologie, Rechtsgeschichte)
– Beschäftigung mit Recht aus einer bestimmten
wissenschaftlichen Perspektive
– Stärker reflektierend, kritisierend
– nicht gebunden an eine bestimmte Rechtsordnung
Zwischenfazit: Ökonomische Analyse als
Rechtswissenschaft
• Ökonomische Analyse des Rechts ist der Versuch,
den Gegenstandsbereich Recht auf eine bestimmte
(ökonomisch informierte) Weise zu untersuchen
und zu beschreiben
• Damit – jedenfalls, wenn man keinen
geschlossenen Kanon rechtswissenschaftlicher
Disziplinen annimmt – als rechtswissenschaftliche
Disziplin im Sinne der zweiten Kategorie zu
verstehen
Kann man mit der ökonomischen Analyse
auch Fälle lösen?
• Falllösung als juristische Methode i.S.d. ersten
Kategorie rechtswissenschaftlicher Disziplinen
(Anwendungsbezogene Beschäftigung mit
Vorschriften einer geltenden Rechtsordnung)
• Befähigt, juristische Fälle methodisch zu
durchdringen und zu lösen
Fallbeispiel
Der bekannte Schauspieler S wird auf einem Volksfest von einem
Angehörigen der Brauerei B mit einem Maßkrug in der Hand auf
einem Biertisch stehend fotografiert. Er macht einen glücklichen und
ausgelassenen Eindruck. B beschließt, das Foto zu Werbezwecken
zu nutzen. Er soll in einer Illustrierten im Rahmen einer Anzeige mit
dem Untertitel: „Woraus S seine Kraft schöpft“ erscheinen. S erfährt
von der geplanten Kampagne und sucht um gerichtlichen
Rechtsschutz nach. Er möchte eine Veröffentlichung des Fotos
verhindern. Die Veröffentlichung mache ihn lächerlich. Er erleide
durch sie eine immaterielle Einbuße i.H.v. 9.000 €. B erhofft sich von
der Werbekampagne eine Gewinnauswirkung von 10.000 €.
Aus Horst Eidenmüller, Auszug aus: Rechtswissenschaft als
Realwissenschaft. In: JZ 1999, 53 (60) (angepasst)
Falllösung
• „Klassische Lösung“ – Gesetzesanwendung und –
auslegung (Wer will was von wem woraus?)
• Falllösung mittels ökonomischer Analyse?
Rechtsdogmatik
• Rechtsdogmatik soll das positive Recht – unter Anwendung
maßgeblicher Begründungen und Lösungsmuster – mit
rationaler Überzeugungskraft erklären.
• Als Lehre vom Inhalt des geltenden Recht dient sie der
gedanklichen Erfassung und Verarbeitung des positiven
Rechts.
• Alexy beschreibt Rechtsdogmatik als Tätigkeit, die im
Wesentlichen drei Funktionen verfolgt: Erstens die
Beschreibung des geltenden Rechts (deskriptiv-empirisch),
weiter die begrifflich-systematische Durchdringung des
Rechts (logisch-analytisch) sowie drittens die Erarbeitung
von Vorschlägen zur Lösung problematischer Rechtsfälle
(normativ-praktisch).
Zentrale Elemente juristischen Begründens
• Juristisches Schließen in der syllogistischen Form
T → R (d.h. für jeden Fall von T gilt R)
S = T (S gleicht T, ist ein Fall von T)
S → R (für S gilt R)
• Juristische Auslegungs- und Argumentationsfiguren
Kann man mit der ökonomischen
Analyse auch Fälle lösen?
Spurensuche
• Determiniert nicht den allgemeinen Diskurs
• Aber Anhaltspunkt: Woran wird geforscht in der
Wissenschaft? Was lernen JuristInnen? Was ist
gefragt in der Praxis?
Spurensuche: Rechtspraxis
• Ökonomische Überlegungen spielen in der Praxis
zwar eine Rolle, sie werden jedoch nicht im Wege
einer Methode in die Praxis eingeschleust
• Hier stünden sicherlich auch gewichtige
verfassungsrechtliche Bedenken im Wege
Spurensuche: Wissenschaft
• Rechtswissenschaftliche Forschung umfasst
ökonomische Analyse und gibt methodische
Handreichungen zur Lösung konkreter Fälle (siehe
etwa die Texte von Eidenmüller aus dem Reader)
Spurensuche: Ausbildung
Gesamtheit der Ausbildung bildet ein...
Rechts
Wissenschaft
(-liches Studium)
der Pflichtfächer
einschließlich der rechtswissenschaftlichen Methoden,
europarechtlicher Bezüge,
sowie philosophischer, historischer und gesellschaftlicher Grundlagen
und rechtswissenschaftliche Fremdsprachenkompetenz
sowie des Schwerpunktbereichs
unter Berücksichtigung der
rechtlichen Praxis,
der Schlüsselqualifikationen
und der praktischen Studienzeit
einschließlich des Theorie und Praxis verbindenden juristischen Vorbereitungsdienst
und spezifischer Anforderungen aus der Gesellschaft
Spurensuche: Ausbildung
Ökonomische Analyse als...
• Grundlagenfach
• Schwerpunkt
• Falllösung? („Kerngeschäft“/„Handwerkszeug“)
• Grds. möglich, aber...
• ... in Prüfungs- und Rechtspraxis nicht repräsentiert
Zwischenfazit
Der „Normalfall der Falllösung“:
Juristische Falllösung als rechtsdogmatisch
angeleitete Gesetzesanwendung und –auslegung
Ökonomische Analyse als
Falllösungsmethode
• Wie funktioniert die ökonomische Analyse?
Zurück zum Fallbeispiel
Der bekannte Schauspieler S wird auf einem Volksfest von
einem Angehörigen der Brauerei B mit einem Maßkrug in der
Hand auf einem Biertisch stehend fotografiert. Er macht einen
glücklichen und ausgelassenen Eindruck. B beschließt, das
Foto zu Werbezwecken zu nutzen. Er soll in einer Illustrierten im
Rahmen einer Anzeige mit dem Untertitel: „Woraus S seine Kraft
schöpft“ erscheinen. S erfährt von der geplanten Kampagne und
sucht um gerichtlichen Rechtsschutz nach. Er möchte eine
Veröffentlichung des Fotos verhindern. Die Veröffentlichung
mache ihn lächerlich. Er erleide durch sie eine immaterielle
Einbuße i.H.v. 9.000 €. B erhofft sich von der Werbekampagne
eine Gewinnauswirkung von 10.000 €.
Vorüberlegungen
• Auch die ökonomische Analyse erhebt den
Anspruch, eine juristische Falllösung zu
ermöglichen
• Exklusivität einer Methode nicht zwingend. Denkbar
wäre auch eine parallele oder integrierte
Umsetzung
Grundsätze der ökonomischen Analyse
• „Es geht darum, Recht nach marktmäßigen Gesichtspunkten
zu gestalten. Solange Austauschprozesse auf Märkten
möglich sind, ist das Recht irrelevant, weil sich das
ökonomisch erwünschte (effiziente) Ergebnis auf Märkten
von selbst durchsetzt. Es ist eine wichtige Aufgabe des
Rechts, diese Austauschprozesse nicht zu stören (I.) und
möglichst gar zu erleichtern (II.). Wenn allerdings Märkte
versagen, etwa aufgrund prohibitiv hoher Transaktionskosten,
dann soll das Recht die Lösung rekonstruieren, die sich bei
funktionierendem Markt von selbst eingestellt hätte, es soll
den Markt simulieren (III.).“ (Eidenmüller, S. 66)
Grundsätze der ökonomischen Analyse
• Recht soll einen Markt für Rechtspositionen
zulassen
• Recht soll Markttransaktionen zulassen und
erleichtern (Transaktionskosten minimieren)
• Bei prohibitiv hohen Transaktionskosten soll das
Recht den Marktmechanismus simulieren (mimic
the market)
Grundsätze der ökonomischen Analyse
• Rekonstruktion einer (hypothetischen)
Verhandlungslösung
• Welche Regelung hätten rational und eigennützig
handelnde Parteien bei Abwesenheit von
Transaktionen getroffen? (Simulierung des
Markmechanismus (mimic the market))
 zentrales Paradigma der ökonomischen
Analyse des Rechts
Begriffsklärung: Transaktionskosten
• Die Herbeiführung von Transaktionen
(Entscheidungen, z.B., einen Vertrag schließen)
verlangt den Einsatz von Ressourcen, die anderen
Verwendungen entzogen werden.
• Rational handelnde Individuen werden nur dann
Entscheidungen treffen, wenn ihr Ergebnis einen
Nutzen verspricht, welcher die Kosten ihrer
Herbeiführungen übersteigt.
Begriffsklärung: Transaktionskosten
Transaktionskosten sind diejenigen Kosten, die durch
die Benutzung des Marktes (market transaction
costs), also im Zusammenhang mit der Transaktion
von Verfügungsrechten (z. B. Kauf, Verkauf, Miete),
oder einer innerbetrieblichen Hierarchie (managerial
transaction costs) entstehen.
Begriffsklärung: Transaktionskosten
Folgende Kosten fallen unter die Transaktionskosten:
Ex ante (bevor die Transaktion ausgeführt wird)
• Anbahnungskosten (z. B. Kontaktaufnahme)
• Informationsbeschaffungskosten (z. B. Informationssuche über potenzielle
Transaktionspartner)
• Vereinbarungskosten (z. B. Verhandlungen, Vertragsformulierung, Einigung)
Ex post (nachdem die Transaktion ausgeführt wurde)
• Abwicklungskosten (z. B. Maklercourtage, Transportkosten)
• Änderungskosten/Anpassungskosten (z. B. Termin-, Qualitäts-, Mengen- und
Preisänderungen)
• Kontrollkosten (z. B. Einhaltung von Termin-, Qualitäts-, Mengen-, Preis- und
Geheimhaltungsabsprachen, Abnahme der Lieferung)
Der bekannte Schauspieler S wird auf einem Volksfest von einem
Angehörigen der Brauerei B mit einem Maßkrug in der Hand auf
einem Biertisch stehend fotografiert. Er macht einen glücklichen und
ausgelassenen Eindruck. B beschließt, das Foto zu Werbezwecken
zu nutzen. Er soll in einer Illustrierten im Rahmen einer Anzeige mit
dem Untertitel: „Woraus S seine Kraft schöpft“ erscheinen. S erfährt
von der geplanten Kampagne und sucht um gerichtlichen
Rechtsschutz nach. Er möchte eine Veröffentlichung des Fotos
verhindern. Die Veröffentlichung mache ihn lächerlich. Er erleide
durch sie eine immaterielle Einbuße i.H.v. 9.000 €. B erhofft sich von
der Werbekampagne eine Gewinnauswirkung von 10.000 €.
Richter R kann den einschlägigen Rechtsnormen nicht entnehmen,
wie er den Fall zu lösen hat. Wie soll er entscheiden?
Falllösung
• Schauspieler S: erleidet durch Veröffentlichung des
Fotos eine immaterielle Einbuße von 9.000 €.
• Brauerei B: Werbekampagne mit dem Foto von S
lässt Gewinnsteigerung um 10.000 € erwarten.
Falllösung
• S bietet B 9.000 €, um Veröffentlichung zu
verhindern
• B bietet S einen Preis zwischen 9.000 und 10.000 €
für Veröffentlichung
Falllösung
Konkrete Entscheidung:
• B ist das Veröffentlichungsrecht 10.000 € wert
• S beziffert seinen immateriellen Schaden auf 9.000 €
• Übertragt S das Veröffentlichungsrecht zu einem Preis zw. 9.000
und 10.000 € auf B, profitieren beide:
– S erhält mehr, als ihm sein immaterieller Schaden „wert“ ist
– B zahlt weniger, als ihm das Veröffentlichungsrecht maximal
wert ist
S hat B das Veröffentlichungsrecht zu einem Preis zw. 9.000 € und
10.000 zu übertragen, da ein kooperativer Überschuss
erwirtschaftet wird
(z.B. bei 9.500 € Kaufpreis: + 500 € Ausgleich für S / - 500 Kosten für
B)
Weitere Fallbeispiele
Deliktsrecht
Hohe Transaktionskosten, die sinnvollerweise ex ante einen
Vertragsschluss ausschließen
Rekonstruktion eines hypothetischen Vertrags, den Schädiger und
Geschädigter bei Abwesenheit von Transaktionskosten geschlossen
hätten.
• Auslegung § 276 Abs. 2: Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr
erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.
• Erforderlichkeit dann gegeben, wenn Sorgfaltsvorkehrungen mehr
nützen als sie kosten.
• Bsp.: Schädiger kann einen Schaden von 6.000 € mit einem
Aufwand i.H.v. 5.000 € verhindern  Erforderlichkeit (+)
Weitere Fallbeispiele
Ergänzende Vertragsauslegung (§ 157 BGB)
Rekonstruktion eines hypothetischen Vertrags, den Schädiger und
Geschädigter bei Abwesenheit von Transaktionskosten geschlossen hätten.
• Cheapest cost avoider: Welcher Vertragspartner hätte bei vermeidbaren
Vertragsstörungen den Schaden mit den geringsten Kosten vermeiden
können?
• Wenn die Parteien ein bestimmtes Risiko ex ante erkannt und geregelt
hätten, dann hätte der cheapest cost avoider dieses Risiko vertraglich
übernommen.
Bsp.:
• Käufer kann bestimmtes Risiko selbst für 5.000 € eliminieren
• Verkäufer erhebt 6.000 € für mögliche Abwendung des Schadensfalls
Im Wege der Vertragsauslegung hat der Käufer das Risiko übernommen
Wdh.: Grundsätze der ökonomischen
Analyse
• Recht soll einen Markt für Rechtspositionen
zulassen
• Recht soll Markttransaktionen zulassen und
erleichtern (Transaktionskosten minimieren)
• Bei prohibitiv hohen Transaktionskosten soll das
Recht den Marktmechanismus simulieren (mimic
the market)
Wdh.: Grundsätze der ökonomischen
Analyse
• Rekonstruktion einer (hypothetischen)
Verhandlungslösung
• Welche Regelung hätten rational und eigennützig
handelnde Parteien bei Abwesenheit von
Transaktionen getroffen? (Simulierung des
Markmechanismus (mimic the market))
 zentrales Paradigma der ökonomischen
Analyse des Rechts
Zwischenfazit: Ökonomische Analyse als
Methode zur Lösung von Rechtsfällen
Prämissen der ökonomischen Analyse
•
•
•
•
•
Homo oeconomicus
Rechtspositionen als Handelsware
Bezifferbarkeit
Normativität
Auslegungsmethode oder exklusiver
Deutungsanspruch?
Prämissen der ökonomischen Analyse:
1. Individuelles Nutzenkalkül:
– Stabile Präferenzen,
– Präferenzautonomie,
– äußere Handlungsrestriktionen,
– rationales Eigeninteresse
Prämissen der ökonomischen Analyse:
2. Allokationseffizienz:
• Eine gegebene Allokation der verfügbaren Ressourcen
auf die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten ist
ineffizient, solange es noch Möglichkeiten gibt, die
Befriedigung eines bestimmten Bedürfnisses zu
erhöhen, ohne die Befriedigung eines anderen
Bedürfnisses zu vermindern.
• Die Allokation ist effizient, wenn jede Änderung die
Situation auch nur eines Individuums verschlechtern
würde.
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