A k u p u n k t u r g e s t ü t z t e St r e s s b e w ä lt i g u n g R. Raben Akupunkturgestützte Stressbewältigung – eine Einführung Zusammenfassung Akupunktur hat oft unmittelbare Wirkungen auf das seelische Befinden von Patienten. Entsprechende Erfahrungen sind schon vielfach in der Literatur beschrieben. Diese Effekte werden zunehmend in der Behandlung von psychiatrischen Patienten und Traumapatienten (PTSD) genutzt. Insbesondere der non-verbale, non- konfrontative Ansatz und Behandlungsstil führt dazu, dass viele an sich als schwierig, unzugänglich, ja unbehandelbar geltende Patienten an eine Therapie herangeführt werden können und dauerhaft teilnehmen. Kinder können gut mit der so genannten "Perlentherapie" erreicht werden: ADS/ADHS-Patienten profitieren nach ersten Erfahrungen und Pilotstudien davon. Akupunktur zur besseren Bewältigung von akutem und chronischem Stress ist ein dankbares und interessantes Gebiet. Schlüsselwörter NADA-Protokoll, Akupunktur, Akupressur, "Perlentherapie", psychiatrisch Kranke, PTSD, Traumabehandlung, Hyperaktivität, ADS/ ADHS, Stress Acupuncture in the Management of Stress Abstract Acupuncture often has a direct effect on mental health. Ample evidence of this can be found in the literature. These effects are increasingly used in the treatment of psychiatric as well as trauma patients (PTSD). In particular the non-verbal, non-confrontational 1. Einleitung Die NADA (National Acupuncture Detoxification Association) sah bislang ihre wesentliche Aufgabe darin, das Element der Akupunktur in die konventionelle Behandlung von Suchtkranken (Alkohol, Drogen, Medikamente) zu integrieren: Akupunkturgestützte Entgiftung, Rehabilitation und Rückfallprophylaxe. Diese "Behandlung nach dem NADA Protokoll", die von Michael Smith und Mitarbeitern bereits Mitte der 70er Jahre in New York (Lincoln Hospital/Bronx) initiiert wurde, findet derzeit in etwa 230 deutschen Therapieeinrichtungen statt. Rund 1.200 Mitarbeiter dieser Teams, vor allem Krankenschwestern und Ärzte, Sozialarbeiter, Therapeuten 18 DZA approach and treatment style is a helpful device to enhance compliance in difficult, unapproachable, indeed otherwise untreatable patients. Children benefit well from the socalled "pearl therapy": according to first results from pilot studies, ADS/ADHS-patients profit from this. und Heilpraktiker, aber auch ExJunkies wurden während der letzten 10 Jahre von NADA Trainern in "Akupunktur nach dem NADA-Protokoll" ausgebildet. Inzwischen hat sich gezeigt, dass das NADA Protokoll über die Suchttherapie hinaus sinnvoll angewendet werden kann. Hier sind drei Bereiche zu nennen: 1. in der allgemein psychiatrischen Behandlung 2. zur Stressbewältigung und Behandlung von Traumaopfern 3. in der Behandlung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) bzw. Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) Acupuncture as a better management of acute and chronic stress is a rewarding and interesting area. Keywords NADA-Protocol, Acupuncture, Acupressure, "pearl therapy", mental disease, PTSD, trauma therapy, hyperactivity, ADS/ADHS, stress 2. Neue Anwendungsgebiete der NADA-Therapie 2.1 Akupunktur in der Behandlung psychiatrischer Patienten Akupunktur allein heilt nicht die Sucht. Die Erfahrung zeigt, dass sie eine Reihe von Symptomen vegetativer Störung lindert, oft schon nach wenigen Minuten zu Entspannung führt, und dass Patienten körperlich und seelisch stabiler werden. Akupunktur hilft Patienten, den täglichen "Stress mit sich selbst und im Angesicht anderer Menschen" besser auszuhalten. Man kann auch sagen, dass Akupunktur den innerlich gestressten, geschwächten Menschen stärker macht. So können Patienten Dt. Ztschr. f. Akup. 47, 2/2004 A k u p u n k t u r g e s t ü t z t e St r e s s b e w ä lt i g u n g schließlich anstrengende verbale und auch notwendige medikamentöse Therapie besser aushalten und akzeptieren. Ihre Compliance verbessert sich, sie sind kooperativer. Das gilt nicht nur für Suchtkranke. Auch Patienten mit Wahnvorstellungen, Borderline Störungen, Depressionen und anderen psychiatrischen Krankheiten können vom stabilisierenden Effekt der Akupunktur profitieren. Amerikanische Autoren haben darüber seit den 70er Jahren publiziert (1, 2, 3, 6). Erfahrungen damit gibt es bereits auch im deutschen Sprachraum. Auf der NADA-Konferenz 2003 in Hamburg fand hierüber ein lebhafter Austausch statt. Hier seien die Erfahrungen des BKH Taufkirchen, Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie, genannt (siehe hierzu den Bericht von Wolfgang Niederecker in dieser Ausgabe). Auch die Rheinischen Landeskliniken Düren wenden das NADA-Protokoll (Summa-Lehmann und Mitarbeiter) seit mehreren Jahren außer in der Suchtmedizin in der allgemeinen Psychiatrie an. Summa-Lehmann berichtete, dass die Einführung des NADA-Protokolls günstige Wirkungen auch auf das Behandlungsteam zeigt. Über die besonderen Wirkungen bei psychiatrischen Patienten berichtete der Psychiater v. Berghis (Heinrich-Sengelmann-Krankenhaus bei Hamburg). Die Universitätsklinik HamburgEppendorf arbeitet schon seit längerer Zeit mit dem NADA-Protokoll in der Detoxifikation; seit Herbst 2003 nun auch bei allgemein psychiatrischen Patienten der Tagesklinik. Oberarzt Aderholt sieht dabei "erstaunliche Effekte" (persönliche Mitteilung). Ein Forschungsvorhaben darüber ist in Vorbereitung. Übereinstimmend wird berichtet, dass die Compliance der Patienten entscheidend vom Behandlungsstil des Teams abhängt (offene Gruppe, non-konfrontativ, wenig verbal). Dt. Ztschr. f. Akup. 47, 2/2004 Die NADA bildet während der letzten Jahre zunehmend Teams psychiatrischer Einrichtungen aus, um Akupunktur ins tägliche Behandlungskonzept zu integrieren. 2.2 Die Katastrophe vom 11. September 2001 in Manhattan und die Anwendung der NADATherapie für "Stressopfer" Die Krankenschwester Joan Dolan nahm am Abend nach der Katastrophe an einer Besprechung der psychiatrischen Abteilung des St. Vincent Hospital (Lower Manhattan) teil. Es ging um die psychiatrische Versorgung der vielen seelisch schwer traumatisierten Opfer und ebenso ihrer traumatisierten Helfer (Rettungsmannschaften, Feuerwehrleute). Anstatt nur Tranquilizer auszuteilen, hatte sie die Idee, einen einfachen Therapieraum für möglichst viele Patienten zu schaffen, so wie sie es in ihrer NADA-Ausbildung zur akupunkturgestützten Suchtbehandlung einige Jahre zuvor am Lincoln-Hospital kennen gelernt hatte. Sie verständigte weitere NADA-Kollegen, bekam die Zustimmung vom Chefarzt, tatkräftige Unterstützung und Akupunkturnadeln aus der Bronx vom Lincoln Recovery Center (Smith, Morgan, Alvarez) und richtete mit wenigen Mitteln einen Raum auf dem Dachboden des Hospitals her. Dort boten die Kollegen ab 12. September Akupunkturtherapie nach dem NADA Protokoll in der Gruppe an. Zuerst kamen die traumatisierten Helfer, die so eine Katastrophe "Ich konnte nicht mehr schlafen und ich musste mich ständig erbrechen. Nach der Behandlung war ich ruhiger und mein Kopf wurde wieder klar, die Schmerzen hörten auf." (Eine von vielen derartigen Aussagen von Überlebenden der Katastrophe vom 11. September 2001) noch nicht erlebt hatten: Helfer, Rettungsleute, Feuerwehrleute, Krankenschwestern. Viele waren außer sich, konnten nicht schlafen, nicht sprechen, nicht weinen, nicht ruhig sitzen, waren schockiert. Schließlich kamen auch Menschen, die als Passanten, Flüchtende und Überlebende keine Ruhe mehr fanden, nicht sprechen konnten oder wollten und Symptome von "Stressopfern" zeigten: Heftige innere Unruhe, Schlaflosigkeit, Fixierung auf das Erlebte, körperliche Symptome von Herzrasen bis Dauererbrechen, Rückfälligkeit bei früherer Alkohol- oder Drogenerkrankung (Posttraumatische Belastungsstörungen, PTSD). Innerhalb weniger Tage hatte sich das Angebot (Akupunktur, Handmassage), das zunächst auf wenig verbalen Zugang zum Traumatisierten setzt, herumgesprochen. Der Klinikraum war täglich mehrere Stunden geöffnet und gut gefüllt. Die Leute kamen wieder und wieder zur Behandlung, bedankten sich, konnten ohne viel zu reden mit anderen den Raum, das Schicksal, die Anteilnahme teilen, aber auch aushalten. Sie saßen dort, 5 Nadeln in jedem Ohr, gingen wieder, viele, um anschließend wieder auf dem "Ground Zero" nach Überlebenden zu suchen. Das Projekt war erfolgreich, und es wurde so gut angenommen, dass diese improvisierte "Stressklinik" in der Nähe von "Ground Zero" bis heute, fast drei Jahre danach, arbeitet und viele Unterstützer gefunden hat. 2.3 Die Behandlung von "hyperaktiven" Kindern (Diagnose: ADS/ADHS) Die Behandlung von Kindern mit ADS/ADHS ist ein großes Thema. Die Störung scheint weit verbreitet, viele Kinder leiden darunter, möglicherweise werden aber auch viele Kinder und Jugendliche in diese Dia- DZA 19 A k u p u n k t u r g e s t ü t z t e St r e s s b e w ä lt i g u n g Fazit gnose-Kategorie gesteckt, weil Ritalin ihnen ex iuvantibus half. Ritalin ist ein Amphetaminderivat (= Methylphenidat = ein zentral wirksames Sympathomimetikum), das dem Betäubungsmittelgesetz untersteht. Eltern, Lehrer und Kinderärzte führen bei uns wie in den USA eine Diskussion um den Nutzen und Schaden von Ritalin-Behandlungen. Gäbe es eine Behandlung mit geringeren Nebenwirkungen, die bei den jungen und älteren Patienten effektiv ist, wären alle Beteiligten dankbar. Im Lincoln Hospital (N. Y. C.) setzten zunächst Michael Smith und Mitarbeiter Akupressurpflaster ein. Sie verwendeten kleine magnetische vergoldete Stahlkügelchen und applizierten die "Perlen" mit 5 x 5 mm kleinen Heftpflaster auf die Ohrrückseite ("Retro-Shen Men") beider Ohren. Sie beließen die Kügelchen dort einige Tage ohne jede Stimulation, bezogen die Mütter in die Behandlung mit ein und sahen die Kinder Woche für Woche wieder. Die Compliance der Kinder für diese Behandlung war besonders gut. Die Goldkügelchen wurden eher als Geschenk erlebt. Die Psychiater sahen erhebliche Effekte oft schon nach wenigen Behandlungen: innere und äußere Unruhe waren gelindert, die Patienten, ihre Eltern, aber auch ihre Lehrer vermerkten bessere Konzentration, und die Kinderpsychiater registrierten bei ihnen bessere Testergebnisse. Smith und Lenney initiierten deshalb eine Pilot-Studie in Bronx mit 60 Kindern, die in jugendpsychiatrischer Behandlung waren. Die therapeutischen Erfolge mit der von ihnen so genannten "Perlentherapie" waren sehr ermutigend (4). Ebenfalls durch Michael Smith wurde eine Studie zur "Perlentherapie" in einem US-Internat für verhaltensgestörte und psychiatrisch auffällige Kinder und Jugendliche angeregt. Auf der US- 20 DZA NADA-Konferenz 2003 in Washington D.C. wurde von Mary Mortenson zunächst über 13 Jungen berichtet, die im Rahmen dieser Studie sechs Wochen lang mit vergoldeten Akupressurperlen behandelt wurden: 11 von ihnen zeigten erhebliche Besserungen in ihrem Verhalten, die auch noch mehrere Monate danach anhielten (5). Diese Studie wird fortgesetzt und wird 2004 abgeschlossen. Seit zwei Jahren gibt es in einer Schule in Manhattan ein Stressbewältigungsprojekt. Schüler und Lehrer nehmen am Akupunkturgestützten Stressbewältigungsprogramm teil. Darüber wurde auf der NADA Tagung 2002 in Stuttgart (Heike Stubbe und Astrid Wessel, 2002) berichtet. Diese beiden Therapeutinnen und NADA Kolleginnen haben 2003 in Hamburg eine Behandlungseinrichtung geschaffen, in der Kinder und Eltern bei ADS/ADHS Akupunktur und "Perlentherapie" bekommen können. Effekte bei Kindern und Eltern können oft schon nach kurzer Behandlungszeit auftreten (Kontakt und Erfahrungsaustausch über NADA). Die Einführung von Akupunktur in die tägliche und reguläre Behandlung von psychisch gestressten, gestörten und psychiatrisch kranken Menschen ist eine bedeutende Innovation. Unter Akupunktur, insbesondere in geeignetem Setting, werden diese Patienten ausgeglichener und offener und eher für verbale und auch medikamentöse Behandlungen zugänglich. Die Behandlung von ADS/ADHS-Kindern mit Akupunkturpflastern scheint ein einfacher, gangbarer und effektiver Behandlungsweg zu sein, neben psychotherapeutischer Intervention und Pharmakotherapie. Akupunktur kann erfolgreich bei gestressten Menschen eingesetzt werden und zeigt oft innerhalb von Minuten Effekte. Hier kann und muss noch geforscht werden. 3 Kane J, Discipio W. Acupuncture Treatment of Schizophrenia: Report on Three Cases. American Journal of Psychiatry 1979, 136: 297 – 302 4 Lenney J. Wirkungen von Akupressur bei Kindern mit ADS/ADHS und anderen psychiatrischen Störungen. Vortrag NADA Konferenz, 12.9./13.9.2003, Hamburg 5 Mortenson M. "The Reed Academy Experience”. (Vergoldete Magnetperlen zur Behandlung von Jungen mit ADHS, Literatur bipolaren Störungen und Asperger-Syn- 1 Esser AH, Botek ST, Gilbert C. Acupuncture Tonification: Adjunct in Psychiatric Rehabilitation. Amenican Journal of Chinese Medicine 1976, 4: 73-79 2 Fullilove MT, Smith MO. Acupuncture as drom) Presentation on NADA Conference, Washington, D.C., 8.3.2003 6 Smith MO, Atwood T. Acupuncture May Prevent Relapse in Chronic Severe Psychiatric Patients. Presentation on Treatment for the Borderline Personality "The 1995 Conference of The National Disorder. NADA Literature Clearinghouse. Acupuncture Detoxification Association”, PO Box 1927, Vancouver, WA 98668; 1993 New York, 21.4. – 23.4.1995 Korrespondenzadresse Dr. med. Ralph Raben Vorsitzender NADA Deutschland Ottenser Hauptstraße 33 D-22765 Hamburg NADA Wohlers Allee 28, D-22767 Hamburg [email protected] www.nada-akupunktur.de Dt. Ztschr. f. Akup. 47, 2/2004