Fachseminarreihe Komorbidität „Die jungen (verrückten) Wilden 2.0“ - Psychotische Syndrome aufgrund Cannabis, Crystal und Co. am 18. und 19. November 2015 Dr. Lothar Brenner Dr. Jean Hermanns Herzlich Willkommen !! Psychotische Syndrome unter Cannabis-, Aphetamin- und Mischkonsum Dr. Jean Hermanns Psychotische Syndrome unter Cannabis-, Amphetamin- und Mischkonsum „Wirkbogen“ der Partydrogen Cannabis und Psychose Wirkung/Funktion der Endocannabinoide I • THC verschlechtert kurzfristig Merkfähigkeit • genetische Ausschaltung der CB1-Rezeptoren: bessere Lernleistung (bei Mäusen) • körpereigenes Cannabinoidsystem bremst Lernleistung • positive Wirkung von Cannabis auf (leichte) Epilepsie • endogenes Cannabis bremst unkontrollierte Erregungsübertragung im Hirn (verweilt nur kurzfristig am Rezeptor) • bei Fehlen des CB1-Rezeptors: hohe Empfindlichkeit gegenüber Krampfschwellen senkenden Substanzen: mehr Krampfanfälle • Endocannabinoide als "Notbremse" • • • • • • • • Wirkung/Funktion der Endocannabinoide II retrograde messaging „Geisterfahrer“ unter den Neurotransmittern/ „chemische Klippenspringer“ von post- nach präsynaptisch (fast einmalig) Endocannabinoide: Feed-back-System mit dämpfender Wirkung nachgeschaltetes Neuron an Absender: „Habe verstanden – hör auf zu feuern, die Nachricht ist angekommen !“ „Notbremse“: Endocannabinoide docken an präsynaptische CB1-Rezeptoren an Folge: Drosselung der Produktion erregender Botenstoffe wie Glutamat generell: „Hat ein Gehirn ein Problem – produziert es Cannabinoide ?!“ Wirkung/Funktion der Endocannabinoide III • CB1-Rezeptoren häufig als präsynaptische Heterorezeptoren von verschiedenen Transmittersystemen (Dopamin, GABA, Glutamat) • im Kortex und im limbischen System finden sich CB1-Rezeptoren vor allem auf Axonterminalen GABAerger Interneurone • Aktivierung des CB1-Rezeptors führt zur Hemmung der GABAFreisetzung • d.h. Hemmung der Angsthemmung (GABA) • Hemmung Dopamin (extreme Reiz- und Verarbeitungsfilterung) • aber auch Hemmung der Hemmung auf DA-Produktion • Hemmung Glutamat (Sedierung, Entspannung) • aber auch Hemmung der sog. glutamatergen Pyramidenzellen, die vom PFC kommend GABAerge Interneurone steuern, die wiederum Dopaminneurone steuern (wie bei der Glutamathypothese der Schizophrenie) • Im Effekt heißt dies Erhöhung des Dopaminspiegels in subkortikalen/limbischen Arealen (sieh an !) Typische psychische Wirkungen des Kurzzeitkonsums II Verminderter Antrieb globale Passivität und Apathie Empfinden einer „wohligen Mattigkeit“ Gefühl der Leichtigkeit gleichzeitig verlangsamte Bewegungen frgl. verminderte Aggressivität Typische psychische Wirkungen des Kurzzeitkonsums I Euphorie gehobene Stimmung, grundlose Heiterkeit, Gelassenheit als Folge Ausgelassenheit, Fröhlichkeit, Lach- und Witzellust auch Gefühl der Erfüllung und Zufriedenheit gelegentlich vorher kurze Phase ängstlicher, agitierter Verstimmung Typische psychische Wirkungen des Kurzzeitkonsums II Verminderter Antrieb globale Passivität und Apathie Empfinden einer „wohligen Mattigkeit“ Gefühl der Leichtigkeit gleichzeitig verlangsamte Bewegungen frgl. verminderte Aggressivität Typische psychische Wirkungen des Kurzzeitkonsums III Denkstörungen: o bruchstückhaftes Denken o Herabsetzung der gedanklichen Speicherungsfähigkeit o Verlust der Erlebniskontinuität o Ordnung des Denkens nach assoziativen Gesichtspunkten (erhöhte Phantasie) o ideenflüchtiges Denken o Abnahme abstrakt-schlussfolgender Denkprozesse zugunsten bildhaftkonkreter Vorstellungen Zweiphasiger Ablauf des Cannabisrausches 1. Phase der Stimulation: verstärkte Wahrnehmung, Euphorie, Angst 2. Phase der Sedierung: Dämpfung, Beruhigung, Schläfrigkeit Erklärung für Unterschiedlichkeit der Konsummotivation „Doppelwirkung“ motiviert doppelt differentielle Wirkung bei Psychotikern THC-Konsum und Angst – Neurobiologie (1) • Grundprinzip der Cannabiswirkung: Sog. präsynaptische Hemmung der Ausschüttung von Neurotransmittern • nachgewiesen für Dopamin, Glutamat, Nor-adrenalin, Acetycholin, Serotonin und GABA • Prinzip: „Schotten dicht“ ATP Cannabinoid rezeptor cAMP G-Protein THC cAMP Ca ++ Ca ++ Ca ++ Ca ++ Transmitter cAMP-Kinasen ATP Cannabinoid rezeptor cAMP G-Protein THC Ca ++ Ca ++ THC-Konsum und Psychose – Neurobiologie (2) • nicht nur Hemmung von Erregung (DSE)… • …sondern auch Hemmung von Hemmung (DSI) • d.h. die Ausschüttung auch des Neurotransmitters GABA wird reduziert • d.h. deren Funktion bei der Kontrolle von (z.B. ängstlicher) Erregung wird vermindert • Wichtig: die GABA-Hemmung setzt schneller ein als die spätere (und stärkere) Glutamat-Hemmung THC-Konsum und Psychose – Neurobiologie (3) • keine ‚normale‘ Regulation von Erregung und Hemmung zu Beginn des Cannabisrausches • ‚Selbstberuhigungssystem‘ funktioniert schlechter wo ist die GABA ? • Gefühl der Ängstlichkeit, Schreckhaftigkeit in alltäglichen Situationen • z.B. beim Autofahren, bes. nachts • überängstliche Reaktion auf die durch Cannabis verursachten vorübergehenden körperlichen Veränderungen (analog Panikstörung) Sucht und Psychose: Art und Weise des Zusammenhangs Verursachung akuter psychotischer Symptome, sog. toxische Psychose, z.B. Wahrnehmungsveränderungen, Halluzinationen, Verwirrtheit, „Paranoia“, Wahnphänomene, kurzzeitige Amnesie, Depersonalisation/Derealisation d.h. zum ganz normalen Cannabisrausch kann psychotisches Erleben gehören endet mit Beendigung des Rausches/der Drogenwirkung gfs. Behandlung bei akuter Angst/Verwirrtheit etc. nötig (medikamentös, „talking down“) Sucht und Psychose: Art und Weise des Zusammenhangs Verursachung dauerhafterer psychotischer Symptome auch nach Ende des Rausches, sog. drogeninduzierte Psychose, meist geringere Ausprägung der Symptome, z.B. dauerhafte Depersonalisation/Derealisation, Wahrnehmungsveränderungen verbunden mit Verunsicherung, Rückzug, Angst auch nach langem, hochfrequentem Konsum hält Wochen bis Monate an, bei Cannabisabstinenz verschwindet es meist es bleiben ohne Behandlung (Psychotherapie, Psychoedukation, medikamentöse Therapie) oft nachhaltige Verunsicherungen, Depressionen und sozialer Rückzug Behandlung in jedem Fall nötig (auch wegen Gefahr von Fehlhandlungen) Sucht und Psychose: Art und Weise des Zusammenhangs Auslösung einer schizophrenen Erkrankung dauerhafte psychotische Symptome, häufig immer wiederkehrend auch ohne Cannabiskonsum meist erhebliche Beeinträchtigung durch die Krankheit, ausgeprägter Wahn, Stimmenhören, Denkstörungen, Angst etc. nach Akutphase häufig Rückzug, Verunsicherung, Apathie, intellektuelle Beeinträchtigungen Voraussetzung: Anfälligkeit für schizophrene Psychosen (Vulnerabilität) negative Rauscherfahrung nicht erforderlich, auch bei naiven Nutzern, Alter meist jünger meist längerfristige psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung und Rehabilitation erforderlich Neurobiologie Psychose & Cannabis • unterschiedliches Tempo der Hemmung der Ausschüttung der verschiedenen Neurotransmitter: Erklärung für besondere ‚Potenz‘ von Cannabis bei der Psychoseauslösung !? • hierbei bes. Rolle der Angst bzw. der Fehlattribution von Erregung • der Effekt der Glutamathemmung , der zu einer massiven Entspannung führt, überspielt auch bei Psychotikern den Effekt der GABA-Hemmung • die Paranoia bleibt aber („entspannte Paranoia“) • die Dopaminausschüttung im limbischen System wird auch durch glutamaterge Bahnen gesteuert, eine Verminderung der Glutamatausschüttung führt zu einer Erhöhung des Dopaminspiegels dort (analog NMDA-(Glutamat)Rezeptor-Hypofunktionstheorie der Schizophrenie n. Olney & Farber, 1995) Psychose S D S D V V V V Schwelle D D V S D S V V V Normaler Psychischer Zustand V = biologische Vulnerabilität; S = Stressoren; D = halluzinogene Drogen Das Problem der sog. drogeninduzierten Psychose/Cannabispsychose • Existenz neben akuter toxischer Psychose als Rausch und (durch Cannabis ausgelösten) Schizophrenie ?? • Schizophrenieform oder eigene Psychopathologie ?? • Weniger Wahn, Gedankensprünge und paranoide Reaktionsbereitschaft (Basu et al 1999, Sembhi et al 1999) • Grundsätzliche Unterschiede: zeitlicher Zusammenhang ?, keine Prodromi, „leere“ Familienanamnese, rasche Remission (Möller&Thoms 2002), keine Chronifizierung (Mathers& Ghodse 1992), aber • Problem des Zuschnitts der Kategorie „Schizophrenie“ bes. günstiger Verlauf der Schizophrenie oder psychotische „Reaktion“, oder auch nur verlängerte Wirkungszeit wie bei „flashbacks“ • ????????? Mischkonsum und Psychose (McKetin et al., 2013) Psychoedukation Psychose & Sucht Dr. Jean Hermanns, Dipl. Psych., Dipl. Soz.päd., Psych. Psychotherapeut Psychoedukation Psychose & Sucht - Grundlagen: Was muss berücksichtigt werden ? • Grundprinzipien der Psychoedukation • störungsspezifische Besonderheiten hinsichtlich Wissenserwerb/Lernen und Motivation • Inhalte der Psychosen-Psychoedukation (bekannt !?) • Inhalte der Sucht-Psychoedukation (wohl weniger bekannt) • spezifische Psychose und Sucht - Elemente Was ist Psychoedukation nicht ? • vornehmlich Informationsgabe/-vermittlung • power-point- oder Folienvortrag • nur an "harten" Fakten orientiert (Medikamente, Biologie) • reiner Wissenserwerb auf Seiten der Betroffenen ohne Berücksichtigung der eigenen Erfahrungen • auch kein Psychose-Seminar (dort Blickwinkel der Betroffenen im Mittelpunkt) Was (also)ist Psychoedukation ? • umfassende Schulung von Patienten • "educere" = herausführen (aus Unwissenheit und Unerfahrenheit) • von C.M. Anderson 1980 im Rahmen der Schizophreniebehandlung/Angehörigenschulung erstmals gebraucht • Ursprung in der Verhaltenstherapie ("Subjektives Störungsmodell") • Ziel: Patienten/Betroffenen zum Experten seiner Erkrankung machen • wichtig: hierzu ist eine intensive Auseinandersetzung erforderlich • auch mit eigenen Erfahrungen, Kenntnissen und Einstellungen • und zwar in einer den Einschränkungen durch die Erkrankung angemessenen Form (und dennoch aktuellen Kenntnisstand bieten) Elemente/Funktionen der Psychoedukation • Informationsvermittlung (Symptomatik der Störung, Ursachen, Behandlungskonzepte etc.) • emotionale Entlastung (Verständnis fördern, Erfahrungsaustausch mit anderen Betroffenen etc.) • Unterstützung einer medikamentösen und/oder psychotherapeutischen Behandlung • Förderung der Selbsthilfekompetenzen (Erkennen von und Reaktion auf Krisen-situationen) Psychoedukation: Therapeutischer Bezug/Nutzen • Psychoedukation ist unabdingbarer Bestandteil des gesamten psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlungsplans • nur ein informierter, sich auseinander gesetzt habender Patient wirkt ausreichend aktiv an der Behandlung mit • Stichwort: funktionales oder dysfunktionales "subjektives Störungsmodell" • Pat. sollte sich mit Entstehungs- und aufrechterhaltenden Bedingungen der Störung auseinander gesetzt haben • dies ist Voraussetzung für eine effektive Mitwirkung/ "Selbst-Therapie" • insbesondere im Bereich Rückfallverhütung und Krisenmanagement • für Profis wie langjährig Psychose-Erfahrene gilt: "Man lernt nie aus !" • hilfreich beim Aufbau von Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit (trotz Psychose) Psychoedukation Psychose und Sucht: Inhalte Psychose und Sucht - Was muss man "drauf" haben ? • Art und Wirkungsweise Psychose auslösender Substanzen • Pathophysiologie substanzbedingter Psychoseauslösung • Unterscheidung toxische, drogeninduzierte und endogene/schizophrene Psychose • Wirkung von Suchtmitteln bei manifester Psychose Ablauf (vereinfacht) • Entree/Begrüßung • Teilnehmerbeteiligung (gfs. Vorstellung der Hausaufgaben) • Faktensammlung • Kommentar/weitergehende Erläuterung • persönliche Relevanz herstellen • Hausaufgaben • Verabredung/Verabschiedung Dr. Jean Hermanns Grundlagen von motivational interviewing Grundlagen von motivational interviewing Bisherige Sichtweise von Suchtmittel missbrauchenden Menschen • fehlende Veränderungsmotivation • Bagatellisierung eigener Suchtprobleme • galten quasi als Persönlichkeitsmerkmale Suchtkranker • Stichworte: "fehlender Leidensdruck" • "fehlende Mitwirkungsbereitschaft" Grundlagen von motivational interviewing Berücksichtigung der Merkmale der Sucht • Kaum Lernen aus „Bestrafung“ • Lernen aus Belohnung • Erhöhung Impulsivität • „Kurzsichtigkeit“ für die Zukunft (ventromedialer Kortex) • Nachlassen rationales Denken • kognitiv Ambivalenz Grundlagen von motivational interviewing Dementsprechende Motivierungsdevise(n): • "Druck machen" • Leidensdruck verdeutlichen/verstärken • Überzeugen und Überreden • häufig frustrierend • "Konfrontations-Leugnungs-Falle" (Veltrup) • immer mehr Argumente auf Seiten des Therapeuten führen zu • immer mehr Reaktanz auf Seiten des Klienten Grundlagen von motivational interviewing Ambivalenz Grundlagen von motivational interviewing Ambivalenz … … ist der Regelfall !! und ist normal !! Grundlagen von motivational interviewing Quellen der Ambivalenz Diagnosestellung Verhaltensänderung Inanspruchnahme von Hilfe Grundlagen von motivational interviewing Warum Ambivalenz im Vordergrund von MI ? •Vor- und Nachteile des Konsums/ der Abstinenz •Ambivalenz ist ein natürlicher Teil jeder Veränderung •auch nach Entscheidungen Grundlagen von motivational interviewing Definition MI "…a client-centered, directive method for enhancing intrinsic motivation to change by exploring and resolving ambivalence" (Miller&Rollnick) Grundlagen von motivational interviewing Ambivalenz bedeutet jede abhängige Person besitzt Veränderungspotential trägt in der Pro-Veränderungsseite die Gründe für Veränderung in sich Betroffener kann so zum Fürsprecher der eigenen Veränderung gewonnen werden nur so ist eine stabile Verhaltensänderung ohnehin nur möglich Grundlagen von motivational interviewing Intrinsische Motivation und Ambivalenz "Eigenmotivation zur Veränderung wird gefördert, wenn die Motive pro Veränderung gestärkt und gleich-zeitig die Motive kontra Veränderung wertgeschätzt werden !" (Veltrup) (dies geschieht in Phase I des MI) Grundlagen von motivational interviewing - Techniken des MI Förderung von Änderungsbereitschaft I Offene Fragen Aktiv zuhören Bestätigen Verstärkung selbstmotivierender Aussagen Grundlagen von motivational interviewing - Techniken des MI - 2 praktische Übungen zu den Basistechniken des MI Techniken Offene Fragen Aktives Zuhören Grundlagen von motivational interviewing Offene Fragen Geschlossene Fragen „Wollen Sie Ihren Alkoholkonsum aufgeben ?“ „Wieviel Alkohol konsumieren Sie täglich ?“ „Sind Sie bereit, sich an alle Bedingungen zu halten, die ich Ihnen vermittelt habe ?“ … „Wie würden Sie Ihren Alkoholkonsum einschätzen ?“ „Wie würden Sie Ihren Alkoholkonsum ändern wollen ?“ „In welcher Weise machen Sie sich Gedanken über Ihren Kokainkonsum?“ "Wie würde Ihr Leben in 5 Jahren aussehen, wenn Sie nicht mehr abhängig sein würden ?" "Wie würden Sie Ihren Konsum am liebsten ändern ?" Was stimmt Sie optimistisch, dies schaffen zu können ?" … Grundlagen von motivational interviewing Anhaltendes aktives Zuhören Einfaches Wiederholen Neuphrasieren (leichte Änderung) Paraphrasieren (erweiterte Neuformulierung) Reflexion der Gefühle Grundlagen von motivational interviewing Bestätigen Anerkennen des bisherigen Bemühens Verständnis für die Ambivalenz und die Notlage Bewunderung für die Lebens-(Arbeits-) leistung Grundlagen von motivational interviewing Bestätigen … hier gilt ganz besonders: Nur selbstbildkompatible Information wird verwertet (und wirkt !).