diert, andererseits sind sie doch stets so allgemein und konsensfähig, dass bekennerhafter Mut zu ihrer Formulierung nicht notwendig ist. Der Vorwurf, Penderecki habe sich das Bedürfnis nach kollektivem Erinnern geschäftstüchtig-werbewirksam zunutze gemacht, ist leicht erhoben. Mit welcher Berechtigung aber fordert man von einem Komponisten oppositionellen Bekennermut? Penderecki hat sogar für den französischen und den südkoreanischen Staat komponiert – die vierte Symphonie zur Zweihundertjahrfeier der Französischen Revolution, die Fünfte unter Verwendung eines alten koreanischen Liedes. In seiner künstlerischen Freiheit sieht er sich deshalb nicht beeinträchtigt: „Der Auftraggeber ist nur insofern wichtig, als er einem eine Deadline gibt!“. Offensichtlich ist immerhin, dass Krzysztof Penderecki seinen Status als international hochgeehrter Komponistenfürst auch seiner Nähe zur politischen Gedenkkultur verdankt. Ein Repräsentant ist er, nicht ein Märtyrer – und erinnert darin ein wenig an Richard Strauss, an dem sich die Kritiker ähnlich abgearbeitet haben, wie sie es seit vielen Jahren bei Penderecki tun. Auch Strauss machte schnell und steil Karriere, auch Strauss wurde von der Politik umworben, blieb mit politischen Bekenntnissen aber vage. Die Mischung aus Egozentrik und Opportunismus nach 1933 haben seine Kritiker vergeblich als nationalsozialistische Gesinnung zu entlarven versucht. Die Formulierungen, mit denen die musikalische Kritik das Schaffen der beiden Starkomponisten kommentierte, ähneln sich auffällig: Schließlich musste sich auch Strauss sagen lassen, dass ihm das Komponieren allzu leicht falle, äußerlicher Effekt die Substanz überlagere und er im Alter zum musikalischen Reaktionär geworden sei. Selbstbewusster Einzelgänger „Ich mache Musik, die mir gefällt“ und: „Man muss das machen, woran man glaubt“. Penderecki hat das gesagt, aber es hätte auch von Strauss stammen können. Für den selbstbewussten Einzelgänger, noch dazu denjenigen, dem das Komponieren extrem leicht von der Hand geht, hält die Musikkritik jedenfalls in Deutschland vielleicht noch nicht das Vokabular bereit, das es ermöglichen würde, angemessen über seine Musik zu sprechen. Zwar wird die Ideologie der radikalen Avantgarde inzwischen allenthal- ben zu Grabe getragen, aber Reste ihres Gedankenguts werden von der Musikkritik noch weitergeschleppt. Vor zehn Jahren, anlässlich des sechzigsten Geburtstags von Krzysztof Penderecki, konnte Gerhard R. Koch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung noch schreiben: „Pendereckis Retrospektion fehlt die skeptische Gebrochenheit, seiner Musik das widerständige Moment noch in der Reserve gegenüber dem Kult mit dem Neuen an sich“. Heute kann man sich fragen, welcher Wert denn in der Forderung liege, guter Musik müsse gewissermaßen ihre eigene Fragwürdigkeit eingeschrieben sein. Halb scherzhaft könnte man behaupten, dass Gustav Mahlers Musik in den einschlägigen avantgardetreuen Zirkeln lange Zeit schon deswegen Kultstatus besaß, weil man aus ihr ein deutliches „Eigentlich kann man das heute ja gar nicht mehr so sagen“ heraushörte. Nun, da der Zeitgeist auch den eigenwilligen Zeitgenossen Mahlers, ja sogar Strauss wieder wohlgesonnen ist, könnte auch der Tonfall der Kommentare über Penderecki sich ändern. Der Komponist wird, so steht zu hoffen, diese Entwicklung von seinem prächtigen polnischen Landgut aus noch viele Jahre lang verfolgen können. Matthias Bünger NEUES ZUR BEURTEILUNG IN DER SOZIALVERSICHERUNG Zur Tätigkeit von nebenberuflichen Chorleitern und Organisten S eit der Gesetzgebung zur Scheinselbstständigkeit und zu den geringfügigen Beschäftigungen in den Jahren 1999 und 2000 waren viele nebenberufliche Kirchenmusiker und deren Auftraggeber verunsichert über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Tätigkeit. Der Autor hat in den Ausgaben 6/2000 und 1/2001 die Problematik erläutert und die Auffassung vertreten, dass es jeweils auf den Einzelfall ankomme und in einer Vielzahl von Fällen die Einstufung als abhängig beschäftigter Arbeitnehmer vermieden werden könne. Nach und nach werden nun Urteile der Sozialgerichte zur Problematik bekannt. Chorleiter Zur Tätigkeit der Chorleiter hat beispielsweise das Sozialgericht Reutlingen am 29. Januar 2003 einen Fall eines in der Erzdiözese Freiburg tätigen nebenberuflichen Chorleiters und Organisten, der überwiegend als Chorleiter tätig war, dahingehend entschieden, dass dieser als selbstständig einzustufen war. Das Sozialgericht hat zunächst eine zumindest teilweise Eingliederung des betroffenen Chorleiters in den organisierten Betriebs- und Arbeitsablauf der Kirchengemeinde nicht als Gesichtspunkt angesehen, der die Tätigkeit geprägt habe, da diese auch eine Reihe eigenverantwortlicher Entscheidungsmöglichkeiten beinhaltet habe, insbesondere hinsichtlich Zeitpunkt, Ort und Anzahl der Chorproben. Des Weiteren habe der Chorleiter maßgeblich über die Aufnahme von Sängerinnen und Sängern und über die einzuübenden und aufzuführenden Kompositionen entschieden. Auch wenn in der – der vertraglichen Vereinbarung zugrunde liegenden – Dienst- und Vergütungsordnung für Kirchenmusiker der Erzdiözese Freiburg von „Dienstaufgaben“ die Rede sei, so das Sozialgericht weiter, zeigten andererseits die Regelungen in der „Ordnung für Kirchenchöre in der Erzdiözese Freiburg“ über die Heft 6/2003 13 S08-18.pmd 13 18.11.03, 08:10 MUSICA ACRA Beiträge S Zusammenarbeit zwischen Chorleiter und Kirchengemeinde, dass diese überwiegend nicht in einem Über-Unterordnungsverhältnis gestaltet seien, sondern eher auf einem Abstimmungs- und Konsensprinzip beruhten. Dass die Aufführungen des Kirchenchores in der Regel zu bestimmten Anlässen (Festgottesdienste an bestimmten Sonntagen und insbesondere an bestimmten kirchlichen Feiertagen) stattfänden, ergebe sich eher aus der Natur der Sache beziehungweise der Dienstleistung und sei keine Frage des „Weisungsrechts“. Als weitere Kriterien, die für Selbstständigkeit sprechen, führt das Sozialgericht auf: – keine Bindung an einen einzigen Chor, – keine weiteren organisatorischen oder verwaltenden Tätigkeiten (wie beispielsweise auch bei nebenberuflichen Dozenten oder Lehrbeauftragten), – eigenverantwortliche Zeiteinteilung und inhaltliche Gestaltung, – keine Vertretungspflichten, – bei freiberuflichen Leistungen liegt das Unternehmerrisiko nicht im Einsatz von Ein Spezialist zum Thema Sozialversicherung: Matthias Bünger. Foto: Archiv Kapital, sondern in der Ungewissheit der Verwertbarkeit des Wissens, der Fertigkeiten und des geistigen Könnens; dies ist hier der Fall, da kein Mindesteinkommen, kein Erholungsurlaub, keine Entgeltfortzahlung vereinbart war, – pauschales, nicht zeitbezogenes Honorar. Schließlich stellt das Sozialgericht fest, dass offensichtlich in einer Vielzahl von Fällen eine Entscheidungspraxis dahingehend bestehe, jedenfalls nebenberuflich tätige Chorleiter ganz überwiegend als selbstständig tätig einzustufen. Organisten Zur Tätigkeit der Organisten haben u.a. die Sozialgerichte Stuttgart und Reutlingen in Urteilen vom zweiten Halbjahr 2003 ebenfalls Selbstständigkeit angenommen. Neben den auch zu den im Zusammenhang mit den Chorleitern genannten Gesichtspunkten, welche hier überwiegend ebenfalls einschlägig sind, wurden für Organisten darüber hinaus vor allem folgende Gesichtspunkte für entscheidend gehalten: – unterschiedliche Häufigkeit der Dienste sowie freie Entscheidung, welche Termine übernommen werden, – Organistentätigkeit erfordert mehrjährige Ausbildung und entsprechende musikalische Fähigkeiten; künstlerischer Charakter der Tätigkeit, – keine Weisungsunterworfenheit: Freiheit bei Vor- und Nachspiel und Liedvorspielen in Art, Dauer und Gestaltung, – eigener Erwerb von Noten etc., Weiterbildung auf eigene Kosten, – festgelegte Gottesdienstzeiten und Vorgabe von Liedern liegen in der Natur der Sache und führen daher nicht zu einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis (Vergleichbarkeit zu den Vorgaben, die zum Beispiel für Lehrbeauftragte oder Gastregisseure), – Auftritt als Unternehmer, da diverse Auftraggeber. Auswirkungen auf die Praxis Auch die Sozialgerichte verweisen darauf, dass grundsätzlich eine Feststellung im Einzelfall zu treffen ist. Es ist zu hoffen, dass nach der anfänglichen Aufregung und der zwischenzeitlich ungeklärten Lage angesichts von Entscheidungen wie den zitierten nun etwas Ruhe einkehren kann. Es verbieten sich auch weiterhin pauschalierende und generalisierende Wertungen. Keinesfalls können jedenfalls alle Chorleiter und Organisten als abhängig Beschäftigte eingestuft werden. Ein solches Bild entspräche nicht der vielfältigen Realität nebenberuflichen kirchenmusikalischen Schaffens. Mittels sachlicher Argumentation und richtiger Gestaltung der Vertragsverhältnisse können daher gute Erfolge erzielt werden. 14 Heft 6/2003 S08-18.pmd 14 18.11.03, 08:10 KLICKEN SIE SICH EIN: www.musica-sacra-online.de