Gesundheitsgespräch Kinder im seelischen Tief – was tun? Sendedatum: 25.06.2016 Experte: Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne, Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Klinikums der Universität München Autorin: Monika Dollinger Nicht nur Erwachsene, auch Kinder und Jugendliche können an Depression erkranken. Nach unterschiedlichen Schätzungen leiden zwischen zwei und vier Prozent der Kinder über zwölf Jahren zeitweise an einer Depression. Ebenso wie Erwachsene brauchen depressive Kinder und Jugendliche Hilfe – von ihren Eltern, ihren Freunden, ihren Lehrern - vor allem, weil sie selbst häufig ihre Krankheit nicht als solche erkennen. Besteht die Traurigkeit, der Rückzug und die verminderte Aktivität länger als zwei Wochen, sollte unbedingt eine professionelle Untersuchung durchgeführt werden, denn nur, wenn die Probleme des Kindes und Jugendlichen richtig erkannt und verstanden werden, ist wirksame Hilfe möglich. Der Text basiert auf einem Gespräch mit Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne, Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Klinikums der Universität München Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 1 Wie man eine Kinderdepression erkennt – die Symptome Mit zunehmendem Lebensalter steigt das Risiko, an einer Depression zu erkranken. Während sie bei Säuglingen und Kleinkindern sehr selten auftritt, leiden Kinder im Vor- und Grundschulalter schon öfter an einer Depression und ab der Pubertät steigt die Häufigkeit deutlich an. Eine Depression bei Kindern und Jugendlichen zu erkennen, ist für die Eltern oft schwierig, weil die Jugendlichen zunehmend weniger über ihre Stimmung, Emotionen und Erleben mit den Eltern sprechen. Kinder jeden Alters können Depression bekommen. Vorschulalter Auch Vorschulkinder können bereits eine Depression entwickeln, die schwer zu diagnostizieren ist. "Wenn ein Kind in diesem Alter ohne einen aktuellen Anlass länger traurig ist, sehr oft die körperliche Nähe zur Mutter sucht und sich nicht trennen kann, Phasen der Antriebslosigkeit hat, dann ist auch an eine depressive Episode bei diesem Kind zu denken." Prof. Schulte-Körne, Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Für die Diagnostik ist wichtig, das Kind über einen längeren Zeitraum zu beobachten. Beispiel: Hinweis für eine depressive Entwicklung kann sein, dass das Kind im Kindergarten nicht mehr spielen möchte, sich in eine Ecke zurückzieht, an den Gruppenaktivitäten nicht mehr teilnimmt und zudem über Kopf- und Bauchweh oder andere körperliche Beschwerden klagt. Durch die ärztliche Untersuchung wird klar, ob diese körperlichen Beschwerden tatsächlich Ausdruck einer körperlichen Erkrankung, oder ein Hinweis auf eine Depression sind. Schulalter Eine Depression bei Schulkindern tritt selten plötzlich auf, meist ist der Verlauf schleichend. Das Nachlassen der Schulleistungen, das Absinken der Noten sowie Rückzugsverhalten und eine zunehmende Teilnahmslosigkeit sind Hinweise für eine depressive Entwicklung. Auch im äußeren Erscheinungsbild verändern sich die Kinder. Veränderung des Erscheinungsbilds: • • Die Gestik ist weniger ausdrucksvoll, der Gesichtsausdruck ist manchmal wie erstarrt, und Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 2 • die Körperhaltung (z.B. hängende Schultern) drücken die gedrückte Stimmung in dieser Weise aus. Im Gegensatz zu den Vorschulkindern können Eltern ihr Schulkind gezielt fragen, wie sie sich fühlen. Das bedeutet aber nicht, dass diese Fragen immer eine Gewissheit über das Vorliegen einer Depression geben. "Obwohl bereits Grundschüler aufgrund ihrer Fähigkeiten in der Lage sind, über ihre Gefühle und ihr Erleben zu berichten, ist es für sie oft schwierig, über Traurigkeit und andere negative Gefühle zu sprechen." Prof. Schulte-Körne, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Klinikums der Universität München Jugendliche Mit dem Eintreten der Pubertät nimmt die Häufigkeit der Depression zu, insbesondere bei Mädchen. "Wir beobachten in den letzten Jahren eine Zunahme von leichteren Formen depressiver Störungen." Prof. Schulte-Körne, Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Die Gründe hierfür sind unterschiedlich: • • • Gesellschaftliche Anforderungen an die Autonomieentwicklung junger Frauen, die zu früh kommen und nicht selten diese Mädchen überfordern. Hormonelle Faktoren Schulische Belastungen (weniger im Bereich der Leistungsanforderungen, aber z.B. Mobbing, Cybermobbing) Die Symptome der Depression bei Jugendlichen und im jungen Erwachsenenalter sind ähnlich: Lebensmüde Gedanken treten häufiger auf, vereinzelt ist die depressive Erkrankung auch der Hintergrund für einen Suizidversuch. Geschlechtsspezifische Unterschiede Jungen und Männer versuchen eher, Stimmungstiefs zu verstecken als Mädchen. Deshalb verhalten sich depressive Jungen manchmal anders als die Mädchen. "Während Mädchen sich häufig zurückziehen, verwickeln sich depressive Jungen in Streitereien, beschädigen Gegenstände, fallen auf. Bei diesen Verhaltensmustern denken viele Eltern und Lehrer anfangs nicht an eine Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 3 Depression. Dabei ist die Grundstimmung bei den Jungen ähnlich wie bei den Mädchen: Sie sehen für sich keine Zukunftsperspektive, fühlen sich wertlos und haben kein Selbstvertrauen." Prof. Schulte-Körne, Direktor der Klinik für Kinderund Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Klinikums der Universität München Depression = Unaufmerksamkeit? "Bei Kindern mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) tritt nicht selten auch eine gedrückte Stimmung auf, ein vermindertes Selbstwertgefühl verbunden mit einer negativen Zukunftserwartung. Auch bei depressiven Kindern ist die Aufmerksamkeit häufig beeinträchtigt. Es handelt sich aber um zwei verschiedene Störungsbilder, die auch unterschiedlich behandelt werden. Tritt aber bei einer Depression zusätzlich ein ADHS auf, müssen beide Störungen entsprechend den kinder- und jugendpsychiatrischen Leitlinien behandelt werden." Prof. Schulte-Körne, Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Wie eine Depression entstehen kann – die Auslöser Kinder, deren Eltern oder nahe Verwandte zeitweise an einer Depression erkrankt waren, haben ein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Meist kommt zu dieser genetischen Komponente noch ein belastendes Ereignis, bevor sich eine Depression im Kindes- und Jugendalter einstellt. "Das kann der Tod eines Elternteils, schwere Erkrankungen in der Familie, Trennung der Eltern, aber auch traumatische Erlebnisse, wie körperlicher und psychischer Missbrauch sein." Prof. Schulte-Körne, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Klinikums der Universität München Wichtig: "Wir gehen davon aus, dass es nicht die Ursache der Depression gibt, sondern dass ein Zusammenwirken verschiedener Faktoren ursächlich ist. Kinder, bei denen die genetische Disposition vorliegt, dass sie belastende Lebenssituation anders verarbeiten und auf die zusätzlich schwierige Lebensereignisse einwirken, haben ein erhöhtes Risiko, an einer Depression zu erkranken." Prof. Schulte-Körne, Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Diagnostik der Depression bei Kindern • Im Vordergrund steht das Gespräch mit dem Kind und Jugendlichen, seinen Eltern und manchmal auch mit weiteren Familienmitgliedern. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 4 • • • Dabei geht es um Fragen zur Entwicklung, zur Kindergarten- und Schulzeit, zur Lebenssituation der Familie, vor allem zu dem Denken, Gefühlen und Stimmung des Kindes. Zusätzliche Informationen aus dem psychosozialen Umfeld, vom Kindergarten oder der Schule helfen, die Symptomatik besser einzuschätzen. Da nicht selten körperliche Beschwerden bei Schulkindern in Form von Bauch- und Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen geschildert werden, ist eine körperliche Untersuchung notwendig. Anhand von Testverfahren werden die Gefühle und die veränderte Wahrnehmung des Selbst und der störenden und belastenden Gedanken genauer bestimmt. Schulprobleme werden mit am häufigsten berichtet, vor allem ein unerklärliches Nachlassen der Leistungsfähigkeit. Daher ist eine Untersuchung der kognitiven Fähigkeiten und des individuellen Begabungsprofil mit seinen Stärken und Schwächen notwendig. Wichtig: Die Diagnostik sollte unbedingt durch einen Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie durchgeführt werden. Denn oft wird eine depressive Störung übersehen oder Emotionen, Verhalten und Erleben der Kinder und Jugendlichen falsch verstanden. Begleitprobleme Depressionen treten häufig zusammen mit anderen psychischen Problemen (wie Angststörungen und Essstörungen) auf. Diese sollten erkannt und entsprechend behandelt werden. An all diesen Störungen erkranken häufiger Mädchen und Frauen. „Wenn Essstörungen und Depression zusammen auftreten, ist die Behandlung besonders schwierig und sollte stationär in einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie erfolgen. Die Mädchen können aus eigenem Antrieb nicht mehr essen, magern ab, und ihr Leben ist ernsthaft bedroht.“ Prof. Schulte-Körne Alkohol und Drogen Depressive Jugendliche versuchen manchmal, sich selbst zu behandeln, und greifen aus diesem Grund zu Alkohol und Drogen. „Jugendlichen erleben dadurch eine kurzfristige Abnahme ihrer Ängste, sie fühlen sich für einen Moment weniger belastet.“ Prof. Schulte-Körne. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 5 Allerdings ist für die Gesamtperspektive das Vorliegen von zwei Erkrankungen schlechter. Zusätzlich erhöht der häufige Konsum von Alkohol das Risiko für weitere psychische Erkrankungen und für schwerwiegend körperliche Schädigungen. Wie man eine Kinderdepression behandelt – die Therapie Eine depressive Episode sollte in jedem Fall behandelt werden. Die Dauer der Episoden ist unterschiedlich, von wenigen Wochen bis zu mehreren Monaten. Zwischen den Episoden gibt es längere Intervalle, in denen die Symptome kaum, manchmal gar nicht auftreten. Gerade in diesen Intervallen ist eine Behandlungsmotivation meist gering. Behandlungsleitlinie Kürzlich wurde eine aktuelle Behandlungsleitlinie veröffentlicht, in der alle wichtigen Strategien der Behandlung auf der Basis der aktuellen Forschung für Kinder und Jugendliche mit einer depressiven Episode zusammengestellt wurden: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/028-043.html Kinder in die kinder- und jugendpsychiatrische Klinik? Abhängig vom Schweregrad der Störung ist eine ambulante, stationäre oder teilstationäre Behandlung zu überlegen. Hier kann zunächst ein beobachtendes Zuwarten ausreichend sein. Besteht die Symptomatik länger als zwei Wochen oder nimmt zu, sollte mit einer ambulanten Behandlung begonnen werden. • Leichte depressive Episoden werden überwiegend ambulant, z.B. bei einem niedergelassenen Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten oder Kinder- und Jugendpsychiater behandelt. • Bei mittelschwerer oder schwerer Ausprägung ist eine stationäre Behandlung zu empfehlen. Vor allem wenn lebensmüde Gedanken vorliegen und Kinder bereits Pläne haben, wie sie diese Gedanken umsetzen, ist zum Schutz des Kindes eine geschützte Behandlung in einer Klinik notwendig. Wie Kinder therapiert werden Im Vordergrund der Behandlung steht die Psychotherapie, die sowohl einzeln und in Gruppen angeboten wird. Auf der Basis einer tragfähigen TherapeutPatient-Beziehung geht es um die Stärkung eigener Ressourcen. Damit sollen soziale Kompetenzen wiedererlangt, das destruktive und meist eingeengte Denken verändert und vor allem die Stimmung verbessert werden. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 6 Auch die Eltern Bei jüngeren Kindern ist ein wichtiger Baustein die Einbindung der Eltern in die Behandlung. Die Entlastung von Schuldgefühlen, die oft belastende Gefühle der Eltern sind, die Entwicklung einer veränderten intrafamiliären Kommunikation mit Stärkung der positiven Affekte sind Bausteine der Elternarbeit. Medikamente – Nur bei schweren Formen sind Antidepressiva notwendig Bei Kinder und Jugendlichen mit mittelschwerer oder schwerer Depression können Medikamente sehr hilfreich sein. Es besteht jedoch das Problem, dass viele Medikamente für Kinder und Jugendliche nicht zugelassen sind, also keine ausreichende Anzahl von Studien vorliegen, die die Wirksamkeit der medikamentösen Behandlung zeigen. „Für sogenannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer ist ein Medikament, Fluoxetin, zur Behandlung bei Kindern und Jugendlichen zugelassen. Die vorliegenden Studien zeigen eine gute Wirksamkeit, die Kombination aus Psychotherapie (Verhaltenstherapie) und Medikament ist besonders zu empfehlen.“ Prof. Schulte-Körne. Das psychosoziale Umfeld nicht vergessen! Stress in der Schule oder mit Gleichaltrigen kann oft ein Auslöser einer depressiven Episode sein. Daher sollte die Schule und die „Peer-Gruppe“ in die Behandlungsplanung mit einbezogen werden. Oft werden Kinder und Jugendliche in der Schule übersehen, da sie eher still und zurückgezogen sind. Aufklärung der Lehrkräfte und eine unterstützende Lehrer-Schüler-Beziehung kann helfen, dass die psychotherapeutische Behandlung besser gelingt. Wichtig: Beziehung aufbauen und halten „Wichtig für den Behandlungserfolg ist der Beziehungsaufbau. Da Kinder und vor allem Jugendliche mit einer Depression sich selbst oft gar nicht als krank erleben, sondern eher als Versager, ist es wichtig, mit ihnen gemeinsam eine Perspektive zu erarbeiten. Ihnen fehlt oft die Kraft, vor sich liegende Aufgaben anzugehen oder die Hoffnung zu haben, dass sich etwas bessern könnte. Deshalb ist ein konstantes Angebot, auch wenn Rückschritte in Behandlung auftreten, das Mut macht und Hoffnung gibt, für die Entwicklung dieser Kinder und Jugendlichen sehr wichtig.“ Prof. Schulte-Körne. Strukturierung des Alltags als Rahmen, um sich aufzurichten Depressive Kinder und Jugendliche brauchen nicht selten eine klare und transparente Tagesstruktur, die ihnen hilft, die vor ihnen liegenden Aufgaben an zu gehen und zu meistern. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 7 Erfolge aufzeigen: „Du kannst es doch!“ „Eltern und Lehrer sollen auf Erfolge der Kinder hinweisen. So helfen sie, die negative Sichtweise zu verändern, indem sie von außen eine andere Sichtweise aufzeigen, die deutlich signalisiert: Ich sehe aber etwas Positives! Positive Signale setzen können alle: Eltern, Nachbarn, Freunde, aber auch die Lehrer!“ Prof. Schulte-Körne. Allerdings darf man nicht erwarten, dass diese Perspektive gleich übernommen wird. Nicht selten sind Eltern und Lehrer enttäuscht, dass trotz guten Zuredens sich nichts verändert. Dies erklärt sich durch die psychische Erkrankung, die es den Kindern und Jugendlichen erschwert, Perspektiven der Anderen zu übernehmen. Es ist daher ein wichtiges therapeutisches Ziel, den Kindern und Jugendlichen es zu ermöglichen, eine eigene positive Zukunftsperspektive zu entwickeln. Die Rolle der Schule – Hilfe für die Eltern und das Kind Für Eltern ist es oftmals nicht einfach, mit ihrem depressiven Kind ins Gespräch zu kommen. Mit dem Alter kann sich dieses Problem verstärken. „Die Pubertät kennzeichnet sich auch dadurch, dass Jugendliche sich von den Eltern lösen und abgrenzen. Deshalb ist es manchmal für Menschen außerhalb der Familie, wie etwa Lehrer oder Ärzte, leichter, einen Zugang zu dem Jugendlichen zu bekommen.“ Prof. Schulte-Körne. Tipp: Ein Gespräch der Eltern mit den Lehrern kann deshalb nicht nur die schulische Situation verbessern helfen, sondern auch das Verhalten des Jugendlichen für die Eltern transparenter zu machen. Wichtig: Lob und Anerkennung durch die Lehrkräfte ...auch und gerade, wenn die schulischen Leistungen nachgelassen haben. „Lehrer sind hier gefordert, auch kleine Erfolge zu loben, das heißt nicht, dass alles schön geredet werden muss. Entscheidend ist, einen Schüler gerade auch dann anzusprechen und aufzurufen, wenn er sich nicht mehr meldet.“ Prof. Schulte-Körne. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Daher steht im Vordergrund, die Wege zu bereiten, dass dem Jugendlichen fachärztliche bzw. psychotherapeutische Hilfen angeboten werden.“ Prof. Schulte-Körne. Hilfe für Eltern Im Einzelfall ist das Leben mit einem depressiven Kind oder Jugendlichen für die Eltern schwer auszuhalten. Es kostet viel Kraft und Nerven, immer wieder Geduld zu haben, Mut zu machen, aufzubauen, positive gegen negative Gedanken zu setzen, ungezählte Versuche zu unternehmen, Apathie und Antriebslosigkeit aufzubrechen. „Um mit dieser Problematik fertig zu werden, sollten Eltern entlastet werden, indem ihnen Unterstützung angeboten wird, zum Beispiel im Rahmen der psychotherapeutischen Behandlung des Kindes. Zusätzlich kann durch Besuch einer Elterngruppe Entlastung geschaffen werden, da Eltern erleben, wie es anderen Eltern geht und sehen, dass sie nicht allein mit ihrem Problem sind. Auch bietet dieses therapeutische Angebot den Eltern die Möglichkeit, Strategien zu lernen, wie sie ihr Kind zuhause unterstützen zu können.“ Prof. Schulte-Körne. Beschäftigung mit dem Tod Im Rahmen einer normalen Pubertätsentwicklung beschäftigen sich Jugendliche teilweise intensiv mit dem Thema Tod und der Endlichkeit des eigenen Lebens. „Da sich Gedanken an einen möglichen Selbstmord wie auch Selbstmordversuche häufig aus einer depressiven Episode heraus entwickeln können, sollte man im Gespräche zu diesem Thema Gesprächsbereitschaft signalisieren und das Gespräch auch suchen.“ Prof. Schulte-Körne. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 9 Schlüsselfragen sind: • Bist du in einer Situation oder hast du dich schon einmal in einer Situation befunden, die du als ausweglos erlebt hast? • Hast du schon überlegt, wie du damit umgehst? • Hast du schon mal an Selbstmord gedacht? Wichtig: Die Gefahr eines Suizides kann nur durch eine fachärztliche Untersuchung beurteilt werden, daher ist bei lebensmüden Gedanken unbedingt der Kontakt zum Kinder- und Jugendpsychiater zu suchen. Prävention der Depression bei Kindern Die Folgen der Depression für die Kinder und Jugendlichen sind vielfältig. Oft geht die Störung mit schulischen Problemen einher, die Kinder erreichen einen niedrigen Schulabschluss, haben ein erhöhtes Risiko, weiter psychische Erkrankungen zu entwickeln. Daher ist es wichtig, möglichst frühzeitig eine depressive Entwicklung zu erkennen. Aktuelle Studie: Früherkennung Im Rahmen von Studien am Lehrstuhl für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der LMU München wurden mit Unterstützung des Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit zwei Verfahren entwickelt, die es dem niedergelassen Hausarzt und Kinderarzt ermöglichen, depressive Entwicklung frühzeitig zu erkennen. Es sind der sogenannte CHILD-S und der DesTeen. Dabei handelt es sich um kurze Fragebögen, die es erlauben, eine erste Einschätzung vorzunehmen, ob eine depressive Episode vorliegt oder nicht. Der Child-S hat nur acht Fragen ist für Kinder von 9-12 Jahren geeignet, der DesTeen beinhaltet 14 Fragen für Kinder zwischen 13 und 16 Jahren. Für Interessierte: Interessierte Praktiker können die beiden Screeninginstrumente kostenlos über die Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie per Mail an das Forschungssekretariat (Frau Rupprecht) anfordern: [email protected] . Frühe Hilfe von Freunden Um der Stigmatisierung psychischer Erkrankung zu begegnen und insbesondere über depressive Störungen aufzuklären, wurde in einem Modellprojekt in München und in den angrenzenden Landkreise in Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien untersucht, wie man durch Information die Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 10 Schwelle für Jugendliche erniedrigen kann, sich bei einer drohenden depressiven Entwicklung Hilfe zu suchen und wie kann man sich gegenseitig stärkt. Broschüre „Paul ganz unten“ Anhand der für das Jugendalter ansprechenden Broschüre „Paul ganz unten“ wird eine Geschichte von Jugendlichen erzählt, die bereits depressiv erkrankt waren und aktuell sind. Die Geschichte spielt in einer größeren Gruppe von Jugendlichen und zeigt Wege auf, wie Jugendliche die Erkrankung erleben, wie die Umwelt darauf reagiert und wie professionelle Hilfe aussieht. “Paul ganz unten“ wurde an über 600 Neuntklässlern aus Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien in München Stadt und Land mit Unterstützung von Gesund.Leben.Bayern evaluiert. Schülerinnen und Schüler aller Schulformen konnten von der Broschüre profitieren und ihr Wissen zu Depression signifikant steigern. Dieser Effekt war auch einen Monat später noch nachweisbar. Außerdem wurde die Broschüre von den Schülern sehr gut angenommen und als hilfreich eingeschätzt, um sich mit dem Thema Depression besser auszukennen. Die Aufklärungsbroschüre kann somit einen Beitrag dazu leisten, Hürden auf dem Weg in eine Behandlung abzubauen und Stigmata gegenüber Betroffenen zu verringern. Da die Broschüre nachgewiesenermaßen wirksam ist in der Wissensvermittlung und eine hohe Akzeptanz in der Zielgruppe besitzt, ist eine Verbreitung in den weiterführenden Schulen Bayerns wünschenswert. Hilfe für Familien – PRODO PRODO ist ein familienbasiertes Präventionsprogramm zur Reduktion des Erkrankungsrisikos für eine depressive Störung und zur Verbesserung von psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen. Einer der wichtigsten Risikofaktoren für das Auftreten einer depressiven Störung ist das Vorliegen einer depressiven Störung eines Elternteils. Kinder und Jugendliche, bei denen mindestens ein Elternteil an einer depressiven Störung erkrankt ist, weisen ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko auf, selbst an einer depressiven Störung zu erkranken - gegenüber Kindern und Jugendlichen, deren Eltern nicht depressiv sind. Zwölf Sitzungen à 90 Minuten Das Programm ist für vier bis fünf Familien gestaltet und besteht aus zwölf Sitzungen, die jeweils 90 Minuten dauern. An manchen Sitzungen nehmen Eltern und Kinder zusammen teil, während andere getrennt durchgeführt werden. Hauptbestandteile des Programms sind Edukation über Depression, Verbesserung der Bewältigungsstrategien des Kindes und Verbesserung der Erziehungsfähigkeiten des Elternteils. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 11 Probanden gesucht! Mit Unterstützung von Gesund.Leben.Bayern wird das Präventionsprogramm hinsichtlich seiner Wirksamkeit untersucht. PRODO richtet sich an Familien mit mindestens einem Elternteil, der an einer depressiven Episode erkrankt ist (oder war, seit Geburt des Kindes). Die teilnehmenden Kinder sollten zwischen 8 und 17 Jahre alt und weder aktuell noch jemals an einer depressiven Störung erkrankt oder deswegen in Behandlung gewesen sein. Sollten Sie Fragen zu der Studie haben, oder bei Interesse an einer Teilnahme der Studie, können Sie sich gerne wenden an: Dr. Belinda Platt Telefon: 089 - 4400 56932. Email: [email protected] Die PRODO-Studie wird von Hape Kerkeling unterstützt. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 12