Elektrostatik

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Kapitel 2
Elektrostatik
2.1
2.1.1
Grundgleichungen des elektrostatischen Feldes
Das Coulomb’sche Gesetz
Wie jede Theorie fußt die Elektrostatik auf der Grundlage experimenteller Erfahrung. Diese wurde im 18.
Jahrhundert durch die Untersuchung der Wechselwirkung elektrisch geladener Körper gelegt. Das wichtigste
Resultat war das 1785 von Charles Coulomb formulierte Coulomb’sche Gesetz, welches die Kraft, die zwischen
zwei Ladungen wirkt, angibt:
~ =k·
K
q1 · q2
(~r1 − ~r2 )
|~r1 − ~r2 |3
(2.1)
In diesem Gesetz sind drei wesentliche Aussagen enthalten, die entscheidend in die später aufzustellenden
Feldgleichungen eingehen:
1. Die Kraft ist zentral.
2. Der Betrag der Kraft ist umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes der beiden Ladungen.
3. Jede Ladung geht genau linear in die Kraft ein, woraus folgt, dass sich die Wirkungen mehrerer Ladungen
ungestört überlagern. Dies ist das so genannte Superpositionsprinzip.
Man muss sich darüber im Klaren sein, dass keine dieser Eigenschaften trivial oder denknotwendig ist, sondern
der genauesten experimentellen Nachprüfung bedarf. Die Bestätigung dieses Kraftgesetzes durch das Experiment
ist allerdings sehr gut, so gilt etwa für die Abweichung vom 1/r2 Gesetz:
F
∼
ε .
1
r2 + ε
(2.7 ± 3.2) · 10−16
Charakteristisch für die elektrische Wechselwirkung ist die Tatsache, dass es zwei Arten von Ladungen gibt,
die mit positivem oder negativem Vorzeichen in Gleichung (2.1) eingehen, woraus sowohl anziehende als auch
abstoßende Kräfte folgen. Ein weiteres experimentelles Resultat ist die Existenz der kleinsten Ladung, der
Elementarladung e. Wegen deren Kleinheit (1.60219 × 10−19 C bzw. 4.80325 × 10−10 e.s.u.) spielt diese Tatsache
jedoch für die klassische Theorie keine Rolle.
2.1.2
Das elektrische Feld
Auf die oben aufgeführten experimentellen Erfahrungen gestützt, wollen wir nun eine Theorie der Elektrostatik
aufbauen. Dazu soll zunächst der Begriff des Feldes eingeführt werden. Aus der Mathematik ist der Feldbegriff
bereits vertraut: Ein Vektorfeld ist eine Abbildung des R3 in sein Tangentialbündel T R3 .
Dieses Konzept können wir vorteilhaft zur Beschreibung der elektrischen Wechselwirkung benutzen. Drückt das
Coulomb’sche Gesetz nur die Wirkung zweier Ladungen aufeinander aus, so wollen wir nun davon ausgehen,
dass eine Ladung den sie umgebenden Raum verändert, “ein elektrisches Feld aufbaut“, das so beschaffen ist,
4
dass eine in dieses Feld gebrachte Probeladung genau die Kraft erfährt, die sich nach dem Coulomb’schen Gesetz
berechnet. Diese Begriffsbildung hat, wie wir sehen werden, beträchtliche Vorteile für die mathematische Behandlung komplizierter elektrischer Phänomene. Mit ihr können wir nämlich weitgehend auf die genaue Kenntnis
der Positionen aller Ladungen im gesamten Raum verzichten und statt dessen den Feldverlauf betrachten, den
wir, wie wir sehen werden, aus der Kenntnis der Ladungen in einem begrenzten Raumgebiet und zusätzlichen
Randbedingungen erhalten können. Zahlreiche Probleme werden dadurch überhaupt erst behandelbar.
Definieren wir nun dieses elektrische Feld. Wir betrachten dazu die Kraft, die eine Testladung an einem Raumpunkt erfährt. Um eine Beeinflussung des Feldes durch die Testladung auszuschließen, wollen wir diese als
beliebig klein annehmen, mathematisch also den Grenzwert q → 0 betrachten. Der Wert des Feldes an dieser
Stelle soll dann der Quotient Kraft durch Größe dieser Ladung sein:
~
~ r ) := lim F (~r)
E(~
q→0
q
(2.2)
Der Grenzprozess kann wegen der Existenz einer Elementarladung natürlich nur eine mathematische Idealisierung sein, jedoch spielt dies in unserem Fall ohnehin keine Rolle, da wir bereits wissen, dass die Felder
verschiedener Ladungen sich ungestört überlagern.
Mit dem Coulomb’schen Gesetz können wir die Gleichung für das elektrische Feld einer Ladung q, die sich im
Punkt ~r0 befindet, angeben:
~ r) = k ·
E(~
q
(~r − ~r0 )
|~r − ~r0 |3
(2.3)
Entsprechend ist das Feld von mehreren Ladungen qi in den Positionen ~ri0 :
~ r) =
E(~
n
X
k
i=1
qi
(~r − ~ri0 )
|~r − ~ri0 |3
(2.4)
Der Faktor k, der schon im Coulomb’schen Gesetz auftritt, kann frei gewählt werden. Seine Festlegung bestimmt
die Maßeinheit der elektrischen Ladung. In der theoretischen√Elektrodynamik (Gauß’sches Maßsystem) wird
er gewöhnlich gleich 1 gesetzt, weswegen die Ladung in cm dyn gemessen wird. Im SI-System ist dagegen
k = 1/4πε0 mit ε0 = 8, 854 × 10−12 F/m. Die daraus resultierende Ladungseinheit ist das Coulomb.
2.1.3
Ladungsdichte und Deltafunktion
Im vorigen Kapitel haben wir das elektrische Feld von n Punktladungen angegeben. In der Praxis ist jedoch die
explizite Berechnung der auftretenden Summen wegen der ungeheuer großen Zahl von auftretenden Punktladungen (Elektronen und Ionen) unmöglich. Darüber hinaus sind die genauen Positionen der einzelnen Ladungen
auch gar nicht genau bekannt, sondern allenfalls deren Dichte, die so genannte Ladungsdichte ρ. Mittels dieser
können wir die Summe in Gleichung (2.4) durch ein Integral ersetzen, welches weit einfacher zu handhaben ist.
Wir schreiben damit:
~ r) =
E(~
Z
ρ(~r0 )
~r − ~r0
dV 0
|~r − ~r0 |3
(2.5)
Die Ladungsdichte hat dabei die Eigenschaft, dass:
Z
ρ(~r) dV = Q(V )
(2.6)
V
Der Begriff der Ladungsdichte kann mathematisch auch auf den Fall diskreter Punktladungen verallgemeinert
werden. Dazu muss eine Funktion gefunden werden, die die folgenden zwei Eigenschaften hat:
1. Sie muss außer an einem Punkt im ganzen Raum verschwinden.
2. Das Integral über jedes Volumen, das diesen speziellen Punkt enthält, muss gleich 1 sein.
5
Unter den klassischen Funktionen ist eine solche offenbar nicht zu finden. Es ist daher nötig - und möglich! - den
Funktionsbegriff derart zu verallgemeinern, dass er auch Funktionen mit den Eigenschaften 1. und 2. umfasst.
Wir lehnen uns zu ihrer Definition eng an die oben eingeführten Ladungsdichten an und bemerken, dass diese
stets als Integranden auftreten. Wir definieren daher eine verallgemeinerte Funktion als lineares Funktional mit
den Eigenschaften (siehe z.B. Lighthill):
Z
δ(x − x0 ) ϕ(x) dx = ϕ(x0 )
(2.7)
Z
δ(~r − ~r0 ) ϕ(~r) dV = ϕ(~r0 )
(2.8)
oder im 3-dimensionalen Fall:
δ(x − x0 ) ist die Dirac’sche Delta-Funktion. (Sie gehört zu den Distributionen.) Die Dirac’sche Delta-Funktion
tritt in verschiedenen expliziten Darstellungen auf. Hier seien einige von ihnen angegeben:
1. als Grenzwert:
a)
1
δ(x − a) = lim √
ε→0
π
"
(x−a)2
1
√ e− ε
ε
#
b)
δ(x − a) =
ε
1
lim 2
ε→0
π
ε + (x − a)2
δ(x − a) =
1
sin n(x − a)
lim
π n→∞
x−a
(2.9)
c)
2. als Ableitung:
a) Sei Θ(x) =
1
0
für
für
x>0
x<0
(Θ-Distribution), so ist:
δ(x) =
dΘ
dx
(2.10)
b)
∆
1
= −4πδ(~r)
|~r|
Die Darstellung 2.b) wird sich als besonders wichtig herausstellen. Um dies zu beweisen, benutzen wir die
folgende Integralformel:
Z
div ~a dV =
V
I
F
~a · df~
und die Identität:
1 d2
1
1 d2
1
(1) = 0
=
r
·
=
∆
r
r dr2
r
r dr2
6
(2.11)
~ 1:
für r 6= 0. Wir setzen ~a = ∇
r
I 1
1
~
∇
∆ dv =
· df~
≡
r
r
V
F
Z
1 2
= −
r dΩ = −4π
r2
~ · ∇)
~ 1 dv
(∇
r
V
Z
Z
(2.12)
Wir benutzten, dass die Richtung von Flächenelement df~ in die Normalenrichtung nach außen weist. Da ∆ ( 1r ) =
0 für r 6= 0, muss nach Definition der Delta-Funktion gelten:
∆
1
= −4π δ(~r − ~r0 )
|~r − ~r0 |
(2.13)
Wir wollen noch einige weitere Eigenschaften der Delta-Funktion angeben:
δ(x) = δ(−x)
δ(ax) =
(2.14)
1
δ(x)
|a|
(2.15)
Beweis:
Z
δ(ax) f (x) dx =
Z
1
1
1
x
ξ
dξ =
=
δ(ξ) f
f a·
f (x)
|a|
a
|a|
a
|a|
Der Absolutbetrag rührt vom Umkehren der Grenzen bei negativem a her:
δ g(x) =
1
δ(x − x0 )
|g 0 (x0 )|
für g(x0 ) = 0
(2.16)
Beweis:
Z
δ g(x) f (x) dx
=
=
δ g(x0 ) + g 0 (x0 ) (x − x0 ) f (x) dx
Z
1
1
f (x0 )
δ(x − x0 ) f (x) dx = 0
0
|g (x0 )|
|g (x0 )|
Z
Dieser kurze Abriss der wichtigsten und im Folgenden gebrauchten Eigenschaften der Dirac’schen Delta-Funktion
kann keine vollständige und exakte mathematische Formulierung sein. Für ein tieferes Verständnis muss daher
unbedingt auf die einschlägige mathematische Literatur verwiesen werden (insbesondere Lighthill, Schwartz,
Hormander, Berz; bibliographische Angaben siehe Literaturverzeichnis).
Das Instrumentarium dieses Abschnittes versetzt uns nun in die Lage, ein
Pnelektrisches Feld stets mittels Formel (2.5) zu berechnen, wenn wir auch Ladungsdichten der Form ρ(~r) = i=1 qi δ(~r − ~ri ) zulassen. Mit dieser
Formulierung werden wir im nächsten Kapitel differentielle Feldgleichungen herleiten.
2.1.4
Die Feldgleichungen des statischen elektrischen Feldes
Um von der Integraldarstellung des Feldes auf eine Differentialgleichung zu kommen, betrachten wir den Fluss
des elektrischen Feldes durch eine orientierbare geschlossene Fläche:
I
F
~ · ~n dF
E
=
=
=
~r − ~r0
dV 0 · ~n dF
|~r − ~r0 |3
F
Z Z
1
cos(~r − ~r0 , ~n) dV 0 dF
ρ(~r0 )
0 |2
|~
r
−
~
r
F
Z
4π
dV 0 ρ(~r0 )
I Z
ρ(~r0 )
V (F )
7
(2.17)
Das letzte Gleichheitszeichen wird bewiesen durch Vertauschen der Integrale und durch Aufbau der Fläche F aus
Teilen von Kugelschalen um ~r0 . Gleichung (2.17) heißt Gauß’sches Gesetz. Unter Verwendung des Gauß’schen
Satzes schreiben wir damit:
Z
F
~ · ~n dΩ =
E
Z
~ dV = 4π
div E
V (F )
Z
V (F )
ρ(~r) dV ⇒
Z
V (F )
~ r ) − 4π ρ(~r) dV = 0
div E(~
Da das Volumen V (F ) beliebig war, folgt aus dieser Gleichung:
~ r ) = 4π ρ(~r)
div E(~
(2.18)
Dies ist die 1. Maxwell’sche Gleichung für das Vakuum! Sie bestimmt jedoch das elektrische Feld noch nicht
ausreichend. Neben der Divergenz müssen wir auch die Rotation des Feldes an jedem Raumpunkt kennen.
Jedoch folgt schon unmittelbar aus dem Coulomb’schen Gesetz:
~ r) = 0
rot E(~
(2.19)
Beweis:
~ r) =
rot E(~
=
Z
Z
0
~r − ~r0
0
0
~ ~r × ~r − ~r ρ(~r0 ) dV 0
~
∇
∇~r × ρ(~r )
dV
=
|~r − ~r0 |3
|~r − ~r0 |3
Z
0
ρ(~r0 )
ρ(~r ) ~
0
0
0
~
=0
∇~r × (~r − ~r ) − (r − r ) × ∇~r
dV
|~r − ~r0 |3
|~r − ~r0 |3
Das Ergebnis kann auch auf folgenden lehrreichen Wegen erhalten werden. Dazu beachten wir, dass:
~r − ~r0
1
=
−
|~r − ~r0 |
|~r − ~r0 |3
Z
Z
1
1
0
0 ~
~
~ φ(~r)
~
dV = −∇~r ρ(~r0 )
dV 0 = −∇
E(~r) = − ρ(~r ) ∇~r
|~r − ~r0 |
|~r − ~r0 |
Z
ρ(~r0 )
φ(~r) :=
dV 0
|~r − ~r0 |
~ ~r
∇
also:
wo:
(2.20)
Dann folgt sofort die Identität:
~ = −rot grad φ = 0
rot E
wie gehabt. Diese Herleitung hat aber zugleich die Formel für das elektrische Potential φ geliefert! Im Folgen~
den ist der Umgang mit der skalaren Potentialfunktion einfacher als die Handhabung der Vektorfunktion E.
~ in φ (wegen der Rotationsfreiheit von E!).
~
Andererseits steckt bereits alle Information über E
An dieser Stelle ist der Beweis der Tatsache angebracht, dass ein Vektorfeld durch Angabe seiner Divergenz und
Rotation eindeutig bestimmt ist! Sei also z.B.:
div V~
=
rot V~
=
4π ρ
4π ~
·j
c
~ +B
~ mit rot E
~ = 0 und div B
~ = 0. Dann gilt:
Wir schreiben nun V~ = E
~
div E
~
rot B
= 4π ρ
4π ~
j
=
c
8
~ und B.
~ Wegen rot E
~ = 0 folgt, wie wir dann sahen:
Unsere Aufgabe bleibt die Bestimmung von E
~ r ) = −grad φ(~r)
E(~
wo φ eine skalarwertige Funktion ist. Damit gilt:
∆φ(~r) = −4π ρ
(Poisson-Gleichung)
Unter der zusätzlichen Annahme, dass φ im Unendlichen mindestens wie 1/r abfällt, können wir unter Benutzung
der 2. Green’schen Formel mit u = r1 , v = φ schreiben:
Z Z 1
1 ∂
1
1
dV =
∆φ − φ · ∆
φ + φ 2 dΩ
r
r
r ∂n
r
Z
1
⇔
(− 4π ρ(~r) + φ δ(0) · 4π dV = 0
r
Z
ρ(~r)
dV
⇔
φ(0) =
|~r|
Z
ρ(~r0 )
oder: φ(~r) =
dV 0
|~r − ~r0 |
~ als:
und somit auch E
~ r ) = −grad φ(~r)
E(~
~ zu bestimmen. Da div B
~ = 0, kann B
~ als Rotation eines Vektorfeldes (Vektorpotential!)
Es bleibt der Anteil B
~ ausgedrückt werden:
A
~ = rot A
~
B
Es gilt dann:
~ = rot rot A
~ = grad div A
~ − ∆A
~ = 4π ~j(~r)
rot B
c
~ zu bestimmen, betrachten wir eine so genannte Eich-Transformation:
Um damit A
~0 = A
~ + grad χ
A
wo χ Skalarpotential ist. Es gilt dann offenbar:
~ 0 = rot A
~=B
~
rot A
~ nur bis auf den Gradienten eines Skalarfeldes bestimmen. Wir nutzen diese Freiheit, um
d.h. wir müssen B
0
~
div A = 0 zu erreichen. Dazu transformieren wir einfach:
~0 = A
~ + grad χ
A
~
mit div grad χ = −div A!
~ können sich noch durch ein beliebiges divergenzfreies Vektorfeld unterscheiden. Daraus folgt:
grad χ und −A
~ 0 − ∆A
~ 0 = −∆A
~ 0 = 4π ~j(~r)
grad div A
c
Wie zuvor folgt daraus:
9
~ 0 (~r) = 1
A
c
Z
~j(~r0 )
dV 0
|~r − ~r0 |
~ erhalten wir hieraus als:
B
~ = rot A
~ 0 (~r)
B
Kehren wir nun zu der vorher eingeführten Potentialfunktion zurück. Sie bedarf zunächst noch einer physikalischen Interpretation. Diese ergibt sich in naheliegender Weise als die potentielle Energie einer Einheitsladung
am Orte ~r, als die sie in elementaren Darstellungen für gewöhnlich eingeführt wird. Wir wollen dazu die Arbeit
berechnen, die nötig ist, um eine Ladung q von einem Punkt a zu einem Punkt b zu bewegen:
Wa,b = −
Z
a
b
~ · d~s = −q
K
Z
b
a
~ · d~s = q
E
Z
a
b
~ · d~s = q
∇φ
Z
φ(b)
φ(a)
dφ = φ(b) − φ(a) · q
(2.21)
Fassen wir an dieser Stelle unsere Ergebnisse kurz zusammen: Das statische elektrische Feld genügt den beiden
Gleichungen:
~ r)
rot E(~
~ r)
div E(~
= 0
= 4π ρ(~r)
Ferner wissen wir:
~ r ) = −grad φ(~r)
E(~
Setzen wir dies in die ersten Gleichungen ein, so bleibt:
∆φ(~r) = −4π ρ(~r)
(2.22)
die so genannte Poisson-Gleichung, die im ladungsfreien Raum in die Laplace-Gleichung:
∆φ(~r) = 0
(2.23)
übergeht.
2.1.5
Partielle Differentialgleichungen
In diesem Kapitel wollen wir untersuchen, unter welchen Bedingungen wir die Gleichungen (2.22) bzw. (2.23)
eindeutig lösen können.
Die Lösung der Gleichungen ist uns in dem Fall, dass wir die Ladungsverteilung im gesamten Raum kennen,
bereits bekannt; es ist die Gleichung (2.20). Im Allgemeinen werden wir diese Kenntnis jedoch nicht haben, sondern die Verteilung der Ladungen nur in einem begrenzten Raumgebiet kennen. Aus dieser Information allein
kann dann der Feldverlauf noch nicht berechnet werden, sondern wir müssen zusätzliche Aussagen über das
Potential auf dem Rand des betreffenden Gebietes haben. Welcher Art diese so genannten “Randbedingungen“
sein müssen, lehrt die Theorie der partiellen Differentialgleichungen. Zunächst werden zwei Typen von Randbedingungen unterschieden:
1. Kenntnis des Potentials φ auf dem Rand (Dirichlet’sche Randbedingungen); der Rand ist die Fläche, die
das Volumen einschließt, in dem man φ berechnen will.
2. Kenntnis der Normalenableitung
∂φ
∂n
auf dem Rand (von Neumann’sche Randbedingung).
10
Wir werden zeigen, dass der Potentialverlauf in einem Gebiet eindeutig durch die Poisson-Gleichung, die Ladungsverteilung in dem Gebiet, sowie durch Dirichlet’sche oder von Neumann’sche Randbedingungen bestimmt
ist. Dass ein Typ von Randbedingungen ausreicht, ist eine Besonderheit dieses Typs von Differentialgleichungen, der so genannten elliptischen Differentialgleichung. In anderen Fällen, bei so genannten parabolischen bzw.
hyperbolischen Differentialgleichungen, müssen beide Typen von Randbedingungen bekannt sein (so genannte
Cauchy’sche Randbedingungen).
Für unseren Eindeutigkeitsbeweis betrachten wir zwei Funktion φ1 und φ2 sowie ihre Differenz u = φ1 − φ2 .
Auf dem Rand F gilt:
u(F ) = 0
∂u
(F ) = 0
∂n
oder
Ferner seien φ1 und φ2 Lösungen der Poisson-Gleichung in v, also u Lösung der Laplace-Gleichung ∆u = 0. Die
erste Green’sche Formel liefert:
Z
~ ∇u)
~ dV =
∇(u
Z
V
~ · ∇u)
~ dV =
(u∆u + ∇u
Z
∂V
∂u
u·
dF ⇒
∂n
Z
V
~ 2 dV = 0
(∇u)
(2.24)
~ = 0. Damit ist u innerhalb v konstant, d.h. φ1 eindeutig bis auf eine Konstante, die aber physikalisch
so dass ∇u
~ interessiert: q.e.d.
keine Rolle spielt, da stets nur das Feld E
2.1.6
Formale Lösung von Randwertproblemen mit Green’schen Funktionen
Die 2. Green’sche Formel:
Z
V
(u∆v − v∆u) dV =
Z ∂u
∂v
−v
u
dF
∂n
∂n
F
1
liefert mit v = 1/|~r − ~r0 | und u = φ als gesuchte Lösung mit ∆φ = −4π ρ wegen ∆ |~r−~
r − ~r0 ):
r 0 | = −4π δ(~
Z V
− 4π φ(~r) δ(~r − ~r0 ) +
Z ∂
1
1
∂φ
4π
0
0
ρ(~
r
)
dV
=
φ
−
dF 0
0 |~
0|
0 | ∂n0
|~r − ~r0 |
∂n
r
−
~
r
|~
r
−
~
r
F
(2.25)
Das liefert uns formal das Potential φ:
Z
φ(~r) =
V
ρ(~r0 )
1
dV 0 +
|~r − ~r0 |
4π
Z F
∂φ
1
∂
1
dF
−
φ
|~r − ~r0 | ∂n0
∂n0 |~r − ~r0 |
(2.26)
Diese Lösung entspricht jedoch nicht unseren Randwerten, müssen doch zur Auswertung von Gleichung (2.26)
∂φ
noch φ und ∂n
0 bekannt sein!
∂φ
Wir wollen daher erreichen, dass entweder der Term φ oder ∂n
0 im Oberflächenintegral verschwindet. Dazu
wählen wir als u in der Green’schen Formel nicht mehr 1/|~r − ~r0 |, sondern andere, so genannte “Green’sche
Funktionen“, die ebenfalls die Differentialgleichung:
∆G(~r, ~r0 ) = −4π δ(~r − ~r0 )
(Green’sche Differentialgleichung)
erfüllen. Wir wollen jedoch zusätzliche Randbedingungen an G stellen. Nehmen wir zunächst die Forderung, G
möge die gleichen Randbedingungen erfüllen wie φ. Ersetzen wir dann in Formel (2.26) 1/|~r − ~r0 | durch G(~r, ~r0 ),
so folgt:
φ(~r) =
Z
V
1
G(~r, ~r ) ρ(~r ) dV +
4π
0
0
0
Z F
∂φ
∂G(~r, ~r0 )
G(~r, ~r ) 0 − φ
dF 0
∂n
∂n0
0
Voraussetzungsgemäß verschwindet der Integrand im Oberflächenintegral, so dass:
11
(2.27)
φ(~r) =
Z
G(~r, ~r0 ) ρ(~r0 ) dV 0
(2.28)
V
Dies ist zwar eine sehr einfache Lösung, sie setzt jedoch voraus, dass wir die entsprechende Green’sche Funktion
kennen. Da wir aber für jede Randbedingung eine spezielle Green’sche Funktion finden müssen und dies genauso
schwer ist wie das Auffinden des Potentials selbst, ist damit nichts gewonnen. Wir bemerken jedoch, dass unsere
Forderung, G möge die Randbedingungen von φ erfüllen, viel zu weitgehend war. Während wir nämlich nur φ
∂φ
oder ∂n
0 im Oberflächenintegral beseitigen wollten, ist in Gleichung (2.28) das ganze Integral verschwunden!
Wir machen daher die vereinfachte Annahme, G(~r, ~r0 ) sei auf F identisch 0.
G(~r, ~r0 ) = 0
für ~r0 ∈ F
(2.29)
Damit erhalten wir:
φ(~r) =
Z
V
ρ(~r0 ) G(~r, ~r0 ) dV 0 −
1
4π
Z
φ(~r0 )
F
∂G(~r, ~r0 )
dF
∂n0
(2.30)
Gleichung (2.30) ist nun die richtige Lösung für Dirichlet’sche Randwertprobleme. Sobald G bekannt ist, können
die Integrale ausgewertet werden.
Für von Neumann’sche Randbedingungen müssen wir etwas anders vorgehen. Man wäre zunächst geneigt, in
,~
r 0 ∈F )
= 0 vorzuschreiben. Dann aber wäre:
Analogie zum vorigen Fall einfach ∂G(~r∂n
0
Z
F
∂G
dF = 0
∂n
andererseits, nach dem Gauß’schen Satz:
Z
F
∂G
dF =
∂n
Z
V
div grad G dV = −4π
Z
δ(~r − ~r0 ) dV = −4π
da G die Green’sche Differentialgleichung erfüllen muss. Die einfachste mögliche Randbedingung für
daher:
∂G(~r, ~r0 )
= −4π/
∂n
Z
für ~r0 ∈ F
dF
F
∂G
∂n
ist
(2.31)
Wie wir gleich sehen werden, ist diese Bedingung auch für unsere Zwecke geeignet. Dazu setzen wir einfach in
Gleichung (2.27) ein und erhalten:
φ(~r)
Z
Z
Z
∂φ(~r0 )
1
0
0
0
G(~r, ~r0 )
dF
+
φ(~
r
)
dF
/
dF 0
4π F
∂n0
V
F
∂V
Z
Z
∂φ
1
0
0
0
G(~r, ~r0 ) 0 dF 0 + hφiF
=
G(~r, ~r ) ρ(~r ) dV +
4π
∂n
∂V
V
=
Z
G(~r, ~r0 ) ρ(~r0 ) dV 0 +
(2.32)
wobei hφi∂V der konstante Mittelwert von φ auf V ist.
Da wir unsere Lösung jedoch ohnehin nur bis auf eine Konstante eindeutig bestimmen können, setzen wir diesen
Mittelwert einfach willkürlich gleich 0. Es bleibt dann als Lösung:
φ(~r) =
Z
V
G(~r, ~r0 ) ρ(~r0 ) dV 0 +
1
4π
Z
∂V
G(~r, ~r0 )
∂φ(~r0 )
dF 0
∂n0
(2.33)
Damit ist die Aufgabe, beliebige Randwertprobleme zu lösen, darauf zurückgeführt, Green’sche Funktionen zu
finden, die die einfachen Randbedingungen (auf evtl. sehr komplizierten Oberflächen!!):
12
G(~r, ~r0 ∈ F ) =
∂
G(~r, ~r0 ∈ F ) =
∂n0
0
−4π/
bzw.
Z
dF
F
erfüllen und die Green’sche Differentialgleichung lösen.
Die Green’sche Differentialgleichung können wir noch auf die Laplace-Gleichung zurückführen, indem wir setzen:
G(~r, ~r0 ) =
1
+ F (~r, ~r0 )
|~r − ~r0 |
(2.34)
Dann folgt: G löst die Green’sche Differentialgleichung, wenn F die Laplace-Gleichung löst, denn:
∆G(~r, ~r0 ) = ∆
1
+ ∆ F (~r, ~r0 ) = −4π δ(~r, ~r0 ) + ∆ F (~r, ~r0 ) = −4π δ(~r, ~r0 )
|~r − ~r0 |
Damit ist unser Problem erheblich vereinfacht, jedoch immer noch sehr schwierig und nur für Randbedingungen
auf verhältnismäßig einfachen Oberflächen lösbar. Lösungsmethoden für einfache Fälle werden wir in späteren
Kapiteln behandeln. Hier wollen wir noch eine interessante Symmetrieeigenschaft der Green’schen Funktionen
betrachten, die sich beim Dirichlet’schen Problem von selbst ergibt und beim von Neumann’schen separat
gefordert werden kann:
G(~r, ~r0 ) = G(~r0 , ~r)
(2.35)
Zum Beweis setzen wir in die 2. Green’sche Formel u = G(~r, ~y ), v = G(~r0 , ~y) mit G(~r, ~r0 ε F ) = 0 ein:
Z "
V
2.1.7
#
G(~r, ~y) − 4π δ(~r0 − ~
y ) + 4π G(~r0 , ~y) δ(~r − ~y ) d3 y
⇒ G(~r0 , ~r)
= 4π G(~r , ~r) − G(~r, ~r ) = 0
0
0
= G(~r, ~r0 )
Elektrostatische potentielle Energie und Energiedichte
Schon bei Einführung des Potentials hatten wir gesehen, dass das Produkt aus Ladung und Potential q · φ die
potentielle Energie der Ladung q angibt. Wir wollen damit nun die potentielle Energie von n Punktladungen
untersuchen. Wie wir wissen, ist das Potential von n − 1 Punktladungen:
φ(~r) =
n−1
X
i=1
qi
|~ri − ~r|
und somit die Energie der Ladung qj :
n
X
qi
|~ri − ~rj |
(2.36)
n X
X
qj qi
|~rj − ~ri |
(2.37)
Wj (~rj ) = qj
i=1
i6=j
Die Gesamtenergie aller n Ladungen ist:
Wges =
j=1 i<j
Bei der Summation wurde darauf geachtet, jede Wechselwirkung nur einmal zu zählen. Wir können auch äquivalent schreiben:
13
n
n
1 X X qi qj
2 i=1 j=1 |~ri − ~rj |
W =
(2.38)
j6=i
Bei stetiger Ladungsverteilung erhalten wir entsprechend das Integral:
W =
1
2
Z Z
ρ(~r) ρ(~r0 )
dV 0 dV
|~r − ~r0 |
(2.39)
oder, nach Einsetzen von Gleichung (2.20):
W =
1
2
Z
ρ(~r) φ(~r) dV
(2.40)
woraus mittels der Poisson-Gleichung und partieller Integration:
W =−
1
8π
Z
∆φφ dV = −
1
1
[∇φ · φ]∞ +
8π
8π
Z
|∇φ|2 dV =
1
8π
Z
~ 2 dV
|E|
(2.41)
wird. In Gleichung (2.41) haben wir die Energie nur noch durch die Feldstärke gegeben, ohne expliziten Bezug
auf die Ladungen, was uns berechtigt, von “Feldenergie“ zu sprechen. Die Gleichung legt noch die Definition
der Energiedichte des elektrostatischen Feldes nahe:
W =
1 ~ 2
|E|
8π
(2.42)
Wir sehen, dass die Energiedichte (2.42) positiv definit ist, während nach Gleichung (2.38) auch negative Energien möglich sind. Die Auflösung dieses scheinbaren Widerspruches ergibt sich daraus, dass in Gleichung (2.38)
die “Selbst“energie der einzelnen Ladungen, d.h. die Energie, die eine isolierte Ladung im eigenen Feld besitzt,
nicht auftritt (i 6= j!!), während diese in Gleichung (2.39) enthalten ist. Es mag nützlich sein, dies am Beispiel
von zwei Punktladungen zu erläutern.
Das elektrische Feld wird hier:
~ r ) = q1 (~r − ~r1 ) + q2 (~r − ~r2 )
E(~
|~r − ~r1 |3
|~r − ~r2 |3
die Energiedichte nach Gleichung (2.42), also:
W =
q12
1
1
q2
q1 q2 (~r − ~r1 ) · (~r − ~r2 )
+ 2
+
4
8π |~r − ~r1 |
8π |~r − ~r2 |4
4π |~r − ~r1 |3 |~r − ~r2 |3
Die ersten zwei Terme sind in jedem Fall Selbstenergieterme. Dass der dritte der Wechselwirkungsenergie entspricht, zeigen wir durch Integration und Vergleich mit Formel (2.38):
WW =
q1 q2
4π
Durch die Substitution
Z
(~r − ~r1 ) · (~r − ~r2 )
q1 q2
dV =
|~r − ~r1 |3 |~r − ~r2 |3
4π
(~
r−~
r1 )
|~
r1 −~
r2 |
=ρ
~ und mit ~n =
WW =
(~
r1 −~
r2 )
|~
r1 −~
r2 |
1
q1 q2
4π |~r1 − ~r2 |
Z
(r − r1 ) (~r − ~r1 + ~r1 − ~r2 )
·
dV
|r − r1 |3 |~r − ~r1 + ~r1 − ~r2 |3
folgt:
Z
ρ
~ · (~
ρ + ~n) 3
d ρ
|~
ρ|3 |~
ρ + ~n|3
Das verbleibende Integral ist unschwer zu berechnen (ρ = |~
ρ|):
14
Z
ρ
~(~
ρ + ~n)
d3 ρ
3
|~
ρ| |~
ρ + ~n|3
=
=
ρ2 + ρ cos(~
ρ, ~n)
d3 ρ
3
2
ρ (ρ + ρ cos(~
ρ, ~n) + 1)3/2
Z ∞ Z 1 Z 2π
ρ + cos(~
ρ, ~n)
·dρd cos(~
ρ, ~n)dψ 2
= 4π
(ρ + ρ cos(~
ρ, ~n) + 1)
0
−1 0
Z
Es folgt:
WW =
q1 q2
|~r1 − ~r2 |
Das ist aber das nach Gleichung (2.38) zu erwartende Resultat.
2.1.8
Flächenladungsdichte
An dieser Stelle scheint es zweckmäßig, noch den Begriff der Flächenladungsdichte einzuführen. Befinden sich
z.B. Ladungen auf einer leitenden Oberfläche, so ist die Raumladungsdichte so beschaffen, dass sie in Richtung
der Flächennormalen eine Delta-Funktion ist. Der Anteil parallel zur Oberfläche wird dann als Flächenladungsdichte σ bezeichnet. Für die Feldstärken an der Vor- und Rückseite einer solchen geladenen Fläche liefert der
Gauß’sche Satz:
~1 − E
~ 2 ) · ~n = 4π · σ
(E
(2.43)
Beweis:
Wir betrachten einen infinitesimalen Kasten dV , der die Oberfläche S umschließt. Es gilt dann:
~2 − E
~ 1 )~n =
(E
Z
∂V
~ · ~ndF =
E
Z
~
div EdV
=
dV
Z
4πρdV = 4π
dV
Z
σdF = 4πσ
F
Für das Potential (ohne Randbedingungen) folgt der einfache Ausdruck:
φ(~r) =
Z
S
σ(~r0 )
dΩ0
|~r − ~r0 |
(2.44)
Andererseits liefern das Gauß’sche Gesetz und der Gauß’sche Satz:
φ(~r)
=
=
~ 0 Z
Z
Z
~ r0 )
1
1
1
div E(~
E(~r )
1
ρ(~r0 )
~ · grad
div
dV
−
dV
=
dV
=
dV
E
0|
0|
0|
|~
r
−
~
r
4π
|~
r
−
~
r
4π
|~
r
−
~
r
4π
|~
r
−
~r0 |
V
V
V
V
Z
Z
Z
~ r0 ) · ~n(~r0 )
E(~
1
r − ~r0 )
σ(~r0 )
1
0 (~
~
dΩ
−
E(~
r
)
dΩ
(2.45)
dV
=
4π ∂V
|~r − ~r0 |
4π V
|~r − ~r0 |3
r − ~r0 |
∂V |~
Z
Für den Fall, dass im Volumen V das Feld verschwindet, folgt daraus:
~ r ) · ~n(~r) = 4π σ(~r)
E(~
(2.46)
auf der Oberfläche ∂V . Wegen:
~ r ) · ~n(~r) =
E(~
~ r ) · ~n(~r) = ∂φ (~r)
∇φ(~
∂~n
ist damit die Flächenladungsdichte die Randbedingung für das von Neumann’sche Randwertproblem.
2.2
Randwertprobleme der Elektrostatik
Im ersten Paragraph wurden die Grundgleichungen der Elektrostatik hergeleitet und die allgemeine Lösungstheorie der auftretenden partiellen Differentialgleichungen angeschnitten. In diesem Kapitel sollen nun explizite
Lösungsverfahren eingeführt und an Beispielen vorgestellt werden. Dabei werden wir das Verfahren des Spiegelungsprinzips sowie die Entwicklung nach Orthonormalsystemen behandeln.
15
2.2.1
Das Spiegelungsprinzip (Methode der reziproken Radien)
Sind einfache Randwerte (insbesondere φ0 = 0!) auf geometrisch einfachen Flächen (im wesentlichen Kugelflächen) vorgegeben, so gibt es eine einfache und elegante Methode, das Potential zu bestimmen. Man führt
dazu zu den vorhandenen Ladungen noch virtuelle, so genannte Spielladungen ein, die so beschaffen sind, dass
mit ihnen die gegebenen Randbedingungen automatisch erfüllt sind. Das einfachste Beispiel ist eine Punktladung q im Abstand a vor einer leitenden, ebenen Wand. Denkt man sich spiegelbildlich dazu eine gleich große,
entgegengesetzte Ladung −q, so wird die Randbedingung φ = 0 auf der Wand automatisch erfüllt. Damit kann
für die Berechnung des Feldes vor der Wand deren Existenz unberücksichtigt bleiben und das Integral (2.20) ist
die gesuchte Lösung, wenn die Ladungsverteilung aus Ladung und Spiegelladung besteht. Nach diesem Trivialbeispiel wollen wir einige weitere Anwendungen behandeln.
a
−q
a
q
Abb. 2.1:
a) Punktladung nahe einer geerdeten, leitenden Kugel
2
q
y
r
q’
a
1
y’
Abb. 2.2:
Die oben stehende Skizze (Figur 2.2) gibt den Schnitt durch die Punktladung und den Kugelmittelpunkt
wieder. Aus ihr entnehme man die Bezeichnungsweise. Wir suchen das Potential mit φ(|~r| = a) = 0. Dazu
haben wir die Spiegelladung q 0 ins Kugelinnere gesetzt. Gesucht ist ihre Größe und ihr Ort. Dazu setzen
wir das Potential an:
φ(~r) =
q
q0
+
|~r − ~y| |~r − ~y0 |
Zur Vereinfachung setzen wir:
~r = r~n,
~y = y~n0 ,
16
wo |~n| = |~n0 | = 1
(2.47)
Damit ist:
φ(~r) =
q
q0
+
0
|r~n − y~n | |r~n − y 0~n0 |
(2.48)
Dass ~y 0 und ~
y parallel sein müssen, folgt sofort aus der Symmetrie des Problems:
φ(r = a) =
q0
q
y 0 + 0 a
a|~n − a ~n | y | y0 ~n − ~n0 |
(2.49)
Durch Einsetzen der Randbedingung φ(r = a) = 0 folgt:
y
q0
q
q 0 |~n − ~n0 |
=− 0 a a 0 =− 0
a
y | y0 ~n − ~n |
y
s
1 + y 2 /a2 − 2 ya ~n · ~n0
a2
y 02
+ 1 − 2 ya0 ~n · ~n0
Da dies für beliebiges ~n, ~n0 erfüllt sein muss, folgt:
y/a =
a
y0
Daraus erhalten wir für die Größe und den Ort der Spiegelladung:
a
q 0 = − q;
y
y0 =
a2
y
(2.50)
Die Formel für den Spiegelladungsort entspricht dem, was in der Geometrie als Kreisspiegelung bezeichnet
wird. Die häufige Bezeichnungsweise “Methode der reziproken Radien“ für die Spiegelladungsmethode
kommt daher, dass der Einfachheit wegen bisweilen stets a = 1 gesetzt wird. Dann nämlich liefert Gleichung (2.50) gerade y 0 = 1/y. Es geht dabei jedoch die Übersicht über die auftretenden Dimensionsgrößen
leicht verloren, was beim Mitschleppen des Faktors a vermieden wird.
Wir wollen nun noch die auf der Kugel induzierte Flächenladungsdichte berechnen. Da im Kugelinnern
kein Feld vorhanden ist, können wir zur Berechnung von σ Formel (2.46) benutzen:
σ=
1 − ( ay )2
1 ~
−q
−1 ∂φ a
E(~r) · ~n
=
=
4π
4π ∂r r=a
4πa2 y (1 + ( ya )2 − 2 ya cos ϑ)
r=a
(2.51)
Dabei ist cos ϑ = ~n · ~n0 .
Die Gesamtladung kann man durch Integration der Flächenladungsdichte (2.51) über die Kugeloberfläche
jedoch auch weit einfacher erhalten: Da nämlich das Feld im Außenraum das Gleiche ist wie das Feld von
Ladung plus Spiegelladung, folgt aus dem Gauß’schen Gesetz:
Z
∂F
~ r ) · ~n(~r)dF = 4πq 0
E(~
(2.52)
sofern man ∂F als Fläche wählt, die die Kugel gerade eben umhüllt, die Ladung q jedoch nicht umfasst.
Da andererseits das Integral auch 4π-mal die Ladung der Kugel ist, ist die induzierte Ladung gerade die
Spiegelladung.
17
Zuletzt wollen wir noch die Kraft berechnen, die auf die Ladung q ausgeübt wird. Der einfachste Weg ist,
die Kraft zwischen Ladung und Spiegelladung auszurechnen:
F~ =
aq 2
q2
q0 q
0
·
~
n
=
−
·
~
n
=
−
2
|y − y 0 |2
a2
y|y − ay |2
3 −2
a
a2
1− 2
y
y
(2.53)
Für großen Abstand, also a/y << 1, ist damit F ∼ 1/y 3 ; bei kleinen Abständen, also a/y ∼ 1, ist dagegen
1
F ∼ |y−a|
2 , also die Kraft etwa dem Quadrat des Abstands von der Kugeloberfläche proportional.
b) Punktladung nahe einer isolierten, geladenen, leitenden Kugel
Dieses Problem kann in recht einfacher Weise mittels der im vorigen Abschnitt erworbenen Kenntnisse
gelöst werden. Dazu gehen wir von einer geerdeten Kugel aus, in deren Nähe eine Punktladung gebracht
wird. Wir wissen, dass dadurch auf der Kugeloberfläche eine Ladungsverteilung induziert wird, durch die
alle auftretenden Kräfte parallel zur Oberfläche kompensiert werden. Das resultierende Potential kennen
wir. Wegen des Kräftegleichgewichtes kann die Erdverbindung entfernt werden, ohne dass sich an der Ladungsverteilung oder am Potential etwas ändert. Bringen wir nun noch zusätzlich die Ladung Q−q 0 auf die
Kugel, so wird sich diese gleichmäßig über die Oberfläche verteilen, denn so bleibt das Kräftegleichgewicht
erhalten. Die Kugel hat damit die Gesamtladung Q, und das Potential errechnet sich als Überlagerung
des Potentials der geerdeten Kugel mit dem einer Punktladung Q − q 0 im Kugelmittelpunkt.
φ(~r) =
Q + ya q
q
aq
+
−
|~r − ~y| y|~r − ay22 ~y|
|~r|
(2.54)
Interessant ist hier noch die wirkende Kraft zu berechnen, die sich als Summe der Kraft zwischen Punktladung Q − q 0 und q und der nach Gleichung (2.53) berechneten Kraft ergibt:
qa3 (2y 2 − a2 )
q
~
· ~y
F = 3 Q−
y
y (y 2 − a2 )2
(2.55)
Bemerkenswert ist dabei, dass für genügend geringe Abstände der Ladung q von der Oberfläche die Kraft
stets anziehend wird, gleich welche Ladung Q die Kugel trägt. Für große Abstände dagegen kommt die
Coulomb-Kraft zwischen zwei Punktladungen Q und q alleine zum Tragen.
Dies erklärt, warum überschüssige Ladungen nicht ohne Weiteres von einem geladenen Körper absprühen.
Auch die Austrittsarbeit von Elektronen bei Metallen erklärt sich zum großen Teil aus diesem Phänomen.
c) Punktladung bei einer leitenden Kugel auf konstantem Potential
Dieses Problem lässt sich in einfacher Weise auf das vorige zurückführen. Wir ersetzen einfach die Ladung
Q − q 0 im Kugelmittelpunkt durch die virtuelle Ladung aV , wo V das Potential an der Kugeloberfläche
ist. Es folgt dann:
φ(~r) =
aq
Va
q
−
+
2
a
|~r − ~y| y|~r − y2 ~y|
|~r|
Wir sehen, dass tatsächlich für r = a das Potential gleich V ist:
φ(r = a) =
q
a|~n −
y
~
a|
−
18
aq
a2 | y~a
− y~y |
+V =V !
(2.56)
d) Leitende Kugel im homogenen elektrischen Feld
Um auch dieses Problem mit dem Spiegelungsprinzip lösen zu können, sehen wir das homogene Feld in
der Nähe der Kugel als das Feld zweier entgegengesetzter Ladungen an, die sich an gegenüberliegenden
Punkten im Unendlichen befinden. Wir gehen bei der Lösung zunächst von Ladungen im Endlichen aus
und betrachten später den Grenzwert.
+ a’
+a
−R
R
−a
−a
Abb. 2.3:
Seien die beiden Ladungen −Q und +Q auf der 3-Achse im Abstand +R bzw. −R vom Ursprung. Wir
aQ
a2
−a2
wissen, dass dadurch Spiegelladungen aQ
R bei z = R und − R bei z = R auftreten. Das Potential dieser
vier Ladungen ist:
φ(~r) =
Q
~
|~r + R|
+
−Q
−aQ
aQ
+
+
a2 ~
a2 ~
~
|~r − R| R|~r + R2 R| R|~r − R
2 R|
(2.57)
Betrachten wir nun die Ebene, in der der Aufpunkt r und beide Ladungen liegen, und nennen wir darin
~ ϑ, so können wir statt Gleichung (2.57) schreiben:
den Winkel zwischen ~r und R
φ(r, ϑ)
=
Q
Q
− 2
(r2 + R2 + 2rR cos ϑ)1/2
(r + R2 − 2rR cos ϑ)1/2
aQ
aQ
−
+
a4
a2 r
1/2
2 + a4 − 2 a2 r cos ϑ)1/2
R(r2 + R
+
2
cos
ϑ)
R(r
2
R
R2
R
(2.58)
Da nur der Grenzwert R interessiert, können wir R >> r und R >> a annehmen und nach Taylor
entwickeln. Dazu klammern wir in den zwei ersten Summanden 1/R, in den zwei letzten 1/r aus:
φ(r, ϑ)
=
1
1
−
r2
r
1/2
R(1 +
R(1 + R2 − 2 Rr cos ϑ)
+ 2 R cos ϑ)
a
a
+
−
a4
a2
a4
a2
1/2
Rr(1 + R2 r2 + 2 Rr cos ϑ)
Rr(1 + R2 r2 − 2 Rr
cos ϑ)1/2
Q
r2
R2
(2.59)
Indem wir Terme höher als erste Ordnung in a/R oder r/R vernachlässigen und das bekannte Resultat:
(1 ± x)−1/2 = 1 ∓
1
3
x + x2 ± . . .
2
8
ausnutzen, folgt:
φ(r, ϑ)
=
⇒ =
#
r
a
a
r
a2
a2
cos ϑ − 1 +
cos ϑ −
cos ϑ +
cos ϑ
1−
1−
1+
R
R
r
Rr
r
Rr
2Q a3
− r cos ϑ
(2.60)
R2 r 2
Q
R
"
19
Lassen wir die Ladungen nach außen wandern, so müssen sie wie 1/R2 wachsen, um ein gleich bleibendes
Feld im Ursprung zu erhalten. Der Faktor 2Q/R2 bleibt daher auch im Grenzwert R gleich und ist gerade
die Größe des homogenen Feldes E0 . Somit ist:
φ(r, ϑ) = E0
a3
−r
r2
cos ϑ
(2.61)
das resultierende Potential. Es setzt sich, wie wir sehen, aus dem ungestörten Potential −E0 r cos ϑ = −E0 z
und einem durch die induzierte Oberflächenladung hervorgerufenen zusätzlichen Dipolfeld E0 (a3 /r2 ) cos ϑ
zusammen. Die induzierte Flächenladungsdichte ist wegen:
σ=−
durch:
1
σ=
4π
1 ∂φ 4π ∂r r=a
a3
3
1 + 2 3 E0 · cos ϑ =
E0 cos ϑ
a
4π
(2.62)
gegeben. Da das Oberflächenintegral:
Z
∂V
σ(ϑ, ϕ)dF =
Z
2π
0
Z
π
a2 sin ϑ dϑdϕσ(ϑ, ϕ) =
0
3
E0
4π
Z
0
2π
Z
π
a2 sin ϑ cos ϑ dϑdϕ
0
gleich Null ist, ist die induzierte Gesamtladung gleichfalls Null, was auch sofort an den Spiegelladungen
abzulesen ist. Damit besteht aber zwischen geerdeter und isolierter Kugel hier kein Unterschied.
Im Vorhergehenden haben wir stets die Punktladungen im Außenraum der Kugel angenommen. Das
Verfahren funktioniert jedoch genauso für Ladungen im Innern einer (Hohl-)Kugel. Wir können dafür
sogar die früher abgeleiteten Formeln benutzen, wenn wir folgendermaßen transformieren:
φ0 (r, ϑ, ϕ) =
a
φ
r
a2
, ϑ, ϕ
r
(2.63)
φ(r, ϑ, ϕ) ist dabei das Potential von Ladungen qi an den Orten (ri , ϑi , ϕi ); φ0 (r, ϑ, ϕ) das Potential von
Ladungen (qi0 = qi a/ri ) an den Stellen (a2 /ri , ϑi , ϕi ).
Beweis: Es ist
φ(r, ϑ, ϕ) =
X
i
X
qi
qi
=
0
2
2
|~r − ~ri |
(r + ri − 2rri cos ϑi )1/2
i
Mit obiger Transformation erhalten wir:
φ0 (r, ϑ, ϕ)
=
=
aX
qi
4
a
2
r i ( r2 + ri − 2 ar2 ri cos ϑi )1/2
a
X
ri
qi a4
2
( r2 + r2 − 2 ari r cos ϑi )1/2
i
i
=
X
i
a
ri
2
| ar2
i
qi
~ri − ~r|
denn dies ist gerade das Potential, welches die Ladungen
20
a
ri
2
qi am Ort ( ari , ϑ, ϕ) erzeugt.
e) Die Green’sche Funktion für die Kugel
Die wichtigste Anwendung des Spiegelungsprinzips ist jedoch nicht die Lösung einfacher Beispiele, wie
sie oben gezeigt wurden, sondern die Möglichkeit, mit seiner Hilfe in einfacher Weise die Green’sche
Funktion für Randbedingungen zu finden, die auf der Kugel vorgegeben sind. Wir wissen ja bereits, dass
wir dann die Lösung aller dieser Randwertprobleme angeben können. Beim Dirichlet’schen Problem muss
die Green’sche Funktion die Randbedingung
G(~r, ~r0 )
=0
|~
r 0 |=a
sowie die Green’sche Differentialgleichung:
∆G(~r, ~r0 ) = 4π δ(~r − ~r0 )
erfüllen. Diese Aufgabe haben wir unter a) bereits gelöst, wenn wir nur q = 1 setzen. Es ist also:
a
1
−
0
0
|~r − ~r | r |~r − ra022 ~r0 |
(2.64)
1
1
− r2 ·r02
(r2 + r02 − 2rr0 cos ϑ)1/2
( a2 + a2 − 2rr0 cos ϑ)1/2
(2.65)
G(~r, ~r0 ) =
oder in sphärischen Koordinaten:
G(~r, ~r0 ) =
Wir benötigen nun noch die Normalenableitung
die partielle Ableitung nach:
∂G(~r, ~r0 )
∂r0
=
∂G(~
r,~
r0 )
∂n0
auf der Kugel. In Polarkoordinaten ist dies gerade
1
∂
1
− r2 r02
∂r0 (r2 + r02 − 2rr0 cos ϑ)1/2
( a2 + a2 − 2rr0 cos ϑ)1/2
2 0
=
r r
r0 − r cos ϑ
a2 − r cos ϑ
− 2
+
2 r 02
r
02
0
3/2
(r + r − 2r r cos ϑ)
( a2 + a2 − 2rr0 cos ϑ)3/2
Auf der Kugeloberfläche ist r0 = a, so dass:
2
a − ra
∂G(~r, ~r0 ) r 2 − a2
=
−
=
∂r0 r0 =a
(r2 + a2 − 2ra cos ϑ)3/2
a(r2 + a2 − 2ra cos ϑ)3/2
(2.66)
Wir müssen hier noch auf das richtige Vorzeichen achten. Die obige Formel gibt die Ableitung in Richtung
der äußeren Normalen an, muss also für Probleme im Innern der Kugel benutzt werden. Für Probleme im
Außenraum müssen wir dagegen in Richtung der inneren Normalen differenzieren, d.h. die obige Formel
mit einem negativen Vorzeichen versehen.
Das Dirichlet’sche Problem für Randbedingungen auf der Kugeloberfläche können wir damit geschlossen
lösen. Für Probleme im Innern einer Kugel:
φ(~r)
=
Z
0
a
Z
2π
0
Z
π
r
02
0
0
0
0
0
sin ϑ dr dϑ dϕ
0
1
×ρ(r , ϑ , ϕ ) −
4π
0
0
Z
0
2π
Z
π
1
1
− r2 r02
2
02
0
1/2
2
(r + r − 2r r cos ϑ)
( a2 + a − 2rr0 cos ϑ0 )1/2
a2 sin ϑ0 dϑ0 dϕ0
0
21
r 2 − a2
· φ(a, ϑ0 , ϕ0 )
a(r2 + a2 − 2ar cos ϑ)3/2
(2.67)
Das zweite Integral wird als Poisson-Integral bezeichnet. Für Probleme im Außenraum einer Kugel kehrt
sich lediglich das Vorzeichen vor dem Poisson-Integral um und die r0 -Integration im Volumenintegral ist
von a bis ∞ zu erstrecken.
Die einfachen Beispiele, die wir unter a) bis d) behandelt haben, könnten zwar auch mit Hilfe des Integrals (2.67) sofort gelöst werden, jedoch lohnt sich die Auswertung der Integrale für derart einfache
Beispiele nicht; das früher verwendete Verfahren der direkten Lösung der Laplace-Gleichung war wesentlich eleganter.
Bei komplizierten Randbedingungen und/oder komplizierten Ladungsverteilungen sind die schwerfälligen
Integrale oft der einzige, zumindest aber der sicherste Weg zur Lösung. Zumindest eine numerische Lösung
ist nämlich mit endlichem Aufwand immer möglich.
Die Formel (2.67) ist übrigens historisch zuerst von POISSON mittels der Entwicklung nach Kugelfunktionen hergeleitet worden, ein Verfahren, das wir im nächsten Abschnitt kennenlernen werden. Unser
Weg war direkter und einfacher; er ist allerdings auch nur für das Dirichlet’sche Problem gangbar. Um
Green’sche Funktionen für von Neumann’sche Randwertprobleme zu erhalten, ist man gezwungen, den
Poisson’schen Weg zu gehen.
2.2.2
Entwicklung nach vollständigen Orthonormalsystemen
a) Kurzer Abriss über vollständige Orthonormalsysteme
Aus der linearen Algebra ist bekannt, dass die über einem kompakten Intervall (einschließlich des R)
quadratintegrablen Funktionen durch Reihen von Funktionen eines “vollständigen Orthonormalsystems“
(kurz “ON-System“) im “quadratischen Mittel“ approximiert werden können. Bekanntes Beispiel eines
solchen ON-Systems sind die Funktionen:
1
√ sin nx,
π
1
√ cos nx,
π
n = 0, 1, . . . ∞
die der Fourier-Entwicklung über dem Intervall [0, 2π] zugrunde liegen. Durch affine Transformation kann
damit natürlich jedes beliebige Intervall erreicht werden.
Für unsere Zwecke sind ON-Systeme erforderlich, die im R3 vollständig sind und Lösung der LaplaceGleichung sind. Bestimmen wir dann die Entwicklungskoeffizienten gemäß den Randwerten, so liefert uns
das die richtige Lösung im ganzen Raum.
Wir wollen zunächst einige allgemeine Formeln für Funktionen aus einem beliebigen Hilbert-Raum H
ableiten. Wir wollen dabei das Skalarprodukt wie folgt definieren:
hf, gi :=
Z
f ∗ gdV
(2.68)
f und g müssen dafür die Forderung hf, f i < ∞, hg, gi < ∞ erfüllen. Ein System von Funktionen un heißt
dann orthonormal, wenn für alle n, m:
hun , um i =
Z
u∗n (x)um (x)dV = δnm
Ist das ON-System vollständig, so muss für jede Funktion aus dem Hilbert-Raum gelten:
22
(2.69)
Z
n
n
n
X
X
X
f−
ak u k , f −
ak u k =
|f (x) −
ak uk (x)|2 dV < ε
k=0
H
k=0
(2.70)
k=0
für jedes ε bei geeignet großem n. Die Koeffizienten ak bestimmen sich wegen der Orthonormalität einfach
durch Projektion von f auf uk0 :
ak = huk , f i =
Z
u∗k (x)f (x)dV
(2.71)
Damit können wir f schreiben als:
f (x) =
∞
X
ak uk (x) =
k=0
∞ Z
X
u∗k (x0 )f (x0 )dV 0 uk (x) =
Z X
∞
k=0
k=0
u∗k (x0 )uk (x) f (x0 )dV 0
(2.72)
Die Beziehung:
f (x) =
∞
X
ak uk (x)
k=0
gilt im Allgemeinen nicht punktweise, sondern eben nur über die Approximation, dass:
Z
|f (x) −
N
X
k=1
ak uk (x)|2 dx → 0
d.h. dass z.B. die Funktionen:
f (x)
f (x)
= x2
2
x
=
106
x ∈ [0, 2π]
0 ≤ x < π π < x ≤ 2π
x=π
“gleich sind“, d.h. durch genau dieselbe Reihe dargestellt werden. Diese Bedingung an das Funktionensystem können wir einfacher schreiben, wenn wir uns an die Definition der Dirac’schen Delta-Funktion
entsinnen. Gleichung (2.72) bedeutet nämlich nichts anderes als:
∞
X
k=0
u∗k (x)uk (x) = δ(x − x0 )
(2.73)
Dies bezeichnen wir im Folgenden als “Vollständigkeitsrelation“.
Im Folgenden begegnen wir einigen Systemen, die Gleichung (2.69) und (2.73) erfüllen und überdies Lösungen der Laplace-Gleichung sind. Ihr Auftreten hängt stets mit der Separation der Laplace-Gleichung in verschiedenen Koordinatensystemen zusammen, die wir gleich behandeln werden. Für ein tieferes Verständnis
dieses Sachverhaltes sei auf die Lehrbücher der Gruppentheorie verwiesen.
b) Separation der Laplace-Gleichung in karthesischen Koordinaten
Symmetrien in den Randbedingungen eines Problems legen stets die Behandlung in einem Koordinatensystem nahe, das die gleichen Symmetrien aufweist.
23
Ein erstes Beispiel sollen Randbedingungen sein, die auf einem Quader vorgegeben sind. Die von der
Symmetrie nahe gelegten Koordinaten sind hier die vertrauten karthesischen Korrdinaten. Dabei legen
wir naheliegenderweise die Achsen parallel zu den Quaderkanten. Die Laplace-Gleichung lautet dann:
∂2
∂2
∂2
φ(x, y, z) + 2 φ(x, y, z) + 2 φ(x, y, z) = 0
2
∂x
∂y
∂z
(2.74)
Es liegt nun nahe, φ als Produkt dreier Funktionen aufzufassen, die jeweils nur von einer Koordinate
abhängen, also:
φ(x, y, z) = X(x) · Y (y) · Z(z)
(2.75)
Setzen wir diesen “Separationsansatz“ in die Laplace-Gleichung ein, so erhalten wir:
Y (y)Z(z)
d2
d2
d2
X(x) + X(x)Z(z) 2 Y (y) + X(x)Y (y) 2 Z(z) = 0
2
dx
dy
dz
d2
1 d2
1 d2
1
X(x) +
Y (y) +
Z(z) = 0
2
2
X(x) dx
Y (y) dy
Z(z) dz 2
(2.76)
(2.77)
Die drei Summanden sind nun unabhängig voneinander. Wir können daher die eine Differentialgleichung (2.77) als drei gekoppelte Differentialgleichungen schreiben, wenn wir setzen:
1
d2
X(x) = −α2
X(x) dx2
1 d2
Y (y) = −β 2
Y (y) dy 2
1 d2
Z(z) = γ 2
Z(z) dz 2
(2.78)
wobei α, β, γ die Bedingung γ 2 − α2 − β 2 = 0 erfüllen müssen. Die Lösungen der Gleichungen (2.78) sind
aber bekannt:
d2
1
X(x)
X(x) dx2
d2
X(x)
dx2
X(x)
= −α2
= −α2 X(x)
(2.79)
= X0 e±iαx + X1 e−iαx
ebenso:
Y (y) =
Y0 e+iβy + Y1 e−iβx
Z(z) =
Z0 e+γZ + Z1 e−γZ = Z0 e+
√
α2 +β 2 z
+ Z1 e−
√
α2 +β 2 z
Die Konstanten α und β sind noch frei. Wir suchen jedoch nicht alle Lösungen von Gleichung (2.74),
sondern nur ein vollständiges System, das für unsere Randbedingungen besonders geeignet ist. Wir geben
dafür spezielle Randbedingungen vor. Die Kantenlängen unseres Quaders seien a, b, c. Es gelte:
24
Z
c
Y
b
a
Abb. 2.4:
φ=0
für
x = 0, y = 0, z = 0
φ=0
für
x = a, y = b
Damit folgt zunächst:
0 = X(0) = X0 eiα·0 + X1 e−iα·0
X(x) =
Y (y) =
X1 = −X0
X0 · sin αx
Y0 · sin βy
p
Z0 · sinh ( α2 + β 2 ) z
Z(z) =
(2.80)
Weiter folgt wegen:
0 = X(a) = X0 · sin α · a
αn =
βm =
2π
a
2π
b
n
m
α · a = n · 2π
sowie auch
(2.81)
Die Funktionen:
φnm (x, y, z) = sin(αn x) sin(βm y) sinh
p
2 z
α2n + βm
(2.82)
erfüllen also die Randbedingungen auf den fünf Flächen und die Laplace-Gleichung. Geben wir auf der 6.
Fläche z = c eine Randbedingung vor, so können wir die Lösung als Reihe in φnm erhalten.
φ(x, y, z) =
∞
X
Anm φnm (x, y, z)
n,m=0
Die Bedingung an die Anm ist dabei durch die Randbedingung V (x, y, c) gegeben:
25
(2.83)
V (x, y, c) =
∞
X
∞
X
Anm φnm (x, y, c) =
n,m=0
n,m=0
p
Anm sin(αn x) sin(βm y) sinh( α2n + β 2 c)
(2.84)
Dies erkennen wir aber als eine (doppelte) Fourier-Reihe, so dass wir die Koeffizienten Anm gemäß Gleichung (2.71) erhalten:
Anm =
ab sinh π
4
q
n2
a2
+
m2
b2
Z
a
dx
0
Z
b
dy V (x, y, c) sin(αn x) sin(βm y)
(2.85)
0
Das allgemeinere Randwertproblem, bei dem beliebige Randwerte auf jeder Fläche vorgeschrieben sind,
können wir durch eine Superposition von sechs Potentialfunktionen, die entsprechend Gleichung (2.84),
jedoch jeweils mit einer anderen Fläche für beliebige Randwerte erhalten wurden, lösen. Sind zusätzlich
Ladungsverteilungen innerhalb des Quaders vorhanden, so muss die Green’sche Funktion bestimmt werden. Dieses Problem wird in einem späteren Kapitel behandelt. Wir wissen jedoch, dass das wesentliche
Problem dabei darin besteht, eine Lösung der Laplace-Gleichung zu bestimmen. Daher wird diese Aufgabe
nichts wesentlich Neues mehr bringen.
c) Separation in sphärischen Koordinaten; Kugelflächenfunktionen
Analog zum vorigen Abschnitt gehen wir nun Probleme mit sphärischer Symmetrie an. In den hier auftretenden Kugelkoordinaten hat die Laplace-Gleichung folgende Gestalt:
1 ∂2
∂
∂2
1
∂
1
r
φ(r,
ϑ,
ϕ)
+
sin
ϑ
φ(r,
ϑ,
ϕ)
+
φ(r, ϑ, ϕ) = 0
r ∂r2
r2 sin ϑ ∂ϑ
∂ϑ
r2 sin2 ϑ ∂ϕ2
(2.86)
Wieder machen wir einen Separationssatz:
φ(r, ϑ, ϕ) =
u(r)
P (ϑ)Q(ϕ)
r
(2.87)
Eingesetzt in Gleichung (2.86) folgt:
PQ
d
uQ
d
u+ 2
dr2
r sin ϑ dϑ
sin ϑ
dP
dϑ
+
uP
d2
Q=0
2
r2 sin ϑ dϕ2
(2.88)
oder, nach Multiplikation mit r2 sin2 ϑ/U P Q:
"
1 d2 U
1
d
r sin ϑ
+
2
2
U dr
P · r sin ϑ dϑ
2
2
d
P
sin ϑ
dϑ
#
+
1 d2 Q
=0
Q dϕ2
(2.89)
Sofort können wir die Differentialgleichung für Q(ϕ) abspalten:
1 d2
Q(ϕ) = −m2
Q dϕ2
(2.90)
wobei:
"
1
d
1 d2 U
+
m = r sin ϑ
2
2
U dr
P · r sin ϑ dϑ
2
2
2
26
d
P
sin ϑ
dϑ
#
bezüglich ρ eine Konstante ist. Die Lösung von Gleichung (2.90) lautet:
Q(ϕ) = q0 e±imϕ
(2.91)
Um nur eindeutige Funktionen Q zu erhalten, muss Q(ϕ + 2π) = Q(ϕ) stets gelten, also:
eimϕ = eim(ϕ+2π) = eimϕ ei2mπ ⇒ e2imπ = 1
woraus folgt, dass m eine ganze Zahl sein muss. Für den Rest der Differentialgleichung gilt:
oder:
"
#
1 d2 U
d
d
1
r sin ϑ
sin ϑ
+
P
= m2
U dr2
P · r2 sin ϑ dϑ
dϑ
d
1
d
m2
1 d2 U
sin
ϑ
−
r2
=
P
U dr2
dϑ
sin2 ϑ P sin ϑ dϑ
2
2
(2.92)
Nennen wir nun noch:
d
1
m2
−
sin2 ϑ P sin ϑ dϑ
sin ϑ
d
P
dϑ
= `(` + 1)
(2.93)
so gilt:
r2
d2 U
`(` + 1)
1 d2 U
= `(` + 1) ⇔
=
U
2
U dr
dr2
r2
(2.94)
Auch die Lösung dieser Differentialgleichung ist schnell gefunden:
U (r) = A · r`+1 + B · r−`
(2.95)
Damit ist die r- und ϑ-Abhängigkeit der gesuchten Funktionen gefunden. Für die Bestimmung auch der
ϑ-Abhängigkeit bleibt die Gleichung (2.93) zu lösen. Dieses Problem ist etwas schwieriger als die beiden
vorigen, jedoch auch schon seit langem gelöst. Üblicherweise drückt man Gleichung (2.93) statt in ϑ selbst
in x = cos ϑ aus. Die daraus entstehende Gleichung:
d
dP (x)
m2
(1 − x2 )
+ `(` + 1) −
P (x) = 0
dx
dx
1 − x2
(2.96)
heißt verallgemeinerte Legendre’sche Differentialgleichung. Der einfachere Spezialfall mit m = 0 ist die
gewöhnliche Legendre’sche Differentialgleichung:
d
dP (x)
(1 − x2 )
+ `(` + 1)P (x) = 0
dx
dx
(2.97)
Um Gleichung (2.96) zu lösen, gehen wir zuerst den einfacheren Fall (2.97) an. Die gefundenen Lösungen
sind bei der Auffindung der allgemeineren Lösung dann sehr hilfreich.
Dazu
machen wir zunächst einen Potenzreihenansatz, d.h. wir nehmen an, eine Reihe der Form P (x) =
P∞
xα i=0 ai xi löse die Legendre’sche Differentialgleichung, und versuchen, die Konstante und die Koeffizienten ai zu bestimmen. Dazu setzen wir unseren Ansatz in Gleichung (2.97) ein.
27
∞
X
i=0
α+i−2
(α + i)(α + i − 1)ai x
!
α+i
− (α + i)(α + i + 1) − `(` + 1) ai x
=0
Ordnen nach Potenzen von x liefert:
∞
X
α+i
x
i=0
α−2
+x
(a + i + 2)(a + i + 1)ai+2 − (α + i)(α + i + 1) − `(` + 1) ai
α−1
a0 (α − 1)(α) + x
!
a1 (α + 1)(α)
=0
Daraus folgern wir:
Für a0 6= 0
Für a1 =
6 0
→ α(α − 1) = 0
→ α(α + 1) = 0
(2.98)
Somit gilt:
ai+2 =
(α + i)(α + i + 1) − `(` + 1)
ai
(α + i + 2)(α + i + 1)
(2.99)
Ist a0 und a1 gleich Null, so ist P (x) das Nullpolynom. Ist dagegen a0 oder a1 von Null verschieden, so
muss wegen Gleichung (2.98) α = 0, 1 oder - 1 sein. Wählen wir speziell a0 6= 0, so folgt α = 0 oder α = 1.
Aus Gleichung (2.99) ergibt sich dann, dass in P (x) nur gerade oder nur ungerade Potenzen auftreten.
Wir fordern noch, dass die P (x) für x ∈ [−1, +1] konvergieren. Das Quotientenkriterium zeigt jedoch,
dass wegen:
lim
i→∞
ai+2
(α + i)(α + i + 1) − `(` + 1)
= lim
=1
i→∞
ai
(α + i + 2)(α + 1 + i)
eine nicht abbrechende Reihe nur im offenen Intervall (−1, +1) konvergiert. D.h. die Reihe muss abbrechen.
Dazu muss aber:
(α + i)(α + i + 1) − `(` + 1) = 0
für ein bestimmtes i.
Wegen α = 0 oder α = 1 muss dazu ` eine nicht negative, ganze Zahl sein. Der Wert von ` bestimmt dann
sogar, welche der möglichen Reihen (α = 0 oder α = 1) auszuwählen ist. Denn für ` gerade, also ` = 2n,
ist 2n(2n + 1) = i(i + 1) für i = 2n, aber 2n(2n + 1) 6= (i + 1)(i + 2) für alle i! D.h. aber α = 0! Gerade
umgekehrt ist es, wenn ` ungerade, also ` = 2n + 1.
Die noch verbleibende Freiheit in der Wahl des Koeffizienten a0 wird zur Normierung genutzt. Aus historischen Gründen wird sie so gewählt, dass P` (1) = 1 für alle `. Damit erhalten wir die Legendre-Polynome
P` (x).
Eine geschlossene Formel für die Legendre-Polynome stellt die Formel von Rodriguez dar:
P` (x) =
1
2` `!
d`
(x2 − 1)`
dx`
28
(2.100)
Durch Einsetzen in Gleichung (2.97) prüft man nach, dass Gleichung (2.100) die Legendre’sche Differentialgleichung löst:
`+1
d
d`
1
2 d
2
`
2
`
(1 − x ) `+1 (x − 1) + `(` + 1) ` (x − 1) = 0
2` `! dx
dx
dx
Dazu vorab (`-faches Anwachsen der Produktregel):
d
d`+1
d`
d`
x
=
x
+
`
dx` dx
dx`+1
dx`
(2.101)
`+1
d`
d`−1
d` 2 d
2 d
x
=
x
+
2`x
+
`(`
+
1)
dx`
dx
dx`+1
dx`
dx`−1
(2.102)
Ebenso:
Daraus folgt:
d
d`+1
(1 − x2 )
`+1
dx
dx
d
d`+1
d`+1
d`
(1 − x2 ) `+1 − 2`x `+1 − `(` + 1) `
dx
dx
dx
dx
`
`
d
d
d
d
d
d`
(1 − x2 )
−
2`
x
+
`(`
−
1)
dx
dx dx`
dx` dx
dx`
=
=
(2.103)
Somit:
d d`
d`
d
d
d
2 d
(1 − x2 )
=
(1
−
x
)
+
2
x
−
`(`
−
1)
dx
dx dx`
dx` dx
dx
dx
(2.104)
Daraus erhalten wir unser Resultat:
=
=
d`+1
d
(1 − x2 ) `+1 (x2 − 1)`
dx
dx
d`
d
2
2
`−1
2
`−1
2
`
(1 − x )`(2x)(x − 1)
+ 2`x · 2x`(x − 1)
− `(` − 1)(x − 1)
dx` dx
d`
2
`
2 2 2
`−1
2 2 2
`−1
2
`
−
2`(x
−
1)
−
4`
x
(x
−
1)
+
4`
x
(x
−
1)
−
`(`
−
1)(x
−
1)
dx`
= −`(` + 1)
d`
(x2 − 1)`
dx`
(q.e.d.)
(2.105)
Die Normierung ist in der Rodriguez’schen Formel ebenfalls auf P` (1) = 1 gewählt.
Die für uns wichtigste Eigenschaft ist die Folgende: Die Legendre’schen Polynome bilden ein vollständiges
Orthogonalsystem über dem Intervall −1, +1.
Die Orthogonalität wollen wir zunächst nachweisen. Dazu kann man entweder die Differentialgleichung
selbst oder die Lösungen nach der Rodriguez’schen Formel herziehen. Wir werden den zweiten Weg gehen.
Wir behaupten:
Z
1
Pn (x)Pm (x)dx = k δnm
−1
29
wo k eine noch zu bestimmende Konstante ist. Sei zunächst n 6= m und o.B.d.A. n > m. Es genügt zu
zeigen, dass Pn senkrecht zu jeder Potenz xm mit m < n ist:
Z
1
m
Pn (x)x dx
=
−1
=
=
=
=
wie behauptet!
Z 1 n
d
1
(x2 − 1)n xm dx
2n n! −1 dxn
)
(
+1 Z 1 n−1
1
d
dn−1
2
n n
2
n
m−1
(x − 1) x −
(x − 1) mx
dx
n−1
n n!
dxn−1
dx
2
−1
−1
Z 1 n−1
1
d
− n
(x2 − 1)mxm−1 dx = . . .
2 n! −1 dxn−1
Z 1 n−m
1
d
m
(−1)
(x2 − 2)n m!x0 dx
n
n−m
2 n!
−1 dx
1
dn−m−1
(−1)m n−m−1 (x2 − 1)n = 0 (q.e.d.)
dx
−1
Wir bestimmen nun noch k, indem wir n = m = 1 wählen:
Z
1
=
1
2`
2 `!2
=
(−1)`
=
(−1)`
=
(−1)`
=
(−1)`
= ... =
(−1)`
P` (x)P` (x)dx
−1
=
1
`
d`
2
` d
(x
−
1)
(x2 − 1) dx = . . .
`
dx`
−1 dx
Z 1 2`
1
d
(x2 − 1)` · (x2 − 1)` dx
22` `!2 −1 dx2`
Z 1
2`!
(x2 − 1)` dx
22` `!2 −1
Z 1
2`!
(x + 1)` (x − 1)` dx
22` `!2 −1
1
Z 1
2`!
1
`
`+1
`
`+1
`−1
(x + 1) (x − 1) −
(x + 1) (x − 1) dx
22` `!2 ` + 1
−1 ` + 1
−1
Z 1
`!(−1)`
2`!
(x + 1)2` dx
22` `!2 (` + 1)(` + 2) . . . (2` − 1)(2`) −1
Z
2`!`!
22`+1
2
=
22` (2`)!`! 2` + 1
2` + 1
Mithin gilt:
Z
1
Pn (x)Pm (x)dx =
−1
2
δnm
2n + 1
(2.106)
Die Vollständigkeitsrelation:
∞
X
`=0
P` (x)P` (y) =
2
δ(x − y)
2` + 1
x, y ∈ [−1, 1]
(2.107)
soll an dieser Stelle nicht explizit bewiesen werden. Sie folgt z.B. aus der Vollständigkeit der Potenzfunktion 1, x, x2 , . . . , aus denen die Legendre-Polynome durch Schmidt’sche Orthonormalisierung bis auf
Faktoren gewonnen werden können.
30
Eine nützliche Rekursionsformel, die aus der Rodriguez’schen Formel hergeleitet werden kann, sei hier
noch angegeben:
dP`+1
dP`−1
−
= (2` + 1)P`
dx
dx
(2.108)
Anwendungen: Probleme mit azimutaler Symmetrie
Mit den bisher erzielten Resultaten können wir bereits alle Probleme bewältigen, bei denen keine Abhängigkeit vom Azimutwinkel ϕ auftritt. Dann nämlich muss Q(ϕ) aus Gleichung (2.87) konstant sein, wegen
Gleichung (2.91) also m = 0. Die dann auftretende ϑ-Abhängigkeit kennen wir aber schon; es sind die
Legendre-Polynome von cos ϑ. Weiterhin ist die r-Abhängigkeit des Problems bekannt, sie wird durch
Gleichung (2.95) gegeben. Die allgemeinste Lösung der Laplace-Gleichung für Probleme mit azimutaler
Symmetrie hat demnach die Gestalt:
φ(r, ϑ) =
∞
X
[A` r` + B` r−(`+1) ] P` (cos ϑ)
(2.109)
`=0
Als wichtiges Beispiel wollen wir die Funktion 1/|~r − ~r0 | nach Legendre-Polynomen entwickeln: Dazu
wählen wir das Koordinatensystem x, y, z so, dass ~r0 auf der z-Achse liegt. Die Funktion ist dann von ϕ
unabhängig; es gilt also:
∞
X
1
1
=
[A` r` + B` r−(`+1) ] P` (cos ϑ)
= 2
0
|~r − ~r |
(r + r02 − 2rr0 cos ϑ)1/2
(2.110)
`=0
Halten wir zunächst ϑ = 0 fest, so folgt:
∞
X
1
=
(A` r` + B` r−(`+1) )
0
|r − r |
(2.111)
`=0
Die Entwicklung von 1/|r − r0 | kann andererseits aber als Taylor-Entwicklung angegeben werden. (Wir
schreiben dem allgemeinen Gebrauch folgend die Entwicklung für beliebige Verhältnisse von r und r0 auf,
indem wir jeweils den kleineren Wert mit r< , den größeren mit r> bezeichnen.)
` X
∞
∞ `
r<
1 X r<
1
1
1
=
=
=
r
`+1
|r − r0 |
r> 1 − r<
r>
r>
r>
>
`=0
(2.112)
`=0
Mit Hilfe der so gefundenen r-Abhängigkeit können wir sofort die Koeffizienten in Gleichung (2.111)
1
`
festlegen. Je nachdem, ob r< oder r> die Variable ist, ist A` = r`+1
, B` = 0 bzw. B` = r<
, A` = 0.
>
Gleichung (2.110) gibt damit die vollständige Entwicklung:
∞
X r`
1
<
P (cos ϑ)
=
`+1 `
0
|~r − ~r |
r>
(2.113)
`=0
Gleichung (2.113) kann auch als Definitionsgleichung für die Legendre-Polynome angesehen werden. Die
Funktion 1/|~r − ~r0 | bezeichnet man in diesem Sinne auch als die erzeugende Funkion der LegendrePolynome. Durch Einsetzen von Gleichung (2.113) in die Laplace-Gleichung gelangt man sodann direkt
zur Legendre’schen Differentialgleichung (2.97).
31
Die verallgemeinerten Legendre-Polynome
Gerade haben wir gesehen, wie mit Hilfe der Legendre-Polynome Probleme mit azimutaler Symmetrie
behandelt werden können. Liegt jedoch keine azimutale Symmetrie vor, so erhalten wir nicht automatisch
die Bedingung m = 0 und kommen daher nicht ohne die Lösungen von Gleichung (2.96), die verallgemeinerten Legendre-Polynome, aus. Bei der Lösung von Gleichung (2.96) hilft uns jedoch sehr die Kenntnis
der gewöhnlichen Legendre-Polynome.
Wir bringen Gleichung (2.96) zunächst in eine etwas andere Form:
d2
d
m2
(1 − x ) 2 − 2x
+ `(` + 1) −
P`m (x) = 0
dx
dx
1 − x2
2
Führen wir noch die Hilfsfunktion V`m (x) =
P`m (x)
(1−x2 )m/2
(2.114)
ein, so erhalten wir als Differentialgleichung für V :
d2
d
(1 − x ) 2 − 2(m + 1) x
+ `(` + 1) − m(m + 1) V`m (x) = 0
dx
dx
2
(2.115)
Beachten wir, dass für m = 0 V (x) = P` (x) ist und Gleichung (2.115) in:
2
d
2 d
+ `(` + 1) P` (x) = 0
(1 − x ) 2 − 2x
dx
dx
(2.116)
übergeht und differenzieren wir diese Gleichung m-mal nach x unter Verwendung der Formeln (2.101) und
(2.103), so erhalten wir:
(1 − x2 )
m
d
d
d
−
2(m
+
1)
x
+
`(`
+
1)
−
m(m
+
1)
P` (x) = 0
2
dx
dx
dxm
(2.117)
Vergleich mit Gleichung (2.115) gibt uns sofort:
V`m (x) =
dm
dm
P` (x) → P`m (x) = (1 − x2 )m/2 m P` (x)
m
dx
dx
(2.118)
Mit Hilfe von Rodriguez’ Formel können wir so einen geschlossenen Ausdruck für die verallgemeinerten
Legendre-Polynome angeben:
P`m (x) = (−1)m
(1 − x2 )m/2 d`+m
(x2 − 1)`
2` `!
dx`+m
(2.119)
Der Faktor (−1)m wurde willkürlich hinzugefügt, um in Übereinstimmung mit “Jackson“ u.a. zu bleiben.
Er spielt jedoch keinerlei wesentliche Rolle.
Wir ersehen aus der Formel sofort eine Einschränkung für die sinnvollen Werte für m. Es muss nämlich
gelten, dass −` ≤ m ≤ +`, so sonst stets P`m (x) ≡ 0 folgt.
Negative Werte für m entsprechen an sich nicht unserer bisherigen Herleitung, jedoch sind sie gemäß
Formel (2.119) durchaus sinnvoll und führen auch zu Lösungen unserer Differentialgleichung. Man kann
leicht durch Vergleich der höchsten Potenzen von P`+m und P`−m die folgende Beziehung zeigen:
32
P`−m (x) = (−1)m
(` − m)! +m
P
(x)
(` + m)! `
(2.120)
Für festes m sind die verallgemeinerten Legendre-Polynome mit verschiedenem ` orthogonal. Es gilt:
Z
1
−1
P`m (x)P`m
0 (x)dx =
2 (` + m)!
δ``0
2` + 2 (` − m)!
(2.121)
Der Beweis funktioniert genauso wie bei den P`0 von oben.
Kugelflächenfunktionen
Wir sind nunmehr in der Lage, die allgemeinste Form der Winkelabhängigkeit, eine Lösung der LaplaceGleichung, anzugeben. Die entsprechenden Funktionen - Produkte der verallgemeinerten Legendre-Polynome
und der Q(ϕ) = eimϕ - heißen Kugelflächenfunktionen. Zur einfacheren Handhabung sind sie orthonormiert. Man bezeichnet sie mit Y`m (ϑ, ϕ), und es gilt:
Y`m (ϑ, ϕ) =
s
2` + 1 (` − m)! m
P (cos ϑ) eimϕ
4π (` + m)! `
(2.122)
Sie erfüllen die Orthonormalitätsrelation:
Z
2π
dϕ
0
Z
π
sin ϑ dϑY`0 m0 (ϑ, ϕ)Ym (ϑ, ϕ) = δ``0 δmm0
(2.123)
0
sowie die Vollständigkeitsrelation:
∞
+X̀
X
`=0 m=−`
Y`m (ϑ0 , ϕ0 )Y`m (ϑ, ϕ) = δ(ϕ0 − ϕ)δ(cos ϑ0 − cos ϑ)
(2.124)
Die Orthonormalität folgt leicht aus der Orthogonalitätsrelation (2.121) für die P`m und der von der
Fourier-Entwicklung her bekannten Orthogonalität der eimϕ . Die Vollständigkeit ist hier schwieriger zu
zeigen, folgt jedoch sofort aus gruppentheoretischen Überlegungen, auf die im folgenden Zusatz kurz eingegangen werden soll.
Wegen Gleichung (??) gilt noch:
∗
Y`−m (ϑ, ϕ) = (−1)m Y`m
(ϑ, ϕ)
(2.125)
Mit dem bisher Erreichten können wir jetzt jede Lösung der Laplace-Gleichung in sphärischen Koordinaten
schreiben als:
φ(r, ϑ, ϕ) =
∞ X̀
X
(A`m r` + B`m r−(`+1) ) Y`m (ϑ, ϕ)
`=0 m=−`
33
(2.126)
a
+V
a
−V
Abb. 2.5:
d) Behandlung von Randwertproblemen mittels Kugelflächenfunktionen
An einem Beispiel soll nun die Lösung eines Randwertproblems mittels der Kugelflächenfunktionen vorgeführt werden. Eine Halbkugel mit Radius a sei in der Äquatorebene nicht leitend, sonst leitend.
Die obere Halbkugel befinde sich auf dem Potential +V , die untere auf −V . Wir suchen den Potentialverlauf innen und außen. Dann machen wir den Ansatz nach Gleichung:
φ(r, ϑ, ϕ) =
∞ X̀
X
[A`m r` + B`m r−(`+1) ] Y`m (ϑ, ϕ)
`=0 `=−`
Da das Potential normierbar sein soll, muss im Innenraum der Kugel B`m = 0 sein, da sonst B`m r−(`+1)
für r → 0 singulieren würde. Aus dem gleichen Grund muss außen A`m = 0 sein.
Da das Problem ferner azimutale Symmetrie aufweist, ist stets m = 0; also:
∞ X
A` r`
P` (cos ϑ)
φ(r, ϑ) =
B` r−(`+1)
(2.127)
`=0
Dabei soll hier und im Folgenden der obere Ausdruck in der Klammer für das Problem im Kugelinnern
gelten, der untere Ausdruck für das Problem im Außenraum.
Die Koeffizienten bestimmen wir wieder nach Gleichung (2.71) und (2.106):
A` r`
B` r−(`+1)
=
2` + 1
2
Z
1
P` (x)φ(r, x)dx
(2.128)
−1
Speziell auf der Kugeloberfläche, wo das Potential bekannt ist:
A` r`
B` r−(`+1)
2` + 1
=
2
Z
1
2` + 1
P` (x)φ(a, x)dx =
2
−1
Z
0
−1
P` (x) · (−V )dx +
Z
1
0
P` (x) · V dx (2.129)
Für gerade ` sind die P` (x) symmetrisch, so dass für ` gerade:
A` = B` = 0
Für die ungeraden ` können wir elementar integrieren. Es folgt:
34
(2.130)
1 3
V
a 2
7 1
A3 = −
V
8 a3
11 1
A5 =
V
16 a5
3 2
a V
2
7
B3 = − a 4 V
8
11 6
B5 =
a V
16
B1 =
A1 =
und somit für das Potential:
φ(r, ϑ) = V
7 r3
11 r 5
3 r
2 a P1 (cos ϑ) − 8 a3 P43 (cos ϑ) + 16 ( a ) P5 (cos ϑ) + . . .
3 a 2
7 a
11 a 6
2 ( r ) P1 (cos ϑ) − 8 r 4 P3 (cos ϑ) + 16 ( r ) P5 (cos ϑ) + . . .
(2.131)
Für r >> a erhalten wir als Potential einfacher die Näherung:
φ(r, ϑ) =
3
cos ϑ
V a2 · 2
2
r
Dies ist das Potenial eines Dipols mit Dipolmoment
3
2
(2.132)
V a2 (s.u.)
e) Entwicklung von Green’schen Funktionen in Kugelflächenfunktionen
Für die Lösung der Poisson-Gleichung mit Randwerten ist die Bestimmung der entsprechenden Green’schen
Funktion nötig. Dies ist stets dann recht einfach möglich, wenn die Randwerte auf Flächen gegeben sind,
die sich als Koordinatenebene bestimmter Koordinatensysteme, in denen die Laplace-Gleichung separabel
ist, beschreiben lassen. Als Beispiele haben wir schon karthesische und Kugelkoordinaten kennengelernt.
Es sind jedoch noch eine Reihe weiterer Koordinatensysteme verwendbar, z.B. auch Zylinderkoordinaten,
die wir hier nicht im Einzelnen besprechen können. Flächen, für die sich Kugelkoordinaten eignen, sind
Kugeln, Kegel und Halbebenen. Wir wollen im Folgenden die Green’sche Funktion für sphärische Koordinaten herleiten.
Für Randwerte auf der Kugel kennen wir die Green’sche Funktion gemäß Gleichung (2.64). Daraus erhalten wir mit Gleichung (2.113) auch sofort die Darstellung in Y`m : (für ein Problem im Außenraum):
∞ X̀
X
"
`+1 #
`
r<
1
1 a2
∗
G(~r, ~r ) = 4π
−
Y`m
(ϑ0 , ϕ0 )Y`m (ϑ, ϕ)
`+1
2` + 1 r>
a rr0
`=0 m=−`
0
Geben wir nun das allgemeine Problem an; die Green’sche Funktion muss der Differentialgleichung genügen:
∇~r G(~r, ~r0 ) = −4π δ(~r − ~r0 )
In Kugelkoordinaten können wir die δ-Funktion schreiben:
δ(~r − ~r0 ) =
1
δ(r − r0 )δ(ϕ − ϕ0 )δ(cos ϑ − cos ϑ0 )
r2
(2.133)
Mittels:
δ(~r − ~r0 ) =
∞ X̀
X
1
0
∗
δ(r
−
r
)
Y`m
(ϑ0 , ϕ0 )Y`m (ϑ, ϕ)
r2
`=0 m=−`
35
(2.134)
Setzen wir die Green’sche Funktion:
G(~r, ~r0 ) =
∞ X̀
X
A`m (r, r0 , ϑ0 , ϕ0 )Y`m (ϑ, ϕ)
(2.135)
`=0 m=−`
in die Green’sche Differentialgleichung ein, so erhalten wir:
0
∆G(~r, ~r )
∞ X̀
X
1 ∂2
`(` + 1)
=
r A`m (r, r0 , ϑ0 , ϕ0 )Y`m (ϑ, ϕ) − A`m (r, r0 , ϑ0 , ϕ0 ) ·
Y`m (ϑ, ϕ)
r ∂r2
r2
`=0 m=−`
= −4π
∞ X̀
X
1
δ(r − r0 )Y`m (ϑ0 , ϕ0 )Y`m (ϑ, ϕ)
r2
(2.136)
`=0 m=−`
Hieraus folgt mit A`m (r, r0 , ϑ0 , ϕ0 ) = g` (r, r0 )Y`m (ϑ0 , ϕ0 ):
`(` + 1)
4π
1 ∂1
r g` (r, r0 ) −
g` (r, r0 ) = − 2 δ(r − r0 )
2
2
r ∂r
r
r
(2.137)
Für r 6= r0 ist dies eine homogene Differentialgleichung, deren Lösung:
g` (r, r0 ) = A r` + B r−(`+1)
g` (r, r0 ) = A0 r` + B 0 r−(`+1)
für r < r0
für r > r0
(2.138)
(Die Koeffizienten A, A0 bzw. B, B 0 können verschieden sein, da die Differentialgleichung in r = r0 nicht
stetig ist.) Die A, A0 , B, B 0 müssen durch die Randbedingungen bestimmt werden sowie durch die früher
erreichte Symmetrie der Green’schen Funktion, die hier bedeutet, dass g` (r, r0 ) = g` (r0 , r) gilt.
Wir wollen jetzt den Fall betrachten, dass die Randbedingungen auf zwei konzentrischen Kugelflächen mit
Radius a bzw. b vorgegeben sind. Beim Dirichlet’schen Randwertproblem heißt dies für die Green’sche
Funktion:
G(r = a, ~r0 ) =
0
0
G(r = b, ~r ) =
g (a, r0 ) =
0,
0
g (b, r0 ) =
0
also speziell
(2.139)
Wir eliminieren hiermit A0 und B:
Aa` + Ba−(`+1) = 0
A0 b` + B 0 b−(`+1) = 0
→ B = −Aa2`+1
→ A0 = −B 0 b−(2`+1)
so dass:
2`+1
0
g(r, r ) =
A(r` − ar`+1 )
r`
1
− b+(2`+1)
)
B 0 ( r`+1
für r < r0
für r > r0
Die Symmetrieforderung legt schließlich g bis auf eine Konstante C fest:
36
(2.140)
`
r>
1
a2`+1
`
g(r, r0 ) = C r<
− `+1
−
`+1
b−(2`+1)
r>
r>
(2.141)
wo sie schon früher:
r<
=
min(r, r0 )
r>
=
max(r, r0 )
Die verbleibende Konstante C bestimmen wir aus der bislang nicht verwendeten Tatsache, dass auf der
0
rechten Seite von Gleichung (2.137) nicht 0 sondern − 4π
r 2 δ(r − r ) steht. Dazu multiplizieren wir Gleichung (2.137) mit r und integrieren über ein infinitesimales Intervall [−ε, ε].
Z
ε
−ε
d2
r g` (r, r0 )dr −
dr2
Z
ε
−ε
`(` + 1)
4π
g` (r, r0 )dr = − 0
r
r
d
d
4π
0 0 (r) g` (r, r )
−
(r)g` (r, r )
=− 0
dr
dr
r
r=r 0 +ε
r=r 0 −ε
(2.142)
(2.143)
da das zweite Integral für ε → 0 verschwindet. Setzen wir unser Ergebnis (2.141) ein, so erhalten wir:
d
0 r g` (r, r )
dr
r=r 0 +ε
=
=
!
1
a2`+1 d
r`+1
C r − 0`+1
− 2`+1
r
dr r`
b
r=r 0
"
2`+1 #"
0 2`+1 #
C
a
r
− 0 1−
` + (` + 1)
r
r0
b
0`
(2.144)
Denn für r = r0 + ε gilt r> = r, r< = r0 . Im Ergebnis wurde der Grenzübergang ε → 0 eingesetzt, da die
beiden Teillösungen für r < r0 bzw. r > r0 ja für sich stetig sind. Entsprechend gilt:
"
2`+1 #"
0 2`+1 #
d
C
a
r
0 1−
r g` (r, r )
= 0 `+1+` 0
dr
r
r
b
r=r 0 −ε
(2.145)
Eingesetzt in Gleichung (2.143) folgt:
4π
− 0
r
2`+1 2`+1 0 2`+1 0 2`+1 )
a
a
r
r
+ 1−
=
`+1+` 0
1−
` + (` + 1)
0
r
b
r
b
2`+1
2`+1
2`+1
0 2`+1
0 2`+1
a
a
a
r
r
+` 0
−`
+`−` 0
+ (` + 1)
= (` + 1) − (` + 1)
b
r
b
r
b
2`+1
a
−(` + 1)
b
(2`+1) !
4π
a
=⇒ C =
= (` + 1) 1 −
(2.146)
b
(` + 1)[1 − ( ab )2`+1 ]
−C
r0
(
Nunmehr können wir die Green’sche Funktion für Dirichlet’sche Randwerte, die auf zwei konzentrischen
Kugeln mit Radien a + b gegeben sind, vollständig angeben:
G(~r, ~r0 ) = 4π
∞
+X̀
X
`=0 m=−`
1
1
2` + 1 1 − ( ab )2`+1
`
r>
a2`+1
1
`
∗
r<
− `+1
Y`m
(ϑ0 , ϕ0 )Y`m (ϑ, ϕ) (2.147)
−
`+1
b2`+1
r<
r>
37
Wir wollen noch zwei Beispiele für die Anwendung der Green’schen Funktion bei der Lösung konkreter Randwertprobleme betrachten:
Beispiel 1:
Potential im Innern einer Kugel mit Radius b mit Randbedingung auf der Kugel: V (Kugel) = V (ϑ, ϕ). Die
allgemeinste Lösung ist:
φ(r, ϑ, ϕ) =
Z
V
G(~r, ~r0 )ρ(r0 )d3 r −
1
4π
Z
V (ϑ, ϕ)
∂V
∂G(~r, ~r0 )
dΩ
∂r0
0
Dabei ist G(~r, ~r ) die Green’sche Funktion (2.137) mit a = 0:
0
G(~r, ~r ) = 4π
∞ X̀
X
`=0 m=−`
1
r`
2` + 1 <
1
`+1
r>
−
`
r>
b2`+1
∗
Y`m
(ϑ0 , ϕ0 )Y`m (ϑ, ϕ)
(2.148)
Wir benötigen noch die Normalenableitung auf der Kugel:
`
∞
∂
∂
4π X X̀ r
∗
0 0 Y`m
(ϑ0 , ϕ0 )Y`m (ϑ, ϕ)
G(~r, ~r )
=
G(~r, ~r )
=− 2
∂n0
∂r
b
b
|~
r |=b
r 0 =b
(2.149)
`=0 m=−`
Für den Fall, dass ρ(r0 ) = 0 im Kugelinnern, ist somit:
φ(r, ϑ, ϕ) =
∞ X̀ Z
X
`=0 m=−`
∂V
`
r
∗
dΩ0 V (ϑ0 , ϕ0 ) Y`m
(ϑ0 , ϕ0 )
Y`m (ϑ, ϕ)
b
Die Gleichung ist offenbar mit Gleichung (2.126) identisch, wenn man bedenkt, dass dort A`m =
∗
(ϑ0 , ϕ0 ) eingesetzt werden muss und dass im Kugelinnern stets B`m = 0 gilt.
Y`m
(2.150)
R
∂V
dΩ0 V (ϑ0 , ϕ0 )
Eine andere Lösung ist das Poisson-Integral in Gleichung (2.67), das mittels des Spiegelungsprinzips erhalten
worden war und das ebenfalls mit Gleichung (2.150) übereinstimmt. Bei vorhandener Ladung im Kugelinnern
ist dann einfach noch das Volumenintegral über G(~r, ~r0 ) · ρ(r0 ) hinzu zu nehmen. Einen solchen Fall stellt das
nächste Beispiel dar.
Beispiel 2:
In der Kugel von Beispiel 1 befindet sich ein Ring mit Radius a, der die Ladung Q trägt. Diese Ladung können
wir schreiben:
ρ(~r0 ) =
Q
δ(r0 − a)δ(cos ϑ0 )
2πa2
(2.151)
Sei das Potential auf der Kugel identisch 0, so ist damit:
φ(~r) =
Z
=
Z
ρ(~r0 )G(~r, ~r0 )
V
=
Q
2π
∞ X̀
`
X
r>
Q
1
1
0
`
−
δ(r
−
a)δ(cos
ϑ)
r
Y ∗ (ϑ0 , ϕ0 )Y`m (ϑ, ϕ)
`+1
2πa2
2` + 1 < r>
b2`+1 `m
`=0 m=−`
∞
X
X̀ Z
`=0 m=−`
dϕ
r`
1
1
`
−
Y ∗ (π/2, ϕ0 )Y`m (ϑ, ϕ)
r<
`+1
2` + 1
b2`+1 `m
r>
Da das Problem unabhängig von ϕ ist, können nur Terme mit m = 0 übrig bleiben. Wegen Y`0 (ϑ, ϕ)
gilt somit:
38
q
2`+1
4π
P` (cos ϑ)
φ(~r) = Q
∞
X
`
r<
`=0
1
`+1
r>
−
r`
b2`+1
P` (0)P` (cos ϑ)
(2.152)
Man beachte, dass wegen δ(r0 − a) nach Integration alle Werte r0 gleich a zu setzen sind, so dass r< = min(r, a),
r> = max(r, a) ist. Für P` (0) können wir auch explizit einsetzen:
0
(−1)`/2
P` (0) =
für ` ungerade
(`−1)!!
2`/2 (`/2)!
Somit ist letztlich:
φ(~r) = Q
∞
2n
X
r>
(−1)n (2n − 1)!! 2n
1
−
P2n (cos ϑ)
r
<
2n+1
2n n!
b4n+1
r>
n=0
(2.153)
Für b → ∞ muss dies das Potential eines geladenen Ringes im freien Raum sein:
φ(~r) = Q
∞
X
(−1)n
n=0
2n
(2n − 1)!! r<
2n+1 P2n (cos ϑ)
2n n!
r>
(2.154)
Für r >> a können wir nähern:
φ(~r) ' Q
1
r
Dies wäre das Potential einer Punktladung Q oder, etwas besser,
φ(~r) =
1 a2
Q
−Q
P2 (cos ϑ)
r
2 r3
Die Konvektion ist durch das so genannte Quadrupolmoment Q20 = −Qa2 bedingt. Es ist durch die Nichtkugelgestalt des Ringes bedingt. Im großen Abstand spielt es eine zunehmend geringere Rolle.
Damit wollen wir die Untersuchung von Randwertproblemen vorerst abschließen. Es sollten die prinzipiellen
Vorgehensweisen gezeigt werden. Die ausführlichen Darstellungen über die Kugelflächenfunktionen rechtfertigen
sich mit ihrer großen Bedeutung nicht nur in der Elektrodynamik, sondern bei allen Problemen mit sphärischer
Symmetrie, insbesondere in der Quantenmechanik, wo sie als Drehimpulseigenfunktionen wieder auftreten werden. Auch im folgenden Abschnitt über Multipolentwicklung werden wir sie wieder gebrauchen.
Beispiel 3:
Additionstheorem. Wir haben:
G(~r, ~r0 ) =
`
r>
a2`+1
1
`+1 )( `+1 − b2`+1 )
r<
r>
+ 1)(1 + ( ab )2`+1 )
∞ X̀ 4π(r` −
X
<
`=0 m=−`
(2`
Für a → 0 und b → ∞ wissen wir G(~r, ~r0 ) →
1
|~
r −~
r0 | .
∗
Y`m
(ϑ0 , ϕ0 )Y`m (ϑ, ϕ)
Daraus folgt:
∞ X̀
`
X
r<
4π
1
∗
Y`m
(ϑ0 , ϕ0 )Y`m (ϑ, ϕ)
=
`+1
0
|~r − ~r |
(2` + 1) r>
`=0 m=−`
Nun wissen wir aber bereits von Gleichung (2.113), dass:
39
∞
X r`
1
<
=
P (cos γ)
`+1 `
0
|~r − ~r |
r>
`=0
Direkter Vergleich liefert:
P` (cos γ) =
X̀
m=−`
4π
Y ∗ (ϑ0 , ϕ0 )Y`m (ϑ, ϕ)
(2` + 1) `m
wobei der Winkel zwischen ~r und ~r0 ist und folgender Relation genügt:
cos γ = cos ϑ0 cos ϑ + sin ϑ sin ϑ0 cos(φ − φ0 )
Z
r
ϑ
γ
ϑ’
r’
X
ϕ
ϕ’
Y
Abb. 2.6:
und:
0
G(~r, ~r ) =
∞ X̀
X
`
4π r<
Y ∗ (ϑ0 , ϕ0 )Y`m (ϑ, ϕ)
`
2` + 1 r> `m
`=0 m=−`
für den ganzen Raum R3 .
2.3
Multipolmomente
2.3.1
Multipolentwicklung
Im folgenden Abschnitt wird die Entwicklung eines Feldes einer Ladungsverteilung ohne Randwerte im Endlichen behandelt. Das Verfahren ist nützlich, da messtechnisch gerade die ersten Näherungsterme erfassbar sind.
In ihnen ist jedoch schon viel Information über die Art der Ladungsverteilung enthalten.
Die Entwicklung wird entweder in karthesischen Koordinaten (Taylor-Entwicklung) oder in sphärischen Koordinaten (Kugelflächenfunktion) durchgeführt. Für den ersten Fall verweise ich auf das Skriptum zur Vorlesung
“Mathematische Methoden der Physik II“.
Die Entwicklung nach Kugelflächenfunktionen soll nun hier genauer behandelt werden. Wir wissen, dass in jedem
Fall das Potential einer Ladungsverteilung im freien Raum außerhalb derselben durch die folgende Entwicklung
dargestellt werden kann:
φ(~r) =
∞ X̀
X
`=0 m=−`
4π q`m
Y`m (ϑ, ϕ)
2` + 1 r`+1
40
(2.155)
Die Koeffizienten q`m heißen Multipolmomente, wobei ` die Ordnung des Momentes bestimmt (also ` = 0 Monopol, ` = 1 Dipol, ` = 2 Quadrupol, etc.).
Die Bestimmung der q`m ist recht einfach, da wir die Entwicklung der Funktion
onsbereich kennen (vgl. Gleichung (2.113)). Außerdem ist nach Gleichung (2.20):
φ(~r) =
Z
1
|~
r −~
r0 |
im Kugelflächenfunkti-
ρ(~r0 )
dV 0
|~r − ~r0 |
Einsetzen von Gleichung (2.155) in Gleichung (2.20) liefert:
φ(~r) =
∞ X̀
X
`=0 m=−`
4π
2` + 1
Z
3 0
d r
∗
Y`m
(ϑ0 , ϕ0 )r0` ρ(~r0 )
1
Y`m (ϑ, ϕ)
r`+1
(2.156)
Vergleich mit Gleichung (2.155) gibt:
q`m =
Z
∗
Y`m
(ϑ0 , ϕ0 )r0` ρ(r0 , ϑ0 , ϕ0 )dV 0
(2.157)
Die Relation (2.125) liefert noch den Zusammenhang:
∗
q`−m = (−1)m q`m
(2.158)
Der Zusammenhang der sphärischen Multipolmomente mit den karthesischen ist für die Multipole bis ` = 2 im
Anhang gegeben. Man vergleiche dazu auch das Skriptum “Mathematische Methoden der Physik II“.
Die Komponenten des elektrischen Feldes eines Multipols können wir mit Gleichung (2.155) ohne Weiteres
angeben:
Er
=
X 4π(` + 1)
`=0
Eϑ
Eϕ
2` + 1
q`m
Y`m (ϑ, ϕ)
r`+2
1 ∂
4π
q`m `+2
Y`m (ϑ, ϕ)
2` + 1
r
∂ϑ
`m
X 4π
X 4π
∂
1
1 im
= −
q`m `+2
Y`m (ϑ, ϕ) = −
q`m `+2
Y`m (ϑ, ϕ)
2` + 1
r
sin ϑ ∂ϕ
2` + 1
r
sin ϑ
=
X
`m
(2.159)
`m
Jedoch ist die Entwicklung von Vektorfeldern eines Multipols mittels der Kugelflächenfunktionen allgemein
nicht möglich (nur, wenn das Feld ein Zentralfeld ist). So kann etwa das Feld eines strahlenden Multipols nicht
in dieser einfachen Weise erhalten werden. Man muss stattdessen nach den so genannten verallgemeinerten
Kugelflächenfunktionen (i.e.: die Matrixelemente der irreduziblen Darstellungen der Drehgruppe) entwickeln.
Speziell für einen Dipol in z-Richtung, also p~ = p · ~e3 gilt:
q10 =
r
3
p,
4π
q11 = 0
(2.160)
Also:
4π
φ(~r) =
3
r
3 cos ϑ
·
4π r2
r
~
Das E-Feld
gilt nach Gleichung (2.159):
41
cos ϑ
3
p=p 2
4π
r
(2.161)
cos ϑ
r3
sin ϑ
= p 3
r
= 0
Er
= 2p
Eϑ
Eϕ
(2.162)
Wir können dies in die einfache Form bringen (sphärische Koordinaten):
p · ~er ) − p~
~ r ) = 3~er (~
E(~
r3
(2.163)
p · ~ez ) − p~
~ r ) = 3~ez (~
E(~
r3
(2.164)
oder (karthesische Koordinaten):
2.3.2
Multipolentwicklung der Energie einer Ladungsverteilung in einem äußeren
Feld
Die Energie der Ladungsverteilung ρ(r) in einem Feld φ(r) ist gegeben durch:
W =
Z
ρ(~r)φ(~r)dV
(2.165)
Das Potential kann vielfach durch eine Taylor-Näherung approximiert werden:
φ(~r) = φ(o) + ~r · ∇φ(o) +
1X
∂
φ(o) xi xj + . . .
2 i,j ∂xi ∂xj
(2.166)
~ = −∇φ:
oder, mit E
1X ∂
~
φ(~r) = φ(o) − ~r · E(o)
−
Ej (o) xi xj + . . .
2 i,j ∂xi
(2.167)
~ = 0, so dass wir:
Für das äußere Feld ist div E
1 2
~
r div E(o)
=0
6
subtrahieren dürfen. Es folgt:
1X
∂Ej
~
φ(~r) = φ(o) − ~r · E(o)
−
(3xi xj − r2 δij )
(o) + . . .
6 i,j
∂xi
(2.168)
Setzen wir dies noch in Gleichung (2.165) ein, folgt:
W
=
Z
=
q φ(r) − ~
p · E(o) −
ρ(~r)φ(o)dV −
Z
1X
~r · E(o) · ρ(~r)dV −
6 i,j
Z
ρ(~r)(3xi xj − r2 δij )
∂Ei
(o)dV + . . .
∂xj
∂Ei
1X
(o) + . . .
Qij
6 i,j
∂xj
Hier ist Qij das karthesische Quadrupolmoment.
In diesen Entwicklungen wird deutlich, welche Feldgrößen für die Wechselwirkungsenergie der einzelnen Momente
einer Ladungsverteilung bedeutend sind. Für die Ladung das Potential, für den Dipol die Feldstärke, für den
Quadrupol der Feldgradient.
42
2.4
2.4.1
Elektrostatik der Kontinua
Die Feldgleichungen im materieerfüllten Raum
Unsere bisher aufgestellten Gesetze der Elektrostatik erlauben eine Berechnung der Felder dort, wo die Ladungsverteilung bekannt ist und Randbedingungen auf umhüllenden Flächen vorgeschrieben sind. Dies reicht zwar
theoretisch für alle vorkommenden Probleme aus, jedoch ist aufgrund der atomistischen Struktur der Materie
die in ihr vorherrschende Ladungsverteilung mikroskopisch sehr verwickelt, so dass eine explizite Berechnung
mittels der Vakuum-Elektrostatik äußerst aufwändig und zudem für die meisten Probleme unnötig detailliert
wäre.
In der Praxis muss man von der mikroskopischen Ladungsverteilung absehen und stattdessen makroskopische
Größen einführen. Dies ist möglich, weil die Materie im Allgemeinen im Mittel wieder recht homogen ist, so
dass wir also lediglich über makroskopisch sehr kleine (also z.B. 104 Moleküle) Bereiche mitteln müssen, um
die Stoffeigenschaften zu ermitteln, mittels deren wir, wie wir sehen werden, Feldgleichungen für Teilchen im
materieerfüllten Raum erhalten, die den Vakuumsgleichungen völlig entsprechen.
Wir betrachten auch weiterhin nur elektrostatische Phänomene, so dass die homogene Gleichung:
~ =0
rot E
(2.169)
auch im materieerfüllten Raum gültig bleibt.
Für die weitere Untersuchung nutzen wir die eben entwickelte Multipolnäherung. Wir betrachten dazu die
Ladung und das Dipolmoment eines kleinen Mittelungsvolumens:
ρ(~r) =
1
∆V
Z
∆V
1
P~ (~r) =
∆V
X
i
Z
qi δ(~r0 − ~ri )dV 0 + ρexzess
(2.170)
~ i δ(~r0 − ~ri )dV 0
D
(2.171)
∆V
X
i
ρexzess ist dabei die Ladung, die zusätzlich auf einen Körper aufgebracht wurde, im Unterschied zu den natürlichen Ladungen, die sich in den Molekülen des Stoffes befinden. Im Allgemeinen gilt:
ρ(~r) = ρexzess
(2.172)
~ i sind die Dipolmomente der
Der Vektor P~ heißt die elektrische Polarisierung oder Dipoldichte des Mediums, D
einzelnen Moleküle.
Wir können gemäß unseren früheren Erkenntnissen das Potential durch lineare Superposition der Monopolund Dipolpotentiale erhalten. Für das betrachtete Volumenelement folgt der entsprechende Potentialbeitrag:
δφ(~r, ~r0 ) =
ρ(~r0 )
P~ (~r0 ) · (~r − ~r0 )
δV
+
δV
|~r − ~r0 |
|~r − ~r0 |3
(2.173)
Die Volumenelemente δV sind zwar mikroskopisch groß (104 Moleküle!), makroskopisch gesehen aber klein, so
dass zur Ermittlung des Gesamtpotentials statt der Verwendung endlicher Summen die Integration gerechtfertigt ist.
(An dieser Stelle sei betont, dass für die Physik die Eigenschaft des Integrals, endliche Summen zu approximieren,
wesentlich ist. Als solche Approximation ist die Integration hier zu verstehen, nicht als ein von der Mathematik
her erforderlicher Grenzwert.) Damit gilt:
φ(~r) =
Z 1
ρ(~r0 )
+ P~ (~r0 ) · ∇~r0
|~r − ~r0 |
|~r − ~r0 |
43
dV 0
(2.174)
oder, nach partieller Integration bzw. gemäß der Regel für die Differentiation verallgemeinerter Funktionen,
wobei wir unser Volumen so wählen, dass P~ (~r) echt darin enthalten ist, damit die Oberflächenterme verschwinden:
φ(~r) =
Z
1
0
~
0
ρ(~
r
)
−
∇
P
(~
r
)
dV 0
~
r
|~r − ~r0 |
(2.175)
Damit folgt aber sogleich (diesmal ist ∆ der Laplace-Operator):
~ · P~ )
∆φ = −4π (ρ − ∇
(2.176)
~E
~ = 4π (ρ − ∇
~ · P~ )
∇
(2.177)
bzw.:
denn Gleichung (2.174) beschreibt genau das Feld einer Ladungsverteilung:
ρ(~r0 ) − ∇~r0 · P~ (~r0 )
Aus Gleichung (2.177) folgt sogleich:
~ E
~ − 4π P~ ) = 4πρ
∇(
(2.178)
~−
Dies ist aber genau die der 1. Maxwell’schen Gleichung (2.180) entsprechende Gleichung für die Größen (E
~
4π P ).
~
Wir führen für sie eine neue Bezeichnung ein, nämlich die elektrische Verschiebungsdichte D:
~ =E
~ − 4π P~
D
(2.179)
Es folgt daraus sofort die 1. Maxwell’sche Gleichung:
~ = 4πρ
div D
(2.180)
Zusammen mit der 2. Maxwell’schen Gleichung:
~ =0
rot E
genügt dies zur Charakterisierung des elektrostatischen Feldes in makroskopischen Medien (einschließlich dem
Spezialfall Vakuum). Es ist jedoch zur Berechnung des Feldes noch die Kenntnis des Zusammenhanges zwischen
~ und D
~ nötig. Gleichung (2.179) genügt dazu nicht, denn es fehlt die Abhängigkeit von P~ von E.
~ Wir werden
E
im Folgenden annehmen, dass der Zusammenhang linear ist, also:
Pi =
X
χij Ej
(2.181)
j=1
Die Größe (χij ) ist der Tensor der Suszeptibilität. Im Falle eines isotropen Mediums reduziert er sich auf einen
Skalar. Es gilt dann:
~
P~ = χ E
Mit ε = 1 + 4πχ ist dann:
44
(2.182)
~ = εE
~
D
(2.183)
ε heißt die relative Dielektrizitätskonstante des Mediums und ist im Allgemeinen ebenfalls Tensor. ε ist im
Allgemeinen noch eine Funktion des Ortes, im homogenen Medium jedoch konstant. In homogenen und isotropen
Medien können wir daher schreiben:
~ = 4πρ
div E
ε
⇒ ∆φ = −
4π
ρ
ε
(2.184)
(2.185)
Die Wirkung des Mediums besteht gemäß Gleichung (2.185) aber darin, dass in ihm ein Feld herrscht, das
dem Feld einer um den Faktor 1/ε reduzierten Ladungsdichte im Vakuum entspricht. Die Kapazität eines
Kondensators, also das Verhältnis aus Ladung und Spannung = Potentialdifferenz steigt demgemäß, wie aus
Gleichung (2.185) unmittelbar ersichtlich, um den Faktor ε, wenn er aus dem Vakuum in ein Medium mit der
Dielektrizität ε gebracht wird.
2.4.2
Grenzflächen
Wir wollen nun den Fall betrachten, dass zwei verschiedene Medien aneinandergrenzen. Auf der Grenzfläche
befinde sich eine Flächenladung σ. Wir finden in völliger Analogie zur Gleichung (2.43) wegen Gleichung (2.181)
~ aus dem Gauß’schen Satz:
für die Normalenkomponente von D
~2 −D
~ 1 )~n = 4πσ
(D
(2.186)
~ weist also an einer Grenzfläche zweier Medien die Unstetigkeit 4πσ auf. Die
Die Normalenkomponente von D
~ dagegen ist stetig:
Tangentialkomponente des elektrischen Feldes E
~2 − E
~ 1 ) × ~n = 0
(E
(2.187)
Dazu integrieren wir die Feldstärke längs eines geschlossenen Weges, der die Grenzschicht umschließt. Der
Stokes’sche Satz liefert:
I
C
~ =
~ · ds
E
I
~ =0
~ df
rot E
Betrachten wir den Grenzfall infinitesimal kurzer Schmalseiten, so folgt sofort die Gleichung (2.187).
2.4.3
Randwertprobleme
~ im Vakuum bzw. der VerschieDie formale Gleichheit der Differentialgleichungen des elektrischen Feldes E
~
bungsdichte D im Dielektrikum lässt erwarten, dass die im vorhergehenden benutzten Methoden der Lösung
elektrostatischer Probleme auch in Gegenwart von makroskopischen Stoffen anwendbar bleiben.
Als einziger Unterschied ist der Faktor 1/ε in der Poisson-Gleichung zu beachten, der evtl. örtlich variieren
kann. Wir wollen hier ein Beispiel unter Verwendung des Spiegelladungsprinzips vorstellen. Zwei Medien mit
Dielektrizitätskonstanten ε1 bzw. ε2 mögen an der Ebene z = 0 aneinandergrenzen. Die Grenzbedingungen
seien die Stetigkeit von Ex , Ey und Dz , also:




ε1 Ez
ε2 Ez
lim  Ex  = lim−  Ex 
z→o+
z→o
Ey
Ey
45
(2.188)
x
E2
E1
q’
q
z
d
Abb. 2.7:
Eine Ladung befinde sich am Orte z = d, x = y = 0. Zur Lösung mittels des Spiegelladungsprinzips denken wir
uns eine Spiegelladung q 0 am Ort (o, o, −d). Das Potential am Ort (r, ϕ, z), z > o ist dann:
1
φ> (~r) =
ε1
q0
q
p
+p
r2 + (d − z)2
r2 + (d + z)2
(2.189)
(Die Verwendung von Zylinderkoordinaten wird durch die Symmetrie des Problems nahegelegt.)
Für Orte im Medium 2 sollte das Potential von einer Ladung q 00 am Ort der tatsächlichen Ladung q herleitbar
sein:
φ< (~r) =
q 00
1
p
ε2 r2 + (d − z)2
(2.190)
Der Ansatz (2.189), (2.190) erfüllt die Poisson-Gleichung:
z>o:
∆φ< = −
z<o:
∆φ< = 0
1
~
4πq δ(~r − d)
ε1
Die Größen der Spiegelladungen erhalten wir aus den Randbedingungen:
1.
ε1 Ez> =
z=o
=
=
∂
1
1
0 ∂
p
p
q
+q
2
2
2
2
∂z r + (d − z)
∂z r + (d + z) z=o
+d
1
−d
00 ∂
0
p
q√
=
q
+
q
=
ε
E
2 2< √
3
3
∂z r2 + (d − 2)2 z=o
z=o
r2 + d2
r2 + d2
d
0
00
q 00 √
3 =⇒ q − q = q
2
2
r +d
(2.191)
2.
Er> z=o
= Er> z=o
=
=
∂
1
p
q
+ q0
2
∂r r + (d − z)2
q 00 r
q + q0
1
=
=⇒
− 2 √
3
ε
ε1
r2 + d2
1
ε1
46
1 (q + q 0 )r
1
∂
p
=
√
∂r r2 + (d + z)2 z=o
ε1 r2 + d2 3
q 00
(2.192)
ε2
Die Auflösung des Gleichungssystems (2.191), (2.192) liefert:
q0
q 00
ε2 − ε1
q
= −
ε2 + ε1
2ε1
=
q
ε1 + ε2
(2.193)
Wie erwartet, ist für ε1 = ε2 , q 0 = 0 und q 00 = q.
Der Feldlinienverlauf der Verschiebungsdichte ist in der nachstehenden Abbildung gegeben.
ε2
ε1
ε2
ε1
ε2 > ε1
ε1 > ε 2
Abb. 2.8:
Die Unstetigkeit im Feldlinienbild zeigt an, dass auf der Oberfläche eine Polarisationsdichte induziert wird. Aus
den Randbedingungen zwischen den Gleichungen (2.179) und (2.186) folgt hierfür:
σpol = −(P~2 − P~1 ) · ~n
(2.194)
Nun ist:
P~i =
εi − 1
4π
εi − 1
~
E=−
∇φ
4π
(2.195)
Unter Verwendung der zur Aufstellung der Gleichung (2.191) durchgeführten Rechnungen und mittels Gleichung (2.193) folgt:
σpol
=
!
1 ε1 − 1
ε2 − ε1
d
q (ε2 − 1)2
q 1+
−
−
ε1 4π
(ε2 + ε1 )
ε2 4π(ε2 + ε1 ) (r2 + d2 )3/2
=
−
q
ε2 − ε1
d
2π ε1 (ε2 + ε1 ) (r2 + d2 )3/2
(2.196)
Auch hier sehen wir sofort, dass für ε2 = ε1 , σpol = 0, wie auch nicht anders zu erwarten war.
Damit wollen wir die Behandlungen der Elektrostatik beenden. Als wesentlichster Inhalt dieses ganzen Abschnittes sollte die Behandlung der verschiedenen Verfahren zur Lösung von Randwertproblemen angesehen werden.
Diese Verfahren sind nämlich nicht auf die hier behandelten partiellen Differentialgleichungen beschränkt, sondern können auch in anderen Fällen - etwa bei der Weller-Gleichung - verwendet werden. Insbesondere die
Entwicklung nach vollständigen Orthonormalsystemen ist ein für sehr viele Probleme unverzichtbares Hilfsmittel.
47
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