Lösungsskizze - Verwaltungsgericht Sigmaringen

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Examensrepetitorium an der Universität Tübingen
Aktuelle Fälle aus der Praxis des Verwaltungsgerichts Sigmaringen
Sommersemester 2009
Lösungsskizze zu Fall 6: „Der Chinesenkoffer "
VRiVG Dr. Jürgen Keppeler
Variante a)
I. Zulässigkeit der Klage
1. Der Verwaltungsrechtsweg (§ 40 Abs. 1 VwGO) ist unproblematisch gegeben, da
die Polizei hier hoheitlich zur Gefahrenabwehr tätig geworden ist.
2. Klageart: Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO)
a) Gegenstand der Klage ist ein Verwaltungsakt.
b) Erledigung ist eingetreten (vgl. insoweit auch § 43 Abs. 2 LVwVfG). Zwar führen
Vollzug bzw. Vollstreckung grundsätzlich nicht zur Erledigung eines Verwaltungsaktes, selbst wenn die Vollziehung nicht wieder rückgängig gemacht werden kann
(vgl. hierzu Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 113 Rdnr. 81 m. w. N., im Einzelnen streitig; neuestens BVerwG, Urt. v. 25.09.2008, NVwZ 2009, 122). Dies dürfte
jedoch nur gelten, solange der streitige Verwaltungsakt noch belastende rechtliche
Wirkungen nach sich zieht (etwa als Rechtsgrund für die Erhebung von Kosten).
Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben, da der Vorgang insgesamt abgeschlossen
ist. Abgeschlossene polizeiliche Maßnahmen sind geradezu exemplarische Fälle
für eine Fortsetzungsfeststellungsklage (vgl. Eyermann, VwGO, § 113 Rdnr. 93).
c) Nach allgemeiner Ansicht ist eine Entscheidung über die Rechtswidrigkeit eines
erledigten Verwaltungsaktes auch dann zulässig, wenn die Erledigung vor Klageerhebung eingetreten ist (Eyermann, VwGO, § 113 Rdnr. 72 m. w. N.). In diesem Fall
bestehen Besonderheiten hinsichtlich des Vorverfahrens und der Klagefrist (siehe
dazu unten; des weiteren fehlt - was hier im Fall aber letztlich keine Rolle spielt bei Erledigung vor Klageerhebung das Fortsetzungsfestellungsinteresse, wenn die
Klage der Vorbereitung eines späteren Schadensersatzprozesses dienen soll, vgl.
Eyermann, VwGO, §113 Rdnr. 87 m.w.N.).
3. Die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) in Bezug auf die erledigte Maßnahme ist
gegeben.
4. Der Kläger kann sich auf ein besonderes Feststellungsinteresse berufen.
a) Eine Wiederholungsgefahr ist allerdings nicht gegeben. Insoweit reicht die abstrakte Möglichkeit einer künftigen Handlung nicht aus, es müssen vielmehr konkrete
Anhaltspunkte für den Eintritt einer erneuten Belastung bei einem vergleichbaren
und abzusehenden Sachverhalt vorgetragen werden (Hufen, Verwaltungsprozess-
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recht, 5. Aufl., 2003, § 18 Rdnr. 72 m. w. N.). Hier handelt es sich um eine einmalige, so nicht wiederkehrende Konstellation.
b) Hingegen begründen mögliche Grundrechtsverletzungen regelmäßig ein Feststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitierung. Hierzu zählen namentlich Feststellungsbegehren, die polizeiliche Maßnahmen zum Gegenstand haben (BVerwG, NJW 1997, 2534 m. w. N.).
5. Ein Vorverfahren ist im Falle der Erledigung vor Klageerhebung nicht mehr durchzuführen, da dieses gegenstandslos ist. Die vereinzelt in der Literatur vertretene Auffassung, ein Widerspruch könne auch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes (Fortsetzungsfeststellungswiderspruch) gerichtet sein, überzeugt
nicht, da nur ein Gericht insoweit eine verbindliche Klärung herbeiführen kann (siehe
im übrigen Hufen a. a. O., § 18 Rdnr. 84; Eyermann, VwGO, § 113 Rdnr. 72).
Die hier erfolgte Klageerhebung ohne vorheriges Vorverfahren ist daher unschädlich.
6. Nach überwiegender Meinung ist bei fehlender Rechtsmittelbelehrung zumindest
eine Klagefrist von einem Jahr (vgl. § 58 Abs. 2 VwGO) einzuhalten. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt (siehe dazu Eyermann, VwGO, § 113 Rdnr. 72 m. w. N.). Nach
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (NVwZ 2000, 63) ist die Klage
überhaupt nicht fristgebunden (das Klagerecht kann allerdings verwirkt werden, Hufen a. a. O. § 18 Rdnr. 87).
7. Die Beteiligtenfähigkeit richtet sich nach § 61 Nr. 1 VwGO.
II. Begründetheit der Klage
Die Klage ist begründet, wenn die "Mitnahme" des A durch die Polizei rechtswidrig
gewesen ist.
1. Formelle Rechtmäßigkeit
a) Zuständigkeit
Die Zuständigkeit ermittelt sich anhand der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage.
Hier kommen § 28 PolG oder §§ 1, 3 PolG in Betracht.
(1) Nach § 60 Abs. 1 PolG sind die Polizeibehörden für die Wahrnehmung der polizeilichen Aufgaben zuständig. Soweit nichts anderes bestimmt ist, sind die Ortspolizeibehörden sachlich zuständig (§§ 66 Abs. 2, 61 Abs. 1 Nr. 4 PolG). Ortspolizeibehörden sind die Gemeinden, die die übertragenen Aufgaben als Pflichtaufgaben nach
Weisung wahrnehmen (§ 62 Abs. 4 PolG).
(2) Im vorliegenden Fall ist jedoch der Polizeivollzugsdienst tätig geworden. Dessen vom obigen Grundsatz abweichende - Zuständigkeit kann sich zum einen aus § 60
Abs. 3 PolG (Zuständigkeit für Standardmaßnahmen) ergeben. Fällt die durchgeführte Maßnahme unter §§ 1, 3 PolG, so können sich die Vollzugsbeamten auf § 60 Abs.
2 PolG (sofortiges Tätigwerden erforderlich) berufen. Es ist außerhalb der üblichen
Dienstzeiten grundsätzlich nicht mehr erforderlich, zu versuchen, einen Vertreter der
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Ortspolizeibehörden zu erreichen (Wolf/Stephan, PolG für Baden-Württemberg, 5.
Aufl., 1999, § 60 Rdnr. 7).
(3) § 2 Abs. 2 PolG steht einer - in diesem Fall subsidiären - Zuständigkeit der Polizei
nicht entgegen. Ein Antrag der Berechtigten liegt vor. Die Herausgabe der Koffer am
selben Abend ist gerichtlich nicht zu erreichen.
Im übrigen lässt sich die polizeiliche Zuständigkeit auch auf eine drohende Obdachlosigkeit stützen, sodass das Handeln der Polizei letztlich nicht nur auf den Schutz
privater Rechte abzielte.
b) Verfahren
Angesichts der der Polizeimaßnahme vorausgegangenen Diskussion ist davon auszugehen, dass die erforderliche Anhörung (§ 28 LVwVfG) stattgefunden hat.
c) Form
Eine polizeiliche Anordnung kann auch mündlich ergehen (vgl. § 37 Abs. 2 LVwVfG).
2. Materielle Rechtmäßigkeit
a) Zunächst ist zu prüfen, ob spezielle Eingriffsermächtigungen einschlägig sind.
Insoweit bietet sich § 28 PolG an. Die "Mitnahme" des A könnte als ein "in Gewahrsam nehmen“ im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden. Von den im
Tatbestand aufgezählten Alternativen kommt allenfalls § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG in
Betracht. Es erscheint jedoch höchst zweifelhaft, ob hier von einer "erheblichen
Störung" ausgegangen werden kann, die dazuhin nicht auf andere Weise beseitigt werden kann (siehe dazu noch unten).
b) Geht man davon aus, dass die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG nicht
vorliegen, so stellt sich die Frage, ob hier diese Vorschrift als abschließende Regelung eine Anwendung der §§ 1, 3 PolG ausschließt. Sind nämlich die besonderen Tatbestandsvoraussetzungen der Spezialermächtigung im konkreten Fall
nicht gegeben, darf nicht auf die §§ 1, 3 PolG zurückgegriffen werden, da andernfalls das System der Spezialermächtigung unterlaufen würde (Ruder/Schmitt, Polizeirecht Baden-Württemberg, 6. Aufl. 2005, Rdnrn. 300, 539 m. w. N.).
c) Die streitige polizeiliche Maßnahme könnte jedenfalls dann auf §§ 1, 3 PolG gestützt werden, wenn der Anwendungsbereich des § 28 PolG nicht berührt wäre, d.
h., die Maßnahme von vorneherein rechtlich nicht als "Gewahrsam" einzustufen
wäre. Dieser Gedanke erscheint im Hinblick darauf erwägenswert, dass aus der
Sicht der Polizei die Ingewahrsamnahme des A nicht als solche der Gefahrenabwehr dient, sondern nur Mittel zum Zweck darstellt, nämlich den A von seinem
Heimatort nach S zu verbringen.
(1) Der sogenannte "Verbringungsgewahrsam" (vgl. dazu Ruder/Schmitt, a. a. O.,
Rdnr. 572; Wolf/Stephan, a. a. O., § 28 Rdnr. 6, jeweils m. w. N.) fällt nicht unter §
28 Abs. 1 Nr. 1 PolG. Zwar sind die in diesem Zusammenhang diskutierten Fälle
etwas anders gelagert. Ziel und Zweck des "Verbringungsgewahrsams" ist eine
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Ortsveränderung, durch die eine Person gezwungen werden soll, ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort aufzugeben und einen neuen zu beziehen. Mit der vorübergehenden Ingewahrsamnahme soll letztlich ein Platzverweis durchgesetzt werden
(betrunkene Stadtstreicher oder randalierende Versammlungsteilnehmer werden
an einen anderen Ort gebracht, um weitere Störungen zu verhindern, vgl. Ruder/Schmitt, a. a. O., Rdnr. 572). Von der rechtlichen Struktur her erscheint jedoch der vorliegende Fall durchaus vergleichbar.
(2) Die rechtliche Zulässigkeit des Verbringungsgewahrsams ist allerdings nach
wie vor umstritten. Letztlich kann die Wegschaffung nicht mit der Gewahrsamsregelung gerechtfertigt werden, andererseits erfordert sie eine geeignete polizeiliche Ermächtigungsgrundlage. Nach wohl zutreffender Ansicht wird in den oben
beispielhaft genannten Standardfällen die Verbringung als die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung einer Platzverweis- und Aufenthaltsverbotverfügung, also als eine Vollstreckungsmaßnahme (§ 49 Abs. 2, 50 ff. PolG) charakterisiert (vgl. Ruder/Schmitt, a. a. O., Rdnr. 572; Wolf/Stephan, a. a. O., § 28
Rdnr. 6, jeweils m. w. N auch zu abweichenden Auffassungen, die den Verbringungsgewahrsam grundsätzlich als rechtswidrig ansehen), deren Rechtmäßigkeit
nach den allgemeinen Vollstreckungsgrundsätzen zu beurteilen ist. Es handelt
sich dabei nicht um eine Freiheitsentziehung, sondern - wie auch in anderen Fällen des zwangsweisen Transport einer Person an einen anderen Ort - um die
Anwendung unmittelbaren Zwangs mit den Auswirkungen einer Freiheitsbeschränkung.
Die in § 52 PolG normierten Voraussetzungen für die Durchführung des unmittelbaren Zwangs dürften vorliegen. Der polizeiliche Zweck, den A von seinem Heimatort nach S zu verbringen, erscheint auf andere Weise nicht erreichbar. Auch
die übrigen Voraussetzungen der Vorschrift dürften gegeben seien. Angesichts
der der Verbringung vorausgegangenen Diskussion ist auch von einer vorherigen
Androhung auszugehen (§ 52 Abs. 2 PolG).
d) Es ist daher im weiteren zu prüfen, ob die polizeiliche Maßnahme, den A nach S
zu verbringen, um den chinesischen Touristen zu ihren Koffern zu verhelfen, von
§§ 1, 3 PolG gedeckt ist.
(1) Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist hier angesichts der von der Polizei angestrebten Herausgabe der Koffer tangiert. Unter die öffentliche Sicherheit
fällt nach allgemeiner Ansicht auch der Schutz der subjektiven Rechte und
Rechtsgüter des einzelnen, darunter auch Eigentum und Besitz (vgl. Ruder/Schmitt, a. a. O., Rdnr. 236). Ebenso wird drohende Obdachlosigkeit heute
überwiegend unter die öffentliche Sicherheit subsumiert, teilweise aber auch noch
der öffentlichen Ordnung zugerechnet (dazu Ruder/Schmitt, a. a. O., Rdnr. 316
m. w. N.).
(2) In Bezug auf die eingeschlossenen, dem Zugriff der Touristen entzogenen
Koffer liegt bereits eine Störung vor, hinsichtlich der Obdachlosigkeit kann von einer entsprechenden polizeilichen Gefahr ausgegangen werden.
(3) Polizeiliche Maßnahmen sind grundsätzlich gegenüber dem Störer zu treffen.
A kommt hier möglicherweise als Handlungsstörer (§ 6 Abs. 1 PolG) in Betracht.
Auf ein Verschulden kommt es insoweit nicht an, vielmehr reicht es aus, dass die
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Gefahr oder Störung durch das Verhalten der Person hervorgerufen wird. Zur Bestimmung des Störers bedarf es eines Ursachenzusammenhangs zwischen der
Gefahr bzw. Störung einerseits und dem Verhalten oder Zustand andererseits.
Probleme ergeben sich hier angesichts der Tatsache, dass nicht nur A, sondern
auch die chinesischen Touristen selbst einen Verursachungsbeitrag zum Entstehen der polizeilichen Gefahr bzw. Störung geleistet haben.
Kommen mehrere Verursacher als Störer in Frage, wenden Rechtsprechung und
Literatur seit längerem überwiegend die Theorie der unmittelbaren Verursachung
an (Wolf/Stephan, a. a. O., § 6 Rdnr. 8; Ruder/Schmitt, a. a. O. Rdnr. 255 m. w.
N.). Danach kommt es darauf an, wessen Verhalten die polizeiliche Gefahrenschwelle überschritten hat. Dies ist anhand wertender Betrachtung der jeweiligen
Einzelfallumstände zu klären. Sie ist regelmäßig nicht überschritten, solange und
so weit von Rechten Gebrauch gemacht wird, man sich also mit der Rechtsordnung im Einklang befindet. A hat sich hier im Rahmen der Rechtsordnung und an
die mit den Touristen getroffene Vereinbarung gehalten. Diese haben letztlich
durch ihre abredewidrige Verspätung die maßgebliche Ursache für die Überschreitung der polizeilichen Gefahrenschwelle gesetzt.
Als Störer kommt A mithin nicht in Betracht. Dies hat weiter zur Folge, dass sich
die Maßnahmen der Polizei nicht auf §§ 1, 3 PolG stützen lassen.
e) Das Vorgehen der Polizei ließe sich allenfalls dann rechtfertigen, wenn A nach § 9
Abs. 1 PolG als Unbeteiligter bzw. Nichtverantwortlicher in Anspruch genommen
werden könnte. Dies setzt voraus, dass auf andere Weise eine unmittelbar bevorstehende Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht verhindert oder
eine bereits eingetretene Störung nicht beseitigt werden kann, insbesondere
wenn die eigenen Mittel der Polizei nicht ausreichen oder durch die Inanspruchnahme des verantwortlichen Störers ein Schaden herbeigeführt würde, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. Maßnahmen, die
auf den "polizeilichen Notstand" gegründet sind, stellen demnach stets die ultima
ratio dar.
Eine solche Notlage ist hier nicht gegeben. Die Polizei hätte den Touristen ohne
weiteres auch ohne Ausweispapiere zu einer Übernachtungsmöglichkeiten in einem Hotel vor Ort verhelfen können, sodass die Gefahr einer Obdachlosigkeit beseitigt gewesen wäre. Wenn man hinsichtlich des Vorenthaltens der Koffer annehmen will, dass diese insoweit bereits eingetretene Störung auf andere Weise
nicht hätte beseitigt werden können, so ist zu beachten, dass eine Maßnahme
gegenüber einem Notstandspflichtigen nur möglich ist, wenn die allgemeinen
Voraussetzungen einer polizeilichen Eingriffsermächtigung (z. B. §§ 1, 3 PolG)
vorliegen (Ruder/Schmitt, a. a. O., Rdnr. 281). Folglich muss genauso wie gegenüber einem Störer auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Die (selbstverschuldete) Beeinträchtigung der Touristen (allein) dadurch,
dass sie für eine Nacht ihre Koffer entbehren müssen, vermag einen Eingriff dieser Intensität gegenüber A nicht zu rechtfertigen.
f) Als Ergebnis ist fest zu halten, dass die Klage des A auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der gegen ihn ergriffenen polizeilichen Maßnahme vom 10.7.2008 zulässig und begründet ist.
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e) Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht der ständigen Praxis des Verwaltungsgerichts Sigmaringen, gem. § 167 Abs. 2 VwGO davon abzusehen, das Urteil hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auch auf die Fortsetzungsfeststellungsklage liegt angesichts der engen Verwandtschaft zur Anfechtungsklage
nahe.
Der Tenor lautet:
Es wird festgestellt, dass die gegen den Kläger gerichtete polizeiliche Maßnahme
vom 10.7.2008 rechtswidrig gewesen ist.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Variante b)
I. Zulässigkeit der Klage
Da es hier im Gegensatz zur Variante a) an einer polizeilichen Maßnahme mit Verwaltungsaktsqualität fehlt, sind erneute Überlegungen zur Klageart erforderlich. Streitig ist, ob auch im Falle eines erledigten Realakts eine analoge Anwendung des §
113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in Betracht kommt (vgl. die Nachweise bei Sodan/Ziekow,
VwGO, 2. Aufl. 2006, § 113 Rdnr. 315 f.). Lehnt man dies mit der überwiegenden
Rechtsprechung ab, so verbleibt jedenfalls die allgemeine Feststellungsklage (§ 43
Abs. 1 VwGO), wonach bei berechtigtem Interesse auch die Feststellung in der Vergangenheit bestehender Rechtsverhältnisse zulässig ist (Kopp/Schenke, VwGO, 15.
Aufl. 2005, § 43 Rdnr. 5 m. w. N.).
Allerdings hat A bei dieser Sachlage mangels Verletzung subjektiver Rechte keine
Klagebefugnis (die nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch im
Rahmen des § 43 VwGO zu fordern ist, vgl. zum Meinungsstand Kopp/Schenke, a. a.
O., § 42 Rdnr. 63), ebensowenig ist ein berechtigtes Interesse ersichtlich.
II. hilfsweise: Begründetheit der Klage
Hat A dem Ansinnen der Polizeibeamten letztlich freiwillig Folge geleistet, ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass er durch den Transport im Polizeiauto und das Aufschließen seiner Geschäftsräume in irgendwelchen Rechten verletzt sein könnte. Abgesehen davon mangelt es schon an rechtlichen Maßstäben, an denen der Vorgang zu
messen wäre.
Die Klage hat also keinen Erfolg. Die Kostenentscheidung ergibt sich wiederum aus §
154 Abs. 1 VwGO. Nachdem es sich hier um eine Feststellungsklage handelt, kann
korrekterweise auf den Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit nicht nach § 167
Abs. 2 VwGO verzichtet werden (anders teilweise die Praxis).
Der Tenor lautet:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
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Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Variante c)
Im Verwaltungsprozess gilt der Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO; vgl. zur
Beweiserhebung und Beweiswürdigung auch §§ 98, 108 VwGO). Demgemäß kennt
das Verwaltungsprozessrecht keine formelle Beweislast dergestalt, dass ein Beteiligter den Beweis zu führen hat. Hingegen kann sich durchaus die Frage der materiellen Beweislast stellen, also zu wessen Ungunsten die Unaufklärbarkeit einer bestimmten Tatsache geht. Insoweit gilt wie auch im Zivilprozess die Formel, wonach
derjenige die nachteiligen Folgen der Beweislosigkeit trägt, der sich auf das Vorliegen der Voraussetzungen einer ihm günstigen Norm beruft bzw. aus der fraglichen
Tatsache eine für ihn günstige Rechtsfolge ableitet. Als Faustregel lässt sich festhalten, dass die Behörde die materielle Beweislast für die tatbestandlichen Voraussetzungen einer belastenden Maßnahme trägt, die materielle Beweislast für die Voraussetzungen einer begünstigenden Maßnahme liegt hingegen beim Kläger (vgl. zum
Vorstehenden Sodan/Ziekow, a. a. O., § 98 Rdnr. 25 ff.; Eyermann, a. a. O. § 86
Rdnr. 2 ff. mit Beispielen aus der Rechtsprechung).
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte entspricht die Lösung der zu Variante
b) gefundenen, da A nur zulässigerweise klagen kann, wenn feststeht, dass die Polizisten ihm gegenüber einen Verwaltungsakt erlassen haben. Gleiches gilt für die Begründetheit der Klage.
Rückblick auf Variante a): Wäre zweifelhaft geblieben, ob die Voraussetzungen für
die Inanspruchnahme des A als Notstandstörer nach § 9 PolG vorgelegen hätten, so
hätte nach den oben dargestellten Maßstäben die Beklagtenseite die Beweislast für
das Vorliegen der entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen getragen.
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