Das Redaktionsteam - Gesellschaft für Anthropologie

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2. Ausgabe 2015
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
ein aufregendes Jahr neigt sich dem Ende zu. Auf dem GfA-Kongress in München hatten wir
die Gelegenheit, viele von Euch wiederzusehen und gemeinsame Projekte zu besprechen.
Besonders möchten wir Euch darauf hinweisen, dass es im nächsten Jahr wieder ein Treffen
des wissenschaftlichen Nachwuchses der Anthropologie geben wird, eine Einladung mit dem
genauen Datum und dem Ort folgt bald. Organisiert wird das Treffen von den beiden neuen
Nachwuchs-Sprecherinnen Alisa Hujić und Beatrix Welte.
Aus einigen der eingereichten Beiträge geht hervor, dass sich ein Wandel in der Anthropologie
anbahnt. Wie sich dieser konkret gestalten wird – insbesondere unter Berücksichtigung der
Tatsache, dass noch immer viele universitäre Institute, die sich mit Anthropologie im weitesten
Sinne beschäftigen, von der Schließung bedroht sind -, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.
Als sehr positiv für das Fach dürfen wir jedoch die Gründung des Max-Planck-Instituts für
Menschheitsgeschichte in Jena im März 2014 ansehen.
Wir bedanken uns für Eure Beiträge und wünschen Euch noch eine schöne Weihnachtszeit
sowie ein gutes neues Jahr!
Das Redaktionsteam
Ausstellungen
23+: ORTE, FUNDE & GESCHICHTEN - ARCHÄOLOGIE IM BODENSEEKREIS
EIN AUSSTELLUNGSPROJEKT DER EBERHARD KARLS UNIVERSITÄT TÜBINGEN UND DES
PFAHLBAUMUSEUMS UNTERUHLDINGEN
Unter Federführung von Prof. Schöbel, dem Leiter des Pfahlbaumuseums Unteruhldingen
(Bodensee, Baden-Württemberg), beschäftigen sich seit einem halben Jahr Studierende der Urund Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters der Universität Tübingen mit
archäologischen Objekten aus 23 Gemeinden des Bodenseekreises. Diese Objekte wurden
zumeist schon in den letzten Jahrhunderten geborgen. Unter den Fundstellen war auch eine
Kiesgrube bei Uhldingen-Mühlhofen. Hier wurden um das Jahr 1940 mehrere beigabenreiche
Grablegen gefunden. Lange war lediglich bekannt, dass sie aus alamannischer Zeit stammen.
Die Einmaligkeit der Funde wurde nicht weiter beachtet. 75 Jahre später konnte nun im Rahmen
der Ausstellung eine detaillierte Untersuchung der Funde und eines der Individuen verwirklicht
werden. In diesem Zusammenhang werden die Ergebnisse, die Fundstücke sowie die
knöchernen Überreste des Alamannen bis Januar 2016 erstmalig der Öffentlichkeit präsentiert.
Die Skelettreste wurden unter der Leitung von Prof. Wahl vom Landesamt für Denkmalpflege
in Konstanz im Rahmen des Masterseminars von der Verfasserin ausgewertet, für die
Vorstellung vorbereitet und in der Vitrine ausgelegt (Abb. 1).
Abb. 1: Isabelle Jasch mit dem Skelett eines alemannischen Mannes im Pfahlbaumuseum
Unteruhldingen (Foto: Moritz Boley)
Demnach starb dieser außergewöhnlich große Mann, mit ausgeprägten enthesealen
Veränderungen an den Humeri, mit ungefähr 25 bis 35 Jahren. Sein Skelett weist zahlreiche
schwerwiegende Verletzungen auf, unter anderem eine unverheilte Hiebverletzung im Bereich
der rechten Orbita und mehrere verheilte Frakturen an den Langknochen. Diese zeugen von
einem kriegerischen Leben. Auch in seiner Kindheit war er Widrigkeiten ausgesetzt. So litt er
– wahrscheinlich im Frühjahr – regelmäßig unter Mangelernährung. Unter anderem weist das
Individuum einerseits Cribra orbitalia als auch im Röntgenbild Harris Lines auf. Anhand eines
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Ausstellungen
veränderten Cervicalwirbels kann man eine Bandscheibenentzündung postulieren. Das Os
occipitale weist Metastasen auf, die möglicherweise in Zusammenhang zu sehen sind mit einem
vermuteten Primärtumor des rechten Humerus, der in Co-Symptomatik mit einem
Trümmerbruch steht. Der Tumor des rechten Humerus ist jedoch aufgrund taphonomischer
Prozesse nicht mehr eindeutig diagnostizierbar. Als Bauer und Krieger lebte der Mann
zwischen dem Ende des 6. und Anfang des 7. Jahrhunderts bei Unteruhldingen.
Zu dem Individuum gehörend finden sich unter den Beifunden ein Messer sowie ein großes und
zwei kleinere Schwerter, wie sie zu dieser Zeit üblich waren. Auch eine besondere Zierscheibe,
ehemals vermutlich aus einer Frauenbestattung stammend, gehörte ursprünglich zum Inventar
des Gräberfeldes. Die Zierscheibe datiert in die Übergangszeit vom Ende des 6. zum Anfang
des 7. Jahrhunderts nach Christus und vereint sowohl heidnische als auch frühchristliche
Symbolik. Somit kann es sich bei der ehemaligen Trägerin des Schmuckstückes um eine frühe
Christin aus dem Bodenseeraum gehandelt haben.
Vom 25.09. - 16.10.2015 wurden die Funde in den Bankfilialen der Bodenseegemeinden
ausgestellt. Momentan werden sie in einer zusammengeführten Ausstellung vom 25.10.2015
bis zum 06.01.2016 im Pfahlbaumuseum Unteruhldingen präsentiert.
Insgesamt wird damit die Geschichte der Bodenseebevölkerung der letzten 10.000 Jahre
präsentiert. Mehr Infos zum Projekt unter: www.23plus.org
Kontakt: Prof. Dr. Gunter Schöbel, [email protected], Tel. 07556/928900
Isabelle Jasch
Eberhard Karls Universität Tübingen, Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie
des Mittelalters
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Ausstellungen
MUSEEN UND AUSSTELLUNGEN AKTUELL (AUSWAHL)
Musée de l´Homme
Neueröffnung des Museums im Oktober 2016
Paris, Frankreich
www.museedelhomme.fr
Gibbons – Die singenden Menschenaffen
verlängert bis April 2016
Museum der Anthropologie, Universität Zürich
Zürich, Schweiz
www.aim.uzh.ch/museum
Menschen Museum Berlin
Erstes Museum der Körperwelten
www.memu.berlin
Bärenkult und Schamanenzauber - Rituale früher Jäger
5. Dez. 2015 bis 28. März 2016
Archäologisches Museum Frankfurt
www.archaeologisches-museum.frankfurt.de
Arsen und Spitzenforschung. Paul Ehrlich und die Anfänge einer neuen Medizin
und
Medizingeschichte in Flaschen. Die Sammlung Rosak
29. Okt. 2015 bis 3. April 2016
Historisches Museum Frankfurt
www.historisches-museum.frankfurt.de
Zwerge & Riesen - Eine Frage der Perspektive
21. Nov. 2015 bis 1. Mai 2016
Neanderthalmuseum Mettmann
www.neanderthal.de
REVOLUTION jungSTEINZEIT
Archäologische Landesausstellung NRW 2015
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Ausstellungen
05. Sep. 2015 bis 03. April 2016
LVR-LandesMuseum Bonn
www.landesmuseum-bonn.lvr.de
Culinarium – Vom Acker bis auf den Teller
Ausstellung zur Kulturgeschichte des Essens und Trinkens
noch bis 31. Dez. 2015
Freilichtmuseum Domäne Dahlem, Berlin
www.domaene-dahlem.de
Madonna. Frau – Mutter – Kultfigur
16. Okt. 2015 bis 14. Febr. 2016
Landesmuseum Hannover
www.landesmuseum-hannover.niedersachsen.de
Frozen Stories – Gletscherfunde aus den Alpen
noch bis 10. Jan. 2016
und
Heavy Metal – Wie Kupfer die Welt veränderte
02. Feb. 2016 bis 14. Jan. 2018
Südtiroler Archäologiemuseum
www.iceman.it
Krieg – eine archäologische Spurensuche
06. Nov. 2015 bis 22. Mai 2016
Landesmuseum für Vorgeschichte Halle
www.lda-lsa.de/landesmuseum_fuer_vorgeschichte
Schädel. Ikone, Mythos, Kult
25. Juli 2015 bis 3. April 2016
Völklinger Hütte, Völklingen Saarbrücken
www.voelklinger-huette.org
Mumien der Welt
12. Feb. bis 28. Aug. 2016
Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim
www.rpmuseum.de
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Kongresse
TAGUNGSBERICHT GFA-KONFERENZ 2015 IN MÜNCHEN
Seit dem letzten Kongress der Gesellschaft für Anthropologie in Bozen 2013 sind wieder 2
Jahre ins Land gegangen. Nach dem Nachwuchstreffen im letzten Jahr in Weimar bin ich mit
großer Freude nach München gereist, um Freunde und Kollegen wiederzutreffen, die man in
den Jahren zuvor kennen- und schätzen gelernt hat.
Vom 15.9. bis zum 18.9.2015 fand in München der 11. Kongress der Gesellschaft für
Anthropologie mit dem Thema „Evolutionary and modern challenges to Homo sapiens – an
anthropological inquiry“ statt. Auf der Homepage der GfA ist bereits ein sehr schöner und
ausführlicher Bericht über die Konferenz zu finden, daher möchte ich mich bei meinem Beitrag
eher auf einige Eindrücke, die ich während der Konferenz sammelte, beschränken.
Wir alle wissen, dass die Anthropologie ein unheimlich diverses Feld ist, das haben die
gehaltenen Vorträge und präsentierten Poster auch dieses Mal wieder gezeigt. Meiner Meinung
nach ist es vor allem für die Nachwuchswissenschaftler/innen der Anthropologie extrem
wichtig, links und rechts über den Tellerrand zu schauen, um Einblick in die verschiedenen
Teildisziplinen zu erlangen. Dies ist oft schwer möglich und sehr anstrengend. Doch genau
diese Möglichkeit war auch hier in München gegeben. Es gab keine parallel stattfindenden
Vortragsreihen, bei denen man sich im Vorfeld hätte entscheiden müssen, welchen Vortrag man
besuchen kann oder nicht. Zudem erleichterte die thematische Zusammenfassung vieler
Beiträge in Panels die Orientierung. Auf diesem Weg konnte ich viele neue Erkenntnisse
erlangen, die nicht primär in meinem eigentlichen Forschungsfeld liegen. Das hat viele
Vorteile, auf zwei möchte ich kurz eingehen: 1) es ist möglich Fragestellungen des eigenen
Forschungsfeldes mit denen in anderen Feldern zu verknüpfen; 2) erlangt man dadurch auch
den Zugang, Verständnis und Wissen zu gewinnen, um einander besser zu helfen bzw. zu
unterstützen. Als Beispiel möchte ich hier kurz eine Diskussion im Nachwuchsmeeting
anführen. Es gibt Bereiche, in denen tiefgründige Statistikkenntnisse unabdingbar sind, und
Bereiche, in denen Statistik stiefmütterlich behandelt wird. In dieser Diskussion wurde häufig
der Wunsch geäußert, sich im Bereich Statistik besser austauschen und mit/voneinander lernen
zu können, doch das ist nur mit einem Einblick in die Eigenheiten der verschiedenen
Forschungsbereiche möglich. Das Resultat dieser Diskussion wird hoffentlich ein Workshop
beim nächsten Nachwuchstreffen sein, bei dem man dann zusammen Statistikkomplexe
erarbeitet. Dies lässt sich selbstverständlich auch auf andere Bereiche/Methoden übertragen.
Das tolle Ambiente der Tagung (Abb. 2a, b), die wohlüberlegte Exkursion (eine gruselige
Stadtführung durch die Altstadt von München) und die gesellschaftlichen Abende förderten den
Austausch untereinander. Zudem erlaubte dies, die internationalen Gäste besser
kennenzulernen und sich mit der Wissenschaftswelt in deren Herkunftsländern vertraut zu
machen.
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Kongresse
Abb. 2a, b: Bei wunderschönem Spätsommerwetter wurden Mittagessen und Kaffee auf der
Terrasse der Carl von Siemens Stiftung eingenommen (Fotos: Birgit Großkopf).
Ein weiterer Eindruck, den ich sammelte, betrifft mehr die Gesellschaft als Ganze. Es scheint
ein Generationswechsel im Gange zu sein; viele junge Leute wurden beispielsweise in den
Vorstand gewählt. Mit voller Zuversicht schaue ich auf das kommende Jahr und das
herannahende Nachwuchstreffen, das uns die Chance bieten wird, auch als Nachwuchs weiter
zusammenzurücken und uns mit unseren jeweiligen Expertisen zu unterstützen. Denn es ist
nicht von der Hand zu weisen, dass auch der Nachwuchs einen Anteil leisten muss, um für das
Fortkommen der Gesellschaft in Zukunft zu sorgen.
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Kongresse
Zum Schluss möchte ich meinen großen Dank an das Organisationsteam aussprechen und mich
für diesen tollen und kurzweiligen Kongress in München bedanken.
Andreas Lehmann
Universität Potsdam, Institut für Biologie und Biochemie
TAGUNGSBERICHT ZUR 25. ASCHAUER SOIREE
Was macht ein junger Nachwuchsanthropologe, wenn sich das Novemberwetter trist und
verregnet über das Land legt und der kühle, spätherbstliche Wind auch die letzten Blätter von
den jetzt immer knochiger erscheinenden Bäumen weht? Er könnte am Kaminfeuer sitzend
Statistik rechnen und Paper schreiben oder aber er folgt der Einladung von Prof. Michael
Hermanussen, um an der mittlerweile zur Tradition gewordenen Aschauer Soiree teilzunehmen.
Die Aschauer Soiree findet traditionsgemäß im November in Aschau, einem kleinen Örtchen
an der deutschen Ostsee in der Nähe von Eckernförde, im Heim oder besser gesagt im
Wohnzimmer von Prof. Michael Hermanussen statt. An diesem Tag dreht sich in Aschau alles
um Auxologie. Das „Wohnzimmer“ bietet gestandenen Wissenschaftlern, aber auch dem
Nachwuchs die Bühne, um ihre aktuellen Forschungsthemen und die damit verbundenen Ideen
und Lösungsansätze in gemütlicher Denkatmosphäre zu präsentieren und gemeinschaftlich zu
diskutieren.
Zum 25. Mal fand am 7.11.2015 die „silberne“ Aschauer Soiree statt. Auch dieses Jahr folgten
mehr als 30 Anthropologen, Auxologen und Mediziner aus allen Herrenländern, u.a.
Spezialisten aus Chile, Japan, den USA, Russland und Ägypten der Einladung von Prof.
Michael Hermanussen. Das diesjährige Thema war „modelling stunted growth“; in zwei
Sessions, eine am Vormittag und eine am frühen Abend, wurde in 26 Vorträgen dieses und
verwandte Themen aus verschiedenen Blickwinkeln vor internationalem Auditorium analysiert.
U.a. wurden in den Beiträgen Wachstumsreferenzkurven diskutiert, mathematische/statistische
Modelle, die das Wachstum beschreiben und analysieren, veranschaulicht und über
Körperproportionen und deren Änderungen konferiert. Auch drei Vertreter des Nachwuchses
der GfA waren mit Beiträgen an dieser Soiree beteiligt; Rebekka Mumm referierte über „The
association of weight, weight variability and socioeconomic situation among children“; Isabelle
Jasch stellte eine Pilotstudie zum Thema „Community effect in early times?“ vor und meine
Wenigkeit diskutierte „How reliable are recalled menarcheal age studies?“.
Neben dem wissenschaftlichen Rahmenprogramm fällt dem Austausch, oder modern
ausgedrückt, dem Netzwerken große Bedeutung zu. Hier bieten sich die Kaffee-/Teepausen,
sowie das gemeinsame Mittagessen und der obligatorische Strandspaziergang an. Für uns
Nachwuchswissenschaftler bot sich in diesem Rahmen auch die nicht alltägliche Möglichkeit,
die „Silberrücken“ unseres Fachs persönlich kennenzulernen und sich über aktuelle
Forschungsprojekte etc. zu unterhalten.
Der Abend klang bei Musik und vielen Leckereien in gemütlicher Atmosphäre aus und bot
nochmals die Möglichkeit, sich ausgiebig bis spät abends zu unterhalten. Nach dem
gemeinsamen Frühstück am Sonntagmorgen löste sich die Soiree-Gesellschaft nach und nach
auf, und jeder trat seinen mehr oder weniger weiten Heimweg an, mit im Gepäck neues Wissen
und unbeschreibliche Erinnerungen.
Für mich stellt die Soiree immer wieder einen der Höhepunkte im Jahr dar; die gemütliche
Atmosphäre bietet den perfekten Rahmen, um das präsentierte Wissen geradezu aufzusaugen
und seinen eigenen Horizont auf angrenzende Themenbereiche auszuweiten. Ich muss
allerdings auch zugeben, dass dieser eine Tag sehr anstrengend ist. Aber die Aussicht, Freunde
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Kongresse
und Bekannte aus der ganzen Welt wiederzutreffen, wiegt diese Erschöpfung um ein Vielfaches
auf. Einen großen Dank muss man auch den fleißigen Helfern im Hintergrund um Frau
Herrmanussen aussprechen, ohne sie wäre die Soiree nicht das, was sie ist.
Isabelle Jasch schildert die Eindrücke ihrer ersten Soiree wie folgt:
„Das besondere einer kleinen Tagung ist, dass man mit allen Teilnehmern ins Gespräch
kommen kann. Schon der Empfang war sehr herzlich und der erste Abend fand in gemütlicher
Runde und lockerer Atmosphäre statt. Die Vorträge waren breit gefächert und ermöglichten
mir daher einen guten Einblick in verschiedenste Forschungsprojekte weltweit.
Jeder von uns dreien vom Nachwuchs hielt einen kleinen Vortrag zu seinem momentanen
Forschungsprojekt. Man war zwar schon ein wenig aufgeregt, aber da die Atmosphäre sehr
herzlich war, hatte ich auch keine Angst vor einem Zerriss oder Angriff. Obwohl ich, da es sich
um eine kleine Pilotstudie mit einem neuen Forschungsansatz handelte, schon ein mulmiges
Gefühl hatte. Jedoch erhielt ich tolle Anregungen für die weitere Arbeit, neue
Ansatzmöglichkeiten und weitere Ideen. Auch kritische Anmerkungen, die während der
gemeinsamen Diskussion aufkamen, halfen mir sehr weiter.
Alles in allem eine super Soiree und ich freue mich auf die nächste im neuen Jahr.“
Danke an Michael Herrmanussen für dieses immer wieder atemberaubende Erlebnis und die
Möglichkeit, dem tristen November auf diese Art zu entfliehen!
Andreas Lehmann, Universität Potsdam, Institut für Biologie und Biochemie &
Isabelle Jasch, Eberhard Karls Universität Tübingen, Institut für Ur- und Frühgeschichte und
Archäologie des Mittelalters
TAGUNGSBERICHT ZUR INTERNATIONALEN TAGUNG AG EISENZEIT HALLEIN 2015
Vom 12.-14. November 2015 fand in Hallein (Österreich) eine Tagung zum Thema
„Übergangswelten und Todesriten – Neue Forschungen zur Bestattungskultur der
mitteleuropäischen Eisenzeit“ statt.
Dem Tagungsthema geschuldet, und treffenderweise gut eingebettet in das Panorama des
berühmten Dürrnberges von Hallein, beschäftigten sich die über zwei Tage verteilten, knapp
30 Vorträge vornehmlich mit der Präsentation der neuesten Forschung im Bereich
eisenzeitlichen Lebens und vor allem Sterbens. In Anbetracht des letzten Aspektes wurde auch
hier wieder die unverzichtbare Zusammenarbeit zwischen Archäologie und Anthropologie in
den Vordergrund gerückt, und es konnten teilweise bisher noch unpublizierte
Forschungsergebnisse zu Körper- und Brandbestattungen sowie Riten des Bestattungskontextes
aus internationaler Forschung vorgestellt werden.
Zwischen dem Vortragsmarathon am 12. und 14.11. gab es die Möglichkeit, an einem Ausflug
auf den Dürrnberg teilzunehmen, sowie in die angrenzenden Stollen der Salzwelten von Hallein
einzutauchen und sich einen Einblick in das keltische Leben in dem obertage liegenden
Keltendorf zu verschaffen. Nach einer kurzen Busfahrt samt Grenzübertritt wartete der
Karlstein bei Bad Reichenhall samt Kapelle und mittelalterlicher Burgruine. Dort erhielt man
einen guten Rundblick in die Täler und umliegenden Fundstellen der letzten Jahrtausende aus
der Bronze- und Eisenzeit. Im Anschluss an die Exkursion erwartete die Interessierten ein
Abendvortrag Prof. Mike Parker-Pearsons, der mit dem Titel "Dealing with the dead:
archaeologigal approaches to funerary practices" interessante Einblicke in Bestattungspraktiken
aus aller Welt gewährte. Schwerpunkt seines Vortrages war ein anthropologisch spannendes
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Kongresse
Thema: die Gräber der bronzezeitlichen Siedlung auf Cladh Hallan (Schottland). Betrachtet
man die bisherigen Auswertungen, darf davon ausgegangen werden, dass die menschlichen
Individuen nach ihrem Tod konserviert und teils sogar ergänzt wurden, bevor sie als
Bestattungen in die Erde gelangten. Dabei können zwischen dem Sterbejahr und der
Niederlegung in der Erde auch Jahrhunderte liegen. Es scheint sich um komplexe Chaîne
opératoire Riten und Bestattungsvorbereitungen zu handeln, welche man vielleicht auch bei
anderen Skelettfunden aus selbiger Zeit postulieren könnte. Neben diesem außergewöhnlichen
Beitrag, welcher vermutlich zukünftig weiter für Diskussionen und andere Betrachtungsweisen
prähistorischer Bestattungen sorgen wird, schlugen sich thematisch im Tagungsprogramm
weitere Schwerpunkte nieder: Sonderbestattungen in Bezug von Skelettfunden im Kontext von
Befestigungsanlagen, Tod während Schwangerschaft und Geburt sowie Säuglingsbestattungen
und Leichenbrandauswertungen als direkte Beispiele der anthropologischen Wissenschaft als
unabdinglicher Teil der archäologischen Forschung. Diese boten auch für fachferne Zuhörer
einen guten Einblick in die Ergebnisse, welche eine Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen
ermöglicht.
Die gemeinsamen Mittagessen an den Tagungstagen gaben Möglichkeiten, Kontakte zu
knüpfen. Auch am Abend der Postersession sowie beim Empfang im Museum bei Speis und
Trank konnte der Nachwuchs Kontakte zu anderen Universitäten knüpfen, und man kam bei
einem Glas Wein ins Gespräch. Wir freuen uns bereits jetzt auf weitere Tagungen dieser Art!
Weitere
Informationen
entnehmbar
www.salzwelten.at/de/home, www.ag-eisenzeit.de
unter:
www.keltenmuseum.at/de,
Sandra Reininghaus & Isabelle Jasch, Eberhard Karls Universität Tübingen, Institut für Urund Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters
TAGUNGSBERICHT ZUR JAHRESTAGUNG DER SCHWEIZERISCHEN GESELLSCHAFT FÜR
ANTHROPOLOGIE (SGA)
Die Schweizerische Gesellschaft für Anthropologie (SGA) ist der Dachverband der
schweizerischen Anthropologen und vertritt die Interessen des Fachs Anthropologie gegenüber
Öffentlichkeit und Behörden. Ihre Mitglieder setzen sich aus vorwiegend naturwissenschaftlich
orientierten Anthropologen zusammen, die insbesondere in den Bereichen (prä-)historische und
forensische Anthropologie und Paläoanthropologie tätig sind. Die alljährlich im November
stattfindende Jahrestagung der Gesellschaft fand in diesem Jahr am 14. November 2015 in
Lausanne statt. Eingeleitet wurde die Tagung durch einen öffentlichen Vortrag von Prof. Frank
Rühli vom Institut für Evolutionäre Medizin der Universität Zürich zum Thema „Evolutionäre
Medizin: Wenn Skelette und Mumien den Lebenden erzählen“ (in französischer Sprache). Zur
großen Überraschung der Organisatoren war der Vortrag am Vorabend der Tagung jedoch nicht
so gut besucht, wie aufgrund des Themas vielleicht hätte vermutet werden können.
Die eigentliche Tagung begann am Samstag mit der Mitgliederversammlung. Ein neuer
Vorstand wurde gewählt, wobei sich auch in der Schweiz ein Generationenwechsel vollzieht.
Die Zukunft des Publikationsorgans der Gesellschaft – des Bulletin der Schweizerischen
Gesellschaft für Anthropologie – war bereits im Rahmen eines Treffens im Oktober 2015
diskutiert worden. Bisher bot diese in zwei Ausgaben jährlich erscheinende Zeitschrift
insbesondere Platz für Fall- oder Literaturstudien sowie Ergebnisse von Workshops und
Konferenzen in deutscher, französischer und englischer Sprache. Das Redaktionsteam stellte
jedoch in den letzten Jahren einen erheblichen Rückgang an Beiträgen fest, was sich vor allem
auf die geänderten Publikationsanforderungen an den Universitäten (international, peer10
Kongresse
reviewed) sowie auf den Zuwachs an freiberuflich tätigen gegenüber an universitäre
Einrichtungen gebundenen Anthropologen zurückführen lässt. Als Dienstleister veröffentlichen
die freiberuflich tätigen Anthropologen ihre Ergebnisse häufig mit oder im Auftrag der
Archäologen, eventuelle Beiträge erscheinen daher vermehrt in archäologischen Publikationen.
Es wurde daher festgestellt, dass eine speziell der Anthropologie gewidmete Zeitschrift nur
überleben kann, wenn sie sich von ihrem aktuellen Format löst. In den nächsten Jahren soll das
Bulletin daher auf Englisch umgestellt und gelistet werden. Das regelmäßige Erscheinen der
Zeitschrift ist jedoch unerlässlich, um ggf. einen Impact-Faktor zu erreichen. Der Appell geht
daher an die Anthropologen im gesamten deutschsprachigen Raum, Beiträge für das Bulletin
einzureichen.
Nach den administrativen Belangen begann der wissenschaftliche Teil der Tagung. Es wurden
mehrere Beiträge zur (prä-)historischen Anthropologie vorgestellt, die sowohl genetische als
auch morphologische und paläopathologische Studien umfassten. Isotopenanalysen und
paläoanthropologische Untersuchungen wurden ebenfalls thematisiert. Mehrere Vorträge
widmeten sich dem Spitalfriedhof in Basel. Anfang des Jahres wurden weitere Skelette dieser
Serie ausgegraben. Besonders an der Serie ist, dass sich die Skelette mit Hilfe der Bestattungsund Krankenakten identifizieren lassen, und sich über weitere historische Dokumente
letztendlich eine Sozialtopographie der Stadt Basel im 19. Jahrhundert erstellen lässt.
Alle Standorte der Schweizerischen Anthropologie – Genf, Lausanne, Basel, Bern, Luzern,
Zürich – waren durch Teilnehmer vertreten. Auch für Studenten bietet der kleine Rahmen der
Konferenz eine gute Möglichkeit, Kollegen von anderen Universitäten oder Freiberufler
kennenzulernen. Zur nächsten Jahrestagung – wieder im November – sind Gäste herzlich
eingeladen!
Amelie Alterauge
Universität Bern, Institut für Rechtsmedizin, Abt. Anthropologie
BERICHT ZUM LEICHENBRANDWORKSHOP DER AGHAS IN ZÜRICH
Unter Leitung von Cornelia Alder (Basel) und Andreas Cueni (Luzern) fand am 20. und 21.
November 2015 ein Workshop zum Thema Leichenbrand statt. Der Workshop fand im Rahmen
der Arbeitsgemeinschaft Historische Anthropologie der Schweiz (AGHAS) statt und konnte in
den Räumlichkeiten des Instituts für Evolutionäre Medizin der Universität Zürich durchgeführt
werden. Insgesamt kamen 18 Teilnehmer, vor allem aus der Schweiz, aber auch aus
Deutschland. Die Standorte Basel, Bern, Zürich und Genf waren vertreten, ebenso Berlin und
Konstanz. Die Referenten Cornelia Alder und Andreas Cueni gaben zunächst eine Einführung
zu den Eigenschaften von Leichenbrand, v.a. zu den thermisch induzierten Veränderungen der
Knochen. Sie zeigten die Aussagemöglichkeiten und Grenzen der Leichenbranduntersuchung
auf und beschrieben die gängigsten Methoden zur Individualdiagnose und zur Bestimmung der
Erhaltung/Repräsentanz und des Verbrennungsgrades. Nach dem allgemeinen Teil durften die
Teilnehmer in Zweier- bis Vierergruppen am Material arbeiten. Es handelte sich um
Leichenbrände aus römischer Zeit mit unterschiedlicher Erhaltung. Naturgemäß stand das
Sortieren der Fragmente und die Identifizierung von anatomischen Regionen am ersten Tag im
Vordergrund, am zweiten Tag gelangten die Teilnehmer jedoch zu Aussagen hinsichtlich Alter,
Geschlecht und Körperhöhe, in seltenen Fällen ferner zu Pathologien und Umständen der
Verbrennung und Leichenbrandauslese. Für die Mikrostruktur von Knochen war nur noch kurz
Zeit, jedoch könnte dies Thema eines weiteren Workshops werden.
11
Kongresse
Insgesamt hat der Workshop den Teilnehmern vor Augen geführt, wie komplex die
Leichenbrandauswertung sich gestaltet, aber auch, wie Erfahrung und ein geübter Blick den
verbrannten Fragmenten Aussagen entlocken können.
Amelie Alterauge
Universität Bern, Institut für Rechtsmedizin, Abt. Anthropologie
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Abschlussarbeiten
CHIARA GIROTTO:
ANTHROPOLOGISCHER VORBERICHT ZUM URNENFELDERZEITLICHEN GRÄBERFELD VON
ERLENBACH „KÄPPELESÄCKER“, KREIS HEILBRONN
(BACHELORARBEIT AM INSTITUT FÜR UR- UND FRÜHGESCHICHTE UND ARCHÄOLOGIE DES
MITTELALTERS, EBERHARD KARLS UNIVERSITÄT TÜBINGEN)
Das Ha A2/B1 zeitliche Urnengräberfeld von Erlenbach „Käppelesäcker“, Kreis Heilbronn
(Neth 2004) wurde im Rahmen einer Arbeit analysiert, in der die räumliche Verteilung der
Urnenfelderkultur in Nordwürttemberg sowie mögliche Schlussfolgerungen für die damalige
Gesellschaft untersucht wurde. Die Beigabensitte dieser Zeit bietet nur eingeschränkte
Möglichkeiten, das Geschlecht der Bestatteten zu bestimmen, sodass die Anthropologie einen
wertvollen Beitrag zur Interpretation der Gräber und der Gesellschaft liefern kann.
Bisher liegen aus der Region nur wenige publizierte Gräberfelder vor (u.a.: Dehn 1971; Dehn
1972; Reichel 2000). Der Bestattungsritus der Region kann bisher als sehr variabel rekonstruiert
werden. Es sind sowohl verschiedene Formen der Brandbestattung als auch über 30
Körperbestattungen aus dem exzeptionellen Männerfriedhof von Neckarsulm (Knöpke 2009)
bekannt.
Aus dem Gräberfeld wurden fünf Urnen und eine Leichenbrandaufsammlung geborgen. Für die
Analyse wurden der Fragmentierungs- und Verbrennungsgrad (Wahl 1981), sowie Alter (u.a.
Ubelaker 1978; Scheuer/Black 2000) und Geschlecht (u. a. Ferembach et al. 1979;
Schutkowski/Hummel 1987) bestimmt. Doppelbestattungen liegen nicht vor. Trotz des relativ
hohen durchschnittlichen Gewichts (495 g; SD=331 g; n=6) konnte das Leichenbrandgewicht
für keine weiteren Analyseschritte heran gezogen werden. Die Urnen wurden bereits vor der
Bergung durch landwirtschaftliche Tätigkeiten stark gestört.
Tabelle 1: Ergebnisse
Geschlechtsbestimmung
"Käppelesäcker".
Individuum
der Alters- und
von
Erlenbach
Geschlecht
Aufsammlung indifferent
Alter
20-40
Grab 1
indifferent (Tendenz ♀)
7-10
Grab 2
eher ♀
17-40
Grab 3
eher ♂
17-40
Grab 4
Tendenz ♀
~ 40-60
Grab 5
eher ♂
40-60
Es konnten die Altersklassen Infans II bis Maturus (s. Tabelle 1) nachgewiesen werden. Eine
Einordnung in spezifische Altersklassen war für die meisten Individuen möglich. Die
Leichenbrände zeigten nur wenige eindeutige Geschlechtsindikatoren, sodass trotz metrischer
Analysen keine eindeutigen Ergebnisse erzielt werden konnten. Im Gräberfeld wurden zwei
eher männliche, ein eher weibliches und ein tendenziell weibliches Individuum bestattet. Für
das Kind aus Grab 1 konnte kein eindeutiges Geschlecht festgelegt werden, eine leichte
weibliche Tendenz war gegeben.
13
Abschlussarbeiten
Die Bestimmungen aus Grab 1 zeigten eindrucksvoll den Einfluss der Anthropologie auf die
archäologische Interpretation. Die Ausstattung, mit aufwändig gestalteter Keramik, einem
Vogelgefäß, mehreren Bronzegegenständen und einem kleinen Golddrahtring (Neth 2004) wird
innerhalb der Archäologie eher männlichen Individuen, mit hohem sozialem Status,
zugesprochen. Das Ergebnis zeigt die Spannbreite urnenfelderzeitlicher Beigabensitte, denn der
Umfang potenzieller Statusbeigaben wird aus archäologischer Sicht meist für höhergestellte
Erwachsene angenommen. Weitere archäologische und insbesondere anthropologische Studien
würden zu einem besseren Verständnis der Region und der Gesellschaft während der späten
Bronzezeit führen.
Literatur:
R. Dehn, Ein Gräberfeld der Urnenfelderkultur von Oberboihingen (Kreis Nürtingen),
Fundberichte aus Schwaben 19, 1971, 68–81.
R. Dehn, Die Urnenfelderkultur in Nordwürttemberg, Forschungen und Berichte zur Vor- und
Frühgeschichte in Baden-Württemberg 1 (Stuttgart 1972).
S. Knöpke, Der urnenfelderzeitliche Männerfriedhof von Neckarsulm. mit einem Beitrag von
J. Wahl, Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 116
(Stuttgart 2009).
A. Neth, Neue Grabfunde der Urnenfelderzeit aus dem nördlichen Kreis Heilbronn,
Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2004, 65–68.
M. Reichel, Das urnenfelderzeitliche Gräberfeld von Gemmerigheim, Kreis Ludwigsburg,
Fundberichte aus Baden-Württemberg 24, 2000, 214–306.
L. Scheuer/S. Black, Developmental juvenile osteology (San Diego California 2000).
H. Schutkowski/S. Hummel, Variabilitätsvergleich von Wandstärken und ihre Bedeutung für
die Diagnose von Leichenbränden, Anthropologischer Anzeiger 45, 1987, 43–47.
D. H. Ubelaker, Human skeletal remains. Excavation, analysis, interpretation, Manuals on
archeology 2 (Washington 1978).
J. Wahl, Beobachtungen zur Verbrennung menschlicher Leichname. Über die Vergleichbarkeit
moderner
Kremationen
mit
prähistorischen
Leichenbränden,
Archäologisches
Korrespondenzblatt 11, 1981, 271-279.
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Abschlussarbeiten
ALISA HUJIĆ:
DAS KIND IN UNS UNTER DER LUPE DER ISOTOPIE, ALLOMETRIE UND PATHOLOGIE.
ZUSAMMENHANG ZWISCHEN Δ15N UND Δ13C ALS EIWEIßPROXY UND DEM LONGITUDINALEN
KNOCHENWACHSTUM BEI PRÄHISTORISCHEN SKELETTINDIVIDUEN UNTER
BERÜCKSICHTIGUNG VERSCHIEDENER INDIKATOREN FÜR NÄHRSTOFFVERSORGUNG
(DISSERTATION, INSTITUT FÜR PRÄHISTORISCHE ARCHÄOLOGIE, FREIE UNIVERSITÄT
BERLIN)
Im Rahmen dieser Dissertation des Projektes „Lebensbedingungen und biologischer
Lebensstandard in der Vorgeschichte“ der Emmy-Noether Nachwuchsgruppe unter Leitung
von Fr. Dr. Eva Rosenstock sollte zum ersten Mal unter Anwendung geochemischer und
anthropometrischer Untersuchungsmethoden in einer Retrospektivstudie an Männern und
Frauen aus zwei linienbandkeramischen Gräberfeldern, Stuttgart-Mühlhausen und
Schwetzingen, der Zusammenhang zwischen δ15N und δ13C im Primärdentin der Molaren, der
größten Langknochenlänge sowie der geschätzten Endkörperhöhe untersucht werden. In einem
zweiten Schritt wurden diese Isotopenverhältnisse im Kollagen der Rippen derselben
Individuen gemessen, um beurteilen zu können, ob und inwiefern sich die Ernährung während
der Kindheit von der Ernährung im Erwachsenenalter unterschieden hat. Zum Schluss sollte
getestet werden, ob das Tertiärdentin die Isotopenverhältnisse im Primärdentin beeinflusst, und
ob somit pathologische Zähne von Isotopenuntersuchungen ausgeschlossen werden sollten.
Weitere Daten, welche zur Klärung bestimmter Trends und Interpretation der Daten relevant
sein könnten, z. B. Daten zu Pathologien, Aktivitätsmustern, sowie ökologische und
klimatische Daten aus der entsprechenden Zeit und Region, wurden gesammelt und sind in die
Auswertung eingeflossen. Es konnten sowohl positive als auch negative Korrelationen
zwischen δ15N/δ13C und der größten Diaphysenlänge bzw. Körperhöhe festgestellt werden,
sodass scheinbar nicht nur die Proteine bei Wachstumsprozessen von Bedeutung sind. Die
meisten Korrelationen wurden bei Männern mit ihren zweiten und dritten Molaren, bei Frauen
mit ihren ersten und zweiten Molaren beobachtet, was möglicherweise mit den
Wachstumsschüben zusammenhängen könnte, da Mädchen vor der Pubertät stärker wachsen
als die Jungen. Ein Einfluss von unspezifischen Stressanzeigern auf das Langknochenwachstum
während der Kindheit war nicht erkennbar. Dies könnte damit erklärt werden, dass nur adulte
Individuen untersucht wurden, die diese Stressphasen überlebt und ihr Wachstum nach
eventuellen Wachstumsstörungen aufgeholt haben, weshalb sie an der Endkörperhöhe nicht
mehr erkennbar sind. In beiden Gräberfeldern konnten geschlechtsspezifische Unterschiede
während der Kindheit, allerdings nur in Stuttgart-Mühlhausen auch im Erwachsenenalter
festgestellt werden. Eine Zunahme der Körperhöhe konnte nur bei Frauen erfasst werden. Der
angenommene Konsum von Milchprodukten bei Individuen aus dem Areal I von StuttgartMühlhausen soll durch proteomische Analysen noch geprüft werden. Es konnten keine
verlässlichen Aussagen zum Einfluss vom Tertiärdentin auf die Isotopenverhältnisse im
Primärdentin getroffen werden, da hierfür Röntgenaufnahmen für die Differenzierung zwischen
den beiden Dentinarten notwendig sind, und weil die möglichen Unterschiede nicht sicher auf
die Aktivität von Mikroorganismen zurückgeführt werden können. Abschließend kann
geschlussfolgert werden, dass nicht nur die Proteine, sondern wahrscheinlich auch die
Gesamtenergiemenge für das Längenwachstum entscheidend ist, da die Proteinsynthese ohne
genügend Energie nicht stattfinden kann. Außerdem hängen Genetik und Umwelt stark
zusammen, und Vermischung beider kann für individuelle Unterschiede sorgen. Die Ursachen
für solche Unterschiede sind sehr komplex und die verschiedenen Einflussfaktoren lassen sich
nur schwer voneinander isolieren und getrennt betrachten, sodass ein einfaches "nature vs.
nurture" kaum vertretbar ist.
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Abschlussarbeiten
BEATRIX WELTE:
ZEITZEUGEN AUS DEM WÜSTENSAND – DIE ALTÄGYPTISCHEN MUMIENSCHÄDEL AUS
ABUSIR EL-MELEQ
(DISSERTATION, INSTITUT FÜR UR- UND FRÜHGESCHICHTE UND ARCHÄOLOGIE DES
MITTELALTERS / INSTITUT FÜR NATURWISSENSCHAFTLICHE ARCHÄOLOGIE, EBERHARD
KARLS UNIVERSITÄT TÜBINGEN)
Mit dem Beginn der Ägyptomanie um die vorletzte Jahrhundertwende wurden viele
menschliche Überreste aus dem Alten Ägypten aus ihrem archäologischen Fundkontext
gerissen. Der dadurch entstandene gesamtwissenschaftliche Informationsverlust ist immens. So
ist es der heutigen Forschung auferlegt, die über die ganze Welt verstreuten ägyptischen Funde
fachgerecht zu dokumentieren und verwaiste Objekte nachträglich dem einstigen Umfeld
zuzuordnen. Bei dem im Rahmen dieser Dissertation untersuchten Material handelt es sich um
insgesamt 467 Mumienköpfe beziehungsweise mazerierte Schädel, die Bestandteil der
Osteologischen Sammlung der Universität Tübingen und der Sammlung der Staatlichen
Museen zu Berlin sind. Die Fundstelle Abusir el-Meleq, aus der die Mumien stammen, liegt am
Eingang zur Fayum-Oase, etwa 80 Kilometer südlich von Kairo. Obgleich nur spärliche
archäologische Hintergrundinformationen existieren, legen viele Indizien eine
Hauptdeponierung für die vorliegenden anthropologischen Überreste ab der Spätzeit bis in die
hellenistisch-römische Epoche nahe. Es bot sich die einmalige Möglichkeit Funde aus einer
Altgrabung, die zu Beginn des 20ten Jahrhunderts auf Basis der damals gängigen
Wissenschaftspraxis auseinandergerissen wurden, wieder zu vereinen, als Ensemble zu
untersuchen und dadurch einen Beitrag zur Kulturgeschichte Ägyptens zu leisten. Das
untersuchte Skelettmaterial stammt zwar aus einem einzigen Grablegungsareal, es handelt sich
aber nicht um eine in sich geschlossene Friedhofspopulation - im Sinne einer vollständig
ausgegrabenen Nekropole mit einer gesicherten inneren Chronologie und Belegungsabfolge sondern vielmehr um einen willkürlichen Ausschnitt einer im Fayum ansässigen Gemeinschaft.
Neben der Rekonstruktion der Fundumstände beinhaltet die anthropologische Untersuchung
unter anderem eine Alters- und Geschlechtsbestimmung, eine pathologische Einschätzung
sowie die Aufnahme metrischer, nicht-metrischer und odontologischer Merkmale. Die Klärung
dieser Punkte ermöglicht eine regionale und überregionale demographische Beschreibung der
Fayumer Stichprobe und die nachträgliche Einbettung in einen geschichtlichen als auch
anthropologischen Kontext.
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Abschlussarbeiten
ANNA-MARIA BEGEROCK:
EIN LEBEN MIT DEN AHNEN - DER TOD ALS INSZENIERUNG FÜR DIE LEBENDEN. EINE
UNTERSUCHUNG ANHAND AUSGEWÄHLTER KULTUREN DES WESTLICHEN SÜDAMERIKA ZU
HINWEISEN EINER INTENTIONELLEN MUMIFIZIERUNG DER VERSTORBENEN UND DER
KULTURIMMANENTEN GRÜNDE
(DISSERTATION AM LATEINAMERIKA-INSTITUT, FACHBEREICH GESCHICHTS- UND
KULTURWISSENSCHAFTEN DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN)
Mumien waren und sind seit dem 18. Jahrhundert ein unabdingbarer Bestandteil von
anatomischen/anthropologischen und ethnologischen/ethnographischen Sammlungen in Europa
und Nordamerika. Waren es bis zum Ende des 19. Jahrhunderts noch vornehmlich die
einbalsamierten Körper hochrangiger Ägypter, die auf vielfältige Weise ihren Weg nach Europa
nahmen, importierte man seit Beginn des 20. Jahrhunderts eher Mumien aus Südamerika, um die
Sammlungen zu vervollständigen. Die Zunahme des Handels mit den dort vorhandenen
natürlichen Rohstoffen ließ manche Geschäftsleute jahrelang vor Ort in Chile oder Peru verweilen
und sich neben ihren Tagesgeschäften der Erkundung der „Altertümer“ Südamerikas widmen. Die
großen vorspanischen Friedhöfe in der Nähe der neuzeitlichen Häfen wurden zu beliebten
Ausflugszielen des europäischen Handelsbürgertums. Man bezahlte Ausgräber, ließ graben und
bergen und sondierte anschließend, was sammlungswürdig erschien und sich auch nach der
Rückkehr in die Heimat an die europäischen bzw. zu einem geringeren Teil auch an die
nordamerikanischen Museen und Privatsammler verkaufen ließe.
Fundkontexte spielten dabei keine Rolle, auch nicht die Erhaltung der Totenbündel (mit
Schilfmatten oder Textilien und Beigaben), in denen die vorspanischen Kulturen ihre Toten in
meist gehockter Position beigesetzt hatten. Die einstige kulturelle Herkunft dieser Mumien ging
so verloren. Sie läßt sich bis heute nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden rekonstruieren.
Eine gezielte interdisziplinäre Kombination mit den vor allem archäologischen und
kulturhistorischen Methoden macht eine Rekontextualisierung jedoch möglich. Dies ist in der
Dissertation an drei Beispielen analysiert worden. Dabei konnte gezeigt werden, dass der
Ahnenkult im vorspanischen Südamerika kulturimmanent ist, und bereits um 5000 v.Chr. der
Abgrenzung von anderen, zeitgleichen Gruppen diente. Auch wurde deutlich, dass die Ahnen aus
der jenseitigen Welt heraus Macht über die Lebenden besaßen, als Bringer von Fruchtbarkeit
verstanden wurden und als rechtmäßige Besitzer der Anbauflächen das Leben ihrer Nachkommen
bestimmten. Die Nachfahren ihrerseits hatten den Ahnenkult durchzuführen und die Toten
weiterhin zu versorgen. Einen besonderen Fall stellen die Inka dar, die etwa 100 Jahre vor der
spanischen Eroberung ihrerseits weite Teile des westlichen Südamerikas erobert hatten. Auf ihren
Eroberungszügen waren sie jedoch derart vielen Gruppen mit einer stark ausgeprägten
Ahnenverehrung begegnet, dass sie selbst für ihre eigenen verstorbenen Könige einen Ahnen/Mumienkult einführen und fördern mussten, um ihre Vormachtstellung gegenüber den anderen
Gruppen durchsetzen zu können.
Die Mumifizierungsmethoden der Inka sind, wie diese Arbeit belegen konnte, jedoch nicht
bekannt. In der spanischen Kolonialzeit schriftlich dokumentierte Beschreibungen der Mumien
der inkaischen Könige sind nur allgemeiner Art. So können, auch aufgrund der vorangegangenen
Schriftlosigkeit, die spezifischen Rituale der zeitgleichen und vorinkaischen Gruppen wohl nicht
mehr umfassend rekonstruiert werden. Gerade anhand der spezifischen Totenbehandlungen jedoch
lassen sich, so konnte die Dissertation zeigen, Kulturgruppen bestimmen. So wird eine kulturelle
Rekontextualisierung erster Mumien in den heutigen Sammlungen möglich.
Ein weiteres Problem stellen die Mumifizierungsmethoden dar. Diese lassen sich mit den derzeit
anwendbaren/entwickelten naturwissenschaftlichen Methoden noch nicht bestimmen. Eine
Auswertung der von den spanischen Eroberern im 16. Jahrhundert schriftlich festgehaltenen
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Abschlussarbeiten
Berichte der vorspanischen, schriftlosen Gruppen konnte jedoch einige Methoden aufzeigen.
Weitere Methoden konnten durch die Analyse der Ausgrabungsberichte und der Beobachtungen
der Experten vor Ort ergänzt werden.
Die Dissertation schlägt somit eine Brücke zwischen den Natur- und Kulturwissenschaften und
hat Grundlagen erarbeitet, wie südamerikanischen Mumien aus Sammlungen wieder zu einem
Kontext verhelfen werden kann.
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Knochenquiz
Auflösung zum Quiz in der 1. Ausgabe 2015: Schädel & Femur rechts
Konzept & Idee: Galina Kulstein
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Impressum
Der nächste Newsletter erscheint voraussichtlich im 2. Quartal 2016.
Beiträge bitte bis zum 15.05.2016
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Birgit Großkopf
Jutta Pepperl
Iris Trautmann
Steve Zäuner
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