Blasenkarzinom

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J. Lehmann
M. Retz
M. Stöckle
Blasenkarzinom
J. Lehmann
M. Retz
M. Stöckle
Blasenkarzinom
Mit 35 Abbildungen und 23 Tabellen
123
Dr. med. Jan Lehmann
Dr. med. Margitta Retz
Professor Dr. med. Michael Stöckle
Universitätskliniken des
Saarlandes
Klinik und Poliklinik für
Urologie und Kinderurologie
Kirrberger Straße
66421 Homburg/Saar
Dept. of Anatomy
University of California
Box 0452
San Francisco, CA 94143
USA
Universitätskliniken des
Saarlandes
Klinik und Poliklinik für
Urologie und Kinderurologie
Kirrberger Straße
66421 Homburg/Saar
ISBN 3-540-20504-7
Springer Medizin Verlag Heidelberg
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Gedruckt auf säurefreiem Papier
18/3160 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort
In der Öffentlichkeit existiert das weit verbreitete Vorurteil, der medizinische Fortschritt spare
das Thema »Krebs« vollständig aus und während der letzten Jahrzehnte habe es auf diesem Feld
keine wesentliche Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten gegeben. Kaum ein Vorurteil
geht an den vorhandenen Tatsachen weiter vorbei wie dieses, denn es gibt ihn eben doch, den
Fortschritt bei der Behandlung der bösartigen Tumoren und es gibt ihn speziell bei den vier
wichtigsten Tumoren des Urogenitaltraktes, nämlich dem Hodentumor, dem Prostatakarzinom,
dem Nierentumor und eben auch beim Blasenkarzinom. Den dramatischsten Wandel haben wir
sicherlich bei den bösartigen Tumoren des Hodens erlebt, wo die Heilungswahrscheinlichkeit im
Laufe der letzten zwei bis drei Jahrzehnte fast an 100% herangebracht werden konnte. Beim Prostatakrebs wurde seit der Jahrtausendwende in vielen Industrieländern ein deutlicher Rückgang
der tumorbedingten Sterblichkeit dokumentiert, während sie in den Jahrzehnten zuvor stetig
angestiegen war. Auch wenn endgültige Beweise ausstehen, so scheint es nicht unwahrscheinlich, dass diese erfreuliche Entwicklung wesentlich durch die verbesserten Möglichkeiten der
Früherkennung und der dadurch weitverbreiteten kurativen Therapie bedingt ist. Beim Nierentumor erlaubt die Früherkennung durch den Ultraschall sogar immer häufiger, die betroffenen
Patienten bei ausgezeichneter Heilungswahrscheinlichkeit organerhaltend zu operieren.
Demgegenüber hat das Blasenkarzinom während der letzten Jahre deutlich weniger Aufmerksamkeit auf sich gezogen, was aber keineswegs bedeutet, dass es nicht auch hier erhebliche
Fortschritte gegeben hat: Gerade beim infiltrierenden Blasenkarzinom, einem hochmalignen
Tumor, wurden die Behandlungskonzepte zunehmend besser standardisiert. Heilungsraten und
postoperative Lebensqualität konnten substantiell verbessert werden, obwohl dieser Tumor
noch bis weit in die 80er-Jahre hinein als schwer behandelbar galt. Es liegt also noch nicht lange
zurück, dass es weitgehend dem Zufall überlassen war, ob man einem betroffenen Patienten
überhaupt eine kurative Therapie angeboten hat und ggf. in welcher Qualität.
Aufgrund der zahlreichen technischen Schwierigkeiten hatte die Behandlung des infiltrierenden Blasenkarzinoms für viele Jahrzehnte und deutlich länger als bei den meisten anderen
soliden Tumoren den Beigeschmack des verzweifelten Versuchs. Die damit einhergehenden
Komplikationen und die oft erhebliche Einschränkung der Lebensqualität wurden als mehr
oder minder unvermeidlich in Kauf genommen. Hier hat sich während der letzten beiden Jahrzehnte erhebliches geändert: Die Operation des invasiven Blasenkarzinoms hat schrittweise den
Charakter des experimentellen oder der Verzweiflungstat verloren, was für den Patienten mit
einem signifikanten Fortschritt einhergeht: Verbesserte Operationsmethoden und verbesserte
intensivmedizinische Nachbehandlung der Patienten hatten zur Folge, dass die Operationssterblichkeit, die noch in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts deutlich über 10% lag, in Zentren
mit entsprechender Erfahrung inzwischen klar unterhalb von 5% liegt. Dies trug dazu bei, dass
solche Operationen auch bei Patienten in höherem Lebensalter oder bei Patienten mit Begleiterkrankungen durchgeführt werden können. Darüber hinaus wurden seit Mitte der 80er-Jahre
die zur Verfügung stehenden Harnableitungstechniken immer weiter modifiziert und verbessert, sodass man heute im Grunde jedem betroffenen Patienten eine Harnableitungstechnik
anbieten kann, mit denen er die sozialen, sportlichen, kulturellen und – mit gewissen Einschränkungen und Vorbehalten – auch die sexuellen Aktivitäten wieder ausüben kann, die er vor
der Operation gewohnt war. Die Radikaloperation des Blasenkrebses hat damit sehr viel vom
früheren Charakter des verzweifelten Versuchs oder des experimentellen und verstümmelnden
Eingriffs verloren.
Die Fortschritte bei der operativen Technik stellen aber nur die augenfälligste Verbesserung
im Abklärungs- und Behandlungskonzept des Blasenkarzinoms dar. So steht auf der therapeutischen Seite auch die Chemotherapie inzwischen im Begriff, einen festen Platz im Behandlungskonzept zu erringen. Auf der diagnostischen Seite werden grundlegende Veränderungen meist
VI
Vorwort
als weniger spektakulär empfunden, sie beeinflussen aber trotzdem maßgeblich die Behandlungskonzepte und die Heilungswahrscheinlichkeiten. Aus diesem Grunde wurde den diagnostischen Aspekten in diesem Buch auch breiter Raum zur Verfügung gestellt: Dazu gehört das
Kapitel über die histopathologische Beurteilung, in dem auch schon die aktualisierte TNM-Klassifikation vorgestellt wird, die wieder wesentlich stärker auf den fundamentalen Unterschied
zwischen invasiven und nichtinvasiven Tumoren fokussiert. In diesen Kontext gehört auch die
bildgebende Diagnostik, die von vielen z. B. in Verbindung mit der systemischen Chemotherapie
für einen wesentlichen Motor des Fortschritts gehalten wird: Erst die verfeinerte Diagnostik der
modernen Schnittbildverfahren soll eine so frühzeitige Diagnose der Tumorprogression nach
Radikaloperation erlauben, dass kurative Maßnahmen auch in diesem Stadium möglich werden.
Nicht zuletzt ist in diesem Zusammenhang auch der gewaltige Zuwachs in unserem Verständnis
der molekularen Veränderungen und der molekularen Signalwege in der Tumorzelle zu nennen:
Der Erkenntniszugewinn auf diesem Gebiet hat die Behandlung des individuellen Patienten
bislang zwar noch nicht nachhaltig verändert. Dies wird in der nahen Zukunft aber sicher nicht
so bleiben.
Das vorliegende Buch verfolgt das Ziel, nicht nur dem Urologen, sondern auch dem Nichturologen, vielleicht auch dem interessierten Laien eine Übersicht über wichtige Teilaspekte in
Diagnostik und Therapie des Blasenkarzinoms zu bieten. Das Buch erhebt keinen Anspruch auf
Vollständigkeit und ewige Wahrheit. Es stützt sich auf den Kenntnisstand von Herbst 2003 bis
Frühjahr 2004. Die Themenauswahl fokussiert vor allem auf die Bereiche, wo die letzten Jahre
durch Fortschritte, Veränderungen, aber auch durch Kontroversen geprägt waren. Eine Ausnahme davon ist das Kapitel von T. Kälble über den Zusammenhang zwischen Umweltgiften und
Blasenkarzinom. Auch wenn man das Thema aus heutiger Sicht mit dem Satz zusammenfassen
könnte, dass derzeit bei der Entstehung von Blasenkrebs kein Umweltgift eine so wichtige Rolle
spielt wie der Tabakrauch, sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass es das Blasenkarzinom
war, an dessen Beispiel die Menschheit während des 20. Jahrhunderts schrittweise den Zusammenhang zwischen Umweltnoxen und Krebsentstehung zu begreifen gelernt hat.
Die Autoren der einzelnen Kapitel sind Experten auf ihrem jeweiligen Feld und waren eingeladen, auch ihre persönliche Meinung einfließen zu lassen. Der sorgfältige Leser wird daher
sicher auch Widersprüche und divergierende Meinungen entdecken können. Es war durchaus
eher beabsichtigt, die bestehenden Kontroversen transparent zu machen, als sie durch den Versuch einer Konsensbildung zu unterdrücken.
Die Herausgeber danken den Autoren der einzelnen Kapitel für die Kooperationsbereitschaft und den Mitarbeitern des Springer-Verlags für die stets freundliche Zusammenarbeit, die
selbst härteste Geduldsproben überstand.
Homburg/Saar, im Juli 2004
VII
Inhaltsverzeichnis
1
Typing, Grading und Staging beim Harnblasenkarzinom:
Pathomorphologische Parameter und deren Bedeutung für die Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
S. Störkel
2
Neue Möglichkeiten der bildgebenden Diagnostik beim Harnblasenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
M. Uder, M. Heinrich, A. Grgic
3
Umweltfaktoren als wesentliche Ursache des Blasenkarzinoms und seiner Epidemiologie
– Ein historischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
T. Kälble
4
Molekulare Prognosemarker des Harnblasenkarzinoms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
M. Retz und J. Lehmann
5
Der Einsatz von BCG beim oberflächlichen Harnblasenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
A. Böhle
6
Das kontrovers diskutierte Tumorstadium pT1G3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
M. Stöckle, J. Lehmann
7
Therapie des muskelinvasiven und des lokal fortgeschrittenen Blasenkarzinoms im Jahr 2004 . . . . . . 81
M. Schostak, K. Miller
8
Harnableitung nach Zystektomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
P. Albers
9
Zeitgemäße Pflege von Patienten mit Urostomien, kontinenten
und inkontinenten Harnableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
M. Georg
10
Therapie und Prognose des lymphogen metastasierten Urothelkarzinoms
– Stellenwert der Lymphknotenchirurgie und der perioperativen systemischen Chemotherapie . . . 109
M. Stöckle, J. Lehmann
11
Systemische Chemotherapie des metastasierten Urothelkarzinoms – eine kritische Analyse . . . . . . . 125
J. Lehmann, M. Retz, M. Stöckle
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
IX
Autorenverzeichnis
Albers, Peter
Miller, Kurt
Klinik für Urologie
Klinikum Kassel GmbH
Mönchebergstr. 41–43
34125 Kassel
Klinik für Urologie der
Medizinischen Fakultät Berlin
Freie Universität Berlin
Hindenburgdamm 30
12200 Berlin
Böhle, Andreas
HELIOS Agnes Karll Krankenhaus
Am Hochkamp 21
23611 Bad Schwartau
Georg, Marita
Universitätskliniken des Saarlandes
Klinik und Poliklinik für Urologie und
Kinderurologie
Kirrberger Straße
66421 Homburg/Saar
Grgic, Aleksander
Abt. für Radiodiagnostik der
Universitätsklinik des Saarlandes
Kirrberger Str. 1
66421 Homburg
Heinrich, Mark
Abt. für Radiodiagnostik der
Universitätsklinik des Saarlandes
Kirrberger Str. 1
66421 Homburg
Kälble, Tilmann
Klinik für Urologie und Kinderurologie
des Klinikums Fulda
Pacelliallee 4
36043 Fulda
Retz, Margitta
Dept. of Anatomy
University of California
Box 0452
San Francisco, CA 94143
USA
Schostak, Martin
Klinik für Urologie der
Medizinischen Fakultät Berlin
Freie Universität Berlin
Hindenburgdamm 30
12200 Berlin
Stöckle, Michael
Universitätskliniken des Saarlandes
Klinik und Poliklinik für Urologie und
Kinderurologie
Kirrberger Straße
66421 Homburg/Saar
Störkel, Stephan
Institut für Pathologie der Universität
Witten/Herdecke
Helios Klinikum Wuppertal
Heusnerstr. 40
42283 Wuppertal
Uder, Michael
Lehmann, Jan
Universitätskliniken des Saarlandes
Klinik und Poliklinik für Urologie
und Kinderurologie
Kirrberger Straße
66421 Homburg/Saar
Institut für Diagnostische Radiologie
der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen Nürnberg
Maximiliansplatz 1
91054 Erlangen
1
Typing, Grading und Staging
beim Harnblasenkarzinom: Pathomorphologische
Parameter und deren Bedeutung für die Klinik
S. Störkel
Typing, Staging und Grading stellen essentielle
Parameter der pathologisch-anatomischen Begutachtung von Urothelkarzinomen dar, die ihrerseits
als Grundlage für nachfolgende klinische Entscheidungen und Therapieoptionen dienen. Mit der neuen WHO-Klassifikation der Harnblasenkarzinome
(Eble et al. 2004) wurden erstmals nichtinvasive und
invasive Urothelkarzinome unterschieden, weiterhin neue Entitäten eingeführt und die Nomenklatur
vereinheitlicht. Auch das Grading von Urothelkarzinomen wurde neu gestaltet und auf nichtinvasive
Tumoren beschränkt. Beim Staging erbringen Substaging-Vorschläge und neue mikroskopische Analyseansätze mehr Information für den Urologen.
Die nachfolgenden Ausführungen sollen deshalb ein
kurzgefasstes Update der sich wandelnden pathomorphologischen Befundung von Harnblasenkarzinomen geben.
Typing der Tumoren der ableitenden
Harnwege
Die nachfolgende ⊡ Tabelle 1.1 gibt die WHO-Typisierung der Tumoren der Harnblase in der derzeit
gültigen Fassung der 3. Auflage von 2004 wieder
(Eble et al. 2004), die nach Zelltyp und Differenzierung unterscheidet. Aus ihr wird ersichtlich, dass
die Blasentumoren eine sehr heterogene Gruppe
darstellen. Gut 95% der Blasentumoren sind epithelialer Natur, davon sind ca. 80% vom urothelialen
Phänotyp, bis 10% vom plattenepithelialen Phänotyp, ca. 2% vom drüsigen Phänotyp und weniger als 1% undifferenzierte Karzinome. Der Begriff
Transitionalzellkarzinom statt Urothelkarzinom gilt
als obsolet. Während in der WHO-Typisierung der
Tumoren der Harnblase von 1999 (Mostofi et al.
1999) noch tumorähnliche – und Präkursorläsionen aufgelistet waren, wurden diese Veränderungen
jetzt nicht mehr in die Darstellung aufgenommen.
Einige, für die Klinik wichtige Entitäten betreffende Änderungen gegenüber der alten WHO-Klassifikation werden kurz dargestellt.
Die papilläre Neoplasie niedrig-malignen Potentials (PUNLMP) stellt eine 1998 neu definierte Gruppe
von papillären Urotheltumoren dar, die mittlerweile
allgemein anerkannt wird. Diese Tumoren ähneln
den urothelialen Papillomen im Aufbau, weisen aber
eine vermehrte Proliferation und Dickenzunahme des
Urothels auf. Die Prognose ist gut; es werden weniger
Rezidive wie bei hochdifferenzierten nichtinvasiven
papillären Urothelkarzinomen beobachtet. Diese Tumoren wurden bislang bei den hochdifferenzierten
papillären Urothelkarzinomen Grad 1 subsumiert.
Das Urachuskarzinom, das überwiegend als ein
Adenokarzinom imponiert, aber auch urotheliale,
plattenepitheliale und andere Differenzierungsmerkmale aufweist, wird in der tabellarischen
WHO-Systematik 2004 nicht erwähnt. Dennoch ist
es hier aufzulisten, da es sich u. a. im mittleren
Manifestationsalter und in der Lokalisation vom
Adenokarzinom der Harnblase unterscheidet.
2
1
Kapitel 1 · Typing, Grading und Staging beim Harnblasenkarzinom
⊡ Tabelle 1.1. Histologische Klassifikation von Tumoren der Harnblase
1
1.1
1.1.1
1.1.2
1.1.3
1.1.4
1.1.5
1.1.6
1.2
1.2.1
1.2.2
1.3.3
1.3.4
1.3.5
1.3.6
1.3.7
1.3.8
1.3.9
1.3.10
1.3.11
1.3.12
1.3.13
Urotheliale Tumoren
Noninvasive urotheliale Neoplasien
Urotheliales Papillom
Urotheliales Papillom, invertierter Typ
Nichtinvasive urotheliale Neoplasie mit niedrig malignem Potential
Nichtinvasives papilläres Urothelkarzinom »low grade«
Nichtinvasives papilläres Urothelkarzinom »high grade«
Urotheliales Karzinom in situ
Invasive urotheliale Neoplasien
Infiltrierendes Urothelkarzinom
Infiltrierendes Urothelkarzinom mit plattenepithelialer Differenzierung
Infiltrierendes Urothelkarzinom mit glandulärer Differenzierung
Infiltrierendes Urothelkarzinom mit throphoblastischer Differenzierung
Infiltrierendes Urothelkarzinom nestförmige Variante
Infiltrierendes Urothelkarzinom mikrozystische Varinate
Infiltrierendes Urothelkarzinom mikropapilläre Variante
Infiltrierendes Urothelkarzinom Lymphoepitheliom-ähnliche Variante
Infiltrierendes Urothelkarzinom lymphomähnliche Variante
Infiltrierendes Urothelkarzinom plasmazytoide Variante
Infiltrierendes Urothelkarzinom sarkomatoide Variante
Infiltrierendes Urothelkarzinom riesenzellige Variante
Infiltrierendes Urothelkarzinom undifferenzierte Variante
ICD-O
8120/3
–
–
–
–
–
8131/3
8082/3
–
–
8122/3
8031/3
8020/3
2
2.1
2.2
2.3
Plattenepitheliale Neoplasien
Plattenepitheliales Papillom
Plattenepithelkarzinom
Verruköses Karzinom
8052/0
8070/3
8051/3
3
3.1
3.2
3.3
3.4
3.5
3.6
Glanduläre Neoplasien
Villöses Adenom
Adenokarzinom
Adenokarzinom mit enteraler Differenzierung
Adenokarzinom mit muzinöser Differenzierung
Adenokarzinom mit siegelringzelliger Differenzierung
Adenokarzinom mit klarzelliger Differenzierung
8261/0
8140/3
–
8480/3
8490/3
8310/3
4
4.1
4.2
4.3
Neuroendokrine Tumoren
Kleinzellige Karzinom
Karzinoid
Paragangliom
8041/3
8240/3
8680/1
5
5.1
5.2
Melanozytäre Tumoren
Malignes Melanom
Nävus
8720/3
–
6
6.1
6.2
6.3
6.4
6.5
6.6
6.7
6.8
Mesenchymale Tumoren
Rhabdomyosarkom
Leiomyosarkom
Angiosarkom
Osteosarkom
Malignes fibröses Histiozytom
Leiomyom
Hämangiom
Andere
8900/3
8890/3
9120/3
9180/3
8830/3
8890/0
9120/0
–
7
7.1
7.2
Hämopoetische und lymphatische Tumoren
Malignes Lymphom
Plasmozytom
–
9731/3
8
8.1
8.2
Verschiedene Tumoren
Karzinom der Skenischen-, Cowper- und Littre-Drüsen
Metastatische Tumoren und Tumorübergriff von anderen Organen
–
–
8120/0
8121/0
8130/1
8130/2
8130/3
8120/2
3
Grading der Tumoren der ableitenden Harnwege
Das spindelzellige Karzinom der Harnblase wird
jetzt als Urothelkarzinom, sarkomatoide Variante,
bezeichnet. Hierzu zählt auch das Karzinosarkom
der Harnblase, das eine Neubildung kennzeichnet,
die eine maligne epitheliale Komponente (urothelial, plattenepithelial oder drüsig differenziert) und
eine eigenständige heterologe mesenchymale Komponente enthält (meist chondro- oder osteosarkomatös), was den alten Streit, ob Kombinationstumor, Kollisionstumor oder Kompositionstumor, ad
acta legt.
Das unklassifizierte Karzinom der Harnblase
entfällt, da die aktuelle Klassifikation/Systematik
der WHO das gesamte Spektrum der möglichen
Phänotypien und Genotypien von Harnblasenneoplasien beschreibt. Auch die Atypie unklarer
Signifikanz des Urothels wurde in der aktuellen
Klassifikation gestrichen, was eine klare Festlegung
auf reaktive oder neoplastische Veränderungen des
Urothels verlangt und damit dem Urologen eindeutige Aussagen liefert.
Grading der Tumoren der ableitenden
Harnwege
Das Grading urothelialer Tumoren ist seit Jahrzehnten einem kontinuierlichen Wandel unterworfen und wird wahrscheinlich auch nach dem neuen
WHO-Vorschlag weiter lebhaft diskutiert werden.
Die auszugsweise Gegenüberstellung der bisherigen verschiedenen Grading-Systeme in ⊡ Tabelle 1.2
dient dem Verständnis und der Transposition der
alten Befunde in die aktuelle, international verbindlich festgelegte Systematik. Die Gegenüberstellung
zeigt den schnellen Wandel, was Folge der mangelnden Akzeptanz des ISUP/WHO-Grading von 1998
bei Urologen und Pathologen war. Das modifizierte
Bergqvist Grading von Malmström et al. (1987) stell-
te die Basis für die Grading-Einteilungen von 1998
und 1999 dar.
Vorteilhaft in der WHO-Klassifikation von 2004
ist zwar die terminologische Beschränkung des Gradings auf Urothelkarzinome »low grade« und »high
grade«. Es bleibt aber der Zukunft überlassen, ob
sich die Auffassung von Cheng u. Bostwick (2000)
durchsetzt, dass die Schaffung einer neuen Kategorie in Form des »papillären Tumors mit niedrig
malignem Potential« (»low malignant potential«,
LMP) für einen tumorbiologisch nicht klar definierten Tumor, der zudem nur schwer vom nichtinvasiven papillären Urothelkarzinom Grad 1 abgrenzbar
ist, sich als nicht sinnvoll erweist und im klinischen
Gebrauch nicht einführbar sein wird.
Prinzipiell müssen beim Grading von Urotheltumoren folgende Voraussetzungen beachtet werden:
1. Das Grading gilt nur für papilläre nichtinvasive
Tumoren.
2. Es sollten nur orthograd getroffene Tumorabschnitte zum Grading verwendet werden.
3. Wesentlich ist die in der Übersichtsvergrößerung zutreffende Entscheidung, in wieweit die
Textur in den papillären Formationen erhalten
ist oder nicht.
4. Das urotheliale Carcinoma in situ ist immer ein
niederdifferenziertes Karzinom.
Unter diesen Prämissen lässt sich das in ⊡ Abb. 1.1
gezeigte Flussdiagramm aufstellen. Ein unabhängiger prognostischer Wert eines Gradings nach zytologischen oder nukleären Kriterien für invasive Urotheltumoren ist umstritten bzw. fehlt, da mehr als
80% aller muskelinvasiven Urothelkarzinome zytologisch ohnehin hochmaligne Tumoren sind. Ob das
Wachstumsmuster der invasiven Komponente (z. B.
nodulär, trabekulär oder netzförmig infiltrierend)
prognostische Relevanz hat (analog dem GleasonGrading beim Prostatakarzinom) kann bislang noch
⊡ Tabelle 1.2. Gegenüberstellung verschiedener Grading-Systeme (Busch u. Algaba 2002)
WHO 1973
Malmström 1987
ISUP/WHO 1998
WHO 2004
Papillom
Grad 1
Papillom
Papillom
Grad 2A
PUNLMP
Low-grade-Karzinom
PUNLMP
Low-grade-Karzinom
Grad 2
Grad 2B
High-grade-Karzinom
High-grade-Karzinom
Grad 3
Grad 3–4
High-grade-Karzinom
High-grade-Karzinom
Grad 1
1
4
Kapitel 1 · Typing, Grading und Staging beim Harnblasenkarzinom
Urothelkarzinom
Grad ?
1
Textur
vorwiegend
erhalten
Ja
Nein
Urothekarzinom
PUN LMP
oder
Urothelkarzinom
WHO I°
WHO II° oder III°
Textur
fokal erhalten?
Ja
Nein
Texturabweichung leicht
erkennbar?
Nein
Nein
Ja
PUN LMP
Urothelkarzinom
WHO I°
PUN LMP
Urothekarzinom
Low grade
Urothelkarzinom
WHO II°
Urothelkarzinom
WHO III°
Urothelkarzinom
High grade
⊡ Abb. 1.1. Flussdiagramm zum Grading des nichtinvasiven Harnblasenkarzinoms. (Mod. nach Busch u. Algaba 2002)
Staging der Tumoren der ableitenden
Harnwege
pM: Mikroskopischer (histologischer oder zytologischer) Nachweis von Fernmetastasen
▬ Fakultativ kann eine Angabe zum Vorliegen
oder Fehlen einer Lymphangiosis carcinomatosa
(pL0 vs. pL1) oder Haemangiosis carcinomatosa
(pV0 vs. pV1) gemacht werden.
▬ Bei multiplen Tumoren ist der am weitesten
fortgeschrittene Tumor zu klassifizieren.
▬ Der Zusatz »(m)« soll bei der entsprechenden
pT-Kategorie verwendet werden, um das Vorliegen von multiplen Tumoren anzuzeigen.
▬ Der Zusatz »(is)« kann bei jeder pT-Kategorie
verwendet werden, um das Vorliegen eines assoziierten Carcinoma in situ anzuzeigen.
Das Staging der Harnblasenkarzinome erfolgt nach
der pTNM-Klassifikation der Harnblasenkarzinome
der UICC von 2002.
Für das Staging gelten die nachfolgend in
⊡ Abb. 1.2 und in ⊡ Tabelle 1.4 aufgeführten Regeln
bzw. Erfordernisse. Für das Staging von Harnblasenkarzinomen gelten die nachfolgenden Prämissen:
pN: Histologische Untersuchung von t8 regionären Lymphknoten
In der TNM-Klassifikation von 2002 sind für die
Tumoren des Nierenbeckens, des Ureters und der
Urethra sowie für die Urothelkarzinome der Prostata bzw. der prostatischen Urethra keine Änderungen
gegenüber 1997 vorgenommen worden (⊡ Tabelle 1.5). Neben den Beckenlymphknoten zählen auch
die inguinalen Lymphknoten zu den regionären
Lymphknoten der Urethra, wobei die Seitenlokalisation für die pN-Klassifikation ohne Belang ist.
nicht abschließend beurteilt werden. Jiminez et al.
(2000) fanden in einer der wenigen Studien zu dieser Problematik eine fast signifikante Tendenz für
eine höhere Überlebensrate bei den Urothelkarzinomen, die kein infiltratives Pattern in der invasiven
Komponente aufwiesen.
Das Spektrum der papillären Urotheltumoren
mit ihren für das Grading und das Typing (Klassifikation) wesentlichen mikroskopisch zu erhebenden
Veränderungen beschreibt ⊡ Tabelle 1.3.
1
5
Staging der Tumoren der ableitenden Harnwege
⊡ Tabelle 1.3. Grading-Kriterien für papilläre Urotheltumoren (WHO 2004)
Kriterium
Papillom
Tumor mit LMP
Low grade
High grade
Urothelbreite
œ
ž
ž
ž
Ausreifung
œ
œ
-‡
Superfiziale Zellschicht
œ
œ – ( )
œ – (œ) – -‡
Basale Zellpalisade
++
++
- Kern-Crowding
‡
‡
ž
žž
Architektur
œ
œ – ( )
- Polarität
œ
œ
œ
œ – - Kohäsivität
œ
œ
œ
œ – ( )- Mitosen
‡
‡ – (ž) basal
‡ – (ž) basales Drittel
ž-žž
Kernplasma Relation
œ
œ
ž
ž-žž
Kerngröße
œ
œ – (ž)
ž
ž-žž
Kernpolymorphie
‡
‡–
ž
žž-žžž
Nukleolengröße
œ
œ
œ – (ž)
ž-žž
Riesenzellkerne
‡
‡
‡
‡-ž
Chromatingehalt
œ
œ
(ž)
ž-žž
Chromatinmuster
œ
œ
vergröbert
Vergröbert
– stark vergröbert
LMP Low-malignant-Potential; ‡= nicht vorhanden/fehlt; œ = normal.
pTis
perivesik.
Fettgew.
pTa
pT1
M. propria M. propria
(außen)
(innen)
pT2a
L. propria
pT2b
Urothel
⊡ Abb. 1.2. Schematische Abbildung der Stadien beim Harnblasenkarzinom
pT3a/b
pT4a/b
perivesikale Organe
6
1
Kapitel 1 · Typing, Grading und Staging beim Harnblasenkarzinom
⊡ Tabelle 1.4. pTNM-Klassifikation der Harnblasenkarzinome
⊡ Tabelle 1.5. pTNM-Klassifikation der Urothelkarzinome der Prostata/prostatischen Urethra
pT
pTX
pT0
pTa
pTis
pT1
pT2
pT2a
pT2b
pT3
pT3a
pT3b
pT4
pT4a
pT4b
pT
pTX
pT0
pTis pu
Primärtumor nicht beurteilbar
Kein Anhalt für ein Karzinom
Nichtinvasives papilläres Karzinom
Carcinoma in situ
Invasion der L. propria
Invasion der Detrusormuskulatur
Innere Muskelhälfte
Äußere Muskelhälfte
Invasion von perivesikalem Gewebe
Mikroskopische Invasion
Makroskopische Invasion
Invasion angrenzender Organe
Prostata, Uterus, Vagina, Rektum
Becken- oder Bauchwand
pTis pd
pT1
pT2
pT3
pT4
pN
pNX
pN3
Regionäre Lymphknotenmetastasen
nicht beurteilbar
Keine regionären Lymphknotenmetastasen
Solitäre Lymphknotenmetastase d2 cm
Solitäre oder multiple LK-Metastasen;
>2 cm und d5 cm
LK-Metastasen >5 cm
pM
pMX
pM0
pM1
Fernmetastasen nicht beurteilbar
Keine Fernmetastasen
Fernmetastasen
pN0
pN1
pN2
Multizentrizität
Das primäre pTis ist selten; meist tritt es multifokal
und mit einem invasivem Urothelkarzinom assoziiert auf. 80% der pTis-Tumoren gehen in invasive
Karzinome über (Adsay et al. 1997).
Die Multizentrizität von Urothelkarzinomen geht
im Vergleich zu unizentrischen Tumoren mit einer
erhöhten Rezidiv- und Progressrate einher (Rezidive
bei pT1-Tumoren: 73% vs 46%; Progress zu muskelinvasiven Tumoren: 44% vs. 24% (Lutzeyer et al. 1982).
Lymph- und Blutgefäßinvasion
Eine Lymph- und/oder Hämangioinvasion lässt
sich bei sorgfältiger Suche unter Anlegung strenger
Kriterien (⊡ Tabelle 1.6) in 10–12% von papillären
pT1-Karzinomen nachweisen (Lopez u. Angulo 1995;
Marchetti et al. 1996). Angioinvasive pT1-Karzinome verhalten sich prognostisch schlechter als solche
pN
pNX
pN0
pN1
pN2
pM
pMX
pM0
pM1
Primärtumor nicht beurteilbar
Kein Anhalt für ein Karzinom
Carcinoma in situ in der prostatischen
Urethra
Carcinoma in situ in prostatischen
Gängen (»ducts«)
Invasion des subepithelialen Bindegewebes
Invasion des prostatischen Stromas, des
Corpus spongiosum oder periurethralem
Muskel
Invasion des Corpus cavernosum, jenseits der Prostatakapsel oder in den
Blasenhals
Invasion anderer angrenzender Organe
Regionäre Lymphknotenmetastasen
nicht beurteilbar
Keine regionären Lymphknotenmetastasen
Solitäre Lymphknotenmetastase d2 cm
Solitäre LK-Metastase >2 cm oder multiple
LK-Metastasen
Fernmetastasen nicht beurteilbar
Keine Fernmetastasen
Fernmetastasen
ohne Gefäßinvasion (44% Fünfjahresüberlebensrate
vs. 81% bei L0/V0). Im Gegensatz zu muskelinvasiven
Karzinomen erwies sich der Status der Angioinvasion
bei pT1-Tumoren als unabhängiger prognostischer
Marker (Lopez u. Angulo 1995). Die Diagnose einer
Angioinvasion ist am konventionellen Schnittpräparat durch den Pathologen oft nur schwer zu stellen
und mit einer nicht unerheblichen Rate falsch-positiver Diagnosen verknüpft. Mit Antikörpern gegen
Gefäßendothelien ließen sich lediglich 14% bzw. 40%
der in der Routinefärbung diagnostizierten Angioinvasionen bestätigen (Larsen et al. 1990; Ramani et al.
1991). Zu bedenken ist, dass bislang nur Endothelien
von Blutgefäßen sicher darstellbar sind, ein Antikörper gegen Lymphgefäßendothelien steht derzeit kurz
vor der Kommerzialisierung. Im blutkapillarreichen
Bindegewebsstock von papillären invasiven pT1Urothelkarzinomen sowie im angrenzenden Bindegewebe der Lamina propria oberhalb der diskontinuierlichen M. mucosae lassen sich keine Lymphgefäße
nachweisen (Marchetti et al. 1996).
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