Personalauswahl aus Bewerbersicht - Lehrstuhl für Wirtschafts

Werbung
Personalauswahl aus Bewerbersicht
Eine Studie zum Konzept der sozialen Validität
Nicole Njå und Forschungspraktikum WS 97/98 Gruppe A*
Inhalt
1
Einleitung ............................................................................................................ 56
2
Das Konzept der sozialen Validität ...................................................................... 57
2.1
Die vier Komponenten der sozialen Validität ................................................... 57
2.2
Soziale Validität verschiedener Personalauswahlverfahren............................... 59
2.3
Fragestellung der Studie................................................................................... 61
3
Beschreibung der Studie ...................................................................................... 62
3.1
Untersuchungsmethode.................................................................................... 62
3.2
Instrument ....................................................................................................... 62
3.3
Stichprobe ....................................................................................................... 63
3.4
Datenerhebung und -auswertung ...................................................................... 63
4
Ergebnisse ........................................................................................................... 64
4.1
Überprüfung der vier Komponenten der sozialen Validität............................... 64
4.2
Vergleich verschiedener Auswahlverfahren hinsichtlich der sozialen Validität 66
4.3
Das optimale Auswahlverfahren aus Sicht der sozialen Validität...................... 67
5
Diskussion ........................................................................................................... 67
6
Literatur .............................................................................................................. 69
1
Einleitung
Sprechen Psychologen über Verfahren der Personalauswahl, so geht es zumeist um die
klassischen Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität. Es geht darum, wie auf der
Basis von Interviews, Tests oder kombinierten Verfahren wie Assessment Centers die
Eignung eines Bewerbers bestmöglich vorhergesagt werden kann, damit in einem
Unternehmen eine freie Stelle optimal besetzt wird.
*
Michaela Anselmann, Kerstin Fischer, Petra Flassig, Evi Gassenmeier, Petra Kielmann, Barbara Koop, Sonja
Lütke, Anette Marschollek, Herbert Mayer, Steffi Mittelstedt, Cathrin Ott, Simone Ott, Holger Schenk, Sonja
Steinich
Mannheimer Beiträge 2/98
57
Wer sich schon einmal beworben hat, der kennt jedoch eine ganz andere Perspektive, nämlich
die eines getesteten, interviewten und beobachteten Menschen, dem mitgeteilt wird, ob er im
Unternehmen willkommen ist oder abgelehnt wird.
Doch nicht nur aus dieser individuellen Sicht heraus scheint es interessant, sich über
Wahrnehmung und Empfinden von Bewerbern Gedanken zu machen. Auch Unternehmen
sind im Rahmen eines Personalmarketings daran interessiert, bei Bewerbern einen guten
Eindruck zu hinterlassen. Hier gilt es, den Wunschkandidaten zu überzeugen, in gerade
diesem Unternehmen eine Stelle zu akzeptieren, denn gute Bewerber haben häufig mehrere
Stellenangebote. Aber auch der abgelehnte Bewerber sollte idealerweise ein positives Bild
vom Unternehmen mitnehmen, denn er spricht mit anderen Kandidaten, ist potentieller Kunde
oder vielleicht zukünftiger Kooperationspartner.
Schuler und Stehle (1983) haben für diese Bewerberperspektive den klassischen Gütekriterien
ein weiteres Bewertungskriterium für Auswahlverfahren hinzugefügt: Die soziale Validität
gibt an, wie das Erleben eines Bewerbers in der Auswahlsituation ist.
Obwohl die Bedeutung dieses Konzeptes für die Gestaltung von Auswahlverfahren sehr hoch
einzuschätzen ist, gibt es bisher nur wenige Untersuchungen zu dem Thema soziale Validität.
Als wie abgesichert kann das Konstrukt gelten? Wie nehmen Bewerber verschiedene
Auswahlverfahren wahr, bzw. welche Einflußfaktoren können in der Auswahlsituation die
soziale Validität erhöhen?
Die hier dargestellte Studie beschäftigt sich mit diesen Fragen. Dazu wird zunächst der
theoretische Hintergrund kurz dargestellt. Anschließend wird über eine Untersuchung
berichtet, die im Rahmen des Forschungspraktikums im Fach Wirtschafts- und
Organisationspsychologie der Universität Mannheim durchgeführt wurde. Die abschließende
Diskussion bemüht sich um eine Bewertung der Ergebnisse und die Ableitung praktischer
Schlußfolgerungen.
2
Das Konzept der sozialen Validität
Das Konzept der sozialen Validität ist als Ergänzung zu den Gütekriterien der Klassischen
Testtheorie zu verstehen. Ausgangspunkt war eine Kritik an der traditionellen
Eignungsdiagnostik, die das Erleben und Bewerten der Bewerber in der Auswahlsituation
vernachlässigt und der vorgeworfen wurde, „sie wirke systemstabilisierend, nütze den
Organisationen mehr als den Menschen, sei an fragwürdig gewordenen Leistungsnormen
orientiert und trage zur Schreckensvision des „gläsernen Menschen“ bei“ (Schuler und Stehle,
1985, S. 134).
2.1
Die vier Komponenten der sozialen Validität
Schuler und Stehle (1983, S. 35) verwenden den Begriff der sozialen Validität als
Sammelbezeichnung für das, „was die eignungsdiagnostische Situation zu einer akzeptablen
sozialen Situation macht“. Vier Komponenten spielen für den Bewerber hierbei eine Rolle:
Information, Partizipation, Transparenz und Urteilskommunikation.
Nicole Njå und Forschungspraktikum WS 97/98 Gruppe A
Information
über Anforderungen
von Arbeitsplatz
und Organisation
58
Partizipation
bei der Entwicklung
eignungsdiagnostischer
Instrumente
Soziale
SozialeValidität
Validität
Transparenz
der Verfahrensdurchführung und
Urteilsaggregation
Urteilskommunikation
über Anforderungen
von Arbeitsplatz
und Organisation
Abbildung 1: Das Konzept der sozialen Validität (Schuler, 1989)
Diese vier Komponenten der sozialen Validität können als unabhängige Variablen angesehen
werden, die das Erleben und die Reaktion der Teilnehmer in Auswahlsituationen beeinflussen
sollen (Schuler, 1990).
In Abbildung 2 werden die vier Komponenten der sozialen Validität gemäß der Definition
von Schuler (1990) näher erläutert.
Information
• über die Aufgabenbereiche der Tätigkeit
• über erfolgskritische Anforderungen
• über die wichtigsten Organisationsmerkmale und –ziele
• über Organisationskultur und –stil (z.B. Interaktion, Führung, Klima)
• über Möglichkeiten persönlicher und beruflicher Entwicklung und weitere Aspekte, die sich als bedeutsam
für Leistung und Befinden erwiesen haben und Selbstselektion erleichtern
Partizipation
• im engeren Sinn als Beteiligung an der Gestaltung der Auswahlsituation oder –instrumente oder an der
Entscheidung (in entweder direkter oder repräsentativer Form, also etwa mittels Arbeitnehmervertretung)
• im weiteren Sinn als Möglichkeit Kontrolle über die Situation auszuüben oder über das eigene Verhalten
oder die Entscheidung relevanter anderer, oder verstanden als Freiheit von der Machtausübung anderer
Mannheimer Beiträge 2/98
59
Transparenz
• der Auswahlsituation incl. der handelnden Personen, ihrer Rollen, Intentionen und Kompetenzen sowie der
Verhaltenserwartungen an die Bewerber
• der Bedeutung und des Aufgabenbezugs der diagnostischen Instrumente (dieser Aspekt ist der
Augenscheingültigkeit eng verwandt)
• des Bewertungsprozesses und der Bewertungsregeln, d.h. der Beurteilungskriterien, Standards, Prinzipien
des diagnostischen Schlusses und der Aggregation von Daten sowie der Transformation der Daten in Urteile
oder der Urteile in Entscheidungen
• des diagnostischen Prozesses in einer Form, die Selbstbeurteilung begünstigt und in deren Konsequenz
Selbstselektion erleichtert wird (wie beispielsweise durch Arbeitsproben oder via sozialem Vergleich im
Assessment Center).
Urteilskommunikation
• inhaltlich: offen, warmherzig, bezogen auf Erfolgswahrscheinlichkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten
• formal: verständlich (semantisch und pragmatisch), rücksichtsvoll, unterstützend; Selbsteinsicht, Integration
in das Selbstkonzept und informierte Entscheidung der Kandidaten erleichternd
Abbildung 2: Beschreibung der vier Komponenten der sozialen Validität (Schuler, 1990,
S. 185)
2.2
Soziale Validität verschiedener Personalauswahlverfahren
Bisher wurde nur relativ wenig empirische Forschung zum Thema „Soziale Validität“
betrieben. Schuler (1990) schreibt dies der Tatsache zu, daß bisher noch keine erschöpfende
Liste von Fragestellungen und Versuchsplänen erarbeitet wurde. Im Fokus der
Aufmerksamkeit durchgeführter Untersuchungen standen die einzelnen Komponenten der
sozialen Validität, die Bedeutung von Personenvariablen für die Bewertung von
Personalauswahlverfahren sowie der Vergleich verschiedener Verfahren hinsichtlich ihrer
sozialen Validität. Im folgenden werden einige Ergebnisse zu dieser letzten Fragestellung
dargestellt.
Fruhner, Schuler, Funke und Moser (1991) untersuchten die Frage, wie verschiedene
Auswahlverfahren von potentiellen Bewerbern erlebt, wie die Auswahlsituationen bewertet
werden und welche Determinanten das Erleben und Bewerten beeinflussen. Hierzu befragten
sie 1207 Studenten verschiedener Fachbereiche. Dabei sollten die Studierenden verschiedene
Auswahlinstrumente danach beurteilen, welches von ihnen am ehesten und welches am
wenigsten bevorzugt wurde. Dabei zeigte sich, daß das Vorstellungsgespräch noch vor
Arbeitsproben, Praktikumsleistungen und Zeugnisnoten gegenüber den psychologischen Tests
präferiert wurde (vgl. Abbildung 3).
Nicole Njå und Forschungspraktikum WS 97/98 Gruppe A
60
Mittlerer
Rangplatz
1.
Vorstellungsgespräch
2,0
2.
Arbeitsprobe
2,4
3.
Praktikumsleistung
3,0
4.
Zeugnisnoten
4,2
5.
Psychologischer Test
5,1
6.
Lebenslauf
5,3
7.
Handschrift
6,9
8.
Losverfahren
6,9
Abbildung 3: Bewertung von Auswahlverfahren hinsichtlich der Präferenz, mit ihnen
„bevorzugt“ ausgewählt zu werden (Fruhner, Schuler, Funke & Moser, 1991,
S. 173)
Fruhner, Schuler, Funke und Moser (1991) führten mit den gleichen Studierenden eine
Untersuchung durch, in der Bewerbungsgespräche und Testverfahren hinsichtlich
verschiedener Aspekte der sozialen Validität verglichen wurden. Insgesamt hatten 369
Versuchspersonen Erfahrungen mit Einstellungsinterviews gemacht und 398 bewerteten
Testverfahren. Ein Problem dieser Studie könnte unter Umständen darin liegen, daß die
Einstellungsinterviews bei Unternehmen durchgeführt wurden, während die Erfahrungen mit
Tests zumeist auf die Bundeswehr zurückgingen. Die Ergebnisse werden in Abbildung 4
dargestellt.
7
Psychologischer Test
Vorstellungsgespräch
6
Semantisches Differential
(alle Befragten)
4,9
5
4,2
4
3,5
3,3
2,9
3
2,4
2,4
2,2
4,7
4,4
3,5
3,3
2,8
4,5
2,8
2,3
2
1
Frage 3
Situation
Frage 5
Ergebnis
Frage 6
Einfluß
Frage 7
Fähigkeit
Frage 8
Information
generelle
Bewertung
Belastung
Transparenz
Abbildung 4: Bewertung von psychologischen Tests und Vorstellungsgesprächen (Fruhner,
Schuler, Funke und Moser, 1991, S. 174)
Mannheimer Beiträge 2/98
61
Die Ergebnisse zeigen auf der linken Seite die durchschnittlichen Ratings derjenigen
Studenten, die tatsächlich an einem der beiden Verfahren teilgenommen hatten. Die
Bewertungen wurden auf einer fünfstufigen Skala vorgenommen, wobei 1 das positive Ende
und 5 das negative Ende der Bewertungsdimension darstellte. Das Bewerbungsgespräch
schneidet in allen dargestellten Fragen signifikant besser ab. Besonders große Unterschiede
ergaben sich bei Frage 3 „Situation während der Durchführung“, bei Frage 6 „Möglichkeit,
Einfluß zu nehmen“, Frage 7 „das Auswahlverfahren erfaßt die eigenen Fähigkeiten“ und
Frage 8 „Information über den zukünftigen Arbeitsplatz“. Frage 5 verlangte eine Bewertung
des eigenen Ergebnisses im Auswahlverfahren. Auch bei der generellen Bewertung durch alle
Studierenden, die mittels eines siebenstufigen semantischen Differentials erfragt wurde,
schnitt das Bewerbungsgespräch besser ab. Die Ergebnisse hierzu werden auf der rechten
Seite der Abbildung 4 gezeigt.
Eine weitere Studie, die Auswahlverfahren hinsichtlich ihrer sozialen Validität vergleicht,
stammt von Köchling und Körner (1996). Auch sie konnten eine Überlegenheit des
Vorstellungsgesprächs gegenüber psychologischen Tests bezüglich der Aspekte Mitwirkung
und Kontrolle sowie Transparenz feststellen. Der Aspekt der Ergebnisrückmeldung wurde nur
für das Interview erfaßt, Information war keinem der beiden Verfahren zuzuordnen, sondern
wurde eher im Umfeld der Auswahlverfahren gegeben.
Obwohl die Auswahl der Stichprobe, die Rahmenbedingungen der beiden Untersuchungen
und die nur teilweise Operationalisierung des Konstrukts der sozialen Validität Fragen offen
lassen, stellen diese Ergebnisse dennoch eine interessante Diskussionsgrundlage dar. Wie
kommt es, daß das Bewerbungsgespräch, das bekanntermaßen häufig nur über eine geringe
technische Validität verfügt, im Unterschied zu Testverfahren so positiv abschneidet? Wie
sähe dieses Ergebnis für andere Auswahlverfahren aus? Wie können soziale und technische
Validität zukünftig besser in Einklang gebracht werden? Im folgenden wird die genaue
Fragestellung der vorliegenden Studie vorgestellt, die einen Schritt näher an die
Beantwortung dieser Diskussionspunkte führen soll.
2.3
Fragestellung der Studie
Mit Blick auf die noch unzureichende empirische Überprüfung der vier Komponenten der
sozialen Validität ergaben sich folgende Fragestellungen für die Studie:
Welche Aspekte einer Auswahlsituation machen die soziale Validität aus?
Es geht hier also um eine Überprüfung des Vier-Komponenten-Modells, wie es von Schuler
(1990) dargestellt wurde. Die Überprüfung erfolgt zunächst qualitativ durch eine Erhebung
von Critical Incidents (Flanagan, 1954). Dabei besteht die Möglichkeit, weitere wichtige
Aspekte des Konzepts aufzudecken. In einem zweiten Schritt erfolgt eine quantitative
Überprüfung des Einflusses der vier Komponenten auf eine Gesamtbeurteilung.
Wie unterscheiden sich verschiedene Auswahlverfahren hinsichtlich ihrer sozialen
Validität?
Es soll festgestellt werden, inwieweit verschiedene Auswahlverfahren, wie z.B. Interviews,
Tests oder Assessment Center, bezüglich der vier Komponenten der sozialen Validität
unterschiedlich bewertet werden.
Wie sieht eine optimale Auswahlsituation unter Berücksichtigung der sozialen Validität
aus?
Zur Beantwortung dieser sehr praxisrelevanten Frage werden die Ergebnisse der Critical
Incidents-Befragung zusammengefaßt.
Nicole Njå und Forschungspraktikum WS 97/98 Gruppe A
3
62
Beschreibung der Studie
Die vorliegende Studie wurde im Rahmen eines Forschungspraktikums im Wintersemester
97/98 am Lehrstuhl Psychologie I für Wirtschafts- und Organisationspsychologie der
Universität Mannheim durchgeführt. Alle 14 StudentInnen und die Seminarleiterin waren an
der Festlegung der Untersuchungsmethode, der Entwicklung eines Instruments und
schließlich an Erhebung und Auswertung der Daten beteiligt. Diese Arbeitsschritte werden im
folgenden kurz vorgestellt.
3.1
Untersuchungsmethode
In der Diskussion über die geeignete Methode zur Beantwortung der Forschungsfragen
standen neben Interviews in Einzel- oder Gruppenform auch die schriftliche Befragung zur
Auswahl. Die Entscheidung fiel auf das Telefoninterview mittels eines Fragebogens, der
sowohl offene als auch geschlossene Antwortmöglichkeiten enthielt. Für diese
Vorgehensweise sprach zum einen die Möglichkeit der persönlichen Ansprache der
Zielpersonen, was im Unterschied zum verschickten Fragebogen eine hohe Rücklaufquote
garantiert. Zum anderen ermöglicht die Form des Telefoninterviews im Unterschied zur
schriftlichen Befragung Rückfragen bei Unklarheiten, vermeidet dabei aber den hohen
Aufwand von face-to-face Einzel- oder Gruppeninterviews.
3.2
Instrument
Für das Telefoninterview wurde ein Leitfaden entwickelt, der als Grundlage für das
Telefongespräch diente. Der Interviewleitfaden bestand aus vier Teilen:
• Einleitung:
In der Einleitung erfolgte die Abklärung, ob der Gesprächsteilnehmer bereits an einem
Personalauswahlverfahren teilgenommen hatte und somit für die Stichprobe in Frage kam
und ob er Interesse an einer Teilnahme hatte. Bei Zustimmung wurden Zielsetzung der
Befragung und Vorgehensweise bei der Auswertung erklärt. Schließlich wurde nach Art
der Auswahlverfahren gefragt, an der der Interviewpartner teilgenommen hatte, sowie den
Typ der Stelle, für den die Bewerbungen erfolgten.
• Offene Fragen zu kritischen Ereignissen in erlebten Auswahlsituationen:
Die offene Frage war folgendermaßen formuliert: „Welcher positive Aspekt ist Ihnen
besonders in Erinnerung geblieben?“ Nach einem einmaligen Nachhaken („Fällt Ihnen
noch ein weiterer positiver Aspekt ein?“) wurde die gleiche Frage nach besonders
negativen Erinnerungen gestellt. Auch hier wurde einmal nachgehakt. Die offene Frage
nach positiven und negativen Aspekten der Auswahlsituation wurde nach den
standardisierten Items (Punkt 3) noch einmal wiederholt. Dabei wurden die
standardisierten Items als eine Art Priming für die Beantwortung der Frage verstanden.
Damit war klar, daß die Antworten auf dieses wiederholte Nachfragen gesondert
ausgewertet werden mußten.
• Standardisierte Items und Antwortmöglichkeiten zu einem bestimmten
Auswahlverfahren:
Die Items umfaßten zwei allgemeine Bewertungsfragen zum Auswahlverfahren und
Fragen, die die vier Komponenten der sozialen Validität in Anlehnung an Schuler (1990)
und Köchling & Körner (1996) operationalisieren. Die Items waren als positive Aussagen
formuliert. Die Anworten wurden auf einer 5-stufigen Likertskala gegeben, deren
Antwortmöglichkeiten von 1 = „trifft auf jeden Fall zu“, über 3 = „trifft teils-teils zu“ bis
hin zu 5 = „trifft auf keinen Fall zu“ reichten. Insgesamt wurden 5 Items zur Information
Mannheimer Beiträge 2/98
63
formuliert, 3 Items zu Partizipation, 3 Items zu Transparenz und 4 Items zu
Urteilskommunikation. Dabei ist zu beachten, daß das erste Item zu
Urteilskommunikation eine Filterfrage darstellte, da verhindert werden sollte, daß bei
fehlender Urteilskommunikation die Kategorie „trifft auf keinen Fall zu“ der folgenden
Items markiert wurde.
• Standardisierte Fragen und Antwortmöglichkeiten zur Erhebung von
Moderatorvariablen:
Die Fragen umfaßten die Feststellung der Studienrichtung, ein mögliches Stellenangebot
und die Annahme eines Angebots. Das Geschlecht wurde vom Interviewer ohne
Nachfrage selbst eingetragen.
3.3
Stichprobe
Die Stichprobe der Untersuchung bestand aus Studenten der Universität Mannheim, deren
Telefonnummern überwiegend aus dem „AbsolventUM-Buch“ des Absolventennetzwerkes
der Universität entnommen wurden. Studenten der Abschlußsemester können sich in dieses
Buch freiwillig eintragen lassen, um über diese Publikation, die im Buchhandel erhältlich ist,
potentiellen Arbeitgebern bekannt zu werden. Insgesamt wurde ein Pool von 170 zufällig aus
dem Absolventenbuch ausgewählten Adressen bereitgestellt. Wegen der schlechten
telefonischen Erreichbarkeit im geplanten 2-wöchigen Erhebungszeitraum mußte die
Stichprobe allerdings durch einige weitere Studenten der Universität ergänzt werden, die den
Interviewern persönlich bekannt waren. Insgesamt wurden 111 Personen befragt, in die
qualitative Auswertung gingen 87 Fragebögen ein, in die quantitative Auswertung 103. Die
Differenz erklärt sich durch schlechte Koordination zwischen den beteiligten Personen. Es
kann jedoch davon ausgegangen werden, daß hierdurch kein systematischer Fehler entstanden
ist.
3.4
Datenerhebung und -auswertung
Nachdem die Teilnehmer des Forschungspraktikums eine Schulung zum Thema
Telefoninterview erhalten hatten, wurden innerhalb von 2 Wochen die Telefoninterviews
durchgeführt. Ein großes Problem stellte die schlechte telefonische Erreichbarkeit der
Studenten dar. War es dem Interviewer allerdings gelungen, die Zielperson zu sprechen, war
diese fast ausnahmslos interessiert, offen für das Thema und kooperativ. Nur ein
Gesprächspartner lehnte die Teilnahme an der Untersuchung ab.
Die Datenauswertung erfolgte durch zwei unterschiedliche Studentengruppen. Ein Gruppe
wertete die qualitativen Daten zu den kritischen Ereignissen in einer dreistufigen
Inhaltsanalyse aus (Mayring, 1995). Aus den 87 einbezogenen Interviews wurden ca. 330
Einzelaussagen gewonnen, die dann auf ihre Kernaussagen reduziert und zu Kategorien
gruppiert wurden. Dabei wurden positive und negative Antworten ohne Priming sowie mit
Priming jeweils getrennt ausgewertet. Fünf Personen bearbeiteten parallel alle Daten und
führten ihre Ergebnisse erst im letzten Schritt zusammen. Dabei konnte festgestellt werden,
daß zwischen den positiven und negativen Fragen mit und ohne Priming keine Unterschiede
bestanden, zumal in der Priming-Situation kaum Ergänzungen gemacht wurden.
Die quantitativen Daten von 103 Befragten wurden von einer zweiten Gruppe mit dem
Statistikprogramm SPSS ausgewertet. Neben der Berechnung von Häufigkeiten für alle Items
wurden für die einzelnen Komponenten der sozialen Validität aus den Beurteilungen der
entsprechenden Einzelitems Indizes gebildet. So ergab sich je ein Index für Information,
Transparenz, Partizipation und Urteilskommunikation, wobei in den letzten Index durch die
Filterfrage nur die 49 Fragebögen in die Auswertung eingingen, in denen die Befragten nach
Nicole Njå und Forschungspraktikum WS 97/98 Gruppe A
64
dem beurteilten Auswahlverfahren auch tatsächlich Feedback bekommen hatten. Weitere
verwendete statistische Methoden werden kurz in der Ergebnisdarstellung genannt.
4
Ergebnisse
Im folgenden werden die Ergebnisse entlang der Fragestellungen der Untersuchung
vorgestellt. Zunächst erfolgt eine konzeptionelle Überprüfung der vier Komponenten der
sozialen Validität, indem die in der Inhaltsanalyse der qualitativen Daten herausgearbeiteten
Kategorien mit den vier Komponenten abgeglichen werden. Eine weitere Überprüfung
erfolgte auf Basis der quantitativen Daten durch eine Faktorenanalyse. Im Anschluß daran
wird die soziale Validität verschiedener Auswahlverfahren verglichen. Den Abschluß der
Ergebnisdarstellung bildet die Darstellung eines optimalen Auswahlverfahrens unter dem
Aspekt der sozialen Validität, wie es aus den offenen Fragen abgeleitet werden konnte.
4.1
Überprüfung der vier Komponenten der sozialen Validität
Um herauszufinden, welche Aspekte wichtig für das Konzept der sozialen Validität sind,
wurden den Teilnehmern des Telefoninterviews die Fragen gestellt: „Welcher
positive/negative Aspekt [der zuvor besprochenen Auswahlverfahren] ist Ihnen besonders in
Erinnerung geblieben?“ Im Rahmen der Inhaltsanalyse dieser qualitativen Daten wurden 9
Kategorien identifiziert (vgl. Abbildung 5).
Kategorie
Beispielaussage
Nennungen
Atmosphäre
Ich empfand die Situation als Prüfungssituation.
50
Eingehen auf den Bewerber
Man ist auf meinen Lebenslauf und meine
Interessen eingegangen.
40
Fragen
Die Fragen waren persönlich verletzend.
35
Organisatorische
Rahmenbedingungen
Die Räume waren viel zu heiß.
35
Interviewer
Der Interviewer hatte sich die Unterlagen nicht
angesehen, war schlecht vorbereitet.
35
Feedback
Das Feedback nach dem Assessment Center war
ausführlich.
30
Transparenz
Das Verfahren
subjektiv.
und
30
Information
Von Seiten der Firma wurde man schlecht auf
das Bewerbungsgespräch vorbereitet.
20
Partizipation
Das Bewerbungsgespräch konnte gut von mir
gelenkt werden.
6
war
undurchschaubar
Abbildung 5: Komponenten der sozialen Validität auf Basis der qualitativen Daten
Von den vier Komponenten der sozialen Validität können die folgenden drei durch die
Inhaltsanalyse als weitgehend bestätigt gelten: Feedback bzw. Urteilskommunikation,
Transparenz und Information. Der Aspekte Partizipation, hier Kategorie 9, fand mit nur 6
Nennungen keine fundierte Bestätigung in den erhobenen Daten.
Mannheimer Beiträge 2/98
65
Interessant ist, daß die Inhaltsanalyse fünf neue Kategorien hervorbrachte, von denen die
Kategorie Atmosphäre mit den mit Abstand meisten Nennungen hervortritt. Weiterhin war es
den Bewerbern wichtig, daß auf ihre Person eingegangen wurde. In diese Kategorie gehören
Äußerungen wie z.B. „Ich fühlte mich als Person ernst genommen“ oder „Der Interviewer
zeigte sich interessiert und ging auf mich ein.“ Diese Aussagen könnten unter Umständen als
Partizipation im weitesten Sinne interpretiert werden, wenn man das Gefühl, ernst genommen
und respektiert zu sein als Voraussetzung für Partizipation und Mitgestaltung betrachtet. Drei
weitere Kategorien mit jeweils 35 Nennungen waren „Fragen“, „Organisatorische
Rahmenbedingungen“ und „Interviewer“.
Zur Überprüfung der Frage, ob der Operationalisierung der Komponenten der sozialen
Validität tatsächlich eine Vierkomponenten-Struktur zugrunde liegt, wurde eine
Faktorenanalyse - genauer gesagt eine Hauptkomponentenanalyse - gerechnet.
Unter der Bedingung, daß nur Faktoren berücksichtigt werden, deren Eigenwerte größer als 1
sind (Kaiserkriterium), konnten drei Faktoren extrahiert werden. Dieses Ergebnis wurde auch
durch das graphische Abbruchkriterium im Scree-Plot bestätigt. Die drei Faktoren ließen sich
als die Komponenten „Information“, „Transparenz“ und „Urteilskommunikation“
identifizieren. Die Komponente „Partizipation“ konnte in der vorliegenden Untersuchung
faktorenanalytisch nicht rekonstruiert werden (vgl. Abbildung 6).
Faktoren
1
2
3
4
5
Information
Info über Anforderungen
0,641
-0,199
0,033
0,244
0,476
-0,153
0,741
0,143
-0,030
0,189
Info über Unternehmensziele
0,667
0,077
0,139
-0,110
0,140
Einblick in die Unternehmenskultur
0,712
-0,026
0,269
-0,022
-0,074
Info über Aufstiegschancen
0,715
-0,032
-0,186
0,463
-0,020
Sinn der Übungen klar
0,028
0,595
0,004
-0,022
-0,225
Rolle der Beteiligten bekannt
0,042
0,067
0,150
0,795
-0,035
Beurteilungsmaßstäbe offengelegt
0,119
0,856
0,016
0,248
-0,008
Ernst genommen
0,319
0,114
0,103
0,360
0,684
Verlauf aktiv lenken
0,035
-0,131
-0,135
-0,268
0,750
Um Feedback gebeten
0,117
0,094
0,248
0,673
-0,025
Rückmeldung Stärken/Schwächen
0,159
0,515
0,572
0,190
-0,252
Rücksichtsvolles Feedback
0,047
-0,017
0,882
0,125
0,120
Verständliches Feedback
0,201
0,126
0,740
0,232
-0,119
Info über Erfüllung der Anforderungen
Transparenz
Partizipation
Urteilskommunikation
Abbildung 6: Faktorenmatrix zur Überprüfung der vier Komponenten der sozialen Validität
Nicole Njå und Forschungspraktikum WS 97/98 Gruppe A
4.2
66
Vergleich verschiedener Auswahlverfahren hinsichtlich der sozialen Validität
In diesem Abschnitt wird dargestellt, inwieweit sich unterschiedliche Auswahlverfahren, im
Hinblick auf die Ausprägung der sozialen Validität und ihrer einzelnen Komponenten
unterscheiden. Bevor die Interviewteilnehmer die Items zur sozialen Validität bewerteten,
wurden sie gebeten, sich auf ein erst kürzlich erlebtes Auswahlverfahren zu konzentrieren.
Dabei ergab sich folgende Verteilung: 75,7% der Probanden wählten das
Bewerbungsgespräch, 18,7% das Assessment Center, nur 1,0% nannten Tests und 2,9%
sonstige Verfahren. Von 1,9% der Gesprächsteilnehmer lag hierzu keine Angabe vor. Hieraus
ergibt sich, daß im folgenden nur Assessment Center und Bewerbungsgespräch sinnvoll
verglichen werden können.
Bei der Betrachtung des Gesamtwerts der beiden Verfahren („Ich habe das Verfahren
insgesamt als positiv erlebt.“) zeigt sich zunächst kein Unterschied. Hinsichtlich der vier
Komponenten der sozialen Validität, erfaßt durch einen Index, der jeweils über alle Fragen
einer Komponente berechnet wurde, zeichnet sich jedoch trendweise eine positivere
Bewertung des Assessment Center ab (vgl. Abbildung 7). Die Berechnung von t-Tests für
unabhängige Stichproben ergibt einen signifikanten Unterschied für die beiden Komponenten
Transparenz und Urteilskommunikation. Bezüglich des Wertes für die Urteilskommunikation
muß jedoch angemerkt werden, daß nur 49 Gesprächsteilnehmer Aussagen zu diesem Bereich
machen konnten. Die anderen Interviewten hatten kein Feedback bekommen, das über eine
bloße Zu- oder Absage hinausging. Dabei ergibt die genauere Analyse, daß 100% aller
derjenigen, die ein Assessment Center bewerteten, Feedback erhalten hatten, aber nur 37%
der Teilnehmer in Bewerbungsgesprächen. Dies ist ein weiterer Hinweis auf die
Überlegenheit des Assessment Center hinsichtlich der Komponente Urteilskommunikation.
negativ 5
Bewerbungsgespräch, N 78
Assessment Center, N = 19
4
teils-teils 3
2,90
2,57
2,68
2,61
2,58
2,43
2,18
1,90
2
1,89
1,61
positiv 1
Information
Partizipation
Transparenz
Urteilskommunikation
Gesamtbewertung
Abbildung 7: Mittelwertunterschiede in der Bewertung der sozialen Validität von
Bewerbungsgesprächen und Assessment Center
Mannheimer Beiträge 2/98
4.3
67
Das optimale Auswahlverfahren aus Sicht der sozialen Validität
Aus den Bewerberaussagen über ihre besonders positiven bzw. negativen Erlebnisse im
Zusammenhang mit Personalauswahlverfahren lassen sich einige Vorschläge zur optimalen
Gestaltung von Auswahlsituationen ableiten. Neben dem eigentlichen Auswahlverfahren
beeinflussen auch die Rahmenbedingungen ganz wesentlich, wie die Auswahlsituation erlebt
wird.
Die „optimale“ Auswahlsituation aus Bewerbersicht
• Termin rechtzeitig
Fahrtkostenerstattung
verabreden,
Firmenunterlagen
und
Wegbeschreibung
vorab
zuschicken,
• Schönes Gebäude, angenehme Umgebung, gute Bewirtung
• Ablauf so regeln, daß keine Wartezeiten entstehen, für jeden Bewerber genügend Zeit einplanen
• Vor dem eigentlichen Gespräch: Warming up-Phase, Smalltalk, Bemühungen, dem Bewerber die Nervosität
zu nehmen und die Situation zu entspannen
• Gespräch auf den Bewerber zuschneiden, nette freundliche, angenehme, vertrauensvolle Atmosphäre
schaffen
• Der Interviewer sollte freundlich, motiviert, offen, humorvoll, fachlich kompetent, erfahren, gut vorbereitet
und informiert sein. Er sollte sich Zeit nehmen, das Gespräch konstruktiv leiten.
• Weiterhin sollte der Interviewer dem Bewerber die Möglichkeit geben, eigene Fragen zu stellen sowie seine
Vorstellungen und Wünsche einzubringen.
• Der Interviewer soll dem Bewerber das Gefühl geben, wichtig zu sein und auf ihn eingehen. Er soll Interesse
an der Person des Bewerbers zeigen und dessen berufliche Ziele und Absichten berücksichtigen.
• Die Interviewfragen sollten eher auf der persönlichen Ebene gestellt werden, kein Abfragen von Fachwissen
• Respektvoller, höflicher, fairer Umgang im Gespräch
• Der Bewerber sollte über das Unternehmen, seine spätere Tätigkeit, Entwicklungschancen etc. informiert
werden. Potentielle Kollegen und Vorgesetzte sollten vorgestellt werden.
• Es sollten sinnvolle Bewertungskriterien angelegt, das konkrete Vorgehen mit dem Bewerber angesprochen
und Bewertungskriterien offen gelegt werden.
• Feedback sollte unmittelbar nach dem Gespräch erfolgen. Das Feedback sollte ausführlich sein, auf Stärken
und Schwächen eingehen. Es sollte eher direkt, unverblümt und authentisch sein.
Abbildung 8: Gestaltungsempfehlungen für die optimale Auswahlsituation aus Bewerbersicht
5
Diskussion
Im Theorieteil dieser Arbeit wurde das Konzept der sozialen Validität und seine Relevanz für
die Gestaltung von Auswahlsituationen vorgestellt. Nach der Beschreibung der Studie und der
Darstellung der Ergebnisse im empirischen Teil soll nun diskutiert werden, inwieweit die
Ergebnisse die Fragestellungen beantworten konnten.
Sowohl die qualitativen als auch die quantitativen Ergebnisse bestätigen drei der vier
Komponenten der sozialen Validität, nämlich Information, Transparenz und
Urteilskommunikation. Nur die Komponente Partizipation fand sich nicht in der
Faktorenstruktur und ist nur schwach vertreten bei den Antworten auf die offenen Fragen.
Nicole Njå und Forschungspraktikum WS 97/98 Gruppe A
68
Begründung hierfür könnte sein, daß in Auswahlsituationen, so wie sie sich in Unternehmen
darstellen, eine Partizipation, wie sie von Schuler und Stehle (1983) postuliert wurde, kaum
umgesetzt werden kann, da die Auswahlsituation den Kandidaten durch ihre Struktur relativ
wenig Möglichkeiten zur aktiven Einflußnahme bietet. Insofern ist auch eine Partizipation im
weiteren Sinne, verstanden als Situationskontrolle oder Freiheit von der Machtausübung
anderer, bei Auswahlverfahren nicht in hohem Maße zu realisieren. Entsprechend war schon
die Formulierung von für die Praxis von Auswahlverfahren auch tatsächlich relevanten Items
zum Aspekt der Partizipation schwergefallen.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis der qualitativen Analyse war, daß neben den diskutierten
Komponenten der sozialen Validität weitere Aspekte, wie z.B. die Atmosphäre der
Auswahlsituation und die organisatorischen Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle spielen
könnten. Bisher stellte sich die Situation häufig so dar, daß eine höhere soziale Validität unter
Umständen nur auf Kosten der technischen Validität realisiert werden konnte. Dies war
insbesondere bei Tests der Fall, die zwar häufig in hohem Maße technisch valide waren, aber
in der sozialen Validität, insbesondere was die Transparenz anging, schlecht abschnitten. Die
neuen Faktoren eröffnen nun die Möglichkeit, soziale Validität unabhängig vom eingesetzten
Auswahlverfahren zu verbessern und damit allen Ansprüchen – denen der Auswählenden und
der Auszuwählenden, besser gerecht zu werden. Daraus lassen sich einfache und konkrete
Gestaltungsmöglichkeiten für die Unternehmen ableiten.
Ein Vergleich von Bewerbungsgespräch und Assessment Center im Hinblick auf die vier
Komponenten der sozialen Validität ergab einen durchweg konsistenten Trend zugunsten des
Assessment Centers, wobei die beobachteten Mittelwertunterschiede allerdings nur für die
Aspekte Transparenz und Urteilskommunikation signifikant waren. Bezüglich der
Urteilskommunikation ist festzustellen, daß Feedback standardmäßig zu den festen
Bestandteilen eines guten Assessment Centers gehört, während es im Verfahren des
Bewerbungsgesprächs nicht fest verankert ist. Feedback wäre aber auch im Rahmen eines
Vorstellungsgesprächs durchführbar, wodurch sich die Beurteilungen der Bewerber
entsprechend verbessern müßten. Dies würde allerdings voraussetzen, daß
Bewertungskriterien bewußt formuliert werden, für die dann Rückmeldung gegeben wird.
Bei der Betrachtung der Einschätzungen zu Assessment Center und Bewerbungsgespräch
stellt sich natürlich die Frage, warum die Gesamteinschätzung für beide Verfahren einen
gleich positiven Wert ergab. Frühere Studien ergaben sogar einen positiveren Wert für das
Bewerbungsgespräch (Fruhner, Schuler, Funke und Moser, 1991). Ein Grund hierfür könnte
sein, daß das Assessment Center durch seine längere Dauer und verschiedenartigen Aufgaben
als anspruchsvoller und damit auch belastender erlebt wird. Dazu kann eine Unsicherheit über
die Anforderungen des Assessment Centers kommen, die bei einem Bewerbungsgespräch
durch die Einfachheit und Bekanntheit der Interviewsituation entfällt. Eine Konsequenz
hieraus wäre, für Bewerber mehr Transparenz über die Vorteile des Assessment Centers zu
bieten, um damit allgemein eine positivere Einschätzung des Verfahrens zu erreichen.
Welche Konsequenzen können nun Praktiker aus den vorliegenden Ergebnissen ziehen?
Entschließt sich ein Unternehmen, die Sicht der Bewerber in einem Auswahlverfahren ernst
zu nehmen, so sollte das zum einen Konsequenzen für die Auswahl und Gestaltung des
Verfahrens selbst haben, zum anderen kann aber auch über die Veränderung der
Rahmenbedingungen der Eindruck des Bewerbers verbessert werden. Da bei der Auswahl des
Verfahrens Widersprüche zwischen sozialer und technischer Validität auftreten können, ist
diese Möglichkeit zunächst weniger attraktiv. Dennoch kann über die Modifizierung des
Auswahlverfahrens, wie mehr Information, mehr Transparenz von Ablauf und Zielsetzung
und die Einführung von Feedback z.B. auch beim Einsatz von Testverfahren auch hier eine
Optimierung stattfinden. Direkt umsetzbar sind die Anforderungen an Rahmenbedingungen
Mannheimer Beiträge 2/98
69
und Organisation zur Verbesserung der sozialen Validität. Anregungen hierzu liefert die Liste
„Optimale Auswahlsituation“.
6
Literatur
Flanagan, J. C. (1954). The critical incident technique. Psychological Bulletin, 1, 327-358.
Fruhner, R., Schuler, H., Funke, U. & Moser, K. (1991). Einige Determinanten der Bewertung
von Personalauswahlverfaren. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie,
35. Jg, 170-178.
Köchling, A. C. & Körner, S. (1996). Personalauswahl aus der Sicht der Betroffenen: Zur
bewerberorientierten Gestaltung von Beurteilungssituationen. Zeitschrift für Arbeitsund Organisationspsychologie, 40. Jg, 22-37.
Mayring, P. (1995). Qualitative Inhaltsanalyse, Grundlagen und Techniken (5. Aufl.).
Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
Schuler, H. (1990). Personalauswahl aus der Sicht der Bewerber: Zum Erleben
eignungsdiagnostischer
Situationen.
Zeitschrift
für
Arbeitsund
Organisationspsychologie, 34. Jg, 134-191.
Schuler, H. & Stehle, W. (1983). Neuere Entwicklungen des Assessment-Center-Ansatzes beurteilt unter dem Aspekt der sozialen Validität. Psychologie & Praxis. Zeitschrift für
Arbeits- und Organisationspsychologie, 27. Jg, 33-44.
Schuler, H. & Stehle, W. (1985). Soziale Validität eignungsdiagnostischer Verfahren:
Anforderung für die Zukunft. In: H. Schuler & W. Stehle (Hrsg.).
Organisationspsychologie und Unternehmenspraxis: Perspektiven der Kooperation (S.
133-138). Stuttgart: Hogrefe.
Herunterladen