DeutschlandRadio Funkhaus Köln DEUTSCHLANDFUNK Hintergrund/Feature Redaktion: Karin Beindorff Sendung: Dienstag, 25.11.2003 19.15 - 20.00 Uhr PROJEKT EURO-ISLAM Muslime in Spanien und die Wiederbelebung von Al-Andalus von Bettina Ambach Co-Produktion WDR/DLF Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. DeutschlandRadio - unkorrigiertes Exemplar - 2 O-Ton Brahim Bahedda: (El libro no dice nada de ....dejar marcas en la cara.) Übersetzer Bahedda: Im Buch steht überhaupt nichts Spektakuläres. Die Situation der muslimischen Frau wird in ihrer historischen Entwicklung dargestellt. Da steht lediglich: “Du sollst sie nicht schlagen. Solltest Du sie wegen rebellischen Verhaltens doch schlagen müssen, schlag sie nicht in den Bauch, weil sie schwanger sein könnte, und schlag sie nicht ins Gesicht, weil das Spuren hinterlässt. O-Ton Jadicha: (No quiero que se extienda el wahabismo....que son beduinos.) Übersetzerin Jadicha: Ich als spanische Muslimin will nicht, dass sich die Lehre dieser saudischen Wahabiten bei uns ausbreitet. Wir haben das Recht, unseren spanischen Islam, einen Islam des 21. Jahrhunderts zu leben. Von den beduinischen Traditionen dieser Herren will ich wirklich nichts wissen. Autorin: Der erste, Brahim Bahedda, ist persönlicher Sekretär des Imams der Moschee in Fuengirola an der Costa del Sol. Der Imam Kamal Mustafa wartet gerade auf seinen Prozess; er ist angeklagt, in seinem Buch “Die Frau im Islam” Gewalt gegen Frauen zu verherrlichen. Die Staatsanwaltschaft hat drei Jahre Gefängnis und 11.000 Euro Strafe beantragt. Die zweite, Jadicha Candela, ist vor 24 Jahren zum Islam konvertiert. Seit Jahren kämpft sie gegen den Propagandafeldzug der aus Saudi-Arabien finanzierten Muslime in Spanien. Wenn Kamal Mustafa in den nächsten Wochen auf der Anklagebank Platz nimmt, wird Jadicha Candela als Vertreterin einer muslimischen Frauenorganisation im Publikum sitzen. Ansage Musik Andalusí 3 Projekt Euro-Islam Muslime in Spanien und die Wiederbelebung von Al-Andalus Von Bettina Ambach Autorin: Wie wahr ist es doch, dass es den einen Islam nicht gibt. Noch nie bin ich während einer journalistischen Recherche mit so viel widersprüchlichen Informationen versorgt worden. Noch nie habe ich Anhänger ein und derselben Religion getroffen, die sich gegenseitig dermaßen verteufelt haben. Interviewpartner, die mir auf den ersten Blick liberal und ehrlich erschienen, entpuppten sich später als Fundamentalisten. Viele wichen meinen Fragen aus, vertuschten, beschönigten, logen. Am Ende meiner Recherche rief mich schließlich der spanische Geheimdienst an. Sie hätten Interesse, mit mir über meine “Eindrücke” von der islamischen Welt in Spanien zu reden. Ich war die ganze Zeit beobachtet worden. Dossier-Stimme: In Europa leben 14 bis 15 Millionen Muslime - vorwiegend Einwanderer aus der Türkei, aus asiatischen und arabischen Ländern, sowie aus Nordafrika. Das ist keine Immigrationswelle, die plötzlich gekommen ist und wieder geht. Die Muslime sind hier, um zu bleiben - in einem überwiegend christlichen Umfeld, in säkularen, liberalen Gesellschaften, mit ihren eigenen Traditionen. O-Ton Jadicha: (Somos musulmanes de este siglo....aqui no hay tal.) Übersetzerin Jadicha: Wir sind Muslime dieses Jahrhunderts, wollen die Menschenrechte akzeptiert wissen und in einer Demokratie leben. In unserem Islam soll es keine religiöse Instanz geben, die sich wie ein Kirchenapparat zwischen den Gläubigen und Gott stellt. Keiner soll uns irgendeine Ideologie aufzwingen dürfen. Autorin: Jadicha Candela hat sich ganz dem Freiheitsprinzip verschrieben. Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, die Freiheit, innerhalb des weltweiten Islam ihren eigenen Glauben zu 4 definieren. Jadicha Candela arbeitet als juristische Sachverständige der sozialistischen Partei in Madrid. Von der üppig bewachsenen Dachterrasse ihres Hauses auf der Plaza de Tirso Molina blickt man über die Dächer der Altstadt. Nach der Arbeit empfängt sie mich, gekleidet in ein langes arabisches Gewand und erzählt von der bleiernen Zeit der FrancoÄra, dem repressiven Staats-Katholizismus, der bis zum Tod Francos 1975 in Spanien herrschte. In diesen Jahren schloss sich Jadicha mit anderen aus der alternativen, linken Bewegung zusammen: O-Ton Jadicha: (Al principio fue....conversion al islam.) Übersetzerin Jadicha: Ich wollte von der katholischen Religion nichts mehr wissen, weil ich ihre Nähe zur FrancoDiktatur verurteilte. Danach fühlte ich mich wie leer und machte mich auf die Suche nach einer neuen Spiritualität. Ich stieß auf die orientalische Tradition, die mich direkt zum Reich Al-Andalus führte. Schon damals hatte es eine Strömung des Sufismus gegeben, eine mystische Spielart des muslimischen Glaubens. Wir, die ersten Konvertiten, waren alle von dieser Sufismus-Strömung beeinflusst. Von Cordoba zogen wir alle nach Granada, wo wir uns als Gruppe niederließen. 1979 nahm ich schließlich den islamischen Glauben an. Musik von Al-Andalus (nachfolgendem Text unterlegen) Autorin: Viele der spanischen Konvertiten fanden den Weg zum Islam über den Sufismus. Die Sufis bilden eine tolerante, offene Strömung innerhalb des Islam. Ihnen geht es um die Verinnerlichung des Glaubens. Das ganze Leben ist für sie ein Weg zur Einheit mit Gott. Jadicha erzählt, dass sie sich damals oft für mehrere Wochen zurückgezogen hat, um zu meditieren. Ihr gefiel diese Art der Spiritualität - ohne die Verehrung der Heiligenbilder, ohne Mysterien, und ohne das ganze Klerikale der Katholiken. Aber schnell erschien ihr dieses Leben als zu “entrückt”, sie entschied sich für ein engagiertes Leben inmitten der spanischen Gesellschaft. Mit Jadicha sind mittlerweile 20.000 Spanier zum Islam konvertiert. Sie leben in ganz Spanien verteilt: 5 O-Ton Jadicha: (Nuestro islam es el mas genuino....del siglo 21.) Übersetzerin Jadicha: Unser Islam ist ein echter, unverfälschter Islam, weil er 500 Jahre lang wie unter einer Eisschicht konserviert worden ist. Diese Samenkörner der Toleranz und der Religionsfreiheit, die in Al-Andalus herrschten, können seit dem Tod Francos wieder wachsen. Es handelt sich hier nicht um einen “erneuerten” Islam. Wir müssen nichts erneuern. Wir wollen zurück zu einem Modell der Freiheit und der religiösen Pluralität, das hier vor 500 Jahren bereits geherrscht hat. Wir vertreten einen Islam in der Tradition von Al-Andalus und bezeichnen uns als die spanischen Muslime des 21. Jahrhunderts. Musik von Al-Andalus (folgendem Text unterlegen) Dossierstimme: Die islamische Herrschaft über Al-Andalus, ein Gebiet weit größer als das heutige Andalusien, begann mit der Invasion nordafrikanischer Berberheere im 8. Jahrhundert. Mit Mohammeds Kriegern kamen damals fortschrittliches Denken und tolerante Herrscher nach Europa. In Córdoba und Granada erblühten Kunst, Musik und Architektur, muslimische Forscher machten große Entdeckungen, jüdische Gelehrte wurden nicht nur toleriert - sie berieten die andalusischen Emire und waren für sie als Diplomaten tätig. In den letzten Jahren warnen allerdings immer mehr Orientalisten vor einer Verklärung von Al-Andalus. Gema Martin Munoz, Soziologieprofessorin an der Autonomen Universität Madrid, wehrt sich dagegen, das Attribut der großen Toleranz als rein europäisches Phänomen zu betrachten: O-Ton Munoz: (La exceptionalidad de Al-Andalus....que en la Europa cristiana.) Übersetzerin Munoz: Das muslimische Reich Al-Andalus war nichts Außergewöhnliches. Ja, es herrschte große Toleranz, aber nicht nur hier auf der spanischen Halbinsel, sondern im ganzen islamischen Reich, von Kairo, über Damaskus bis nach Bagdad. All diese Reiche zeichneten sich durch eine enorme Toleranz gegenüber den religiösen Minderheiten aus. Warum wären die Juden sonst in die muslimischen Reiche Nordafrikas ausgewandert, nachdem sie von den katholischen Königen im Mittelalter aus Spanien vertrieben wurden? 6 Die Antwort wollen viele Europäer bis heute nicht wahrhaben: Weil die islamische Welt bis zum Zusammenbruch des Osmanischen Reiches Ende des 19. Jahrhunderts anderen Bevölkerungsgruppen gegenüber toleranter und anderen Religionen gegenüber respektvoller war als das christliche Europa. Dossier-Stimme: Tatsächlich begann mit dem Sieg über Al-Andalus und mit der katholischen “Reconquista” im Jahre 1492 ein dunkles europäisches Kapitel: Eine Epoche der Toleranz wurde von der Schreckensherrschaft der katholischen Inquisition abgelöst - vor über 500 Jahren. Der Islam-Experte Javier Valenzuela von der spanischen Tageszeitung “El País”: O-Ton Valenzuela: (Espana fue un país....con otros países europeos.) Übersetzer Valenzuela: Die Reconquista beendete eine 800 jährige islamische Herrschaft in Spanien. Ab 1492 und während des ganzen 16. Jahrhunderts wurde fast die gesamte jüdische und muslimische Bevölkerung aus Spanien vertrieben - vertrieben und verfolgt durch die Inquisition. In den letzten 25 Jahren hat in Spanien eine Rückkehr des Islam stattgefunden. Ich betone das Wort Rückkehr, weil diese Tatsache uns von anderen europäischen Ländern unterscheidet. Dossierstimme: Jadicha hat viel von dieser Rückkehr geredet. Insbesondere für die Stadt Granada war das ein bedeutendes historisches Wiedersehen - war doch Granada das letzte verbliebene Königtum im muslimischen Reich Al-Andalus vor der katholischen Reconquista gewesen. Die spanischen Konvertiten ließen sich Anfang der achtziger Jahre in Granada nieder gegenüber der Alhambra, im Altstadtviertel Albaicín. Atmo: Arabische Stimmen, arabische Musik aus Läden (Text unterlegen) Autorin: Da, wo sich die beiden Straßen Calderería Nueva und Calderería Vieja treffen, reihen sich orientalische Teestuben und arabische Restaurants aneinander. In der Luft hängt der Duft von Honig und Sesam, in den Imbissbuden werden Falafel und Shiskebab verkauft. 7 Marokkanische und syrische Andenkenläden, Töpfereien und Geschäfte mit Lederarbeiten erinnern an einen arabischen Suk. Spanisch mischt sich mit arabischen Gesprächsfetzen, ab und zu hört man die lauten Stimmen der ausländischen Touristen. Einige der nordafrikanischen Männer tragen das typische lange Dschellabah-Gewand, arabisch sprechende Frauen tragen Kopftuch. 12.000 Muslime leben in Granada - unter ihnen etwa 1000 spanische Konvertiten. Die Mehrheit sind Einwanderer aus Marokko. Atmo: leise arabische Musik und Wassergeplätscher vom Springbrunnen des Restaurants, “Hola, se puede comer algo? Si por supuesto...” (unter Text legen) Autorin: Das marokkanische Restaurant Arrayanes im Albaícin-Viertel von Granada hat einen guten Ruf. Abends sitzen hier Spanier neben Immigranten und Touristen. Der Besitzer Mustafa Bougrine lebt seit 18 Jahren in Spanien und ist mit einer Spanierin verheiratet, die zum Islam konvertiert ist. Mustafa fühlt sich hier in Andalusien zu Hause: O-Ton Mustafa: (Hasta sus rasgos....han quedado aqui.) Übersetzer Mustafa: An den Gesichtszügen, an den Namen, kurz an der ganzen Sprache merkt man doch, dass die heutigen Spanier teilweise arabische Vorfahren hatten: Die Leute sagen “ojalá” für hoffentlich - das kommt von “inschallah”, almohada, das Kissen, aceite, das Öl - alles Namen mit arabischem Ursprung. Granada ist berühmt für die Alhambra - und wer hat sie erbaut? Die Architektur, das der Trockenheit angepasste Bewässerungssystem - so viel wertvolle Dinge aus muslimischer Zeit, die im heutigen Spanien überlebt haben. Atmo: Nachrichten von al-Dschasira Autorin: Eine laute Stimme übertönt die Hintergrundmusik und das Plätschern des Springbrunnens. Der Kellner hat die Nachrichten des Senders al-Dschasira eingeschaltet. Mustafa sieht die Bilder eines neuen Selbstmord-Anschlags in Israel. Natürlich verurteile er diese Anschläge. Aber das berechtige die westliche Welt nicht, jeden Muslim automatisch als 8 Terroristen zu verdächtigen. Was habe er mit Bin Laden zu tun? Dossier-Stimme: “Jede Typologisierung des spanischen Islam kann nur eine fälschliche Vereinfachung sein”, sagt Sol Tarrès Chamorro, Anthropologin von der Universität Sevilla. O-Ton Chamorro: (Dentro del propio.....pequeno caos.) Übersetzerin Chamorro: Innerhalb der muslimischen Gemeinschaft Spaniens gibt es viele interne Spannungen. Man streitet sich um das Recht, die Muslime vor dem Staat zu vertreten. Es herrscht ein wenig Chaos. Dossierstimme: Ich versuche trotzdem, dem “Chaos” eine grobe Ordnung zu geben. Die spanischen Konvertiten bilden nur eine kleine Gruppe innerhalb der muslimischen Gemeinschaft - 20.000 von 450.000 Muslimen insgesamt. Die meisten Konvertiten haben sich in Verbänden organisiert und haben sich in der “Islamischen Kommission” registrieren lassen. Der Staat hatte es bei den Verhandlungen mit den Muslimen um die Festschreibung ihrer Rechte zur Bedingung gemacht, dass sich alle muslimischen Gruppen in einer “comisión islámica” zusammenschließen. Diese Kommission ist Ansprechpartner für den Staat. Die Mehrheit der eingewanderten Muslime fühlt sich jedoch durch diese Kommission nicht repräsentiert. Insgesamt fällt auf, dass die Gruppe der Konvertiten eher unter sich bleibt, nur wenige Einwanderer mischen sich unter die “neuen Muslime des 21. Jahrhunderts”. Autorin: In Spanien kommt die Diskussion über einen Euro-Islam nicht so richtig in Gang. Muslime in Europa - von einigen Politikern wird das immer noch wie ein vorübergehendes Phänomen behandelt. Aber auch bei den Muslimen gibt es Widerstände, wenn es um einen modernen, ans 21. Jahrhundert angepassten Islam geht. Sich von dem Islamverständnis ihrer meist arabischen Heimatländer freizumachen, etwas Neues zu entwickeln und vor allen Dingen die Trennung von Staat und Religion zu akzeptieren, fällt vielen immigrierten Muslimen schwer. Aber auch einige der spanischen Konvertiten lehnen 9 den säkularen Staat ab. Mikail Alvarez ist Ingenieur im andalusischen Sevilla und konvertierte vor 20 Jahren zum Islam. Für ihn sollen die Grundsätze einer Gesellschaft auf religiösen Werten aufgebaut sein: O-Ton Alvarez: (El islam es una forma de vida....pero no son musulmanes.) Übersetzer Alvarez: Der Islam ist eine einheitliche Lebensform; das beinhaltet den Glauben, die Art und Weise, zu leben, politische Aktivitäten, die Scharia. Das kann man nicht voneinander trennen denn dann handelt es sich nicht mehr um den Islam. Die Euro-Muslime, die eine Trennung von Religion und Staat befürworten, haben ein großes Problem: Sie sind zwar zu Europäern geworden, aber sie sind keine wahren Muslime mehr. Autorin: Jadicha Candela wird wütend, wenn sie die Leute über den “wahren” Islam reden hört. Sie betrachtet ihren Glauben eher als etwas Privates; es sei ganz allein ihre Entscheidung, welchen Weg sie zu Allah einschlage. Der Islam ist für sie eben nicht ein religiöspolitischer Verhaltenskode, der für alle Muslime gültig sein muss. Und was die Probleme einiger Muslime mit der säkularen Gesellschaft betreffe, so würden sie etwas Wesentliches vergessen: Nur die Trennung von Staat und Religion garantiert im vorwiegend christlichen Europa die Religionsfreiheit. Denn gäbe es eine Staatsreligion, wäre es für die Muslime in Europa wahrscheinlich unmöglich, ihre Religion frei auszuüben. O-Ton Lopez: (Este Euro-Islam...de los textos sagrados.) Übersetzer Lopez: Dieser Euro-Islam ist ein verinnerlichter Islam, reduziert auf den religiösen Glauben, getrennt vom Politischen. Für die Euro-Islamisten bedarf der Islam einer ständigen Interpretation der heiligen Schriften. Autorin: Bernabé Lopez ist Professor für Zeitgenössische Geschichte des Islam an der Autonomen Universität Madrid. Seiner Ansicht nach haben die Muslime in den westlichen Demokratien 10 die große Chance, den Islam zu modernisieren: O-Ton Lopez: (En Europa....una filosophia mundo.) Übersetzer Lopez: Hier in Europa sollte der Ischtihad neu belebt werden; eine zeitgemäße Interpretation der Dogmen des Islam sollte versucht werden. Die heiligen Texte müssen neu gelesen und neu interpretiert werden, so dass der Islam wieder eine welterfahrene Philosophie verkörpert - so wie es einer Religion mit einer so reichen Geschichte gebührt. Dossier-Stimme: Ischtihad - ein wichtiges Element in der islamischen Rechtslehre. Die Grundlagen des islamischen Rechts sind der Koran und die Sunna, die überlieferten Aussprüche und Handlungen des Propheten. Der dritte Grundsatz der Rechtsfindung ist der Ischtihad: Ischtihad bedeutet, den Koran mittels rationaler Überprüfung zeitgemäß auszulegen. Die progressiven Elemente des Koran können so hervorgehoben werden, anachronistische Prinzipien aber in den historischen Archiven verschwinden. Atmo: Alhamdulilahi...Salam maleikum, buenos días... Autorin: Die “Junta Islamica”, eine Organisation der spanischen Konvertiten, hat in Sevilla einen internationalen Kongress aller spanisch-sprechenden Muslime organisiert. Die spanischen Konvertiten wollen mit ihren Glaubensgenossen auf der anderen Seite des Atlantiks Kontakt aufnehmen. Am frühen Nachmittag versammeln sich die Teilnehmer des Kongresses zum Gebet. Unter einem großen Zelt sitzen in den ersten Reihen die Männer, hinten die Frauen. Atmo: Gebet Autorin: Ganz vorne kniet Muhammad Ahmed Sherif, Generalsekretär der “Internationalen islamischen Dawa-Gesellschaft”. Muhammad Ahmed Sherif ist Libyer, ehemaliger Erziehungs- und Bildungsminister unter Gaddafi und seit 20 Jahren für die Dawa- 11 Gesellschaft tätig. Dabei handelt es sich um eine einflussreiche islamische Organisation, mit der Gaddafi in der ganzen Welt muslimische Bewegungen unterstützt. Auch auf diesem Kongress der spanischen Konvertiten tritt die Dawa-Gesellschaft als Hauptsponsor auf. Dossier-Stimme: Ich fange an, an dieser Gruppe der Konvertiten zu zweifeln. Wie passt es zusammen, ständig von Demokratie und Menschenrechten zu sprechen und sich dann von Libyen einen Kongress finanzieren zu lassen? Als ich Jadicha später in Madrid wiedertreffe, macht sie sich Luft über “ihre” Leute: O-Ton Jadicha: (Mansur de la Junta Islámica....como vivir su religión.) Übersetzung Jadicha: Der Vorsitzende der Junta Islamica hat Beziehungen zu Syrien, Iran und Libyen. Da geht es um finanzielle Unterstützung von Projekten, Kongressen und Hilfe bei der Herausgabe von Büchern. Ich bin mit der Koraninterpretation dieser Herren und besonders mit dem politischen Regime in Libyen überhaupt nicht einverstanden. Bei dieser Organisation “Dawa Islamica” handelt es sich doch auch wieder um eine Gruppe von Missionaren, die uns ihren Islam vorschreiben wollen. Mit diesen Leuten will ich nichts zu tun haben. (Spanischen O-Ton hochziehen, kurz stehen lassen und weiter mit Übersetzung: ....no me relaciono. Se ha creado una confusión tremenda....) Es herrscht große Verwirrung unter den spanischen Konvertiten, man kann auch sagen, dass ein Chaos herrscht. Wir sind einfach total unterschiedliche Leute. Ich bin zum Beispiel überhaupt nicht damit einverstanden, dass der marokkanische König als religiöses Oberhaupt verehrt werden soll. Andere bewundern Libyen oder Iran. Mir gefällt keines dieser Modelle, mir gefällt unsere demokratische Ordnung, in der ich meine Projekte umsetzen kann. Jeder soll sich frei entscheiden können, wie er seine Religion leben will. 12 Dossierstimme: Das Bild einer gefestigten Gruppe von spanischen Konvertiten, die einen europäischen, säkularen, liberalen Islam vertritt, ist in sich zusammengebrochen. Jadicha ist also doch eine Einzelperson, die ihre ganz persönliche Art eines Euro-Islams vertritt. Unter den spanischen Konvertiten herrschen grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten bis hin zur Anfeindung. Und ihre Repräsentanten pflegen Kontakte zu undemokratischen arabischen Ländern, die ihnen auch schon mal ihre Kongresse finanzieren. Genau das, was die Konvertiten so gerne an den nordafrikanischen Immigranten kritisieren, die saudisches Geld akzeptieren. Atmo: Teestube, leise arabische Musik Autorin: Akdelkhalak El-Kamouni ist Besitzer des Restaurants Al-Aman an der Plaza de Espana in Madrid. Er kam vor 25 Jahren aus Marokko nach Madrid. “Gelernter Schuhmacher”, sagt Akdelkhalak stolz. Als in den 90er Jahren immer mehr Immigranten nach Spanien kamen, eröffnete er sein marokkanisches Restaurant. Im Untergeschoss befindet sich eine plüschige Teestube. Akdelkhalak serviert mir einen süßen arabischen Tee mit Minze: Atmo: Tee eingießen O-Ton El-Kamouni: (En Lavapiès en la mezquita Buda....no muy bien. Algo algo.) Übersetzer Kamouni: Im Madrider Viertel Lavapiès leite ich in der Moschee Buda das Freitagsgebet. Naja, Moschee ist vielleicht zu viel gesagt, das ist eine Garage von 100 Quadratmetern, wo wir an den Wochenenden auch Arabisch- und Koran-Unterricht geben. Da wir kein Geld haben, einen richtigen Imam zu bezahlen, mache ich das. Ich hab´ zwar keinen Doktortitel, aber den Koran kenne ich schon ganz gut - so halbwegs zumindest. (lacht) Autorin: Die meisten der nordafrikanischen Immigranten fühlen sich in den beiden großen Moscheen von Madrid nicht wohl. Sie werden im Volksmund nur die Moschee der Saudis und die der Syrer genannt. Sie gehen lieber dahin, wo auch ihre marokkanischen 13 Nachbarn und Freunde hingehen. Mohamed Chouirdi arbeitet für den “Verein der marokkanischen Arbeiter und Immigranten”. Er findet es bedenklich, unter welch ärmlichen Umständen seine Landesgenossen ihre religiösen Pflichten erfüllen. Denn die Gefahr, einen finanzstarken Retter zu akzeptieren, ist groß: O-Ton Chouirdi: (Sospechamos que algunas mezquitas....lo aceptan, no lo discuten.) Übersetzer Choudiri: Wir vermuten, dass die kleinen marokkanischen Wohnzimmermoscheen, die es in den Randbezirken Madrids gibt, bereits saudi-arabisches Geld bekommen. Damit versucht Saudi-Arabien, seinen Islam und seine Praktiken, nämlich die des Wahhabismus, zu verbreiten. Das Problem ist, dass die marokkanischen Immigranten einen sehr niedrigen Bildungsstand haben und so die Gefahr dieser religiösen Praktiken nicht erkennen. Für sie bedeutet Islam fünf Mal am Tag beten und viele Regeln befolgen. Was immer von außen kommt - in diesem Fall von Saudi-Arabien - wird ohne kritische Prüfung akzeptiert. Dossierstimme: Die Muslime aus den nordafrikanischen Maghreb-Ländern, allen voran Marokko, machen die große Mehrheit unter den spanischen Muslimen aus. Sie kamen in den achtziger, verstärkt in den neunziger Jahren und arbeiten vorrangig in der Landwirtschaft, in der Bauwirtschaft oder als Hausangestellte. Sie sind die stumme Mehrheit unter den Muslimen in Spanien. In unzähligen kleinen Assoziationen organisiert, kämpfen sie hauptsächlich ums wirtschaftliche Überleben. Allenfalls setzen sie sich für die Errichtung einer Moschee in ihrem Wohnviertel ein. Um das zu erreichen, akzeptieren sie jede Hilfe, auch wenn sie zunehmend von einem Land kommt, dessen strengen Islam sie eigentlich ablehnen: Saudi-Arabien. Atmo: Freitagsgebet in der Madrider Moschee an der M30: Atmo vor der Moschee, arabische Stimmen Autorin: Die Moschee an der M30, dem Autobahnring rund um Madrid, ist die größte in ganz Spanien. Die Moschee wurde mit saudischem Geld gebaut. Es ist Freitag, Viertel vor Drei, 14 und Muslime strömen in das Gebetshaus - heute sind es bestimmt über 1000 Menschen. Die meisten kommen in langen Gewändern, die Frauen tragen Kopftücher. Vor der Moschee hat sich ein kleiner Straßenmarkt gebildet; die Menschen drängen sich um Stände mit frischer Minze, Wurst und CD´s mit arabischer Popmusik. Die Moschee ist beeindruckend, 1000 Quadratmeter groß und vollständig aus hellem Marmor. Neben dem großen Haupteingang führt eine kleine bescheidene Tür zum 1. Stock. Hier beten die Frauen in einem langen Raum mit Lautsprechern. Durch ein Holzgitter schaut man auf die reich verzierte, mit feinen Teppichen ausgelegte Gebetshalle für die Männer. Die Frauen - junge wie alte - sitzen eng aneinandergedrängt, einige plaudern mit ihrer Nachbarin, andere lassen gedankenversunken die Gebetskette durch ihre Finger gleiten. Kleine Kinder tollen in Sonntagskleidung durch den Raum. Dann beginnt die Predigt. Atmo: Predigt Autorin: Der Imam der Moschee ist ein Ägypter, er predigt auf Arabisch. Die versprochene Simultanübersetzung ins Spanische gibt es nur für die paar Auserwählten, die einen der wenigen Kopfhörer ergattern konnten. Die Stimme des Imam wird immer lauter. Atmo: Predigt (jetzt lauter und in hetzendem Ton) O-Ton Afifi: (Nosotros somos un centro....puentes de comunicación.) Übersetzer Afifi: Wir sind ein islamisches Kulturzentrum, das allen Muslimen - egal welcher Herkunft oder welcher islamischen Strömung angehörend - seine Dienste anbietet. Außerdem wollen wir die islamische Kultur in Spanien bekannt machen, Kommunikationsbrücken schlagen. Autorin: Mohamed El Afifi, ebenfalls ägyptischer Herkunft, ist Sprecher des islamischen Kulturzentrums - wie sich die Moschee offiziell nennt. O-Ton Afifi: (Tenemos tambien....13.000 metros cuadrados.) 15 Übersetzer Afifi: Wir haben auch eine Schule - keine religiöse Schule, sie ist vom spanischen Staat anerkannt. Hier unterrichten wir nach unserem Erziehungsmodell auf arabisch und bieten auch islamischen Religionsunterricht an. Dann gibt es noch zwei Ausstellungsräume, ein Veranstaltungssaal, ein Fitness-Studio, eine Bibliothek, eine Cafeteria und ein Restaurant - auf einer Fläche von insgesamt 13.000 Quadratmetern. Autorin: Die hochgelobte Schule darf ich allerdings nicht besuchen. Die betonte Offenheit scheint doch Grenzen zu haben. Kenner der Szene haben mir erzählt, dass in den letzten Jahren fast nur noch Lehrer saudischer Nationalität mit entsprechender ideologischer Ausrichtung eingestellt wurden. Atmo: Tee eingießen unterlegen Autorin: Seit 28 Jahren lebt Afifi in Spanien. Er ist mit einer Spanierin verheiratet und fühlt sich vollkommen integriert. Jahrelang arbeitete er als Diplomat, zuerst in der ägyptischen Botschaft in Madrid, dann sechs Jahre bei den Vereinten Nationen in New York. Freundlich geht er allen brenzligen Fragen aus dem Weg: O-Ton Afifi: (La construcion del centro.....Unesco es frances?) Übersetzer Afifi: Die Kosten für die 1992 eingeweihte Moschee - 20 Millionen Euro - hat damals das saudische Königshaus übernommen. Aber das Zentrum gehört einer internationalen Organisation, der “Liga der Islamischen Welt”. Nur weil der Sitz dieser Organisation in Saudi-Arabien ist, kann man doch nicht sagen, dass diese Organisation saudisch ist. Der Sitz der Unesco ist Paris - kann man deshalb vielleicht sagen, dass die Unesco französisch ist? Autorin: Später werde ich im Islam-Lexikon nachschlagen: “Die Liga der Islamischen Welt wird von 16 Saudi-Arabien finanziert und dient als Sprachrohr saudischer Interessen. Eines ihrer Hauptziele ist die islamische Mission; die vom richtigen muslimischen Glauben Abgefallenen sollen wiedergewonnen werden.” Am Ende des Gesprächs greift Afifi in eine große Kiste mit schön gebundenen rotgoldenen Büchern; zum Abschied gibt´s eine Koran-Ausgabe in spanischer Übersetzung herausgegeben in Saudi-Arabien. Arabische Musik Dossier-Stimme: Der Islam aus Saudi-Arabien mit seinen fundamentalistischen Zügen breitet sich in Spanien immer mehr aus. Er ist zwar sichtbar - alle großen repräsentativen Moscheen in Spanien wurden mit saudischem Geld gebaut - aber die Verantwortlichen treten nicht offen auf. Als Hauptquartier gilt die Madrider Moschee an der M30. Die wenigsten Muslime in Spanien kommen aus Saudi-Arabien. Aber von dort kommt das Geld, mit dem Moscheen und Kulturzentren gebaut werden. Oft wird der Imam, der in ihrem Sinne den Koran auslegt, gleich mitgeschickt. Seit den achtziger Jahren haben sich wahhabitische Kräfte aus Saudi-Arabien daran gemacht, mit Hilfe ihrer Petro-Dollars ihr mittelalterliches IslamKonzept in alle Welt zu exportieren. Ihr Religionsverständnis zeichnet sich dadurch aus, dass aufklärerische und innovative Reformbewegungen im Islam als ketzerisch verschrien werden. Sie fordern eine buchstabengetreue Auslegung des Koran und rigorose Sittenstrenge. Muslime, die den Wahhabismus ablehnen, werden als Ungläubige verurteilt. Damit ist der Wahhabismus der Ziehvater aller Varianten des militanten Islamismus: Sowohl die Muslimbruderschaft aus Ägypten als auch die Taliban sind Bewunderer von Mohammed Ibn Abd Al Wahhab, seinem Begründer. Atmo: arabisches Stimmenwirrwarr Autorin: Auch die Moschee von Fuengirola an der Costa del Sol wird von Saudi-Arabien finanziert. Ich versuche, mit dem Imam der Moschee Kontakt aufzunehmen. Aber sein persönlicher Sekretär erklärt mir, dass der Imam zur Zeit keine Interviews gibt. Das verwundert nicht: Die Staatsanwaltschaft von Barcelona hat für den aus Ägypten stammenden Imam Kamal 17 Mustafa drei Jahre Gefängnis und 11.000 Euro Geldstrafe beantragt. In seinem Buch hatte er beschrieben, wie man seine Frau zu schlagen hat, ohne Spuren zu hinterlassen. Der Stock sollte nicht zu dick sein, weil ansonsten Blutergüsse oder gar Narben zu sehen wären. Außerdem gehe es ja vorrangig darum, die Frau psychisch zu demütigen. Die Bücher wurden in den islamischen Kulturzentren verteilt, unter anderem auch in der Moschee an der M30 von Madrid. Man wartet jeden Tag auf die Verkündung des Verhandlungstermins. Kamal Mustafas persönlicher Sekretär gibt sich kämpferisch: O-Ton Bahedda, Sekretär: (Caso de que....chorradas y mentiras.) Übersetzer Bahedda: Sollte das Gericht auf die Kampagne der Medien reinfallen, werden wir vor der nächsthöheren Gerichtsinstanz Berufung einlegen. Aber ich habe da gar keine Zweifel. Das Buch sagt doch nicht: Nimm´ diesen Knüppel und hau´ ihn auf den Kopf Deiner Frau. Das sind doch alles Lügen und reiner Blödsinn. Autorin: Kamal Mustafa fühlt sich mal wieder ungerecht behandelt. Man habe diese beiden Seiten aus dem Kontext gerissen und sie falsch interpretiert. Nun redet er doch mit mir. Lädt mich sogar zum Tee ein. In einem strahlend weißen Gewand sitzt der Imam hinter einem großen Schreibtisch, umgeben von Bücherregalen mit wertvoll eingefassten Koranausgaben. An der Wand hängt ein großes Foto vom Felsendom in Jerusalem. In gebrochenem Spanisch betont er seinen schon immer vorhandenen Willen zur Modernisierung. Die ganze Geschichte mit dem Buch sei doch nur ein Rachefeldzug der Ungläubigen, mit dem Ziel den Islam zu diffamieren. Jadicha Candela kennt den Imam von Fuengirola sehr gut. Jahrelang versuchte er als Mitglied der “Spanischen Föderation der islamischen Vereine” die ideologische Führung zu übernehmen. Mit einem “Ulema-Rat”, einem Rat der Gelehrten, wollte er das Monopol in der Koranauslegung übernehmen. All die Versuche sind bisher gescheitert. O-Ton Jadicha: (Son todos organismos....que son beduinos.) 18 Übersetzerin Jadicha: Hinter der Moschee von Fuengirola steckt die Stiftung “Suhail”. Diese Zentren, die sich “rabita” nennen, haben zum Ziel, die Ideologie des Wahhabismus in der ganzen Welt zu verbreiten. Sie heißen meistens “islamische Kulturzentren” - so wie die Moschee in Fuengirola und die große Moschee an der M30 in Madrid. Das Geld kommt aus SaudiArabien. Bei unseren Nachforschungen haben wir Interessantes entdeckt: Die Eintragungen im Haushaltsbudget der saudischen Botschaft in Madrid belegen, dass 26 Moscheen in Spanien von der saudischen Botschaft finanziert werden. Ich als spanische Muslimin will aber nicht diesen saudischen Wahhabismus. Wir haben das Recht, unseren spanischen Islam, einen Islam des 21. Jahrhunderts zu leben. Von den beduinischen Traditionen dieser Herren will ich wahrlich nichts wissen. Musik: libysche Instrumentalmusik Autorin: Und der spanische Staat, was macht er angesichts der Ausbreitung eines Islam, der von konservativen arabischen Herren gesteuert wird? Die regierende Volkspartei PP scheint sich für die ausländische Einflussnahme auf die Muslime in Spanien nicht besonders zu interessieren. Schließlich gilt der reiche Ölstaat Saudi-Arabien als politischer Verbündeter. Solange das schwarze Gold fließt, scheint es den westlichen Partnern Saudi-Arabiens egal zu sein, dass dort die Menschenrechte mit Füßen getreten werden und dass von dort ein mittelalterlicher Islam nach Europa exportiert wird. Dossier-Stimme: Spanien spielte vor 11 Jahren eine Vorreiterrolle in bezug auf die gesetzliche Anerkennung des Islam. 1992 beschlossen die Regierung und die Islamische Kommission Spaniens ein für ganz Europa beispielhaftes Kooperationsabkommen. In Deutschland etwa gibt es bisher überhaupt keine offiziellen Kooperationsstrukturen zwischen dem Staat und der muslimischen Gemeinschaft - abgesehen von punktuellen Übereinkünften in Fragen des Religionsunterrichts. In Deutschland gibt es auch keine muslimische Dachorganisation, die repräsentativ für die hier lebenden Muslime sprechen könnte. In Spanien ist man mit dem Abkommen von 1992 schon wesentlich weiter: Erstmalig 19 wurden alle Religionen gesetzlich gleichgestellt. Damit bekamen die Muslime das Recht zugesprochen, Moscheen zu bauen, Islamunterricht in den Schulen einzurichten, sowie muslimische Feiertage zu begehen, die vom Arbeitgeber als solche anerkannt werden müssen. Die Friedhöfe müssen seitdem spezielle Bereiche für die Muslime bereitstellen, in den Krankenhäusern, Kasernen und Gefängnissen müssen Muslime ihre Religion ausüben können. Aber bei der Umsetzung dieser frommen Vorhaben hapert es. O-Ton Valenzuela: (O que integramos.....con los valores europeos.) Übersetzer Valenzuela: Entweder wir integrieren den Islam in Spanien und entwickeln einen spanischen, europäischen Islam, oder die anderen machen unsere Muslime zu Fundamentalisten. Wir müssen endlich akzeptieren, dass der Islam nicht nur vorübergehend hier ist, sondern ein Bestandteil der europäischen Kultur ist. Spanien sollte einen Teil seiner Steuergelder dazu verwenden, einen europäischen Islam zu fördern. Es geht doch so viel Geld an die katholische Kirche, warum nicht auch an andere Religionsgemeinschaften? Unser Erziehungsministerium sollte Lehrer in Islamwissenschaft ausbilden, die den Immigrantenkindern auf Spanisch (!) einen europäischen Islam näher bringen, der mit unserem Demokratieverständnis und den Menschenrechten vereinbar ist. Autorin: Der Islam-Experte Javier Valenzuela spricht einen heiklen Punkt an: die staatliche Finanzierung der Religionen. Jeder Spanier kann in seiner Steuererklärung durch ein Kreuz einen Teil seiner zu zahlenden Steuern der katholischen Kirche zukommen lassen. Aber die Alternative, diesen Anteil auch der muslimischen Religion gutzuschreiben, gibt es nicht. Joaquin Mantecón vom Justizministerium gesteht ein, dass eine Änderung dieser Bestimmung überfällig ist und versichert, dies sei durchaus “modifizierbar”. Schwerer zu lösen ist das Problem des islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen. Die Versprechen von 1992 wurden hier nur in wenigen Städten und nur vorübergehend umgesetzt. Es fehlt an geeignetem Lehrpersonal - in ganz Spanien gibt es keinen Lehrstuhl für islamische Religionswissenschaft. Dazu kommt, dass sich die islamischen Verbände oft nicht auf die Lehrer einigen können. Der Auswahlprozess ist weder einheitlich geregelt, noch koordiniert. So konnte es passieren, dass der umstrittene Imam von Fuengirola die Lehrer für islamische Religion für die öffentlichen Schulen 20 Malagas auswählen durfte. Diese wurden erst zurückgepfiffen, als es zum Skandal kam. Sie hatten ihre weiblichen Schüler angeblich angewiesen, Kopftuch zu tragen. Atmo: Einweihung, Stimmen, Koranrezitation Autorin: Noch einmal Granada: Nach 500 Jahren ohne ein repräsentatives islamisches Gebetshaus wird hier wieder eine Moschee eröffnet. Die Einweihung der “Neuen Moschee Granadas” wird als Auferstehung des Islam in Europa gefeiert - so will es zumindest die verantwortliche “Comunidad Islamica en Espana” verstanden wissen. Die “Islamische Gemeinschaft in Spanien” ist trotz des Namens nur eine kleine Gruppe von ein paar Hundert spanischen Konvertiten, die fast alle in Granada leben. Sie verstehen sich als ein Teil der weltweiten “Morabitun-Bewegung”, die sich nach mittelalterlichen Schwertmissionaren benannt hat. Atmo: Koranrezitation gesungen kurz hochziehen Autorin: Als „Emir“ der “Islamischen Gemeinschaft in Spanien” stellt sich Malik Abder Rahman Ruiz vor: O-Ton Malik: (Un estado islamico con un califato....está totalmente incorrecto.) Übersetzer Malik: Wir wollen einen islamischen Staat mit einem Kalifen an der Spitze. Einen Staat, der wie eine Pyramide strukturiert ist. Das demokratische System ist nicht gut für den Menschen, und es wird mit Sicherheit scheitern. In unserem Kalifatsstaat soll selbstverständlich die Scharia herrschen. Ich will nicht leugnen, dass sowohl die Steinigung bei Ehebruch und das Abhacken der Hände bei Diebstahl Strafmaßnahmen des Koran sind. Das steht nun mal im Koran. Diejenigen, die das abstreiten, versuchen den Islam zu reformieren und das ist grundliegend falsch. Atmo: Einweihung, arabische Begrüßungsworte 21 Autorin: 20 Jahre hat die “Comunidad Islamica en Espana” für die Errichtung dieser Moschee gekämpft. Es gab viele Widerstände in der katholischen Bevölkerung. Widerstände gegen die Errichtung einer Moschee im allgemeinen und Widerstände gegen die ideologische Ausrichtung dieser “comunidad islamica” im besonderen. Aber nun ist es soweit: Direkt gegenüber der weltberühmten Alhambra-Burg steht nun mitten im Altstadtviertel Albaicín eine große, strahlend weiße Moschee mit angeschlossenem Kulturzentrum und einem Garten im maurischen Stil. Finanziert wurde die vier Millionen Euro teure Moschee zum großen Teil ausnahmsweise nicht von SaudiArabien, sondern von den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ansonsten spielten noch Libyen und Marokko Zahlmeister. Die Konvertiten-Gruppe der Morabitun konnte so ihren Traum einer eigenen Moschee mit Minarett und Muezzin verwirklichen. Der Imam ist ein Marokkaner, er vertritt “die reinste Form des Islam, die es nur gibt” - so die Verantwortlichen. Allerdings wird er für die Predigt einen Übersetzer benötigen - der Imam spricht kein Spanisch. Atmo: Einweihung der Gedenktafel und Allah Ackbar-Rufe Autorin: Die Feierlichkeiten enden mit der Enthüllung einer Gedenktafel. Danach bahnen die Sicherheitskräfte den arabischen Würdenträgern einen Weg durch die Menge. Es geht zu wie bei einem Staatsbesuch. Tatsächlich sind hohe Gäste angereist: Der Emir des Scheichtums Sharjah aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Vertreter der Arabischen Liga, Diplomaten fast aller arabischen Botschaften. Nur von der spanischen Regierung ist keiner da: Der Bürgermeister von Granada hat sich vertreten lassen, vom Justizministerium, Abteilung religiöse Angelegenheiten, ist keiner anwesend. Atmo: gesungene Koran-Verse (kurz hochziehen, dann Text unterlegen) Autorin: Nachdem die arabische VIP-Riege den Ort verlassen hat, wird zum Ausschank eines Orangensafts geladen. Koran-Schüler aus Mallorca singen zum Ausklang der Veranstaltung Koran-Verse. 22 Da stehen sie auf einmal alle vereint im maurischen Garten und bilden eine seltsame Runde: die Gastgeber der Morabitun-Bewegung, von Saudi-Arabien bezahlte Imame, selbst ein Vertreter der Konvertiten aus Madrid. Nur Jadicha fehlt natürlich. Sie ist hier mit ihrer kritischen Haltung gegenüber dem vom Ausland finanzierten und gesteuerten Islam nicht willkommen. Beim genaueren Hinsehen entdecke ich einen anderen Bekannten: den Imam von Fuengirola, den umstrittenen Buchautor. Er erzählt mir stolz, mit welch guten Noten seine Töchter das Schuljahr abgeschlossen haben. Ich aber kann es mir nicht verkneifen, ihn auf die Herren aus dem spanischen Innenministerium anzusprechen. Einen Tag zuvor hat mich nämlich in Madrid der spanische Geheimdienst angerufen. Sie hätten Interesse an meinen “Eindrücken” von der islamischen Welt. Der Imam von Fuengirola hätte von meinem Besuch in seiner Moschee erzählt. Sie würden jemanden zur Moscheeeröffnung nach Granada schicken. Muslimische Gruppen, die offen bekennen, dass sie gegen die Demokratie sind, ständen ganz oben auf der Beobachtungsliste. Atmo: gesungene Koran-Verse unterlegen Autorin: Ich halte Ausschau, kann aber niemanden erkennen. Der Geheimdienst dürfte durch meine widersprüchlichen Erfahrungen eh´ nicht schlauer werden. Fast unmöglich, diese muslimische Szene zu durchschauen - wo spanische Konvertiten ihre stolze Al-AndalusVergangenheit als Mythos missbrauchen und gegen die eingewanderten Muslime wettern. Wo alle Akteure Kontakte ins arabische Ausland pflegen, ihre Geldgeber aber nicht offenlegen wollen. Und wo ständig neue Bündnisse geschlossen und neue Feindschaften deklariert werden. Atmo: gesungene Koran-Verse ausklingen lassen