und gegebenenfalls zu einem ethischen Urteil. Dogmatik sollte sich nicht in der Ethik überflüssig machen. • Wenn wir nur noch in den Texten der Welt lesen, dann gibt es nichts mehr, was dieser Interpretation von Wirklichkeit widerständig sein kann. Es geht also auch darum, mit der Bibel eine andere Lesart zu lernen. 3. Bezogen auf den RU kann gesagt werden: Es geht nicht nur und nicht in erster Linie bei der Ethik um die aktuellen Probleme, sondern primär darum, wie Menschen geprägt werden durch die Bibel, durch die biblischen Ge schichten. Das ist durchaus auch in einem passivischen Sinn zu verstehen: Wir werden durch die Geschichten geprägt. Es handelt sich also nicht nur um eine aktive Aneignung - etwa von Werten, Texten, Wissen, Normen -und eine Anwendung, die möglichst dann auch evaluierbar ist. Gerade hier besteht die Gefahr der Moralisierung. • Die Geschichten der Bibel sind besonders geeignet zum Ethiklernen, weil es in ihnen immer um das Handeln Gottes an Menschen geht und zugleich darum, wie Menschen mithandeln in der Geschichte Gottes. Es handelt sich nicht um das Schema: Freiheit und Verantwortung, oder: Indikativ und Imperativ, oder: Gabe und Aufgabe. • Lehrer/innen und Schüler/innen lassen sich gemeinsam auf die Geschichten ein, auf deren eigene Semantik und Logik. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame Praxis des Ethiklernens, wenn wir uns mit einander auf die Wege des Verstehens einlassen. Ethische Bildung im RU ist auch theologische Ethik, und diese ist nicht zu trennen von den anderen Gegenständen des Religionsunterrichts. Ethische Bildung ist im Ziel und im Gegenstand religionspädagogischer Praxis enthalten, nicht etwas Zusätzliches oder sozusagen das oberste Bildungsziel. Ethik ist mit der Theologie verschränkt. Jede Ethik ist auf etwas bezogen, sie ist nicht freischwebend. Reinhard Wunderlich Ökumene in der Religionspädagogik und im Religionsunterricht 1.1 Die Diskussion um Ökumene in der Religionspädagogik und im Religi onsunterricht muss aufbauen auf den Errungenschaften der modernen Reli gionspädagogik: Im Frage- und Begründungshorizont stehen neben Kirchen und Theologien gleichursprünglich Schule, Pädagogik, des weiteren Adressa tenorientierung, didaktische Verantwortung, (human)wissenschaftliche For schung und moderne Kultur (Akzeptanz der Ergebnisse der Weimarer Reichsverfassung 1919: Staatlich-öffentliche Schulaufsicht und wissenschaft lich geleitete Bildungsverantwortung!). 1.2 Die Diskussion um Ökumene in der Religionspädagogik und im Religi onsunterricht für eine post-moderne Zukunft muss Anschluss gewinnen an die religionspädagogisch reflektierte radikale Pluralität als Signatur unserer Zeit: Jüdisch-Christlicher Wurzelgrund der Demokratie, biblische Freiheit Tradition als Nährboden für das Grundrecht auf Religionsfreiheit, trinitari sche Selbstbegrenzung als Maßstab interkonfessionellen und interreligiösen Lernens und geduldige Verteidigung des Anspruchs auf öffentliche Relevanz von Religion (gegen laizistische Individualisierung!). 2. Die Diskussion um Ökumene in der Religionspädagogik und im Religi onsunterricht muss durch die Vielfalt lokaler Handlungsfelder ebenso ver** tieft werden wie sie durch globales Denken zu erweitern ist (urban gebrochene Provinzialität!). 2.1 Aus Baden-Württemberg ist z.B. mit der konfessionellen Kooperation im RU an allgemein bildenden Schulen vom 1. März 2005 durch die vier betei ligten Konfessionskirchen ein eindrucksvoller und praktikabler Ökumeni scher Seins-Gestus erreicht. v Literatur Ulrich-Eschemann, Karin: Biblische Geschichten und ethisches Lernen. Analysen -Beispiele - Perspektiven, Frankfurt/Main 1996. Ulrich-Eschemann, Karin: Lebensgestalt Familie - miteinander werden und leben. Eine phänomenologisch-theologisch-ethische Betrachtung, Münster 2005. 170 2.2 Leider ist z.B. aber auch in der dortigen Lehrerbildung eine konfessionalistische Engführung im sog. Grundlagenwahlfach (das nicht zum Religions lehrer führt, sondern schlicht Orientierungswissen im Lehrerstudium vermit teln soll) als konfessioneller Habe-Gestus zu beklagen, der im persönlichen Einzelfall den (formalrechtlich sogar gebotenen) Aufbau ökumenischer Strukturen im Curriculum als vorweggenommene eschatologische Vollen dung denunziert, ohne den Vorhof-Charakter verstehen zu wollen. 171 2.3 Der freiheitlich-demokratische Polis-Gedanke von (religiös-christlicher) Bildung (Schule als Polis im Kleinen, das himmlische Jerusalem als vollendete Polis Gottes und der Menschen) sollte seine globale Kraft im RU an der öffentlichen Schule entfalten, auf dass alle eins werden in dem differenzierten Konsens, der segensreich nicht nur der Stadt, sondern dem ganzen urbanen Erdkreis verheißen ist als herrliche Freiheit der Kinder Gottes (urbi et orbi). 3. Die Diskussion um Ökumene in der Religionspädagogik und im Religionsunterricht muss sich auf die Vernetzung von christlich Fundamentalem konzentrieren, also darauf, was bleibend wichtig, aber eben auch jetzt dringlich ist. Für eine Aufgabenbeschreibung des RU an der öffentlichen Schule ergibt sich daraus eine dreifache Dimensionierung, wobei - extrem zugespitzt! - die zweite Dimension nicht vor der ersten, die dritte nicht vor der zweiten über ein nötiges Mittel-Maß hinaus unterrichtlich inszeniert werden sollte. M. a. W.: Bereits die erste Dimension bedarf höchster professioneller Kompetenz und nimmt entsprechend viel Unterrichts-Zeit und inhaltlichen Gestaltungsraum in Anspruch. Gerade die erste Dimension muss aber auch im RU geleistet werden, da in der Schule sonst kein Raum eine entsprechend professionelle Thematisierung bieten kann (Gegen eine Reduzierung der Leitkultur des RU auf konfessionelle Partizipation!). 3.1 Die Dimension eines zivilreligiösen Grundbestandes in didaktischer Transformation 3.1.1 Was bereits die invocatio dei in der Präambel des Grundgesetzes und die Rechtsfigur der Christlichen Gemeinschaftsschule in nötiger rationaler Bändigung nahe legen, nämlich die aufklärungsresistente und mündige Ver antwortlichkeit freisetzende Religionspermanenz in modernen Gesellschaf ten, ist durch die aktuell anschwellende Diskussion um die Religion als Kar dinalthema unserer Zeit voll bestätigt und als seit 1918 ausgeblendete reli gionspädagogische Grundaufgabe aufzunehmen und in schulische und reli gionsunterrichtlichen Lernprozesse endlich einzuarbeiten. 3.1.2 Inhaltlich geht es dabei um die Erkenntnis des Christentums als Kata lysator der Moderne, als Erbmasse für Freiheit / Solidarität / Autonomie / Emanzipation / Menschenrechte / Demokratie etc. (Habermas) und damit um die säkulare Welt als Realisat des Christentums (der nicht-paradoxe Kenosis-Gedanke nach Vattimo). 3.1.3 Lernzielmäßig muss gerade auch säkularisierten Schülerinnen und Schülern die Pflicht zur Anerkennung des Anspruchs auf Wahrheit in religiö172 sen Weltbildern abverlangt werden, ebenso die Pflicht zur Akzeptanz religiöser Sprache im öffentlichen, nicht nur im privaten Diskurs; umgekehrt müssen aber gerade auch gläubige Schüler in die Pflicht zur Selbstbegrenzung genommen werden angesichts anderer, gerade auch nichtreligiöser, rechtlich-demokratischer und wissenschaftlicher Ansprüche. 3.1.4 Art. 4 CG ist als Grundrecht besonders von Kindern und jugendlichen hochzuhalten und insbesondere in seiner positiven Gestaltungskraft inner halb eines öffentlichen Gemeinwesens bewusstseinsmäßig zu etablieren. 3.1.5 Art 7 (1-3) als Garant religiöser Bildung muss immer in Zusammen hang mit Art 7(4) gesehen werden, der indirekt, aber eindeutig die notwen dige wissenschaftliche Bändigung aller unterrichtlich-reflexiven Thematisie rung von Religion in der öffentlichen Schule zum Ausdruck bringt und die zukünftige Diskussion (besonders auch um islamischen RU) noch viel inten siver bestimmen sollte. 3.2 Die Dimension einer christlich-ökumenischen Basis in didaktischer Transformation 3.2.1 Über Art. 4 muss der RU Freiheit als Proprium christlicher Theologie in Treue zum biblischen Ursprung (gott-menschliche Freiheitsgeschichte als Selbstoffenbarung Gottes) ebenso herausarbeiten und didaktisch transfor mieren wie als Grundkonstante einer Anthropologie, die Glaubende und Nichtglaubende verbindet. Transzendentale, formale, unbedingte Freiheit (Dtn 30,19; Mk 1,15), die sich nur gehaltvoll, immer konkret und stets be dingt realisieren lässt, sollte als christliche Chance der Vermittlung begriffen und angewendet werden, um die Liebe als geglückte Realisierungsgestalt ur sprünglicher Freiheit in einem Kerncurriculum von RU zu verankern. 3.2.2 Über Art 7 ist selbstverständlich der exakte rechtliche Rahmen des Verfassungsbegriffs „Religionsunterricht" zu achten, der die unverkürzte und unverfremdete Ganzheit und Eigenart der bekenntnisbestimmten Posi tionen und Postulate einer Religionsgemeinschaft (in unserem Fall also zweier christlicher Konfessionskirchen) einfordert. Insofern kommt dem Staat kein ökumenisches ius reformandi zu. Wohl aber muss die rechtlich gebotene Verengung auf „Lehr"kirchen dreierlei bedenken (gegen Heckel): 3.2.2.1 Alle religionsdidaktische Transformationsarbeit auf das Fundamentale des christlichen Glaubens hin in exemplarischer Auswahl und elementarer Strukturierung (= christlich-ökumenische Basis) entspricht dem staatlich 173 verordneten ius educandi mit seiner eigenen Dignität, das alle Reinheit der Lehre durchmischen muss! 3.2.2.2 Der christliche Charakter der Lehre ist spätestens seit 1215 (IV. Late rankonzil) analog und nicht digital zu verstehen: „Denn zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf kann man keine so große Ähnlichkeit feststel len, dass zwischen ihnen keine noch so große Unähnlichkeit festzustellen wäre." Was im liturgischen Zusammenhang durch die doxologischen For men und Formeln in beiden Konfessionen gewährleistet ist (eschatologischer Vorbehalt), muss auch im RU seine alle, auch konfessionelle Grenzen transzendierende, deiktische Kraft entfalten. M.E. entspricht dem unterricht lich die sog. „religionspädagogische Ironie" in ihrem jeweils sich selbst be grenzenden Charakter. Literatur Greiner, Michael, Theologische Perspektiven auf die menschliche Freiheit, in: Der Mensch -ein freies Wesen? Autonomie - Personalität - Verantwortung/hrsg. von Heinrich Schmidinger, Darmstadt 2005, 49-72. Habermas, Jürgen, Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, Frankfurt a. M. 2005. Heckel, Martin, Religionsunterricht auf dem Prüfstand: Konfessionell - unkonfessionell - interreligiös - interkonfessionell - konfessionell - kooperativ? Der rechtliche Rahmen des Religionsunterrichts im säkularen Verfassungsstaat, in: ZThK 102/2005, 246-292. Vattimo, Gianni, Glauben - Philosophieren, Stuttgart 1997. Schweitzer, Friedrich / Simojoki, Henrik: Moderne Religionspädagogik. Ihre Entwicklung und Identität, Gütersloh 2005. Wunderlich, Reinhard, Religionspädagogische Ironie. Ein Zwischenruf, in: ZPT 53/ 2001, 51-57. 3.2.2.3 Die kritische Substanz und das ökumenische Proprium christlicher Lehre bildet die Trinitätslehre, die im Kern den Modus der Selbstbegrenzung als lebensförderlich herausstellt. Dies religionsdidaktisch zu buchstabieren bietet eine sehr große Schnittmenge ökumenischer Gemeinsamkeiten für ein religionsunterrichtliches Curriculum. 3.3 Die Dimension konfessionskirchlicher Besonderheiten in didaktischer Transformation Die Notwendigkeit aber auch Grenze dieser Dimension ergibt sich aus dem tendenziellen Wegfall oder dem nur noch fragmentarisch wahrgenommenen bzw. erfahrenen Fall familiärer und gottesdienstlicher Sozialisation in konfessioneller Verbindlichkeit. Diese kann schulisch allerdings nicht eingeübt, sie kann höchstens thematisiert und reflektiert werden als geschichtlich konkretes, in seiner Rechtsgestalt und lebendigen Vielfalt auch ernstzunehmendes Durchgangsstadium auf dem Weg aus der Schul-Polis in die Städte der Menschen im Horizont der Stadt Gottes, wo keine Konfessionskirchen mehr stehen werden, sondern Gott selbst alle Tränen abwischen wird, einer der unhintergehbarsten humanen („mütterlichen") Gesten ohne Lüge und mediengerechter Selbstgefälligkeit: „Es ist alles gut". 174 175