Aufsatz - Herder-Institut

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Birgit Meerholz-Härle
Erwin Tschirner
Herder-Institut, Universität Leipzig
Processability Theory: Eine empirische Untersuchung1
Der Erwerb der Stellung des finiten Verbs ist eine der bestuntersuchten
Erwerbssequenzen des Deutschen, die sich über eine Reihe von Studien bei
unterschiedlichen Ausgangssprachen sowohl im gesteuerten wie im ungesteuerten
Zweitspracherwerb als eine sehr robuste Erwerbssequenz gezeigt hat
(Clahsen/Meisel/Pienemann 1983). Die ursprüngliche Erklärung für diese
Reihenfolge (z. B. Pienemann 1989) war in vieler Hinsicht unbefriedigend. Sie
beruhte auf seiner seriellen Sichtweise von sprachlichen Äußerungen, ohne den
hierarchischen Aufbau von Sprache theoretisch zu fassen. Pienemann (1999a)
entwickelt eine plausible psycholinguistische Erklärung, die den hierarchischen
Charakter von Sprache einbezieht, und die weitreichende Hypothesen auch für
morphologische Bereiche aufzeigt, z. B. die Entwicklung von Numerus- und
Kasusmarkierungen in der Nominalphrase. Er entwickelt auf Grundlage von Levelts
(1989) Modell der Sprachproduktion mit Hilfe der Lexical Functional Grammar
(LFG) (Bresnan 1982) eine Theorie der psycholinguistischen Verarbeitbarkeit
sprachlicher Strukturen auf unterschiedlichen Erwerbsebenen, die er Processability
Theory nennt. Pienemann überprüft die Validität seiner Theorie anhand einer relativ
großen Anzahl von Studien. Der Großteil der Studien befasst sich mit Schwedisch
als Fremdsprache, einige wenige mit Japanisch und Englisch und einige weitere mit
Deutsch als Fremdsprache.
Der Datenkreis zu Deutsch als Fremdsprache setzt sich aus der bekannten ZISAStudie (Clahsen/Meisel/Pienemann 1983) zusammen und aus zwei weiteren Studien
Pienemanns (Pienemann 1984; 1989), die ebenfalls in die 80-er Jahre zurückreichen.
Der vorliegende Beitrag setzt sich zum Ziel, Pienemanns Processability Theory
kritisch zu sichten und sie an einem weiteren Datensatz zu überprüfen. Der
Datensatz entstammt der Iowa OPI-Studie (Tschirner/Heilenmann 1998;
Kenyon/Tschirner 2000) und besteht aus einer Analyse der sechs Interviews des
Niveaus Intermediate Mid (IM) auf der Skala des American Council on the
Teaching of Foreign Languages (ACTFL 2000), des höchsten Niveaus, das in dieser
Studie erreicht wurde. Dieses Niveau wurde untersucht, weil hier am ehesten eine
größere Auswahl an Erwerbsstufen zu erwarten ist.
Der erste Teil des Beitrags fasst Pienemanns Processability Theory in groben
Zügen zusammen und stellt die für das Deutsche relevanten Erwerbshypothesen vor.
Im zweiten Teil werden diese Hypothesen an sechs Interviews des Iowacorpus
überprüft. Der dritte und letzte Teil setzt sich mit den Divergenzen zwischen
1
Wir bedanken uns recht herzlich bei Barbara Werner und Anja Römhild für ihre Hilfe bei
der Transkription der Daten und bei Anja Römhild für die Hilfe bei ihrer Analyse.
2
Theorie und empirischen Daten auseinander und macht Vorschläge, wie Pienemanns
Hypothesen ergänzt werden könnten, um auch den vorliegenden Daten gerecht zu
werden.
1. Processability Theory
Im Anschluss an die ursprüngliche Studie von Clahsen, Meisel und Pienemann
(1983) zum Erwerb der Stellung des finiten Verbs bei spanischen, italienischen und
portugiesischen Arbeitnehmern in Deutschland stellte sich in weiteren
Untersuchungen bei unterschiedlichen Ausgangssprachen und im gesteuerten und
ungesteuerten Zweitspracherwerb die folgende relativ robuste Erwerbssequenz ein
(Clahsen/Muysken 1986; duPlessis/Solin/Travis/White 1987; Ellis 1989; Jansen
1991; Jordens 1990; Pienemann 1984; 1989; Tschirner 1996):
Stufe I:
Einkonstituentenstufe
Stufe II:
Kanonische Wortstellung
Subjekt – Prädikat – weitere Satzglieder
*ich werde wohnen wieder in (L2 dorm L2) 2
Stufe III:
Voranstellung adverbialer Ausdrücke
Umstandsangabe – Subjekt – Prädikat – weitere Satzglieder
*ungefähr um neun Uhr ich aufstehen
Stufe IV:
Trennung von finiten und infiniten Teilen des Prädikats
Subjekt – finites Verb – weitere Satzglieder – infinite Teile
muss man auch für Elektrisches und Wasser zahlen?
Stufe V:
Inversion
Umstandsangabe – finites Verb – Subjekt – weitere Satzglieder –
infinite Teile
und *am nächstes Jahr würde ich gern bei Stanley wohnen
Stufe VI:
Endstellung des finiten Verbs in Nebensätzen
Konjunktion – Subjekt – weitere Satzglieder – infinite Teile – finites
Verb
wenn man *ein Freundin liebt
Nach Pienemann (1989) beruht die Entwicklung der Verbstellung auf einer
jeweils höheren mentalen Satzverarbeitungskapazität. Auf Stufe I werden nur
einzelne Wörter oder Ausdrücke verwendet. Es gibt noch keine syntaktische
Struktur. Die Stufen II und III verlangen keine syntaktischen Bewegungen auf dem
Weg von semantischer zu syntaktischer Struktur. Stufe IV verlangt die Bewegung
2Die
Beispielsätze entstammen der vorliegenden Studie.
3
satzinterner Elemente, der infiniten Teile des Prädikats, an die auffällige Position am
Satzrand, in diesem Fall das Satzende. Stufe V verlangt die Bewegung eines
satzinternen Elements, des finiten Verbs, an die ebenfalls satzinterne zweite Position
im Satz. Pienemann spekuliert, dass eine Bewegung von einer satzinternen Position
an eine andere satzinterne Position komplexer sei und eine höhere mentale
Verarbeitungskapazität erfordere als die Bewegung an den Satzanfang bzw. das
Satzende. Stufe VI fällt aus dieser Diskussion heraus.
Pienemann (1999a) bietet psycholinguistisch und linguistisch eine
überzeugendere Lösung dar. Psycholinguistisch stützt er sich auf Levelts (1989)
Modell der Sprachproduktion, linguistisch baut er auf der Lexical Functional
Grammar (LFG) (Bresnan 1992) auf.
Levelt (1989) unterscheidet auf dem Weg von Intention zu Artikulation in der
Sprachproduktion drei aufeinander aufbauende Aufgaben: konzeptualisieren,
formulieren und artikulieren. Diese Funktionen werden jeweils von einem anderen
Modul übernommen. Der Konzeptualisierer übernimmt die Aufgabe, die für eine
Äußerung relevanten Konzepte zu aktivieren. Der Formulator enkodiert die
Sprechintention zuerst grammatisch, dann phonologisch, und der Artikulator
artikuliert sie phonetisch. Die für Pienemanns Theorie interessanten Operationen
finden im Formulator statt, bevor die Äußerung phonologisch enkodiert wird. Das
durch den Konzeptualisierer aktivierte Material ruft ein Lemma 3 im Lexikon auf,
welches Informationen über seine Kategoriezugehörigkeit, z. B. Nomen (N), und
über seine morphosyntaktischen Merkmale, z. B. Numerus, enthält. Mit Hilfe dieser
Informationen können Phrasen (Satzglieder) gebildet und Merkmale auf der Ebene
der Phrase weitergegeben werden. Wenn, wie in Pienemanns (1999b) Beispiel A
child gives a cat to the mother, das Substantiv child als N den Kopf der Phrase a
child bildet, wird dieses N auf grammatische Merkmale hin untersucht. Die
Merkmale des Kopfes werden bis zu ihrem Vergleich mit den Merkmalen des
modifizierenden Elements gespeichert. In Pienemanns Beispiel trägt N das
diakritische Merkmal “Singular”. Daher wird das Lemma “A” aufgerufen.
In einem nächsten Schritt wird der so konstruierten Phrase eine grammatische
Funktion zugewiesen, damit sie in die syntaktische Struktur der beabsichtigten
Äußerung integriert werden kann. Während die Produktion einer Struktur im Gange
ist, wird gleichzeitig die nächste konzeptuelle Konstituente bearbeitet.
Konzeptualisierung verläuft also parallel zur Produktion. Wichtig für Pienemanns
Argumentation ist, dass die grammatischen Merkmale, die weitergegeben werden
müssen, im Gedächtnis in einem grammatischen Zwischenspeicher abgelagert
werden. Nach Pienemann beeinflusst die Entfernung der Weitergabe grammatischer
Merkmale die Verarbeitungsschwierigkeit. Ein Merkmal wie Genus, das innerhalb
einer Phrase, z. B. vom Nomen zum Adjektiv, weitergegeben wird, ist einfacher zu
verarbeiten als ein Merkmal wie Numerus, wenn es z. B. vom Subjekt zum finiten
Verb weitergegeben werden muss.
Pienemann (1999b) fasst die Abläufe, auf die laut Levelts Modell während der
3Unter
Lemma versteht Levelt die Wortbedeutung zusammen mit Informationen zur Wortart.
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Sprachproduktion zurückgegriffen wird, folgendermaßen zusammen: (1) Aufruf des
Lemmas; (2) Identifizierung der Lemmakategorie (Wortart) und ihrer Merkmale; (3)
Merkmalweitergabe auf der Ebene der Phrase; (4) Merkmalweitergabe auf der
Ebene des Satzes. Die sequentielle und hierarchische Anordnung dieser Prozesse
spiegelt die Reihenfolge ihrer Aktivierung während der Sprachproduktion wider.
Pienemanns Processability Theory basiert nun auf der Annahme, dass diese
Prozesse beim Spracherwerb für jede Sprache neu erworben werden müssen, und
dass sie in der Reihenfolge ihrer Aktivierung während der Sprachproduktion, die
damit auch eine Schwierigkeitshierarchie bildet, erworben werden. Erst wenn der
jeweils untergeordnete Prozess erworben ist, kann der nächst höher stehende Prozess
erworben werden. Zusätzlich zu diesen Prozessen unterscheidet Pienemann auf der
Satzebene zwischen einer Merkmalweitergabe in eine hervorgehobene und in eine
nicht-hervorgehobene Position und fügt eine Stufe VI hinzu, in der zwischen Hauptund Nebensätzen unterschieden wird (s. Abbildung 1).
Stufe
Merkmalwei
tergabe
VI
V
IV
III
phrasenüber
greifend
phrasenüber
greifend
Verarbeitung
Syntax
Morphologie
Nebensätze
Verbendstellun
g
Inversion
SV-Kongruenz
Sätze
Sätze mit
hervorgehobenen
Teilen
Phrasen
Satzklammer
phraseninter
Adverb
NP
n
Pluralkongruenz
II
keine
lexik. Merkmale
SVO
Pluralmorphem
Weitergabe
u. a.
I
keine
–
Wörter
–
Merkmale
Abbildung 1: Verarbeitungshierarchien und ihre Einflüsse auf Syntax und
Morphologie
Auf Stufe I (Wörter) sind noch keine grammatischen Kategorien erworben, also
noch keine Lemmata im Sinne von Levelt. Wörter bestehen aus einer Bedeutung
und einer Lautgestalt. Auf Stufe II (SVO) sind komplette Lemmata erworben, d.h.
Bedeutung und lexikalische Kategorie (Wortart). Dadurch können z. B.
Nomen/Pronomen und Verben unterschieden werden und zur Fähigkeit führen, erste
"grammatiklose" Sätze zu bilden, die vor allem aus einer Aneinanderreihung von
Wörtern bestehen, die in einem semantischen Satzzusammenhang stehen. Dazu
können auf dieser Stufe Morpheme erworben werden, die allerdings nur auf
Wortebene angefügt werden, z. B. die Personalformen des Verbs oder das
Pluralmorphem am Nomen. Da noch keine Merkmalweitergabe (= Kongruenz)
stattfinden kann, kongruiert das Subjekt mit dem finiten Verb oder der Artikel mit
5
dem Nomen auf dieser Stufe nur durch Zufall.
Auf Stufe III (Adverb) können grammatische Merkmale auf der Ebene der
Phrase angeglichen werden, was zum Beispiel dazu führen kann, dass Singular und
Plural sowohl am Artikel wie auch am Nomen markiert werden. Syntaktisch wird
auf dieser Stufe eine pragmatische Strategie erworben, nämlich die Satzaussage
temporal oder lokal mit Hilfe eines vorangestellten Adverbs oder einer
Adverbialphrase zu situieren. Da sich die grundlegende SVO Satzstellung dadurch
nicht ändert, führt dies im Deutschen zu einem ungrammatischen Satz.
Stufen IV und V verlangen eine Merkmalweitergabe über Konstituentengrenzen
hinweg. Syntaktisch wird auf Stufe IV (Satzklammer) die Fähigkeit erworben,
zwischen finiten und infiniten Bestandteilen des Prädikats zu unterscheiden. Dies
wird dadurch unterstützt, dass die infiniten Bestandteile des Verbs in der perzeptuell
hervorgehobenen Endstellung erscheinen. Gleichzeitig wird die Regel erworben,
dass die VP aus einem Verb plus einer Reihe von Objekten bestehen kann, oder aus
einem Verb plus einem Komplement, wobei letzteres nur in der Form Objekt,
Objekt, infinites Verb auftreten kann. Die Merkmale, die zwischen finitem und
infinitem Verb angeglichen werden müssen, sind z. B. das Merkmal Vergangenheit
bei Perfektsätzen oder das Merkmal Gegenwart bei Sätzen mit Modalverben.
Auf Stufe V (Inversion) handelt es sich ebenfalls um einen Ausgleich über
Konstituentengrenzen hinweg. Allerdings besteht hier der Austausch zwischen zwei
satzinternen Konstituenten, wobei keine an einer perzeptuell hervorgehobenen
Position steht. Ein Beispiel für diese Stufe wäre die Subjekt-Verb-Inversion in
Matrixsätzen, die nicht mit dem Subjekt beginnen. Pienemann baut hier auf
Vorarbeiten im Rahmen der LFG auf, und beschreibt die Regeln, die zur SubjektVerb-Inversion führen folgendermaßen.
(R1)
S''
XP
S'
wh = c +
adv = c +
NP = c +
PP = c +
SENT MOOD = inv
(R2)
S'
Vfin SENT MOOD = inv S
Links vom Satz S' wird eine Fokusposition postuliert. Regel 1 (R1) definiert
Konstituenten, die diese Fokusposition einnehmen können. Regel 2 (R2) setzt fest,
dass, wenn die Fokusposition gefüllt ist, das Merkmal sentence mood = inv(ersion)
kreiert wird, das an das finite Verb weitergegeben wird.
Auch morphologisch ist auf Stufe V die Fähigkeit erworben, Merkmale über
Konstituentengrenzen hinweg anzugleichen. Als Beispiel dafür nennt Pienemann die
Subjekt-Verb-Kongruenz.
Auf Stufe VI schließlich wird die Fähigkeit erworben, zwischen Matrix- und
untergeordneten Sätzen zu unterscheiden. Nach Pienemann geschieht das dadurch,
dass Subjunktoren mit dem Merkmal ROOT = – versehen werden. Gleichzeitig wird
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eine zweite Konstituentenstruktur erworben, in der das finite Verb am Ende des
Teilsatzes steht. Diese Konstituentenstruktur wird durch Subjunktoren mit dem
Merkmal ROOT = – hervorgerufen.
Ein zentrales Problem der Processability Theory ist die zu ihrer Überprüfung
erforderliche Definition von Erwerbskriterien, die den Vergleich zwischen
syntaktischen und morphologischen Strukturen ermöglichen. Pienemann (1999a)
argumentiert, dass für den Erwerb morphologischer Strukturen andere Kriterien
angewendet werden müssen als für den Syntaxerwerb. Beim Syntaxerwerb genüge
es, das emergence criterion anzuwenden. Danach kann man von Erwerb bereits
dann sprechen, wenn eine Regel einmal richtig angewendet wurde. Um zu
vermeiden, dass als Holophrasen gespeicherte Wortverbindungen mitgezählt
werden, setzt er fest, dass für eine Regel mindestens fünf obligatorische Kontexte
produziert werden müssen, bevor eine richtige Anwendung als Erwerb gezählt wird.
Unklar ist dabei allerdings, wie genau dadurch vermieden wird, dass es sich bei der
einzigen richtigen Anwendung nicht doch um eine Holophrase handelt. Auch die
Anzahl fünf scheint willkürlich gewählt.
Der Datensatz, den Pienemann (1999a) zur Überprüfung seiner Theorie
verwendet, ist der Datensatz Guy aus einer Studie aus den achtziger Jahren
(Pienemann 1987; 1989). Danach ist die Stufe 4 Satzklammer in der 15. Woche
(nach 90 Stunden) erworben und die Stufe 5 Inversion in der 17. Woche (nach 102
Stunden). Wenn man sich Pienemanns Daten (1999a: 121) allerdings genauer
ansieht, macht man einige überraschende Feststellungen. So werden bereits ab der 7.
Woche jedes Mal mindestens fünf Kontexte sowohl bei Wortfragen wie auch bei
Satzfragen produziert, wobei die Regel jeweils zu 100% korrekt angewendet wird –
außer in der 11. und 13. Woche, wo sie bei Satzfragen einmal "nur" zu 80% und
einmal zu 88% Prozent korrekt angewendet wird. In Aussagesätzen allerdings wird
die Inversion, obwohl ab der 7. Woche und dann durchgängig ab der 11. Woche
mehr als fünf Kontexte dafür produziert werden, kein einziges Mal richtig
verwendet. Dies ist ein wiederkehrendes Problem. In einer früheren Studie
(Pienemann 1984) wurde beim Datensatz Teresa die Inversion zu 83% korrekt
durchgeführt, während die Satzklammer kein einziges Mal korrekt angewendet
wurde. Sieht man sich die Kontexte an, in denen Inversion angewendet wurde, stellt
man fest, dass es sich ausschließlich um Fragesätze handelte. Wie weiter unten
argumentiert wird, lassen sich diese Widersprüche nur dadurch lösen, dass zwischen
der Inversion in Fragesätzen und Aussagesätzen unterschieden wird.
Pienemann argumentiert zwar, dass Inversion nur dann eindeutig als Inversion zu
erkennen ist, wenn der Satz außer Verb und Subjekt bzw. Fragewort, Verb und
Subjekt weitere Elemente enthält. Vorher würde nur eine Finalisierungsstrategie
verfolgt, nämlich die gleiche Strategie, die bei der Satzklammer auftaucht
(Merkmalweitergabe in die perzeptuell hervorgehobene Position am Satzende).
Ungeklärt bleibt allerdings, wenn es sich hier um eine Vorstufe der Inversion
handelt, welche Merkmale angeglichen werden. Handelt es sich aber dabei um eine
allmähliche Erweiterung der Konstituentenklassen, denen das Merkmal SENT
MOOD = inv zugewiesen wird, wie an anderer Stelle betont wird (z. B. Pienemann
1999a: 106), dann erscheint es nicht ganz einsichtig, warum Pienemann, vor allem
7
angesichts seiner Definition von Erwerb bei morphologischen Strukturen (s. u.), alle
Formen von Inversion über einen Kamm schert. Nicht ganz nachvollziehbar bleibt
auch die Behauptung, Inversion wäre erst dann erworben, wenn die Strategie, das
Subjekt ans Satzende zu stellen, ausgeschlossen werden kann.
Während es beim Syntaxerwerb genügt, das emergence criterion anzuwenden,
ist es nach Pienemann beim Erwerb morphologischer Strukturen komplizierter. Hier
muss zwischen Strukturen unterschieden werden, die auf morphologischen
Prozessen basieren, und solchen, die aus unveränderlichen und leicht lernbaren
lexikalischen Einheiten bestehen. Deshalb müssen linguistische Kontexte in ihre
Einzelbestandteile zerlegt werden, um eine adäquate Beschreibung von
Lernersprache zu ermöglichen. Beispielsweise kann SV-Kongruenz nur dann als
erworben betrachtet werden, wenn sie in unterschiedlichen Kontexten, d. h. mit
lexikalisch und morphologisch variierenden Subjekten und Verben auftritt.
Zur Überprüfung seiner Hypothese, dass SV-Kongruenz und Inversion auf dem
gleichen Erwerbsniveau erworben werden, untersucht Pienemann (1999a; wiederum
im Datensatz Guy), in wie weit Person und Numerus grammatischer Subjekte mit
finiten Verbformen korrespondieren. Da sich in seinem Datensatz vor allem Verben
im Präsens befinden, untersucht er nur Präsensformen. Dazu eliminiert er die
Kopula, da er der Meinung ist, sie sei so hochfrequent, dass sie, vor allem bei einem
pronominalen Subjekt, mit dem Subjekt als lexikalische Einheit gelernt wird. Sein
Datensatz unterstützt dies insofern, als bin nie mit einem anderen Subjekt als ich
auftritt, und ist nie mit einem anderen Subjekt als der 3. Person Singular (sowohl
pronominal wie auch nominal).
Eine Untersuchung der Entwicklung der SV-Kongruenz bei lexikalischen
Verben (alle Verben außer der Kopula) scheint seine Annahme zu bestätigen, dass
SV-Kongruenz erst in der 19. Woche auftaucht, also zwei Wochen nach Auftauchen
der Inversion. Guy verwendet die Suffixe -e und -t willkürlich. Die Häufigkeit der
korrekten Anwendung dieser Suffixe variiert mit derselben Spannbreite wie die
Häufigkeit der falschen Anwendung. In der 7. Woche z. B. wird das Morphem -e zu
63% der Fälle verwendet, in denen das Subjekt ich ist, und in 51% der Fälle, in
denen das Subjekt aus einer anderen Person besteht. Pienemanns Folgerung, dass
der Lerner "zufällige Treffer" landet, wird neben der allgemeinen Häufigkeit der
Verwendung auch unterstützt durch eine Analyse der morphologischen Variation
der lexikalischen Verben. In dem vorliegenden Datenkorpus verändern nur 18%
aller Verben ihre morphologische Form. Alle anderen Verben treten nur mit einer
Personalendung auf, unabhängig davon, mit welchem Subjekt sie verwendet werden.
In der 19. Woche tritt ein weiteres Morphem auf, das Null-Morphem in der 1.
Person Singular. Dieses Morphem wird nur zur Markierung der 1. Person Singular
verwendet. Pienemann interpretiert dies als Beginn des Erwerbs der SV-Kongruenz.
Pienemann schließt aus seiner Untersuchung, dass morphologische Variabilität
eine grundlegende Bedingung für den Erwerb der SV-Kongruenz ist. Solange die
gleiche Verbform mit unterschiedlichen Subjekten verwendet wird – auch wenn dies
zufällig zu korrekten Ergebnissen führt – kann nicht von Erwerb gesprochen
werden. Erst wenn unterschiedliche Subjekte unterschiedliche Verbformen nach sich
ziehen – und diese Verbformen mit den Subjekten kongruieren – kann von SV-
8
Kongruenz gesprochen werden. Allerdings erklärt Pienemann nicht, ab welchem
Prozentsatz von korrekter Anwendung der Kongruenz bei Verben, die im Korpus
mit unterschiedlichen Personalformen oder Subjekten auftauchen, er die SVKongruenz als erworben zählt. Seine Diskussion dazu (Pienemann 1999a: 126 ff.)
scheint daraufhin zu deuten, dass mindestens eine Personalform exklusiv für eine
Person verwendet werden muss. Unklar wäre dabei, warum er hier eine sehr
restriktive Definition von Erwerb anwendet, während er sonst das emergence
criterion vorzieht.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Pienemanns Datensatz Guy Inversion
und SV-Kongruenz deshalb zwischen Woche 17 und 19 (nach ca. 100-110 Stunden)
zusammenfallen, weil Pienemann die folgenden Konditionen aufstellt:
1. Erwerb wird definiert als erstmaliges Anwenden einer Regel, solange es
mindestens fünf obligatorische Kontexte dafür gibt.
2. Zum Erwerb der Inversion genügt es, Inversion in Fragesätzen auszuzählen.
3. Inversion in Fragesätzen wird nur gezählt, wenn der Satz nach dem Subjekt
noch eine weitere Konstituente enthält.
4. SV-Kongruenz wird definiert als exklusive Verwendung einer Personalform
für eine Person.
Tschirner (1999) konnte Pienemanns Erwerbshierarchien nur teilweise
nachvollziehen. Er analysierte 20 Oral Proficiency Interviews (OPI) mit Englisch als
Ausgangssprache und Deutsch als Zielsprache auf den Niveaus Novice Mid (NM),
Novice High (NH), Intermediate Low (IL) und Intermediate Mid (IM), und stellte
fest, dass SV-Kongruenz relativ früh erworben wird, spätestens auf dem Niveau IM
und ungefähr zeitgleich mit dem Erwerb der Stufe IV (Satzklammer). Außerdem
stellte er in seinem Datensatz fest, dass der Erwerb der Inversion in Fragesätzen sehr
viel früher einsetzt als in Aussagesätzen. Während Sprecher des amerikanischen
Englisch die Inversion in Fragesätzen von Beginn an korrekt verwenden, haben sie
die Inversion in Aussagesätzen selbst nach 225 Stunden Unterricht noch nicht
erworben.4
Damit stellt sich die Frage, ob nicht vielleicht doch die Verarbeitungsprozesse
der Ausgangssprache den Erwerb der Zielsprache beeinflussen, was Pienemann
beim Sprachenpaar Englisch–Deutsch verneint. Im Zusammenhang mit Levelts
(1989) Modell stellte De Bot (1992) fest, dass Sprecher, die zwei eng miteinander
verwandte Sprachen sprechen, meist für beide Sprachen dasselbe prozedurale und
lexikalische Wissen verwenden. Da das Englische die Inversion in Wort- und
Satzfragen genauso verwendet wie das Deutsche – mit der Ausnahme, dass im
Englischen das Hilfsverb do verwendet wird – ist bei dieser Struktur ein positiver
Transfer durchaus möglich. Was Lerner lernen müssen, ist die Aufnahme weiterer
4
Tschirner übernahm Ellis' (1989) Erwerbskriterium, wonach Erwerb definiert wurde als
75% korrekte Verwendung bei mindestens drei obligatorischen Kontexten. Die Inversion
wurde auf dem Niveau IM bei einer durchschnittlichen Anzahl obligatorischer Kontexte von
9,15 zu 34% korrekt verwendet, damit weit entfernt von einer 75% Korrektheitsrate. Nach
Pienemanns (1999a) emergence criterion müsste man sie allerdings als erworben zählen.
9
Konstituentenkategorien, die in der Fokusposition erlaubt sind und die Inversion
hervorrufen. Nur Letzteres scheint erst nach einer längeren Erwerbsphase möglich
zu sein.
2. Forschungsfragen
Die vorliegende Pilotstudie beschäftigt sich mit den folgenden
Forschungsfragen:
1. Wird die Subjekt-Verb-Inversion auf unterschiedlichen Erwerbsstufen
erworben, je nachdem ob sie in Frage- oder in Aussagesätzen auftritt?
2. In welchem Verhältnis steht die Subjekt-Verb-Kongruenz zu den
syntaktischen Erwerbsstufen der Processability Theory?
3. Methode
3.1. Versuchspersonen
Die sechs Teilnehmer (drei weibliche und drei männliche) an dieser
Untersuchung waren Studierende an der University of Iowa, einer der großen
Universitäten im mittleren Westen der USA. Sie waren zwischen 18 und 28 Jahre alt
und hatten jeweils vier Semester Deutsch als Wahlpflichtfach absolviert. Zum
Zeitpunkt der Studie hatten sie damit ungefähr 200 Stunden Sprachunterricht hinter
sich. Die viersemestrigen Pflichtkurse an der University of Iowa werden auf der
Basis des "Natural Approach" unterrichtet, wobei im vierten Semester das Hör- und
Leseverständnis von authentischen Texten besonders betont wird. Alle Teilnehmer
dieser Studie waren monolinguale Sprecher des amerikanischen Englisch, die
maximal drei Jahre Deutschunterricht an einer High School besucht hatten. Vier der
Teilnehmer erklärten, dass sie keinen Kontakt zu deutschen Muttersprachlern hatten
und auch noch nie in einem deutschsprachigen Land waren. Zwei Teilnehmer waren
schon in Deutschland gewesen.
3.2. Messinstrument
Die Datenerhebung erfolgte mit Hilfe des ACTFL Oral Proficiency Interviews
(OPI), das speziell zur direkten Prüfung des mündlichen Sprachstands entwickelt
wurde (Swender 1999). Das OPI zeichnet sich durch seine hohe Reliabilität und
Validität aus. Um die sprachliche Handlungsfähigkeit der Kandidaten beurteilen zu
können, folgen speziell dafür ausgebildete und zertifizierte Prüfer einem genau
vorgeschriebenen Verfahren. Jede Prüfung wird auf Band mitgeschnitten und von
mindestens zwei zertifizierten Bewertern unabhängig voneinander beurteilt.
Grundlage für die Bewertungen bilden die von ACTFL entwickelten Oral
Proficiency Guidelines (ACTFL 2000).4
3.3. Datenerhebung
Gegen Ende des akademischen Jahres unterzogen sich alle Studenten im vierten
4
Siehe Tschirner (2000) für eine Beschreibung des Prüfungs- und Bewertungsverfahrens und
für detaillierte Niveaubeschreibungen.
10
Semester Deutsch (N=59) dem OPI, das Teil ihrer mündlichen Abschlussprüfung
darstellte. Von diesen Studenten wurden 20 per Zufallsauswahl ausgewählt, die von
einem speziell ausgebildeten OPI-Prüfertrainer interviewt wurden. Aus dieser
Gruppe von 20 Studierenden wurden für diese Pilotstudie die sechs Studenten
ausgewählt, die das Niveau Intermediate Mid (IM), die höchste Erwerbsstufe dieser
Population, erreicht hatten.
Die Interviews, denen sich die Studenten unterzogen, dauerten jeweils zwischen
10 und 20 Minuten. Wie es die ACTFL Richtlinien vorschreiben, wurde jede der
Prüfungen auf Band aufgezeichnet und von zwei Prüfern bewertet. In zwei Fällen, in
denen die Prüfer zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen, wurde ein dritter Prüfer
konsultiert, dessen Urteil dann ausschlaggebend für die Einstufung der Kandidaten
war.
3.4. Datenanalyse
Die sechs ausgewählten Interviews wurden in ihrer vollen Länge transkribiert.
Für jedes Interview wurden die obligatorischen Kontexte bestimmt, die die
Inversion von Subjekt und Prädikat verlangen. Dabei wurde nach Wortfragen,
Satzfragen und Aussagen unterschieden. Außerdem wurden diejenigen Kontexte
ermittelt, in denen neben Subjekt und Verb noch ein zusätzliches Element in der
Äußerung vorkam. So konnte untersucht werden, ob eine Subjekt-End-Strategie an
Stelle der Inversion verwendet wurde. Anschließend wurde das Verhältnis zwischen
korrekter und inkorrekter Verwendung der Verbstellungsregel ermittelt.
Für jedes Interview wurden als nächstes die obligatorischen Kontexte für die
Kongruenz identifiziert. Hierbei wurden die Kontexte für sein und haben sowie für
die Modalverben jeweils getrennt untersucht. Als nächster Schritt wurde dann die
Gesamtzahl aller verwendeten Verben ermittelt und das Verhältnis zwischen korrekt
und inkorrekt konjugierten Verben berechnet. Um die Möglichkeit auszuschließen,
dass Subjekt-Verb-Kombinationen nicht auf der korrekten Anwendung der
Kongruenz, sondern vielmehr auf der Verwendung von invariablem, als Block
gelerntem lexikalischem Material basieren, wurde ermittelt, wie viele Verben in
zwei oder mehr Varianten, bzw. mit zwei oder mehr Subjekten, auftraten. Für diese
Gruppe von Verben wurde ebenfalls die Anzahl der korrekt und inkorrekt
konjugierten Verben berechnet.
Als nächster Schritt wurden die obligatorischen Kontexte für die Satzklammer
ermittelt, d. h. die Kontexte, die eine Trennung von finitem und infinitem
Prädikatsteil verlangen. Nur solche Kontexte wurden berücksichtigt, in denen sich
noch ein weiteres Element innerhalb bzw. außerhalb der Satzklammer befand.
Äußerungen ohne ein solches zusätzliches Element wurden nicht miteinbezogen, da
hier keine Verbstellungsregeln für zweiteilige Prädikate beachtet werden müssen.
Anschließend wurde das Verhältnis zwischen der korrekten und der inkorrekten
Verwendung der Satzklammer berechnet.
Außerdem wurden noch die obligatorischen Kontexte für die Verbendstellung in
Nebensätzen ermittelt. Es wurden nur solche Kontexte gezählt, die neben
subordinierender Konjunktion, Subjekt und Verb noch ein weiteres Element
enthielten. Auch hier wurde das Verhältnis zwischen korrekter und inkorrekter
11
Verwendung der Verbstellungsregel berechnet. Die Ergebnisse zu Wortstellung und
Kongruenz wurden dann anhand der Anzahl ihrer obligatorischen Kontexte sowie
ihrer Korrektheitsraten verglichen.
4. Ergebnisse
4.1. Inversion
Tabelle 1 fasst die Ergebnisse zur Inversion zusammen. Die Teilnehmer der
Studie werden, um Anonymität zu gewährleisten, durch Zahlen identifiziert. Die
letzte Spalte gibt Durchschnittswerte (DS) für alle Teilnehmer an. Inversion wurde
getrennt für Aussagesätze, Wortfragen (Ergänzungsfragen) und Satzfragen
(Entscheidungsfragen) berechnet. Innerhalb dieser Kategorien wurde Inversion für
alle obligatorischen Kontexte berechnet und noch einmal getrennt für Kontexte, in
denen die Äußerung nach Subjekt und Verb noch mindestens ein weiteres Element
enthält (+ Element). Nach Pienemann (1999a) zeigen nur diese Kontexte eindeutig,
dass die Lerner nicht eine kognitive Strategie anwenden, nämlich das Subjekt ans
Ende der Äußerung zu platzieren, sondern eine Wortstellungsregel erworben haben.
Da sich bei Wort- und Satzfragen die Korrektheitsrate nicht ändert, wurden nur die
Kontexte (insgesamt und mit weiteren Elementen) getrennt gelistet. Bei Aussagen
verändern sich auch die Korrektheitsraten, die deshalb getrennt gelistet wurden. Für
Teilnehmer
Wortfragen
1
100%
4
100%
10
100%
11
100%
12
100%
13
100%
DS
100%
Kontexte
6
12
6
2
3
3
5,3
Kontexte (+
Element)
Satzfragen
3
4
5
0
1
2
2,5
100%
100%
100%
100%
100%
100%
100%
Kontexte
4
4
7
10
11
8
7,3
Kontexte (+
Element)
Fragen gesamt
3
3
6
9
10
7
6,3
100%
100%
100%
100%
100%
100%
100%
Kontexte
10
16
13
12
14
11
12,7
Kontexte (+
Element)
Aussagen
6
7
11
9
11
9
8,8
0%
0%
0%
70%
58,8%
63,6%
32,1%
Kontexte
6
21
4
10
17
11
11,5
Aussagen (+
Element)
Kontexte
0%
0%
0%
100%
62.5%
63.6%
37,7%
6
19
4
6
16
11
10,3
12
Gesamt
62,5%
43,2%
76,5%
86,4%
77,4%
81,2%
71,2%
Kontexte
16
37
17
22
31
22
24,2
Tabelle 1: Inversion in Frage- und Aussagesätzen
jeder Kategorie wird zusätzlich die Anzahl der obligatorischen Kontexte gegeben.
Wort- und Satzfragen wurden zu Fragen gesamt zusammengefasst (mit getrennter
Listung für Gesamtzahl der Äußerungen und der Äußerungen, die weitere Elemente
enthalten). Schließlich wird am Ende der Tabelle noch die Gesamtsumme aller
Sätze, in denen Inversion vorkam, gegeben.
Die sechs Teilnehmer produzierten im Durchschnitt 12,7 obligatorische Kontexte
(Min: 10, Max: 16) für die Inversion in Fragesätzen und 11,5 (Min: 4, Max: 21) für
die Inversion in Aussagesätzen. Innerhalb der Aussagen beträgt der Korrektheitsgrad
im Durchschnitt 32,1% (Min: 0, Max: 70), wogegen Wort- und Satzfragen zu 100%
korrekt konstruiert wurden.
Werden nur solche Äußerungen berücksichtig, in denen sich nach Subjekt und
Verb noch ein zusätzliches Element innerhalb des Satzes befindet, ergibt sich
folgendes Bild: Die sechs Teilnehmer produzierten im Durchschnitt 8,8
obligatorische Kontexte (Min: 6, Max: 11) bei Fragesätzen und 10,3 (Min: 4, Max:
19) bei Aussagesätzen. Innerhalb der Aussagen beträgt der Korrektheitsgrad im
Durchschnitt 37,7% (Min: 0, Max: 100), bei Wort- und Satzfragen 100%. Weder bei
Fragesätzen noch bei Aussagesätzen ergeben sich deutliche Unterschiede zwischen
der Gesamtzahl der Äußerungen und denen, in denen nach Subjekt und Verb noch
ein weiteres Element folgt. Im Folgenden werden deshalb nur die Gesamtzahlen
verwendet.
Aus den Daten wird deutlich, dass bei Ausgangssprache Englisch und
Zielsprache Deutsch die Inversion in Aussagesätzen erheblich größere Probleme
bereitet als die Inversion in Fragesätzen. Nach ca. 200 Unterrichtsstunden bilden die
besten 30 Prozent der Studierenden des Iowa Corpus (N=59) die Inversion in
Fragesätzen völlig fehlerfrei, bei im Durchschnitt 12,7 obligatorischen Kontexten
pro Teilnehmer. Bei der Inversion in Aussagesätzen lassen sich zwei Gruppen von
Lernern unterscheiden: eine Gruppe (N = 3), die die Inversion in Aussagesätzen
trotz im Durchschnitt 10,3 (Min: 4, Max: 21) obligatorischer Kontexte kein einziges
Mal anwendet, und eine zweite Gruppe, die die Inversion bei im Durchschnitt 12,7
(Min: 10, Max: 17) obligatorischen Kontexten zu 64% korrekt anwendet.
Beachtenswert ist, dass die Reihe Gesamt die Unterschiede zwischen der
Verwendung der Inversion in Frage- und Aussagesätzen völlig verwischt.
Teilnehmerin 10 z. B. hat trotz der Tatsache, dass sie die Inversion in Aussagesätzen
kein einziges Mal richtig anwendet, fast dieselbe Korrektheitsrate in der Zeile
Gesamt, nämlich 76,5%, wie Teilnehmer 12 mit 77,4%, obwohl Teilnehmer 12 bei
Aussagesätzen eine Korrektheitsrate von 58,8% aufweist. Ebenso deutlich wird aus
der vorliegenden Studie, dass Durchschnittswerte mit Vorsicht zu betrachten sind.
Die Korrektheitsrate 32,1% in der Reihe Aussagen verwischt die Tatsache, dass die
Hälfte der Teilnehmer die Inversion in Aussagesätzen kein einziges Mal anwendet,
während die andere Hälfte zu Korrektheitsraten zwischen 58,8% und 70% gelangt.
13
Wir entnehmen diesen Daten Folgendes: Zwischen der Inversion in Fragesätzen
und der in Aussagesätzen muss unterschieden werden, zumindest beim
Sprachenpaar Englisch–Deutsch.5 Es ist durchaus möglich, dass Inversion, die vor
allem bei Fragesätzen auch im Englischen existiert, transferierbar ist und nicht vom
Erwerb der Satzklammer abhängt. Pienemann (1999b) fasst die englische
Inversionsregel auf Grundlage ihrer Beschreibung durch Bresnan (1982) und Pinker
(1984) wie folgt zusammen:
(R1)
S''
XP
S'
wh = c +
adv = c +
(R2)
S'
(Aux) SENT MOOD = inv S
Wenn Fragewörter oder Adverbien die Fokusposition XP vor dem Satz S'
einnehmen, bekommt das Hilfsverb Aux das Merkmal SENT(ence) MOOD = inv
zugeschrieben. Dies hat u. a. zur Folge, dass sich Aux links vor Satz S und damit
links vom Subjekt platziert. Dieses Merkmal ist den Fragewörtern und einer sehr
kleinen Gruppe von Adverbien (seldom, rarely) im Lexikoneintrag eingeschrieben.6
Dies könnte die Ausgangsposition für Englischsprechende sein, die auf dem
Wege sind, sich deutsche Wortstellungsstrukturen anzueignen. Damit würde sich
erklären, dass ihnen die Inversion in Fragesätzen keine Probleme bereitet. In
Pienemanns Datensatz Guy wird sie bei Fragesätzen ab der 7. Woche verwendet und
dann, zumindest bei Wortfragen, fehlerfrei bei durchgängig mindestens fünf
obligatorischen Kontexten. Pienemanns These, dass die Inversion bei Fragesätzen
darauf beruht, dass eine Subjekt-Finalisierungs-Strategie verwendet wird, hat sich in
dieser Studie nicht bestätigt. Auch wenn nur die Kontexte ausgezählt werden, in
denen dem Subjekt noch ein weiteres Element folgt, wurde die Inversion in
Fragesätzen von allen Teilnehmern zu 100% korrekt verwendet. Dies deutet darauf
hin, dass Englisch und Deutsch, zumindest teilweise, in den Köpfen der Lerner (als
beginnende bilinguale Sprecher) als eng verwandte Sprachen aufgefasst werden, bei
denen nach DeBot (1992) dasselbe prozedurale und lexikalische Wissen verwendet
werden kann. Damit müsste Inversion als solche nicht mehr erworben, sondern nur
auf weitere Kontexte ausgedehnt werden. Damit könnte sie aus der
Erwerbshierarchie herausfallen. Dies würde auch erklären, warum, wie weiter unten
zu sehen ist, die Nebensatzstellung früher erworben werden kann als die Inversion.
5
Pienemanns (1984) Daten deuten darauf hin, dass ähnliche Verhältnisse auch beim
Sprachenpaar Italienisch–Deutsch auftreten.
6
Diese sehr kleine Gruppe von Adverbien entstammt vor allem der literarischen Sprache. Die
unmarkierte Regel ist: keine Inversion nach vorangestellten Adverbien. Diese letztere Regel
ist Ausgangspunkt für den Erwerb der Inversion im Deutschen.
14
4.2. SV-Kongruenz
Tabelle 2 fasst die Ergebnisse zur Subjekt-Verb-Kongruenz zusammen. SVKongruenz wurde getrennt für die sehr häufigen und teilweise unregelmäßigen
Verben sein und haben und die Modalverben ermittelt, sowie für alle anderen
Verben. Neben der Korrektheitsrate in obligatorischen Kontexten wird die Anzahl
dieser Kontexte gelistet. Am Ende der Tabelle befindet sich das Gesamtergebnis für
alle Verben zusammengenommen.
Teilnehmer
1
sein
88,9%
Kontexte
27
haben
100%
Kontexte
16
Modalverben
66,7%
Kontexte
3
andere Verben 88,2%
Kontexte
51
Gesamt
86.1%
Kontexte
101
Tabelle 2: Kongruenz
4
98,0%
50
88,2%
17
81,4%
27
82,4%
57
86.4%
154
10
94,3%
70
100%
31
77,4%
31
92,6%
28
90.7%
162
11
97,7%
44
93,3%
30
100%
20
90,9%
44
88.5%
148
12
100%
28
96,9%
32
100%
17
92,7%
41
95.8%
119
13
98,0%
50
97,1%
35
88,9%
9
97,6%
41
95.7%
138
DS
96,2%
44,8
95,9%
26,8
85,7%
17,8
90.7%
43,7
90.5%
137
Aus Tabelle 2 wird ersichtlich, dass SV-Kongruenz unabhängig vom Verb von
allen sechs Teilnehmern bei einer Vielzahl von obligatorischen Kontexten in
höchstem Maße normgerecht verwendet wird. Die Korrektheitsrate ist zwar bei den
Verben sein und haben am höchsten (im Durchschnitt 96,2% bzw. 95,9% bei
durchschnittlich 44,8 bzw. 26,8 obligatorischen Kontexten). Die Korrektheitsrate bei
Verben außer sein, haben und den Modalverben ist aber bei durchschnittlich 43,7
Kontexten nicht wesentlich geringer, nämlich im Durchschnitt 90,7% (Min: 82,4,
Max: 97,6), und sogar noch höher als bei den Modalverben, die eine
Korrektheitsrate von im Durchschnitt 85,7% bei einer durchschnittlichen Anzahl
von 17,8 Kontexten aufweisen.
Nach Pienemann (1999a) muss zwischen invarianten Verbformen, bei denen SVKongruenz auf "zufälligen" Treffern beruhen kann, und Verbformen, die in
unterschiedlichen Personalformen oder in Verbindung mit unterschiedlichen
Subjekten auftreten, unterschieden werden. Nur letztere weisen eindeutig auf die
Anwendung von SV-Kongruenz hin.
Tabelle 3 fasst zusammen, wie viele Verben pro Teilnehmer zur Gruppe
variierender Verben gehören, und wie sich SV-Kongruenz bei dieser Gruppe verhält.
Die Reihe Verben insgesamt listet die Anzahl unterschiedlicher Verben außer sein,
Teilnehmer
1
4
10
11
12
13
DS
Verben insgesamt
19
28
17
24
18
21
21,2
Prozent variierender V 42.1% 46.4% 35.3% 25% 27.8% 38.1% 35,8%
Korrektheit variierender V 80% 76.9% 94.1% 100% 85.7% 95.8% 88,8%
15
Kontexte
25
39
17
17
14
24
22,7
Tabelle 3: Kongruenz bei Verben mit unterschiedlichen Personalformen und
Subjekten
haben und den Modalverben, die ein Teilnehmer jeweils insgesamt benutzt hat. Die
Reihen darauf listen den Prozentsatz variierender Verben am Gesamtkorpus
verwendeter Verben (außer sein, haben und den Modalverben) pro Teilnehmer, die
Korrektheitsrate dieser variierenden Verben und die Anzahl obligatorischer
Kontexte für diese variierenden Verben.
Wie Tabelle 3 zeigt, werden im Durchschnitt 21,2 unterschiedliche Verben
(zusätzlich zu sein, haben und den Modalverben) verwendet, wovon im
Durchschnitt 35,8% (Min: 25%, Max: 46,4%) mit unterschiedlichen Subjekten
und/oder Personalformen auftreten. Bei im Durchschnitt 88,8% dieser Verben (Min:
76,9,Max: 100) bei durchschnittlich 22,7 obligatorischen Kontexten (Min: 17, Max:
39) wird SV-Kongruenz korrekt verwendet. Die Korrektheitsrate von 88,8% dieser
Verben liegt nur geringfügig unter der Korrektheitsrate aller Verben (90,5%) bzw.
der Verben ohne sein, haben und Modalverben (90,7). Es besteht daher kein
Zweifel, dass sich die variierenden Verben in dieser Population nicht anders
verhalten als die Verben insgesamt. Daher wird im weiteren Verlauf dieser Studie
auf die Gesamtzahl aller Verben Bezug genommen.
4.3. Wortstellung und Kongruenz
Tabelle 4 fasst die Ergebnisse zur Wortstellung insgesamt und zur SV-Kongruenz
zusammen. Neben der Korrektheitsrate in Prozent wird die Anzahl obligatorischer
Kontext für jede dieser Regeln angegeben. Sowohl bei SV-Kongruenz wie auch bei
Inversion wurde von der Gesamtzahl obligatorischer Kontexte ausgegangen. Da sich
bei den Regeln Inversion/Aussage und Nebensatzstellung unterschiedliche Gruppen
herausbilden, wird in der Spalte Durchschnittswert (DS) der Durchschnitt der
einzelnen Gruppen gelistet. Bei Inversion/Aussage bilden Teilnehmer 1, 4 und 10
die erste Gruppe und Teilnehmer 11, 12 und 13 die zweite Gruppe, bei
Nebensatzstellung werden zuerst Teilnehmer 1 und 11 für sich gelistet, bevor der
Durchschnitt für Teilnehmer 4, 10, 12 und 13 angegeben wird.
Teilnehmer
1
4
10
SV-Kongruenz
86.1% 86.4% 90.7%
Kontexte
101
154
162
Satzklammer
76,9% 83,3% 91,2%
Kontexte
13
18
34
Inversion/Frage
100% 100% 100%
Kontexte
10
16
13
Inversion/Aussage
0%
0%
0%
Kontexte
6
21
4
Nebensatzstellung
0% 33.3% 36.8%
Kontexte
5
9
19
Tabelle 4: Wortstellung und Kongruenz
11
88.5%
148
100%
22
100%
12
70,0%
10
80,0%
5
12
95.8%
119
94.7%
38
100%
14
58.8%
17
36.4%
11
13
DS
95.7%
90,5%
138
137
100%
91,0%
28
25,5
100%
100%
11
12,7
63.3%
0/64%
11
10,3/12,7
37.5% 0/80/36%
8
5/5/11,8
16
Die Tabelle zeigt, dass SV-Kongruenz im Durchschnitt zu 90,5% (Min: 86,1%)
richtig verwendet wird, Satzklammer im Durchschnitt zu 91,0% (Min: 76,9%) und
die Inversion in Fragesätzen zu 100%. Die durchschnittliche Anzahl obligatorischer
Kontexte ist vor allem im Hinblick auf Pienemanns Mindestforderung von 5 bei
allen drei Regeln hoch bis sehr hoch (SV-Kongruenz: 137; Satzklammer: 25,5;
Inversion/Frage: 12,7). Damit dürften diese drei Regeln auf diesem Niveau als
erworben gelten.
Bei Inversion in Aussagesätzen schälen sich zwei deutlich unterschiedliche
Gruppen heraus. Eine Gruppe (Teilnehmer 1, 4 und 10) hat trotz einer
durchschnittlichen Anzahl von 10,3 obligatorischen Kontexten (Min: 4) eine
Korrektheitsrate von 0%. Die andere Gruppe hat bei einer durchschnittlichen Anzahl
von 12,7 Kontexten eine Korrektheitsrate von im Durchschnitt 64% (Min: 58,8%).
Damit scheint es eine Gruppe zu geben, die Inversion deutlich nicht erworben hat,
und eine zweite Gruppe, bei der man durchaus von Erwerb, wenn auch nicht
unbedingt von vollständigem Erwerb, sprechen kann.
Bei der Nebensatzstellung verhält es sich ähnlich. Hier könnte man sogar
zwischen drei Gruppen unterscheiden: eine Gruppe (Teilnehmer 1), die die
Nebensatzstellung nicht erworben hat, eine Gruppe (Teilnehmer 4, 10, 12 und 13),
die eine durchschnittliche Korrektheitsrate von 36% (Min: 33,3%) aufweist und
bereits deutliche Fortschritte macht, und eine dritte Gruppe (Teilnehmer 11), die bei
einer Korrektheitsrate von 80% die Nebensatzstellung erworben zu haben scheint.
Die geringe Anzahl obligatorischer Kontexte (5) bei Teilnehmer 11 könnte
allerdings darauf hindeuten, dass es noch unangebracht wäre, hier von Erwerb zu
sprechen. Die durchschnittliche Anzahl von 11,8 Kontexten (Min: 8) der mittleren
Gruppe scheint zumindest vertrauenerweckender zu sein.
Vor allem Teilnehmer 4 weist deutlich darauf hin, dass zwischen Inversion in
Aussagesätzen und dem Erwerb der Nebensatzstellung kein Zusammenhang
bestehen muss. Bei 21 obligatorischen Kontexten wird die Inversion kein einziges
Mal richtig verwendet, während bei 9 Kontexten die Nebensatzstellung bereits zu
33,3% korrekt verwendet wird.
Unsere Ergebnisse deuten damit darauf hin, dass die Inversion in Aussagesätzen
zu einem anderen Zeitpunkt erworben wird als SV-Kongruenz. Bei einer Gruppe
von Lernern – in unserem Datensatz die Hälfte der Teilnehmer – steht sie in
keinerlei Zusammenhang zur SV-Kongruenz, bei der anderen ist bei ihr im
Vergleich zur SV-Kongruenz eine deutlich niedrigere Korrektheitsrate festzustellen
(SV-Kongruenz bei den drei Lernern dieser Gruppe: 93,3%; Inversion: 64%). Wie
bei Tschirner (1999) korreliert SV-Kongruenz viel deutlicher mit Satzklammer als
mit Inversion (Satzklammer bei den drei Lernern dieser Gruppe: 98,2%). Auch die
Häufigkeit der obligatorischen Kontexte (Satzklammer bei den drei Lernern dieser
Gruppe: 29,3; Inversion: 12,7) deutet daraufhin, dass die Satzklammer zum
Standardinventar auf dieser Erwerbsstufe gehört, während die Inversion noch
deutlich seltener ist.7 Ebenso wie die Satzklammer zählt auch die SV-Kongruenz bei
7
Der grundlegende Unterschied zwischen Sprechern der Stufe IM und der nächst höheren ist
17
durchschnittlich 137 obligatorischen Kontexten und einem Korrektheitsgrad von
90,5 Prozent zum Standardinventar dieser Erwerbsstufe.
Die hohe Korrelation von SV-Kongruenz mit Satzklammer und nicht mit
Inversion (in Aussagesätzen) deutet auf eine Schwachstelle in Pienemanns
Neukonzeptualisierung der Wortstellungshierarchie, nämlich auf die Notwendigkeit,
weiterhin serielle Phänomene (Stellung am Satzanfang oder -ende) einzubeziehen.
Da Satzklammer und Inversion auf derselben syntaktischen Erwerbsebene stehen –
es handelt sich beides Mal um eine Merkmalsangleichung auf der Ebene des Satzes
– muss Pienemann auf Clahsens (1979) älteres Modell zurückgreifen, in dem nicht
syntaktische Merkmale eine Rolle spielen, sondern serielle Merkmale, vor allem die
Initialisierungs-Finalisierungs-Strategie, nach der das jeweils erste und letzte Wort
des Satzes kognitiv besonders prominent und damit lernbar sind. 8 Nach Schwitalla
(1997) scheint allerdings die Grundeinheit gesprochener Sprache nicht der Satz zu
sein, sondern kürzere Einheiten wie Satzglieder und Prädikat. Wenn sowohl die
Sprachrezeption wie auch die -produktion auf kürzeren Einheiten als dem Satz
operiert, und die Länge dieser Einheiten von Sprecher zu Sprecher und von Situation
zu Situation verschieden ist, dann verschwimmen die Grenzen zwischen
einheiteninternen
und
einheitenübergreifenden
Operationen
und
Merkmalsangleichungen. Damit sind SV-Kongruenz und Inversion nicht mehr
eindeutig als interne Merkmalsangleichungen zu interpretieren.
Eine Aufgabe der Finalisierungshypothese hat den positiven Effekt, dass dadurch
SV-Kongruenz und Satzklammer auf der gleichen Erwerbsebene stehen, was durch
empirische Daten auch bestätigt wird. Allerdings würde sich dann die Inversion auf
derselben Stufe wie Satzklammer und SV-Kongruenz befinden, was weder
empirisch bestätigt wird, noch in Pienemanns theoretisches Konzept passt, welches
weiterhin ein hierarchisches Verhältnis zwischen Satzklammer und Inversion
vorsieht. Eine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen, ist, dass Inversion im
Gegensatz zu Satzklammer und Nebensatzstellung von Sprechern bestimmter
Sprachen nicht neu gelernt werden muss, sondern dass nur die Kontexte, in denen
sie auftreten kann, ergänzt werden müssen. Klar scheint allerdings zu sein, dass
Initialisierungs- und Finalisierungsstrategien nicht zur Erklärung bestehender
der, dass auf dem Niveau IM noch kaum Texte produziert werden, d. h. Sätze, die auf
vielfältige Weise miteinander verknüpft sind, sondern vielmehr Sätze, die nur aneinander
gereiht werden. Da die Thema-Rhema-Gliederung im Deutschen oft zu Sätzen führt, die nicht
mit dem Subjekt beginnen, werden die Kontexte, in denen die Inversion benötigt wird,
deutlich mehr, wenn mehr Texte produziert werden.
8
Es leuchtet durchaus ein, dass prominente Elemente rezeptiv eine große Rolle spielen.
Unklar ist allerdings, welche Vorteile eine Initialisierungs-Finalisierungs-Strategie für die
Produktion hat, vor allem, wenn Lerner Äußerungen schon auf der Ebene von Satzgliedern
produzieren. Gerade Pienemann hat wiederholt darauf hingewiesen, dass Elemente, die im
Input vorkommen, selbst wenn sie prominent darin vorkommen, weil die Lernaufmerksamkeit
im Unterricht auf sie gerichtet ist, nicht erworben werden können, wenn sie aus anderen
Gründen noch nicht lernbar sind.
18
Unterschiede taugen. Damit wird die Forderung nach einem zusätzlichen Element
nach dem Subjekt bei der Inversion hinfällig. Damit stellt sich auch die Frage, wie
die Inversion bei Satzfragen, in denen das finite Verb an die erste Stelle rückt,
theoretisch zu fassen ist.
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie werfen auch interessante Fragen im
Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen Inversion und Nebensatzstellung auf.
Von den drei Lernern, die die Inversion trotz einer relativ hohen Anzahl
obligatorischer Kontexte kein einziges Mal anwenden, haben zumindest zwei eine
Korrektheitsrate von um die 35% bei zwischen 9 und 19 obligatorischen Kontexten.
Zählt man nur die vier Lerner, die mehr als fünf obligatorische Kontexte
produzieren, ergibt sich eine Korrektheitsrate von 36% bei durchschnittlich 11,8
obligatorischen Kontexten pro Interview. Dies deutet darauf hin, dass auf dem
Niveau IM eine relativ hohe Anzahl von Nebensätzen produziert werden, die bereits
eine nicht zu vernachlässigende Korrektheitsrate haben. Auch hier stellt sich die
Frage, in welchem Verhältnis die Inversion (in Aussagesätzen) zu
Wortstellungsregeln steht, die es im Englischen nicht gibt. Auch hier drängt sich der
Verdacht auf, dass beide Regeln in keinem hierarchischen Verhältnis zueinander
stehen, zumindest nicht bei allen Lernern. (Die Hälfte der Lerner weist höhere
Korrektheitsraten bei der Nebensatzstellung auf als bei der Inversion.) Erklären ließe
sich dieses Phänomen ebenfalls wiederum dadurch, dass Inversion aus dem
Englischen in die Lernersprache transferiert wird, während ein positiver Transfer bei
den anderen beiden Wortstellungsregeln nicht stattfinden kann, da es diese in der
Ausgangssprache nicht gibt.
5. Ausblick
Pienemanns Neufassung seiner Teachability Theory als Processability Theory ist
ein wichtiger Schritt in der Entwicklung einer kohärenten Theorie in bezug auf den
Erwerb morphosyntaktischer Strukturen. Selbst wenn Pienemann verneint, dass dies
sein Ziel ist, bietet sein Modell eine ernstzunehmende Alternative zum
vorherrschenden UG-Paradigma. Positiv zu sehen ist vor allem seine Grundlage in
Levelts Sprachproduktionsmodell und die Verwendung einer expliziten
grammatischen Theorie (LFG). Pienemann macht sich einen der Kernpunkte der
LFG, die Merkmalweitergabe, zu eigen und zeigt, wie die bekannten ZISAErwerbsstadien unterschiedliche Arten von Merkmalsangleichungen benötigen.
Diese Art der Darstellung hat dazu weit reichende Konsequenzen für den Erwerb der
Morphologie und führt damit zu vielen interessanten Fragen und Hypothesen, die
wertvolle Einblicke auch für den Fremdsprachenunterricht geben können.
Etwas unglücklich erscheint uns allerdings das Festhalten an seriellen
Verarbeitungsstrategien, die die Produktion genauso wie die Rezeption beeinflussen
sollen. Diese Sicht ist dem hierarchischen Charakter von Sprache unserer Meinung
nach nicht angemessen, vor allem nicht bei Fragen der Produktion, zumindest wenn
erste vorsyntaktische Erwerbsstufen überwunden sind. Pienemanns serielle Sicht
drückt sich darin aus, dass er SV-Kongruenz und Inversion auf die gleiche
Erwerbsstufe setzt, und dadurch, dass er bestimmte Daten nicht zulässt, z. B. Daten
die Inversion betreffend, bei denen die Äußerung nach dem Subjekt beendet wird.
19
Unklar erscheint hier vor allem die Angemessenheit des Konstrukts Satz in bezug
auf Initialisierungs- und Finalisierungsstrategien, da die Grenzen zwischen
einheitenintern und am Rande von Einheiten befindlich in der Zeitgebundenheit der
gesprochenen Rede anders gezogen werden müssen als im schriftlichen Text.
Überzeugender wäre hier eine Argumentation, die Satzbetonung, Intonationskurven
u. Ä. in der Frage, was prominent vernehmbar ist, mit einbezieht. Auch das
Verhältnis zwischen Rezeption und Produktion scheint noch nicht nachhaltig
geklärt. Rezeptive Prominenz führt nicht zwangsweise – das war ja die
ursprüngliche Teachability These – zu produktivem Erfolg. Möglicherweise müssen
rezeptive Verarbeitungskapazitäten von produktiven unterschieden werden, wobei
ihre Entwicklung jeweils unterschiedliche Zeitpläne und vielleicht sogar
Entwicklungswege aufweist.
Höchst interessant, aber noch gänzlich ungeklärt, erscheinen uns Pienemanns
Thesen zur Morphologie. Demnach müsste sich die Kongruenz der Nominalphrase
mit Artikel, Adjektiv und Nomen früher lernen lassen als SV-Kongruenz, weil
erstere eine Merkmalsangleichung auf Satzgliedebene verlangt, während letztere
satzgliedübergreifend ist. Dies widerspricht allen Erfahrungen, die Lehrer und
Lehrerinnen im Unterricht Deutsch als Fremdsprache machen. Eine Antwort könnte
sein, dass die Nominalflexion so komplex ist, dass sie trotz einfacher Verarbeitung
erst relativ spät gelernt wird. Dies wäre die distributionelle Argumentation, die
Pienemann bereits beim Erwerb der schwedischen Nominalphrase (Pienemann
1999b) überzeugend vorträgt. Eine weitere Möglichkeit ist die, dass die
distributionelle Analyse erst dann in Angriff genommen werden kann, wenn
Kasusrollen zugewiesen werden können. Letzteres wäre eine satzgliedübergreifende
Merkmalsangleichung, und damit von derselben Schwierigkeitsstufe wie SVKongruenz.
Neben diesen Fragen haben sich uns in der vorliegenden Studie, ohne dass sie in
diesem Beitrag thematisiert werden konnten, zwei forschungsmethodologische
Fragen gestellt, die einer dringenden Klärung bedürfen:
1. Wie lässt sich Erwerb definieren? Pienemanns emergence criterion im Erwerb
der Syntax – einmaliges Auftreten bei mindestens fünf obligatorischen Kontexten –
erscheint uns genauso willkürlich wie Ellis' (1989) Kriterium 75% korrekt bei
mindestens drei obligatorischen Kontexten u.v.a. Wir haben uns um diese Frage
herumgestohlen und nur Rohdaten präsentiert, wobei wir damit auch nur Tendenzen
anzeigen konnten. Vielleicht ist aber auch gar nicht mehr möglich.
2. Welche Rolle spielen individuelle Unterschiede? Sicherlich lässt sich Riemers
(1998) Einzelgängerhypothese so nicht aufrecht erhalten. Natürlich ist jeder Lerner
ein Einzelgänger. Aber genauso deutlich lassen sich allgemeine Tendenzen
aufzeigen. Dass aber auch Letzteres in der vorliegenden Pilotstudie nicht
durchgängig möglich war (s. die zwei Inversionsgruppen), war ein für uns
überraschendes Ergebnis. Pienemann präsentiert meist "Einzelgängerdaten" (z. B.
der Datensatz Guy). Diese müssen ergänzt werden durch Untersuchungen, die sich
mit Lernergruppen befassen, wobei darauf geachtet werden muss, dass individuelle
Unterschiede, wie sie sich in unserer Pilotstudie gezeigt haben, nicht wegfallen.
20
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