Hessischer Rundfunk Hörfunk – Bildungsprogramm Redaktion: Karl-Heinz Wellmann WISSENSWERT Gähnen erlaubt? Über den Zusammenhang von sauberer Luft und geringem Krebsrisiko Von Frank Eckhardt Sendung: 03.04.2006, 8:30 bis 8:45 Uhr, hr2 06-044 COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/ der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. 1 Atmo: Autoverkehr Sprecher: Eine dicht befahrene Hauptverkehrsstraße, irgendwo in Deutschland. Aus Tausenden von Auspuffen entweichen Abgase und winzige Staubteilchen, verteilen sich in der Luft und werden von Passanten und Anwohnern eingeatmet. Luftverschmutzung kann Allergien, Asthma und Bronchitis auslösen. Und was ist mit Krebs? In dieser Hinsicht, sagt Dr. Martina Pötschke-Langer, ist ein anderer Luftschadstoff erheblich wichtiger. Atmo: Feuerzeug, Zigarette wird angezündet Sprecher: Jeder fünfte Krebstod geht auf das Rauchen zurück, sagt die Ärztin. Sie leitet beim Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg die Stabsstelle Krebsprävention. O-Ton Pötschke-Langer Jährlich sterben an Lungenkrebs über 40.000 Deutsche, von denen etwa 90 Prozent Raucher sind. Neu erkranken etwa 45.000, und die Überlebensrate der Lungenkrebspatienten ist leider eben wegen der massiven Schädigung des Lungengewebes sehr, sehr gering. Die Therapien können alle nicht den Krebs heilen, so dass wir sagen müssen: Über 90 Prozent der Lungenkrebspatienten versterben dann tatsächlich an der Krankheit. Das ist der Krebs, der am wenigsten in den Griff zu bekommen ist. Sprecher: Lungenkrebs ist die häufigste, aber nicht die einzige Krebsart, die vom Rauchen ausgelöst wird. Auch andere Krebsarten hängen damit zusammen: Krebs in Mundhöhle und Speiseröhre, in Magen und Darm, in den Nieren, in der Harnblase – ja selbst Gebärmutterhalskrebs kann durch das Rauchen verursacht werden. O-Ton Pötschke-Langer Das ist erklärbar durch die Fülle von Schadstoffen, die auf den gesamten Körper einwirkt, die über das Blutsystem gleichmäßig verteilt eigentlich jedes Organ erreicht und dann vor Ort 2 entsprechende Veränderungen in den Zellen schafft. Das ist erklärbar, dass dann der Reparaturmechanismus der Zellen versagt, und dadurch eben, durch dieses permanente Einwirken der Giftstoffe, und dann sich auf dem Boden dieser Veränderungen Krebs entwickelt. Sprecher: Etwa 4800 verschiedene Substanzen sind im Zigarettenrauch zu finden, die man in verschiedene Gruppen einteilt. Gleich mehrere dieser Substanzgruppen verändern das Erbgut und sind Krebs erregend. Hierzu gehören die so genannten polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe, die Benzole, Aldehyde und Nitrosamine. O-Ton Pötschke-Langer Die Schadstoffe wirken auf die Zelle ein, verändern diese, so dass die Zelle, wenn der Reparaturmechanismus der Zelle nicht funktioniert, die Veränderungen dann weitergeben bei der Zellteilung. Und wenn dann eben weitere Schadstoffe auf die Zelle wiederum einwirken, dann kann es zu einer Entartung führen. Sprecher: Dass Zigaretten die Gesundheit massiv schädigen, dürfte allen Rauchern hinreichend bekannt sein. Doch den Zigarettenabsatz beeinflusst das kaum. Die Zahl der verkauften Zigaretten lag im Jahre 2002 ungefähr ebenso hoch wie Anfang der neunziger Jahre – bei knapp 170 Milliarden Stück. Erst die Tabaksteuererhöhungen der Jahren 2003 und 2004 verringerten den Konsum deutlich – er sank um 12 Prozent. Höhere Steuern sind für Martina PötschkeLanger denn auch eine der effektivsten Maßnahmen, um das Rauchen einzudämmen. O-Ton Pötschke-Langer Wir wissen genau, was wirkt in der Tabakprävention. Das sind vor allen Dingen kontinuierliche Tabaksteuererhöhungen. Das zweite sind rauchfreie öffentliche Einrichtungen und eine rauchfreie Gastronomie. Das dritte ein Tabakwerbeverbot, umfassend. Das vierte ist eine Einschränkung des Vertriebs, also ein Verbot von Zigarettenautomaten und den leichten 3 Zugriff an der Supermarktkasse. Und als weitere Maßnahme hier Hilfestellungen für Raucher zum Rauchstopp, das heißt ein angemessenes Angebot und auch eine Bezahlung dann entsprechend der Tabakentwöhnung. Sprecher: Doch für die Umsetzung dieser Maßnahmen fehlt in Deutschland offenbar der politische Wille. Und das hat Gründe, sagt Martina Pötschke-Langer. O-Ton Pötschke-Langer Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr zurückgehalten, was wirksame Maßnahmen in der TabakPrävention angeht mit Ausnahme eben jetzt der letzten Jahre, der Steuererhöhungen. Seit über 30 Jahren ist es der Tabakindustrie gelungen, die Politik ganz massiv zu beeinflussen, dass sie die wirksamen Maßnahmen in der Tabakprävention eben nicht Wirklichkeit werden lässt. Es ist der Lobbyismus für ein tödliches Produkt, nämlich die Zigarette, der hier wirklich ganz erfolgreich verlaufen ist und sich bis auf die heutigen Tage hin auswirkt. Musik Sprecher: Rauchen ist nicht nur für Raucher selbst ein massives Gesundheitsproblem, sondern auch für alle Nichtraucher, die dem Qualm ungewollt ausgesetzt sind. Schon wer beim Gähnen tief einatmet, gefährdet dann seine Gesundheit. Und die Gefahren des Passivrauchens, sagt Martina Pötschke-Langer, werden immer noch unterschätzt. O-Ton Pötschke-Langer Tabakrauch in Innenräumen ist die bedeutendste und gefährlichste vermeidbare Innenraumbelastung. Kaum ein anderer Schadstoff ist derart gefährlich und vermeidbar. Die große Gefahr für Nichtraucher besteht tatsächlich im Inhalieren von Nebenstromrauch, das heißt also dem Rauch, der durch das Verglimmen der Zigarette entsteht, weil eben der Verbrennungsvorgang ein unvollständiger ist, was die Schadstoffe angeht, und teilweise die Schadstoff-Konzentrationen viel, viel höher sind als im Hauptstromrauch. 4 Sprecher: Viele Menschen meinen, der Zigarettenrauch verteile sich so stark in der Raumluft, dass er dadurch ungefährlich werde. Doch das ist falsch, ergab zum Beispiel eine Studie des italienischen Krebsforschungsinstituts. Die Forscher verglichen die Feinstaubbelastung durch einen Dieselmotor mir der durch Zigaretten. Sie ließen einen Dieselmotor in einer Garage 30 Minuten lang laufen. O-Ton Pötschke-Langer Und dann hat man 30 Minuten drei Zigaretten hintereinander glimmen lassen. Und das überraschende Ergebnis war, dass dieses Glimmen der Zigaretten eine deutlich höhere Feinstaubbelastung erbracht hat als die Belastung durch Dieselruß. Das war sieben- bis achtmal so hoch. Sprecher: Diese Schadstoffe, die sich in der Raumluft befinden, werden auch von den Nichtrauchern eingeatmet und lassen sich in deren Organismus nieder. O-Ton Pötschke-Langer Es gibt eine Vielzahl von biologischen Tests an Nichtrauchern, die in Passivrauch-belasteten Räumen sich aufgehalten haben, und die eindeutig zu dem Ergebnis kommen, dass hier Veränderungen stattgefunden haben. Sprecher: Wie gefährlich diese sind, wurde kürzlich in einer kanadischen Studie gezeigt: Das Brustkrebs-Risiko von jüngeren Nichtraucherinnen, die regelmäßig Tabakluft ausgesetzt waren, war fast genauso stark erhöht wie das von Raucherinnen. Experten schätzen, dass Passivrauchen in Deutschland jedes Jahr mehr als 3000 Todesfälle verursacht. Hauptsächlich durch Herzkreislauf-Krankheiten, aber auch durch Krebs. O-Ton Pötschke-Langer Nach sehr konservativer Berechnung gehen wir von etwa 260 5 Todesfällen von Nichtrauchern an Lungenkrebs aus. Sprecher: Um Nichtraucher vor den Folgen des Passivrauchens zu schützen, setzt sich das Deutsche Krebsforschungszentrum dafür ein, das Rauchen in öffentlichen Räumen und Restaurants völlig zu verbieten. In vielen anderen europäischen Ländern ist das bereits Realität. O-Ton Pötschke-Langer Wir haben in der Europäischen Union fast die meisten Länder inzwischen mit rauchfreien Einrichtungen und einer Gastronomie. In Skandinavien, in Irland, jetzt in Schottland, England, in Italien, in Spanien und in Portugal sind die Restaurants rauchfrei. Sprecher: Doch was in anderen Ländern funktioniert, ist in Deutschland bisher nicht durchsetzbar, beklagt Martina Pötschke-Langer. O-Ton Pötschke-Langer Deutschland ist nach wie vor ein Entwicklungsland, was die Politik angeht des Nichtraucherschutzes. Nicht nur des Nichtraucherschutzes, sondern überhaupt der Schadstoffbelastung von öffentlichen Räumen durch Tabakrauch. Musik Sprecher: Anders als das Rauchen ist ein anderer krebserregender Luftschadstoff längst verboten: Asbest nämlich, ein mineralisches Material, das aus langen, dünnen Fasern besteht. Asbest galt in der Vergangenheit als Wundermaterial, das universell eingesetzt wurde. Etwa als Dämmstoff, zur Wärmeisolation, zum Brandschutz oder in Autobremsen. Asbest war fast überall, sagt Professor Annette Fisseler-Eckhoff. Die Medizinerin leitet die Abteilung Pathologie und Zytologie an den Horst-Schmidt-Kliniken in Wiesbaden. 6 O-Ton Fisseler-Eckhoff Also zum Beispiel wenn Sie an Bauelemente denken, Rohre, Platten, Formteile. Wenn Sie an die Autoindustrie denken, bei Kupplungen, bei Bremsbelägen, bei Teppichböden. PVCBeschichtungen enthalten zum Teil Asbest. Wenn wir daran denken, an Dichtungen, an Wärmeschutzisolierungen von Hochhäusern. Sprecher: Seit 1993 ist Asbest in Deutschland verboten – es darf nicht verarbeitet oder in den Verkehr gebracht werden. Denn der vermeintliche Wunderstoff, so stellte sich heraus, erzeugt Krebs. Der Grund dafür sind die winzigen Fasern, aus denen das Mineral besteht. Ihr Durchmesser kann fünfzigmal kleiner sein als der eines Haares. Weil sie so klein sind, ist es möglich... O-Ton Fisseler-Eckhoff ...dass eben diese Fasern zunächst in die Lunge hinein gelangen bis in die kleinsten Lungenbläschen, in den kleinsten Lungenbläschen an den Zellen wiederum DNA-Schädigungen induzieren, der genetische Code der Zelle wird dadurch verändert. Und das führt zu Gewebsschädigungen, und diese Zelle entartet. Sprecher: Asbest kann zwei verschiedene Arten von Tumoren hervorrufen: in der Lunge und am Brustfell, dem so genannten Pleura, das den Brustraum von innen auskleidet. Jährlich erkranken in Deutschland etwa 750 Menschen an Lungenkrebs und etwa 700 Menschen an Brustfell-Krebs, der durch Asbest verursacht ist. Obwohl Asbest seit 13 Jahren verboten ist, wird die Zahl der Neuerkrankungen in den nächsten Jahren nicht sinken, sagt Annette Fisseler-Eckhoff. O-Ton Fisseler-Eckhoff Wir gehen davon aus, dass 20 bis 30 Jahre zwischen der AsbestExposition... Sprecher :... also der Belastung mit Asbest... 7 ... und der Entstehung des bösartigen Tumors vorliegen. Vor 20 bis 30 Jahren gab es kein Asbestverbot in der Bundesrepublik Deutschland. Das heißt, dass die Exposition damals noch wesentlich höher war und wir jetzt erst mit den vielen Fällen konfrontiert werden, die damals Asbest- exponiert waren. Sprecher: Die Experten gehen davon aus, dass erst zwischen Jahre 2010 und 2020 der Gipfel der durch Asbest verursachten Krebserkrankungen erreicht sein wird. Und in fast allen Fällen sterben die Patienten daran, früher oder später. O-Ton Fisseler-Eckhoff Wir sind mittlerweile bei einer besseren Überlebensrate, was die bösartigen Tumoren der Lunge anbelangt, besonders auch durch die chemotherapeutischen Möglichkeiten und durch die operativen Möglichkeiten. Aber die Prognose ist nach wie vor nicht gut. Sprecher: Um so wichtiger ist es, jeglichen Kontakt mit Asbest zu vermeiden. Für Menschen, die beruflich mit dem Schadstoff umgehen müssen, vor allem bei Renovierungs- und Sanierungsarbeiten, gelten strenge Schutzvorschriften. Dazu gehören Schutzkleidung, Atemschutz, Absaugvorrichtungen und ähnliches. Doch auch im privaten Bereich, vor allem in älteren Häusern, kann sich möglicherweise Asbest verstecken – zum Beispiel in Dachplatten, Fassadenelementen oder auf der Rückseite von PVCFußböden. Experten können feststellen, wie stark die Belastung ist. O-Ton Fisseler-Eckhoff Man sollte im Vorfeld Messungen in der Luft durchführen, wie viel Asbestfasern in der Luft pro Kubikmeter vorliegen, um dann entsprechend eine professionelle Sanierung durchführen zu lassen. Selbst sanieren sollte man unter keinen Umständen. Sprecher: Denn dabei wird gebundenes Asbest freigesetzt, schädliche Fasern entweichen in die Luft. Wer eine Asbest-Belastung in 8 seinem Haus vermutet, sollte sich entweder bei den örtlichen Baubehörden, der Umweltberatung, Zentrale oder beim TÜV beraten lassen. der Verbraucher- Musik Sprecher: Auch Asbestfasern gehören zu einer Gruppe von feinsten Partikeln, die man als Feinstaub bezeichnet. Darunter versteht man feste und flüssige, in der Luft schwebende Teilchen, deren Durchmesser im so genannten Nanometerbereich liegt, das sind Milliardstel Meter. Seit Januar 2005 gilt eine Richtlinie der EU, die Grenzwerte für die Feinstaub-Belastung der Luft festlegt. O-Ton Fisseler-Eckhoff Dieser primäre Feinstaub kann einerseits natürlichen Ursprungs sein, wenn Sie zum Beispiel an Waldbrände denken, dabei entstehen Feinstäube. Oder wenn Sie an Bodenerosionen denken, entstehen diese Feinstäube. Aber auch als biologische Materialien, zum Beispiel Pollen oder auch Sporen in der Luft stellen auch Feinstäube dar. Sprecher: Die wichtigsten Feinstaubquellen stammen jedoch von Menschenhand. O-Ton Fisseler-Eckhoff Die häufigste, mit dem wir konfrontiert werden, sind zum Beispiel bei Dieselmotoren, die Rußpartikel, die freigesetzt werden. Wir finden in Müllverbrennungsanlagen oder auch in Industrieprozessen Feinstäube. Beim Hausbrand, oder auch in Schuttablageplätzen werden Feinstäube frei, oder auch im Straßenverkehr, bei Abgasen, Abrieb von Reifen, von Bremsen oder auch von Kupplungsbelägen. Da werden wir sehr stark mit Feinstaub konfrontiert. Sprecher: Allerdings deutlich weniger als in früheren Jahrzehnten. Laut Umweltbundesamt ging die Belastung mit Feinstäuben stark zurück: seit 1990 um fast 90 Prozent. Weil Feinstäube tief in 9 die Lungen und sogar in den Blutkreislauf eindringen, können sie auch Krebs auslösen. O-Ton Fisseler-Eckhoff Es gibt eine große Studie aus den Vereinigten Staaten, die Nashville-Studie. Die hat damals 375.000 Einwohner untersucht, davon 25.000 Sterbefälle geprüft. Und dabei konnte ein gesicherter Zusammenhang zwischen Schwebestaubgehalt der Luft und der Sterblichkeit zum Beispiel an Speiseröhrenkrebs, an Prostatakrebs oder auch an Blasenkrebs nachgewiesen werden. Sprecher: Genaue Zahlen, wie viele Krebsfälle durch Feinstaub ausgelöst werden, gibt es zwar nicht. Klar ist jedoch, dass er als Ursache anderer Krankheiten eine wesentlich größere Rolle spielt. O-Ton Fisseler-Eckhoff Herzerkrankungen oder Lungenerkrankungen, Asthma, Bronchitis, das sind Dinge, die dadurch stark gefördert werden. In Deutschland liegt die Zahl bei 70.000 Menschen pro Jahr, die an den Folgen von Feinstaub, also Feinstaub-Inhalationsfolgen versterben. Atmo: Autoverkehr unter Sprecher hochblenden Sprecher: Grund genug, die Feinstaubbelastung auf den Straßen weiter zu senken. Dazu werden viele Maßnahmen diskutiert: nasse Straßenreinigung, Verkehrsverbote für LKWs in Großstädten oder weniger Parkplätze in Innenstädten. Doch das größte Risiko ist auch für Annette Fisseler-Eckhoff eines, das man selbst beeinflussen kann. O-Ton Fisseler-Eckhoff Wenn Sie vergleichen: Ein Dieselmotor, der 100 Minuten läuft, produziert so viel Feinstaub wie eine Zigarette. Von da aus relativiert sich das Ganze.