ö 1-klassiker 12111

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Ö 1-KLASSIKER
BRAHMS
MEDIENBEGLEITHEFT zur CD
Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 68, 47.51 Minuten
Acht Klavierstücke op. 76, 24.45 Minuten
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 B-Dur op. 83, 51.41 Minuten
Sonate für Violine und Klavier Nr. 2 A-Dur op. 100, 18.15 Minuten
DAS ZUKUNFTSMINISTERIUM
12111
Ö 1 – KLASSIKER: BRAHMS
Das vorliegende Heft ist die weitgehend vollständige Kopie des Begleitheftes zur CD
Konzept der Zusammenstellung von
Dr. Haide Tenner, Dr. Bogdan Roscic, Lukas Barwinski
Executive Producer:
Lukas Barwinski
Musik Redaktion:
Dr. Gustav Danzinger, Dr. Robert Werba, Albert Hosp, Mag. Alfred Solder
Text:
Mag. Ursula Magnes
Lektorat:
Michael Blees
Grafikdesign:
vektorama
Fotorecherche:
Österreichische Nationalbibliothek/ Mag. Silke Pirolt
Fotos:
ORF, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv
Herausgeber der CDs und der Begleithefte:
Universal Music GmbH, Austria 2004
Besonderen Dank an:
Prof. Alfred Treiber, Mag. Irina Kubadinow, Dr. Johanna Rachinger,
Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek
Medieninhaber und Herausgeber des vorliegenden Heftes:
Medienservice des
Bundesministeriums für Bildung,
Wissenschaft und Kultur
1014 Wien, Minoritenplatz 5
Bestellungen:
Tel. 01/982 13 22-310, Fax. 01/982 13 22-311
E-Mail: [email protected]
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Ö1-KLASSIKER, VOLUME 11
BRAHMS
JOHANNES BRAHMS (1833-1897)
»FREI, ABER EINSAM«
»Aimez-vous Brahms?« lautet der fragende Titel jenes Bestsellers der französischen
Schriftstellerin Françoise Sagan, der Anfang der sechziger Jahre in der Verfilmung von
Anatole Litvak unter »Lieben Sie Brahms?« in die heimischen Kinos kam. Zwischen
Ingrid Bergman, Yves Montand und Anthony Perkins entspinnt sich eine klassische
Dreiecksgeschichte, die sich frei abgewandelt und fern jeder Leinwand auf das Leben von
Johannes Brahms übertragen lässt. Kurz skizziert: Der örtliche Bezug Hamburg-Wien, die
Familie Schumann und der Geist Ludwig van Beethovens; der Hamburger Brahms verliebt
sich am Beginn seiner Karriere just in Clara Schumann, Ehefrau seines Mentors Robert
Schumann, und wurde nach längerem Hin und Her in Wien heimisch, wo er alles vor ihm
Komponierte unter der »Last Beethovens« seziert und mit historischem Augenmaß
erweitert. Aus diesen drei wesentlichen Ingredienzien entspinnt sich ein freies, aber
keinesfalls unbeschwertes Komponistenleben. Der »lange Schatten« der BeethovenRezeption ließ Brahms vierzehn Jahre (!) lang an seiner 1. Symphonie feilen, ehe er sich
die Veröffentlichung zutraute. Die tief empfundene Liebe zu Clara Schumann prägte den
Menschen Brahms. Er wird zum eingefleischten »Single«; gegenüber Freunden gleichermaßen großzügig wie grob und von beißendem Humor. Unschmeichelhafte Kommentare
stehen warmherzig formulierten Briefen gegenüber. Constantin Floros spricht in diesem
Zusammenhang vom »Janusköpfigen«, der sich solcherart auch in seinem Werk spiegelt.
Doppelbödigkeit verrät auch der Wahlspruch (»Frei, aber einsam«) des mit Brahms
befreundeten Geigers Joseph Joachim. Brahms komponierte mit Robert Schumann und
Albert Dietrich im Dreiergespann sogar eine »FAE-Sonate« zu dessen Ehren. »Einsam,
aber frei« wäre als Umkehrung durchaus zulässig, mehr als eine kurzzeitige Verlobung mit
der talentierten Sängerin Agathe von Siebold, die Brahms im Sommer 1858 kennen lernte,
sollte es im Privaten für ihn nicht werden. Aber man liebte Brahms öffentlich, besonders in
Wien, wo er 1863, nachdem ihm der befreundete Sänger Julius Stockhausen als Leiter der
Philharmonischen Gesellschaft in Hamburg vorgezogen wurde, in der Karlsgasse 4
endgültig Wohnung bezieht. Hier konnte er in Ruhe das damals weitgehend unbekannte
Werk Schuberts studieren, rund um den Musik begeisterten Mediziner Theodor Billroth
interessant geistreiche Freundschaften pflegen, an Orten Wein trinken, wo es schon
Beethoven zu tun pflegte. Gewissermaßen ein VIP: In der Gastwirtschaft »Zum roten Igel«
war eigens ein Tisch für ihn reserviert.
Schon etwas zurückhaltender begegnete man dem jungen feschen Pianisten und Komponisten im Umkreis Richard Wagners und Franz Liszts, den Verfechtern der so genannten
Neudeutschen Schule. Doch es waren vielmehr die fanatischen Anhänger als die Protagonisten selbst, die diesem musikästhetischen »Schisma« des 19. Jahrhunderts anheim
fielen. »Man sieht, was sich in den alten Formen noch leisten lässt, wenn einer kommt, der
versteht sie zu behandeln«, bemerkte Richard Wagner, nachdem ihm Brahms seine
»Händel-Variationen« vorgespielt hatte. Brahms wiederum schätzte trotz jugendlicher
Gegnerschaft seinen übermächtigen Zeitgenossen, dessen Platz er nach Wagners Tod 1883
in der öffentlichen Meinung des aufstrebenden Bürgertums ohnedies einzunehmen hatte. In
Wien kultivierte man an Stelle Wagners Anton Bruckner als Opposition zu Brahms.
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Brahms im Musiksalon
seiner Wohnung in der
Wiener Karlsgasse
»NEUERER DER MUSIKALISCHEN SPRACHE«
Die kompositorische Entwicklung von Brahms lässt sich trotz der oft zitierten musikalischen Frühreife seines Talentes mehr oder weniger in drei Schaffensperioden umreißen,
ohne scharfe Trennlinien ziehen zu müssen: der Beginn reicht von den ersten beiden
Klaviersonaten 1853/54 bis zur erfolgreichen Uraufführung des »Deutschen Requiem« op.
45 (vollständige Version) 1869 in Leipzig, die zweite bis zum Klavierkonzert Nr. 2
B-Dur op. 83, uraufgeführt 1881 in Budapest, die dritte und letzte Periode beginnt mit der
Arbeit an der 3. Symphonie F-Dur op. 90, entstanden während eines Sommeraufenthaltes
1883 in Wiesbaden. Eine Entwicklung die romantisch virtuos beginnt, sich entgegen
»neudeutscher« Moden klassischen Formen zuwendet, um über die Liebe zur Natur das
Individuelle im nur scheinbar Einfachen zu betonen. Friedrich Nietzsche spricht in diesem
Zusammenhang 1888 von einer »Melancholie des Unvermögens«: Brahms schaffe nicht
aus der Fülle, er dürste nach ihr.
Biograph Hans Gál vergleicht diese Kompositionsphasen mit dem natürlichen Jahreskreis,
was für den leidenschaftlichen Spaziergänger und Naturliebhaber Brahms nicht ganz
abwegig scheint: »Der Frühling des jugendlichen Sprossens und Werdens, der Sommer
mächtig fortschreitenden Reifens, der Herbst einer vollen Ernte, der Winter der allmählich
absinkenden, verebbenden Lebenskraft: das sind Perioden, nach denen sich das Werk von
Brahms parallel zu seiner Lebensgeschichte am ungezwungensten ordnen lässt.« Die Oper
- »lieber heiraten, denn eine Oper schreiben« ätzte Brahms -, kam für ihn mangels geeigneter Libretti nicht in Frage.
Erste Popularität erlangte Brahms mit den »Ungarischen Tänzen«, gedruckt 1869 durch
den engagierten Brahms-Verleger Fritz Simrock. Schlagartig bekannt wurde er durch einen
hymnischen Artikel von Robert Schumann mit dem Titel »Neue Bahnen«, erschienen am
28. Oktober 1853 in der »Neuen Zeitschrift für Musik«. Brahms hatte auf Empfehlung von
Joseph Joachim dem Ehepaar Schumann in Düsseldorf vorgespielt. Mit enthusiastischem
Pathos beschreibt Robert Schumann kurz darauf seine ersten Eindrücke: »Er trug, auch im
Äußeren, alle Anzeichen an sich, die uns ankündigen: das ist ein Berufener. Am Klavier
sitzend, fing er an, wunderbare Regionen zu enthüllen. Wir wurden in immer zauberischere
Kreise hineingezogen.
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Dazu kam ein ganz geniales Spiel, das aus dem Klavier ein Orchester von wehklagenden
und laut jubelnden Stimmen machte. Es waren Sonaten, mehr verschleierte Sinfonien Lieder, deren Poesie man, ohne die Worte zu kennen, verstehen würde, obwohl eine tiefe
Gesangmelodie sich durch alle hindurchzieht - einzelne Klavierstücke, teilweise dämonischer Natur von der anmutigsten Form, - dann Sonaten für Violine und Klavier, Quartette für Saiteninstrumente, - und jedes so abweichend vom andern, dass sie jedes von
verschiedenen Quellen zu entströmen schienen.« Freilich begegnete Brahms in diesem
Zusammenhang auch der Liebe seines Lebens: Clara Schumann. Er löst sich mit einigem
Kraftaufwand aus der seelischen Umklammerung, beider Verzicht nach dem Tod
Schumanns 1856 steht eine lebenslange und offenherzige Freundschaft gegenüber. »Ruhig
in der Freude und ruhig im Schmerz und Kummer ist der schöne, wahrhafte Mensch.
Leidenschaften müssen bald vergehen, oder man muß sie vertreiben«, schreibt er in einem
Brief vom 11. Oktober 1857.
Interessant, dass gerade Arnold Schönberg in seinem Aufsatz »Brahms, der Fortschrittliche« jenem Klischee, hier Fortschritt, dort Rückschritt beziehungsweise Stillstand,
entgegenhält, wie sehr Brahms auf dem Weg »in Richtung einer uneingeschränkten
musikalischen Sprache« gewesen sei. An anderer Stelle (»Nationale Musik«) zählt er vier
wesentliche Punkte auf, die er von Brahms gelernt habe: »1. Vieles von dem, was mir
durch Mozart unbewusst zugeflogen war, insbesondere Ungradtaktigkeit, Erweiterung und
Verkürzung der Phrasen; 2. Plastik der Gestaltung: nicht sparen, nicht knausern, wenn die
Deutlichkeit größeren Raum verlangt; jede Gestalt zu Ende führen; 3. Systematik des
Satzbildes; 4. Ökonomie und dennoch: Reichtum.« Brahms vertieft sich weniger in die
Suche nach der »Musik der Zukunft«, er zieht viel mehr seine Wurzeln aus der eingehenden Beschäftigung mit der Musik und Formensprache alter Musik. Daraus entwickelt er
jene motivische Feinarbeit und ureigenste Variationstechnik, die zu einer vollkommenen
Strukturierung des musikalischen Materials geführt hat.
SYMPHONIE NR. 1 C-MOLL OP. 68
»RÜCKWÄRTS VORWÄRTS«
1854 hörte der einundzwanzigjährige Brahms zum ersten Mal die 9. Symphonie von
Ludwig van Beethoven. Erste symphonische Versuche enden daraufhin im 1. Klavierkonzert, das 1859 im Leipziger Gewandhaus völlig durchfiel. Eine erste Symphonie zu
schreiben forderte von Brahms in Folge 14 Jahre, obwohl der erste Satz bereits 1862
vorlag. Clara Schumann kommentierte ihn in einem Brief mit »alles ist so interessant
ineinander verwoben, dabei so schwungvoll wie ein erster Erguss«. Doch noch Anfang der
1870er Jahre schreibt Brahms an den Dirigenten Hermann Levi: »Ich werde nie eine
Symphonie komponieren! Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinen zumute ist,
wenn er immer so einen Riesen (Beethoven) hinter sich marschieren hört.« Irgendwann war
es dann doch so weit.
Clara Schumann
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Die 1. Symphonie konnte am 4. November 1876 in Karlsruhe unter Otto Dessoff
uraufgeführt werden. Einerseits gefeiert, wird ihr andererseits das »Große, Ernste, Schwere
und Komplizierte« zum Vorwurf gemacht. Eine Kritik, der sich Brahms trotz übersichtlichen Aufbaus zu stellen hatte: Die beiden tonangebenden Ecksätze umschließen zwei als
Intermezzi gearbeitete Mittelsätze. Brahms legt im Eröffnungssatz ein motivisches Netzwerk frei, welches das vorgestellte Grundmaterial eines chromatischen Skalenausschnittes
samt kontrapunktischer Dreiklangszerlegung durch alle vier Sätze weiterspinnt. Im
Finalsatz stößt Brahms schon bald an die formalen Grenzen des »klassischen« Finales.
Entgegen der »entwickelnden Variation« als Merkmal der »neuen Bahnen«, die Brahms
nach Schumanns Wort eingeschlagen hatte, reiht er die Themen aneinander. Dem Zitat aus
dem vierten Satz der 9. Beethoven schließt sich eine schweizerische Alphornweise (»Hoch
auf’m Berg, tief im Tal, grüß ich Dich viel tausendmal!«) als Gruß an Clara an. Ein
choralartiger Gedanke schwingt sich in der Coda zu lautstarkem Pathos empor. Ähnlich
wie in der 5. Symphonie von Beethoven entwickelt sich der Grundton des Werkes von cMoll hin zu leuchtendem C-Dur. Dessen ungeachtet schreibt der bedeutende Musikforscher
Friedrich Chrysander 1878 in der »Allgemeinen Musikalischen Zeitung« über die Bedeutung der 1. Symphonie in Bezug auf Beethovens »Ode an die Freude«: »... welches
nach Art und Stärke die Wirkung derselben hervorbringe, ohne den Gesang zu Hilfe zu
rufen. Und soweit nun dieser Versuch gelungen ist, bedeutet er also eine Zurückführung
der aus Spiel und Gesang gemischten Symphonie zu der reinen Instrumentalsymphonie,
und zugleich bedeutet er eine Erweiterung derjenigen Wirkungen, welche durch bloße
instrumentale Mittel hervorgebracht werden können.« Chrysander überschreitet damit den
verführerischen Limes, stets von einer »10. Beethoven«, wie es Hans von Bülow tat, zu
sprechen.
KLAVIERSTÜCKE OP. 76
»MITTEILEN UND ERWÄRMEN«
Der hochtalentierte junge Brahms musste schon früh zum Unterhalt seiner Familie
beitragen, indem er mit seinem Vater, einem vielseitigen Stadtmusikus, in den Hamburger
Kneipen zur Unterhaltung aufspielte. Soviel zum Vorurteil »Akademiker Brahms«! Als
Konzertpianist sammelte er erste Erfahrungen mit dem ungarischen Geiger Eduard
Reményi. In puncto Klaviermusik beschäftigt sich Brahms neben den klassischen Formen
intensiv mit dem Variationsprinzip, Beispiele dafür sind die Händel- und PaganiniVariationen, komponiert und erdacht für den professionellen Konzertgebrauch. Neben den
drei frühen Sonaten in Anlehnung an Beethovens »Appassionata« oder Schuberts
»Wanderer-Phantasie«, stehen die introvertierten Spätwerke op. 116 bis op. 119. In ihnen
entfalten sich weder geistvolle Virtuosität noch Liszt’sche Bravourakte. In den Klavierstücken, Fantasien und Intermezzi spürt man viel mehr eine überzeugte Einfachheit, die
vom Herzen kommt und zu Herzen geht. Wilhelm Furtwängler bemerkte zu dieser
Verdichtung der Empfindung im Spätwerk von Brahms: »Brahms vermochte es [...] eine
Melodie zu schreiben, die bis in die kleinsten Biegungen hinein sein Eigentum war und
doch wie ein Volkslied klang. Oder umgekehrt gesagt: eine Melodie, die ein wirkliches,
echtes Volkslied - und doch von Brahms war.« In Pörtschach am Wörthersee, »da fliegen
die Melodien, daß man sich hüten muß, keine zu treten«, wie Brahms an Eduard Hanslick
schrieb, entstanden im Sommer 1878 nicht nur die 2. Symphonie und das Violinkonzert,
sondern auch die Acht Klavierstücke, die erst nachträglich zum op. 76 zusammengefasst
wurden, weswegen sie Brahms gern als »aus allen Herren Länder« bezeichnete.
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Er war zu dieser Zeit gerade mit der Gesamtausgabe der Klavierwerke Schumanns und
Chopins für den Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel beschäftigt, was sich in den jeweils
vier Capricci und Intermezzi von op. 76 gut nachhören lässt. Die kurzen Stücke sollen nach
Biograph Max Kalbeck weniger glänzen, denn »mitteilen und erwärmen«. Es ist sicher
kein Zufall, dass beim Hören dieser Musik Assoziationen zu so mancher Improvisation von
Keith Jarrett frei werden können - ausprobieren lohnt sich.
Sicht über den Wiener Karlsplatz
Aquarell von Franz Alt (1873)
KLAVIERKONZERT NR. 2 B-DUR OP. 83
»LEIDENSCHAFT DURCH FORM«
1881 schreibt Brahms aus Pressbaum an die befreundete Emma Engelmann: »Ich habe in
der Übereilung ein schönes großes Klavierkonzert geschrieben und nicht vorher bedacht,
ob sich denn eine Frau findet, die deshalb ihrem Mann davonläuft! [...] Auch ein Scherzo
ist zum Überfluß darin, von einer Zartheit, von einem Duft. [...] Ich habe auch mit dem
Stück beabsichtigt, zu zeigen, wie der Künstler alle Leidenschaft abstreifen muß, um in
reinstem Äther mit vorbedachten Bakterien schwärmen zu können.« Nachdem Brahms’
erster Versuch eine Symphonie zu schreiben, von einer »Sonate für zwei Klaviere« zum
1. Klavierkonzert mutierte, ist das 2. Klavierkonzert zwar keine »verunglückte Symphonie«, aber wie Eduard Hanslick es formulierte, strukturell doch eher »eine Symphonie mit
obligatem Klavier«, was der Einschub eines Scherzos und die damit erzielte viersätzige
symphonische Anlage unterstreicht.
Hanslik vor der Statue
des heiligen Johannes,
Karikatur auf Brahms
(1890)
Ganz im Gegensatz zum »Sturm und Drang« des ersten, zeigt sich gut 24 Jahre später im
2. Klavierkonzert klassische Formausgeglichenheit, mehr epischen denn dramatischen
Charakters. Kurze Höranleitung: Das Waldhorn eröffnet mit breitem Hauptthema den
ersten Satz, welches vom Klavier in aufsteigenden Akkorden imitiert wird.
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Brahms erweitert die klassisch symmetrische Anlage des Themas von »zwei mal zwei«, auf
»zwei mal drei« Takte. Das Thema des »Andante« wird vom Solocello vorgestellt und lässt
später das Lied »Immer leiser wird mein Schlummer« (op.105/2) erkennen. Mit
»Todessehnen« (op. 86/6) nimmt Brahms ein weiteres Lied vorweg. Auffallend ist, was
den Einsatz des Horns und Cellos am Beginn des ersten bzw. im Laufe des dritten Satzes
betrifft, die Ähnlichkeit zu Tschaikowskys populärem 1. Klavierkonzert. Praktisches
Detail für den Konzertbesuch: Die Terzenkette der rechten Hand im Finalsatz gehört zu den
berüchtigtsten »Mogelstellen« der Klavierliteratur. Brahms selbst bestritt die Uraufführung
1881 in Budapest. Wie eigens vermerkt, spielte er aus dem Manuskript.
Brahms Denkmal,
Karlsplatz, Wien
VIOLINSONATE NR. 2 A-DUR OP. 100
»BIOGRAPHISCHE EINSCHÜBE«
Brahms komponierte insgesamt drei Violinsonaten, wobei er - für ihn typisch - drei frühere
vernichtete. Die 2. Violinsonate wurde am 2. Dezember 1886 im heutigen Brahms-Saal
des Wiener Musikvereins von Joseph Hellmesberger sen. mit Brahms am Klavier aus der
Taufe gehoben. Jener Hellmesberger, der 1862 während des ersten Aufenthalts von Brahms
in Wien mit dem Ausspruch »Das ist der Erbe Beethovens!« der Schumannschen Hypothek
im Artikel »Neue Bahnen« noch eines drauf setzte. Kein Wunder also, dass sich Brahms
auch bei den Violinsonaten sehr viel Zeit ließ. Entstanden ist die so genannte »Meistersinger-Sonate«, am Schweizer Thuner See im Sommer 1886. Mit dem etwas »fingerzeigenden« Untertitel waren die Wagnerianer schnell zur Hand, da die ersten Intervalle der
Sonate mit der Stolzing-Arie »Morgenlich leuchtend« übereinstimmen. Wesentlich
interessanter scheint, dass sich Brahms mit »Wie Melodien zieht es mir leise durch den
Sinn« (op.105/1) und »Komm bald!« (op.97/5) mehrmals selbst zitiert. Dahinter steckt
unverhohlen die komponierte Vorfreude auf den Besuch der bisweilen umschwärmten
Altistin Hermine Spies. Besonders in den beiden Ecksätzen stehen sich Klavier und Violine
als gleichberechtigte Partner gegenüber; einmal Pianist, immer Pianist. Zweiter und dritter
Satz gehen formal zu Variationen erweitert, ineinander über. Die Sonate schließt mit
einfach, liedhafter Thematik. Brahms ist, wie er selbst sagte, »dem Ende« seiner Musik mit
absolutem Anspruch ein Stück näher gerückt.
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