Das Jahr der Hirsche - Landwirtschaftskammer Schleswig

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Wald & Jagd
BAUERNBLATT l 8. August 2015 ■
Reportage über eine unserer Hauptwildarten
Das Jahr der Hirsche
Damwild ist eine der Hauptwildarten in Schleswig-Holstein. Das
Jahr der mittelgroßen Schalenwildart gestaltet sich spannend
und unterscheidet sich bis hin
zur „Damenwahl“ in der Brunft
von den anderen Hirscharten
deutlich.
30.000 Jahre mögen lang erscheinen. So lange liegt die letzte große Eiszeit etwa zurück. Für das Erscheinen
oder Verschwinden von Tier- und
Pflanzenarten innerhalb bestimmter
Lebensräume ist ein solcher Zeitraum
allerdings bestenfalls ein Fingerschnippen im sich über Milliarden Jahre drehenden Rad der Evolution. Eine Art,
die bis zur letzten Eiszeit auch nördliche Breiten besiedelte und es geschafft
hat, nach ihrem Verschwinden aus der
Landschaft zwischen Nord- und Ostsee
den Weg zurückzufinden, ist das Damwild. Der Fund eines Damwildskelettes
im brandenburgischen Belzig belegt
das Vorkommen von Damwild in unserem Raum in der letzten Eiszeit. Das
nichtganzvollständigeGeweihsolldabei den heutigen Anforderungen an
das Hegeziel starker Hirsche entsprochenhaben.ZweiweitereFundeinDänemark weisen auf das Vorkommen
von Damwild in der letzten Zwischeneiszeit hin. Danach verliert sich die
Spur des Damwildes im Norden.
Kleinasien und der Mittelmeerraum
werden als Rückzugsgebiete angegeben. 150 bis etwa 460 neuer Zeitrechnung bürgerten die Römer das
schmackhafte und gleichermaßen
gut für die Gatterhaltung geeignete
Damwild in England ein. 1577 folgt
die bestätigte Wiederansiedlung von
30 Tieren als Geschenk des dänischen
Königs an den kurhessischen Landgrafen Ludwig. Heute ist die mittelgroße Hirschart wieder heimisch und
auch in Schleswig-Holstein kaum
In der Brunftzeit im Spätherbst ziehen die weiblichen Tiere
zu den Brunftplätzen der Hirsche. Zum Ende der Brunftzeit
und bis in den Spätwinter hinein ziehen viele Hirsche wie
dieser Schaufler noch mit den sogenannten Kahlwildrudeln.
Fotos: Ralf Seiler
mehr aus der Landschaft wegzudenken. Allein im Jagdjahr 2013/2014
zählte die Jagdstrecke in SchleswigHolstein 10.163 Stück Damwild.
Damenwahl für
die Weibchen
Die Altersansprache und jagdliche Auswahl fällt beim Damwild nicht immer leicht. Das Spießergeweih ohne Vereckung
(EndenoderSchaufelansätze)passtzumjugendlichenGesicht
mitschlankemTräger(Hals)unddennochdünnen,länglichen
Rosenstöcken, auf denen das Geweih heranwächst.
kämpfe der Damhirsche bis zur völligen Erschöpfung und mit tödlichem
Verlauf enden. Nicht genug, dass die
Hirsche in der Brunft von ihrem Körpergewicht von etwa 70 kg leicht
20 % verlieren, nehmen Rivalen und
auch jüngere Hirsche jede Chance
wahr, entkräftete Platzhirsche abzuschlagen oder am Rand des Geschehens zum Zuge zu kommen. Selbst
junge Hirsche, die nicht aktiv am
Brunftgeschehen teilnehmen, verlieren Gewicht. Anders als beim Rotwild
herrscht beim Damwild Damenwahl.
Das sogenannte Kahlwild zieht in der
Brunft zu häufig alteingesessenen
Brunftplätzen und sucht sich seinen
„Pascha“ selbst aus. Ist der Großteil
der weiblichen Tiere beschlagen,
sprich gedeckt, ziehen die Hirsche
häufig noch mit den Rudeln umher.
Erst Ende November kehrt wieder Ruhe in den Reihen der Hirsche ein.
Nicht das Fiepen der Ricken und
Keuchen der Rehböcke an glutheißen
Julitagen und auch nicht das eindrucksvolle Röhren liebestoller Rothirsche, das an frostigkühlen Oktobertagen durch gelb-rot leuchtende
Herbstwälder schallt, sondern eher an
wütend vor sich hinrollende Rülpser
erinnernde Brunftschreie begleiten
den Adrenalin- und Testosteronrausch brunftiger Damhirsche. Eine
Warnung an jüngere und schwächere
Rivalen sind sie als Hinweis auf einen
besetzten Brunftplatz allemal. Allerdings sind die Rufe der Damhirsche
vorrangig dem weiblichen Wild gewidmet. Wehe jedoch dem Rivalen,
Junggesellenklubs und
der sich zu Beginn der Paarungszeit
Alleinerziehende
den Platzhirschen stellt. Ungleich härter als bei Reh-, Rot- oder dem selteIst das Brunftgeschehen vergessen,
neren Sikawild, können die Brunft- ziehen die Kahlwildrudel zurück in ih-
Ein Trupp mittelalter Damhirsche Anfang Juni im Raps. Mit seinen harten Schalen an den Läufen und dem starken
Knicks, Wiesen und Feldränder in der Umgebung bieten Schauflergeweih hat sich dieser Hirsch Äsung auf einem
reichlich Äsung für den Kraftakt der Geweihbildung.
Rapsfeld frei geschlagen.
re Einstände. Weibliche Tiere, Kälber
und junge Hirsche kehren im November zum Tagesgeschehen zurück. Bestenfalls unterbrechen dann einmal
Hörnerklang, Schussknall und das
Hundegeläut herbstlicher Jagden die
letzten Herbsttage und novemberliches Nebelgrau. Dem Nahen von Jägern, gleich ob zwei- oder vierbeinig,
hat das tagaktive Damwild besonders
eines entgegenzusetzen, ein hervorragendes Sehvermögen. Ein kurzes
Schrecken, und das Rudel ist auf den
Läufen. Nicht nur mit moderner Zieloptik ausgestattete Jäger, sondern
auch Fell tragende Beutegreifer haben dann schnell das Nachsehen. Dafür sorgen viele Augen von Müttern,
Tanten und Schwestern im Kahlwildrudel. Die Hirsche haben sich derweil
in kleine Männergesellschaften zurückgezogen und überlassen die Aufsicht, Aufzucht und Erziehung der
Kälber dem weiblichen Wild.
Ganz alte Gesellen stehen häufiger
außerhalb der Brunft allein oder ähnlich wie beim Rotwild mit einem jüngeren Adjutanten (Beihirsch) abseits
der Klubs. Mittelalte und ältere Hirsche finden sich zum nahenden Winter in meist kleinen Junggesellenklubs
zusammen. Gemäß dem Motto „Viele Augen sehen mehr“ ziehen sich die
Hirsche in Wald, Feld und Knick als
Einstand zurück. Wählerisch zeigen
sich die Hirsche dabei nicht. Auflaufende Raps- und Wintergetreidesaaten bieten neben Kastanien, Eicheln
oder auch Bucheckern und Gräsern
und Krautresten an Feld und Waldrändern ausreichend Winteräsung.
Rinden und Triebe von Eschen, Weiden, Edelkastanien oder auch gern
die rötliche Spiegelrinde von Kiefern
ergänzen die karge Winternahrung.
■ BAUERNBLATT l 8. August 2015
Bejagung
Aus dem Jahresbericht 2014:
Beim Damwild betrug die
Jagdstrecke im Jagdjahr 2013/
2014 beachtliche 10.163 Stück.
Sie ist gegenüber dem Vorjahr
(10.901 Stück) um 7 % gesunken. Nach dem starken Anstieg der letzten Jahre und
Jahrzehnte ist es das erste Mal,
dass ein Rückgang der Jagdstrecke zu verzeichnen ist.
Durch die Novellierung der
Landesjagdzeitenverordnung
wurde die Jagdzeit für Damwild einheitlich auf den Zeitraum vom 1. September bis
31. Januar festgelegt.
Info
Damwild (Dama dama), Kulturfolger, tagaktiv, Rudel bildend, Geschlechtertrennung,
nur Hirsche tragen Geweih,
Sommerkleid rotbraun, weiß,
getupft, Winterdecke Wechsel zu graubraunen Tönen,
weiße Tupfenzeichnung auch
im Alter, langer oberseitig
schwarzer Wedel (Schwanz),
der fast ständig in Bewegung
ist, Brunft im Oktober bis November, Tragzeit 33 Wochen.
Setzzeit Juni-Juli, ein bis zwei
Kälber, Wildschaden gering,
Größe zwischen Reh- und
Rotwild, Schulterhöhe 75 bis
100 cm, Körperlänge 1,2 bis
1,4 m, weibliche Tiere kleiner
als Hirsche, Gewicht etwa 35
bis 75 kg je nach Geschlecht
und Alter.
Bezeichnungen
Rudel – größerer Zusammenschluss, Kahlwild – weibliches
Wild, Wildkalb – weibliches
Jungtier, Schmaltier – einjährig
weiblich, Rosenstöcke – knöcherne Stirnzapfen, Spießer –
einjähriger Hirsch, Knieper,
Löffler, Schaufler – folgende
Geweihentwicklungen, Schaufeln – brettartig verbreiterte
Geweihstangen, Brunft – Paarungszeit, Äsung – Nahrung,
Setzen – Gebären, beschlagen –
gedeckt, Decke – Fell, Lauscher
– Ohren, Rehwild – kleinste heimische Hirschart, Ricke – weibliches Reh, Rotwild – größte
Hirschart Schleswig-Holsteins,
Sikawild – Größe ähnlich Damwild, äußerlich ähnlich Rotwild
(geringe Bedeutung).
Wald & Jagd
Anders als im Frühjahr und Sommer haben die Hirsche allerdings ihren Stoffwechsel im Winter
deutlich reduziert.
Besonders im Spätsommer haben sich
die Hirsche ein gehöriges Polster „Feist“
angeäst.
Hiervon
zehren die Hirsche Damwild ist tagaktiv. Auch im Winter sind die Rudel, wie hier ein Hirschrudel, auf Feldern und
nicht nur in der Wiesen zu sehen.
Brunft, sondern bis in
den Spätwinter hinein. Außerdem dürfen sich in Wald und Flur beson- oder Muffelwild, besteht das Geweih
schützt ein Kleid aus bester Hohlfaser ders Mäuse auf ein ganz besonderes der Hirsche aus massiver und solider
im Winter vor Energieverlust. „Nachts Angebot aus Mutter Naturs Gesund- Knochensubstanz. Eine stark durchsind alle Katzen grau“, heißt es im heitsküche freuen. Wenn die Dam- blutete sogenannte Basthaut, das
Volksmund. So schwindet im Winter- hirsche ihre Geweihe abwerfen, lie- Periost, schützt die Geweihe im
kleid auch die mit weißen Tupfen ver- gen diese als leckere Mineralstangen Wachstum. Nach dem Aushärten der
sehene Rotfärbung des leuchtenden zum Nagen bereit. Bereits Ende Feb- Geweihstangen und Schaufeln wird
Sommerkleids und weicht einem Ge- ruar rumort es in den Nebennieren- diese an Ästen von Bäumen und Gemisch aus grauen, weißen und rinden und im Hypothalamus, der sträuch abgestreift. Eine Besonderschwarzen Tönen, die vor winterli- Hirnanhangdrüse. Dunkle Tage mit heit bildet bei den Damhirschen die
geringer Lichtdauer haben die Tes- Geweihbildung der sogenannten
chem Grau wenig Kontrast bilden.
tosteronprodukti- Spießer. Diese jungen Hirsche, die im
on in den Hoden Alter von fünf bis sechs Monaten im
herunterfahren
Winter zunächst die knöchernen Rolassen. Auch die senstöcke und danach im Frühling
Sexualhormonzwiebelartig verdickte Spieße als ersproduktion in der tes Geweih entwickeln, fegen dieses
Nebennierenrinbereits ab Juli und zeigen dann ihre
de hat herunter- ersten blanken Spießergeweihe. Erst
geschaltet.
Mit ab Mitte August folgen die älteren
länger werden- Hirsche mit dem Fegen. Bei Rehböden Tagen wer- cken und Rot- oder Sikahirschen ist
den im Hypotha- das anders. Bei ihnen fegen die alten
lamus Botenstoffe Hirsche zuerst. Im Alter von etwa
Im Schneegestöber haben diese Hirsche Deckung in einer ausgeschüttet, die neun Jahren haben die Damhirsche
Knickecke gesucht. Ihren Stoffwechsel haben die Hirsche an den knöcher- ihre stärkste Geweihentwicklung erzum Winterbeginn deutlich reduziert. Gegen kühle Win- nen Stirnzapfen reicht. Eines haben die vier Hirschartertemperaturen und Nässe hilft die Winterdecke mit der Hirsche für die ten Schleswig-Holsteins gemeinsam:
Wärme speichernden hohlen Haaren.
Bildung
soge- Die eindrucksvollen Geweihe müssen
nannte Osteoklas- jedes Jahr neu gebildet werden.
ten (Knochen abbauende Zellen) sor- Schwer fällt das den Damhirschen
Imposanter neuer
gen. Überflüssig geworden, muss das nicht. Schleswig-Holstein mit seinem
Kopfschmuck
alte Geweih ab. Erkennbar an einer milden Klima und den sogenannten
Im Frühjahr kehrt bei den Hirschen blutigen Einschnürung, der soge- offenen Parklandschaften kommt
Hochbetrieb zurück. Nicht nur die nannten Demarkationslinie, bilden dem Damwild als optimaler Lebensgerade einmal lauscherhohen Spieße sich in kurzer Zeit Bruchstellen, an raum entgegen.
der Junghirsche, sondern auch der denen die Stangen der Geweihe unRalf Seiler
imponierende Kopfschmuck der rei- terhalb der Rosenstöcke abbrechen.
freier Autor
fen Schaufler müssen jedes Jahr neu Nur wenige Tage dauert das anschließende Übergebildet werden.
Trächtige Damtiere müssen im wallen mit einer
Frühling ihren Stoffwechsel auf neuen NährstoffHochtouren schalten. Besonders im schicht, der Bastletzten Drittel der rund 33 Wochen haut, und insgedauernden Tragzeit erfolgt das samt gerade einHauptwachstum der Kälber, die ab mal rund 120 Tage
das anschließende
Juni geboren werden.
der
Anders als die Damtiere haben die Wachstum
Hirsche in dieser Zeit ihre ganz eige- neuen Geweihe.
nen Sorgen. Haben die Schaufeln der Bei Hornträgern
Geweihe nach der Brunft und win- (Boviden) wächst
terlichem Einsatz beim Freifegen von das Horn lebensFutter bei Schneelagen im Frühjahr lang. Anders als Weibliches Damwild, sogenanntes Kahlwild, lebt fast das
endgültig ihren Zweck erfüllt, be- bei den Hornträ- ganze Jahr von den Hirschen getrennt. Zum Setzen ihrer
ginnt bei den Hirschen eine einzigar- gern, wie etwa Jungen ziehen sich die Tiere im Sommer in geschützte
tige Verwandlung. Ab Mitte April Wisent, Steinbock Bereiche und gute Deckung zurück.
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