vs. - Universitätsklinikum Ulm

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Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen bei
chronisch kranken Jugendlichen und jungen
Erwachsenen.
Psychische Störungen bei chronischen Krankheiten
im Kindes- und Jugendalter
Symposium im CJD in Berchtesgaden, 26./27.1.2007
Jörg M. Fegert
Einleitung
„Die Person ist nie das Problem,
das Problem ist das Problem.“
M. White
Gliederung
0. Einleitung in die Thematik
1. Diagnostik (Pro & Kontra der Diagnose in der
Adoleszenz)
2.
4.
5.
6.
7.
8.
Grundidee der DBT
Die therapeutische Grundhaltung
Die therapeutische Beziehung
Therapeutische Elemente der DBT
Beispielübungen des Fertigkeitentrainings
Empirie – Mögliche Kritik an den empirischen
Untersuchungen
9. Schlussfolgerungen und Diskussion
Persönlichkeitsstörungen
Leitlinien Persönlichkeitsstörung (Tress et al., 2002)
tief verwurzelte stabile Verhaltensmuster mit starren
Reaktionen auf unterschiedliche persönlich-soziale
Lebensbedingungen
–Auffälligkeiten im Wahrnehmen, Denken, Fühlen
und in der Beziehungsgestaltung
–Subjektives Leiden des Betroffenen und/oder
seiner Umwelt
–durch keine andere psychische oder
hirnorganische Störung bedingt
–Beginn in Kindheit oder Adoleszenz, Andauern bis
ins Erwachsenenalter
Verschiedene Ebenen von
Persönlichkeitspathologie
SIB häufig bei Cluster B
Symptome
sensitiv
impulsiv
zwanghaft
eifersüchtig
unverantwortlich
perfektionist.
kalt
ausbeuterisch
ängstlich
distanziert
verführerisch
besorgt
affektarm
arrogant
klammernd
Borderline
Spezifische
Persönlichk.
Störungen
Cluster
Beeinträcht.
Persönlichk.
Struktur
paranoid
Antisozial
Anankast.
schizoid
Histrionisch
Ängstl.verm.
schizotyp
Narzistisch
Dependent
A
B
C
Mangelnde Anpassung
in Selbstregulation und interpersonellen
Beziehungen
Komorbidität bei jugendlichen Patienten mit Persönlichkeitsstörungen
Suchtstörungen
External. Störungen
4 / 11%
8 / 21%
Affektive Störungen
6 / 16%
Keine Komorbidität
3 / 8%
Angst-/Zwangstörungen
Essstörungen
9 / 24%
Libal G., Schmid M., Plener P., Zander A., Schmeck K., Fegert J.M., 2004
8 / 21%
Traumatische Lebensereignisse bei Jugendlichen mit Persönlichkeitsstörung
kein Trauma
12 / 32%
multiple Traumata
4 / 11%
and. traum. Ereignisse
2 / 5%
Libal G., Schmid M., Plener P., Zander A., Schmeck K., Fegert J.M., 2004
sexueller Missbrauch
10 / 26%
physischer Missbrauch
7 / 18%
Vernachlässigung
3 / 8%
Diagnostische Kriterien: Borderline (I)
1. Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder
vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden.
2. Ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehung, das durch einen
Wechsel zwischen den Extremen der
Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.
3. Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde
Instabilität des Selbstbildes oder der
Selbstwahrnehmung.
4. Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Bereichen (Geldausgeben,
Sexualität,
Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Autofahren,
„Fressanfälle“).
Diagnostische Kriterien: Borderline (II)
5. Wiederholte suizidale Handlungen,
Selbstmordandeutungen oder konkrete
Suiziddrohungen oder Selbstverletzendes
Verhalten.
6. Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten
Reaktivität der Stimmung.
7. Chronisches Gefühl von „innerer Leere“.
8. Unangemessene starke und häufige
Wutausbrüche.
9. Vorübergehende durch Belastung ausgelöste
paranoide Vorstellungen oder dissoziative
Symptome.
Gefahr der unklaren Diagnose
Die Vergabe der Diagnose wird mit einer
Prognose verknüpft und beschreibt nicht nur
rein deskriptiv die Symptomatik.
„Diagnosen sind die Grabsteine für die
Frustration des Therapeuten“
W. Kemmpler
Diagnose in der Adoleszenz
Pro:
Suffiziente symptomspezifische Behandlung kann nur mit
richtiger Diagnose eingeleitet werden
Sinnvolles Erklärungsmodell auch für Patienten
Empirie (vgl. z.B. Jerschke et al. 1998)
Forschung
Contra:
Identitätsdiffusion und Beziehungsinstabilität sind in der
Adoleszenz weit verbreitet
Gefahr des Festschreibens von Symptomen (Labeling)
Große Bedeutung des pathologischen Umfeldes und der
psychosozialen Belastungen
Störungsmodell: Biosoziale Theorie
Grundproblematik ist die Schwierigkeit mit
Emotionen umzugehen und diese zu regulieren,
dies resultiert nach Linehan aus der
Kombination von zwei Faktoren.
Genetisch bedingten Schwierigkeiten bei der
Emotionsregulation
Einer invalidierenden und entwertenden Umwelt
Vergleiche auch Konzepte von Thomas & Chess
(Passungsmodell)
Störungsmodell
Wichtig Theorien zum Verständnis des
Borderlinestörungsmodells nach Linehan:
Neurobiologie
Invalidierende Umwelt / Traumatisierungen
Dissoziation
Schematheorie
Lerntheorie
Störungsmodell: Genetik
Anfangs postuliert aufgrund von klinischen
Beobachtungen (Linehan 1991)
Zwillingsuntersuchungen (Schepank 1996)
Experimentelle Untersuchungen (Herpertz et al.
1997)
PET- Untersuchung: Durchgängig
Veränderungen im Präfrontalen Cortex
(De la Fuente et al 1997,Soloff et al. 2000)
MRT-Studien: Volumen Reduktion im
Hippocampus und verkleinerte Amygdala
(Driessen et al. 2000)
Störungsmodell (Umwelt)
Gewalterfahrungen im Erwachsenenalter, körperliche
Gewalt & Vernachlässigung durch primäre Bezugspersonen, sehr früh beginnende sexuelle Gewalt sind
Risikofaktoren für eine Borderlinestörung belegt
(Zanerini et al. 1993,1997)
Weit über 60 % der Borderlinepatienten erführe
sexuelle oder körperliche Gewalt in ihrer Kindheit
(Paris et al. 1997, Dulz 1995)
Häufiger massive Konflikte in der Familie
(James et al. 1996)
Fehlende zweite emotional bedeutende
Bezugsperson (Heffernan & Cloitre 2000)
Störungsmodell: Spannungsreduktion
Parasuizid
Dissoziation
Stimulus
Emotion
negiert
Reaktion
inadäquat
Spannungsanstieg
Konsum
Störungsmodell (Lerntheorie)
Parasuizidales und selbstverletzendes Verhalten wird
durch Spannungsreduktion massiv negativ verstärkt und
durch Zuwendung, Mitleid etc. häufig positiv verstärkt.
Bei chronisch kranken Jugendlichen bestehen viele
Vorerfahrungen mit Reaktionen von Pflege- und
Betreuungspersonen
Folge: Die Versorgung und Zuwendung in solchen
Situationen ist besonders problematisch, therapeutische
Beziehung und positive Aktivitäten die nichts mit
Selbstverletzung oder Krankheit zu tun haben sollten als
Verstärker eingesetzt werden.
Patientin mit “Verlauf”
Fluctin ab Tag 12 bis zur Entlassung; Truxal 20 mg abends von Tag 19 bis Tag 48
Ritzen
Patientin mit extremen Tagesschwankungen
Fluctin von Tag 57 bis Tag 112;
Ritzen
Störungsmodell (Schematheorie)
Borderlinepatienten haben (als Folge der
invalidierenden Umwelten oder z.B. krankheitsbedingten Erfahrungen) oft miteinander unvereinbare
kognitive Schemata (vgl. Introjekte):
Schema II
Schema I
„Ich kann mein Leben
nicht alleine bewältigen, daher
muss ich jemand
Starken an mich binden“
(Hilflosigkeit)
a
a
„Ich kann anderen Menschen
nicht vertrauen,
andere Menschen missbrauchen
und manipulieren mich.“
(Angst)
Bedeutung des Themas
Prävalenz ca. 2 % der Allgemeinbevölkerung.
18 % aller Ausgaben für Psychotherapie/Psychiatrie für
Patienten/innen mit Borderlinestörungen (5,3 Milliarden DM)
(Jerschke et al. 1998)
50-80 % brechen ambulante Psychotherapien vorzeitig ab.
Häufige stationäre Aufenthalte (bis zu 25 % der stationär
behandelten Patienten)
Suizidrate bei 7 – 10 % (Frances 1986,Stone et al.1993) trotz
Psychotherapie.
70 % der Betroffenen zeigen selbstverletzendes Verhalten
Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter
– Diagnose umstritten
Leitlinien: vor dem 16. Lebensjahr nur,
wenn Kriterien für Erwachsene anhaltend
erfüllt sind
– Entscheidende Frage:
wie stabil sind die sich in Kindheit und
Jugend entwickelnden
Persönlichkeitsmerkmale?
– Gegenargument:
auch im Erwachsenenalter nur begrenzte
Stabilität der Diagnose
Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen
in verschiedenen Lebensabschnitten
Persönlichkeitsstörung vs. Persönlicher Stil
Jedes Individuum hat seinen eigenen charakteristischen
persönlichen Stil des Verhaltens und emotionalen Erlebens.
Dieser Persönliche Stil per se ist nicht pathologisch.
Persönlichkeitsstörungen können gesehen werden als extreme
Varianten der normalen Verteilung von Persönlichkeitsmerkmalen,
die pathologisch werden, wenn es zu einer schwerwiegenden
Beeinträchtigung kommt von
–
interpersonellen Beziehungen
–
sozialer Adaptation
–
Schulischer / beruflicher Leistungsfähigkeit
–
Affekt-Regulation + Impulskontrolle
Zur Diagnose einer Persönlichkeitsstörung gehört, dass Patient
und/oder Umgebung unter den Symptomen leiden.
Kategorialer vs. Dimensionaler Ansatz
Umfrage unter den Mitgliedern der International Society
for the Study of Personality Disorders (2003)
1. Persönlichkeitsstörungen sind diskrete Kategorien:
28 %
2. Persönlichkeitsstörungen reflektieren Krankheits-Entitäten:
30 %
3. Persönlichkeitsstörungsdiagnose haben schlechte Validität:
76 %
4. Persönlichkeitsstörungen am besten konzeptualisiert als
dimensionale Störungen:
86 %
5. Persönlichkeitsstörungen kann man am ehestens verstehen
als Varianten der normalen Persönlichkeit:
84 %
Persönlicher Stil vs. Persönlichkeitsstörung
wachsam
vs.
paranoid
unabhängig
vs.
schizoid
empfindsam
vs.
schizotyp
emotional
vs.
histrionisch
spontan
vs.
Borderline
abenteuerlustig
vs.
antisozial
ehrgeizig
vs.
narzisistisch
vorsichtig
vs.
Vermeidend
genau
vs.
zwanghaft
verbunden
vs.
dependent
Störung der Persönlichkeitsentwicklung
Konstitutionelle
Faktoren
Entwicklungsaufgaben
beeinträchtigte
neurobiologische /
psychologische
STRUKTUR
unflexible und
dysfunktionale
Bewältigungsmuster
Psychosoziale
Überforderung
Abnorme
psychosoz.
Belastungen
Life
Events
Interpersonelle
Krisen
zunehmende Störung der
Selbst- u. Beziehungsregulation
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG
Cloninger´s
psychobiologisches Persönlichkeitsmodell -1-
Grundlegende Annahme:
–phänotypische und genotypische Strukturen
der Persönlichkeit sind unterschiedlich
–Eysenck´s Modell und die Big Five sind
abgeleitet aus Faktorenanalysen und
erfassen den Phänotyp
–Temperamentsdimensionen des TCI sollen
den Genotyp erfassen
Cloninger´s
psychobiologisches Persönlichkeitsmodell -2-
Temperament
– automatische Reaktionen auf emotionale
Stimuli
– neurobiologische Systeme sollen Aktivierung,
Inhibition und Aufrechterhaltung von Verhalten
modulieren
Charakter
– Selbstkonzepte und individuelle Unterschiede
in Zielen und Werten, die Auswahl und
Bedeutung dessen lenken, was im Leben
erfahren wird
Cloninger´s
psychobiologisches Persönlichkeitsmodell - 3 -
Temperamentsdimensionen
Neugierverhalten (Novelty Seeking)
Schadensvermeidung (Harm Avoidance)
Belohnungsabhängigkeit (Reward Dependence)
Beharrungsvermögen (Persistence)
Charakterdimensionen
Selbstlenkungsfähigkeit (Self irectedness)
Kooperativität (Cooperativeness)
Selbsttranszendenz (Self Transcendence)
Psychobiologische Grundlagen des
Temperamentsmodells
Neugierverhalten
Schadensvermeidung
Belohnungsabhängigkeit
Aktivierender Stimulus
Dominierendes
monoaminerges
System
Signale für Neuigkeit
oder Belohnung /
Vermeidung von Bestrafung
oder Langeweile
Dopaminerge Projektionen aus
der ventralen tegmentalen
Region des Hirnstamms zum
Striatum + Limbischen System
Signale für Bestrafung
oder Nichtbelohnung
Serotonerge, noradrenerge und
cholinerge Projektionen zur
Amygdala und der septohippokampalen Region
Signale für soziale Belohnung
Vermeidung von Bestrafung
Sensitivität von Neuronen im
frontalen Kortex bzgl.
noradrenerger Projektionen vom
Locus coeruleus
Neugierverhalten
Verhaltensaktivierung
Explorative Erregbarkeit
vs. Stoische Rigidität
Impulsivität
vs. Nachdenklichkeit
Überspanntheit
vs. Zurückhaltung
Unordentlichkeit
vs. Organisiertheit
Schadensvermeidung
Verhaltenshemmung
Pessimismus
vs. Optimismus
Angst vor Ungewissem
vs. Zuversicht
Schüchternheit
vs. Geselligkeit
Ermüdbarkeit
vs. Vitalität
Belohnungsabhängigkeit
Aufrechterhaltung von
Verhalten durch soziale
Verstärkung
Empfindsamkeit
vs. Unempfindlichkeit
Bindung
vs. Bindungslosigkeit
Abhängigkeit
vs. Unabhängigkeit
Beharrungsvermögen
Aufrechterhaltung von Verhalten
durch intrinsische Motivation
–
ehrgeizig, leistungsorientiert
–
bereit, große Opfer für einen Erfolg zu bringen
–
Perfektionisten, Workaholics
–
geben nicht leicht auf
Selbstlenkungsfähigkeit
verantwortliches und reifes
Verhalten, Selbstakzeptanz
Verantwortlichkeit
vs. Schuldzuweisung
Zielbewußtheit
vs. Ziellosigkeit
Beweglichkeit
vs.Trägheit
Selbstakzeptanz
vs. Selbstunzufriedenheit
Selbstkongruenz
vs. Inkongruenz von Fähigkeiten
und Zielen
Kooperativität
hilfsbereites, tolerantes,
einfühlendes Verhalten
Soziale Akzeptanz
vs. Intoleranz
Empathie
vs. Desinteresse
Hilfsbereitschaft
vs. Ungefälligkeit
Mitleid
vs. Rachsucht
Redlichkeit
vs. Streben nach eigenen Vorteilen
Selbsttranszendenz
Bewußtheit von spirituellen
Werten
Selbstvergessenheit
vs. Phantasielosigkeit
Transpersonelle Identifikation
vs. Selbstisolation
Spirituelle Akzeptanz
vs. rationaler Materialismus
Störung der Persönlichkeitsentwicklung
Konstitutionelle
Faktoren
beeinträchtigte
neurobiologische /
psychologische
STRUKTUR
Abnorme
psychosoziale
Belastungen
Extreme
Temperamentskonstellation
unflexible und
dysfunktionale
Bewältigungsmuster
Störungen der
Charakterentwick
lung
zunehmende Störung der
Selbst- u. Beziehungsregulation
niedrige
Selbstlenkungsfähigkeit
+ Kooperativität
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG
impulsiv
Temperamentswürfel von Cloninger
r
of
k
i
ris
dig
u
e
Neugierverhalten
zurückhaltend
Schadensvermeidung
ich
l
t
gs
n
ä
warmherzig
Belohnungsabhängigkeit
kalt
Temperamentswürfel von Cloninger
narzistisch
explosiv
Schadensvermeidung
Neugierverhalten
ig
verlässlich
h
tlic
s
g
schizoid
zwanghaft
vermeidend
warmherzig
Belohnungsabhängigkeit
kalt
zurückhaltend
ud
re
f
iko
ris
än
impulsiv
antisozial
leidenschaftlich
Temperamentstypen
und Persönlichkeitsstörungen
Persönlichkeitsstörung
Neugier
verhalten
Schadensvermeidung
Belohnungsabhängigkeit
Antisozial
Hoch
Niedrig
Niedrig
Histrionisch
Hoch
Niedrig
Hoch
Narzistisch
Hoch
Hoch
Hoch
Explosiv
(Borderline)
Zwanghaft
Hoch
Hoch
Niedrig
Niedrig
Hoch
Niedrig
Schizoid
Niedrig
Niedrig
Niedrig
Zyklothym
Niedrig
Niedrig
Hoch
Passivabhängig
Niedrig
Hoch
Hoch
Persönlichkeitsprobleme bei
chronisch kranken Jugendlichen
•
Cluster B – Persönlichkeitsstörungen bei
Jugendlichen sind charakterisiert durch
•
deutlich überdurchschnittliche
Schadensvermeidung
•
leicht erhöhtes Neugierverhalten
•
erniedrigte Werte in Belohnungsabhängigkeit und Beharrungsvermögen
•
extrem niedrige Ausprägung von
Selbstlenkungsfähigkeit
(eng assoziiert mit unreifen Abwehrmechanismen;
Mulder et al. 1996)
Adaptationsniveau
Veränderung von Persönlichkeitsstörungen
(nach Verheul, 2003)
Temperament (Persönlichkeitsstil)
Grundideen der DBT
Hauptprobleme in der Therapie von
Borderlinepatienten:
Durch die Instabilität des Lebens und der
Beziehungen vieler („aller“) Borderlinepatienten
ist es sehr schwer kontinuierlich Themen in der
Therapie zu bearbeiten.
Borderlinepatienten fühlen sich bei sehr
direktiven auf Veränderung bedachten Therapien
oft unverstanden.
Non-direktive Therapien sind oft wenig
zielführend und der Patient erlebt sich in seinem
Leidensdruck und Wunsch nach „rascher“
Veränderung nicht ernst genommen.
Grundideen der DBT
Störungsspezifische eklektische Therapie
Manualisierte standardisierte Therapie
Empirisch begründet und der empirischer
Überprüfbarkeit verpflichtet
Bildung von therapeutischen Netzwerken
(Supervisiongruppen, Institutionen,
Fertigkeitentrainer, Einzeltherapeuten)
Umsetzung lerntheoretischer Prinzipien
Therapeutische Grundhaltung
Borderlinepatienten versuchen das Beste aus ihrer
gegenwärtig verheerenden Situation zu machen.
Borderlinepatienten haben einen sehr hohen Leidensdruck
und wollen sich verändern/verbessern.
Das subjektive Erleben von Borderlinepatienten lässt ihnen
scheinbar nur wenig Handlungsspielräume. Ihre
Handlungen sind daher subjektiv sinnvoll.
Borderlinepatienten haben ihre Probleme in der Regel nicht
selbst verursacht müssen sie aber selbst lösen.
Borderlinepatienten müssen sich für Veränderungen
stärker anstrengen, viel länger und „härter“ an sich arbeiten
als andere Psychotherapiepatienten – auch für sehr kleine
Fortschritte - dies ist ungerecht.
Therapeutische Grundhaltung
Das Leben von suizidalen Borderlinepatienten ist so, wie es
gegenwärtig gelebt wird unerträglich.
Borderlinepatienten müssen in fast allen relevanten
Dimensionen neues Verhalten lernen.
Patienten können in der DBT nicht versagen.
Therapien von Borderlinepatienten sind für Therapeuten
belastend- daher benötigen sie Unterstützung.
Therapeuten sollten über Patienten immer wertschätzend
sprechen, in der Supervision -Teambesprechung sollten die
Atmosphäre derart gestaltet werden als sei der Patient
anwesend.
Jeder im Team macht Fehler. Ein guter und offener
Umgang mit Fehler ist oft ein besserer Prädiktor für den
Therapieerfolg als eine scheinbar perfekte Therapie.
Therapeutische Beziehung
Therapeut als Coach - Ressourcenorientierung
Therapeut benennt eigene Emotionen
Therapeut achtet stärker auf verbales Verhalten als auf
Mimik etc.
Jede Stunde wird auf Video aufgezeichnet /
Objektpermanenz
Der Therapeut beachtet seine eigenen Grenzen
Der Therapeut hilft der Patientin mit seinen Grenzen
umzugehen
Dialektik: Balance zwischen Akzeptanz und Drängen auf
Veränderung, Einhaltung der Regeln und Flexibilität
Der Therapeut nutzt seine Fehler
Therapieelemente
Die DBT besteht aus:
2 Stunden Einzeltherapie in der Woche
Fertigkeitentraining in der Gruppe
Telefonberatung durch den Einzeltherapeuten bei
Bedarf (Krisen, „Belohnung“ nach wichtigen
Fortschritten, Beziehungsklärung)
Sozialarbeit
Gruppensupervision aller involvierter Therapeuten
Therapieelemente
Verhältnis Fertigkeitentraining vs.Einzeltherapie:
„Das Fertigkeitentraining ist der Ton aus dem der
Einzeltherapeut sein Gefäß formt“ (Linehan)
Das Fertigkeitentraining und die erlernten Fertigkeiten
werden ständig in die Einzeltherapie integriert und ihre
Anwendung gefordert und gefördert.
Bei Krisen wird nur vom Einzeltherapeut interveniert.
Der Fertigkeitentrainer ist außerhalb der Gruppe nicht zu
sprechen und verweist stets auf den Einzeltherapeuten.
Eindrücke werden in einer gemeinsamen Supervision
ausgetauscht - bei besonderen Vorkommnissen wird sofort
Kontakt aufgenommen.
Therapeutische Schritte
1.Vorbereitungsphase:
Diagnostik
Aufklärung über Störungsbild und Behandlung
Abklärung von gemeinsamer Behandlungszielen
Intensive Verhaltensanalyse des letzten Suizidversuchs
und Therapieabbruchs.
Non - Suizidvertrag
Therapiekontrakt – Zustimmung zu den
Behandlungsbedingungen und Behandlungszielen.
Vorbereitungsphase
Analyse des letzten Therapieabbruches:
Wann wie haben sie die Therapie abgebrochen?
Wann hatten sie sich entschlossen?
Was ging dem Entschluss voraus? (Situation, Kognition,
Emotion)
Wie viel Zeit lag zwischen Entschluss und
Abbruch?
Haben sie den Entschluss hinterfragt?
Was hätte ihnen geholfen die Therapie fortzusetzen?
Was können sie und ich tun, wenn sie beginnen über einen
Abbruch nachzudenken?
Wie können sie mir helfen ein guter Therapeut für sie zu sein?
Vorbereitungsphase
Analyse des letzten Suizidversuches:
Welche Methode? Woher kamen die Mittel?
Wann entstand der Entschluss, was ging diesem genau
voraus (Situation, Kognition, Emotion)?
Wie haben sie emotional auf den Entschluss reagiert?
Wie viel Zeit lag zwischen Entschluss und Umsetzung?
Gab es Zweifel? Was haben sie unternommen um sich
vom Suizid abzuhalten?
Was für Konsequenzen hatte der Suizidversuch
(Umfeld)?
Wie Wahrscheinlich ist es, dass sie in einer ähnlichen
Situation wieder mit
Suizid reagieren?
Was können wir für Vorsichtsmaßnahmen treffen?
Therapeutische Schritte
2. Erste Therapiephase - Schwere Probleme auf
Verhaltensebene: Ziel – Kontrolle und
Stabilisierung
Verringern von Suizidalem und parasuizidalem
Verhalten
Reduktion von therapiegefährdendem Verhalten
Verringerung von Verhalten, dass die Lebensqualität
beeinträchtigt.
Verbessern von Verhaltensfertigkeiten durch
Gruppentraining
Therapeutische Schritte
Zweite Therapiephase: Erlernen von nichttraumatisierenden Erleben von Emotionen.
Spezifische Traumatherapie - Verringern von
posttraumatischen Symptomen.
Revision Trauma assozierter Schemata
Voraussetzungen für eine Traumatherapie
Die Frage der Suizidalität sollte endgültig geklärt sein.
Kein selbstverletzendes Verhalten zur Spannungsabfuhr.
Emotionen sollten moduliert und benannt werden können.
Die Patientin sollte sicher sein, kein Kontakt zu
potentiellen Tätern, Drogen, etc.. Strukturierte
Tagesabläufe im Alltag.
Die Patientin sollte selbst mit Dissoziation umgehen
können.
Die therapeutische Beziehung klar und eingespielt sein.
Der Therapeut sollte Wissen, wie dissoziative Phänomene
bei dieser Patientin beendet werden können.
Vorstellung Fertigkeitentraining
Gliederung:
Äußerer Rahmen/ Module
Gruppenregeln
Ablauf einer Sitzung
Beispiele
Fertigkeitentraining - Skilltraining
Das Fertigkeiten wird in 8 Sitzungen für jedes der
vier Module in einer wöchentlich stattfindenden
„halboffenen“ Gruppe durchgeführt.
Die Gruppe sollte von zwei Therapeuten geleitet
werden.
6 bis maximal 10 Patienten in einer Gruppe
Jeder Patient sollte die Gruppe zweimal
durchlaufen (ca. 1 Jahr)
Fertigkeitentraining - Skilltraining
Das Fertigkeitentraining enthält folgende
Therapiebausteine (Module):
Vermittlung von „Innerer Achtsamkeit“.
Steigerung der Stresstoleranz
Verbesserung der Fähigkeit zur
Emotionsregulation
Verbesserung der interpersonellen Fertigkeiten
Gruppenregeln
Schweigepflicht/ Vertraulichkeit
Wer die Therapie vernachlässigt wird
ausgeschlossen
Wer zu spät oder nicht kommt muss sich
vorher entschuldigen
Jeder Teilnehmer befindet sich in einer
fortlaufenden Einzeltherapie
Keine Therapie unter Drogen-/Alkoholeinfluss
Gruppenregeln
Keine Gespräche über vergangene
Selbstverletzungen und Suizidversuche
Wer jemand anderen um Hilfe bittet,
muss diese Hilfe auch annehmen
Keine privaten Beziehungen (alles muss
in der Gruppe zu besprechen sein)
Paare können nicht gemeinsam in eine
Gruppe gehen
Ablauf einer Fertigkeitensitzung
Begrüßung/Achtsamkeitsübung
Besprechung der Hausaufgaben
„Welche Fertigkeiten wurden mit
welchem Erfolg angewendet“.
Vermittlung von neuen Informationen
aus dem Modul
„Wind-down“ Achtsamkeitsübungen
Beispiel: Innere Achtsamkeit
Wahrnehmen und Beschreiben
Zeitlupe bzw. alltägliche Dinge bewusst tun
Atemübungen und Meditation
Emotionsregulation
Psychoedukation: Gefühle erkennen / bemerken
und benennen.
Schema zum Beobachten, Beschreiben und
Analysieren von Gefühlen
Positive Gefühle aktivieren /wahrnehmen und
verstärken (Liste angenehmer Aktivitäten)
Emotionale Sensitivität senken
(Psychoedukation: „Gesundes Leben“)
Emotionsregulation
Vermittelt wird v.a. die Funktion von Gefühlen:
Gefühle als Mittel der Kommunikation
Gefühle motivieren zum Handeln
Gefühle „können“ unsere Wahrnehmung und Konzepte
bestätigen (Signalfunktion)
Ich habe jetzt ein Gefühl - ich „bin“ kein Gefühl Gefühle kommen und gehen!
Zwischenmenschliche Fertigkeiten
Bearbeitung ungünstiger Einstellungen („Mythen“)
zur Beziehung zu anderen Menschen.
Erarbeitung förderlicher Aussagen zur
Beziehungsgestaltung.
Rollenspiele und Übungen von Alltagssituationen
später auch von Problemsituationen.
Erarbeitung eines Schema zur Analyse
(„Distanzierung“) von interaktionellen Problemen.
Stresstoleranz
Vermittlung von verschiedenen Techniken mit
Anspannung umzugehen:
Annehmen & Distanzieren
Ablenken: Kognitiv oder Aktivitäten
Kurzurlaub („sich etwas gutes tun“)
Sinnesreize (leicht/ extrem)
Beispiel: Stresstoleranz (Hohe Intensität)
Sinnesreize:
Temperatur: Eisbeutel, Eiswürfel, kaltes Wasser
Geruchsinn: Intensive Düfte
Akustik: Klare rhythmische Musik
Geschmacksreize: Chili, Meerrettich, Senf,
Brausetabletten.
Nervenreizstoffe: Ammoniak
Kienästhetik: Sportübungen, Igelbälle.
Optik: Jump-and-Run Spiele.
Empirische Befunde
Ambulante DBT vs. TAU
Ambulante DBT andere spezifische Therapien
DBT bei komorbiden Störungen
(Teil-) Stationäre DBT vs. TAU.
DBT für Jugendliche (ambulant/stationär)
Empirische Befunde
Ambulante DBT vs. TAU:
(Linehan 1993, Koons et al.1998,Stannley et al. 1998).
Reduktion von:
Stationären Behandlungstagen
Selbstverletzendem Verhalten
Suizidversuchen
Therapieabbrüchen
Verbesserung:
Der Compliance für die Therapie
Verbesserung der sozialen Integration (vgl. Achse IV)
Depressivität im BDI verbessert sich nicht statistisch bedeutsam!
Ergebnisse sind nach einer Katamnese Untersuchung (1 Jahr)
Stabil, die Überlegenheit der DBT zeigt sich aber weniger deutlich.
Empirische Befunde
Ambulante DBT (Vergleichsuntersuchungen):
Überlegenheit der DBT vs. gut supervidierten
psychodynamischen Behandlung (Linehan 1999).
Vergleich von TFT (Clarkin) und DBT läuft in
Stockholm / New York zur Zeit.
Empirische Ergebnisse (Stationäres Setting)
Adaptation auf (teil-)stationären Bereich
(Bohus et al 1999):
Reduktion stationärer Behandlungstage
(Berger & Bohus 2000)
In allen psychopathologischen Dimensionen
einer unspezifisch ambulant behandelten
Wartekontrollgruppe überlegen
(Bohus et al. 2000)
Empirische Ergebnisse
Adaptation an andere Störungsbilder bzw.
Doppeldiagnosen:
DBT erfolgreich bei der Reduktion von Binge Eating (Telch et al. 2003) und Substanzmissbruch
bei Komorbidität mit BPO (Linehan et al. 1999)
Adaptation auf die Forensische Psychiatrie:
Mc Cann & Ball (2000)
Empirische Untersuchungen (Jugendliche)
Adaptation auf suizidale Jugendliche (Miller,
Rathus & Linehan 1997):
Bessere Therapie Compliance und weniger
stationäre Aufnahmen bei ambulant behandelten
Jugendlichen (Miller & Rathus 2002).
Vgl. DBT und TAU bei suizidalen stationären
Jugendlichen weniger parasuizidales Verhalten
während der stationärer Behandlung (Katz et al.
2004).
Mögliche Kritik an den Empirischen Befunden
DBT ist eine sehr intensive Therapie.
Ambulant derart gut versorgte Patienten können natürlich
schneller entlassen werden.
Selektionseffekte durch die benötigte gute Motivation.
Sehr erfahrene und extrem intensiv supervidierte
Therapeuten.
Nur das Fertigkeitentraining und dessen Integration in die
Einzeltherapie ist empirisch überprüft die Traumatherapien
nicht.
Gruppeneinteilung nicht bei allen Studien randomisiert und
blind.
Alle Daten beziehen sich auf weibliche Patienten.
Oft kein Vergleich mit anderen Gruppensettings.
Prognostisch günstig bei stationären
Therapien (Dulz Katamnese)
Gute kontinuierliche ambulante Therapie
Gute ther. Beziehung zum Stationstherapeuten
Tragfähige Beziehung
Kein Kontakt zu traumatisierenden Situationen /Personen
Keine negativen Life-Events
Soziale Sicherheit- Arbeit / Wohnung
Positive lange Beziehung - Bindung an die Station
Wenig subjektiv erlebter Zeitdruck für den stationäre
Therapieaufenthalt. (Leopoldt 2001)
Patientenvariablen Borderline
Narzistische-psychopathische Züge bei
Borderlinepatienten
Delinquenz
Schizoide Persönlichkeitszüge
Chaotische Persönlichkeit
Chronische Feinseligkeit gegenüber Therapeuten
Armut
Inzest mit Penetration
Schwere körperliche Misshandlung durch Eltern
Unkritischer Suchtmittelkonsum (keine AA-Gruppen)
(Stone 1990)
Zusammenfassung (Wirkfaktoren)
Klare Kontrakte, Klare Behandlungsstruktur.
Antizipation von Krisen.
Haltende therapeutische Beziehung.
Adäquate Bearbeitung der potentiellen
Traumatisierung
Aktive/r, echte/r, empathische/r therapeutische/r
Stil/Haltung.
Ständige gemeinsame Validierung und Klärung der
Emotionen des/r PatientenIn (Je mehr desto besser).
Zusammenfassung (Wirkfaktoren)
Pragmatische Einbeziehung von anderen
psychosozialen Hilfen und Medikation.
Aufbau von Basisfertigkeiten bei dieser Zielgruppe
von großer Relevanz (soziale Fertigkeiten werden
oft eher überschätzt).
Hohe Intensität der Behandlung über ausreichend
langen Zeitraum. Konstanz der therapeutischen
Beziehung.
Betonung der Bedeutung von Supervision,
Psychohygiene.
Zusammenfassung & Diskussion
Die DBT ist das am besten überprüfte Verfahren zur
Reduktion von selbstschädigenden Verhaltensweisen
und zur Vermeidung von stationären Aufnahmen.
Die DBT erreicht eine sehr hohe Compliance und führt
zu weniger Therapieabbrüchen.
Die Patienten müssen für die DBT aber auch sehr
motiviert sein.
Die Bedeutung der Gruppe und die Bedeutung des
Verlustes der Gruppe sind vermutlich von
entscheidender Bedeutung.
Die DBT setzt die allgemeinen Richtlinien (Makowski
et al. 2000) einer erfolgreichen Borderline Therapie
am verständlichsten und sehr strukturiert um.
Sie ist weit davon entfernt, ein „Allheilmittel“ oder
erfolgreiche Therapie für dieses Störungsbild zu sein.
Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit.
Diesen Vortrag finden Sie auch
auf unserer Homepage
www.uniklinik-ulm.de/kjpp
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie /
Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm
Steinhövelstraße 5
89075 Ulm
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Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. Jörg M. Fegert
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