Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen bei chronisch kranken Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Psychische Störungen bei chronischen Krankheiten im Kindes- und Jugendalter Symposium im CJD in Berchtesgaden, 26./27.1.2007 Jörg M. Fegert Einleitung „Die Person ist nie das Problem, das Problem ist das Problem.“ M. White Gliederung 0. Einleitung in die Thematik 1. Diagnostik (Pro & Kontra der Diagnose in der Adoleszenz) 2. 4. 5. 6. 7. 8. Grundidee der DBT Die therapeutische Grundhaltung Die therapeutische Beziehung Therapeutische Elemente der DBT Beispielübungen des Fertigkeitentrainings Empirie – Mögliche Kritik an den empirischen Untersuchungen 9. Schlussfolgerungen und Diskussion Persönlichkeitsstörungen Leitlinien Persönlichkeitsstörung (Tress et al., 2002) tief verwurzelte stabile Verhaltensmuster mit starren Reaktionen auf unterschiedliche persönlich-soziale Lebensbedingungen –Auffälligkeiten im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und in der Beziehungsgestaltung –Subjektives Leiden des Betroffenen und/oder seiner Umwelt –durch keine andere psychische oder hirnorganische Störung bedingt –Beginn in Kindheit oder Adoleszenz, Andauern bis ins Erwachsenenalter Verschiedene Ebenen von Persönlichkeitspathologie SIB häufig bei Cluster B Symptome sensitiv impulsiv zwanghaft eifersüchtig unverantwortlich perfektionist. kalt ausbeuterisch ängstlich distanziert verführerisch besorgt affektarm arrogant klammernd Borderline Spezifische Persönlichk. Störungen Cluster Beeinträcht. Persönlichk. Struktur paranoid Antisozial Anankast. schizoid Histrionisch Ängstl.verm. schizotyp Narzistisch Dependent A B C Mangelnde Anpassung in Selbstregulation und interpersonellen Beziehungen Komorbidität bei jugendlichen Patienten mit Persönlichkeitsstörungen Suchtstörungen External. Störungen 4 / 11% 8 / 21% Affektive Störungen 6 / 16% Keine Komorbidität 3 / 8% Angst-/Zwangstörungen Essstörungen 9 / 24% Libal G., Schmid M., Plener P., Zander A., Schmeck K., Fegert J.M., 2004 8 / 21% Traumatische Lebensereignisse bei Jugendlichen mit Persönlichkeitsstörung kein Trauma 12 / 32% multiple Traumata 4 / 11% and. traum. Ereignisse 2 / 5% Libal G., Schmid M., Plener P., Zander A., Schmeck K., Fegert J.M., 2004 sexueller Missbrauch 10 / 26% physischer Missbrauch 7 / 18% Vernachlässigung 3 / 8% Diagnostische Kriterien: Borderline (I) 1. Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden. 2. Ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehung, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist. 3. Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung. 4. Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Bereichen (Geldausgeben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Autofahren, „Fressanfälle“). Diagnostische Kriterien: Borderline (II) 5. Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder konkrete Suiziddrohungen oder Selbstverletzendes Verhalten. 6. Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung. 7. Chronisches Gefühl von „innerer Leere“. 8. Unangemessene starke und häufige Wutausbrüche. 9. Vorübergehende durch Belastung ausgelöste paranoide Vorstellungen oder dissoziative Symptome. Gefahr der unklaren Diagnose Die Vergabe der Diagnose wird mit einer Prognose verknüpft und beschreibt nicht nur rein deskriptiv die Symptomatik. „Diagnosen sind die Grabsteine für die Frustration des Therapeuten“ W. Kemmpler Diagnose in der Adoleszenz Pro: Suffiziente symptomspezifische Behandlung kann nur mit richtiger Diagnose eingeleitet werden Sinnvolles Erklärungsmodell auch für Patienten Empirie (vgl. z.B. Jerschke et al. 1998) Forschung Contra: Identitätsdiffusion und Beziehungsinstabilität sind in der Adoleszenz weit verbreitet Gefahr des Festschreibens von Symptomen (Labeling) Große Bedeutung des pathologischen Umfeldes und der psychosozialen Belastungen Störungsmodell: Biosoziale Theorie Grundproblematik ist die Schwierigkeit mit Emotionen umzugehen und diese zu regulieren, dies resultiert nach Linehan aus der Kombination von zwei Faktoren. Genetisch bedingten Schwierigkeiten bei der Emotionsregulation Einer invalidierenden und entwertenden Umwelt Vergleiche auch Konzepte von Thomas & Chess (Passungsmodell) Störungsmodell Wichtig Theorien zum Verständnis des Borderlinestörungsmodells nach Linehan: Neurobiologie Invalidierende Umwelt / Traumatisierungen Dissoziation Schematheorie Lerntheorie Störungsmodell: Genetik Anfangs postuliert aufgrund von klinischen Beobachtungen (Linehan 1991) Zwillingsuntersuchungen (Schepank 1996) Experimentelle Untersuchungen (Herpertz et al. 1997) PET- Untersuchung: Durchgängig Veränderungen im Präfrontalen Cortex (De la Fuente et al 1997,Soloff et al. 2000) MRT-Studien: Volumen Reduktion im Hippocampus und verkleinerte Amygdala (Driessen et al. 2000) Störungsmodell (Umwelt) Gewalterfahrungen im Erwachsenenalter, körperliche Gewalt & Vernachlässigung durch primäre Bezugspersonen, sehr früh beginnende sexuelle Gewalt sind Risikofaktoren für eine Borderlinestörung belegt (Zanerini et al. 1993,1997) Weit über 60 % der Borderlinepatienten erführe sexuelle oder körperliche Gewalt in ihrer Kindheit (Paris et al. 1997, Dulz 1995) Häufiger massive Konflikte in der Familie (James et al. 1996) Fehlende zweite emotional bedeutende Bezugsperson (Heffernan & Cloitre 2000) Störungsmodell: Spannungsreduktion Parasuizid Dissoziation Stimulus Emotion negiert Reaktion inadäquat Spannungsanstieg Konsum Störungsmodell (Lerntheorie) Parasuizidales und selbstverletzendes Verhalten wird durch Spannungsreduktion massiv negativ verstärkt und durch Zuwendung, Mitleid etc. häufig positiv verstärkt. Bei chronisch kranken Jugendlichen bestehen viele Vorerfahrungen mit Reaktionen von Pflege- und Betreuungspersonen Folge: Die Versorgung und Zuwendung in solchen Situationen ist besonders problematisch, therapeutische Beziehung und positive Aktivitäten die nichts mit Selbstverletzung oder Krankheit zu tun haben sollten als Verstärker eingesetzt werden. Patientin mit “Verlauf” Fluctin ab Tag 12 bis zur Entlassung; Truxal 20 mg abends von Tag 19 bis Tag 48 Ritzen Patientin mit extremen Tagesschwankungen Fluctin von Tag 57 bis Tag 112; Ritzen Störungsmodell (Schematheorie) Borderlinepatienten haben (als Folge der invalidierenden Umwelten oder z.B. krankheitsbedingten Erfahrungen) oft miteinander unvereinbare kognitive Schemata (vgl. Introjekte): Schema II Schema I „Ich kann mein Leben nicht alleine bewältigen, daher muss ich jemand Starken an mich binden“ (Hilflosigkeit) a a „Ich kann anderen Menschen nicht vertrauen, andere Menschen missbrauchen und manipulieren mich.“ (Angst) Bedeutung des Themas Prävalenz ca. 2 % der Allgemeinbevölkerung. 18 % aller Ausgaben für Psychotherapie/Psychiatrie für Patienten/innen mit Borderlinestörungen (5,3 Milliarden DM) (Jerschke et al. 1998) 50-80 % brechen ambulante Psychotherapien vorzeitig ab. Häufige stationäre Aufenthalte (bis zu 25 % der stationär behandelten Patienten) Suizidrate bei 7 – 10 % (Frances 1986,Stone et al.1993) trotz Psychotherapie. 70 % der Betroffenen zeigen selbstverletzendes Verhalten Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter – Diagnose umstritten Leitlinien: vor dem 16. Lebensjahr nur, wenn Kriterien für Erwachsene anhaltend erfüllt sind – Entscheidende Frage: wie stabil sind die sich in Kindheit und Jugend entwickelnden Persönlichkeitsmerkmale? – Gegenargument: auch im Erwachsenenalter nur begrenzte Stabilität der Diagnose Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen in verschiedenen Lebensabschnitten Persönlichkeitsstörung vs. Persönlicher Stil Jedes Individuum hat seinen eigenen charakteristischen persönlichen Stil des Verhaltens und emotionalen Erlebens. Dieser Persönliche Stil per se ist nicht pathologisch. Persönlichkeitsstörungen können gesehen werden als extreme Varianten der normalen Verteilung von Persönlichkeitsmerkmalen, die pathologisch werden, wenn es zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung kommt von – interpersonellen Beziehungen – sozialer Adaptation – Schulischer / beruflicher Leistungsfähigkeit – Affekt-Regulation + Impulskontrolle Zur Diagnose einer Persönlichkeitsstörung gehört, dass Patient und/oder Umgebung unter den Symptomen leiden. Kategorialer vs. Dimensionaler Ansatz Umfrage unter den Mitgliedern der International Society for the Study of Personality Disorders (2003) 1. Persönlichkeitsstörungen sind diskrete Kategorien: 28 % 2. Persönlichkeitsstörungen reflektieren Krankheits-Entitäten: 30 % 3. Persönlichkeitsstörungsdiagnose haben schlechte Validität: 76 % 4. Persönlichkeitsstörungen am besten konzeptualisiert als dimensionale Störungen: 86 % 5. Persönlichkeitsstörungen kann man am ehestens verstehen als Varianten der normalen Persönlichkeit: 84 % Persönlicher Stil vs. Persönlichkeitsstörung wachsam vs. paranoid unabhängig vs. schizoid empfindsam vs. schizotyp emotional vs. histrionisch spontan vs. Borderline abenteuerlustig vs. antisozial ehrgeizig vs. narzisistisch vorsichtig vs. Vermeidend genau vs. zwanghaft verbunden vs. dependent Störung der Persönlichkeitsentwicklung Konstitutionelle Faktoren Entwicklungsaufgaben beeinträchtigte neurobiologische / psychologische STRUKTUR unflexible und dysfunktionale Bewältigungsmuster Psychosoziale Überforderung Abnorme psychosoz. Belastungen Life Events Interpersonelle Krisen zunehmende Störung der Selbst- u. Beziehungsregulation PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG Cloninger´s psychobiologisches Persönlichkeitsmodell -1- Grundlegende Annahme: –phänotypische und genotypische Strukturen der Persönlichkeit sind unterschiedlich –Eysenck´s Modell und die Big Five sind abgeleitet aus Faktorenanalysen und erfassen den Phänotyp –Temperamentsdimensionen des TCI sollen den Genotyp erfassen Cloninger´s psychobiologisches Persönlichkeitsmodell -2- Temperament – automatische Reaktionen auf emotionale Stimuli – neurobiologische Systeme sollen Aktivierung, Inhibition und Aufrechterhaltung von Verhalten modulieren Charakter – Selbstkonzepte und individuelle Unterschiede in Zielen und Werten, die Auswahl und Bedeutung dessen lenken, was im Leben erfahren wird Cloninger´s psychobiologisches Persönlichkeitsmodell - 3 - Temperamentsdimensionen Neugierverhalten (Novelty Seeking) Schadensvermeidung (Harm Avoidance) Belohnungsabhängigkeit (Reward Dependence) Beharrungsvermögen (Persistence) Charakterdimensionen Selbstlenkungsfähigkeit (Self irectedness) Kooperativität (Cooperativeness) Selbsttranszendenz (Self Transcendence) Psychobiologische Grundlagen des Temperamentsmodells Neugierverhalten Schadensvermeidung Belohnungsabhängigkeit Aktivierender Stimulus Dominierendes monoaminerges System Signale für Neuigkeit oder Belohnung / Vermeidung von Bestrafung oder Langeweile Dopaminerge Projektionen aus der ventralen tegmentalen Region des Hirnstamms zum Striatum + Limbischen System Signale für Bestrafung oder Nichtbelohnung Serotonerge, noradrenerge und cholinerge Projektionen zur Amygdala und der septohippokampalen Region Signale für soziale Belohnung Vermeidung von Bestrafung Sensitivität von Neuronen im frontalen Kortex bzgl. noradrenerger Projektionen vom Locus coeruleus Neugierverhalten Verhaltensaktivierung Explorative Erregbarkeit vs. Stoische Rigidität Impulsivität vs. Nachdenklichkeit Überspanntheit vs. Zurückhaltung Unordentlichkeit vs. Organisiertheit Schadensvermeidung Verhaltenshemmung Pessimismus vs. Optimismus Angst vor Ungewissem vs. Zuversicht Schüchternheit vs. Geselligkeit Ermüdbarkeit vs. Vitalität Belohnungsabhängigkeit Aufrechterhaltung von Verhalten durch soziale Verstärkung Empfindsamkeit vs. Unempfindlichkeit Bindung vs. Bindungslosigkeit Abhängigkeit vs. Unabhängigkeit Beharrungsvermögen Aufrechterhaltung von Verhalten durch intrinsische Motivation – ehrgeizig, leistungsorientiert – bereit, große Opfer für einen Erfolg zu bringen – Perfektionisten, Workaholics – geben nicht leicht auf Selbstlenkungsfähigkeit verantwortliches und reifes Verhalten, Selbstakzeptanz Verantwortlichkeit vs. Schuldzuweisung Zielbewußtheit vs. Ziellosigkeit Beweglichkeit vs.Trägheit Selbstakzeptanz vs. Selbstunzufriedenheit Selbstkongruenz vs. Inkongruenz von Fähigkeiten und Zielen Kooperativität hilfsbereites, tolerantes, einfühlendes Verhalten Soziale Akzeptanz vs. Intoleranz Empathie vs. Desinteresse Hilfsbereitschaft vs. Ungefälligkeit Mitleid vs. Rachsucht Redlichkeit vs. Streben nach eigenen Vorteilen Selbsttranszendenz Bewußtheit von spirituellen Werten Selbstvergessenheit vs. Phantasielosigkeit Transpersonelle Identifikation vs. Selbstisolation Spirituelle Akzeptanz vs. rationaler Materialismus Störung der Persönlichkeitsentwicklung Konstitutionelle Faktoren beeinträchtigte neurobiologische / psychologische STRUKTUR Abnorme psychosoziale Belastungen Extreme Temperamentskonstellation unflexible und dysfunktionale Bewältigungsmuster Störungen der Charakterentwick lung zunehmende Störung der Selbst- u. Beziehungsregulation niedrige Selbstlenkungsfähigkeit + Kooperativität PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG impulsiv Temperamentswürfel von Cloninger r of k i ris dig u e Neugierverhalten zurückhaltend Schadensvermeidung ich l t gs n ä warmherzig Belohnungsabhängigkeit kalt Temperamentswürfel von Cloninger narzistisch explosiv Schadensvermeidung Neugierverhalten ig verlässlich h tlic s g schizoid zwanghaft vermeidend warmherzig Belohnungsabhängigkeit kalt zurückhaltend ud re f iko ris än impulsiv antisozial leidenschaftlich Temperamentstypen und Persönlichkeitsstörungen Persönlichkeitsstörung Neugier verhalten Schadensvermeidung Belohnungsabhängigkeit Antisozial Hoch Niedrig Niedrig Histrionisch Hoch Niedrig Hoch Narzistisch Hoch Hoch Hoch Explosiv (Borderline) Zwanghaft Hoch Hoch Niedrig Niedrig Hoch Niedrig Schizoid Niedrig Niedrig Niedrig Zyklothym Niedrig Niedrig Hoch Passivabhängig Niedrig Hoch Hoch Persönlichkeitsprobleme bei chronisch kranken Jugendlichen • Cluster B – Persönlichkeitsstörungen bei Jugendlichen sind charakterisiert durch • deutlich überdurchschnittliche Schadensvermeidung • leicht erhöhtes Neugierverhalten • erniedrigte Werte in Belohnungsabhängigkeit und Beharrungsvermögen • extrem niedrige Ausprägung von Selbstlenkungsfähigkeit (eng assoziiert mit unreifen Abwehrmechanismen; Mulder et al. 1996) Adaptationsniveau Veränderung von Persönlichkeitsstörungen (nach Verheul, 2003) Temperament (Persönlichkeitsstil) Grundideen der DBT Hauptprobleme in der Therapie von Borderlinepatienten: Durch die Instabilität des Lebens und der Beziehungen vieler („aller“) Borderlinepatienten ist es sehr schwer kontinuierlich Themen in der Therapie zu bearbeiten. Borderlinepatienten fühlen sich bei sehr direktiven auf Veränderung bedachten Therapien oft unverstanden. Non-direktive Therapien sind oft wenig zielführend und der Patient erlebt sich in seinem Leidensdruck und Wunsch nach „rascher“ Veränderung nicht ernst genommen. Grundideen der DBT Störungsspezifische eklektische Therapie Manualisierte standardisierte Therapie Empirisch begründet und der empirischer Überprüfbarkeit verpflichtet Bildung von therapeutischen Netzwerken (Supervisiongruppen, Institutionen, Fertigkeitentrainer, Einzeltherapeuten) Umsetzung lerntheoretischer Prinzipien Therapeutische Grundhaltung Borderlinepatienten versuchen das Beste aus ihrer gegenwärtig verheerenden Situation zu machen. Borderlinepatienten haben einen sehr hohen Leidensdruck und wollen sich verändern/verbessern. Das subjektive Erleben von Borderlinepatienten lässt ihnen scheinbar nur wenig Handlungsspielräume. Ihre Handlungen sind daher subjektiv sinnvoll. Borderlinepatienten haben ihre Probleme in der Regel nicht selbst verursacht müssen sie aber selbst lösen. Borderlinepatienten müssen sich für Veränderungen stärker anstrengen, viel länger und „härter“ an sich arbeiten als andere Psychotherapiepatienten – auch für sehr kleine Fortschritte - dies ist ungerecht. Therapeutische Grundhaltung Das Leben von suizidalen Borderlinepatienten ist so, wie es gegenwärtig gelebt wird unerträglich. Borderlinepatienten müssen in fast allen relevanten Dimensionen neues Verhalten lernen. Patienten können in der DBT nicht versagen. Therapien von Borderlinepatienten sind für Therapeuten belastend- daher benötigen sie Unterstützung. Therapeuten sollten über Patienten immer wertschätzend sprechen, in der Supervision -Teambesprechung sollten die Atmosphäre derart gestaltet werden als sei der Patient anwesend. Jeder im Team macht Fehler. Ein guter und offener Umgang mit Fehler ist oft ein besserer Prädiktor für den Therapieerfolg als eine scheinbar perfekte Therapie. Therapeutische Beziehung Therapeut als Coach - Ressourcenorientierung Therapeut benennt eigene Emotionen Therapeut achtet stärker auf verbales Verhalten als auf Mimik etc. Jede Stunde wird auf Video aufgezeichnet / Objektpermanenz Der Therapeut beachtet seine eigenen Grenzen Der Therapeut hilft der Patientin mit seinen Grenzen umzugehen Dialektik: Balance zwischen Akzeptanz und Drängen auf Veränderung, Einhaltung der Regeln und Flexibilität Der Therapeut nutzt seine Fehler Therapieelemente Die DBT besteht aus: 2 Stunden Einzeltherapie in der Woche Fertigkeitentraining in der Gruppe Telefonberatung durch den Einzeltherapeuten bei Bedarf (Krisen, „Belohnung“ nach wichtigen Fortschritten, Beziehungsklärung) Sozialarbeit Gruppensupervision aller involvierter Therapeuten Therapieelemente Verhältnis Fertigkeitentraining vs.Einzeltherapie: „Das Fertigkeitentraining ist der Ton aus dem der Einzeltherapeut sein Gefäß formt“ (Linehan) Das Fertigkeitentraining und die erlernten Fertigkeiten werden ständig in die Einzeltherapie integriert und ihre Anwendung gefordert und gefördert. Bei Krisen wird nur vom Einzeltherapeut interveniert. Der Fertigkeitentrainer ist außerhalb der Gruppe nicht zu sprechen und verweist stets auf den Einzeltherapeuten. Eindrücke werden in einer gemeinsamen Supervision ausgetauscht - bei besonderen Vorkommnissen wird sofort Kontakt aufgenommen. Therapeutische Schritte 1.Vorbereitungsphase: Diagnostik Aufklärung über Störungsbild und Behandlung Abklärung von gemeinsamer Behandlungszielen Intensive Verhaltensanalyse des letzten Suizidversuchs und Therapieabbruchs. Non - Suizidvertrag Therapiekontrakt – Zustimmung zu den Behandlungsbedingungen und Behandlungszielen. Vorbereitungsphase Analyse des letzten Therapieabbruches: Wann wie haben sie die Therapie abgebrochen? Wann hatten sie sich entschlossen? Was ging dem Entschluss voraus? (Situation, Kognition, Emotion) Wie viel Zeit lag zwischen Entschluss und Abbruch? Haben sie den Entschluss hinterfragt? Was hätte ihnen geholfen die Therapie fortzusetzen? Was können sie und ich tun, wenn sie beginnen über einen Abbruch nachzudenken? Wie können sie mir helfen ein guter Therapeut für sie zu sein? Vorbereitungsphase Analyse des letzten Suizidversuches: Welche Methode? Woher kamen die Mittel? Wann entstand der Entschluss, was ging diesem genau voraus (Situation, Kognition, Emotion)? Wie haben sie emotional auf den Entschluss reagiert? Wie viel Zeit lag zwischen Entschluss und Umsetzung? Gab es Zweifel? Was haben sie unternommen um sich vom Suizid abzuhalten? Was für Konsequenzen hatte der Suizidversuch (Umfeld)? Wie Wahrscheinlich ist es, dass sie in einer ähnlichen Situation wieder mit Suizid reagieren? Was können wir für Vorsichtsmaßnahmen treffen? Therapeutische Schritte 2. Erste Therapiephase - Schwere Probleme auf Verhaltensebene: Ziel – Kontrolle und Stabilisierung Verringern von Suizidalem und parasuizidalem Verhalten Reduktion von therapiegefährdendem Verhalten Verringerung von Verhalten, dass die Lebensqualität beeinträchtigt. Verbessern von Verhaltensfertigkeiten durch Gruppentraining Therapeutische Schritte Zweite Therapiephase: Erlernen von nichttraumatisierenden Erleben von Emotionen. Spezifische Traumatherapie - Verringern von posttraumatischen Symptomen. Revision Trauma assozierter Schemata Voraussetzungen für eine Traumatherapie Die Frage der Suizidalität sollte endgültig geklärt sein. Kein selbstverletzendes Verhalten zur Spannungsabfuhr. Emotionen sollten moduliert und benannt werden können. Die Patientin sollte sicher sein, kein Kontakt zu potentiellen Tätern, Drogen, etc.. Strukturierte Tagesabläufe im Alltag. Die Patientin sollte selbst mit Dissoziation umgehen können. Die therapeutische Beziehung klar und eingespielt sein. Der Therapeut sollte Wissen, wie dissoziative Phänomene bei dieser Patientin beendet werden können. Vorstellung Fertigkeitentraining Gliederung: Äußerer Rahmen/ Module Gruppenregeln Ablauf einer Sitzung Beispiele Fertigkeitentraining - Skilltraining Das Fertigkeiten wird in 8 Sitzungen für jedes der vier Module in einer wöchentlich stattfindenden „halboffenen“ Gruppe durchgeführt. Die Gruppe sollte von zwei Therapeuten geleitet werden. 6 bis maximal 10 Patienten in einer Gruppe Jeder Patient sollte die Gruppe zweimal durchlaufen (ca. 1 Jahr) Fertigkeitentraining - Skilltraining Das Fertigkeitentraining enthält folgende Therapiebausteine (Module): Vermittlung von „Innerer Achtsamkeit“. Steigerung der Stresstoleranz Verbesserung der Fähigkeit zur Emotionsregulation Verbesserung der interpersonellen Fertigkeiten Gruppenregeln Schweigepflicht/ Vertraulichkeit Wer die Therapie vernachlässigt wird ausgeschlossen Wer zu spät oder nicht kommt muss sich vorher entschuldigen Jeder Teilnehmer befindet sich in einer fortlaufenden Einzeltherapie Keine Therapie unter Drogen-/Alkoholeinfluss Gruppenregeln Keine Gespräche über vergangene Selbstverletzungen und Suizidversuche Wer jemand anderen um Hilfe bittet, muss diese Hilfe auch annehmen Keine privaten Beziehungen (alles muss in der Gruppe zu besprechen sein) Paare können nicht gemeinsam in eine Gruppe gehen Ablauf einer Fertigkeitensitzung Begrüßung/Achtsamkeitsübung Besprechung der Hausaufgaben „Welche Fertigkeiten wurden mit welchem Erfolg angewendet“. Vermittlung von neuen Informationen aus dem Modul „Wind-down“ Achtsamkeitsübungen Beispiel: Innere Achtsamkeit Wahrnehmen und Beschreiben Zeitlupe bzw. alltägliche Dinge bewusst tun Atemübungen und Meditation Emotionsregulation Psychoedukation: Gefühle erkennen / bemerken und benennen. Schema zum Beobachten, Beschreiben und Analysieren von Gefühlen Positive Gefühle aktivieren /wahrnehmen und verstärken (Liste angenehmer Aktivitäten) Emotionale Sensitivität senken (Psychoedukation: „Gesundes Leben“) Emotionsregulation Vermittelt wird v.a. die Funktion von Gefühlen: Gefühle als Mittel der Kommunikation Gefühle motivieren zum Handeln Gefühle „können“ unsere Wahrnehmung und Konzepte bestätigen (Signalfunktion) Ich habe jetzt ein Gefühl - ich „bin“ kein Gefühl Gefühle kommen und gehen! Zwischenmenschliche Fertigkeiten Bearbeitung ungünstiger Einstellungen („Mythen“) zur Beziehung zu anderen Menschen. Erarbeitung förderlicher Aussagen zur Beziehungsgestaltung. Rollenspiele und Übungen von Alltagssituationen später auch von Problemsituationen. Erarbeitung eines Schema zur Analyse („Distanzierung“) von interaktionellen Problemen. Stresstoleranz Vermittlung von verschiedenen Techniken mit Anspannung umzugehen: Annehmen & Distanzieren Ablenken: Kognitiv oder Aktivitäten Kurzurlaub („sich etwas gutes tun“) Sinnesreize (leicht/ extrem) Beispiel: Stresstoleranz (Hohe Intensität) Sinnesreize: Temperatur: Eisbeutel, Eiswürfel, kaltes Wasser Geruchsinn: Intensive Düfte Akustik: Klare rhythmische Musik Geschmacksreize: Chili, Meerrettich, Senf, Brausetabletten. Nervenreizstoffe: Ammoniak Kienästhetik: Sportübungen, Igelbälle. Optik: Jump-and-Run Spiele. Empirische Befunde Ambulante DBT vs. TAU Ambulante DBT andere spezifische Therapien DBT bei komorbiden Störungen (Teil-) Stationäre DBT vs. TAU. DBT für Jugendliche (ambulant/stationär) Empirische Befunde Ambulante DBT vs. TAU: (Linehan 1993, Koons et al.1998,Stannley et al. 1998). Reduktion von: Stationären Behandlungstagen Selbstverletzendem Verhalten Suizidversuchen Therapieabbrüchen Verbesserung: Der Compliance für die Therapie Verbesserung der sozialen Integration (vgl. Achse IV) Depressivität im BDI verbessert sich nicht statistisch bedeutsam! Ergebnisse sind nach einer Katamnese Untersuchung (1 Jahr) Stabil, die Überlegenheit der DBT zeigt sich aber weniger deutlich. Empirische Befunde Ambulante DBT (Vergleichsuntersuchungen): Überlegenheit der DBT vs. gut supervidierten psychodynamischen Behandlung (Linehan 1999). Vergleich von TFT (Clarkin) und DBT läuft in Stockholm / New York zur Zeit. Empirische Ergebnisse (Stationäres Setting) Adaptation auf (teil-)stationären Bereich (Bohus et al 1999): Reduktion stationärer Behandlungstage (Berger & Bohus 2000) In allen psychopathologischen Dimensionen einer unspezifisch ambulant behandelten Wartekontrollgruppe überlegen (Bohus et al. 2000) Empirische Ergebnisse Adaptation an andere Störungsbilder bzw. Doppeldiagnosen: DBT erfolgreich bei der Reduktion von Binge Eating (Telch et al. 2003) und Substanzmissbruch bei Komorbidität mit BPO (Linehan et al. 1999) Adaptation auf die Forensische Psychiatrie: Mc Cann & Ball (2000) Empirische Untersuchungen (Jugendliche) Adaptation auf suizidale Jugendliche (Miller, Rathus & Linehan 1997): Bessere Therapie Compliance und weniger stationäre Aufnahmen bei ambulant behandelten Jugendlichen (Miller & Rathus 2002). Vgl. DBT und TAU bei suizidalen stationären Jugendlichen weniger parasuizidales Verhalten während der stationärer Behandlung (Katz et al. 2004). Mögliche Kritik an den Empirischen Befunden DBT ist eine sehr intensive Therapie. Ambulant derart gut versorgte Patienten können natürlich schneller entlassen werden. Selektionseffekte durch die benötigte gute Motivation. Sehr erfahrene und extrem intensiv supervidierte Therapeuten. Nur das Fertigkeitentraining und dessen Integration in die Einzeltherapie ist empirisch überprüft die Traumatherapien nicht. Gruppeneinteilung nicht bei allen Studien randomisiert und blind. Alle Daten beziehen sich auf weibliche Patienten. Oft kein Vergleich mit anderen Gruppensettings. Prognostisch günstig bei stationären Therapien (Dulz Katamnese) Gute kontinuierliche ambulante Therapie Gute ther. Beziehung zum Stationstherapeuten Tragfähige Beziehung Kein Kontakt zu traumatisierenden Situationen /Personen Keine negativen Life-Events Soziale Sicherheit- Arbeit / Wohnung Positive lange Beziehung - Bindung an die Station Wenig subjektiv erlebter Zeitdruck für den stationäre Therapieaufenthalt. (Leopoldt 2001) Patientenvariablen Borderline Narzistische-psychopathische Züge bei Borderlinepatienten Delinquenz Schizoide Persönlichkeitszüge Chaotische Persönlichkeit Chronische Feinseligkeit gegenüber Therapeuten Armut Inzest mit Penetration Schwere körperliche Misshandlung durch Eltern Unkritischer Suchtmittelkonsum (keine AA-Gruppen) (Stone 1990) Zusammenfassung (Wirkfaktoren) Klare Kontrakte, Klare Behandlungsstruktur. Antizipation von Krisen. Haltende therapeutische Beziehung. Adäquate Bearbeitung der potentiellen Traumatisierung Aktive/r, echte/r, empathische/r therapeutische/r Stil/Haltung. Ständige gemeinsame Validierung und Klärung der Emotionen des/r PatientenIn (Je mehr desto besser). Zusammenfassung (Wirkfaktoren) Pragmatische Einbeziehung von anderen psychosozialen Hilfen und Medikation. Aufbau von Basisfertigkeiten bei dieser Zielgruppe von großer Relevanz (soziale Fertigkeiten werden oft eher überschätzt). Hohe Intensität der Behandlung über ausreichend langen Zeitraum. Konstanz der therapeutischen Beziehung. Betonung der Bedeutung von Supervision, Psychohygiene. Zusammenfassung & Diskussion Die DBT ist das am besten überprüfte Verfahren zur Reduktion von selbstschädigenden Verhaltensweisen und zur Vermeidung von stationären Aufnahmen. Die DBT erreicht eine sehr hohe Compliance und führt zu weniger Therapieabbrüchen. Die Patienten müssen für die DBT aber auch sehr motiviert sein. Die Bedeutung der Gruppe und die Bedeutung des Verlustes der Gruppe sind vermutlich von entscheidender Bedeutung. Die DBT setzt die allgemeinen Richtlinien (Makowski et al. 2000) einer erfolgreichen Borderline Therapie am verständlichsten und sehr strukturiert um. Sie ist weit davon entfernt, ein „Allheilmittel“ oder erfolgreiche Therapie für dieses Störungsbild zu sein. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Diesen Vortrag finden Sie auch auf unserer Homepage www.uniklinik-ulm.de/kjpp Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie / Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm Steinhövelstraße 5 89075 Ulm www.uniklinik-ulm.de/kjpp Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. Jörg M. Fegert