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Mathematik für Biologen, Biotechnologen und Biochemiker
5.3. Die logistischen Funktionen von Verhulst
Wir betrachten wieder das Wachstum einer Population, es sei f (t) die Anzahl
der Individuen zum Zeitpunkt t. Gehen wir davon aus, daß die momentane Wachstumsrate proportional zum Bestand ist, so liefert dies exponentielles Wachstum, es
gibt also Konstanten c, λ mit f (t) = c · eλt . Für eine gewisse Zeitdauer sollte dies
ein realistisches Modell sein, auf Dauer führt es aber zu Schwierigkeiten: immer gibt es
Randbedingungen (Beschränkungen des Raums, der Nahrung, usw), die ein unbegrenztes Wachstum unmöglich machen. Eine globale Beschreibung von Wachstumsprozessen
muß also anders aussehen. Verhulst (1804-1849) hat 1838 ein Wachstumsmodell vorgestellt, das mit einem (fast) exponentiellem Wachstum beginnt, wobei es aber eine
Schranke B mit f (t) < B für alle t gibt. Natürlich heißt dies, daß das Wachstum nach
einer Weile gebremst wird und immer schneller abklingt; der Graph ist S-förmig. Hier
eine entsprechende Funktion
f (t) =
B
,
1 + k · e−λBt
dabei sind B, k, λ positive reelle Zahlen. Man nennt diese Funktionen die logistischen
Funktionen (warum diese Bezeichnung gewählt wurde, scheint keiner zu wissen).
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B ........................................................... . . .. . . .. . .. . . .. . . .. . . ..
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2
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B ........................................................ .
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1+k .
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B
t0
t
k
B
dabei ist t0 = ln
λB der Zeitpunkt mit f (t0 ) = 2 . Beachte, daß der Funktionsgraph
punktsymmetrisch zu (t0 | f (t0 )) ist.
Als Exponenten von e im Nenner der Funktion schreibt man meist −λBt (dabei
ist B > 0 die Konstante, die im Zähler steht, also die Wachstums-Schranke, und λ > 0
eine weitere Konstante). Stattdessen könnte man den Exponenten von e auch einfach in
der Form −µt mit µ > 0 (also µ = λB) schreiben. Den Vorteil der Schreibweise −λBt
sieht man, wenn man f (t) mit (B − f (t)) multipliziert: dieses Produkt ist proportional
zur Ableitung f ′ (t), und der Proportionalitätsfaktor ist gerade λ. Es gilt nämlich:
(∗)
f ′ (t) = λ · f (t) · (B − f (t)).
Hier die Rechnung: Bezeichnen wir den Nenner von f (t) mit g(t) = 1 + ke−λBt , so gilt
′
(t)
(dies folgt aus einer der vielen Ableitungsregeln, die ganz allgemein
f ′ (t) = −Bg
g(t)2
gelten). Nun ist g ′ (t) = −kλBe−λBt (hier haben wir eine weitere Ableitungsregel, die
mit der “inneren Ableitung”, verwandt). Also ist
f ′ (t) =
−kλB 2 e−λBt
.
(1 + ke−λBt )2
Leitfaden
64
Andererseits ist
B − f (t) = B −
B
B(1 + ke−λBt ) − B
kBe−λBt
=
=
,
1 + ke−λBt
1 + ke−λBt
1 + ke−λBt
und demnach
B
kBe−λBt
λ · f (t) · (B − f (t)) = λ ·
·
.
1 + ke−λBt 1 + k · e−λBt
Die Gleichung (∗) ist wieder eine Differentialgleichung, hier das entsprechende
Richtungsfeld (zusammen mit einer Lösungskurve):
B
y
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.....
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t
Was bedeutet diese Differentialgleichung? Ist f (t) klein, und zwar klein verglichen mit
B, also B − f (t) ≈ B, so kann man B − f (t) ≈ B als eine Konstante auffassen, es
ist also dann f ′ (t) proportional zu f (t), genau wie bei einer Exponentialfunktion. Ist
dagegen f (t) fast so groß wie B, also B − f (t) sehr klein, so wird auch f ′ (t) immer
kleiner: je näher f (t) an B herankommt, umso kleiner wird f ′ (t); man sagt, daß B eine
Sättigungsgrenze ist. Wichtig sind folgende Beobachtungen:
(1) Es gilt 0 < f (t) < B für alle t; die Funktion f (t) nimmt also nur Werte zwischen
0 und B an.
(2) Für alle t ist f ′ (t) > 0, die Funktion ist also monoton wachsend.
(3) Für kleine Werte t verhält sich f (t) wie eine Exponentialfunktion.
(4) Es gibt einen (und nur einen) Wendepunkt t0 und es ist f (t0 ) = B2 (und es ist
k
t0 = ln
λB ).
Interpretation: Vor dem Wendepunkt steigt die momentane Wachstumsrate ständig an, dagegen nimmt sie nach dem Wendepunkt ständig ab; dies kann man als eine
Wende in der Vitalität der Population ansehen.
Die logistischen Funktionen erhält man auch auf folgende Weise: durch lineares
Skalieren der Funktion
tanh(x) =
2
ex − e−x
=1+
,
x
−x
e +e
1 + e−2x
man nennt dies den Tangens hyperbolicus. Beachte dabei, daß man ja statt k · e−λBt
auch e−λBt+ln k schreiben kann (einer Änderung des Parameters k entspricht also eine
k
horizontale Verschiebung, und zwar um ln
; für k = 1 liegt der Wendepunkt auf der
λB
y-Achse).
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Mathematik für Biologen, Biotechnologen und Biochemiker
Hier ein Beispiel, das dem Buch von Batschelet entnommen ist: Wachstum einer
Population von Drosophila
Population
350 ..........................................................................................................................................................................................................................................................
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300 . ...... . . ... . .... . ... . . ... . . .. . . .. . . ... . . ... . .... ........................... •. . .. . . ... . . ... . .... . ... .
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250 . .... . . ... . .... . ... . . ... . . .. . . .. . . ... . . ... •.......•
....... . ... . . ... . . .. . . ... . . ... . .... . ... .
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200 . ...... . . ... . .... . ... . . ... . . .. . . .. . . ... . ..•
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150 . ...... . . ... . .... . ... . . ... . . .. . . .. . . .................. ... . .... . ... . . ... . . .. . . ... . . ... . .... . ... .
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100 . ..... . . ... . .... . ... . . ... . . .. . . ..................•... . . ... . .... . ... . . ... . . .. . . ... . . ... . .... . ... .
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50 . ..... . . ... . .... . ... ..............................•............ .. . . ... . . ... . .... . ... . . ... . . .. . . ... . . ... . .... . ... .
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0
6
12
18
24
30
36
42
48
Tage
Wie liest man bei einer derartigen Zeichung die Parameter B, k, λ ab? Natürlich sieht
man, daß B = 350 sein muß; als nächstes erhält man den Parameter k durch den
B
(es kann also keinesfalls f (0) = 0 sein, auch wenn die
Wert f (0), denn f (0) = 1+k
Zeichnung dies suggeriert); schlieslich erhält man λ (oder auch λ · B) zum Beispiel
k
aus der Gleichung t0 = ln
λB . Aus der Zeichnung liest man ab, daß t0 = 24 ist, denn
der Graph ist punktsymmetrisch zu (24 | 175). Ist etwa f (0) = 5, so erhält man die
Parameter
B = 350,
k = 69,
λ · B = 0, 176.
Infektionsrate. Logistische Funktionen kann man verwenden, um die Ausbreitung infektiöser Krankheiten zu modellieren. Wir betrachten eine Population der festen
Größe B und bezeichnen mit f (t) die Anzahl der schon infizierten Personen (zum Zeitpunkt t). Die Anzahl der nicht-infizierten Personen ist also B − f (t). Die Zunahme der
Infektion wird durch die Ableitung f ′ (t) beschrieben. Gehen wir erstens davon aus,
daß alle schon infizierten Personen die Krankheit weiterverbreiten, so ist die Zunahme
der Infektion proportional zur Anzahl f (t) der schon infizierten Personen. Gehen wir
weiter davon aus, daß alle Personen infizierbar sind (also niemand immun ist), so ist die
Zunahme der Infektion ebenfalls proportional zur Anzahl der bisher nicht-infizierten
Personen, also zu B − f (t). Insgesamt erhalten wir also wie oben die Differentialgleichung
f ′ (t) = λ · f (t) · (B − f (t))
mit einem Proportionalitätsfaktor λ > 0. Als Lösungskurven erhält man wieder logistische Funktionen.
Biochemische Reaktionen. Logistische Funktionen werden auch zur Beschreibung vieler biochemischer Vorgänge, bei denen ein Wachstum mit Sättigungsverhalten
vorliegt, verwandt, wie zum Beispiel zur Beschreibung des Alkoholgehalts einer gärenden Flüssigkeit: die Zunahme des Alkoholgehalts ist proportional zur schon erzeugten
Alkoholmenge wie auch zum Restzucker.
Anmerkung. Funktionen, die wie die logistischen Funktionen einen S-förmigen
Verlauf haben, nennt man Sigmoide.
Leitfaden
66
5.4. Michaelis-Menton-Funktionen.
Manche Wachstumsprozesse (vor allem in der Enzym-Kinetik) verlaufen nach der
folgenden Differentialgleichung:
f ′ (x) = λ ·
1
· (f (x))2
x2
mit λ > 0.
Typisches Beispiel ist etwa die Wachstumsrate einer Pflanze (gemessen als Zunahme der
Trockensubstanz) in Abhängigkeit vom Angebot an Mineralsalzen: Mit x bezeichnen
wir die Dosis, mit y = f (x) die erzielte Wirkung. Variiert man die Dosis, so verhält
sich f ′ (x) (also die Änderung der Wirkung f (x)) proportional zu (f (x))2 , mit einem
Proportionalitätsfaktor der Form xλ2 , der Proportionalitätsfaktor geht also für großes
x schnell gegen 0.
Die Funktionen der Form (Michaelis-Menton-Funktionen, 1913)
f (x) =
und
K
B
B·x
x+K
mit B, K > 0
= λ sind Lösungen dieser Differentialgleichung, denn
(1)
f ′ (x) =
B · K (2) K 1 B 2 x2
1
B(x + K) − Bx
=
=
· 2
= λ · 2 · (f (x))2 .
2
2
2
(x + K)
(x + K)
B x (x + K)
x
dabei haben wir in (1) die Quotientenregel für das Differenzieren verwandt und an der
Stelle (2) mit Bx2 erweitert.
Von Interesse ist dabei der Graph für x ≥ 0; für solche x-Werte gilt 0 ≤ f (x) < B.
Diese Funktionen sind streng monoton wachsend (denn die Ableitung ist überall positiv!). Für großes x nähert sich der Graph der Geraden y = B, die Funktionen beschreiben also ein Sättigungsverhalten einer Wirkung y = f (x) (Wachstum, Gewichtszunahme, Substanzmenge, . . . ) in Abhängigkeit von einer Ursache x (Dosis von Wasser,
Futter, Temperatur, . . . ).
Hier einige Beispiele, dabei ist die Schranke B = 5 fixiert, variiert wird dagegen
1
K und zwar zeigen wir die Kurven für K = 10
, 1, 3 und 10.
y .........
5
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1
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........ ..... K= 10
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K=1
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K=3
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K=10
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x
1
Je kleiner K, um so schneller ist der Endzustand (jedenfalls fast) erreicht; durch eine
noch so große Steigerung der Dosis wird kein nennenswerter Wirkungszuwachs erreicht.
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Mathematik für Biologen, Biotechnologen und Biochemiker
B·x
besser zu verstehen, empfiehlt es sich,
Um den Graph der Funktion f (x) = x+K
auch negative x-Werte zu betrachten (auch wenn wir nur an positiven x-Werten interessiert sind), es zeigt, sich, daß diese Funktion offensichtlich auch für x = 0 differenzierbar
B
. Es handelt sich um eine ganz einfache
ist, die Ableitung an der Stelle x = 0 ist K
rationale Funktion mit einer Polstelle bei x = −K (und der Assymptote y = B):
y
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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ...B
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−K. .. ..
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x
Betont werden sollte, daß wir nun mit den logistischen und den Michaelis-MentonFunktionen zwei verschiedene Funktionsklassen kennen, die zur Beschreibung von monotonem Wachstum mit Wachstumsschranke herangezogen werden können: Beide Funk. . . .........
tionsklassen liefern für großes x einen Kurvenverlauf der Form ............. , haben also eine
Wachstums-Schranke (oder Sättigung); dies betrifft das Verhalten für große x-Werte;
die Michaelis-Menton-Funktionen beginnen mit einem wohldefinierten Anfang (x = 0
und f (x) = 0); bei den logistischen Funktionen geht man geht man dagegen von einem
exponentiellen Wachstum in der Vergangenheit aus.
Leitfaden
68
5.5. Bertalanffy-Gleichungen.
Bertalanffy (1901-1972) schlug vor, beschränktes Wachstum durch Funktionen
f (t), die die Differentialgleichung
f ′ (t) = λ(B − f (t))
erfüllen, zu beschreiben , dabei sei λ eine positive reelle Zahl. Im Gegensatz zur Differentialgleichung, die zu den logistischen Funktionen führt, wird also nur der Bremsfaktor thematisiert. Lösungen dieser Differentialgleichung mit dem Anfangswert f (0) =
a < B sind sind offensichtlich die Funktionen der Form
f (t) = B − (B − a) exp(−λt).
(Beweis: Einsetzen liefert f (0) = B−(B−a) = a. Und f ′ (t) = −(B−a)(−λ) exp(−λt) =
λ(B − a) exp(−λt), dies ist aber gerade gleich λ(B − f (t)).)
y ..........
.....
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. . . . . . . . . . . . ................ . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .........................................................
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B
a
t
Die
(1)
(2)
(3)
Bedeutung der Parameter:
B ist die Wachstumsschranke
a = f (0) ist der Anfangswert, also der Bestand zum Zeitpunkt t = 0.
f ′ (0) = λ · (B − a), also λ = f ′ (0)/(B − a).
Allgemeiner spricht man von Bertalanffy-Gleichungen, wenn man eine Differentialgleichung betrachtet, bei der f ′ (t) proportional etwa zum Energie-Überschuss, also
der Differenz zwischen dem Energie-Gewinn und dem Energie-Verbrauch, ist. Dabei
wird der Energie-Verbrauch als proportional zum Bestand angesehen, während der
“Energie-Gewinn” je nach Aufgabenstellung oft durch eine Potenzfunktion f (t)c beschrieben wird. Zum Beispiel nimmt man c = 32 , wenn man das Wachstum von Bäumen, also deren Massenzunahme, beschreiben will — die aufgenommene Lichtenergie
ist proportional zur Gesamt-Blattoberfläche, also zu Masse hoch 32 . Die entsprechende
Differentialgleichung lautet dann
f (t) = λ′ f (t)2/3 − λf (t)
mit zwei Konstanten λ, λ′ . Lösungen erhält man durch
f (t) = (a1 − a2 exp(−a3 t))3 ,
mit geeigneten Konstanten a1 , a2 , a3 (die Wachstums-Schranke ist hier a31 ).
69
Mathematik für Biologen, Biotechnologen und Biochemiker
5.6. Das Modell von Gompertz.
Schließlich soll noch ein weiteres Wachstums-Modell mit beschränktem Wachstum
vorgestellt werden, und zwar die Differentialgleichung
f ′ (t) = λ · f (t) · (b − ln f (t));
wie beim logistischen Wachstum betont man die Proportionalität zum Bestand, ersetzt
aber den Faktor B−f (t) durch b−ln f (t): das Vergrößern des Bestands wird als weniger
stark wachstumshemmend angesehen. Lösungen dieser Differentialgleichungen sind die
Funktionen der Form
f (t) = B · exp(−γ exp(−λt)),
(mit positivem α) und hier hat man die Wachstumsschranke B = exp(b).
Die Funktionen, die man hier erhält sind wieder Sigmoide.
Wir haben jetzt zweimal Funktionsklassen kennengelernt, die ähnliche Verhaltensweisen (zumindest in geeigneten Abschnitten) auf mathematisch ganz unterschiedliche
Art beschreiben:
• Mononotones Wachstum mit Sättigung:
— erstens die logistischen Funktionen,
— zweitens die Michaelis-Menton-Funktionen,
— drittens die Lösungen der Bertalanffy-Gleichungen;
— und viertens die Modellierung von Gombertz.
• Unbeschränktes, aber immer stärker gebremstes monotones Anwachsen
— einerseits Logarithmus-Funktionen,
— anderseits die Potenzfunktionen xb mit 0 < b < 1).
Leitfaden
70
5.7. Zusatz: Kettenlinie.
Hier soll nun kurz noch eine Funktionsklasse vorgestellt werden, deren Graphen
parabelähnlich, aber eben keine Parabeln sind: die Kettenlinien.
Eine Kettenlinie erhält man, wenn eine Kette (ein Seil) zwischen zwei Aufhängungspunkten frei durchhängt; die Form des Durchhängens wird von der Lage der
Aufhängepunkte und der Länge der Kette bestimmt, nicht jedoch von ihrem Gewicht.
Es handelt sich hierbei um Lösungen der Differentialgleichung
p
f ′′ (x) = k 1 + f ′ (x)2 ,
man erhält die Differentialgleichung durch physikalische Überlegungen: die Kraft wirkt
jeweils längs der Kette, ihre y-Komponente nimmt proportional zur Länge der Kette
zu.
Die Funktion
1 kx
f (x) =
(e + e−kx )
2k
ist eine Lösung dieser Differentialgleichung, sie liefert also eine Kettenlinie; meist
schreibt man diese Funktionen mit Hilfe von cosh(x) = 21 (ex + e−x ), dem Cosinus
hyperbolicus. Die mathematische Beschreibung der Kettenlinien stammt von Leibniz,
Huygens und Johann Bernoulli (1690); noch Galilei glaubte, daß es sich bei der Ketten1
(ekx +e−kx ) parabel-ähnlich
linie um eine echte Parabel handele. Daß der Graph von 2k
1 kx
e die an der y-Achse
ist, ist offensichtlich: man addiert ja zur Exponentialfunktion 2k
1 −kx
. Aber natürlich ist dies keine Parabel!
gespiegelte Funktion 2k e
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