Programmhefte_zum_Feldkirch-Festival

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Don Giovanni
19.+21.5.06
Montforthaus
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Don Giovanni
19. + 21. Mai 2006 | 19.00 Uhr
Montforthaus
Wolfgang Amadeus Mozart
(1756–1791)
Il dissoluto punito o sia
Il Don Giovanni
(Der bestrafte Wüstling oder
Don Giovanni)
Dramma giocoso in due atti KV 527
Libretto von Lorenzo Da Ponte
Prager Fassung 1787
Pause nach dem ersten Akt
ca. 30 Minuten
Thomas Hengelbrock
Musikalische Leitung und Regie
Freo Majer Mitarbeit Regie
Renato Uz Bühne
Petra Weikert Kostüme
Helga Utz Dramaturgie
Roland Edrich Licht
Walter Wimmer Technische Leitung
Sybille Ridder, Annett Raditz Maske
Katrin Wolff Regieassistenz
Gabi Bartels Kostümassistenz
Helena Langewitz Kostümhospitanz
Gregory Fuller Inspizienz
Isabelle Brock Lichtinspizienz
Karin Dietrich Übertitelinspizienz
Michael Behringer, Kasia Drogosz
Korrepetition
Michael Schetelich, Katharina Kierig
Produktion
Georg Nigl Don Giovanni
Svetlana Doneva Donna Anna
Andreas Karasiak Don Ottavio
Boris Petronje Commendatore
Arpiné Rahdjian Donna Elvira
Tiziano Bracci Leporello
Manfred Bittner Masetto
Katharina Persicke Zerlina
Balthasar-Neumann-Chor
Balthasar-Neumann-Ensemble
Einführung
Helga Utz
Montforthaus, Graf-Rudolf-Saal
19 und 21. Mai, jeweils 18.00 Uhr
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Balthasar-Neumann-Chor
Sopran
Alt
Bass
Heike Heilmann Sandrina
Freundin Zerlinas
Julie Comparini Donna Betta
dritte Ehefrau von Gazeno,
Stiefmutter Zerlinas
Ralf Ernst Bastiano
Martin Backhaus Camino
zwei Freunde Masettos
Angela Froemer Gianotta
Freundin Zerlinas, war früher
mit Masetto zusammen
Tobias Schlierf Ombrino
ursprünglich Fischer,
nun Playboy und «Baywatcher»
Sibylle Schaible Lisetta
ehemalige Dienerin Donna
Annas
Johanna Spörk Tisbea
Badende, eine frühere
«Bekannte» Don Giovannis
Dorothee Wohlgemuth
Chiarella
ältere Schwester Masettos,
noch immer unverheiratet
Mona Spägele Ximena
Kellnerin, von Da Ponte
um ihre Affäre mit
Don Giovanni gebracht
Tenor
Mirko Heimerl Gazeno
Zerlinas intriganter Vater
Tilman Kögel Tiburzio
Barkeeper
Martin Post Masone
Wirt, Kioskpächter
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Die hier aufgeführten Rollen
sind zwar nicht in Da Pontes
Libretto, aber als fester Teil
der Stofftradition in vielen
anderen Don-Juan-Bearbeitungen der Zeit zu finden.
Balthasar-Neumann-Ensemble
Violine 1
Sebastian Hamann*
Basma Abdel-Rahim
Lisa Immer
Monika Nußbächer
Verena Schoneweg
Fabian Wettstein
Violine 2
Monika Bruggaier*
Mechthild Blaumer
Barbara Duven
Thomas Fleck
Verena Sommer
Viola
Friedemann Wollheim*
Valentina Cieslar
Claudia Hofert
Dorle Sommer
Violoncello
Kamel Salah-Eldin*
Melanie Beck
Gesine Queyras
Kontrabass
Andrew Ackermann
Walter Bachkönig
Trompete
Thibaud Robinne
François Petit-Laurent
Hammerflügel
Michael Behringer
Posaune
Matthias Sprinz
Cas Gevers
Ralf Müller
Flöte
Marc Hantai
Yifen Chen
Oboe
Emma Davislim
Alessandro Piqué
Klarinette
Alexander Bader
Otto Kronthaler
Pauke
Maarten van der Valk
Mandoline
Jean-Paul Bazin
* = Stimmführer
Fagott
Carles Cristobal
Katrin Lazar
Horn
Franz Draxinger
Thomas Hauschild
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Die Handlung
Erster Akt
Leporello wartet wieder einmal nächtens auf
seinen Herrn, dem er das lustvolle und bequeme
Leben neidet. Don Giovanni, immer auf der Jagd
nach Frauen, hatte es auf Donna Anna, die
Tochter des alten Commendatore, abgesehen
und ist in ihre Gemächer eingedrungen;
Leporello steht Schmiere. Doch diesmal nimmt
das Abenteuer ein böses Ende: Giovanni
stürzt aus dem Haus, verfolgt von Anna, die
den Eindringling stellen will. Der Commendatore,
aufgeschreckt von ihren Hilferufen, fordert
den Unbekannten als Ehrenmann zum Duell.
Giovanni will der Konfrontation ausweichen,
doch der alte Mann besteht darauf und wird
nach kurzem Kampf niedergestreckt. Unerkannt
kann Giovanni mit Leporello entkommen.
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ganz Spanien, um ihn zu suchen. Doch Giovanni
ist nicht von der gleichen Sehnsucht beseelt,
kurzerhand schiebt er seinen Diener vor und
ergreift die Flucht. Leporello scheint solche
Situationen gewohnt zu sein; gekonnt demütigt
er Elvira, indem er ihr die lange Liste von
Giovannis Eroberungen vorträgt. Seine Technik
kenne sie ja, fügt er süffisant hinzu.
Auch Zerlina lässt sich von Giovanni beeindrucken.
Sie ist jung und hübsch und feiert in einer bunten
Gesellschaft Hochzeit; doch nur zu gern glaubt
sie den Schmeicheleien Giovannis, ihr stünde
Besseres zu als das Leben einer einfachen Bäuerin, er werde dafür sorgen! Doch Elvira, auf der
Suche nach ihm, durchkreuzt seinen Plan, indem
sie ihn als skrupellosen Verführer beschimpft.
Zerlina kommen nun doch Bedenken.
Ottavio eilt zur Hilfe herbei, doch er kommt zu
spät. Die völlig verstörte Anna nimmt ihrem
Verlobten an der Leiche den Schwur ab, den Mord
an ihrem geliebten Vater zu rächen.
Anna und Ottavio versuchen, der Spur des Mörders zu folgen und bitten ausgerechnet Giovanni
als Edelmann um dessen Mithilfe. Giovanni sagt
großmütig zu. Als aber Elvira hinzu kommt und
ihn erneut als gewissenlosen Wüstling beschuldigt, wird es eng für ihn. Er stellt Elvira als verrückt hin und verzieht sich, so schnell es geht.
Giovanni hingegen hat sich rasch erholt.
Ihn beschäftigt eine melancholische Schönheit,
in der er aber alsbald seine Gemahlin Elvira
erkennen muß. Als er sie nach drei Tagen Ehe
verlassen hatte, begab sie sich auf Reisen durch
Plötzlich erinnert sich Anna: Kein anderer als
dieser war der Unbekannte jener verhängnisvollen Nacht! Noch einmal steigen die Bilder des
Mordes auf: Dramatisch erzählt sie Ottavio alle
Einzelheiten der schrecklichen Begegnung. Er soll
von Giovanni das Blut des Vaters fordern.
Doch restlos überzeugt ist Ottavio noch nicht.
Leporello hat, ganz im Sinne Giovannis, in der
Zwischenzeit Elvira vorläufig unschädlich
gemacht, indem er sie ausgesperrt hat, und
Masetto, den eifersüchtigen Bräutigam Zerlinas,
abgelenkt. Aber es reicht ihm, er will sich von
seinem Herrn lossagen, der das Leben eines
Schurken führe. Doch als der ihn lobt und ihm
sein Credo vorträgt, das darin besteht, «ohne
Regeln» zu tanzen und die Mädchen zu verführen, geht er einträchtig mit ihm, um das
Fest vorzubereiten und zu genießen.
Masetto macht Zerlina bittere Vorwürfe, doch es
gelingt ihr, ihn zu besänftigen: Auch nicht ihre
Fingerspitze habe Giovanni berührt! Masetto
lässt sich beruhigen, aber als Giovanni zum Fest
ruft, bemerkt er die Erregung und Angst Zerlinas.
Doch Masetto will die Wahrheit herausfinden.
Giovanni betrachtet ihn einer Gegnerschaft als
unwürdig und nötigt ihn zum Tanz.
Ottavio, Elvira und Anna haben sich mittlerweile
zusammengetan, um Giovanni zu stellen.
Sie haben sich maskiert, und Leporello lädt sie
zum Fest, wo Giovanni, der sie nicht erkennt,
sie mit den Worten willkommen heißt:
«Es ist für alle offen. Es lebe die Freiheit!»
Durch die Tanzmusik gellen plötzlich Schreie:
Zerlina ruft um Hilfe. Die Masken eilen hinzu,
doch Giovanni gelingt es, den Verdacht auf
Leporello zu lenken. Zwar wird er von allen
durchschaut, doch erhält der «Verbrecher»
gewissermaßen Aufschub. Nur einen kurzen:
Noch heute werde der Blitz der Rache auf sein
Haupt niederfahren.
Zweiter Akt
Wieder will Leporello seinen Herrn verlassen,
doch vier Dublonen ändern seinen Sinn. Allerdings unter einer Bedingung: Giovanni solle von
den Weibern lassen. Ungläubig lacht Giovanni:
Leporello hat nichts verstanden, die Frauen seien
für ihn wichtiger als die Luft zum Atmen.
Und, übrigens, er habe einen neuen Plan: Elviras
Kammermädchen wolle er verführen, allerdings
in Leporellos Kleidern, das mache sich besser.
Elvira hält Zwiesprache mit ihrem Herzen: Immer
noch regt sich ein Gefühl für den verbrecherischen
Giovanni, der flugs Reue und Liebe heuchelt.
Nur zu gern glaubt sie ihm, und Leporello in
Giovannis Kleidern zieht sie mit sich. Die Luft
ist rein für Giovannis süßes Ständchen, das dem
Kammermädchen ins Herz dringen soll:
Erhöre sie ihn nicht, gebe es nur den Tod.
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Aber wieder kommt es anders: Masetto hat sich
mit seinen Freunden vorgenommen, Giovanni
einen Denkzettel zu verpassen. Dieser nützt seine
Verkleidung als Leporello, um mit Masetto
scheinbar gemeinsame Sache gegen den
«verfluchten Kavalier» zu machen. Er schickt
die andern fort, ihn zu suchen, und der übertölpelte Masetto wird von Giovanni entwaffnet
und verprügelt. Nun ist er doch sehr empfänglich
für Zerlinas Tröstungen.
Inzwischen ist Leporello Elviras Zärtlichkeitsbedürfnis ausgeliefert, sie hält ihn immer noch
für Giovanni. Anna und Ottavio, dann auch
Masetto und Zerlina hindern ihn an der Flucht
und sind bereit, ihm den Todesstoß zu versetzen
– da gibt er sich als Leporello zu erkennen. Doch
es nützt ihm wenig, denn auch gegen Leporello
liegt einiges vor: Er habe Masetto übel zugerichtet und Elvira betrogen, doch schließlich kann
er sich verdrücken. Auch Ottavio ist nun von der
Schändlichkeit Giovannis überzeugt und will
«an zuständiger Stelle» um Hilfe bitten.
Giovanni, auf der Flucht, weil wieder ein getäuschtes Mädchen um Hilfe geschrien hat,
klettert über eine Mauer und findet Leporello.
Der lässt sich nur begrenzt von den neuesten
Geschichten seines Gebieters aufheitern, aber
bald gibt es sowieso etwas Aufregenderes:
Zufällig befindet man sich vor dem Grabmal
des Commendatore, und die Statue beginnt
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zu sprechen. Giovanni befiehlt dem angstbefallenen Leporello, sie zum Nachtmahl einzuladen.
Die Statue nimmt an.
Ottavio wird klar, dass Anna nicht so schnell
in eine Ehe einwilligen wird. Sie kann an nichts
anderes denken als an den Tod ihres Vaters.
Leporello bedient Giovanni beim Abendessen,
nicht ohne sich auch einige köstliche Bissen zu
gönnen. Elvira versucht ein letztes Mal, Giovanni
zur Abkehr von seinem liederlichen Leben zu
bewegen.
Nun erscheint die Statue des Commendatore und
fordert Giovanni auf, zu bereuen. Doch Giovanni
sieht dazu keinen Anlaß und fürchtet sich auch
vor der Hölle nicht. Er nimmt die Gegeneinladung
der Statue an und schlägt ein. Das ist sein Tod.
Leporello berichtet verstört von Giovannis Ende.
Anna vertröstet Ottavio um eine weiteres Jahr,
Elvira geht ins Kloster, Zerlina und Masetto
gehen nach Hause essen, und Leporello sucht
sich im Wirtshaus einen neuen Herrn ...
Alles auf der Welt ist unbeständig, alles schwebt,
man muß das Fliegen lieben.
Annibal de Lortigue, 1570–1640
«Ihr führt das Leben eines Schurken»
Anmerkungen zur Stoffgeschichte
Die Figur des Don Juan ist älter als ihre Stoffgeschichte; der Typus des skrupellosen, unwiderstehlichen Frauenverführers mit der ständigen
Lust an der Eroberung existiert bereits in prädonjuanesker Zeit – als Satyr und dionysischer
Faun, als Bewohner der Städte Sodom und
Gomorrha, als ewige Männerphantasie von
«unendlicher Potenz ohne Konsequenz» (Jürgen
Wertheimer). Don Juan ist so alt wie die Menschheit selbst und besitzt als Archetyp zeitlose
Faszination. «Wie er ... so sind Tausende», heißt
es in Molières Don-Juan-Komödie. Der beinahe
vierhundert Jahre alte Don-Juan-Stoff ist einer
der machtvollsten der Weltliteratur; er liegt in
geschätzten dreitausend Versionen vor, hat es
zu einigen Bibliographien und einem eigenen,
voluminösen Wörterbuch gebracht (Pierre
Brunel: Dictionnaire de Don Juan, Paris 1999).
Trotz der Heterogenität der Bearbeitungen, die
den Stoff als geschlossenen Sinnzusammenhang
in Frage zu stellen scheinen, bleibt ein sich
immer wieder regenerierendes Grundmuster der
Figur durch die Jahrhunderte erhalten: In Don
Juan verbindet sich Lust an Sexualität und Leben
mit Zerstörungstrieb und tiefer Lebensangst –
Angst vor dem göttlichen Gericht, vor bürgerlichen Moralkonventionen, vor den Frauen, vor
der eigenen, inneren Natur. Innerhalb dieses
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Rahmens entfaltet sich ein weites Spektrum von
Projektionen und Deutungen: Don Juan erscheint
als verlorener Sünder (Molina), als Wüstling
(Da Ponte/Mozart), Intellektueller (Frisch),
Zyniker (Molière, Balzac), Feudalist (Brecht),
Titan (Bloch), Idealsucher (Hoffmann, Grabbe,
von Horváth), Genie (Kierkegaard), absurder
(Camus) oder nationaler Held (Ortega y Gasset),
Dämon (Baudelaire, Verlaine, Rilke) oder Opfer
(Shaw), als perverser Psychopath, verdeckter
Homosexueller oder Sadist (Psychoanalyse,
Sexualforschung), als Anti-Tristan, Bruder des
Faust oder des Jedermann, als Blaubart, Dandy
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oder Playboy. Seinen Anfang nahm alles mit
Tirso de Molinas religiösem Drama El Burlador
de Sevilla y Convidado de Piedra (erste bekannte
Aufführung 1613, Erstdruck 1630). Don Juan
betrügt dort mit leeren Versprechungen eine
Frau nach der anderen; als er übermütig das
steinerne Standbild eines von ihm im Duell getöteten Komturs zum Gastmahl einlädt, erscheint
dieses tatsächlich. Bei der Gegeneinladung
auf dem Friedhof trifft Don Juan die gerechte
Strafe: indem er dem Standbild die Hand reicht,
verbrennt ihn ein höllisches Feuer.
Bereits mit Molières fünfzig Jahre späterer
Bearbeitung zeigt sich die Tendenz des Stoffes
zur Metamorphose, Negierung, Parodie, denn
der Franzose bildet den geistlosen spanischen
Triebtäter um zu einem reflektierten, zynischen
Libertin. In deutschen Theatern, sogar im Puppenspiel, war Don Juan fester Bestand des Repertoires. Meist stand jedoch die moralische
Belehrung anhand seiner vielen Untaten im
Vordergrund. Das 19. Jahrhundert verleiht Don
Juan Seele, Gewissen und Intellekt, die immer
stärker mit seinem inzwischen erotisch verfeinerten Trieb in Konflikt geraten und zur weltimma-
nenten Erlösung des innerlich gespaltenen
bürgerlichen Helden führen – zu Reue, Umkehr
oder Verdrängung. Das späte 19. Jahrhundert
entwirft einen von der Lust desillusionierten,
gealterten, von Skrupeln und Selbstekel geplagten
Don Juan und kreiert zugleich – im Fin-de-siècle –
das Modeideal des Donjuanismus als Lob der
Untreue und des Dandytums. Die Don Juans des
20. Jahrhunderts sind ihrer Verführerrolle überdrüssig: Ödön von Horváths aus dem ersten
Weltkrieg heimkehrender Don Juan sucht in allen
Frauen die verlassene Braut, Max Frischs Don
Juan liebt die Geometrie und nicht die Frauen.
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Im Zeitalter totalisierter Sexualität schließlich
scheint die traditionelle Erotomanie der Figur
zu einem Ende gekommen; Peter Handke deutet
in seiner Don-Juan-Erzählung des Jahres 2004
die Sexualbegegnung als von Moral und Trieb
befreites Energiegesetz ohne erkennbaren Sinn:
«Pikante Einzelheiten waren nicht zu erzählen.
Ja, es gab sie gar nicht.»
Wenn wir uns Don Giovanni von Mozart/Da Ponte
nähern, so sind wir zunächst fasziniert von der
Lebendigkeit der Figuren: Selbstverständlich und
vertraut, wie von heute erscheinen uns die
Szenen, in denen beispielsweise Zerlina ihren
eifersüchtigen Masetto besänftigt oder Donna
Elvira ihren treulosen Ehegatten anklagt. Jeder
kennt das aus eigener bitterer oder lustiger
Erfahrung: Für die anderen haben wir weise
Ratschläge in Überfülle, die durchaus gut sind,
aber für uns selbst sind wir blind und verkennen
die simpelsten Situationen. Elvira rät erst Zerlina,
dann Anna ganz souverän, Abstand von dem
«Monster» zu halten, aber bei ihr selbst genügt
ein halbes, deutlich geheucheltes «Ich bereue»
des Scharlatans, um alle Erkenntnis über Bord
zu werfen und sich erneut der Hoffnung des
Ewiggeliebtseins hinzugeben. Wer lacht nicht
bei Giovannis Philosophie «Wer einer treu ist,
tut den anderen Unrecht», wen erheitert nicht
Elviras Entsetzen angesichts der Liste der über
2000 Vorgängerinnen, wen beeindruckt nicht
die Eleganz von Giovannis Leichtigkeit?
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Bei tieferer Betrachtung der Figuren allerdings
verschwimmen die Konturen und rutschen ins
unendlich Ferne: Juan, der Mörder, der Vergewaltiger, der Verbrecher aus sozialer Kälte – der
steht uns fern. Das moralische Gegenreformationsstück weisen wir von uns. Doch Mozarts
Werk steht auf der Schneide. Zum einen scheinen
die alten Typen noch durch – in Leporello der listige, gleichzeitig tölpelhafte Diener der commedia dell’arte, in Elvira die verführte Nonne, die ihr
Heil nachmals in der Bigotterie sucht, in Ottavio
der Jurist, der vor einer edelmütigen Tat erst bei
zuständiger Stelle nachfrägt, zum andern sind
die Figuren beeindruckend individuell durchpsychologisiert. Einerseits erscheint Mozart der
Juan-Tradition verpflichtet, in der die Bestrafung
des alle Gesetze mißachtenden Lüstlings im
Vordergrund steht, andererseits legt er die Lunte
der tiefenpsychologischen Figurendeutung, die
mit E. T. A. Hoffmanns romantisierender Analyse
zum ersten Mal eine Explosion herbeiführt und
die dann in den Überlegungen von Kierkegaard
und allen seinen interpretatorischen Nachfolgern
weiterglüht.
Wenngleich viele literarische Figuren im Laufe
der Jahrhunderte ihre Gestalt wechseln und sich
in verschiedene Richtungen entwickeln, so ist
doch bei Juan auffällig, wie eng die Neufassungen mit der Identifikation des Deutenden mit
Juan korrelieren und die Figur durch diese Vereinnahmung geschwächt wird. Diese Interpretatio-
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nen beeinflussen unser Bild von Mozarts Don
Giovanni dahingehend, das wir das Brutale,
das Verstörende und Zerstörende zugunsten
einer heimeligeren Deutung («er taumelt von
einer Frau zur anderen, immer auf der Suche
nach der Richtigen») nicht mehr wahrnehmen.
Diese Inszenierung will herausarbeiten, was das
«Neue» an Mozarts Interpretation war, was die
Zeitgenossen irritiert haben mochte, denen die
Figur des großen Verführers vertraut war durch
die vielen hundert Versionen seit Tirso de Molina.
Der Stoff stellt mehr Fragen als er Antworten
gibt – so moralisch er sich gibt, lässt er doch die
Frage offen, warum das «Böse» faszinierend und
das «Gute» langweilig ist. Gerade die moralische
Mehrdeutigkeit setzt die Fantasie in Lauf und
gibt dem Zuschauer die Möglichkeit, Grenzen zu
überschreiten. Es kann aber nicht darum gehen,
eine historisch «richtige» Szenerie zu bilden,
selbstverständlich erschafft Mozarts Musik aktuelle Figuren. Der heutige Bezug von Mozarts
Musik ergibt sich quasi von selbst, indem ein
heutiger Mensch sie hört. Unsere Aufführung
nimmt Mozarts Musik «beim Wort», belässt die
Figuren in ihrem Kontext und arbeitet die Aktionen auf der Bühne plastisch heraus, wie von
Mozart beschrieben, wobei sich Heiterkeit und
seelische Düsternis die Waage halten.
Die Feldkircher Produktion möchte Don Giovanni
durchaus seine Gefährlichkeit lassen. Er ist ein
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destruktiver Fremdkörper, der eine Brandspur
durch die Gesellschaft zieht. Die Struktur ist
archaisch: Ihn kaltzustellen erfordert Opfer wie
in einem Western, schuldige wie den unbeliebten
Komtur, unschuldige wie die wehrlose Donna
Anna oder die risikofreudige Zerlina, halbschuldige wie die eitle Elvira, den gierigen Leporello oder
den berechnenden Ottavio, aber Opfer allemal.
Dass Mozart fraglos Partei ergreift für die Figur,
die er gerade beschreibt, und die Moral, nach
deren Gesetzen er sie gerade antreten lässt, mit
dem ersten Ton wieder relativiert, das ist ein
Wunder, das nachzuvollziehen wiederum nur
der Kunst zusteht.
Das ist eine der Unbegreiflichkeiten bei Mozart,
das seine Linke nichts von dem Tun der Rechten
weiß, beschreibt er eben noch die tödliche Zuspitzung im Gefühlschaos von Donna Anna,
witzelt Leporello in der nächsten Sekunde über
den realen Tod des Komturs, sodass verschwimmt,
was man eben für unumstößlich genommen hat.
Unvereinbare Haltungen stoßen aufeinander.
Welch widersprüchlicher Kosmos steckt in den
Minuten der ersten Szene, die von der humorigen
Dienerklage in das tödliche Blutvergießen führt:
Die nächtliche Stimmung, Auftritt und Charakterisierung von fünf Hauptfiguren, die soziale
Spannung des Dienerverhältnisses, die missglückte Liebesnacht, der Geschlechterkampf
zwischen Anna und Giovanni, das Vater-TochterVerhältnis, die Aktion des Duells, der Tod des
Komturs, die Flucht Giovannis, und das alles
ohne Brüche, organisch führt eins ins andere,
und schon nach dieser Szene wissen wir alles.
Natürlich täuscht Mozart nur vor, uns alles zu
erzählen, denn er benutzt unser Wissen nur,
um uns tiefer und tiefer in die Widersprüchlichkeiten des Menschen zu lotsen, von denen seine
Musik mehr weiß als sich beschreiben läßt.
Thomas Hengelbrock / Helga Utz
Ich kann dir meine Empfindung nicht erklären,
es ist eine gewisse Leere – die mir halt wehe thut, – ein
gewisses Sehnen, welches nie befriedigt wird, folglich
nie aufhört – immer fortdauert, ja von tag zu tag
wächst ...
Mozart an Konstanze, 7. Juli 1791
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Variationen
wichtige Fassungen des Stoffes
vor Mozart/Da Ponte
vor 1613 Tirso de Molina
El burlador de Sevilla
1665
Molière
Dom Juan
1734
Eustachio Bambini
La pravità castigata
1738
Carlo Goldoni
Il dissoluto ossia Don Giovanni Tenorio
1776
Vincenzo Righini
Il convitato di pietra ossia Il dissoluto
punito
1777
Giuseppe Calegaris
Il convitato di pietra, Venedig
1783
Giacomo Tritto
Il convitato di pietra, Neapel
1784
Gioacchino Albertini
Il Don Giovanni, Venedig
1787
Vincenzo Fabrizi
Il convitato di pietra, Rom
1787
Francesco Gardi
Il nuovo convitato di pietra, Venedig
1787
Giovanni Bertati / Giuseppe Gazzaniga
Don Giovanni ossia Il convitato
di pietra, Venedig
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Don Juan
Dies sind meine Stunden,
die Stunden der Nacht ...
Tirso de Molina
Don Giovanni
Du weißt, dass Frauen mich auf den ersten Blick
immer beeindruckt haben, und du weißt, dass ich
sie von Anfang an alle auf das Äußerste liebe, aber
du weißt auch, dass ich sterben würde, wenn ich
nicht oft wechselte.
Francesco Gardi
Don Juan
Was? willst du denn, dass man sich dauerhaft an
die erste Schöne bindet, die uns einnimmt, dass
man sich ihretwegen aus der Gesellschaft zurückzieht und für niemanden mehr Augen hat. [...]
Nein, nein, die Beständigkeit taugt nur für Narren;
alle Schönen haben das Recht, uns zu bezaubern,
und der Vorteil, dass die eine uns als erste begegnet ist, darf doch nicht die anderen der gerechten
Ansprüche berauben, die sie alle auf unser Herz
haben.
Molière
Don Juan
[...] die Heuchelei ist ein Laster, das in Mode gekommen ist, und alle Laster, die in Mode kommen,
gelten als Tugenden. Die Gestalt des wohlanständigen Mannes ist die beste aller Gestalten, die man
gegenwärtig spielen kann und die Berufung
zum Heuchler bietet wundersame Vorzüge.
Es ist dies eine Kunst, deren Lügengebäude allzeit
hoch geachtet wird; und selbst wenn man dahinter
kommt, unternimmt man nichts dagegen.
[...]
Don Juan
Hör zu. Wenn du mich weiter mit deinen törichten
Moralpredigten behelligst, wenn du mir noch ein
einziges Wort davon sagst, werde ich jemanden
rufen, einen Ochsenziemer verlangen, dich von
dreien oder vieren festhalten lassen und dich mit
tausend Hieben schinden. Verstehst du mich richtig?
Don Carlos
[...] wir sehen uns verpflichtet, mein Bruder und
ich, wegen einer jener widrigen Angelegenheiten
zu Felde zu ziehen, die die Edelleute dazu zwingen,
sich selbst und ihr Geschlecht den strengen Anforderungen der Ehre zu opfern; denn schließlich
ist dabei der schönste Erfolg verderbenbringend;
lässt man nicht das Leben, ist man gezwungen,
das Königreich zu verlassen. Das ist es, worin ich
den Stand eines Edelmannes verderblich finde,
dass er sich auf alle Klugheit und Ehrbarkeit
seines Verhaltens ganz und gar nicht verlassen
kann, dass er durch den Ehrenkodex zum Sklaven
der Verfehlungen im Verhalten anderer wird,
und dass er mit ansehen muss, wie sein Leben,
seine Muße und sein Vermögen von der Laune
des erstbesten Hitzkopfes abhängen, dem es in
den Sinn kommt, ihn so zu beleidigen, dass ein
ehrenwerter Mann daran zugrunde gehen muss.
Molière
Scagnarelle
Völlig richtig, gnädiger Herr, so richtig es nur geht.
Ihr drückt Euch klar und deutlich aus; das ist das
Gute an Euch, dass Ihr nicht versucht, Umschweife
zu machen: Ihr sagt mit bewundernswerter
Klarheit, wie es steht.
[...]
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Donna Anna
Ich habe meine Meinung geändert. Ich will mich
nicht mehr umbringen. Auf eine letzte Probe stelle
ich ihn heute Abend. Wenn er mir die Hand als
Bräutigam nicht gibt, verabreiche ich ihm ein Gift,
und dann werde ich gehen. So werde ich heldenhaft
mich selbst und meinen Vater rächen.
Commendatore
Meine teure Tochter, es ist nötig, vor dem Schicksal
ergeben die Stirn zu senken.
Donna Anna
Wir bestimmen unser Schicksal selbst. Der Himmel
pflegt nicht, den Willen der Sterblichen zu bezwingen.
Commendatore
Man darf dem Vater nicht widersprechen. Ihr werdet die Braut des Don Ottavio sein. Wenn Euer Herz
dem Bund nicht zustimmt, dann wird Euer Vater
Euch einwilligen lassen, oder Ihr werdet seine Liebe
zu harter Empörung und grausamem Hass verwandelt sehen. Dein Schicksal hängt völlig von meinem
Willen ab, wer dies bestreitet, ist nicht weiter meine
Tochter.
Donna Anna
Mein Vater kann tun und lassen, was er will,
aber ich werde nicht zu der verhassten Trauung
die Hand reichen.
Francesco Gardi
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Scagnarelle
[...] doch vorsichtshalber sollst du ganz inter nos
wissen, dass du in Don Juan, meinem Herrn, den
größten Verbrecher vor dir hast, der je auf Erden
geweilt hat, einen Tollwütigen, einen Hund, einen
Barbaren, einen Häretiker, der weder an den Himmel glaubt (noch an Heilige, noch an Gott), noch
an den Werwolf, der sein Leben wie ein wirklich
seelenloses Tier verbringt, als genusssüchtiges
Epikuräerschwein, als wahrer Sardanapal, der
allen (christlichen) Vorhaltungen, die man ihm
machen kann, seine Ohren verschließt und alles,
was wir glauben, für Unfug hält.
Molière
Doña Elvira
Seid nicht überrascht, Don Juan, mich zu dieser
Stunde und in dieser Aufmachung zu sehen.
Ein zwingender Grund nötigt mich zu diesem
Besuch, denn was ich Euch zu sagen habe, duldet
nicht den geringsten Aufschub. Ich komme nicht
hierher voll des Zorns, der vorhin aus mir herausbrach; im Vergleich zu heute morgen seht Ihr mich
sehr verändert. Dies ist nicht mehr jene Doña
Elvira, die heilige Eide gegen Euch schwor, und
deren erzürnte Seele nur Drohungen ausstieß
und nach Rache schnaubte. Der Himmel hat aus
meiner Seele all jene unwürdige Liebesglut
verbannt, die ich für Euch fühlte, allen Aufruhr
der Leidenschaften einer verbrecherischen
Verbindung, all jene schändlichen Verzückungen
einer irdischen und gemeinen Liebe; er hat in
meinem Herzen nur eine Flamme für Euch zurückgelassen, die von jeder Anwandlung von Sinnlichkeit gereinigt ist, eine ganz geheiligte Zärtlichkeit,
eine Liebe, die allem entsagt, die nicht für sich
selbst handelt und sich nur um Euretwillen sorgt.
Molière
Elvira
Tot ist in mir die Liebe,
all mein Gefühl erloschen,
eingekehrt ist nun der Friede
in mein verwundetes Herz.
Wenn Ihr das Leben ändert,
bleib´ ich Euch ewig verbunden.
Wie kurz sind beim Abschied die Stunden,
bitter der Abschiedschmerz.
Doch ihr höhnt und verspottet mich,
verlacht mein Leiden;
Ihr sucht Eure Grausamkeit
an meiner Qual zu weiden.
Doch nah ist der Donnerschlag,
er trifft Euch ins Herz.
Elviras letzte Arie bei Bertati/Gazzaniga
Max Slevogt: Das Champagnerlied, 1902
Der portugiesische Sänger Francisco d‘Andrade
war lange Zeit der führende Don Giovanni.
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Si fractus inlabatur orbis,
Inpavidum ferient ruinae.
(Und wenn der Erdkreis krachend einstürzt, werden
die Trümmer einen Furchtlosen treffen.)
Quintus Horatius Flaccus, aus: Carmina Liber III 3
Mozart – Da Ponte
1786 feierte Mozart mit seinem Figaro einen
überwältigenden Erfolg in Prag. Ein Jahr später
kam von dem dortigen Impresario Bondini
deshalb auch der Auftrag für eine zweite Oper,
die Mozart und Da Ponte zusammen schreiben
sollten. Letzterer schlug den Don-Juan-Stoff vor,
angeregt durch die Oper von Gazzaniga und
Bertati, die er wahrscheinlich in Venedig gesehen
hatte, und die er als Grundlage für sein Libretto
benutzte. Die Uraufführung konnte man im
Gräflich Nostitzschen Nationaltheater in Prag
am 29. Oktober 1787 erleben – wieder als großen
Erfolg.
Lorenzo Da Ponte (1749–1838)
Punktiertstich von M. Pekino
20
Dramma giocoso – opera buffa
Ausschließlich lustig geht es in Mozarts Don
Giovanni nicht zu. Dennoch wurde das Stück von
Mozart in sein Werkverzeichnis als opera buffa
eingetragen, hingegen als dramma giocoso auf
den Theaterzetteln und im Libretto angekündigt
– vielleicht, weil es als ein «heiteres Drama» eben
nicht nur Buffo-Elemente enthält (z. B. Verwechslungsspiele, Prügeleien und Leporello, den aus
der commedia dell´arte entliehenen, verfressenen
Angsthasen), sondern sich auch bei der opera
seria oder semiseria bedient (z. B. Racheschwüre;
Figuren wie Donna Anna oder den Commendatore).
Musik – Bezüge
In der psychologischen Dramaturgie, die auf
die einzelnen Figuren maßgeschneidert ist,
erinnert die Musik im Don Giovanni an Mozarts
Figaro. Die Stimmung ist aber eine andere;
kaum eine Opera buffa fängt so dunkel an.
Bei aller Fortschrittlichkeit in Harmonie und
Melodik (z. B. beim Commendatore: Non si pasce)
verankert Mozart die Musik aber auch auf vielfältige Weise in Gegenwart und Vergangenheit.
So lässt er im Finale des ersten Aktes drei verschiedentaktige Tänze gleichzeitig erklingen
(Deutscher Tanz, Menuetto, Kontratanz);
Donna Anna nimmt die Musiksprache Gazzanigas auf, manchmal scheint auch Scarlatti nicht
weit. Diese Anspielungen können auch sehr
deutlich werden – Leporello singt auf die Melodie
von Figaros Arie Non piu andrai die Worte:
«Questa poi la conosco purtroppo» («Das kommt
mir nur allzu bekannt vor.») – für das damalige
Publikum ein doppelter Witz: In Prag 1786
und 1787 sang derselbe Sänger diese Rollen.
Mozart komponiert in Prag.
21
Die erste Seite von Mozarts Don-Giovanni-Autograph. Viele Jahre war das Original im Besitz der Sängerin
Pauline Viardot-Garcia, die dafür extra einen Schrein herstellen ließ.
22
Prager Fassung – Wiener Fassung
1788, im Jahr nach der Uraufführung, sollte
Don Giovanni auch in Wien auf die Bühne
kommen. Hierzu wurde das Stück umgearbeitet
und den neuen Sängern angepasst. So entfiel
für Leporello und Don Ottavio je eine Arie
(Ah pietà, signori miei und Il mio tesoro intanto);
hinzu kam stattdessen eine Szene mit einem
Duett Zerlina-Leporello (Per queste tue manine)
und eine Arie für Donna Elvira (Mi tradì quell‘alma
ingrata); Don Ottavio erhält im ersten Akt eine
zusätzliche Arie (Dalla sua pace). Ob die gesamte
Schlussszene in Wien überhaupt erklang,
ist nicht sicher. Die meisten Inszenierungen
verwenden heute eine Mischung aus Prager
und Wiener Fassung.
Montags den 29ten wurde von der italienischen
Operngesellschaft die mit Sehnsucht erwartete
Oper des Meisters Mozard Don Giovanni oder
das steinerne Gastmahl gegeben. Kenner und
Tonkünstler sagen, daß zu Prag noch nicht ihresgleichen aufgeführt worden. Hr. Mozard dirigierte
selbst, und als er ins Orchester trat, wurde ihm
ein dreymaliger Jubel gegeben, welches auch
bei seinem Austritte aus demselben geschah.
Die Oper ist übrigens äußerst schwer zu exequiren,
und jeder bewundert dem ungeachtet die gute
Vorstellung derselben nach so kurzer Studienzeit.
Aus den Provinzialnachrichten, Wien
10. November 1787
Dieser Mann ist kein Hitzkopf.
Dem ersten Wiener Don Ottavio, Francesco Morella,
war «Il mio tesoro» zu hektisch; er scheiterte an den
Kolloraturen und ließ sich „Dalla sua pace“ schreiben.
(Figurine von Petra Weikert)
23
Thomas Hengelbrock machte sich als Entdecker
in Vergessenheit geratener Werke und mit Neuinterpretationen bekannten Repertoires einen
Namen. Im Zentrum seiner Arbeit steht die intensive Auseinandersetzung mit einem Werk in seinem historischen Zusammenhang. Thomas Hengelbrock strebt – wie Balthasar Neumann mit der
architektonischen Engführung von Bau, Malerei,
Skulptur und Garten – eine Integration von Musik
und anderen Künsten an. Er widmet sich nicht
nur intensiv der Oper, sondern der Kombination
unerwarteter und neuartiger Konzertprogramme
sowie halbszenischer Projekte. Sein Repertoire
umfasst das 16.–20. Jahrhundert, darüber hinaus
bringt er zeitgenössische Werke zur Aufführung
24
und Auftragskompositionen zur Uraufführung.
Thomas Hengelbrock begann seine Karriere als
Geiger. Wichtige künstlerische Impulse erhielt
er von Witold Lutoslawski, Maurizio Kagel und
Antal Dorati sowie durch seine Mitwirkung in
Nikolaus Harnoncourts Concentus musicus. Das
Freiburger Barockorchester, das er mitbegründete, spielte bis 1997 unter seiner Leitung; mit den
Amsterdamer Bachsolisten arbeitete er von 1988
bis 1991, und die Deutsche Kammerphilharmonie
Bremen wählte mit ihm 1995 erstmals einen
festen künstlerischen Leiter. Als Dirigent folgt
Thomas Hengelbrock den Einladungen zahlreicher renommierter Orchester und Opernhäuser.
Von 2000 bis 2003 war er Musikdirektor der
Volksoper Wien. Neben der musikalischen
Leitung übernimmt er oftmals die szenische
Umsetzung seiner Projekte. Seit 2001 ist er
Künstlerischer Leiter des Feldkirch Festivals.
Thomas Hengelbrock gründete den BalthasarNeumann-Chor (1991) und das BalthasarNeumann-Ensemble (1995) als zwei professionelle Formationen aus Spitzenmusikern und jungen
Gesangssolisten, die sich unter seiner künstlerischen Leitung in den vergangenen Jahren einen
exzellenten Ruf erworben haben. Das Repertoire
reicht vom Frühbarock bis zur Moderne und folgt
einer historisch informierten Aufführungspraxis
auf dem jeweils angemessenen Instrumentarium. Aus der engen und kontinuierlichen Zusammenarbeit beider Ensembles entstehen ungewöhnliche Konzertprogramme, halbszenische
Projekte und Musiktheaterproduktionen.
Der Schwerpunkt der Konzerttätigkeit liegt in
der Aufführung selten gespielter, häufig nicht
veröffentlichter Werke. In einer eigenen Konzertreihe beim Südwestrundfunk führen sie den
Hörer unter dem Motto Abenteuer Musik auf
unbekannten musikalischen Pfaden durch das
17. und 18. Jahrhundert. So kamen Werke Aus
der Notenbibliothek von J. S. Bach zur Aufführung,
die einen Einblick in Bachs Auseinandersetzung
mit den Werken seiner Zeit offenbarten. In dieser
Reihe wurde auch Antonio Lottis bedeutendes
Requiem F-Dur erstmals wieder aufgeführt, das
in einer preis-gekrönten CD-Einspielung vorliegt.
Auf der Suche nach neuen Darstellungsformen
konzipierte Thomas Hengelbrock für Ensemble
und Chor szenische Projekte wie z. B. Italienische
Karnevalsmusiken in Masken und Kostümen und
25
Metamorphosen der Melancholie, eine Hommage
an englische Musiker und Dichter des 17. Jahrhunderts, die die Mitglieder beider Ensembles
nicht nur auf dem Terrain der musikalischen,
sondern auch der darstellerischen Interpretation
fordert. Gemeinsam mit dem Schauspieler
Graham F. Valentine präsentierten sie King
Arthur mit der Musik von Henry Purcell und dem
Drama von John Dryden in einer szenischen
Realisation von Thomas Hengelbrock. Weitere
Musiktheaterproduktionen führten die beiden
Ensembles u. a. mit den Regisseuren Philippe
Arlaud und Achim Freyer zusammen. Mit letzterem feierten sie Erfolge u. a. mit Monteverdis
L’Orfeo bei den Wiener Festwochen sowie den
Münchner Opernfestspielen und mit Joseph
Haydns L’anima del filosofo bei den Schwetzinger
Festspielen. Seit 1996 sind sie ständiger Gast bei
den Schwetzinger Festspielen und zeigten dort
u. a. in Koproduktion mit der Staatsoper Unter
den Linden Francesco Cavallis La Didone und
mit den Innsbrucker Festwochen die erstmalige
Wiederaufführung von Giovanni Legrenzis
La divisione del mondo. Zuletzt präsentierte das
Ensemble dort Alessandro Scarlattis Telemaco
in einer deutschen Erstaufführung.
Seit 2001 sind sie ensembles in residence beim
Feldkirch Festival, bei dem sie u. a. Monteverdis
L’Orfeo, Schumanns Manfred und Beethovens
Missa solemnis unter der Leitung von Thomas
Hengelbrock aufführten. Das Balthasar-Neumann-Ensemble hat dort zudem eine Auftrags26
komposition von Johannes Harneit und ein
Melodram von Jan Müller Wieland uraufgeführt.
2005 gaben Balthasar-Neumann-Chor und
-Ensemble unter Thomas Hengelbrock ihr Debut
an der Opéra National de Paris mit Glucks
Orpheus, in einer vertanzten Fassung und unter
der Regie von Pina Bausch. Bei dem diesjährigen
Benefizkonzert des deutschen Bundespräsidenten, das erstmals außerhalb Berlins stattfand,
spielten und sangen sie Bachs h-Moll Messe.
Im Mozartjahr präsentieren sie neben Don Giovanni beim Feldkirch Festival Il re pastore bei den
Salzburger Festspielen sowie beim Musikfest
Bremen und beim Beethovenfest Bonn – beide
Produktionen in der Regie von Thomas Hengelbrock. Namenspatron beider Ensembles ist
Balthasar Neumann (1687–1753), der bedeutendste deutsche Architekt des Barock und
Baumeister u. a. der Residenzen von Würzburg
und Schönbornslust sowie der Wallfahrtskirche
Vierzehnheiligen.
Der in Wien geborene Georg Nigl ist einer der
vielseitigsten Sänger der jüngeren Generation.
Als ehemaliger Sopransolist der Wiener Sängerknaben in der Wiener Klassik zuhause, setzt er
sich intensiv mit der Interpretation sowohl alter
als auch neuer Musik auseinander. Seine außerordentliche Begabung als Schauspieler führte ihn
noch während seiner Schulzeit an das Wiener
Burgtheater. 1994 begann seine Zusammenarbeit mit Nikolaus Harnoncourt mit Aufführungen
bei den Wiener Festwochen (Haydns L’anima
del filosofo, Schuberts Alfonso und Estrella)
und später bei der Grazer Styriarte (Offenbachs
La Grande Duchesse de Gerolstein, Carmen).
Es folgten Einladungen zu Ensembles der Originalklang-Szene, u. a. von Christophe Coin,
Thomas Hengelbrock, Jordi Savall sowie Giovanni
Anzonini und Luca Pianca mit Il Giardino Armonico. Er wirkte als Interpret mozartscher Rollen
an Bühnen in Frankreich, Deutschland, Schweiz,
Italien und Österreich mit. Zu seinen wichtigsten
Partien zählen Papageno, Don Alfonso (u. a. mit
Thomas Hengelbrock bei den Sommerfestspielen
Baden-Baden) und Don Giovanni (in der Inszenierung von Tobias Moretti 2002). Als Interpret zeitgenössischer Musik zählt er inzwischen zu den
gefragtesten Sängern seines Fachs, was durch
zahlreiche Ur- und Erstaufführungen dokumentiert wird, u. a. M. A. Turnages Greek (Jeunesse
Festival), HK Grubers Gloria vom Jaxtberg
(Wien modern), S. Sciarrinos Luci mie traditrici
(Wiener Festwochen und Schwetzinger Festspiele), G. F. Haas’ Nacht und Die Schöne Wunde
(Bregenzer Festspiele), L. Berios Un re in ascolto
(Grand Théâtre de Genève, W. Mitterers Massacre
(Wiener Festwochen, H. Goebbels’ Landschaften
mit entfernten Verwandten (Grand Théâtre de
Genève, Berliner Festwochen, Holland Festival)
und O. Neuwirths Lost highway (steirischer
herbst, Stadttheater Basel).
27
Mit dem Lautenisten Luca Pianca und dem Pianisten Gerard Wyss gestaltete Georg Nigl Liederabende in Europa und den USA. Die schöne Magelone von Johannes Brahms führte er sowohl mit
Sir Peter Ustinov als auch mit Anne Bennent auf.
Großen Erfolg hatte er mit seiner eigenen Serie
von Liederabenden am Wiener Konzerthaus, die
den Spuren des Liedes durch fünf Jahrhunderte
folgt. Zu den Höhepunkten der Saison 2005/2006
zählt bereits sein Debüt in der Titelpartie der
neuen Oper Faustus von Pascal Dusapin an der
Staatsoper Unter den Linden Berlin und am
Opernhaus in Lyon (Regie: Peter Mussbach).
Hinzu kommen u. a. Konzertauftritte an der Kölner Philharmonie, im Parco della Musica Rom, im
Wiener Musikverein, bei den Bregenzer Festspielen und den Klangspuren Schwaz, sowie für die
kommende Saison Einladungen zu den Salzburger Festspielen, dem Théâtre du Chatelet, der
Opera de Lyon und dem Théâtre de la Monnaie.
Svetlana Doneva wurde in Bulgarien geboren
und studierte an der Staatlichen Akademie für
Musik in Sofia. Danach folgten Meisterkurse u.a.
bei Raina Kabaivanska, Anita Cerquetti, Alberta
Valentini und Giusi Devinu in Italien. 2002–2003
war sie Stipendiatin am Internationalen Opernstudio der Oper Zürich. Zunächst debütierte sie
u. a. am Opernhaus Sofia als Gretel (Humperdinck) und Gilda und in St. Zagora als Lucia
(Donizetti), Mimi und Violetta. In der Saison
2002/03 war sie am Opernhaus Zürich als Cover
28
für Edita Gruberova in der Partie der Maria
Stuarda in Donizettis gleichnamiger Oper engagiert. Im Mai 2003 gab sie ihr Rollendebüt
am Opernhaus Zürich als Lady Billows in Brittens
Albert Herring und als Anna Kennedy in Donizettis Maria Stuarda. Im September 2003 sang sie
in Palma de Mallorca die Musetta in La Bohème
sowie La Traviata in Barcelona. Als Traviata und
Gilda (Rigoletto) gastierte sie auch in Rom.
Als Lina in Verdis Stiffelio trat Svetlana Doneva
in Biel und Solothurn auf, im Mai 2005 sang sie
mit großem Erfolg die Traviata in Frankfurt
und die Konstanze (Entführung aus dem Serail)
in Aachen. Konzerte führten sie u. a. nach Spanien (Orffs Carmina Burana), Argentinien, Japan
und Italien und mit der Graner Fest-Messe von
Liszt nach Zürich und Basel. In der Tonhalle
Zürich sang Svetlana Doneva das Requiem von
Brahms. Künftige Pläne: Elisa in Il re pastore von
Mozart unter Thomas Hengelbrock in Salzburg,
Bremen und Bonn, Gilda in Rigoletto und La Traviata in Marseille, Donna Anna mit René Jacobs bei
den Festspielen in Innsbruck, in Baden-Baden,
Paris und Brüssel mit anschließender Einspielung
für harmonia mundi, Traviata, Ginevra (Ariodante
von Händel) und Konstanze an der Opera Frankfurt, Konzerte mit Frank Martins Maria-Tryptichon
und dem Requiem von Mozart in Serbien, die
Missa Solemnis in Basel, Haydns Solokantate
Qual dubbio omai und die Harmonie-Messe in
Zürich sowie Konzerte mit Arien von Händel
mit dem Balthasar-Neumann-Ensemble.
Andreas Karasiak studierte Gesang bei Claudia
Eder und Barockmusik bei René Jacobs und war
Preisträger beim Bundeswettbewerb Gesang. Er
war am Nationaltheater Mannheim engagiert als
Tamino, Ferrando, Belmonte, Jaquino, Alfred (Die
Fledermaus), Schwan (Carmina Burana), Testo
(Combattimento di Tancredi e Clorinda) und Uriel
(Die Schöpfung), gastierte in Stuttgart, Braunschweig, Oldenburg, Mainz, Kaiserslautern, Wiesbaden und Weimar und arbeitete mit Regisseuren wie Katharina Thalbach und George Tabori.
29
2003 gab er sein Debut am Theater Basel unter
K. Junghänel und als Bazzotto in Bendas Il buon
marito in Bilbao unter M. Haselböck. Er konzertierte unter Frühbeck de Burgos, Weil, Bernius,
Creed, Rilling, Max, Cambreling, Leonhardt, Koopman, Herreweghe, Zinman u. v. a. sowie mit der
Akademie für Alte Musik Berlin, Concerto Köln,
dem Freiburger Barockorchester, dem Dresdner
Kreuzchor, dem Thomanerchor Leipzig und dem
Knabenchor Hannover. Dazu kommen Aufnahmen mit La Stagione Frankfurt, dem Orchestre
des Champs Elysées, dem RIAS Kammerchor und
dem Thomanerchor Leipzig. Er wirkte mit bei CDProduktionen unter B. Weil (Glucks L’innocenza
giustificata) und C. Spering (Weihnachtsoratorium
von Cartellieri), sang mit dem Théâtre Royal de la
Monnaie in Melbourne (Telemaco in Monteverdis
Il ritorno d’Ulisse in patria) und die Rolle des Marco Orazio in Cimarosas Gli Orazi e i Curiazi bei
den Ludwigsburger Schlossfestspielen. Engagements der Saison 2005/06 beinhalten Konzerte
und Aufnahmen mit Ton Koopman und dem
Amsterdam Baroque Orchestra, Scarlattis Weihnachtskantate Cinque profeti mit dem Deutschen
Sinfonieorchester Berlin, Bachs Matthäuspassion
unter Michel Corboz und die Rolle des Agenore in
Mozarts Il re pastore unter Thomas Hengelbrock
bei den Salzburger Festpielen, dem Musikfest
Bremen und dem Beethovenfest Bonn.
30
Boris Petronje wurde in Serbien geboren. Im Jahr
2002 schloss er sein Gesangsstudium bei
Prof. Biserka Cvejic an der Hochschule für Musik,
Belgrad ab. Er ist mehrfacher Preisträger an
bedeutenden Gesangswettbewerbe seiner
Heimat, errang beim Republikswettbewerb
in Belgrad den ersten Sonderpreis, beim Bundeswettbewerb in Kotor den ersten Preis, einen Preis
beim Wettbewerb des Sologesangs «Nikola
Cvejic» sowie den Preis für die beste Interpretati-
on, zudem den Preis der Hochschule für Musik in
Belgrad 2000/01 und den Preis für den aussichtsreichsten Opernsänger in der Saison 2001/02.
Boris Petronje gewann auch das Preisstipendium
des Fonds für Förderung der Vokalkunst bei
Jugendlichen «Melania Bugarinovic» für die Jahre
1997, 1998 und 1999. Darüberhinaus trat er in
vielen Konzerten, Musikfestspielen (BEMUS,
NOMUS, BELEF, LEMEK, Mokranjac-Tage, u. a.)
auf. Erste Berufserfahrung sammelte er im
Opernhaus von Novi Sad seit 1997, wo er die
Partien des Iwan (Die Fledermaus), des alten
Zigeuners (Il Trovatore) und des Schließers (Tosca)
verkörperte. 1999 wechselte Boris Petronje zum
Opernhaus von Belgrad, wo er die Partien des
Leone (Attila), des Oberpriesters (Nabucco),
des Colline (La Bohème), des Mesner (Tosca),
Sparafucile (Rigoletto) und Sarastro sang. 2003
besuchte er das Internationale Opernstudio am
Opernhaus Zürich, wo er den Schließer (Tosca),
einen Deputaten (Don Carlos), Sarastro, Macrobio
in Rossinis La Pietra del Paragone und Billy
(La Fanciulla del West) sang. Seit der Spielzeit
2004/05 ist Boris Petronje am Luzerner Theater
engagiert, wo er in den Partien des Lautsprechers
in Viktor Ullmanns Der Kaiser von Atlantis,
Fürst Basil Basilowitsch (Der Graf von Luxemburg),
Monterone (Rigoletto), Parson Alltalk und Simon
in der schweizerischen Uraufführung von Scott
Joplins Treemonisha, Don Basilio (Il Barbiere di
Siviglia), Osmin (Entführung) und Fürst Gremin
(Eugen Onegin) zu hören ist.
Geboren in Wien, studierte Arpiné Rahdjian
zunächst Veterinärmedizin, ehe sie sich für die
Sängerlaufbahn entschied. Sie schloss das Studium am Konservatorium der Stadt Wien 2002 mit
Auszeichnung ab. Weitere Impulse vermittelten
ihr Meisterklassen bei Patricia Wise, Olivera Miljakovic, Walter Berry und Christa Ludwig. Seit
2004 arbeitet sie regelmäßig und intensiv mit
Mirella Freni. Im Juli 2002 gewann Arpiné Rahdjian beim Internationalen Hans-Gabor-Belvedere31
Wettbewerb nicht nur den 1. Preis in der Kategorie Operette, sondern auch weitere Spezialpreise,
den Preis für die beste österreichische Sängerin
sowie den Preis für die beste Bühnenpräsenz.
Erste Engagements erhielt die junge Sängerin
beim Wiener Festival «Klangbogen», bei den
Wiener Festwochen, im Theater an der Wien,
im Wiener Konzerthaus, im Wiener Musikverein,
am Stadttheater Klagenfurt, am Landestheater
Salzburg, im Bregenzer Festspielhaus und
in Cleveland mit dem Pittsburgh Symphony
Orchestra. Sie nahm an Tourneen nach Japan,
in die Schweiz, in die Tschechische Republik und
nach Kanada teil. Im Juni 2005 gab sie ihr Debüt
bei der Styriarte in Graz als Micaëla in Bizets
Carmen (Dirigent: Nikolaus Harnoncourt / Inszenierung: Andrea Breth) und wurde von Publikum
und Presse bejubelt. In dieser Spielzeit singt sie
diese Partie auch an der Deutschen Staatsoper
Unter den Linden in Berlin und in Hamburg.
Sie wird ihr Debüt bei den Salzburger Festspielen
2006 in Mozarts Il re pastore unter Thomas
Hengelbrock und anschließenden Koproduktionen mit dem Musikfest Bremen und dem
Beethovenfest in Bonn feiern. Arpiné Rahdjians
Repertoire umfasst derzeit u. a. Fiordiligi
(Così fan tutte), Contessa (Le nozze di Figaro),
Agathe (Der Freischütz), Gräfin Zedlau (Wiener
Blut), Annina (Eine Nacht in Venedig), Liù (Turandot) und Micaëla (Carmen).
32
Tiziano Bracci schloss sein Studium an der Internationalen Musikhochschule in Mailand ab und
vervollständigt seine Ausbildung seit 2001 bei
Aramayo Sandivari. 2004 war er an der Académie
Europeenne de Musique in Aix-en-Provence,
wo er bei Rachel Yakar und Edda Moser studierte.
Bei wichtigen internationalen Wettbewerben gewann er z. B. den ersten Preis als Pietro Mongini
in Ispra 2003, den dritten Preis beim Viotti-Wettbewerb in Vercelli 2004 und den ersten Preis
beim Spiros-Argiris-Wettbewerb in Sarzana 2005.
Tiziano Bracci debütierte 2004 am Teatro Coccia
in Novara als Timur in Puccinis Turandot; weitere
Engagements führten zur Zusammenarbeit mit
dem Orchestra Cantelli in Mailand bei Cimarosas
L‘impresario in angustie und zur Teilnahme
an dem Projekt «La scuola all´opera» am Teatro
Donizetti in Bergamo, wo er den Sulpizio in
Donizettis La figlia del reggimento sang. Am
Teatro Massimo Bellini in Catania übernahm er
die Rolle des Uberto in Paisiellos La serva padrona
und sang in Cherubinis Il giocatore. Er arbeitete
mit dem Orchestra Sinfonica Giuseppe Verdi in
Mailand bei Dallapiccolas Volo di notte zusammen und war in Rossinis Petite Messe Solennelle
beim Festival delle Nazioni in Città di Castello zu
hören. Demnächst wird er am Teatro Verdi in
Triest (Paisiellos Il mondo della luna) und am
Teatro Bellini in Catania (als Masetto in Mozarts
Don Giovanni) auf der Bühne stehen. Tiziano
Bracci sang bereits unter Fabrizio Carminate,
Romano Gandolfi, Kazushi Ono, Marcello Rota,
Gianluca Martinenghi, Marco Zuccarini und
Daniel Pacitti und ist auf der Weltersteinspielung
von Antonio Giramos Partite sopra Fedele zu
hören.
Der Bassbariton Manfred Bittner wurde in
Weißenburg (Bayern) geboren und erhielt seine
erste grundlegende musikalische Ausbildung bei
den Regensburger Domspatzen. Er studierte an
der Hochschule für Musik und Theater München
und besuchte als Stipendiat des Deutschen
Bühnenvereins gleichzeitig die Bayerische Theaterakademie «August Everding» und die dortige
Opernschule. Anschließend absolvierte Manfred
Bittner ein Meisterklassenstudium an der Musikhochschule Stuttgart und besuchte neben seinem
Studium Meisterkurse (u. a. bei Kammersänger
Andreas Schmidt und Thomas Quasthoff). Derzeit
33
wird er von Stefan Haselhoff betreut. Das umfangreiche, breitgefächerte Repertoire des Bassbaritons spannt einen Bogen von Werken des
Mittelalters über Opern und Oratorien aus
Barock, Klassik und Romantik bis hin zu Uraufführungen zeitgenössischer Musik. Zahlreiche
Rundfunk- und CD-Aufnahmen ergänzen seine
künstlerische Tätigkeit. Konzertreisen führten
ihn durch ganz Europa, nach Australien, Japan
und Südostasien. Regelmäßig arbeitet er
mit renommierten Ensembles wie L’arpa festante, dem Freiburger Barockconsort, dem BalthasarNeumann-Chor und -Ensemble, Concerto Köln
und der Hamburger Camerata sowie mit Dirigenten wie Thomas Hengelbrock, Philippe Herreweghe, René Jacobs, Frieder Bernius, Winfried Toll
und Stephen Stubbs zusammen. Manfred Bittner
gastierte unter anderem bei der Biennale für
Neue Musik München, den Wiener Festwochen,
den Berliner Festspielen und dem Europäischen
Musikfest Stuttgart
Katharina Persicke wurde in Göttingen geboren.
Nach anfänglichen Gesangsstudien bei
Walker Wyatt (Kassel) und Prof. Renate Faltin
(Berlin) begann sie 1998 ihre Hochschulausbildung im Hauptfach Gesang. Bis 2003 studierte
sie erfolgreich an der Hochschule für Musik
«Carl Maria von Weber» in Dresden bei Prof.
Christian Elßner. Ab dem Wintersemester
2003/04 wechselte sie zu der Freiburger Hochschule für Musik für ein Aufbaustudium zur
34
Gesangssolistin in der Klasse von Prof. Dorothea
Wirtz, welches sie im Herbst 2005 mit Auszeichnung abschloss. Katharina Persicke nahm an
Meisterkursen bei Brigitte Fassbaender und Peter
Schreier teil. Von 2001 bis 2003 war sie Gast des
Ensembles der Sächsischen Staatsoper Dresden
in der Produktion Die lustigen Nibelungen von
Oskar Straus. Danach folgte ein Gastvertrag am
Stadttheater Freiburg in Gaetano Donizettis
L´Elisir d’amore als Gianetta. Mit dieser Partie
gastierte sie erneut im vergangenen Herbst
am Oldenburgischen Staatstheater. 2003 war
ˇ
Katharina Persicke Finalistin des Dvorak-Liedwettbewerbes in Karlovy Vary (Karlsbad). Sie ist
gefragte Solistin in den Bereichen Kirchenmusik
(Hugo-Distler-Chor, Singakademie Dresden,
Deutsch-Französischer Chor Freiburg, Philharmonisches Orchester Teplice, u. v. m.), Operette
und Kammermusik (zahlreiche Liederabende in
Dresden, Freiburg, Kassel und Umgebung).
Sie war Solistin des Sorbischen Künstlerbundes
ˇ ˇ dujo psez
ˇ pola»
in der Konzertreihe «Gazˇ wetsyk
(«Wenn der Wind über die Felder weht»). Es
erfolgten mehrere Rundfunkproduktionen des
SFB und RBB. Die Gächinger Kantorei Stuttgart
unter der Leitung von Helmut Rilling lädt sie zur
regelmäßigen Zusammenarbeit ein.
Neben seinem Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der FU Berlin arbeitete Freo Majer als Dramaturg für freie
Opernproduktionen und Festivals. Hinzu kamen
Aufträge für Übersetzungen und Recherchen, u.
a. für Random House. In seinem anschließenden
Regiestudium an der Hochschule für Musik
«Hanns Eisler» in Berlin belegte er im Nebenfach
Jazzgesang. Er war freier Mitarbeiter bei DoRo
Produktion Wien/Berlin und besuchte Meisterkurse bei Ruth Berghaus, Peter Konwitschny, Willy Decker und Christine Mielitz. Er war persönlicher Assistent und Hospitant bei Ruth Berghaus
und Joachim Herz (u. a. an der Hamburgischen
35
Staatsoper, am Staatstheater Stuttgart, an der
Oper Leipzig und am Teatro Comunale di Bologna). Während seiner Arbeit als Spielleiter am
Bremer Theater war er Assistent u. a. bei Christof
Loy, Alfred Kirchner, Konstanze Lauterbach und
Hans Kresnik sowie Teilnehmer am Internationalen Forum Junger Bühnenangehöriger. Seit 2004
arbeitet er als freier Regisseur. Zu seinen Inszenierungen zählen: Brechts Hauspostille am Berliner Ensemble, Der Zar läßt sich photographieren/
Der Diktator von Weill und Krenek beim KurtWeill-Fest Dessau und Horrible Fax von Andreas
Gryphius am Staatstheater Kassel. Am Bremer
Theater zeichnete er verantwortlich für Jacques
Offenbachs Abendwind, Karl Valentins Der Regen,
die Fliege, Mariechen, Brittens The Rape of Lucretia und Solaris von Michael Obst. Für Leuchtende
Liebe, Lachender Tod, eine Filmproduktion von
arte, inszenierte er Szenen aus Richard Wagners
Ring des Nibelungen. Zu seinen jüngsten Produktionen zählen Janaceks Das schlaue Füchslein und
Mozarts Zauberflöte am Theater Kiel sowie Lortzings Wildschütz am Theater Heidelberg.
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Der gebürtige Salzburger Renato Uz studierte
Bühne und Kostümbild am Mozarteum. Nach
Stationen in Berlin, Bochum und Frankfurt wechselte er 1985 als Assistent an das Staatstheater
Stuttgart, wo er u. a. unter Ivan Nagel, Rolf Glittenberg und Anna Viebrock arbeitete. Seit 1987
ist er als Bühnen- und Kostümbildner sowie als
Schauspieler freiberuflich tätig. Eine enge
Zusammenarbeit verbindet ihn mit Kurt Palm,
für den er u. a. die Ausstattung für Johann
Strauss’ Fledermaus in Dublin und Carl Maria
von Webers Freischütz in Linz sowie für verschiedene Stücke von Flann O’Brien entwarf. Desweiteren zeichnete er für die Ausstattung der legendären Nette Leit Show von Hermes Phettberg
und Kurt Palm verantwortlich. In den letzten Jahren widmete er sich verstärkt dem Musiktheater,
wo er u. a. Richard Strauss’ Ariadne auf Naxos
und Kurt Weills Mahagonny ausstattete.
In Wilhelmshaven geboren, begann Petra Weikert
bereits während ihres Studiums in Berlin als
Bühnen- und Kostümbildnerin an verschiedenen
Off-Theatern und freien Bühnen zu arbeiten.
Seit 1993 ist sie als Assistentin und Mitarbeiterin
von Achim Freyer an internationalen renommierten Opernhäusern tätig (Tristan und Isolde
in Brüssel, Alceste bei den Wiener Festwochen,
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Iphigenie an der Opèra de la Bastille Paris,
h-Moll-Messe bei den Schwetzinger Festspielen,
Salome und Verdis Messa da Requiem an der
Deutschen Oper Berlin, La Damnation de Faust
in Warschau und Los Angeles u. a.) Seit 1996 ist
Petra Weikert als Technische Produktionsleiterin
der Schwetzinger Festspiele tätig. 1997 hatte
sie die technische Produktionsleitung des
Regensburger Kultursommers inne. Als Bühnenund Kostümbildnerin arbeitete sie für mehrere
internationale Theater- und Musikfestivals sowie
für das Staatstheater Cottbus, das Theater
Görlitz, das Stadttheater Bautzen und die Musikakademie Rheinsberg. Ihre Produktion Festa teatrale (Dirigent: Thomas Hengelbrock), in der sie
neben der Ausstattung auch die Regie übernommen hatte, wurde 1999 von ZDF und 3Sat aufgezeichnet und u. a. bei ARTE gesendet. Zur Zeit
arbeitet Petra Weikert als Bühnen- und Kostümbildnerin an einer szenischen Version der
Brockes-Passion von Georg Friedrich Händel
(Philharmonie Berlin, Frankfurt/Oder).
Bildnachweise
Katrin Heyer Probenfotos
Stefan Korn Thomas Hengelbrock
Telemach Wiesinger Ensembles
F. Messner-Rast Georg Nigl
38
Wir danken ...
Subventionsgeber
Hauptsponsoren
Medienpartner
Stadt Feldkirch
Ars Rhenia Stiftung
Der Standard
Land Vorarlberg - Abteilung Kultur
Sparkasse Feldkirch
Feldkircher Anzeiger
Bundeskanzleramt für Kunst
Vorarlberger Kraftwerke AG
Liechtensteiner Vaterland
Presenting Sponsor
Sponsoren
ORF - Ö1
Montfort Werbung
Frastanzer Brauerei
ORF - Landesstudio Vorarlberg
Getzner Textil
Radio Liechtenstein
Raiffeisen. Meine Bank
Vorarlberger Nachrichten
Stadtwerke Feldkirch
Vorarlberger Erdgas GmbH
The Secret Agent
20.5.06
Altes Hallenbad
The Secret Agent
Uraufführung
Musiktheater von Simon Wills
nach Joseph Conrad
20. Mai 2006 | 19.00 Uhr
Altes Hallenbad
Simon Wills Libretto, Komposition,
Musikalische Leitung
Katrin Hiller Regie
Irfan Önürmen Bühnenbild
Harry Lifschitz Licht
Peter Kajlinger Charles Verloc
Barbara Ostertag Winnie Verloc
Rafael Vazquez Inspector Heat
Bernhard Landauer Professor
Yehuda Almagor Stevie
Daisy Jopling Violine
Daniela Ivanova Viola
Orlando Jopling Violoncello
Katy Gainham Flöte
Peter Furniss Klarinette
Hugh Webb Harfe
Wolfgang Lindner Schlagwerk
The Secret Agent ist eine Auftragskomposition des Feldkirch Festivals.
Einführung
Simon Wills im Gespräch
mit Michael Schetelich
Altes Hallenbad, OG
18.00 Uhr
3
Alle Skizzen in diesem Heft sind originale Entwürfe von Irfan Önürmen für diese Produktion.
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The Secret Agent
The Merry Prologue
I have many many names.
The Verlocs’ Home
What is going on in your head?
Winnie Verloc beobachtet ihren Bruder Stevie,
während der – wie jeden Tag – Kreise zeichnet.
I hate your secrets.
Charles Verloc, ihr Ehemann, kommt deprimiert
aus dem Geschäft. Winnie beklagt sich über seinen
Umgang und die Heimlichkeiten ihr gegenüber
I must be careful.
Inspektor Heat stattet den Verlocs einen ziemlich
beunruhigenden Besuch ab. Charles verlässt das
Haus und geht zu einem obskuren politischen
Treffen.
When the wind blows what will you do?
Allein mit Winnie, versucht Heat sie zu verführen
– ganz besonders erfolglos. Stevie geht mit
einem Messer auf ihn los – niemand wird verletzt.
He is a good man. – I have no choice.
Nachdem Heat sie allein gelassen hat,
versucht Winnie, Stevie zu beruhigen.
Währenddessen erhält Charles einen neuen
(geheimen) Auftrag.
The Street
We want activity.
Charles – tief gedemütigt von seinen Auftraggebern – hadert mit dem Befehl, die GreenwichSternwarte in die Luft zu jagen – doch leider
braucht er das Geld. Der Professor fängt ihn ab
und bietet ihm seine Unterstützung an.
Round and round and round.
Stevie hat Vorahnungen und versucht,
sie zu artikulieren. Aber er kann es nicht.
The Professor’s Parlour
Blow them apart.
Der Professor bastelt in größter Lust die Bombe
und überzeugt Charles davon, sie von Stevie
platzieren zu lassen.
What are you about you weasel?
Inspektor Heat – offensichtlich alle bespitzelnd –
versucht, den Professor unter Druck zu setzen,
aber leider entpuppt er sich als potentieller
Selbstmordattentäter.
The Verlocs’ Home
Three islands in the same sea.
Charles hat seinen Mantel Stevie geschenkt, Winnie näht ihre Adresse ein, damit er nicht verloren
geht auf seiner Reise an die See. Sie ahnt nicht,
dass er dort niemals ankommen wird.
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plötzlich ist dann das Tor zur Geisteskrankheit aufgestoßen –
da fallen dann natürlich wichtige Entscheidungen.
Rainald Goetz
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Public House
Do you remember the trees?
Charles erklärt Stevie eindringlich, was er zu tun
hat und worauf er achten muss – der Professor,
verkleidet als Prostituierte, versucht ihn abzulenken.
Greenwich
Die Bombe explodiert, Stevie stirbt.
The Morgue
He never knew what hit him.
Inspektor Heat findet die Überreste des Mantels
und schließt daraus, dass Charles das Attentat
verübt hat und tot ist.
Trust me, I’m a policeman.
Winnie lässt sich auf Heat ein, bevor er den
toten Charles Verloc entdeckt. Er verlässt sie,
um angeblich die gemeinsame Flucht
vorzubereiten.
Poor Tom’s a cold.
Der Professor warnt Winnie vor Heat.
He was beautiful and he loved me.
Winnie, in großer Trauer, geht in den Tod.
Finale
Oh yes, it is a game. Half understood.
The Verlocs’ Home
I don’t like your song.
Heat besucht Winnie, um ihr von dem Anschlag
zu berichten – und möglicherweise direkt die
Lücke zu füllen.
It couldn’t be helped.
Charles kehrt zurück und versucht sich bei
Winnie zu entschuldigen. Zu spät – in ihrer
Trauer um ihren Bruder ersticht sie ihn.
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One cannot make an omelet without breaking eggs ...
But it is amazing how many eggs one can break
without making a decent omelet.
Charles Issawi
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Jetzt folgt dem Sommer unserer Bitterkeit
der Sommer unsrer Macht, die Sonne Yorks.
Die Wolken alle, die einst hießen Tod,
sind längst begraben schon im Meeresschoß:
Auf unsrer Stirn der Lorbeerkranz des Siegs,
ein Denkmal unsrer Macht der Waffenberg
und unser Kriegsgeheul Triumphgeschrei.
Der Marsch der Krieger weicht dem Tänzerschritt:
Der Krieg streicht sich, statt auf stahlgezäumtem
Pferd die Seelen unsrer Feinde zu erschrecken,
sehr elegant ins Zimmer einer Dame:
Dort spielt er Laute, ach, verführerisch.
Doch ich, nicht ausgestattet mit solch Tricks
nicht sehr geübt im Kokettiern für Spiegel;
ich, roh gehauen, fein geschnitten nicht,
unfähig, Huren tänzelnd zu hofieren,
ich, dem das gute Gleichmaß grob verkürzt,
den die Natur um Schönheit hart betrog,
halbfertig ausgestoßen vor der Zeit,
schnell abgenabelt in die Atemwelt,
ein Auswurf, hinkend und so schief gebaut,
daß Köter kläffen, hink ich dran vorbei,
ja, ich kann diesem Friedenstralala
kein Spaß entreißen, meinen Tag zu fülln,
als in der Sonne meinen Schatten sehn,
und breitzureden meinen Krüppelleib.
Weil ich den Liebhaber nicht spielen kann,
die Tage voll Geschwätz mir kürzend so,
hab ich beschlossen, hier den Dreckskerl
aufzuführn, zu hassen all die Scherze
dieser Zeit:
Schädelbasislektion 1
Was du bist steht am Rand
Anatomischer Tafeln.
Dem Skelett an der Wand
Was von Seele zu schwafeln
Liegt gerad so verquer
Wie im Rachen der Zeit
(Kleinhirn hin, Stammhirn her)
Diese Scheiß Sterblichkeit.
Durs Grünbein
Monolog des Gloster aus Shakespeares Richard III.
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«Once the rockets are up, who cares where they come down
That‘s not my department,» says Wernher von Braun.
Tom Lehrer
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How To Kill
Under the parabola of a ball,
a child turning into a man,
I looked into the air too long.
The ball fell in my hand, it sang
in the closed fist: Open Open
Behold a gift designed to kill.
Now in my dial of glass appears
the soldier who is going to die.
He smiles, and moves about in ways
his mother knows, habits of his.
The wires touch his face: I cry
NOW. Death, like a familiar, hears
and look, has made a man of dust
of a man of flesh. This sorcery
I do. Being damned, I am amused
to see the centre of love diffused
and the wave of love travel into vacancy.
How easy it is to make a ghost.
The revolutionary can have no friendship or
attachment, except for those who have proved by
their actions that they, like him, are dedicated to
revolution. The degree of friendship, devotion
and obligation toward such a comrade is determined solely by the degree of his usefulness to
the cause of total revolutionary destruction.
Sergei Nechayev
This is the way the world ends
This is the way the world ends
This is the way the world ends
Not with a bang but a whimper.
TS Eliot, in: The Hollow Men
The weightless mosquito touches
her tiny shadow on the stone,
and with how like, how infinite
a lightness, man and shadow meet.
They fuse. A shadow is a man
when the mosquito death approaches.
Keith Douglas
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Mr Verloc extended as much recognition to Stevie as a man not
particularly fond of animals may give to his wife´s beloved cat
Joseph Conrad, in: The Secret Agent
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Wie war es WIRKLICH?
Von Bomben, Kreisen und Männern im Krieg
von Simon Wills
Es widerstrebt uns zu glauben, dass große
Ereignisse simple Gründe haben können; noch
weniger können wir akzeptieren, dass große
Untaten das Werk der Schwachen oder Dummen
sind. Dennoch lehrt die Geschichte, dass in vielen
Fällen das Böse nicht nur banal, sondern zwecklos ist. Ich bin mir sicher, dass heute wieder
irgendwo auf der Welt ein armer Teufel zum
Opfer einer Zufallsbombe wird. Genauso sicher
bin ich mir, dass nichts Wertvolles durch das so
verursachte Leid erreicht wird. Vor vielen Jahren
habe ich es knapp verpasst, von Terroristen in die
Luft gejagt zu werden. Eine Bombe war vor einem
Theater deponiert, zwei irische Nationalisten
hofften, das Publikum beim Heimweg zu töten.
Es wäre eine nutzlose Barbarei gewesen, hätten
sie Erfolg gehabt; die Bombe ging jedoch zu früh
los und vernichtete sie beide. Ich war nah genug,
um die Erschütterung zu spüren und den Blitz
zu sehen, aber es hat mich nichts getroffen,
zumindest nicht meinen Körper. Später erfuhr
ich, dass einer der Toten ein Kind von achtzehn
Jahren war. The Secret Agent handelt nicht von
diesen Bombenattentätern, oder irgendeiner
anderen anarchistischen Bewegung. Es gibt hier
keinen Nechayev, noch weniger einen Osama bin
Laden oder einen Donald Rumsfeld. In der Tat
fehlt hier auch jeder politische Diskurs, der diesen
Namen wert wäre: Es ist eine häusliche Tragödie,
und die Figuren sind hauptsächlich wie wir,
einfache und unvollkommene Leute, die zerstört
werden durch ihren Mangel an Einfühlung,
Mangel an Kommunikation, Mangel an Liebe.
Es konnte nicht anders sein: Der Fanatiker,
der denkt, man könne in den Himmel kommen,
wenn man die Hölle auf Erden erzeugt, steht
außerhalb meines Vorstellungsvermögens. Ich
kann versuchen, mir den Weg einer einfachen,
ungebildeten, jungen Person vom normalen
Leben zu jener Vernichtung vorzustellen, deren
Zeuge ich vor all den Jahren war; und dies war
der Punkt, an dem ich meine Bearbeitung von
Joseph Conrads Roman begann.
Emotionale Reise und Konfrontation sind das
eigentliche Geschäft der Oper. Als ich ein Kind
war, trieb ich die Erwachsenen zur Verzweiflung
mit meiner immer wiederkehrenden Frage:
«Wie war es wirklich?» Das mache ich immer
noch. Es ist das wichtigste, was ein Komponist
fragen kann. Man kann nur ziemlich wenige
Ereignisse in einem Musikdrama unterbringen,
und der Prozess muss einen scharfen und engen
Fokus auf die Erfahrung der Situation auf der
Bühne haben: Musik handelt von Sachen,
die zu genau für Worte sind, und Komplexität
entspricht oft einer Verwässerung.
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Aus diesem Grund war Conrads Roman keine
offensichtliche Wahl. Es ist ein trauriges Werk
und war nie besonders populär. Es ist komplex,
hat viele nur kurz auftretende Charaktere – selten
gut beim genauen Blick durch das Opernglas –,
und ein großer Teil des Buches besteht aus der
Beschreibung der polizeilichen Ermittlung.
Der herausforderndste Aspekt des Librettos
war jedenfalls nicht die Weitschweifigkeit der
Erzählung. Seine Form ist sehr literarisch und
besetzt von innerem Dialog, aber die zentrale
Katastrophe hat einen hinreichend opernhaften
Charakter. Nein, was mich mich am meisten
beschäftigte, war die Tatsache, dass zwei wichtige Figuren schweigen – weil sie Abtraktionen
sind. Diese stellen «The Great Game» dar – wie
Realpolitik im England des 19. Jahrhunderts
genannt wurde – und sexuelle Veleugnung,
die überall im Buch schmerzend aufschreit. Es ist
eine schreckliche Logik hinter Winnies Vernichtung ihres Ehemannes als Erwiderung auf die
Nachfrage nach körperlicher Bequemlichkeit.
Realpolitik und Polizeiermittlung wurden bald
als Ablenkungen von dem Hauptantrieb der
Geschichte erkannt. Andere Lösungen wurden
während des Eindampfens der ca. dreißig Charaktere der Geschichte auf lediglich fünf gefunden.
Ich machte einige beträchtliche Änderungen,
am wenigsten jedoch bei Verloc selbst: Er ist
etwas leichter, komischer und sympatischer
geworden. Man könnte glauben, dass er unter
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anderen Umständen ein anständiges Leben hätte, und ich bin mir nicht sicher, ob dies auch für
die Vorlage zutrifft. Der Professor hat sich von
einer widerlichen Nummer zu einer Art diabolus
ex machina entwickelt – mit etwas mehr von
einem Sparafucile. Im Buch ist Winnie unbewusst, emotional verschlossen und in irgendeiner
Weise verletzt. Dieser Aspekt ihres Charakters
wurde in meiner Version beibehalten, indem ich
sie im ersten Teil weitgehend schweigen lasse.
Still aber anwesend ist sie und findet ihre Stimme erst vollständig, wenn die Vernichtung schon
im Gange ist. Chief Inspector Heat ist weitgehend
meine eigene Erfindung. Im Buch ist er ein
methodischer, schwerfälliger, ziemlich uninspi-
rierter Mann mit einer gewissen Integrität.
In der Oper ist er ein kleiner Dämon, besessen
von Macht, ein unmoralischer Maulheld, der seine Menschenkenntnis missbraucht. Diese Veränderung war nötig, um die dramatische Spannung
zu erhöhen und mir eine weitere Dimension für
den musikalischen Wortschatz zur Verfügung zu
stellen. Andere finden ihren Weg in die orchestralen Strukturen oder auf die Bühne. Der Terroristenboss Mr Vladimir (der nie zu sehen ist) hat
ein Leitmotiv und wird ausführlich in Verlocs
esprit d’escalier zitiert.
Ich habe nie daran gedacht, einen Vokalpart für
Stevie zu schreiben. Nach der Tat weiß ich nun,
dass diese instinktive Entscheidung richtig war.
Eine der Ironien unserer Version – bei Conrad
nicht vorhanden – ist, dass der am offensichtlichsten beschädigte Charakter tatsächlich jener
mit dem größten emotionalen Einblick ist.
Alfred Hitchcock (der einen ziemlich erfolglosen
Film aus dieser Geschichte gemacht hat) sagte
die berühmten Worte: Im Kino erzählen die Bilder
die Geschichte. Dialog ist nicht mehr als Athmosphäre. Ein wichtiger Rat für den Drehbuchschreiber: Ersetze «Bilder» durch «Musik» und es wird
ebenso wahr für den Librettisten. Aus diesem
Grund denke ich nicht, dass es wesentlich ist,
dass das Libretto auf Englisch ist. Deutsch ist
für mich eine spät erworbene Viertsprache,
und obwohl ich es verstehe, tue ich es doch nicht
in den Nuancen; sicherlich wäre für mich ein
Libretto mit der emotionalen Genauigkeit,
die ich fordere, unmöglich gewesen. Aber ich
denke, Hitchcocks Worte taugen für die Oper
wie für den Film, wenn der Komponist seine
Arbeit gut macht.
Die Sorgfalt, mit der das Libretto gebaut wurde,
bürdete der Musik formale Genauigkeit auf.
Meine Komponisteninstinkte sind barock, womit
ich meine, dass ich es vorziehe, eine deutliche
Struktur vorzugeben, in der die eher ausdrucksvollen Elemente der Musik freies Spiel haben.
Hieraus entspringt ganz selbstverständlich,
dass jede der zwanzig kurzen Szenen der Oper
aus einem Tanz oder einer anderen barocken
Form dieser Art besteht – ein Kanontrio, die
Sarabande des Professors, Heats Menuett.
Während der Proben wies jemand darauf hin,
wieviele Wiegenlieder in dem Stück sind – eine
Tatsache, die ich etwas beunruhigend fand.
Es verwundert vielleicht nicht, dass ein Komponist, der in der englischen Songtradition verwurzelt ist, so viele Arien einbaut. Die Oper teilt sich
ganz natürlich in Nummern auf, aber es gibt
auch eine übergeornete Form, die die mehr als
3500 Takte zusammenhält.
In beiden Versionen der Geschichte zeichnet
Stevie wie besessen Kreise (und wir sollten nicht
vergessen, dass Dante die Hölle in Kreisen darstellt.). Musikalisch gesehen haben wir es auch
mit einer Kreisform zu tun. Es handelt sich, mit
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Abweichungen, um eine symphonische Entwicklung, deren Wiederholungen sich einem Palindrom nähern. Ich liebe Puzzles und Symbole in der
Musik; es sind hervorragende Diener, aber armselige Meister, und es besteht immer die Gefahr,
dass ein Leitmotiv für jedes Ereignis und jede
Idee pedantisch wirkt. Ich war sehr standhaft,
und obwohl es Leitmotive gibt, sind sie nur von
geringer Anzahl und dreistem Charakter. Manche
beschreiben Physisches. Charles Verloc hat eine
schwermütige kleine Weise, und die Melodie, die
Winnie zu den Worten «Oh Stevie, whatever shall
I do with you» singt, bleibt an dem armen Jungen
das ganz Stück hindurch hängen. Aber meist sind
die Motive abstrakt. In dem Quartet for Two
Voices hat Winnie die Stelle «he is a good man,
Stevie», die oft wiederkehrt, normalerweise bei
Gespött. Eine gleitende, aufsteigende Akkordfortschreitung, hauptsächlich verknüpft mit
Verrat, wurde schamlos aus Die Brück am Tay
(Ich komm vom Meer) entnommen, und ich hoffe, das Feldkirch Festival wird mir dieses kleine
Auto-Plagiat vergeben. Sogar das Motiv der
«tickenden Bombe», zuerst im Prolog zu hören,
hat eine weitergehende Bedeutung, und als die
Arbeit voranging, merkte ich, dass es überall dort
in die Musik kriecht, wo ein Charakter sich
gefühlsmäßig versteift, wo Mitgefühl ausbleibt.
Es ist nicht überraschend, dass man es oft in
Anwesenheit des Professors hört.
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Letztendlich sind es dennoch der Weg und das
Gefühl, die zählen, nicht die Gedanken, durch die
sie strukturiert sind. Das Jahr, das ich mit dem
Schreiben dieses Stückes verbrachte, ist turbulent gewesen; das Leben mit diesen Figuren in
diesem moralischen Universum war nicht immer
einfach, und die Tatsache, dass ich gerade die
Musik für die Bombenbauarie des Professors am
7. Juli schrieb, als die echten Bomben in London
losgingen, hat mich aufs Äußerste bestürzt.
Zu meiner großen Überraschung stelle ich fest,
Hunger auf eine weitere Oper zu haben; und ich
habe auch schon eine Geschichte dafür, die aufkam, als ich sah, wie die Bühne für The Secret
Agent Gestalt annahm. Am Ende dieses Prozesses
habe ich nun einen schärferen Blick des Mitleids
auf unsere gegenseitigen Brutalitäten, aber ich
begreife immer noch nicht, warum unsere
politischen Führer, unserer heutigen Mr Vladimirs, uns so inbrünstig überzeugen sollten,
dass wir im Krieg mit einer solchen Schimäre wie
dem Terrorismus sind. Denn es ist, in den Worten
des Professors, «keine Armee, sondern jemand
Verkleidetes neben dir – ich könnte es sein.»
Wie Clemenceau beobachtete: «Krieg ist zu wichtig, um ihn den Generälen zu überlassen.»
Seine Prämisse war falsch (obwohl der Krieg
sicherlich zu wichtig ist, um ihn den Politikern
zu überlassen.) Krieg, so wie er ist, wird den
Kleinen überlassen, den namenlose Geschöpfen,
von denen Chief Inspector Heat singt:
The world is full of harmless people.
Were we to admit it
What need would there be for policemen?
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How many friendships have you known formed upon principles of virtue?
Most friendships are formed by caprice or by chance, mere confederacies in vice or leagues in folly.
Samuel Johnson
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II. Meditation
Vergrab dein Gesicht in den Händen.
Presse sie fest gegen Wangen und Stirn.
Laß kein Licht mehr durch die Finger.
Richte dich ein in den eigenen Vier Wänden
Aus Jochbein, Schädel und Gehirn.
Bleib so, der Kopf ist kein Zwinger.
Kein Boden fängt auf und kein Dach.
Oben sind, unten, rechts und links, Worte.
Keins triffts ins Schwarze wie Ach.
Vergiß, wo dich nichts kennt, die Orte,
Meeresbucht, Stadtrand und Wald.
Träum nicht, es sei denn vom Ende.
Zwischen Himmel und Erde, kein Spalt
Ist da, für dich kein Halt im Gelände,
Nur Raum, der dich auslöscht, nur Zeit.
Versuche dich nicht zu erinnern.
Öffne die Augen, öffne sie weit.
Was siehst du jetzt, wenn du dich drehst?
Ist das die Dunkelheit im Innern?
Ist das die Nacht, in die du gehst?
Ich bin Ophelia. Die der Fluss nicht behalten hat.
Die Frau am Strick Die Frau mit den aufgeschnittenen Pulsadern Die Frau mit der Überdosis AUF
DEN LIPPEN SCHNEE Die Frau mit dem Kopf im
Gasherd. Gestern habe ich aufgehört mich zu
töten. Ich bin allein mit meinen Brüsten meinen
Schenkeln meinem Schoß. Ich zertrümmre die
Werkzeuge meiner Gefangenschaft, den Stuhl,
den Tisch, das Bett. Ich zerstöre das Schlachtfeld
das mein Heim war. Ich reiße die Türen auf,
damit der Wind herein kann und der Schrei der
Welt. Ich zerschlage das Fenster. Mit meinen blutenden Händen zerreiße ich die Fotografien der
Männer die ich geliebt habe und die mich
gebraucht haben auf dem Bett auf dem Tisch auf
dem Stuhl auf dem Boden. Ich lege Feuer an mein
Gefängnis. Ich werfe meine Kleider in das Feuer.
Ich grabe die Uhr aus meiner Brust die mein Herz
war. Ich gehe auf die Straße, gekleidet in mein
Blut.
Heiner Müller
Durs Grünbein
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Depend upon it, sir, when a man knows he is to be hanged in a fortnight, it concentrates his mind wonderfully.
Samuel Johnson
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Grausamer Selbstmord eines alten Manns in Innsbruck.
. . . Ursache ungeklärt . . . Vielleicht aus Einsamkeit,
Wie ein Experte glaubt, aus depressivem Frauenhaß,
Hat letzten Donnerstag ein kinderloser Witwer
Die weibliche Belegschaft einer Wäscherei schockiert.
Daß Alter kaum vor Perversionen schützt, beweist
Die eisige Gelassenheit, mit der der Mann am Morgen
Zur Tat schritt. Einen welken Rosenstrauß im Arm,
Betrat er das Geschäft, rief noch «Grüß Gott» und bat
Um ein Glas Wasser für die Herztabletten. Kaum allein
Verschwand er still im Nebenraum und legte seinen Kopf
Zwischen die Rollen einer Wäschemangel. Das Geräusch
Chen Kaige (Chinesische Legende)
Vor langer Zeit
badeten zwei himmlische Prinzen in einer Wolke.
Plötzlich fielen sie auf die Erde hinab.
Der Kaiser sandte seine Soldaten aus,
seinen Söhnen die Augen zu schließen.
Er wollte vermeiden, dass sie das Böse auf
Erden sähen.
Den Soldaten gelang es nicht,
die Prinzen unter den Menschen zu finden.
Sie schlossen die Augen aller auf Erden.
Beschrieb ein Zeuge als das Knirschen einer Autopresse,
Sämtliche Wände bis zum zweiten Stock durchdringend.
Durs Grünbein
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Moral
ganz was schwieriges
hochinteressant
eigentlich noch nicht richtig gelöst
Rainald Goetz
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Simon Wills führt ein erstaunlich vielfältiges
kreatives Leben Er ist Dirigent, Komponist, Autor
und Filmproduzent. Seine weitreichenden Aktivitäten haben ihn in 46 Länder und auf jeden
Kontinent geführt. Sein Kompositionsstil ist
hochindividuell, wobei er bewusst außerhalb
der modischen und dabei abgeschiedenen Mainstream-Avantgarde bleibt. Er ist geprägt von
einem begeisterten Glauben an Klarheit und der
Idee, dass ernsthafte, intellektuell entschiedene
Musik nicht auf eine undurchsichtige Sprache
oder gekünstelte Schwierigkeiten angewiesen
sein darf. Dieser Zugang des Komponisten führt
zu kraftvollen gestalterischen Spannungen in
seinem Werk: Streng disziplinierte klassische
Techniken, ein hochentwickelter Sinn für
Melancholie und Zartheit, ausgeglichen durch die
Faszination an der ironischen und herben Seite
des Lebens. Vielleicht sind seine größten Erfolge
deshalb im Musiktheater zu finden: Jiggery Pokery,
eine moderne «Jonsonian Masque» war ein Skandalerfolg bei der Premiere in London 1999, und
das widersprüchliche A Day Close to Summer,
geschrieben für das Baden-Badener Festspielhaus
2003, sorgte für eine ausgedehnte Debatte.
Die Musik wurde hoch gelobt. 2004 komponierte
Simon Wills Die Brück am Tay, eine «Oper ohne
Orchester» für das Feldkirch Festival. In dieser
theatralischen Version von Fontanes Gedicht
werden Sänger und Instrumentalsolisten hinter,
über und zwischen den Zuhörern verteilt. Es war
beim Publikum und bei der Kritik ein Erfolg, was
zu weiteren Aufführungen führte. In der Woche
der Uraufführung von Bruck erlebte das Cheltenham International Festival auch die Premiere von
Moro Lasso – songs for unseen singer. Das Jahr
2004 endete mit einem Höhepunkt, der Aufführung von Prelude and Fugue about Quem Pastores
Laudavere durch die Berliner Philharmoniker.
2005 bestimmten zwei Werke die Kompositionsarbeit: Sinfonietta for Strings wurde auf Wunsch
von Thomas Hengelbrock für die Südamerikatour
des Balthasar-Neumann-Ensembles geschrieben.
Es ist ein neoklassisches Werk mit einem ganz
bewusst fröhlichen Chrakter und so in starkem
Kontrast zu der Hauptaufgabe dieses Jahres:
The Secret Agent.
Wie viele Komponisten kam Simon Wills ans
Dirigentenpult, damit seine Musik aufgeführt
werden konnte. Dies begann mit einem raffinierten Konzert, das er für Christian Lindberg
geschrieben hatte und dessen Uraufführung er
in Stockholm leitete. Kurz danach fand er sich mit
einem Dirigentenstab neben Gidon Kremer bei
der Royal Festival Hall in London und bei Laurie
Andersons Meltdown Festival. Er dirigierte auch
das Chamber Orchestra of Europe bei seiner eigenen Ouverture Fourscore. Diese Seite seines
Schaffens ist in letzter Zeit stetig gewachsen:
Im letzten Jahr dirigierte er in Texas sein theatralisches A Breach of the Peace. Er fühlt eine besondere Nähe zu Schostakowitsch, Haydn und Kurt
Weill, und seine beängstigenden Fähigkeiten
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YOU SHOULD LIMIT THE NUMBER OF TIMES YOU ACT AGAINST YOUR NATURE. LIKE SLEEPING WITH PEOPLE YOU HATE.
IT‘S INTERESTING TO TEST YOUR CAPABILITIES FOR A WHIILE BUT TOO MUCH WILL CAUSE DAMAGE.
Jenny Holzer
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als Orchesterleiter sorgen immer wieder für
Kommentare. Er hat eine ganze Reihe von
Ensembles in Großbritannien, Europa und den
USA geleitet, z. B. im November 2005 das Zyprische
Staatsorchester auf Malta bei einem für ihn typischen, gemischten Programm (Haydn, Copland,
Zelenka und C.P.E. Bach).
Simon Wills plante ursprünglich eine Karriere als
Lautenist, kehrte jedoch nach einer schweren
Handverletzung zur Posaune zurück und begann
zu komponieren. Da er einsah, dass ein guter
Komponist vor allem ein praktischer Musiker
sein muss, vermied er eine akademische Ausbildung. Er studierte Wirtschaftsgeschichte und
lernte sein Musikhandwerk von innen, viele Jahre
als erster Posaunist in führenden Orchestern,
z. B. am Teatro Massimo in Palermo und beim
London Symphony Orchestra. Während dieser
Zeit arbeitete er eng mit Leonard Bernstein,
Georg Solti, Claudio Abbado, Seiji Ozawa und
eigentlich jedem bedeutenden Dirigenten
zusammen. Dies führte auch zu Kontakten mit
vielen zeitgenössischen Komponisten: u. a. Harrison
Birtwistle, John Adams, Peter Eötvös, George
Benjamin und Gyorgy Ligeti. 1985 wurde er von
Peter Maxwell Davies in dessen Ensemble «The
Fires of London» eingeladen. Von 1992 bis 1997
war er erster Posaunist des Chamber Orchestra of
Europe. Claudio Abbado ermunterte ihn bei seiner Kompositionsarbeit und fragte ihn, ob er nicht
eine Orchesterversion von einigen ProkofiewStücken machen können, die für einen Film der
Deutschen Grammophon Gesellschaft benötigt
wurden. Abbado leitete das Chamber Orchestra
of Europe und der Film gewann einen Emmy.
In diesem Jahr hat Simon Wills bereits ein
Hornkonzert für Tim Jones (London Symphony
Orchestra) fertiggestellt, erhielt von der Holst
Foundation einen Auftrag für ein Streichsextett
und wird ein Gesangszyklus für Sopran und
Orchester beginnen: Songs of Meeting and
Farewell. Für den Sommer hofft er, die Arbeit
an seiner dritten Symphonie aufnehmen zu
können – und vielleicht ein bisschen auszuruhen.
Katrin Hiller wurde in der Nähe von Hannover
geboren. Sie studierte Soziologie und Germanistik in Hamburg, 1995–1999 Regie an der Folkwang-Hochschule in Essen. In dieser Zeit inszenierte sie u. a. Das kunstseidene Mädchen von
Irmgard Keun und Was ihr wollt von William
Shakespeare. Im Musiktheater arbeitete sie mit
den Regisseuren Nicholas Broadhurst und Brian
Michaels zusammen, u. a. bei den Schlossfestspielen Schwetzingen, und inszenierte sowohl
Liedprogramme als auch Niccolo Piccinnis
La Pescatrice, Frau Luna von Paul Lincke und
Brundibár von Hans Krasá in Mühlheim/Ruhr.
1996 erhielt sie den Folkwang-Preis für darstellende Kunst. In der Folge assistierte Katrin Hiller
am Burgtheater Wien bei Andrea Breth, Sven-Eric
Bechtolf, Karin Beier und Declan Donellan und
inszenierte dort 2000 Gier von Sarah Kane im
25
SOME DAYS YOU WAKE AND IMMEDIATELY START TO WORRY. NOTHING IN PARTICULAR IS WRONG,
IT‘S JUST THE SUSPICION THAT FORCES ARE ALIGNING QUIETLY AND THERE WILL BE TROUBLE.
Jenny Holzer
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Vestibül. Seitdem ist sie regelmäßig auch als
Produktionsleiterin tätig, u. a. bei den Salzburger
Festspielen, arbeitete als Co-Regisseurin mit
Dimiter Gottscheff zusammen (Salome von Oscar
Wilde, Burgtheater 2004), und nahm zweimal als
Regisseurin an den Autorenwerkstatttagen am
Burgtheater Wien teil. 2005 folgten die Inszenierung von Der Menschenfeind von Molière im
Theater im Palais in Graz sowie die Projektarbeit
Lieber 99 falsche Tode als zwei Stunden falsches
Leben am Theater Neumarkt in Zürich, zuletzt
inszenierte Katrin Hiller Das Geheimnis der Irma
Vep von Charles Ludlam am Volkstheater Wien.
Irfan Önürmen zählt zu den interessantesten
türkischen Künstlern der jüngeren Generation.
1958 in Bursa geboren, studierte er Malerei an
der Mimar Sinan Universität in Nese. Seit 1985
stellt er in Istanbul, Ankara sowie in Frankfurt,
München und Wien aus. Seine oft schemenhaften, an die Malerei von Francis Bacon erinnernden Bilder greifen häufig Alltagsthemen seiner
Umwelt auf. In letzter Zeit beschäftigte er sich
unter Einbeziehung textiler Werkstoffe verstärkt
mit Rauminstallationen. Irfan Önürmen lebt und
arbeitet in Istanbul.
Peter Kajlinger war von 1999 bis 2002 Ensemblemitglied der Staatsoper Stuttgart. Seine Ausbildung erhielt er an der Königlichen Opern-
schule in Stockholm. Erste Auftritte erfolgten am
dortigen Opernstudio als Dr. Blind, Alidoro und
Dancairo. Am Königlichen Hoftheater sang er
1989 den Leporello in Don Giovanni und Moralès
in Carmen. Ferner gastierte er in der Titelpartie
von Mozarts Schauspieldirektor, als Papageno,
Leporello und als Figaro am Confidencen in
Stockholm sowie in der Titelrolle von Salieris
Falstaff am Drottningholmer Hoftheater.
Er gastiert regelmäßig in Stockholm und anderen
skandinavischen Opernhäusern sowie an verschiedenen Theatern in Deutschland. Als Konzertsänger widmet er sich besonders Werken
schwedischer Komponisten, hat aber auch die
Zyklen von Franz Schubert, Robert Schumann,
Johannes Brahms, Hugo Wolf und Gustav Mahler
mit großem Erfolg aufgeführt.
Barbara Ostertag wurde in Freiburg im Breisgau
geboren. Dort studierte sie zunächst Musikwissenschaft und anschließend Gesang.
Dabei wurde sie unter anderem von Heidemarie
Tiemann und Gerd Heinz betreut. Sie wirkte bei
vielen Lied- und Opernproduktionen mit und war
bereits während ihrer Ausbildung als Gast am
Freiburger Theater tätig. Meisterkurse bei Kurt
Moll, Anna Reynolds und Eugen Rabine runden
ihre Ausbildung ab. Ihre sängerische Tätigkeit
umfasst gleichermaßen die Bereiche Oper,
Oratorium und Lied. 2002 war sie in der Schauspielproduktion Doktor Faustus am Freiburger
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WHEN YOU EXPECT FAIR PLAY YOU CREATE AN INFECTIOUS BUBBLE OF MADNESS AROUND YOU
Jenny Holzer
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Theater zu sehen. 2003⁄04 wirkte sie bei den vielbeachteten Produktionen King Arthur und Metamorphosen der Melancholie unter der Leitung von
Thomas Hengelbrock als Solistin mit. Im Bereich
Oratorium gilt ihre Aufmerksamkeit besonders
den Werken des Barock und der Klassik. Darüber
hinaus hat sie sich aber auch als Interpretin der
Neuen Musik bekannt gemacht und u. a. mit dem
Dirigenten Walter Nußbaum und verschiedenen
Komponisten direkt zusammengearbeitet.
Der gebürtige Spanier Rafael Vazquez studierte
erst Rechtswissenschaft und arbeitete als
Anwalt, bevor er sich der Musik widmete – er
studierte Gesang in Spanien und Italien sowie an
der Guildhall School of Music in London u. a.
bei Susan McCulloch, Graham Clark und Jose
Jimenez, bevor er 2005 am Studio der Flämischen
Oper in Gent aufgenommen wurde. Er sang bisher in Produktionen der Guildhall School, sowie
in Newcastle, im South Bank Centre sowie an der
Royal Opera Covent Garden.
Der Altist Bernhard Landauer ist gebürtiger Innsbrucker und lebt in Salzburg. Nach ersten Konzert- und Bühnenerfahrungen als Sopransolist
der Wiltener Sängerknaben (Innsbruck) studierte
er an der Wiener Musikhochschule Gesang bei
Helene Karusso und Kurt Equiluz und bei KarlHeinz Jarius in Frankfurt. Neben der Aufführung
Alter Musik reizt ihn auch besonders die Interpretation von Literatur, die für einen Countertenor eher ungewöhnlich ist. So sang er u. a.
Schuberts Schöne Müllerin und Winterreise, den
Krämerspiegel von R. Strauss, Mozarts Requiem,
L. Bernsteins Chichester Psalms oder die Three
Latin Prayers von G. Scelsi. Opernproduktionen
unter Regisseuren wie Ph. Arlaud, N. Brieger,
N. Broadhurst, B. Fassbaender, A. Freyer und
H. Kupfer führten ihn an die Berliner Staatsoper,
zu den Bregenzer Festspielen, ans Essener AaltoTheater, die Oper Frankfurt, zu den Händel-Festspielen in Halle, den Innsbrucker Festwochen,
den Schwetzinger Festspielen sowie an die
Wiener Staatsoper und Volksoper. Mit großer
Leidenschaft verkörperte er u. a. den Fjodor in
Mussorgskys Boris Godunow, den Oberon in
B. Brittens A Midsummer Night’s Dream, den
Tolomeo in Händels Giulio Cesare und die Sorceress in Purcells Dido and Aeneas. Seine musikalischen Partner waren das Amsterdam Baroque
Orchestra, Ton Koopman, René Clemencic,
Cantus Cölln, Diego Fasolis, das Freiburger
Barockorchester, Thomas Hengelbrock, René
Jacobs, The King’s Consort, Bernhard Kontarsky,
Oni Wytars, Erwin Ortner, das Ensemble Unicorn
und Dominique Visse mit dem Ensemble
«Clément Janequin». Seit 1998 unterrichtet
Bernhard Landauer an der Abteilung für Alte
Musik des Konservatoriums der Stadt Wien.
29
BODIES LIE IN THE BRIGHT GRASS AND SOME ARE MURDERED AND SOME ARE PICKNICKING.
Jenny Holzer
30
Yehuda Almagor wurde 1959 in Haifa geboren
und lebt heute in Arnsberg. Er studierte Schauspiel und Theater an der Universität in Tel Aviv
und war an den renommierten Theatern Khan in
Jerusalem und Cameri in Tel Aviv engagiert.
Außerdem war er als Dozent für Schauspiel an
der School For Visual Theatre in Jerusalem tätig,
die neben traditionellem Schauspiel besondere
Schwerpunkte auf Bühnenbild, Tanz und Bewegung, Arbeit mit Figuren und Masken sowie
alternative Theaterformen legt. Seit Anfang
der neunziger Jahre lebt und arbeitet Yehuda
Almagor in Israel und Deutschland, wo er 1991
gemeinsam mit Ulla Almagor das Teatron
Theater in Arnsberg gründete, das bei Festivals
in Europa und den USA gastiert und Veranstalter
des «Festivals der leisen Töne» ist. Mit der
Produktion Der Zwerg, wurde Almagor zu zahlreichen internationalen Festivals eingeladen.
Seine Arbeit umfasst Arbeiten u. a. für das Festival «Theaterformen», die Expo in Hannover und
das Schauspielhaus Wien.
Daisy Jopling wurde in England geboren. Im
Alter von 14 Jahren spielte sie ihr Konzertdebüt
in der Royal Albert Hall in London. Sie studierte
am Royal College of Music bei Itzhak Rashkovsky
und an der Guildhall School of Music and Drama
bei David Takeno. In Transsilvanien arbeitete sie
mit traditionellen ungarischen Volksmusikgeigern,
und in Ghana verbrachte sie drei Monate, um
ihre Kenntnisse der «African Drums» zu erweitern. Sie spielte in London in vielen verschiedenen Kammermusikgruppen (z. B. Capricorn,
Endymion, Matrix Ensemble) wie auch in der
westafrikanischen Band «Dunni» und dem Chamber Orchestra of Europe. Sie war Konzertmeisterin bei einer Gesamtaufnahme von Griegs Werken für Streichorchester, und 1993 nahm sie Neil
Gardners October für Violine und Orchester auf.
1994 kam sie nach Wien, um bei Boris Kuschnir
Violine zu studieren. Sie trat unter anderem mit
dem Wiener Kammerorchester und der Camerata
Academia Salzburg auf und war Konzertmeisterin bei der «Reihe», dem Ensemble des 20. Jahrhunderts, und dem Ensemble Modern in Frankfurt. Im Mai 2003 wirkte sie als Konzertmeisterin
in der Oper Massacre von Wolfgang Mitterer bei
den Wiener Festwochen mit. Sie ist Teil des
Streichtrios Triology, mit welchem sie die CDs
Triology plays Ennio Morricone, Who Killed the
Viola Player? und Around the World in 77 minutes
einspielte. Zudem nahm sie That’s All Daisy Needs
mit Wolfgang Muthspiel auf. Mit Triology spielte
sie Tourneen auf der ganzen Welt, und zuletzt
arrangierte sie Hans Zimmers Filmscore für Jim
Brooks Film Spanglish und spielte ihn in Hollywood ein. Im Mai 2005 gab Triology ein Konzert
gemeinsam mit Bobby Mc Ferrin in Mexico. Sie
schrieb die Musik für die Dokumentation Wien,
Gesicht einer Stadt; sie ist eine gefragte Solistin
bei diversen Filmmusikaufnahmen, und 2001
hatte sie einen Soloauftritt mit eigenen Werken
31
THE BEGINNING OF THE WAR WILL BE SECRET.
Jenny Holzer
32
bei der Eröffnung des Wiener Stadtfestes sowie
beim Donau-Festival. 2005 spielte sie im Duett
mit Omara Portuondo bei der Eröffnung der
Wiener Festwochen.
Die Bratschistin Daniela Ivanova studierte in Sofia
an der Musikakademie «Pantscho Vladigerov»
und ging aus zahlreichen Musikwettbewerben
als Preisträgerin hervor. 1999 begann sie ihr
Studium an der Wiener Universität für Musik und
ist seither bei renommierten Veranstaltungen
als Solistin, Orchestermusikerin und Kammermusikerin aufgetreten.
Nach seinem Abschluss im Fach Musik an der
Cambridge University studierte Orlando Jopling
bei Sir Colin Davis und George Hurst am RAM und
bei Diego Masson in Dartington. Bei William
Pleeth und Steven Isserlis wimete er sich gezielter dem Cellostudium. Seine Karriere führte ihn
als Cellisten zum London Symphony Orchestra,
dem Orchestra of the Age of Enlightenment und
mehereren Ensembles in Wien und Schweden.
Am National Opera Studio gewann er das erste
Leonard Hancock Scholarship und stand seitdem
am Pult verschiedener Ensembles: English Chamber Orchestra, London Mozart Players. Er dirigierte Figaro für die Savoy Opera, The Merry Widow
für die Carl Rosa Company und La Scala di Seta
für die Independent Opera. Er war Assistent von
Wyn Davies an der Scottish Opera und arbeitete
mit Andre Previn bei A Streetcar Named Desire
zusammen. Er ist musikalischer Leiter der Stanley
Hall Opera, an der er Cosi fan tutte, Figaro, Don
Pasquale, Falstaff sowie die erste professionelle
Produktion in englischer Sprache von Rossinis
früher komischer Oper La Pietra del Paragone
dirigierte. Zudem gründete er die innovative
Company Tête à Tête, die Die Fledermaus auf die
Bühne brachte und Vivaldis verloren geglaubter
Oper Orlando finto pazzo, deren Manuskript Bill
Bankes-Jones in Turin gefunden hat, zur modernen Weltpremiere verhalf. Unter seinen Plänen
für die Zukunft sind weitere Aufnahmen mit dem
English Chamber Orchestra und Aufführungen
von L´Italiana in algeri und vom Rosenkavalier an
der Stanley Hall Opera.
Katy Gainham studierte bei Kathryn Lukas and
Edward Beckett and der Guildhall School of Music
& Drama, gewann den Laurie Kennedy Memorial
Prize und den Philip Jones Woodwind Prize. Nach
ihrem Abschluss war sie «Countess of Munster»Stipendiatin und viele Jahre Mitglied von Live
Music. Sie unternahm mehrere Reisen nach Südafrika und gab dort Workshops in Townships und
in Schulen auf dem Land. Diese Arbeit beschreibt
sie in ihrem Kapitel in dem Buch «The Reflective
Conservatoire» (Ashgate, 2005).
Sie arbeitete außerdem in pädagogischen Projekten für das Royal Opera House, ENO Baylis und
33
THE BREAKDOWN COMES WHEN YOU STOP CONTROLLING YOURSELF AND WANT THE RELEASE OF A BLOOBATH.
Jenny Holzer
die English Touring Opera, sowohl in Großbritannien als auch in Italien. Sie veröffentlichte Fachartikel über Atmung und Flötenspiel. Ihre Begeisterung für das Thema war so groß, dass sie dafür
den Kilimandscharo bestiegt und höhenkrank
wurde. Sie hat einen Masterabschluss in Musikerziehung und Internationaler Entwicklung und
unterrichtet nun auch selbst. Sie gab Soloabende
in Großbritannien, Estland, Italien und Südafrika
sowie Konzerte mit dem Feinstein Ensemble.
Auf Aufnahmen spielt sie u. a. den Altflötenpart
in Taverners Mary of Egypt bei der Aldeburgh
Festival Opera. Sie ist Mitglied der English
Touring Opera seit 1995 und spielt in vielen
Ensembles für zeitgenössische Musik und Kammermusik wie dem Composers’ Ensemble,
Lontano, Almeida Opera, Music Projects London,
Birmingham Contemporary Music Group, Jane’s
Minstrels und der Premiere Crew, sowie in führenden Orchestern wie dem City of Birmingham
Symphony Orchestra, Royal Philharmonic Orchestra, Birmingham Royal Ballet und dem Orchestra
of the Age of Enlightenment und unzähligen
weiteren.
Als Solist und Kammermusiker trat Peter Furniss
in Großbritannien, Europa und Israel auf, u. a.
mit Soloabenden in der Bridgewater Hall in Manchester und in Londons Purcell Room im Rahmen
der Park Lane Group Series. Er spielte bei vielen
Festivals, z. B. Vale of Glamorgan, 1st Festival of
Contemporary Music in Baku (Azerbaijan),
Jerusalem’s Classical Winter und gab zwei
Konzert in New York. Als Mitglied des European
Wind Octet tourte er durch Europa. Er ist begeisterter Anhänger zeitgenössischer Musik und
arbeitete mit einigen der darin führenden
Ensembles zusammen: Lontano, Okeanos,
Chroma, New Music Players, Uroboros Ensemble
und Vallaeys Ensemble. Peter Furniss spielte eine
CD mit Kammermusik von Mendelssohn ein
(gemeinsam mit Dimitri Ashkenazy und Karl
Andreas Kolly), eine CD mit amerikanischer Musik
gemeinsam mit David Leiher Jones, u. a. mit
Weltersteinspielungen von Werken von Richard
Dudas und Michael Kaulkin und Stücken von
Bernstein, James Cohn, Victor Babin and Robert
Muczynski. Er ist Mitglied von Impropera, «der
Welt einziger (und also auch bester) improvisierender Operntruppe», die bereits komplett spontane Opernaufführungen bei Festivals in ganz
Europa und bei den World Impro Games in
Helsinki gegeben hat. Peter Furniss lehrt seit 15
Jahren und ist zunehmend eingebunden als Komponist und Dirigent in einer Reihe innovativer
Projekte. 2005 leitete er eine Aufführung seiner
Farmyard Suite in der Norwich Cathedral mit
dem DaCapo Chamber Orchestra and 720 Schulkindern aus Norfolk. Er spielt regelmäßig als Gast
bei britischen Orchestern, u. a. bei der BBC Symphony, dem Scottish Chamber Orchestra und
dem Royal Philharmonic Orchestra, aber auch
in vielen Ensembles für Kammermusik und zeit35
IF YOU HAD BEHAVED NICELY THE COMMUNISTS WOULDN‘T EXIST.
Jenny Holzer
36
genössische Musik und natürlich auch mit seinem eigenen Vallaeys Ensemble. Er nahm teil an
vielen Uraufführungen, u. a. mit Solowerken von
Richard Dudas, Michael Kaulkin und Raul Rothblatt (Version für Soloklarinette des Trios für
Cello, Socken und Unterwäsche), sowie Werken
von Robin Holloway, Thomas Ades, Mark-Anthony
Turnage, Elliott Carter, John Adams, Magnus
Lindberg, Peter Eötvös, Simon Bainbridge,
Peter Maxwell Davies, Diana Burrell, Paul Clark
und anderen.
Hugh Webb ist erster Harfenist des Philharmonia
Orchestra und gastierte in dieser Funktion auch
in allen führenden britschen Symphonieorchestern, sowohl bei Konzerten als auch bei Einspielungen.
Er arbeitet sehr viel im Bereich der zeitgenössischen Musik; Komponisten wie Javier Alvarez,
Robert Keeley, Paul Archbold und Ian Dearden
haben Solowerke für ihn geschrieben, u. a. mit
Unterstützung des Arts Council. Er spielte mit
Ensembles wie: Lontano, Music Projects London,
Avanti, Endymion Ensemble, Critical Band, London Sinfonietta, Matrix und The Composers’
Ensemble. Soloabende gab er beim Huddersfield
Festival, beim Glasgow Computer Music Festival,
beim Almeida Festival and an vielen Hochschulen
und Universitäten. Jüngste Einspielungen umfassen das Konzert für Flöte, Oboe und Harfe (mit
dem Academy of St. Martin’s Chamber Ensemble)
sowie die Fantasy Sonata von Arnold Bax ,
Kammermusik von Villa-Lobos und das komplette
Sonatenwerk für Violine und Harfe von Louis
Spohr. Er komponierte zudem eine Show für
Kinder, basierend auf Hans Christian Andersens
Schneekönigin.
Wolfgang Lindner erfuhr seine musikalische Ausbildung am Mozarteum in Salzburg und an der
Musikhochschule in München (mit Meisterklassendiplom bei Prof. Karl Peinkofer). Zusätzlich
studierte er Komposition bei Wilhelm Killmayer
und Herbert Willi. Er spielte an der Staatsoper
München, im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, im Staatsorchester St. Gallen,
im Symphonieorchester Vorarlberg, war Pauker
im Kammerorchester Arpeggione und zehn Jahre
Mitglied des «österreichischen Ensembles für
neue Musik». Er betätigt sich als Jazzvibraphonist
und in vielen kammermusikalischen Ensembles,
nahm Teil an CD-Einspielungen und zahlreichen
Tourneen im In- und Ausland, war 1. Preisträger
beim ORF Salzburg für Interpretation neuer
Musik und Gründer von «VorAllPercussion».
Zur Zeit unterichtet er am Vorarlberger Landeskonservatorium und ist vor allem als Komponist
tätig. Zu seine Werken gehören: Beziehungswesen
für Saxophon und Klavier, 5 Annäherungen für
Klavier Solo, 3 Lieder (Einwärts geworfen) nach
Texten von Josef Hofman und ein Konzert für
Vibraphon und Streichorchester.
37
Textauszüge
Rainald Goetz: Festung, Katarakt,
Frankfurt a. M. 1993.
Chinesische Legende aus dem Film Die Weissagung (Life on a string), China, BRD, GB 1991,
zitiert nach: Michael Lukas Moeller:
Der Krieg, die Lust, der Frieden, die Macht,
Reinbek bei Hamburg 1992.
Jenny Holzer: Texte aus dem Katalog
Jenny Holzer, Kuratorin Diane Waidman,
New York 1989.
Durs Grünbein: Grausamer Selbstmord aus:
Die teuren Toten, 33 Epitaphe,
Frankfurt a. M. 1994.
– Schädelbasislektion 1 aus: Von der üblen Seite,
Gedichte 1985–1991, Frankfurt a. M. 1994.
– Trio für ein distanziertes Auge / III. Meditation
aus: Nach den Satiren, Frankfurt a. M. 1999.
Heiner Müller: Hamletmaschine/Ophelia aus:
Theater heute, Dezember 1977.
William Shakespeare: Richard III., aus dem
Englischen von Thomas Brasch, Frankfurt 1986.
38
Wir danken ...
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Hauptsponsoren
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Der Standard
Land Vorarlberg - Abteilung Kultur
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39
Impressum
Herausgeber
Feldkirch-Festival
Feldkircher Werbe- und
Tourismus Ges.m.b.H.
Geschäftsführung:
Michael Schetelich
Redaktion
BIK: Jens Berger
Gestaltung
Stecher id
Druck
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Die Texte sind Originalbeiträge der Autoren.
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Festivalbüro: Palais Liechtenstein
Schlossergasse 8, A-6800 Feldkirch
T +43 5522-82943, F +43 5522-83166
[email protected]
www.feldkirchfestival.at
Orchesterkonzert I
Anfang und Ende
25.5.06
Montforthaus
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Orchesterkonzert I: Anfang und Ende
25. Mai 2006 | 19.00 Uhr
Montforthaus
Wolgang Amadeus Mozart
(1756–1791)
Sinfonie Es-Dur KV 16
Molto Allegro
Andante
Presto
Klarinettenkonzert A-Dur KV 622
Allegro
Adagio
Rondeau: Allegro
Sinfonie C-Dur «Jupiter» KV 551
Allegro vivace
Andante cantabile
Menuetto: Allegretto – Trio
Molto allegro
Martin Fröst Klarinette
Feldkirch-Festival-Orchester
Trevor Pinnock Leitung
Einführung
Trevor Pinnock und Martin Fröst im
Gespräch mit Thomas Hengelbrock
Montforthaus, Graf-Rudolf-Saal
18.00 Uhr
– Pause –
3
Feldkirch-Festival-Orchester
Violine 1
Gernot Süßmuth*
Gregor Dierck
Philip Goody
Elfa Rún Kristinsdottir
Anna Melkonian
Petra Schwieger
Lotta Suvanto
Monika Tarcsay
Violine 2
Monika Nußbächer*
Johannes Fleischmann
Christina Gallati
Katarina Giegling
Sarah Marie Immer
Christina Oberhuber
Veronika Spalt
Angelika Treml
Viola
Wolfgang Rings*
Peter Andritsch
Katharina Hage
Sonja Schindele
Dorle Sommer
Friedemann Wollheim
4
Violoncello
Reinhard Latzko*
Maria Grün
Davit Melkonian
David Pennetzdorfer
Michael Peternek
Kontrabass
Francisco Obieta*
Markus Ess
Stefan Preyer
Walter Singer
Flöte
Karlheinz Schütz
Christine Brandauer
Oboe
Thomas Höniger
Wolfgang Plank
Fagott
Allen Smith
Bernd Krabatsch
Horn
Franz Draxinger
Manchev Veselin
Trompete
Paolo Bacchin
Christian Gruber
Pauke
Wolfgang Lindner
* Stimmführer
Anfang und Ende oder:
Vom Wunderkind zum Spätwerkmythos
Mozart hätte sich wohl nicht als Komponist von
Sinfonien bezeichnet. Er verstand sich in erster
Linie als Vertreter der Oper als der Gattung mit
dem höchsten Prestige. Daneben kannte man
Mozart in Wien vor allem als Klaviervirtuosen
und Solisten seiner eigenen Klavierkonzerte,
außerdem als Komponisten von gedruckt vorliegender Kammermusik. Von seinen Sinfonien
gingen zu Lebzeiten nur drei in Druck; dabei
hatte Mozart schon als 17-Jähriger nicht weniger
als 30 Exemplare dieser Gattung vorzuweisen:
Stücke, von denen man weder einen hohen
ästhetischen Anspruch noch formale Einzigartigkeit erwartete, sondern vor allem gepflegte
Unterhaltung – und dass sie bei der «Plauderey»
nicht störten. Mozart hat dieses bescheidene
Soll stets übererfüllt. Den Erwartungen von
Auftraggebern und Publikum zu entsprechen,
genügte ihm nicht; nach Möglichkeit wollte er
sie übertreffen. Seine Produktion richtete sich
nach der Auftragslage bzw. dem jeweiligen
Tagesbedarf, und so entstanden seine Sinfonien
oft als Gelegenheitswerke – aber im besten Sinn
des Wortes.
Jean Baptiste Delafosse:
Leopold Mozart mit Tochter und Sohn in Paris (1763)
Eine erste Gelegenheit ergab sich in London, wo
Leopold Mozart 1764 mit seinen Wunderkindern
Marianne («Nannerl») und Wolfgang auf ihrer
dreieinhalbjährigen Europareise Station machte.
5
Für das Reisegeld und den Lebensunterhalt
sorgten die Auftritte der musizierenden Kinder,
die u. a. mit verbundenen Augen oder auf mit
Tüchern verdeckten Tasten spielten. Im Sommer
1764 aber wurde Leopold Mozart krank, und zwar
«auf den Tod», wie sich Nannerl später erinnerte.
Für vier Wochen musste der Rummel um die
Kinder ruhen; jegliches Klavierspiel war streng
untersagt. Wolfgang vertrieb sich die Zeit daher
mit Komponieren. Das Ergebnis war die Sinfonie
Es-Dur KV 16, allerdings nicht «mit allen Instrumenten, Trompeten und Pauken» – hier hat sich
Nannerl im Rückblick wohl getäuscht, denn vor
dem Klang der Trompete sollte sich ihr kleiner
Bruder noch einige Jahre sehr fürchten.
Besetzung und Umfang der Sinfonie entsprechen
vielmehr den Londoner Gepflogenheiten; in den
drei Sätzen wirken neben Streichern nur Oboen
und Hörner mit. «Ermahne mich, daß ich dem
Waldhorn etwas zu thun gebe», soll Wolfgang
zu seiner Schwester gesagt haben. Man hat
diese Äußerung mit dem langsamen Mittelsatz
in Verbindung gebracht, wo nach einigen Takten
im Horn das aus dem Finale der Jupiter-Sinfonie
bekannte Vierton-Motiv erscheint; doch dazu
später.
Jupiter-Sinfonie, Beginn des Hauptthemas (T. 1ff., Vl. I)
6
Aus dieser ersten bekannten Orchesterpartitur
Mozarts lässt sich ersehen, wie unfassbar viel
der gerade achtjährige Wolfgang bereits gelernt
hatte. Zwar muten die einzelnen Sätze mit ihren
zahlreichen Wiederholungen und locker gereihten
Einzelgliedern ein wenig wie ein Puzzle an,
und die Architektur wirkt manchmal wie aus
dem Baukasten; doch das Gesamtbild überzeugt,
und das Gebäude hält. Wenn auch noch kein
Geniestreich, so ist diese Sinfonie doch ein
effektvolles Schaustück, das durchaus souverän
wirkt – übrigens ganz im Gegensatz zum zugehörigen Manuskript. An ihm ist zweifelsfrei abzulesen, dass Wolfgang noch nicht allzu geübt
im Umgang mit Tinte und Gänsekiel gewesen
sein kann. Leopold hat nachträglich einige
Korrekturen angebracht; über die Schulter
geschaut hat er seinem Sohn beim Komponieren
aber sicherlich nicht – sonst hätte er ihm wohl als
erstes eine ordentlich zugeschnittene Feder in
die Hand gedrückt.
Eine Seite aus der Sinfonie Es-Dur KV 16 (Andante)
7
Wie Mozarts Manuskript zum Klarinettenkonzert A-Dur KV 622 aussah, wissen wir
nicht; dass es verschollen ist, hat – wie
so vieles an diesem Konzert – mit dem
Klarinettisten Anton Stadler zu tun.
Vermutlich hat Stadler das Stück bei
Mozart in Auftrag gegeben, wenn
es nicht gar ein Freundschaftsdienst seines Logen- und
Kegelbruders war. Lukrativ
war das Werk für Mozart
jedenfalls nicht; vielmehr
scheint ihm durch Stadler
sogar finanzieller Schaden
entstanden zu sein: Zur
Prager Uraufführung am
16. Oktober 1791 fuhr
der Solist mit von
Mozart geliehenem
Reisegeld (er stand bei
ihm ohnehin schon
hoch in der Kreide),
um anschließend
mit dem Konzert
auf eine mehrjährige
Bassettklarinette in A
von Rudolf Tutz,
versuchte Rekonstruktion von
Stadlers Instrument
8
Europatournee zu verschwinden. Mozarts Frau
Constanze, anderthalb Monate später bereits
Witwe, hat weder Geld noch Autograph jemals
wiedergesehen; letzteres hat der Virtuose vermutlich unterwegs verpfänden müssen.
Andererseits hätte es ohne Anton Stadler dieses
Konzert überhaupt nicht gegeben (ebenso wie
die zahlreichen anderen Werke und Partien für
Klarinette oder Bassetthorn aus Mozarts Wiener
Zeit). Mozarts Solokompositionen waren stets
von der Vorstellung konkreter Interpreten und
ihrer Instrumente inspiriert, ja geradezu auf
diese zugeschnitten «wie ein gutgemachts kleid».
Und Stadlers Klarinette war ein sehr spezielles
Modell: Unten verfügte es über ein zusätzliches,
nach vorne abgewinkeltes Rohrstück, wodurch
sich der Tonumfang in der Tiefe um eine Terz
erweitern ließ. Dieses Zwischending von Klarinette und Bassetthorn – heute «Bassettklarinette» genannt – erwies sich allerdings bald als
Sackgasse in der rasanten Entwicklung dieser
Instrumentenfamilie. Bereits in den frühesten
Drucken des Mozart-Konzerts (ca. 1801) ist die
Solostimme stets für normale A-Klarinette
umgearbeitet; wie sie im Original ausgesehen
hat, kann man zwar an einigen Stellen erschließen, oft aber nur vermuten – Gewissheit wird es
erst geben, wenn das Autograph wieder auftaucht.
Um noch ausgiebiger mit dem Wechsel zwischen
den so unterschiedlichen Klangfarben der
Klarinette spielen zu können, machte Mozart
natürlich von den zusätzlichen tiefen Tönen des
sogenannten Chalumeau-Registers Gebrauch;
die schrille oberste Oktave des Clarin-Registers
(«Clarinette» = «kleine, hohe Trompete») hat er
dagegen weitgehend vermieden. So manche
Sprünge müssen wegen der fehlenden Töne auf
der A-Klarinette eine Oktave kleiner ausfallen,
ganze Phrasen mitunter eine Oktave höher
gespielt werden. Nahezu unverändert erhalten
bleibt hingegen der intime, warme Charakter vor
allem der mittleren Lage. Dem Musikschriftsteller
und Mozart-Zeitgenossen C. F. D. Schubart
erschien ihr süßer Klang als Ausdruck «in Liebe
zerflossenen Gefühls – so ganz der Ton des
empfindsamen Herzens». Vor allem der kantable
Mittelsatz des Klarinettenkonzerts ist ganz
von diesem speziellen Timbre geprägt. (Und
zielsicher verwässert heute die Werbeindustrie
seine emotionale Tiefe – u. a. für Bierreklame.)
der in Trugschlüssen und Pausen ausläuft,
bevor im Schlussakkord die Klarinette alleine
übrigbleibt.
Kompositorische Zurücknahme, charakterliche
Einheitlichkeit und die auch in einen sehr
fröhlichen Ländler eingestreuten Moll-Episoden
werden gern mit dem einerseits abgeklärten,
andererseits wehmütigen Stil eines «Spätwerks»
identifiziert, zumal es sich ja tatsächlich um
eines der letzten Werke Mozarts handelt.
Dabei geht es Mozart im Klarinettenkonzert um
nichts anders als die optimale Präsentationsform
für das gewählte Instrument (denn darum ging
es ihm im Konzert letztlich immer). An seine
Frau schreibt er, das Schlussrondo habe er bei
«schwarzem koffé» und «einer herrlichen Pfeiffe
toback» instrumentiert; für den gerade 35-Jährigen dürfte wohl nichts ferner gelegen haben als
die Vermutung, er werde ein paar Wochen später
einem «hitzigen Frieselfieber» erliegen.
Auch sonst setzt Mozart immer wieder auf
kammermusikalische Intimität, und durchweg
verlangt er eine eher verhaltene Virtuosität,
keine Tour de force. Eine ausgedehnte Solokadenz ist nicht vorgesehen, trotz zahlreicher
Fermaten in allen Sätzen – sie bilden immer
wieder Punkte der Ruhe, manchmal auch der
Ratlosigkeit und Wehmut. Exemplarisch hierfür
kann wiederum der langsame Satz gelten,
9
Zwei Seiten (August 1788) aus Mozarts
«Verzeichnüß aller meiner Werke»
10
Wie schon der Beiname «Jupiter» nahelegt, ist
auch die mythenumwittert, und in der Tat gibt
Mozarts letzte Sinfonie einige Rätsel auf. Zusammen mit zwei Schwesterwerken (Es-Dur KV 543
und g-Moll KV 550) wurde sie im Sommer 1788
komponiert, die ganze Trias innerhalb von nur
acht Wochen – angesichts der Komplexität jeder
einzelnen Sinfonie eine unglaubliche Leistung.
Um so merkwürdiger, dass weder ein äußerer
Entstehungsanlass erkennbar noch eine Aufführung zu Mozarts Lebzeiten nachzuweisen ist.
Wurden diese Werke als persönlicher Abschluss
mit der Gattung und unüberbietbarer Gipfelpunkt konzipiert, als Kompositionen
für eine reifere Nachwelt? Dieser romantischen
Legende vom verkannten Genie steht eine viel
erforschte und doch nur ansatzweise rekonstruierte Wirklichkeit gegenüber.
1788 war Mozart aus dem Wiener Zentrum in die
Vorstadt umgezogen – um in Ruhe arbeiten zu
können, aber auch aus Geldnot. Unter diesen
Umständen wird er kaum gleich drei groß angelegte Werke ohne jede Aussicht auf Ertrag komponiert haben. In der g-Moll-Sinfonie hat Mozart
nachträglich Klarinettenstimmen ergänzt;
so etwas tut man nicht für die Schublade, wohl
aber für ein bevorstehendes Konzert, bei dem
befreundete Klarinettisten mitwirken. Vieles
spricht zudem dafür, dass Mozart auf eine Drucklegung seiner Sinfonien beim Verleger Artaria
spekulierte. Dort waren ein halbes Jahr zuvor
Joseph Haydns «Pariser Sinfonien» in zwei Dreiergruppen erschienen, die ersten drei ebenfalls in
den Tonarten C-Dur, g-Moll und Es-Dur. Wollte
Mozart den Werken seines hochgeschätzten
Freundes eine kreative Antwort entgegensetzen,
so wie er schon 1785 mit seinen «Haydn-Quartetten» dem Vorbild gehuldigt und es zugleich zu
überbieten versucht hatte? Das jedenfalls würde
den Kompendium-Charakter der drei Sinfonien
erklären: Umgeben von einem Rahmen aus der
langsamen Einleitung der Es-Dur-Sinfonie und
der Coda der Jupiter-Sinfonie mit der berühmten
Schlussfuge, entfaltet sich ein prächtiges Kaleidoskop von Charakteren und kompositorischen
Möglichkeiten – die Trias als Mozarts musikalische Visitenkarte.
Die Ideenfülle allein der C-Dur-Sinfonie scheint
unermesslich. Auch für subtile Scherze ist Mozart
hier zu haben: In den ersten Satz etwa integriert
er als überzähliges Thema eine kurz zuvor komponierte Arienmelodie für eine Opera buffa (Text:
«Ihr seid ein bisschen einfältig, mein lieber Pompeo») – und bestreitet mit ihr gleich die halbe
Durchführung.
Melodie aus Mozarts Bass-Arietta
«Un bacio di mano» KV 541
11
Jupiter-Sinfonie, Beginn des Hauptthemas (T. 1ff., Vl. I)
Jupiter-Sinfonie, Fortführung des Hauptsatzes (T. 20ff., tutti)
Jupiter-Sinfonie, Überleitung zum Seitensatz (T. 56ff., Vl. I)
Jupiter-Sinfonie, Seitensatz mit Gegenstimme
(T. 74ff., Vl. I, Ob., Fg.)
Jupiter-Sinfonie, Ausschnitt aus der Coda (T. 388ff., Streicher)
12
Im dritten Satz lässt er die Bläser mit ihrem Soloauftritt zu früh, nämlich schon im Menuettteil
einsetzen; das eigentlich dafür vorgesehene Trio
wirkt daraufhin eher wie ein Echo, nimmt aber
seinerseits wiederum im zweiten Teil das Hauptmotiv des Schlusssatzes vorweg.
Mit diesen vier Anfangstönen des Finales zitiert
Mozart nun nicht etwa seine erste Sinfonie; dass
sie auch dort (und beileibe nicht nur dort) vorkommen, ist nur ein Zufall – wenn auch ein schöner. Stattdessen greift Mozart mit ihnen einen
Cantus firmus aus dem «Gradus ad Parnassum»
von Johann Joseph Fux auf, einer berühmten
Kontrapunktlehre, mit der er auch seine Wiener
Schüler unterrichtete. Folgerichtig präsentiert
das Finale einen ganzen Katalog kontrapunktischer Techniken. Konzipiert ist es vom Ende her:
Fünf Themen werden hier übereinander
geschichtet und frei zwischen Ober- und Unterstimmen verschoben, ohne dass dabei Quintparallelen oder andere satztechnische Fehler passieren – ein Fugato im fünffachen Kontrapunkt.
Eine Seite aus der Sinfonie C-Dur KV 551 (Finale)
13
Aus diesem Material gewinnt Mozart dann auch
die vorangehenden Teile eines regulären Sonatensatzes, in dem es mitunter ebenso kontrapunktisch zugeht. Nie aber wirkt diese kleine «Kunst
der Fuge» angestrengt, alles geht wie von selbst
in einer Sphäre majestätischen Glanzes auf;
insofern erscheint der später in London aufgekommene Beiname «Jupiter» glücklich gewählt.
In der Rückschau sieht dies wie der krönende
Abschluss eines sinfonischen Œuvres, wie ein
unüberbietbarer kompositorischer Endpunkt aus
– kaum auszudenken, wie Mozart danach noch
weitere Sinfonien hätte schreiben können.
Doch sicherlich wäre es bei nächster Gelegenheit
dazu gekommen, zumal sich die Gattung gerade
vom Stigma der Unterhaltungsmusik zu emanzipieren begann. Und Mozart hätte die Erwartungen wohl wieder übertroffen.
Christian Schaper
Mozart. Silberstiftzeichung
von Johanna Dorothea Stock (1789)
14
Trevor Pinnock erhielt seinen ersten Musikunterricht als Chorknabe an der Kathedrale von
Canterbury. Von 1964-67 studierte er am Royal
Collage of Music in London Orgel und Cembalo.
Gemeinsam mit dem von ihm 1973 gegründeten
und 30 Jahre lang von ihm geleiteten Ensemble
The English Concert setzte er vor allem im
Barock- und Klassikrepertoire neue Maßstäbe.
Trevor Pinnock ist weltweit als führende Persönlichkeit auf dem Gebiet der historischen Aufführungspraxis bekannt. Darüber hinaus leitete
er als Gastdirigent Orchester in der ganzen Welt,
u. a. mehrfach die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und das Freiburger Barockorchester
sowie das Gewandhaus Orchester Leipzig und
die Wiener Philharmoniker. 1990 dirigierte er die
New Yorker Classical Band und leitet seit 1991
das National Arts Centre Orchestra Ottawa.
Neben den Werken der Alten Musik spielte er
u. a. auch Musik von Manuel de Falla, Roberto
Gerhard und Frank Martin ein. Die Times nannte
Pinnock «the complete musician».
15
Der junge schwedische Klarinettist Martin Fröst
hat im Sturm die internationale Musikszene
erobert. Seit er 1997 den Nippon Music Award
gewann, ist er als Solist mit bedeutenden Orchestern (u. a. Philharmonia Orchestra, BBC Symphony
Orchestra, Chamber Orchestra of Europe) und auf
den renommiertesten Bühnen aufgetreten. Als
Kammermusikpartner arbeitete er u. a. mit Barbara Hendricks, Leif Ove Andsnes, Lars Anders
Tomter sowie Christian Tetzlaff zusammen. Beim
Feldkirch Festival begeisterte er 2002 gemeinsam
mit Tanja Tetzlaff in Messiaens Quatuor pour
la Fin du Temps sowie 2004 in Debussys Première
rapsodie. In vielen seiner Solokonzerte kombiniert
er das klassische Repertoire mit zeitgenössischen
Werken sowie choreographischen und mimischen Elementen. Frösts Vielseitigkeit inspirierte
bereits mehrere zeitgenössische Komponisten,
u. a. Karin Rehnqvistin und Krzysztof Penderecki,
dessen neues Konzert für fünf Klarinetten er zur
Uraufführung brachte. Für seine Leistung in der
Oper Der Rattenfänger an der Hildesheimer Oper
kürte die Zeitschrift «Opernwelt» Martin Fröst
zum Interpreten des Jahres; 2003 wurde er
zudem mit dem ersten Borletti-Buitoni Trust
Award ausgezeichnet. Zwei seiner CD-Aufnahmen wurden für den Grammy nominiert.
Begeisterte Aufnahme fanden seine jüngsten
Einspielungen mit Werken von Schumann sowie
Mozarts Klarinettenkonzert und -quintett.
16
Das Feldkirch-Festival-Orchester
Die jeweils an ihrem Instrument Besten zusammenzuführen, herausragende Nachwuchskünstler und Musiker, die eigene Konzerte beim
Feldkirch Festival gestalten, mit Spitzenmusikern
aus Vorarlberg und renommierten Solisten und
Musikern aus führenden Orchestern Europas
zum gemeinsamen Musizieren zu bringen:
Das war die Idee, die 2005 hinter der Gründung
des Feldkirch-Festival-Orchesters stand. Auf
Initiative von Thomas Hengelbrock bildete sich
so ein Klangkörper, der gleichzeitig zentrale
Anliegen des Feldkirch Festivals erfüllt: Dem
Festival ein eigenes Orchester zu geben, dem
Publikum dabei eine herausragende musikalische
Qualität zu garantieren und vor allem Nachwuchsförderung in ihrer schönsten Form – dem
aktiven Konzertieren – zu betreiben.
Die jungen Künstler konnten auch international
große Erfolge in Konzerten und Wettbewerben
erzielen, sei es solistisch oder in Ensembles.
Unter ihnen sind Studenten des Landeskonservatoriums für Vorarlberg, der Musikuniversität
Wien, des Wiener Jeunesse Orchesters, des
Attersee Institutes, der Orchesterakademie der
Münchner Philharmoniker und der Musikhochschule Freiburg. Im Feldkirch-Festival-Orchesters
treffen sie nun auf etablierte Profis, diese Jahr
vor allem aus Italien, Österreich und Deutschland.
Konzertmeister ist in diesem Jahr Gernot Süßmuth, ehemaliges Mitglied des Petersen-Quartetts und nunmehr Konzertmeister der Staatskapelle Weimar und Professor an der dortigen
Musikhochschule; als Solocellist konnte der langjährige Solocellist des SWR-Sinfonieorchesters
und jetzige Professor der Wiener Musikuniversität Reinhard Latzko gewonnen werden. Neben
den Dozenten des Landeskonservatoriums Feldkirch Francisco Obieta, Allen Smith und Wolfgang
Lindner als drei führenden Vertretern Vorarlbergs
spielen zudem mit: der Soloflötist der Wiener
Symphoniker, der Solooboist des Radio-Symphonieorchesters Wien, Musiker der Staatsoper
Berlin, des Symphonieorchesters des Bayerischen
Rundfunks, des Chamber Orchestra of Europe,
des Mahler Chamber Orchestra, der Bamberger
Symphoniker, des Balthasar-Neumann-Ensembles
und einiger führender Kammerorchester.
Der Kontinuität der Besetzung – ein Großteil der
Musiker war bereits im letzten Jahr dabei – steht
bewusst ein anregender Wechsel in der Leitung
gegenüber: Für das erste Konzert 2005 konnte
mit John Axelrod einer der führenden Vertreter
der Neuen Musik gewonnen werden; in diesem
Jahr werden Trevor Pinnock, einer der ganz
Großen der Alten Musik, und Thomas Hengelbrock, der künstlerische Leiter des Festivals,
am Pult stehen.
17
Feldkirch-Festival-Orchester 2005
18
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Nachtmusik: Recital
27.5.06
Festsaal Konservatorium
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Nachtmusik: Recital
27. Mai 2006 | 19.00 Uhr
Festsaal Konservatorium
Wolfgang Amadeus Mozart
(1756–1791)
Franz Schubert
(1797–1828)
Trio in B-Dur KV 502
Allegro
Larghetto
Allegretto
Klaviertrio in Es-Dur D 929 / op. 100
Allegro
Andante con moto
Scherzando – Allegro moderato
Allegro moderato
Thierry Escaich
(geb. 1964)
Trio Wanderer
Jean-Marc Phillips-Varjabedian Violine
Raphaël Pidoux Violoncello
Vincent Coq Klavier
Einführung
Anna Mika
Vortragssaal im Konservatorium
18.00 Uhr
Trio «Lettres mêlées»
Modéré
Modéré
Très vif
– Pause –
3
Früchte langer und mühsamer Arbeit
«Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zu Mute ist, wenn er immer so einen
Riesen hinter sich marschieren hört», klagte
Johannes Brahms (1833–97) Anfang der 1870er
Jahre dem Dirigenten Hermann Levi. Mit dem
Riesen war Ludwig van Beethoven gemeint.
Dessen symphonisches Schaffen wurde im
19. Jahrhundert als derart maßstabsetzend empfunden, dass sich von diesem Vorbild mancher
kompositorische Nachfolger entmutigen ließ.
So behauptete auch Brahms immer wieder, dass
er selbst nie eine Symphonie schreiben wolle.
Entgegen solcher Bekundungen aber beschäftigte
ihn tatsächlich schon seit Mitte der 1850er Jahre
die Idee eines eigenen großen symphonischen
Werkes. Doch es sollte bis 1877 dauern, bis nach
langem kompositorischem Ringen eine erste
Symphonie des nunmehr 44-Jährigen erschien.
Mit ihr gelang es Brahms, aus dem Schatten des
«Riesen» herauszutreten.
Ähnlich schwer wie Brahms tat sich Claude
Debussy (1862–1918) bei der Komposition seiner
Oper Pelléas und Mélisande. Immer wieder fürchtete er während des Entstehungsprozesses eine
zu große stilistische Nähe zu seinem großen Vorbild Richard Wagner, von dessen Tristan er tief
geprägt war. Acht Jahre sollte es dauern, bis
Debussys Oper nach unzähligen Umarbeitungen
endlich im Jahre 1902 zur Uraufführung kam.
Beispiele wie diese ließen sich viele finden. Sie
4
zeigen die Ambivalenz musikalischer Vorbilder
auf. Wecken diese einerseits den Drang zur
Schaffung eigener Werke, können sie sich andererseits aber auch, wird ihr Einfluss übergroß,
als hemmend erweisen. Vielfach reicht es dann
nur noch zu epigonalen musikalischen Schöpfungen. Nur wenigen Komponisten gelingt es, aus
einer solchen Schaffenskrise gestärkt hervorzugehen und durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Vorbild zu einer eigenen
stilistischen Position zu gelangen. Die Werke
des heutigen Abends sind jeweils Ergebnisse
eines solchen künstlerischen Reifungsprozesses,
der jedoch bei jedem der Komponisten unterschiedlich verlief.
Für das kammermusikalische Schaffen von
Wolfgang Amadeus Mozart und damit auch das
Trio in B-Dur (KV 502) ist der Einfluss Joseph
Haydns (1732–1809) von kaum zu unterschätzender Bedeutung. Haydn hatte mit seinen Aufsehen
erregenden Streichquartetten op. 20 (1772) und
op. 33 (1782) der Gattung wesentliche neue
Impulse verliehen. Neu und unerhört war,
dass der Komponist an die Stelle einer bisher
weitgehend homophonen Satztechnik eine
musikalische Textur treten ließ, bei der die vier
Instrumente zu gleichberechtigten Trägern
musikalischer Gedanken wurden. Aus einer
rokokohaften musikalischen «conversation
galante et amusante» wurde so das Ideal
klassischer Kammermusik, das Goethe in seinem
berühmten Brief an Carl Friedrich Zelter anschaulich mit den Worten beschrieb, beim Streichquartett sei es, als höre man «vier vernünftige
Leute sich unter einander unterhalten». Zum
charakteristischen kompositorischen Mittel
wurden für Haydn dabei zum einen die Verwendung barocker Kontrapunktik, zum anderen
das Prinzip einer konsequenten thematischen
Verarbeitung musikalischen Materials im
Wechselspiel aller beteiligten Instrumente.
Wie viele seiner Zeitgenossen war Mozart von
Haydns neuer Satztechnik fasziniert. Wahrscheinlich schon 1781 hatten sich beide Komponisten auch persönlich in Wien kennen gelernt;
schließlich nahmen beide mehrfach musizierend
an Quartettabenden teil. Bei diesen Gelegenheiten mag sich auch die Möglichkeit des Meinungsaustausches über kompositionstechnische
Fragen ergeben haben, doch ist über die Intensität ihres Verhältnisses nichts genaues bekannt.
Auf jeden Fall aber fühlte sich Mozart herausgefordert, mit Haydns Streichquartetten zu wetteifern. So verfasste er in den Jahren 1782–85
selbst einen Zyklus von Quartetten, in denen er
sich die Haydnsche Satztechnik aneignete.
Al mio caro Amico – Titelblatt der Joseph Haydn gewidmeten Streichquartette Mozarts
5
Die Arbeit daran muss ihm außerordentlich
schwer gefallen sein. Mozart selbst bezeichnete
seine Quartette als «Früchte langer und mühsamer Arbeit», was die vielen Korrekturen in den
Autographen sowie die zahlreichen Entwürfe und
Fragmente jener Jahre bestätigen. Doch war sich
Mozart der Qualität seiner Werke bewusst, denn
er scheute sich nicht, diese seinem Vorbild Haydn
zu widmen. Haydn wiederum äußerte bei einem
der gemeinsamen Quartettabende im Jahre 1785
gegenüber Mozarts Vater: «ich sage ihnen vor
gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn ist der
größte Componist, den ich von Person und den
Nahmen nach kenne; er hat geschmack und über
das die größte Compositionswissenschaft.»
Die neu gewonnenen satztechnischen Möglichkeiten übertrug Mozart schließlich auf andere
kammermusikalische Gattungen, so auch auf
das 1785 komponierte Klaviertrio KV 502.
Wenngleich weniger kühn angewandt als in den
Streichquartetten, wird doch das stilistisch Neue
darin vor dem Hintergrund des frühen Mozartschen Divertimento à 3 (KV 254) ersichtlich:
In jenem hatte er die Rolle des Cellos noch im
Sinne barocker Generalbassmusik unterordnend
auf die Unterstützung des Klavierbasses
beschränkt. In KV 502 nun zeigt sich der Einfluss
Haydns gleich zu Beginn des ersten Satzes:
Ein kurzes Doppelschlag-Motiv, mit dem die
Violine bei ihrem ersten Einsatz dem Hauptthema des Klaviers antwortet, rückt bereits
nach wenigen Takten in den Mittelpunkt des
6
musikalischen Geschehens. Im Dialog mit dem
Klavier wird es durchgeführt und, aufgelöst in
Sechzehntelketten, weiterverarbeitet. Doch auch
die Cellostimme gewinnt im Laufe des Satzes an
Eigenständigkeit und Prägnanz, etwa wenn sie
im Wechselspiel mit der Violine das Hauptthema
des Satzes anstimmt. Dass Mozart auch in diesem Werk von seinem Vorbild Haydn profitierte,
bedeutet jedoch nicht, dass er etwa angefangen
hätte, in dessen Stil zu komponieren; vielmehr
machte er sich nur die strukturbildenden Prinzipien seines Kollegen zu Nutze. Fritz Hennenberg
hat in diesem Zusammenhang formuliert,
«der Blick auf den anderen» habe dabei geholfen,
«das Eigene zu entdecken». Als typisch Mozartisch
kann etwa das unvermittelte Eintreten eines
neuen Themas zu Beginn der Durchführung des
ersten Satzes gelten, ebenso die langen kantablen
Melodiebögen des zweiten Satzes. Im finalen
Allegretto dann findet wieder die Haydnsche
Satztechnik Anwendung, etwa wenn sich die
drei Instrumente das erfrischende Hauptthema
gegenseitig zuspielen.
Über den Anlass der Entstehung von Mozarts Trio
ist nichts konkretes bekannt. Allerdings gehört es
zu den wenigen Kompositionen des Salzburgers,
die überhaupt zu dessen Lebzeiten gedruckt wurden. Das Werk beeinflusste nun in umgekehrter
Richtung wiederum die späten Trio-Kompositionen Joseph Haydns. Die Kompositionen Haydns
und Mozarts hatten schließlich zur Folge, dass
Ausschnitt aus einem Brief Leopold Mozarts an seine Tochter vom 14. Februar 1785. Darin zitiert er die Aussage Haydns
über Mozart: «ich sage ihnen vor gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn ist der größte Componist, den ich von Person und
den Nahmen nach kenne; er hat geschmack und über das die größte Compositionswissenschaft.»
das Klaviertrio als kammermusikalische Gattung
der Klassik fest etabliert war. Für Ludwig van
Beethoven hatte diese Besetzung dann bereits
eine so grundlegende Bedeutung, dass er mit ihr
sein Opus 1 bestritt. Beethoven, der selbst eine
Reihe bedeutender Klaviertrios schrieb, wurde
schließlich für die nachfolgende Komponistengeneration nicht nur auf dem Feld der Symphonie
zum beispiellosen Vorbild, sondern auch in der
Kammermusik.
Unter diesem Vorbild litt besonders auch Franz
Schubert. Bekannt ist sein Ausspruch, er hoffe,
«heimlich im Stillen» noch etwas aus sich
machen zu können, «aber wer vermag nach Beethoven noch etwas zu machen?» Die Vielzahl von
Werkfragmenten zeugt von dessen lebenslanger
Unsicherheit, jenseits von seinem großen Vorbild
einen eigenen kompositorischen Stil zu entwickeln. So sind schon allein zwei seiner vier
Klaviertrios Fragmente geblieben. Zur zentralen
Herausforderung wurde dabei für Schubert,
die von Beethoven zur Vollendung gebrachte
formale Gestaltung des Sonatensatzes durch
einen neuartigen strukturellen Aufbau zu überwinden.
In seinem Klaviertrio Es-Dur (D 929 / op. 100) hat
der Komponist für dieses Problem eine Lösung
gefunden. Das Werk wurde, wie Arnold Feil formuliert hat, «das letzte Stück Wegs im Zeitalter
Beethovens, ein erstes daraus hinaus». Zwar
entspricht das Trio in seiner viersätzigen Anlage
grundsätzlich dem für Beethoven typischen
Aufbau. Dabei folgt auf einen Sonatensatz ein
langsamer, melodisch geprägter zweiter Satz,
dem sich ein tänzerisches Scherzo und ein
virtuoses rondoartiges Finale anschließt. Doch
wie Schubert die einzelnen Sätze konkret musikalisch gestaltet, ist neu. An Beethovenschen
Dimensionen gemessen erscheinen sie formal
stark ausgeweitet, sodass sie bisweilen den Charakter einer musikalischen Fantasie annehmen.
7
Um nun aber trotz der strukturellen wie zeitlichen Ausdehnung die innere Kontingenz des
Werkes nicht zu gefährden, verbindet Schubert
die einzelnen Sätze thematisch miteinander.
Am deutlichsten wird dies im Zusammenhang
mit dem trauermarschartigen Hauptthema des
langsamen Satzes. Dieses zitiert der Komponist
im Finalsatz zweimal im Cello, wobei er es vom
ursprünglichen ruhigen 2/4-Takt in einen
musikalisch flüssigeren 6/8-Verlauf integriert.
Bei dem Thema, das als Schlüssel zu einem
tieferen Verständnis des gesamten Werkes angesehen werden kann, handelt es sich um das
schwedische Volkslied «Se solen sjunker» («Sieh
die Sonne sinken»). Doch auch andere thematische Verbindungen gewährleisten den inneren
Zusammenhalt des umfangreichen Werkes.
So erklingt in allen vier Sätzen ein aus pochenden
Tonrepetitionen bestehendes musikalisches
Motiv, das sein erstes Auftreten als zweites
Thema des Eingangssatzes hat. Im Scherzo
erscheint es überdies sogar, durch die vorausgehende Zäsur einer Generalpause deutlich
hervorgehoben, im selben charakteristischen
Rhythmus wie im ersten Satz.
Mit dem Vorbild Beethoven sind schließlich auch
die Umstände der Uraufführung des Trios verbunden. Diese fand am 26. März 1828, auf den
Tag ein Jahr nach Beethovens Tod, als erstes und
einziges großes öffentliches Konzert des Komponisten mit ausschließlich eigenen Werken statt.
8
Karikatur «Die Feier von Schubert‘s 100. Geburtstag»
(Ausschnitt). Erst im Himmel wird Schubert die
erhoffte Anerkennung als Komponist zuteil
(v.l.n.r.: Haydn, Beethoven, Mozart, Schubert).
Doch wenn das Konzert auch beim Publikum zu
einem großen Erfolg wurde und Schubert daraufhin von der Leipziger Allgemeinen Musikalische
Zeitung in die Nähe Beethovens gerückt wurde,
hielt sich die mediale Aufmerksamkeit doch
letztlich in Grenzen. Diese war im Frühjahr 1828
durch die spektakulären Auftritte Niccolò Paganinis in Wien weitgehend absorbiert, sodass
Schubert auch dieses Werk letztlich nicht die –
lebenslang erhoffte – ganz große öffentliche
Anerkennung einbrachte. Immerhin aber bewirkte der Erfolg des Konzertes, dass das Trio als einziges von Schuberts Kammermusikwerken noch
zu Lebzeiten des Komponisten gedruckt wurde.
Einen anderen Weg der Auseinandersetzung mit
den musikalischen Vorbildern wählt der französische Komponist Thierry Escaich (geb. 1964) in
seinen «Lettres Mêlées» («Vermischten Briefe»)
aus dem Jahr 2003: In diesem Werk macht der
renommierte Organist und Professor für Komposition am Pariser Conservatoire National Supérieur de Musique seine künstlerischen Einflüsse
explizit zum Thema. Es handelt sich dabei um
eine musikalische Hommage an die Komponisten
Brahms, Bach und Bartok. Jedem dieser Vorbilder
ist einer der drei Sätze gewidmet. Entsprechend
der Vorstellung geschriebener Briefe wird das
melodische und harmonische Material jeweils
aus Anagrammen der Komponistennamen gebildet. Statt auf direkte musikalische Zitate der drei
verehrten Komponisten zurückzugreifen, arbeitet
Escaich mit für deren Stil jeweils typischen Strukturprinzipien.
Im ersten, Johannes Brahms gewidmeten Satz ist
dies das Schwanken zwischen binärem und ternärem Rhythmus, aus dem sich eine charakteristische Instabilität ergibt. Escaich selbst äußert
zu diesem Satz: «Es sind düsterlyrische Walzerfetzen, die sich gegen steifere und hartnäckigere
Elemente durchzusetzen versuchen»; ein Kontrast, aus dem sich der «Eindruck von sich überlagernden Tempi und manchmal sogar Musiken»
ergebe. Im zweiten Satz greift Escaich in Anlehnung an Johann Sebastian Bach auf die Tradition
des kanonischen Satzes zurück. Cantusartige
Figuren kehren dabei, entwickelt in verschiedenen sich überlagernden Geschwindigkeitsschichten, wieder. Der dritte Satz wiederum, eine Referenz an Béla Bartók, ist geprägt von prägnanten,
bisweilen jazzartigen Rhythmen. Am Schluss des
Werkes konfrontiert Escaich dann das harmonische, thematische und rhythmische Material aller
Sätze des Triptychons auf virtuose Weise miteinander. Lässt er eines seiner musikalischen
Vorbilder am Ende die Oberhand gewinnen?
Der Komponist selbst dazu: «Die Verflechtung
all dieser Elemente [...] reicht bis zum unaufhörlichen Gegeneinanderprallen der verschiedenen
Themen und sogar zu deren vollen Integration».
Das Werk ist dem Trio Wanderer gewidmet, von
dem es am 27. März 2003 in Paris uraufgeführt
wurde.
Fabian Bien
9
Die Mitglieder des Trio Wanderer haben sich diesen Namen nicht ohne Grund gewählt, sondern
zu Schuberts Ehren und aufgrund ihrer Geistesverwandtschaft mit der deutschen Romantik.
Das Thema des «umherziehenden Wanderers»
ist eines ihrer Leitmotive und als Anspielung auf
das Leben eines Musikers zu verstehen, voll von
«Reisen in sein Inneres» oder: im Rhythmus
unablässiger Tourneen. Die jungen französischen
Musiker treibt zudem ihr Forschergeist auf die
musikalische Reise durch die Jahrhunderte – von
Haydn bis Ravel und Copland.
Aber die Gemeinsamkeit mit dem zurückgezogen
lebenden Held der Romantik hört hier auf.
Zum einen treten die drei Musiker selten alleine
auf, denn ihre Freundschaft ist das A und O ihrer
Darbietung: Ein Spiel mit außergewöhnlicher
Sensibilität und fast telepatischer Harmonie.
Zum anderen haben die drei Wanderer nichts
vom Unglück des romantischen Helden geerbt:
Von der Kritik bereits bei ihren ersten Vorstellungen gekrönt, wurden sie seither pausenlos mit
Lobeshymnen überhäuft.
Nach Studien an der nationalen Musikhochschule
von Paris ergänzte das Trio seine Ausbildung bei
János Starker, György Sebök, Dorothy Delay und
Menahem Pressler, sowie bei den Mitgliedern des
Amadeus-Quartetts. Es gewann große internationale Wettbewerbe wie die Fischoff Chamber
Music Competition und den ARD-Wettbewerb
in München und begann seine internationale
Karriere mit der vollständigen Aufführung aller
10
Trios von Beethoven im Herkulessaal in München.
Das 1998 von der Zeitschrift The Strad als «Wandering Stars» ausgezeichnete Trio Wanderer tritt
seither auf den großen Podien der Welt auf:
Philharmonie Berlin, Théâtre des Champs Elysées
in Paris, Library of Congress in Washington, Scala
in Mailand, Wigmore Hall in London, Kioi Hall in
Tokyo sowie bei bedeutenden Festivals: Schleswig-Holstein, Rheingau, Roque d‘Anthéron,
Stresa, Osaka, Salzburg. Es spielte u. a. mit
Paul Meyer, Sir Yehudi Menuhin, Christopher
Hogwood, Charles Dutoit oder James Conlon, und
es wurde von berühmten Orchestern begleitet:
der Philharmonie von Radio France, dem RadioSinfonieorchester Berlin, der Sinfonia Varsovia
und dem Gürzenich-Orchester Köln.
Neben zahlreichen Rundfunk- und CD-Aufnahmen der Trios von Mendelssohn, Dvorák und
Smetana für Sony Classical hat das Trio Wanderer 1999 eine neue Zusammenarbeit mit Harmonia Mundi begonnen – mit den Trios von Chausson und Ravel, gefolgt von einer Aufzeichnung
sämtlicher Trios von Schubert, dem Tripelkonzert
von Beethoven, den letzten Trios von Hadyn, den
Quintetten von Schubert und Hummel, den Trios
von Schostakowitsch sowie den beiden Tripelkonzerte von Martinu. Das Trio Wanderer wurde
von der Unternehmensstiftung Accenture
als Patenkind gewählt und erhielt 2000 den
«Victoires de la Musique» als beste Kammermusikgruppe des Jahres.
Wir danken ...
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Schlossergasse 8, A-6800 Feldkirch
T +43 5522-82943, F +43 5522-83166
[email protected]
www.feldkirchfestival.at
Orchesterkonzert II
Requiem
28.5.06
Montforthaus
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Orchesterkonzert II: Requiem
28. Mai 2006 | 19.00 Uhr
Montforthaus
Dmitri Schostakowitsch
(1906–1975)
Kammersymphonie op. 110 a
(= Streichquartett Nr. 8 op. 110,
für Streichorchester bearbeitet
von Rudolf Barschai)
Largo
Allegro molto
Allegretto
Largo
Largo
– Pause –
Wolfgang Amadeus Mozart
(1756–1791)
Requiem d-Moll KV 626
Introitus:
Requiem
Kyrie
Sequenz:
Dies irae
Tuba mirum
Rex tremendae
Recordare
Confutatis
Lacrymosa
Offertorium: Domine Jesu
Hostias
Sanctus
Benedictus
Agnus Dei
Communio: Lux aeterna
Heike Heilmann Sopran
Truike van der Poel Mezzosopran
Hans Jörg Mammel Tenor
Marek Rzepka Bass
Balthasar-Neumann-Chor
Feldkirch-Festival-Orchester
Thomas Hengelbrock Leitung
Einführung
Thomas Seedorf
Montforthaus, Graf-Rudolf-Saal
18.00 Uhr
3
Balthasar-Neumann-Chor
Sopran
Tanya Aspelmeier
Anja Bittner
Heike Heilmann
Christine Oswald
Katia Plaschka
Sibylle Schaible
Mona Spägele
Johanna Spörk
Dorothee Wohlgemuth
Alt
Julie Comparini
Anne Desler
Angela Froemer
Dominika Hirschler
Susanne Jäckh
Susan Marquardt
Susanne Otto
Truike van der Poel
Tenor
Rolf Ehlers
Nils Giebelhausen
Tilman Kögel
Hans Jörg Mammel
Holger Nithack
Martin Post
Victor Schiering
4
Bass
Manfred Bittner
Ralf Ernst
Tobias Müller-Kopp
Michael Pannes
Marek Rzepka
Tobias Schlierf
Andreas Werner
Einstudierung
Detlef Bratschke
Feldkirch-Festival-Orchester
Violine 1
Gernot Süßmuth*
Gregor Dierck
Philip Goody
Elfa Rún Kristinsdottir
Anna Melkonian
Petra Schwieger
Lotta Suvanto
Monika Tarcsay
Violine 2
Monika Nußbächer*
Johannes Fleischmann
Christina Gallati
Katarina Giegling
Sarah Marie Immer
Christina Oberhuber
Veronika Spalt
Angelika Treml
Viola
Wolfgang Rings*
Peter Andritsch
Katharina Hage
Claudia Hofert
Sonja Schindele
Dorle Sommer
Violoncello
Reinhard Latzko*
Maria Grün
Davit Melkonian
David Pennetzdorfer
Michael Peternek
Orgel
Johannes Hämmerle
Kontrabass
Francisco Obieta*
Markus Ess
Stefan Preyer
Walter Singer
* Stimmführer
Pauke
Wolfgang Lindner
Bassetthorn
Otto Kronthaler
Sebastian Kürzel
Fagott
Veit Scholz
Maurizio Barigione
Trompete
Paolo Bacchin
Christian Gruber
Posaune
Matthias Sprinz
Henning Wiegräbe
Ralf Müller
5
Dieses Foto von Schostakowitsch
entstand vermutlich 1962 in der
Künstlergarderobe des Großen Saales
in Moskau am Tag der Uraufführung
seiner 13. Symphonie.
6
Musik des Gedenkens von Schostakowitsch
und Mozart
«Am Tage seines Todes ließ er sich die Partitur
an sein Bette bringen. ‚Hab ich es nicht vorhergesagt, daß ich dieß Requiem für mich schreibe?’
so sprach er, und sah noch einmal das Ganze mit
nassen Augen aufmerksam durch.»
(Franz Niemetschek: W. A. Mozarts Leben, 1808)
«Ich dachte darüber nach, daß, sollte ich irgendwann einmal sterben, kaum jemand ein Werk
schreiben wird, das meinem Andenken gewidmet
ist. Deshalb habe ich beschlossen, selbst etwas Derartiges zu schreiben. Man könnte auf seinen Einband auch schreiben: ‚Gewidmet dem Andenken
des Komponisten dieses Quartetts.’»
(Dmitri Schostakowitsch an Issak Glikman,
17.2.1969)
Es ist der Gedanke an den eigenen Tod, der zwei
so unterschiedliche Werke wie das Requiem
von Mozart und das Achte Streichquartett von
Schostakowitsch miteinander verbindet. Dabei
scheinen auf den ersten Blick Welten zwischen
ihnen zu liegen: Mozarts Totenmesse entstand
als Auftragswerk für einen anonymen Musikliebhaber, der sich später als Graf Franz WalseggStuppach erwies und gern Kompositionen anderer als die eigenen ausgab. Dass Mozart diesen
Auftrag überhaupt annahm, lässt sich mit der
chronischen Geldnot seiner letzten Lebensjahre kaum ausreichend erklären. Und dass die
Kirchenmusik «sein Lieblingsfach» gewesen sei,
wie Mozarts erster Biograph Niemetschek
behauptet, ist wohl eine postume Übertreibung
zu Verklärungszwecken. Allerdings hatte sich
Mozart gegen Ende seines Lebens wieder verstärkt der Sakralkunst zugewandt, seit Mai 1791
machte er sich sogar Hoffnungen auf die Domkapellmeisterstelle an St. Stephan. Messen und
andere kirchenmusikalische Werke hatte er
schon zuhauf komponiert, ein Requiem aber
noch nicht; und so ist sein gegenüber seiner
Frau Konstanze geäußertes «Verlangen sich in
dieser Gattung auch einmal zu versuchen»
auch als Hinweis darauf zu verstehen, dass er
seinen Fundus eigener geistlicher Werke um
ein wichtiges Stück zu ergänzen gedachte.
Im Gegensatz zu Mozart, dem gläubigen Christen, war Schostakowitsch überzeugter Atheist,
und ein katholisches Totenamt zu schreiben wäre
ihm nie in den Sinn gekommen. Er war davon
überzeugt, dass nicht die Seele des Künstlers,
sondern nur sein Werk weiterlebt. Als das Achte
Streichquartett im Sommer 1960 entstand,
befand sich Schostakowitsch in einem Zustand
zwischen Tod und Leben: Im November 1959 hatte man eine unheilbare Rückenmarkserkrankung
bei ihm festgestellt, von der er sich existenziell
zutiefst bedroht fühlte – 15 Jahre lang, bis zu seinem Tod im Jahr 1975, sollte sie ihn noch quälen.
7
Die Wirkung der erschütternden Diagnose wurde
durch den erzwungenen Eintritt in die KPdSU
im Frühjahr 1960 noch verstärkt; Schostakowitsch fühlte sich seelisch hingerichtet. Offiziell
ist das Achte Streichquartett, parteikonform,
«Dem Gedenken der Opfer von Faschismus und
Krieg» gewidmet, doch eigentlich ist es ein Werk,
das Schostakowitsch für und über sich selbst
geschrieben hat – womit er der gedruckten Widmung im übrigen durchaus nicht widerspricht,
war er selbst doch eines der prominentesten
Opfer des stalinistischen Totalitarismus.
Die erste Seite des Streichquartetts Nr. 8 op 110
von D. Schostakowitsch.
8
Schon mit den ersten Tönen schreibt sich
Schostakowitsch buchstäblich in sein Werk ein:
Die Tonfolge D-Es-C-H, die das Cello anstimmt,
ist ein musikalisches Monogramm für Dmitri
SCHostakowitsch. Dieses Motiv durchzieht das
ganze Werk und erlebt dabei mehrere Metamorphosen: Wie ein Bachsches Fugenthema erklingt
es in den langsamen Rahmensätzen des fünfteiligen Quartetts, wie ein dramatischer Appell
im heftigen zweiten Satz, im dritten wird es zum
grotesken Tanz verzerrt, nur in Andeutungen
erscheint es schließlich am Ende des vierten
Satzes. Doch nicht nur durch seinen in Musik verwandelten Namen ist Schostakowitsch als Person
in seinem Streichquartett präsent, sondern auch
durch Zitate aus eigenen Werken, die zentrale
Wendepunkte seines Lebens als Mensch und
Künstler markieren.
Mit der Ersten Symphonie, deren Eingangstakte
zu Beginn des ersten Quartettssatzes zitiert
werden, schloss Schostakowitsch sein Studium
am Leningrader Konservatorium ab und errang
zugleich seinen ersten großen Erfolg. Die Fünfte
Symphonie, die gleichfalls im ersten Satz anklingt, war Schostakowitschs Reaktion auf die
vernichtende und zeitweise sogar lebensbedrohende Kritik, die von höchster Stelle an seiner
Oper Lady Macbeth von Mzensk geübt worden
war. Die vermeintliche Unterordnung des Künstlers unter die Ideale des Sozialistischen Realismus, als die dieses Werk oft missverstanden
wurde, hat Schostakowitsch in vielen seiner
Werke konterkariert, so etwa im Zweiten Klaviertrio, das deutliche Anleihen bei jüdischer Musik
machte – in der Stalinära, in der Sympathie mit
den Juden kaum weniger lebensgefährlich war
als im Deutschen Reich, ein Akt des Widerstands,
den Schostakowitsch geheim halten musste.
Das Zitat aus dem Finale dieses Klaviertrios im
zweiten Satz des Quartetts ist der ekstatische
Höhepunkt des ganzen Werks.
Sowohl das DSCH-Motiv wie die Zitate treten
nicht als Fremdkörper hervor, sondern sind eingeschmolzen in die Musiksprache des Werks,
die von dem komplexen Mit- und Ineinander verschiedener Stilschichten geprägt ist. Der Beginn
evoziert Erinnerungen an Bachs Fugen im alten
Stil, die Schostakowitsch seiner Tonsprache
anverwandelt. Der zweite Satz steht für eine
andere Seite von Schostakowitschs Musik,
jene gesteigerte Expressivität, die aus geradezu
aggressiver Motorik erwächst. Schostakowitschs
Neigung zum Grotesken entspringt der dritte
Satz, während der vierte Satz, dem ein russisches
Revolutionslied zugrunde liegt, zum letzten Satz
überleitet. Dass Schostakowitsch am Ende auf
den Anfang des Werks zurückgreift, ist ein auch
äußerlich leicht wahrnehmbarer Hinweis auf die
wunderbare Geschlossenheit des Quartetts.
Nicht nur in ihr manifestiert sich jene kompositorische Meisterschaft, die Schostakowitsch als
sein wichtigstes Vermächtnis verstand.
Der Dirigent und Bratschist Rudolf Barschai (geboren 1924)
war ein langjähriger Freund von Schostakowitsch.
Seine Bearbeitung des Achten Streichquartetts ist von
diesem noch persönlich autorisiert worden.
Anders als Schostakowitsch, der das Streichquartett zu seinem eigenen Gedenken nicht nur
vollenden, sondern ihm noch sieben weitere
bedeutende Quartette folgen lassen konnte, war
es Mozart nicht vergönnt sein Requiem fertigzustellen. Als er in der Nacht zum 5. Dezember 1791
starb, lag nur der Eingangssatz fertig instrumentiert vor, von einigen anderen Sätzen waren
zumindest die Vokal- und einige Instrumentalstimmen notiert, doch sind Sanctus, Agnus Dei
und Communio unvertont geblieben. Da es sich
bei dem Requiem um eine einträgliche Auftragskomposition handelte, sorgte Mozarts Witwe
9
Die erste Seite von Mozarts Requiem-Handschrift.
10
dafür, dass das Werk vollendet wurde. Nachdem
Mozarts Schüler Franz Jacob Freystädtler und
Joseph Eybler ihre Ergänzungsversuche nach
kurzer Zeit abgebrochen hatten, übernahm mit
Franz Xaver Süßmayr ein weiterer Mozart-Schüler
diese heikle Aufgabe. In seiner Vervollständigung
wurde Mozarts Requiem berühmt und trotz
offenkundiger Mängel wie der bisweilen ungeschickten Instrumentation oder der seltsamen
Tonartendisposition der von ihm stammenden
Teile ist Süßmayrs Fassung Mozart näher als alle
späteren Komplettierungsversuche. Diese zeigen
zwar zum Teil größere Einsicht in Mozarts stilistische Besonderheiten, können sich aber – anders
als Süßmayr – nicht auf die persönliche Auseinandersetzung mit dem Komponisten über das
zu vollendende Werk (wie immer diese auch
ausgesehen haben mag) stützen.
Als Mozarts Requiem im Jahr 1800 bei Breitkopf
& Härtel im Erstdruck erschien, wusste fast niemand, dass die Totenmesse in der vorliegenden
Gestalt gar nicht von Mozart stammte. Erst einige Jahre später entbrannte ein heftiger Streit
über die Authentizität des Werks, dessen Siegeszug davon aber nicht aufzuhalten war. Das
«furchtbarerhabene Requiem» (Niemetschek)
wurde zum geradezu kultisch verehrten Vermächtnis des Komponisten. In seiner 1814
veröffentlichten Artikelserie über Alte und neue
Kirchenmusik pries E. T. A. Hoffmann «das tiefe,
überschwenglich herrliche ‚Requiem’ von
Mozart» sogar als Werk, «das den neuen Kirchenkomponisten als Muster gelten kann.»
Spätere Generationen sahen in Mozart vor allem
den Klassiker, Hoffmann hingegen galt er als
romantischer Komponist, in dessen Musik und
vor allem im Don Giovanni und im Requiem er
den Geist seiner Epoche wiedererkannte – und
das mit Recht, stellt Mozarts Opus ultimum doch
weniger den krönenden Abschluss der klassischen
Tradition als vielmehr einen nach vorn sich öffnenden stilistischen Neuanfang dar. In keinem
Takt seiner Totenmesse erinnert Mozart an den
Stil seiner frühen Messen, auch das Experimentieren mit Elementen barocker Sakralmusik,
das für die gleichfalls Fragment gebliebene große
c-Moll-Messe KV 427 so typisch ist, erscheint hier
verwoben in eine ganz individuelle Musiksprache,
die retrospektiv und neuartig zugleich ist.
Vieles verweist zurück auf die von Hoffmann und
vielen anderen Autoren immer wieder als besonders würdig charakterisierte Kirchenmusik älterer
Zeit, der Gebrauch des gregorianischen «Tonus
peregrinus» zu den Worten «Lux aeterna luceat
eis» im Introitus ebenso wie das erste Thema der
Kyrie-Fuge, mit dem Mozart einen u. a. über
Händel vermittelten Topos aufgriff. Das Neue
zeigt sich vor allem in drei Momenten: Mozart
bemüht sich – anders als in der von virtuosen
Solo- und Ensemblesätzen geprägten c-MollMesse – um einen genuinen Kirchenstil und
vermeidet jede Nähe zur Musiksprache der Oper.
11
Die vier Solisten stellen sich im Tuba mirum zwar
einzeln vor, vereinigen sich fortan aber fast ausnahmslos in dichten Ensemblesätzen. Das Vokale
dominiert, auch in den Chorsätzen, das Orchester
tritt begleitend in den Hintergrund – und erfüllt
dennoch eine wichtige Aufgabe: Die Instrumente
geben dem Gesang eine spezifische Färbung.
Es ist nicht zuletzt das dunkel-warme Timbre
der Bassetthörner und Posaunen, das Partien
wie dem einleitenden Requiem aeternam oder
dem Oro supplex-Abschnitt im Confutatis ihre
unerhörte Eindringlichkeit verleiht.
Erst seit einigen Jahren ist bekannt, dass Mozart
sein Requiem tatsächlich für sich selbst komponiert hat. Nach dem Bericht der in Wien handschriftlich verbreiteten Zeitung Der heimliche
Botschafter hatten Emanuel Schikaneder und
andere Freunde und Kollegen am 10. Dezember
1791 ein Seelenamt für Mozart abhalten lassen,
«wobey das Requiem, welches er in seiner letzten
Krankheit komponirt hatte, exequirt wurde.»
Mehr als der Introitus dürfte bei dieser Gelegenheit wohl nicht erklungen sein, doch dieser
enthielt die wohl wichtigste Botschaft an den
Verstorbenen: «Requiem aeternam dona eis
Domine».
Thomas Seedorf
12
Auch Fragment geblieben: Mozart am Cembalo.
Das Bild begann sein Schwager Joseph Lange ca. 1789.
Mozarts Frau berichtete später, von allen Porträts
sei dieses das authentischste.
Thomas Hengelbrock machte sich als Entdecker
in Vergessenheit geratener Werke und mit Neuinterpretationen bekannten Repertoires einen
Namen. Im Zentrum seiner Arbeit steht die intensive Auseinandersetzung mit einem Werk in seinem historischen Zusammenhang. Thomas Hengelbrock strebt – wie Balthasar Neumann mit der
architektonischen Engführung von Bau, Malerei,
Skulptur und Garten – eine Integration von Musik
und anderen Künsten an. Er widmet sich nicht
nur intensiv der Oper, sondern der Kombination
unerwarteter und neuartiger Konzertprogramme
sowie halbszenischer Projekte. Sein Repertoire
umfasst das 16.–20. Jahrhundert, darüber hinaus
bringt er zeitgenössische Werke zur Aufführung
und Auftragskompositionen zur Uraufführung.
Thomas Hengelbrock begann seine Karriere als
Geiger. Wichtige künstlerische Impulse erhielt er
\
von Witold Lutoslawski,
Maurizio Kagel und
Antal Dorati sowie durch seine Mitwirkung in
Nikolaus Harnoncourts Concentus musicus. Das
Freiburger Barockorchester, das er mitbegründete, spielte bis 1997 unter seiner Leitung; mit den
Amsterdamer Bachsolisten arbeitete er von 1988
bis 1991, und die Deutsche Kammerphilharmonie
Bremen wählte mit ihm 1995 erstmals einen
festen künstlerischen Leiter. Als Dirigent folgt
Thomas Hengelbrock den Einladungen zahlreicher renommierter Orchester und Opernhäuser.
Von 2000 bis 2003 war er Musikdirektor der
Volksoper Wien. Neben der musikalischen
Leitung übernimmt er oftmals die szenische
Umsetzung seiner Projekte. Seit 2001 ist er
Künstlerischer Leiter des Feldkirch Festivals.
Thomas Hengelbrock gründete mit dem
Balthasar-Neumann-Chor 1991 eine professionelle Formation aus jungen Solisten. Im Mittelpunkt steht die Musik des 16.–18. Jahrhunderts,
doch führt die musikalische Arbeit auch zur
Auseinandersetzung mit zeitgenössischen
Werken, z. B. auf der musikalischen Zeitreise
Vermächtnisse, bei der Werke von Perotin
bis zu György Ligeti zu Gehör kommen. Unbekannte Kirchenmusik und die italienische Chormusik sind dem Chor ein besonderes Anliegen.
In Musiktheaterproduktionen und szenischen
Projekten mit dem Balthasar-NeumannEnsemble zeigt sich das außergewöhnliche
schauspielerische Talent der einzelnen Chormitglieder. Höhepunkte waren die szenischen Aufführungen Italienische Karnevalsmusiken in Masken und Kostümen sowie Metamorphosen der
Melancholie, eine Hommage an englische Künstler des 17. Jahrhunderts, und King Arthur (Henry
Prucell und John Dryden). 1992 feierte der Chor
seinen ersten internationalen Erfolg in Utrecht
mit Purcells Dido and Aeneas mit dem Freiburger
Barockorchester. Auf die Konzerte beim Resonanzen-Festival in Wien 1993 folgten bald Einladungen zu bedeutenden Festspielen, u. a. nach Paris,
\
Prag, Jerusalem, Wroclaw
und zum SchleswigHolstein-Musik-Festival.
13
In Zusammenarbeit mit dem Regisseur Achim
Freyer entstand 1996 für die Schwetzinger Festspiele und die Oper Bonn eine szenische Aufführung von Bachs h-Moll-Messe, die 2002 eine konzertante Wiederaufnahme fand. Die Solopartien
wurden hierbei aus dem Chor besetzt, der das
Werk auswendig sang. Die Presse lobte das
stimmliche Potential des Chores und seine
»Transparenz, Klarheit und leuchtende Spiritualität, die kaum zu überbieten sein dürfte“ (Mannheimer Morgen).
Großen Anklang fanden die beiden Freyer-Inszenierungen: Claudio Monteverdis L’ Orfeo bei den
Wiener Festwochen sowie den Münchner Opernfestspielen und Joseph Haydns L’ Anima del Filosofo bei den Schwetzinger Festspielen. Seit 1998
führt der Südwestrundfunk mit Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble eine eigene Konzertreihe unter dem Motto «Abenteuer Musik»
durch. Unbekanntere Werke wie z. B. die Missa
superba von Johann Kaspar Kerll oder die Missa
sapientiae von Antonio Lotti wurden hier dem
Publikum vorgestellt. In dieser Reihe wurde auch
Antonio Lottis Requiem in F-Dur erstmals wieder
aufgeführt, das inzwischen als preisgekrönte CD
vorliegt.
Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble gastierten 2001 mit Haydns Schöpfung auf den bekannten Festivals und spielten das Werk auf CD (bmg)
ein. Mit Monteverdis Marienvesper wurde der
Chor als ein Ensemble virtuoser Gesangsolisten
auf mehreren Europatournee gefeiert. Seit 2001
14
sind Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble
«ensembles in residence» beim Feldkirch Festival,
wo sie 2002 Monteverdis L’Orfeo und Schumanns Manfred unter der Leitung von Thomas
Hengelbrock, 2003 Beethovens Missa solemnis
und Händels Messias aufführten. Im Festspielhaus Baden-Baden waren sie mit Purcells Dido
and Aeneas in der Regie von Tatjana Gürbaca und
unter der Leitung von Thomas Hengelbrock zu
hören und zu sehen. Mit Klaus Maria Brandauer
und Thomas Hengelbrock waren sie mit einem
besonderen Weihnachtsprogramm zu hören.
2004 gingen sie u. a. mit romantischer Chormusik
auf Europatournee. Im April 2006 gestalteten sie
das Benefizkonzert des Bundespräsidenten mit
Bachs h-Moll-Messe.
Namenspatron des Ensembles ist Balthasar Neumann (1687–1753), der bedeutendste deutsche
Architekt des Barock und u. a. Baumeister der
Residenzen von Würzburg und Schönbornslust
sowie der Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen.
Das Feldkirch-Festival-Orchester
Die jeweils an ihrem Instrument Besten zusammenzuführen, herausragende Nachwuchskünstler und Musiker, die eigene Konzerte beim
Feldkirch Festival gestalten, mit Spitzenmusikern
aus Vorarlberg und renommierten Solisten und
Musikern aus führenden Orchestern Europas
zum gemeinsamen Musizieren zu bringen:
Das war die Idee, die 2005 hinter der Gründung
des Feldkirch-Festival-Orchesters stand. Auf
Initiative von Thomas Hengelbrock bildete sich
so ein Klangkörper, der gleichzeitig zentrale
Anliegen des Feldkirch Festivals erfüllt: Dem
Festival ein eigenes Orchester zu geben, dem
Publikum dabei eine herausragende musikalische
Qualität zu garantieren und vor allem Nachwuchsförderung in ihrer schönsten Form – dem
aktiven Konzertieren – zu betreiben.
Die jungen Künstler konnten auch international
große Erfolge in Konzerten und Wettbewerben
erzielen, sei es solistisch oder in Ensembles.
Unter ihnen sind Studenten des Landeskonservatoriums für Vorarlberg, der Musikuniversität
Wien, des Wiener Jeunesse Orchesters, des
Attersee Institutes, der Orchesterakademie der
Münchner Philharmoniker und der Musikhochschule Freiburg. Im Feldkirch-Festival-Orchesters
treffen sie nun auf etablierte Profis, vor allem
aus Italien, Österreich und Deutschland.
Konzertmeister ist in diesem Jahr Gernot Süßmuth, ehemaliges Mitglied des Petersen-Quartetts und nunmehr Konzertmeister der Staatskapelle Weimar und Professor an der dortigen
Musikhochschule; als Solocellist konnte der langjährige Solocellist des SWR-Sinfonieorchesters
und jetzige Professor der Wiener Musikuniversität Reinhard Latzko gewonnen werden. Neben
den Dozenten des Landeskonservatoriums Feldkirch Francisco Obieta, Allen Smith und Wolfgang
Lindner als drei führenden Vertretern Vorarlbergs
spielen zudem mit: der Soloflötist der Wiener
Symphoniker, der Solooboist des Radio-Symphonieorchesters Wien, Musiker der Staatsoper
Berlin, des Symphonieorchesters des Bayerischen
Rundfunks, des Chamber Orchestra of Europe,
des Mahler Chamber Orchestra, der Bamberger
Symphoniker, des Balthasar-Neumann-Ensembles
und einiger führender Kammerorchester.
Der Kontinuität der Besetzung – ein Großteil der
Musiker war bereits im letzten Jahr dabei – steht
bewusst ein anregender Wechsel in der Leitung
gegenüber: Für das erste Konzert 2005 konnte
mit John Axelrod einer der führenden Vertreter
der Neuen Musik gewonnen werden; in diesem
Jahr werden Trevor Pinnock, einer der ganz
Großen der Alten Musik, und Thomas Hengelbrock, der künstlerische Leiter des Festivals,
am Pult stehen.
15
Heike Heilmann stammt aus Wangen im Allgäu
und erhielt an der JMS Württembergisches
Allgäu und der Musikschule Ravensburg ihre
erste musikalische Ausbildung bei Elisabeth
Daiker. Sie gewann mehrfach den Ersten und
Zweiten Bundespreis beim Wettbewerb Jugend
musiziert. Nach dem Abitur studierte sie Gesang
an der Staatlichen Hochschule für Musik Freiburg
im Breisgau, unter anderem bei Prof. Markus
Goritzki. Im Oktober 2002 begann sie ein Aufbaustudium mit Schwerpunkt Lied/Oratorium
bei Prof. Heidrun Kordes an der Hochschule für
Darstellende Kunst und Musik in Frankfurt am
Main. Seit Oktober 2003 ist sie dort auch Mitglied der Opernklasse und wirkte unter anderem
als Blondchen in Mozarts Entführung aus dem
Serail und als Sophie Scholl in Die Weiße Rose von
Udo Zimmermann mit. Neben ihrer regen solistischen Tätigkeit ist Heike Heilmann auch Mitglied
in professionellen Ensembles, wie dem BalthasarNeumann-Chor unter der Leitung von Thomas
Hengelbrock. In der Spielzeit 2004/05 war Heike
Heilmann als Gast in mehreren Produktionen an
der Oper Frankfurt engagiert.
16
Truike van der Poel studierte zunächst Altphilologie, später Gesang in Den Haag und Chorleitung
in Rotterdam. Bis 2001 war sie Lehrbeauftragte
für Chorleitung an der Musikhochschule Hannover.
Seit 1999 ist sie Schülerin von Michaela Krämer.
Ihr solistisches Repertoire reicht vom frühen
Barock über klassische Liederabende, Berlioz,
Mahler, Schönberg, Bartók und Wolpe bis zu Kammermusik von Ustwolskaja, Ligeti, Spahlinger und
Lachenmann. Neben dem barocken und klassischen Oratorienfach profilierte sie sich in der zeitgenössischen Musik – etwa mit einer Hauptrolle
in Carola Bauckholts Kammeroper Stachel der
Empfindlichkeit oder in C. J. Walters Angst und
Ahnung. Auch Werke von Steffen Schleiermacher,
Salvatore Sciarrino und Erik Oña brachte sie zur
Uraufführung. Sie trat als Solistin auf in Nonos Il
Canto Sospeso, mit dem Thürmchen Ensemble beim
Warschauer Herbst 2005 und mit dem Deutschen
Kammerchor in Heinz Holligers Dunkle Spiegel.
Mit der Schola Heidelberg sang sie in zahlreichen
Uraufführungen, Rundfunk- und CD-Aufnahmen,
mit dem Balthasar-Neumann-Chor u. a. beim
Bologna Festival, beim Bremer Musikfest und in
der Kölner Philharmonie. Sie arbeitete mit dem
Ensemble TrioLog, mit dem Kölner Violenconsort,
dem Ensemble Resonanz, dem Schlagquartett
Köln, dem Ensemble Avantgarde (Leipzig) und
dem Ensemble L’ Itinéraire (Paris) zusammen.
Neue CDs von ihr enthalten Werke von Erik Oña,
Thomas Stiegler sowie eine Ersteinspielung dreier
Lieder von René Leibowitz mit dem ensemble aisthesis.
Hans Jörg Mammel erhielt ersten Gesangsunterricht in seiner Geburtsstadt Stuttgart bei den
Hymnus-Chorknaben. Er studierte Rechtswissenschaften in Freiburg und anschließend Gesang
bei Werner Hollweg und Ingeborg Most. Er absolvierte Meisterkurse bei Barbara Schlick, Elisabeth
Schwarzkopf und James Wagner sowie bei Reinhard Goebel für historische Aufführungspraxis
und sang bei bedeutenden Festivals in Utrecht,
Schwetzingen, Schleswig-Holstein, Jerusalem,
Breslau, Brügge und Wien. Mit Thomas Hengelbrock, Sigiswald Kuijken, Ivan Fischer, Hans Zender, Philippe Herreweghe und Ivor Bolton wuchs
eine wegweisende Zusammenarbeit. Er sang mit
großem Erfolg den Orfeo (Monteverdi) in Island.
Gastverträge führten ihn an die Städtischen Bühnen Freiburg und die Staatsoper «Unter den Linden» in Berlin. Er sang bei den Münchner Opernfestspielen und bei den Wiener Festwochen.
Außerdem gilt sein Interesse neben den großen
Liederzyklen der Romantik besonders den Komponisten der zweiten Berliner Liederschule.
In Liederabenden stellt er dem Publikum unbekannte Werke z. B. von Zelter, Reichardt, Johann
Abraham Peter Schulz oder Robert Franz vor.
Viele dieser Werke spielte er auch auf CD ein.
Große Aufmerksamkeit erregte er durch seine
Interpretation von Franz Schuberts schöner
Müllerin in der Fassung für Tenor und Gitarre,
die ebenfalls als CD vorliegt.
Marek Rzepka wurde in Mikolow (Polen) geboren.
Der gelernte Bergmann gewann 1989 beim
Kolobrzeg-Festival den ersten Preis und begann
darauf seine Gesangsausbildung in Krakau bei
Adam Szybowski. 1993 wechselte er an die Dresdner Musikhochschule und setzte sein Studium
bei Christian Elßner fort, das er 1998 mit Auszeichnung abschloss. Er setzte seine Studien bei
Hans-Joachim Beyer fort, besuchte Meisterkurse
bei Brigitte Fassbaender, Teresa Zylis-Gara, Peter
Schreier, Thomas Quasthoff und Charles Spencer
und arbeitet zur Zeit mit Rudolf Piernay. Sein
Repertoire reicht von historischen bis zu zeitgenössischen Kompositionen. So sang er Mozarts
Requiem in der Krakauer Philharmonie, die Matthäus-Passion von J. S. Bach mit dem Dresdner
Kreuzchor, Maurizo Kagels Oper Aus Deutschland,
konzertierte mit H. Rilling, A. Parrott, Steven Stubbs
und Eduardo López Banzo, sowie regelmäßig mit
dem Balthasar-Neumann-Ensemble unter T. Hengelbrock, u. a. als Rafael in der Schöpfung von
Haydn und als Caronte in Monteverdis Orfeo.
Er gastierte bei zahlreichen Festspielen (u. a. 2005
beim Boston Early Music Festival), gab Liederabende in Dresden, Freiburg, Hamburg, Krakau, Wien
und Leipzig und wirkte bei CD-Produktionen und
Rundfunkaufnahmen mit. 2001 erhielt er einen
Lehrauftrag für Gesang an der Leipziger Musikhochschule. 2004 debütierte er am Théâtre La
Monnaie in Brüssel in Monteverdis Il Ritorno
D’Ulisse in Patria mit anschließenden Aufführungen in Frankreich, Luxemburg, New York und
beim Melbourne Festival.
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Die letzte Seite von Mozarts Requiem-Handschrift. Auf der Weltausstellung in Brüssel 1958 riss ein Unbekannter
die rechte untere Ecke ab – mitsamt Mozarts vermeintlich letzten Worten: «Quam olim da capo».
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