Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I für Wirtschaftsjuristen Fallbesprechung IX Philipp Ziegler 16.12.2015 Fallbesprechung IX Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler Fall 1 Sachverhalt: Der Bäcker B ruft bei Müller M an und erklärt, er benötige am nächsten Tag 200 kg Weizenmehl zu dem von M inserierten Preis von 0,50 € pro Kilo. M versteht jedoch aus Unaufmerksamkeit 100 Kilo. Er erwidert, die Angelegenheit gehe in Ordnung. Als er am darauffolgenden Tag nur 100 Kilo Weizenmehl liefert, reklamiert B, es seien 100 Kilo zu wenig geliefert worden. Daraufhin entgegnet M, dass er weitere 100 Kilo nur zu einem Preis von 0,60 € je Kilogramm liefern werde. Bearbeitervermerk: Hat B einen Anspruch auf Lieferung von weiteren 100 Kilo zum ursprünglichen Preis von 0,50 € pro Kilo? 16.12.2015 Fallbesprechung IX Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler Obersatz: „B könnte gegen M einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung der weiteren 100kg Weizenmehl zu einem Preis von 50€ gem. § 433 I 1 BGB haben.“ I. Anspruch entstanden 1. Kaufvertrag? Rechtsgeschäft aus zwei übereinstimmenden Willenserklärungen, Angebot und Annahme a) Angebot des B, § 145 BGB? Empfangsbedürftige WE, an die der Antragende nach Zugang gebunden ist und die dem Partner den Vertragsgegenstand in der Form anbietet, dass es nur noch vom Einverständnis des anderen abhängt ob ein Vertrag zustande kommt aa) Willenserklärung? Auf Herbeiführung einer best. Rechtsfolge gerichtete priv. Willensäußerung 16.12.2015 Fallbesprechung IX Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler bb) Essentialia Negotii – 200kg, auch die ausstehenden 100kg somit umfasst cc) Abgabe, Zugang, § 130 I 1 BGB – Hier: Analoge Anwendung des § 147 I 2 BGB (da dieser nur Annahmefrist, nicht aber Zugang regelt) – M hat die Erklärung hinsichtlich der Menge falsch verstanden – Problem: Anforderungen hinsichtlich des Zugangs der WE » Zwei Theorien: Strenge/Abgeschwächte Vernehmungstheorie » Streitentscheidung zu Gunsten der abgeschwächten Vernehmungstheorie -> Somit wirksames Angebot b) Annahme des M, § 147 BGB – Problem: M dachte, er stimme dem Verkauf von nur 100kg Mehl zu – Auslegung gem. objektiver Empfängerhorizont, §§ 133, 157 BGB Zwischenergebnis: Vorauss. für wirksamen KV liegen vor 16.12.2015 Fallbesprechung IX Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler II. Anspruch erloschen Anfechtung, § 142 I BGB a) Anfechtungserklärung, § 143 I, II BGB 1. Problem: Wortlaut » M hat das Wort „Anfechtung“ nicht gebraucht » Aber: Forderung hiernach wäre lebensfremder Formalismus; M muss lediglich zum Ausdruck bringen, dass das RG nicht gelten soll » Hier: Auslegung der Erklärung des M, weitere 100kg nur zu einem Preis von 0,60€ zu liefern als Anfechtungserklärung (a.A. vertretbar) 2. Problem: Anfechtungsgrund nicht genannt b) Anfechtungsfrist, § 121 I 1 BGB 16.12.2015 Fallbesprechung IX Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler c) Anfechtungsgrund 1) Inhaltsirrtum, § 119 I Alt. 1 BGB – M: „Angelegenheit geht in Ordnung“ – Verpflichtung zur Lieferung von 200kg, nicht 100kg wie gedacht; M wusste was er sagte, aber nicht, was das Gesagte bedeutet 2) Kausalität – Irrtum müsste kausal gewesen sein; M hätte bei Kenntnis der wahren Sachlage und verständiger Würdigung des Falles den Vertrag nicht abgeschlossen, vgl. § 119 I, letzter Hs. – Hier: M will lediglich höheren Preis durchsetzen, Verstoß gegen Treu und Glauben, § 242 BGB; trotz Irrtums kein Anfechtungsgrund i.S.d. § 119 I BGB III. Anspruch durchsetzbar Ergebnis: B kann von M die Lieferung weiterer 100kg Mehl zum ursprünglich vereinbarten Preis gem. § 433 I 1 BGB verlangen. 16.12.2015 Fallbesprechung IX Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler Fall 2 Sachverhalt: Stefan (S) und Martha (M) suchen schon seit langem eine gemeinsame Wohnung. Am 4. September haben sie plötzlich zwei: Arbeitgeber Andreas (A) hat M vor die Alternative gestellt, im Mietshaus seiner Freundin Franziska (F) für fünf Jahre eine Wohnung zu beziehen oder ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Wegen der hohen Miete und dem schlechten Zustand der Räume ziehen F die Mieter immer nach spätestens sechs Monaten wieder aus. M hat aus Furcht vor Arbeitslosigkeit zum 1.12. einen entsprechenden Mietvertrag mit F unterzeichnet. Gleichzeitig hat S bei Kurt (K) ebenfalls ab 1.12. eine Wohnung angemietet, die M jedoch überhaupt nicht gefällt. Eigentlich wollen S und M aber in keine der Wohnungen einziehen. M erklärt daraufhin der F, dass sie sich wegen der Drohung des A nicht an den Mietvertrag gebunden fühle. S ruft am 8. September bei K an und erklärt ihm, er müsse sich wegen M`s Missbilligung einen anderen Mieter suchen. K protestiert. Nach beiden Mietverträgen ist die Miete im Voraus zu entrichten. Bearbeitervermerk: Am 1. 12. verlangt F von M und K von S die Zahlung der Miete. Zu Recht? 16.12.2015 Fallbesprechung IX Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler A. Anspruch F gegen M aus § 535 II BGB Obersatz: „F könnte gegen M einen Anspruch auf Zahlung der Miete gem. § 535 II BGB haben.“ I. Anspruch entstanden 1. 2. Mietvertrag, §§ 535, 549 I, 550 BGB Rechtshindernde Einwendung, § 138 BGB? – Rechtsgeschäft = Mietvertrag = sittenwidrig? – Mietvertrag an sich ist nicht sittenwidrig; „hohe Miete“ reicht nicht aus II. Anspruch erloschen – 16.12.2015 Anfechtung, § 142 I BGB a) Anfechtungserklärung der M, § 143 I, II BGB? » Vgl. Problematik in Fall 1! Fallbesprechung IX Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler b) 16.12.2015 Anfechtungsgrund Widerrechtliche Drohung, § 123 I Alt. 2 BGB aa) Drohung » Vorsätzliches Inaussichtstellen eines zukünftigen Übels, auf das der Drohende Einfluß zu haben vorgibt bb) Kausalität » M musste „durch“ Drohung zur Abgabe der WE „bestimmt“ worden sein cc) Person des Drohenden » Problematisch, da nicht F, sondern A gedroht hat » Wortlaut des § 123 I BGB spricht für eine Anfechtbarkeit auch bei Drohung durch Dritten; ebenfalls Systematik und Zweck des § 123 BGB » Anfechtungsgrund des § 123 I Alt. 2 BGB liegt vor. Fallbesprechung IX Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler c) Anfechtungsfrist, § 124 BGB Ergebnis: F kann von M keine Mietzahlung gem. § 535 II BGB verlangen. B. Anspruch K gegen S gem. § 535 II BGB I. Anspruch entstanden Mietvertrag, §§ 535, 549 I, 550 BGB II. Anspruch erloschen – 16.12.2015 Anfechtung, § 142 I BGB a) Anfechtungserklärung des S, § 143 I, II BGB? » Vgl. Problematik in Fall 1! Fallbesprechung IX Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler » Kein Inhaltsirrtum i.S.d. § 119 I BGB » Allenfalls Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Wohnung, § 119 II BGB » Missbilligung der M hat nichts mit der Beschaffenheit der Wohnung zu tun; lediglich sog. Motivirrtum » Kein Anfechtungsgrund Zwischenergebnis: Keine wirksame Anfechtung – Kündigung, §§ 542 I, 549 I BGB? a) Kündigungserklärung b) Formnichtigkeit der Kündigung, § 125 1 BGB » Kündigung eines Mietvertrags über Wohnraum bedarf der Schriftform, §§ 568 I, 126 BGB » Keine wirksame Kündigung 16.12.2015 Fallbesprechung IX Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler III. Anspruch durchsetzbar Ergebnis: K kann von S Zahlung des Mietpreises gem. § 535 II BGB verlangen. 16.12.2015 Fallbesprechung IX Wintersemester 2015/2016