Kleist-Archiv Sembdner der Stadt Heilbronn

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Heinrich von Kleist - Der zerbrochne Krug
Ein Lustspiel, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater in
Weimar, überarbeitete Buchausgabe mit gekürztem Schluss 1811
Materialmappe zusammengestellt von Peter Hilton Fliegel
zur Inszenierung von Olaf Strieb, Spielzeit 2011/2012
Inhalt
Heinrich von Kleist, Zeittafel zu Leben und Werk .......................................................................... 2
Stichworte zum Gespräch mit Lars Eickmeier ................................................................................. 3
Rezeptionsmöglichkeiten .................................................................................................................... 3
Die (umstrittene) Kantkrise – nur zur Erinnerung .......................................................................... 4
Heinrich Zschokke über Kleists Schweiz Aufenthalt ...................................................................... 4
Zu Kleists Ansiedlungsvorhaben in der Schweiz ............................................................................ 5
Zentrale Passagen wichtiger Interpretationen ................................................................................. 6
Hans Joachim Schrimpf ................................................................................................................... 6
Claude David .................................................................................................................................... 7
Wolfgang Barthel .............................................................................................................................. 8
Dirk Grathoff ..................................................................................................................................... 9
Wolfgang Wittkowski .................................................................................................................... 10
Zum Aufbau des „Zerbrochnen Krugs“ ......................................................................................... 12
„Der zerbrochne Krug“ im Spiegel der Theaterkritik ................................................................... 12
Rudolstadt 1987: Komischer Krug - ernst genommen .............................................................. 12
Das Trauerlustspiel ........................................................................................................................ 14
Anhang................................................................................................................................................. 17
Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden Heinrich von Kleist (1805) 17
Mentales Fast Food: Der Wikipedia-Eintrag zu Kleist .............................................................. 20
Heinrich von Kleist, Zeittafel zu Leben und Werk
1777
1792
1793-1795
1797
1799
1800
1801
1802
1803
1804
1805
1806
1807
1808
1809
1810
1811
- 18. Oktober. Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist als ältester Sohn des
Kompaniechefs Joachim Friedrich von Kleist und seiner zweiten Frau Juliane
Ulrike, geb. von Pannwitz, in Frankfurt a. d. O. geboren.
- Erster Unterricht bei dem Hauslehrer Christian Ernst Martini, später
Erziehung bei dem Prediger S. H. Catel in Berlin.
Eintritt in das Garderegiment Potsdam als Gefreiter-Korporal.
Teilnahme am Rheinfeldzug.
Beförderung zum Sekondeleutnant.
Kleist erbittet und erhält den Abschied; der König stellt ihm eine spätere
Anstellung im Zivildienst in Aussicht. Nach bestandener Reifeprüfung im
April immatrikuliert sich Kleist an der Universität Frankfurt a. d. O. und
studiert Physik, Mathematik, Kulturgeschichte, Naturrecht und Latein.
Verlobung mit Wilhelmine von Zenge.
März: die sogenannte Kant-Krise. Verschiedene Reisen u. a. nach Paris und in
die Schweiz, Aufenthalt in Bern und Thun. Umgang mit Heinrich Zschokke,
Heinrich Geßner, Ludwig Wieland.
- Anregung zum „Zerbrochnen Krug“ durch den Kupferstich von Le Veau.
Kleist soll den Stoff als Lustspiel, Zschokke als Erzählung, Ludwig Wieland
als Satire behandeln.
- Kleist wohnt auf einer Aare-Insel bei Thun. Arbeit an "Familie Ghonorez"
(als "Familie Schroffenstein" 1803 erschienen). Anfänge des "Guiskard". Bruch
mit Wilhelmine.
„Familie Schroffenstein“ erschienen (anonym). Reisen: Leipzig, Dresden,
Paris. Vernichtung des "Guiskard"-Manuscripts. Körperlicher und seelischer
Zusammenbruch, Selbstmordpläne.
Aufführung der "Familie Schroffenstein" in Graz. Bewerbung um Anstellung
im preußischen Zivildienst.
- Seit dem 1. Mai Arbeit als Diätar (Angestellter, der Tagegelder erhält) an der
Domänenkammer in Königsberg. Hört nebenbei finanz- und
staatswissenschaftliche Vorlesungen.
- „Der zerbrochne Krug“ vorläufig fertiggestellt.
- Fortdauernde Unpäßlichkeiten, sechsmonatiger Urlaub, Aufgabe der
Beamtenlaufbahn.
- 14. Oktober: Napoleons Sieg bei Jena, Preußens Zusammenbruch.
- Auf der Reise nach Dresden Verhaftung als angeblicher Spion.
- Februar bis Juli in französischer Gefangenschaft.
- „Amphitryon“ erschienen, „Penthesilea“ abgeschlossen.
- Zeitschrift „Phöbus" zusammen mit Adam Müller herausgegeben.
- 2. März: mißlungene Uraufführung des „Zerbrochnen Krugs“ in Weimar
durch Goethe.
- „Die Hermannsschlacht“ fertiggestellt.
Kleist in Prag. Politische Lyrik.
- Uraufführung und Buchausgabe des „Käthchen von Heilbronn“
- Erscheinen des ersten Bandes „Erzählungen" bei Reimer („Michael
Kohlhaas“, „Die Marquise von O ...“, „Das Erdbeben in Chili“)
- Im Oktober die erste Nummer der „Berliner Abendblätter“
- Buchausgabe des „Zerbrochnen Krugs“ in überarbeiteter Fassung mit
gekürztem Schluß.
- Zweiter Band der Erzählungen bei Reimer („Die Verlobung in St. Domingo“,
„Das Bettelweib von Locarno“, „Der Findling“, „Die heilige Cäcilie“, „Der
Zweikampf“)
- Fertigstellung des Schauspiels „Prinz Friedrich von Homburg“
- Versuche, eine Anstellung als Redakteur zu finden oder wieder in
preußischen Zivildienst übernommen zu werden.
- 21. November: Selbstmord am Wannsee bei Berlin zusammen mit Henriette
Vogel.
(zusammengestellt von Frauke Mühle-Bohlen. © 1997 Kleist-Archiv Sembdner der Stadt Heilbronn)
Stichworte zum Gespräch mit Lars Eickmeier
Zu Adams Schuld
Alle Vergehen Adams würden unter einem zusammengefasst: Rechtsbeugung. Adam hätte
den Prozess gar nicht führen dürfen wegen Befangenheit. Vermutliche Strafe: Verlust der
Richterstelle auf Lebenszeit, also auch Verlust der Pension, Sozialleistungen, Krankenkasse,
etc., hohe Geldstrafe, die er aufgrund seiner neuen Lebenssituation vermutlich absitzen
müsste.
Macht des Richters heute
1. Richter hat Hausrecht im Gerichtssaal, kann also ohne Angabe von Gründen jeden im Saal
Anwesenden für maximal drei Tage verhaften lassen.
2. Richter kann Beweisangebote der Staatsanwälte oder Verteidiger nach eigenem Ermessen
annehmen oder ablehnen.
Adams Zwickmühle
Da ein ausgefeiltes Regelwerk festlegt, welcher Richter für welchen Fall zuständig erklärt
wird – das wurde eingeführt, um Vetternwirtschaft vorzubeugen, nach dem Motto: „Ach,
den Fall übernehme ich mal …“ – muss sich ein Richter unter Angabe von Gründen, die er
schriftlich niederlegt, von einem Fall entbinden lassen, in Adams Fall wegen Befangenheit.
Er müsste also offenlegen, warum er die Verhandlung nicht führen kann. Was dabei ans
Licht käme, würde ihn schon so die Stelle kosten: Urkundenfälschung, Amtsmissbrauch,
(versuchte) sexueller Nötigung, Unterschlagung von Staatsgeldern, Erpressung.
Also ist Adam fast gezwungen, die Verhandlung zu führen und zu versuchen, den Verdacht
auf jemand anderen zu lenken. Dass er sich dann immer tiefer im Sumpf seiner Lügen
verirrt, ist nicht mehr aufzuhalten.
Rezeptionsmöglichkeiten
Kleists Schauspiel "Der zerbrochne Krug" gehört zu den wenigen anspruchsvollen
Komödien, die die deutsche Literatur aufzuweisen hat. Die Mischung aus niederländischem
Genrestück, hintergründiger Komik und vielfältig ausdeutbarer, immer wieder neu
aktualisierbarer ernsthafter Problematik hat dem Stück ein langes und abwechslungsreiches
Leben beschert, vom Theaterflop der Goetheschen Inszenierung in Weimar bis zu neueren
Großaufführungen in Wien (Andrea Breth, 1990) und Berlin (Thomas Langhoff, 1990).
Die Rezeptionsmöglichkeiten reichen vom lustig-lüsternen Volksstück, in dem sich
Gerechtigkeit auf komisch verschlungenen Wegen gegen eine vertrackte, elementare Vitalität
durchsetzen muß, bis zum befremdlichen Spiel im Zerrspiegel, das die gesellschaftliche und
politische Gewalt und damit Brisanz verstärkt.
Die (umstrittene) Kantkrise – nur zur Erinnerung
„Vor kurzem ward ich mit der neueren sogenannten Kantischen Philosophie bekannt und
Dir muß ich jetzt daraus einen Gedanken mitteilen, indem ich nicht fürchten darf, daß er
Dich so tief, so schmerzhaft erschüttern wird, als mich. Auch kennst Du das Ganze nicht
hinlänglich, um sein Interesse vollständig zu begreifen. Ich will indessen so deutlich
sprechen, als möglich.
Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urteilen müssen,
die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün und nie würden sie entscheiden
können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen
hinzutut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört. So ist es mit dem Verstande. Wir
können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob
es uns nur so scheint. Ist das letzte, so ist die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem
Tode nicht mehr und alles Bestreben, ein Eigentum sich zu erwerben, das uns auch in das
Grab folgt, ist vergeblich Ach, Wilhelmine, wenn die Spitze dieses Gedankens Dein Herz nicht trifft, so lächle nicht
über einen andern, der sich tief in seinem heiligsten Innern davon verwundet fühlt. Mein
einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, und ich habe nun keines mehr –“
(Kleist an Wilhelmine von Zenge, 22. März 1801)
Heinrich Zschokke über Kleists Schweiz Aufenthalt
Unter zahlreichen, lieben Bekannten, deren Umgang den Winter mir verschönte, befanden
sich zwei junge Männer meines Alters, denen ich mich am liebsten hingab. Sie atmeten fast
einzig für die Kunst des Schönen, für Poesie, Literatur und schriftstellerische Glorie. Der eine
von ihnen, Ludwig Wieland, Sohn des Dichters, gefiel mir durch Humor und sarkastischen
Witz, den ein Mienenspiel begleitete, welches auch Milzsüchtige zum Lachen getrieben
hätte. Verwandter fühlt' ich mich dem andern, wegen seines gemütlichen, zuweilen
schwärmerischen, träumerischen Wesens, worin sich immerdar der reinste Seelenadel
offenbarte. Es war Heinrich von Kleist. Beide gewahrten in mir einen wahren Hyperboreer1,
der von der neuesten poetischen Schule Deutschlands kein Wort wußte. Goethe hieß ihr
Abgott; nach ihm standen Schlegel und Tieck am höchsten, von denen ich bisher kaum
mehr, als den Namen, kannte. Sie machten mir's zur Todsünde, als ich ehrlich bekannte, daß
ich Goethes Kunstgewandtheit und Talentgröße mit Bewunderung anstaunen, aber Schillern
mehr denn bewundern, daß ich ihn lieben müsse, weil sein Sang, naturwahr, aus der Tiefe
deutschen Gemütes, begeisternd ans Herz der Hörer, nicht nur ans kunstrichternde Ohr,
schlage. Wieland wollte sogar den Sänger des Oberon, seinen Vater, nicht mehr Dichter
heißen. Das gab unter uns manchen ergötzlichen Streit.
Zuweilen teilten wir uns auch freigebig von eigenen poetischen Schöpfungen mit, was
natürlich zu neckischen Glossen und Witzspielen den ergiebigsten Stoff lieferte. Als uns
Kleist eines Tages sein Trauerspiel „Die Familie Schroffenstein“ vorlas, ward im letzten Akt
das allseitige Gelächter der Zuhörerschaft, wie auch des Dichters, so stürmisch und endlos,
daß, bis zu seiner letzten Mordszene zu gelangen, Unmöglichkeit wurde. Wir vereinten uns
auch, wie Virgils Hirten, zum poetischen Wettkampf. In meinem Zimmer hing ein
Hyperborea (griechisch Ὑπερβορέα „jenseits des Nördlichen“, Boreas war der Gott des Nordwinds)
ist ein sagenhaftes, von den antiken griechischen Geographen und Mythographen weit im Norden
lokalisiertes Land. Seinen Bewohnern, den Hyperboreern (Ὑπερβόρε(ι)οι Hyperboreioi) wurde eine
besonders enge Verbindung mit dem Gott Apollon und dessen Kult zugeschrieben.
1
französischer Kupferstich, „La cruche cassée“. In den Figuren desselben glaubten wir ein
trauriges Liebespärchen, eine keifende Mutter mit einem zerbrochnen Majolika2-Kruge und
einen großnasigen Richter zu erkennen. Für Wieland sollte dies Aufgabe zu einer Satire, für
Kleist zu einem Lustspiele, für mich zu einer Erzählung werden. Kleists „Zerbrochner Krug“
hat den Preis davon getragen. (H. Zschokke, Selbstschau (1842). Zit. nach: Sembdner:
Lebensspuren, Nr. 67a)
Mit vieler Laune hat Zschokke seinen späteren Freunden noch oft erzählt, wie Ludwig
Wieland, der nicht das mindeste Talent zum Tragöden, sondern vielmehr ein launighumoristisches hatte, wie sein nachmaliges Leben deutlich bewies, unaufhörlich mit der Idee
umging, er sei dazu bestimmt, ein großer Trauerspiel-Dichter zu werden; Heinrich Kleist
aber sich anstrengte, witzige und lustige Komödien zu verfassen. Das Unglück wollte, daß
die Gesellschaft, worin die Corpora delicti mitgeteilt wurden, über die Trauerspiele
Wielands sich halb tot lachte, und über die Lustspiele Kleists sich halb tot gähnte, was beide
denn oft nicht wenig verdroß.
(H. Zschokke, Nach Zschokkes Erzählung (Münch 1831). Zit. nach: Sembdner: Lebensspuren, Nr.
67b)
Zu Kleists Ansiedlungsvorhaben in der Schweiz
Es dürfte nicht Le Veaus Stich, den Kleist im Winter 1801/02 in Zschokkes Zimmer sah,
allein gewesen sein, der ihn auf den Gegensatz von Recht und Gerechtigkeit in dieser Zeit
des allgemeinen Übergangs orientierte, so daß er bereits in einer frühen Phase der Arbeit an
der Dichtung, also während seines ersten Schweiz-Aufenthaltes, das Ödipus-Motiv
umkehrte. Vielmehr muß die ungewöhnliche Ausdeutung des Stückes auch durch
Hintergrundkenntnisse, vermutlich vermittelt durch Berichte Zschokkes, Geßners und
Ludwig Wielands, aber auch durch Gespräche mit Leuten auf dem Lande (mit denen sich
Kleist wohl nicht nur über Landwirtschaft unterhalten haben dürfte), möglich geworden
sein. Schließlich war Kleist als potentieller Schweizer Bürger nicht nur an den allgemeinen
und außenpolitischen Zusammenhängen interessiert, sondern auch an der inneren
Verfassung seiner, wie angenommen werden konnte, künftigen Wahlheimat. Es sei in
diesem Zusammenhang aus einem Bericht des Departements für Gerechtigkeitspflege an
den Kleinen Rat vom 1. Dezember 1801 zitiert:
„Das Departement [...] gibt einen Bericht ein, in dem es vorstellt, daß die Zusammensetzung
vieler Districtgerichte und die langweiligen [!] Formen der Procedur unzulänglich seien, um
das Gemeinwesen sowohl als die einzelnen Bürger gegen mindere Polizeivergehen zu
sichern, indem sich die Uebertreter durch verzögernde Ränke [!] zu leicht den gehörigen
Strafen zu entziehen Gelegenheit finden.“ Es werde daher vorgeschlagen (und vom Kleinen
Rat beschlossen), extra Polizeirichter aufzustellen, die „Vergehen summarisch beurteilen und
nach einer bestimmten Competenz bestrafen würde[n] [...]“ (Actensammlung aus der Zeit
der Helvetischen Republik, s. Anm. 15, S. 907), und zwar nach der Art, wie bereits 1799 in
der Gemeinde Bern ein „Polizeicommissär“ aufgestellt worden sei. Am 3. Dezember 1801
schreibt der Berner Regierungsstatthalter Tribolet an den Kleinen Rat, daß sich „[...] alle
Polizeianstalten nie in einem so traurigen Verfall als jetzt“ befunden hätte. „Die angestellten
Ober- und Unter-Beamten sind muthlos, einestheils wegen der schlechten Unterstützung
von Seiten der Gerichte, die sich in Bestrafung der Polizeivergehen äußerst nachlässig
bezeigen, anderntheils wegen dem beträchtlichen Rückstand ihrer Besoldungen; die
Majolika (manchmal auch Maiolica; nach der altitalienischen Bezeichnung für Mallorca) ist eine
Keramik, oft ohne Bemalung (Halb-Porzellan), oder auch gewöhnliches Steingut, das mit einer
deckenden weißen Zinnglasur überzogen ist. Anschließend mit leuchtenden Farben bemalt, kann
derart aufwändig hergestellte Keramik Jahrhunderte überdauern, ohne dass die Farben ihren Glanz
verlieren.
2
Gefängnisse und Zuchthäuser sind mit Verbrechern überhäuft [...] die Zuchtmeister sowohl
als die Marachaussees sind seit mehreren Monaten nicht bezahlt und können daher nicht zur
genaueren Erfüllung ihrer Pflichten angehalten werden.“ (Ebd., S. 908)
Offensichtlich hatten sich besonders im Raum Bern Ende 1801/Anfang 1802 Justizprobleme
bedenklich angestaut. Einerseits wollte die konservative Regierung anarchischen Zuständen
(die, wie im Zerbrochnen Krug, durch die Rechtshüter selbst provoziert werden) mit
verstärkter Kontrolle begegnen; andererseits wollte man die Ordnungskräfte straff in die
Hand bekommen, um „Unordnungen“ (S. 908) von unten bei der Machtbefestigung
vorzubeugen. Auch das Durcheinander von zentralen und föderalen Kompetenzen unter der
Reding-Regierung3 wurde beklagt.
Der unitarisch geprägte Verfassungsentwurf vom 25. Mai 1802 gab dann vorübergehend
wieder einem zentralen obersten Gerichtshof wichtige Funktionen. Vor ihn sollten nicht nur
„die bürgerlichen Streithändel gezogen werden können, deren Gegenstand den Werth von
dreitausend Franken übersteigt [...]“; Art. 74 lautete: „Er entscheidet in letzter Instanz über
die gegen Beamte der Staatsverwaltung wegen Pflichtverletzung [...] erhobenen Klagen [...]
sowie über die von bürgerlichen und peinlichen4 Richtern in ihrer Amtsverwaltung
begangenen Vergehen.“ (Ebenda, S. 1385)
Kleist scheint sich in der damaligen Diskussion über Rechtsangelegenheiten für mehr
zentrale Organisation und Kontrolle ausgesprochen zu haben, worauf die Figur des Revisors
Walter im Zerbrochnen Krug hindeuten mag. Mit dem Fall der unitarisch dominierten
Verfassung und dem Sieg der föderalistischen Kräfte 1803 war an eine Strukturreform in der
Schweiz dann nicht mehr zu denken. Das Problem verlor für Kleist an Aktualität, und erst
1804 am Rhein und 1804/06 in Preußen kommt es erneut auf ihn zu.
(Rudolf Loch u. Herbert Pruns: Zu Kleists Ansiedlungsvorhaben in der Schweiz. In: Beiträge zur
Kleistforschung. 1993. S. 78-79)
Zentrale Passagen wichtiger Interpretationen
Hans Joachim Schrimpf
Ein Zugang ist die Anwendung der aus den anderen Werken des Dichters abgelesenen
typisch „Kleistischen“ Problematik auch auf seine Komödie. Dafür bietet sich einerseits die
Eve-Ruprecht-Handlung an. Weil man sie mit Recht - als Darstellung einer charakteristisch
Kleistischen, im Grunde tragischen Vertrauenskrise deuten darf, wie sie auch sonst in
seinem Werk thematisch ist, steht man nicht an, sie zur inneren Mitte des Stücks zu machen,
wobei eine ältere Fassung der Schlußszene, der „Variant“, den Kleist selbst im Anhang dem
Druck beigegeben hat, wesentliche Bedeutung erlangen mußte. (...)
(...) Eve, ein schlichtes Landmädchen, das „twatsche Kind“, wie Adam sie nennt, drall und
anziehend in ihrer jungmädchenhaften Lieblichkeit. Aber wie viel mehr als das: zunehmend
zeigt sich im Verlauf des Stücks der hohe Adel ihres Herzens. Sie ist die ganz in sich
wohnende reine Seele, in der es keinen falschen Ton gibt, nur die sichere Goldwaage des
Gefühls, eine der innigsten Mädchengestalten Kleists, die an das Käthchen oder die Agnes
der „Schroffensteiner“ gemahnt, frei von Komik. (...)
(...) denn für Kleist gibt es nur noch eine letzte Möglichkeit der ungespaltenen Wahrheit in
der Welt: in der vertrauenden Hingabe an das untrügliche individuelle Gefühl. Der Dichter
Als Napoléon die französischen Truppen aus der Schweiz abzog, verlor die Regierung ihren
wichtigsten Halt. Restaurative und föderalistische Kreise gingen zum offenen bewaffneten Aufstand
über und bildeten im August 1802 eine Gegenregierung unter Alois Reding in Schwyz.
4 Man verstand unter einer peinlichen Befragung im Mittelalter Verhöre unter Anwendung der Folter.
In Teilen Europas hatte diese Form des Verhörs vor Gericht bis ins frühe 19. Jahrhundert lokal
überlebt.
3
des „Zerbrochnen Krugs“ jedoch weicht der tragischen Zuspitzung aus, er trägt diesen
Konflikt nicht zu Ende durch. Er gestaltet vielmehr die „Physiognomie des Augenblicks“,
läßt den Kontrast als einen komischen stehen. Und darum wird es möglich, daß etwas in uns
dem Ruprecht zustimmt, mit befreiendem Lachen, wenn er antwortet: „Mein Seel', das
dauert mir zu lange, Evchen.“ (...)
(...) Hier wird nun zugleich aber auch erkennbar, daß das, was die Komik des „Zerbrochnen
Krugs“ umgreift und quälend durchzieht, keineswegs tragisch genannt werden kann. Die
Beziehung Eve-Ruprecht deutet eine tragische Möglichkeit an; auf den „Krug“ als Ganzes
trifft die Kategorie nicht zu. Denn zum Tragischen gehört unabtrennbar, daß nicht nur etwas
zerstört wird und zugrunde geht, worum es im menschlichen Dasein zuhöchst geht, sondern
zugleich auch, daß in diesem Zugrundegehen etwas Neues, Sinnerfülltes sichtbar wird. In
Kleists Tragödie ist das immer wieder die Schönheit der Menschenseele, des holden
Unbewußten, das unter der Folter heraufleuchtet. Darum kann man seinen „Amphitryon“,
das „Lustspiel nach Molière“, tragisch nennen. Im „Zerbrochnen Krug“ aber fehlt eine solche
Sinngebung. An die Stelle des Zugrundegehens tritt - es ist ja eine Komödie - die Blamage,
die unvermeidliche Erniedrigung; mag sein, daß das Weimarer Theaterpublikum auch diese
grausame Demütigung des kreatürlichen Menschen, die sich nicht einfach mehr verlachen
läßt, nicht ertragen hat. (...)
(...) In dieser Komödie wurde nicht einfach das Menschenbild seiner anderen Dichtungen in
komischer Umkehrung gestaltet, sondern zu einer umfassenden Ganzheit erweitert. Hier
sind neben der individuellen Wahrheit der allein im innersten Gefühl sich selbst findenden
Seele die entblößte generische Kreatürlichkeit und Endlichkeit, die mit dem „Adamsfall“
gegebene Fehlbarkeit und Erbärmlichkeit als Wesen des Menschen begriffen.
(Hans Joachim Schrimpf: Kleist, Der zerbrochne Krug. In: Benno von Wiese, Das deutsche Drama.
Düsseldorf 1958. S. 339-362)
Claude David
Der Reiz des Stückes beruht auf etwas anderem, auf der mitreißenden Bewegung, die das
ganze Stück trägt, es unaufhaltsam weitertreibt und ihm erst seinen Sinn verleiht. Die
beschränkte Szenerie im Stile Teniers' nimmt Höllenfarben an wie bei Breughel. Die Episode,
die sich hier abspielt, ist grotesk-komisch und abstoßend, vordergründig-belanglos und
diabolisch zugleich. Der Teufel reizt zum Lachen, da er in dem niederen Bereich, in dem er
hier wirkt, entwaffnet und ungefährlich erscheint. Und doch ist es der Teufel in Person: als
am Ende des Stückes der Richter, verhöhnt und vernichtet durch den Prozeß, den er gegen
seinen Willen führen mußte, aus der Gerichtsstube flieht und ins Land hinaus rennt, „als
flöh' er Rad und Galgen“, da sieht man ihn in der Ferne mit seinem Klumpfuß das
„aufgepflügte Winterfeld“ durchstampfen, die Perücke vom Wind herabgerissen. Gerade auf
dieser Ebene der Farce offenbart sich die Tiefe des Kleistschen Dramas; das Burleske,
Komische dient weder als bloßer Dekor noch als Ergötzung, es ist vielmehr der Ort der
tieferen Bedeutung, ja diese selbst. Kleist hat die echte Komödie wiederentdeckt. (...)
Dieser lasterhafte Richter, das ist der Mensch, der Mensch in seiner Verderbtheit und
Bosheit, der von einem bösen Dämon bewohnte Mensch. Adam sucht sein Geheimnis zu
verbergen, aber die Masken fallen, eine nach der anderen: der Mensch wird bloßgestellt,
seine verborgene Schande kommt ans Licht. Der Utrechter Gerichtsrat, der wegen einer
Inspektionsreise zufällig zugegen ist, versucht die Würde der Justiz zu retten und
wenigstens den Skandal, den er vorausahnt, zu unterdrücken. Aber vergebens: es muß zu
diesem Skandal kommen, der Teufel muß ausgetrieben und Adam dem Spott preisgegeben
werden. Am Ende der Komödie, wenn der Böse verspielt hat und die Guten triumphieren,
empfindet der Zuschauer dennoch keine Befriedigung. Diese unaufhaltsam fortschreitende
Bewegung, die den Übeltäter zum Geständnis zwingt und in die Flucht treibt, ist bestürzend
wie eine Menschenjagd. Das Lachen bleibt im Halse stecken. So hassenswert der Richter
Adam auch sein mag, wir nehmen doch an seinem Geschick Anteil. Das Geheimnis, das man
ihm entreißt, ist unser Geheimnis, und in ihm fühlen wir uns selbst dem Hohn ausgeliefert.
(Claude David: Heinrich von Kleist und das Geheimnis. In: Müller-Seidel, Walter (Hrsg.): Heinrich
von Kleist. Aufsätze und Essays. Darmstadt 1967, S. 213-229)
Wolfgang Barthel
Die Situation des Rechts in der Welt war für ihn nicht nur im „Zerbrochnen Krug“ ein
Prüfstein für die Chance des Humanen in Staat und Gesellschaft. (...)
Im Zusammenhang mit Kleists Beamtentätigkeit 1805/06 erfolgte dann die entscheidende
Konkretisierung des Entwurfs. Die im Krug in den holländischen Stoff assoziativ
eingebundene preußische Realität hat dabei wenigstens drei sich im poetischen Entwurf eng
verquickende Erfahrungsquellen.
Erstens: Das Leben auf den ostpreußischen Domänendörfern. Als Diätar5 der Königsberger
Kammern konnte Kleist mit ihm zu tun haben. Hier waren 1805 die Verhältnisse weniger
zugespitzt als auf den sogenannten Adelsdörfern. Ein Teil der Domänenbauern war
persönlich frei; es gab keine Patrimonialgerichtsbarkeit. Die Dorfschulzen oder Dorfrichter,
wie sie in ihrer Funktion als Gerichtshalter auch genannt wurden, unterstanden königlichen
Oberbehörden und wurden in Visitationen überprüft. Mit einer solchen gleichsam
entschärften Konstellation haben wir es im „Zerbrochnen Krug“ zu tun, und mir will
scheinen, als habe erst sie die Behandlung des Stoffes im Sinne der großen
gesellschaftskritischen Komödie ermöglicht.
Zweitens lagen Kleist bei der schließlichen Bearbeitung des Stückes preußische Gesetzbücher
zur Seite. Sie gehörten ohnehin zum Studien- und Arbeitsmaterial des Diätars Kleist. Eine
Anspielung hierauf findet sich in der Abhandlung „Über die allmähliche Verfertigung der
Gedanken beim Reden“6. Vergleicht man zum Beispiel den „Zerbrochnen Krug“ mit
einschlägigen Passagen der „Allgemeinen Gerichtsordnung für die Preussischen Staaten“, so
werden Korrespondenzen mit dort beschriebenen Verfahrensweisen, Verhaltensnormen
sowie mit dort verwendeten Termini und Institutionsbezeichnungen auffällig.
Drittens verarbeitete Kleist Überlegungen der Reformer zu einer in der ostpreußischen
Beamtenschaft aus der Schule des Smithianers Kraus diskutierten Rechtsreform.
Grundgedanken dieser Diskussion finden sich in den Denkschriften Altensteins und
Hardensbergs vom September 1807 zusammengefaßt. Darin ist die Rede davon, daß das
empfindlich gestörte Vertrauensverhältnis zwischen Volk und Rechtsbehörden
wiederhergestellt werden müsse, daß dies nur über die Beseitigung von Willkür und
Korruption, durch strenge Rechtlichkeit der Rechtsdiener und durch eine entschiedene
Vereinfachung der Rechtsbestimmungen erreicht werden könne, daß demzufolge eine
Stärkung der Position der Revisoren - sie heißen dort 'Justizkommissäre' - geboten sei, die
auch die Aufgabe hätten, „fehlerhafte und schlechte Gerichtspersonen“ zu beseitigen, daß
ferner entschiedene Schritte in Richtung auf die Verbesserung der Bildung der
praktizierenden Juristen unternommen werden müßten, daß schließlich auch die
Verbesserung der Form der Rechtsprechung nicht vernachlässigt werden dürfe, da die Form
als Unterpfand der Klarheit und Durchschaubarkeit der Gesetze angesehen werden müsse
usw. - alles Forderungen, die, das wird an dieser Aufzählung deutlich, auf Konstellationen
des Kleistschen Kruges weisen. (...)
Exponent der 'Reformpartei', wenn man so will, im Stück ist Walter. Er trägt die
aufgeführten Forderungen an die Huisumer Rechtspraxis heran; als 'Reformer' zeigt er sich
Ein Diätar (Diätarius) ist ein Beamten ähnlich gestellter Angestellter, der nur zeitweise beschäftigt
wird und sein Gehalt täglich ausgezahlt bekommt.
6 siehe Anhang
5
zugleich systemkonform und bereit, die Würde des Gerichts unter allen Umständen zu
schützen. Die kritische Zeichnung Walters durch Kleist scheint darauf hinzudeuten, daß
Kleist die Möglichkeit von Reformen und der Verbesserung der Rechtsverhältnisse durch
Reformen anders beurteilte als seine Königsberger Kollegen - skeptisch und distanzierter.
(Wolfgang Barthel: Kleists "Zerbrochner Krug". Thesen zu Entstehung und Wirklichkeitsbezug. In:
Beiträge zur Kleist-Forschung 1978. Frankfurt (Oder), S. 45-53)
Dirk Grathoff
Zusammenfassend können wir folgendes Ergebnis festhalten: der Anbeginn der modernen
Geschichte ist dadurch gekennzeichnet, daß die Niederländer - im Status der Freiheit - zum
gesellschaftlichen Subjekt ihres Staates geworden sind, der Krug und seine Inbesitznahme
stehen dafür ein. Und er hat weiterhin dafür eingestanden, daß der Zustand des
geschichtlichen Anbeginns bis zu dem nächtlichen Ereignis fortdauerte. Wie Frau Marthe im
anschließenden Bericht über die weitere Geschichte des Kruges schildert, hat er in den
unwahrscheinlichsten Situationen die Anfechtungen durch äußere Mächte überstanden, sei
es durch eine fremde Nation („als die Franzosen plünderten“, Vs. 700), sei es durch eine
Naturkatastrophe, „der Feuersbrunst von sechsundsechzig“ (Vs. 706). Bei diesen Ereignissen
hätte er, der Logik natürlicher Gesetze zufolge, eigentlich zerbrechen müssen, womit
keineswegs eine übernatürliche „religiöse Bedeutsamkeit“ angezeigt werden soll, sondern
lediglich der Überlegenheit eines Prinzips geschichtlicher Wahrheit selbst vor dem Prinzip
der Naturgesetzlichkeit Ausdruck verliehen wird. Nun aber ist der Krug zerbrochen, so daß
der nächtliche Vorfall eine andere Qualität als die bisherigen Anfechtungen durch äußere
Mächte haben dürfte. Hier handelt es sich denn auch um eine Anfechtung von innen: der
Krug wurde von einem niederländischen Staatsdiener, dem Dorfrichter Adam, zerbrochen.
(...)
Die Distanz zu romantischen Geschichtstheorien kann kaum größer sein als in diesem
Lustspiel von Kleist. Mit dem Krug zerbricht vielmehr das, wofür er einstand: der Status
gesellschaftlichen Subjektseins der Niederländer; nunmehr sind sie wieder gesellschaftliches
Objekt geworden, und zwar Objekt des Staates, dessen Amtsdiener den Krug zerbrach. (...)
Waren die Niederländer zu Zeiten der Vorgeschichte gesellschaftliches Objekt von
Fremdherrschaft und feudalem Gesellschaftszustand, so sind sie nach Befreiung und zumSubjekt-Werden nunmehr unter modernen Bedingungen wieder zum gesellschaftlichen
Objekt geworden, zum Objekt ihres „eigenen“ Staates. Der Vorgang der Wiederkehr des
Alten läßt gleichwohl nicht auf eine zyklische Geschichtsauffassung schließen, denn die
geschichtlichen Änderungen sind benannt: an die Stelle von Fremdherrschaft und
Feudalzustand ist in der Moderne die Institution des Staates getreten. (...)
In seiner Eigenschaft als Staatsdiener hat Adam das Amt oder die öffentliche Funktion im
Interesse privater, sexueller Wünsche nutzen wollen, um sich Eve gefügig zu machen.
Damit ist für ihn, Adam, das Bett bereitet, und für sie, Eve, der zweite Sünden-Fall in einen
neuen Stand der Erkenntnis eingeleitet. Denn ist eine Institution erst einmal fremd
geworden, vor allem in ihrer Beliebigkeit nicht mit Sicherheit mehr bestimmbar, so ist es
möglich, daß sie nicht zum Wohle, sondern auch zum Schaden des Einzelnen gereicht: der
Einzelne ist ihr Objekt geworden. (...)
„Die jungen Landessöhne reißen aus.“ (Vs. 1310) Bei Eve gelingt die Täuschung als
schockartige Überraschung, weil sie zwar vorher schon wußte, daß es neuerdings Haager
Krämer gibt, aber nicht vermutete, daß die Regierung zum Heil der Haager Krämer handeln
könne. Nun ist sie in einen veränderten Erkenntnisstand gefallen, hat sie begriffen, daß für
sie und Ruprecht der Status gesellschaftlichen Objektseins im Staate Holland gilt: „Komm,
folg. Es sind die letzten Abschiedsstunden,/Die die Regierung uns zum Weinen läßt“ (Var.
Vs. 2337 f.). (...)
Walters Überzeugungsgulden faßt sinnbildlich im Antlitz des Spanierkönigs den bislang
skizzierten Gehalt einer veränderten geschichtlichen Wahrheit, der Eve ins Bewußtsein
rückt. Eve wird keineswegs überzeugt, daß die guten, alten Zeiten gesellschaftlichen
Subjektseins wiederhergestellt seien, im Gegenteil, sie erkennt, daß diese Zeiten
unwiederbringlich vorbei sind, daß nunmehr endgültig „modern times“ im Staate Holland
Einzug gehalten haben, indem das alte gesellschaftliche Objektsein unter veränderten
Bedingungen zurückgekehrt ist. Die Gulden mit dem Antlitz des Spanierkönigs, die in
Holland wieder Gültigkeit erlangt haben sollen, stehen dafür ein. Die Funktion, die vordem
Fremdherrschaft und feudaler Gesellschaftszustand ausübten, ist nunmehr in gewandelter
Gestalt übergegangen auf gesellschaftliche Insitutionen. Unter den Bedingungen moderner
Geschichte sorgen Institutionen dafür, daß die Niederländer (vielleicht mit Ausnahme der
Bewohner Den Haags) zum gesellschaftlichen Objekt des Staates werden.
Zu dieser Erkenntnis wurde Eve im ersten Schritt vom Staatsdiener Adam und im
endgültigen Schritt vom Staatsdiener Walter geführt. Seine Handlungsweise unterscheidet
sich in ihrem Kern nicht von der vorherigen Handlungsweise Adams, er wiederholt mit
selbstloser Absicht, was Adam zuvor aus Eigennutz tat. Nicht des einen oder des anderen
Handeln, sondern erst beider Handeln zusammen legt Zeugnis ab von den veränderten
geschichtlichen Bedingungen. (...)
Nach der vorgetragenen Interpretation unterscheidet sich der Sinngehalt des Variants nicht
unerheblich von dem der Zweitfassung: dort soll Eves Vertrauen in den Staat tatsächlich
wiederhergestellt und schließlich die Versöhnung mit Ruprecht gefeiert werden, hier, im
Variant, soll ihr die veränderte geschichtliche Wahrheit ins Bewußtsein rücken, so daß sie
sich nur resignativ der gebrechlichen Einrichtung der Welt, sprich: der Beliebigkeit der
Moderne, fügen kann. Diese Interpretation gewinne ich aus dem Text des Variants, den die
Buchausgabe von 1811 bietet. (...)
Geschichtlich gewendet: an die Stelle der verbürgenden Ordnung des Mythos ist in der
Moderne die Ungewißheit des Beliebigen getreten. Jedenfalls sind die rationalistischen
Rechtsprinzipien, die der Gerichtsrat Walter im Stück vertritt, solange das Ansehen der
Institution nicht berührt ist, keineswegs einfach als die positiven und überlegenen Prinzipien
anzusprechen, nach denen sich der Autor Kleist gesehnt habe. Unerträglich ist der
Schludrian des Dorfrichters zwar auch, aber er mag immer noch erträglicher sein als das,
was die Justiz der Zukunft den Niederländern bescherte. Neuere Interpretationen, besonders
die von Peter Michelsen und nachdrücklich die von Wolfgang Wittkowski, haben sich
inzwischen kritisch mit der älteren Auffassung auseinandergesetzt, dem Gerichtsrat Walter
komme die Funktion einer überlegenen, ja, wegen seines Namens, geradezu gottähnlichen
Figur zu - so als ob sich der Name nur auf das Wort „Walten“ und nicht ebenso auf das Wort
„Gewalt“ bezöge.
(Dirk Grathoff: Der Fall des Krugs. Zum geschichtlichen Gehalt von Kleists Lustspiel. In: KleistJahrbuch 1981/82. Berlin 1983, S. 290313)
Wolfgang Wittkowski
Und jedesmal interessierte mich, was ich nun auch für den „zerbrochnen Krug“ nachweisen
möchte: nämlich Kleists ironisch verschleierte Satire einmal auf die Autorität der
Insitutionen, Ideologien und ihrer Repräsentanten - zum andern auf die 'Autorität der
Autorität', die Autoritätsgläubigkeit. (...)
(...) Kleists Kritik trifft die Ideologie, das heißt einerseits die Autoritäten als die Institutionen
in Gesellschaft und Religion, andererseits die Autoritätsgläubigkeit der Menschen. (...)
(...) Ähnlich mißbraucht nun Walter seine Autorität; und er ist sich dessen noch weniger
bewußt. Den entlarvten Richter will er vor „Desertion“ bewahren, um ihn dem Staatsdienst
„auf irgend einem Platz noch zu erhalten“. So heißt es deutlicher im Variant. Walter setzt
dabei kurzerhand voraus, „die Kassen stimmen“, obwohl Adam ihn mehrmals und kaum
verblümt auf das Gegenteil vorbereitete. Walters respektvolle Voreingenommenheit für die
Autorität und ihre Träger hindert ihn lange, in dem Richter den Spitzbuben zu erkennen.
Dementsprechend bestellt er am Ende den Schreiber Licht, das verwaiste Amt vorläufig zu
„verwalten“. Der leuchtet dem Revisor und der Gerechtigkeit zwar auf den Weg; doch er tut
es, weil er selbst Dorfrichter werden will. Und im verborgenen, im Finstern, mißbraucht er
sein Amt, um „Depositionen“, gerichtlich hinterlegte Gelder, seinerseits weiter zu
deponieren und daraus Zinsen zu ziehen. Im Stück heißt dergleichen „Veruntreuung“ und
wird vom „Gesetz [...] nicht mehr verschont“, so Walter selbst. Doch bei Licht entgeht ihm
das, weil er die Kassen gar nicht prüft. Damit und indem er den Obergauner auch noch zur
höchsten Staatsautorität im Dorfe macht, bestätigt er zuletzt, was Adam von ihm, Walter,
prophezeite: „Der Mann hat seinen Amtseid ja geschworen, / und praktisiert, wie wir, nach
den / Bestehenden Edikten und Gebräuchen.“ Das vollendet den Triumph des größten
Spitzbuben. (...)
(...) Der religiöse Glaube an die religiöse Wertordnung, der Respekt vor der religiösen und
gesellschaftlichen Autorität ist zum Vorurteil geworden. Das Denken ist derart
programmiert, daß man nicht sieht, was doch zu sehen ist, und sich durch nichts zu einer
Änderung der Wertvorstellung bewegen läßt. Das gleiche gilt vom „zerbrochnen Krug“. Ilse
Graham fand, die Figuren glauben nur, was sie mit Händen greifen können. Aber mit
Händen zu greifen scheint es doch, daß der Richter der gesuchte Übeltäter ist. Trotzdem
erleben wir die Komödie, daß die anderen es lange nicht begreifen. Sie glauben, daß nicht
sein kann, was nicht sein darf, daß folglich der Richter nicht der Übeltäter ist. (...)
(...) Delbrück und sinngemäß Michelsen können befriedigt konstatieren, der irrationale
Glaube an Gott und Obrigkeit sei wiederhergestellt. Eve stützt ihren Glauben tatsächlich auf
Gründe, die um nichts verläßlicher sind als Adams Schriftstücke. Sie vertauscht nur Glauben
mit Glauben, Vorurteil mit Vorurteil. Daß sie diesmal nicht beschwindelt wird, ist ihr Glück,
mehr nicht. (...)
Von ihrem verzückten, religiösen Glauben an die Regierungsautorität läßt Eve sich tragen
bis zum Ende des Variant. Denn sie will vertrauen oder mißtrauen, irrational so oder so. (...)
(...) Die Autoritätsgläubigkeit dauert unzerbrechlich an, genauso unzerbrechlich offenbar,
wie das Recht zerbrochen bleibt. Und biblisch gesprochen, macht der Himmel keinerlei
Anstalt, die Menschen, die der Obrigkeit mehr Autorität zubilligen, als sie verdient, zu
zerstoßen wie einen Krug. Die Tragödie „Penthesilea“ offenbart die Welt als „die
gebrechliche, auf die nur fern die Götter niederschaun“. Die Komödie übersieht das. Soweit
ein Bruch geschah und sichtbar wurde, vertuscht sie es - freilich deutlich genug, daß man es
sehen kann. Den zerbrochnen Krug ersetzt ein neuer, als wäre nichts geschehen. (...)
(...) Denn was bleibt nun? Walters Fehlregelung im Hinblick auf Licht und Adam; endlich
seine ironisch herablassende Empfehlung, Frau Marthe möge dem Krug sein Recht
verschaffen „am großen Markt“ zu Utrecht. „Und Dienstag ist, und Freitag, Session.“ Er
meint den Töpfermarkt. Arntzen meint pathetisch, und die Forschung hat es ihm
nachgesprochen, es handle sich um das Gericht und um den Prozeß, der weitergehen müsse.
In diese massiv lehrhafte Richtung eines Fortschritts deutet die Komödie aber gerade nicht.
Wie bei Alkmene darf man vielmehr fragen: Was nämlich wird geschehen? Auf dem
Töpfermarkt wird Marthe einen neuen Krug kaufen, ebenso schön bebildert und glasiert. Die
Regelung würde zwar dem zerbrochnen nicht gerecht. Der müßte ersetzt werden von Adam.
Ja, erst Adams volle Bestrafung schüfe Gerechtigkeit. Das aber unterbleibt; und überdies
wird Licht sein Nachfolger. Recht und Ordnung werden also mit Gewißheit nicht
wiederhergestellt. Sie bleiben zerbrochen in dieser gebrechlichen Welt. Wie der Krug. Und
der Kauf eines neuen signalisiert das Ergebnis der Komödie: nur scheinhaft, äußerlich stellen
sich Recht und Ordnung wieder her, nur im blinden, unangebrachten Vertrauen zur
Obrigkeit. (...)
(...) Das endgültige Stück verzichtet auf die sozialen Themen der Konskription, des
Patriotismus und des religiösen Glaubens an Gott und Obrigkeit. Es reduziert sie auf ihre
sozialpolitisch relevante Grundlage, nämlich auf unsere allzu menschliche Neigung, blind
im Guten wie im Bösen an eine Autorität zu glauben, und diesen Glauben, falls die Tatsache
ihn einmal zerbrechen, eilfertig wiederherzustellen. Der Wiederherstellung des Glaubens
hier und im Variant stimmt der Dichter stets nur an der Oberfläche heiter-wohlwollend zu;
damit verhüllt er ironisch seine wahre Einstellung, die traurig lächelnde Kritik und Skepsis
dem Menschen gegenüber; den Figuren und uns, dem Publikum, das vermutlich gutwillig
ebenso wie die Figuren fühlt und in der Tat noch immer fühlt. Der hohe Grad der Ironie
basiert allerdings auf der Voraussetzung, daß (von Adam abgesehen) nirgends böser Wille
mit im Spiele, die Condition humaine also gesellschaftlich-geschichtlich eine hoffnungslose
ist.
(Wolfgang Wittkowski: "Der zerbrochne Krug": Gaukelspiel der Autorität, oder Kleists Kunst,
Autoritätskritik durch Komödie zu verschleiern. In: Sprachkunst. 12. 1981. Wien 1981, S. 110-130)
Zum Aufbau des „Zerbrochnen Krugs“
Hilda M. Brown hat aus einem Kleist zugeschriebenen Diagramm zur Dramentheorie die
Grundschritte: Exposition, Schürzung des Knotens mit dem Kampf des Helden bis zu
seinem Untergang, Katastrophe oder Lösung hergeleitet. Auf den „Krug“ übertragen, ergäbe
sich folgender Aufbau, der innerhalb des Einakters die aristotelische fünfaktige Form
durchscheinen lässt:
Auftritte 1-5
großenteils Exposition
Hinter dem alten, schludrigen Rechtsgebrauch (Adam)
kündigt sich ein neuer an (Walter). Versuch Adams, Walter
zu vereinnahmen.
eingeschlossen darin: Szene 3: der vorausdeutende Traum
von Adams Entlarvung)
Auftritte 6-11
Schürzung des Knotens
(Held "kämpft", bis ihn sein
Schicksal einholt)
Adam sitzt über sich selbst zu Gericht, „lügt und schlingelt
den Hals immer tiefer ins Eisen“.
Auftritt 10
Retardierendes Moment (die
Verhandlungspause)
Die Dinge scheinen sich zu wenden, Walter zeigt sich
irritiert.
Auftritt 11
Katastrophe
Der Richter ohne Perücke und Robe in panischer Flucht
Auftritte 12/13
Lösung/Nachspiel
Kurzfassung: Das Recht wird wieder hergestellt.
Variant: Eve als zentrale Figur neben einem fragwürdigen
Walter. Krise des Vertrauens als neues Thema in epischer
Wiederholung des Falles.
„Der zerbrochne Krug“ im Spiegel der Theaterkritik
Rudolstadt 1987: Komischer Krug - ernst genommen
Beide Lustspiele Kleists erfüllen nicht unbedingt die Erwartungen, die ein ganz und gar
gegenwärtiges Theaterpublikum diesem Genre entgegenbringt das Lachen kann einem
durchaus im Halse steckenbleiben. Doch so manches Theaterstück wurde auf der Bühne
dem jeweils herrschenden Geschmack angepaßt, und auch dem Zerbrochnen Krug wurde im
Verlaufe seiner wechselvollen Rezeptionsgeschichte sehr oft das Schicksal zuteil, mehr, als es
dem Text zuträglich ist, gleichsam als Posse gespielt zu werden. Um so höher sind deshalb
alle Versuche zu bewerten, die mit Kleists letztem Wort zu diesem Thema, der Buchausgabe
von 1810 (mit dem längeren 12. Auftritt als Variant im Anhang), Ernst machen Rudolstadt
bot eine Strichfassung, die sich als kluge Synthese aus Kurzfassung und Variant erwies und
Behaglichkeit weder auf der Rampe noch im Zuschauerraum anstreben. Die Premiere am 31.
Oktober 1987 zeigte, daß es sich auch mit den Mitteln einer vergleichsweise kleinen Bühne
und mit überwiegend jungen, hinter der Inszenierung (Konstanze Lauterbach) stehenden
Darstellern möglich ist, Kleists Unentschiedenheit zwischen Komik und Tragik, zwischen
heiterer Publikumswirksamkeit und ernstem, Betroffenheit erregenden realistischen
Hintergrund künstlerisch glaubhaft zu vermitteln. Der gesamten Truppe ist für den Mut zu
danken, dessen es angesichts eingeschliffener Schauspiel wie Zuschaugewohnheiten
durchaus bedurfte, um die von Kleist vorgegebene Jahreszeit, Winter, als ein Symbol für den
Zustand der menschlichen Beziehungen zwischen den fast auschließlich eigennützige
Interessen verfolgenden Figuren schrittweise ins Bewußtsein des aufgeschlossenen
Premierenpublikums zu verpflanzen.
Dieses Brechen der durch Erfahrung oft bestätigten Erwartungshaltung der Zerbrochne
Krug ist Kleists meistgespieltes Stück geschah bewußt recht drastisch. Während Adam zu
Beginn unter einer Decke schlummernd träumte, wurde das beschaulichnostalgische
Empfinden der Zuschauer belebt, indem über Lautsprecher Caterina Valentes Erfolgslied
vergangener Jahre, "Steig in das Traumboot der Liebe, fahre mit mir nach Hawaii ...",
eingespielt wurde, welches sofern es nicht unmittelbar ironisch aufgefaßt wurde, zu
kulinarischem Theaterkonsum geradezu herauszufordern schien, sich jedoch sehr bald als
sarkastisch-kontrastierender V-Effekt erwies. Schritt für Schritt enthüllte sich, daß in diesem
"fatalen Lustspiel" beinahe alle, Eve ausgenommen, lügen, sofern es "um persönlichen
Vorteil, private Interessen und um zu bewahrende Staatsräson" (so die Regisseurin im
Programmheft) geht. An der "öffentlichen Entdeckung der Wahrheit", der ganzen Wahrheit,
ist niemand interessiert auch Licht deckt seine Motive nicht offen auf. Gerichtsrat Walter
wird gerade nicht als moralisch integerer Staatsbeamter vorgeführt, wie das in sehr vielen
Inszenierungen ungeachtet der Tatsache der Fall ist, daß Kleists Text hierzu keine
Legitimation bietet.
Über szenische Lösungen, Regieeinfälle, über die Angemessenheit von Bühnenbild (hier:
sehr sparsam, die Handlung befördernd, nicht von ihr ablenkend) oder Kostümsprache
(hier: ebenfalls sparsam und funktionsgerecht eingesetzte Mittel, die den äußeren wie
inneren Zustand der Figuren markieren: Pelzmäntel und wärmende Jacken, von denen am
Schluß die Kragen hochgeschlagen werden) mag man im Detail immer streiten. Wesentlich
erscheint aber, daß dank einer durchdachten und stets am Text orientierten Konzeption (der
Regie stand als Dramaturg Peter W. Bahr zur Seite) eine geschlossene Ensembleleistung
zustande kam, aus der Verena Blankenburg (als Frau Marthe Rull) und der kürzlich
verstorbene Georg Lindig (als Bedienter und als Büttel), der aus seinem kurzen Part ein
wahres Kabinettstück zu machen verstand, noch herausragten.
Deftige Situations und Wortkomik und tiefer Ernst des Stücks wurden gleichermaßen sichtund hörbar. So konnten denn auch die mit der "stationären Prozeßform" (Goethe) des
ernsten Lustspiels verbundenen dramaturgischen Probleme bemeistert werden.
Einmütigkeit des zur Auseinandersetzung genötigten Publikums freilich konnte nicht
konstatiert werden; es wäre dies auch ein sehr schlechtes Zeichen.
(Jochen Marquardt: Komischer Krug - ernst genommen. Zur Inszenierung am Theater Rudolstadt
1987. In: Beiträge zur Kleistforschung, Frankfurt (Oder)1990, S. 77-78)
Das Trauerlustspiel
Sigrid Löffler über Heinrich von Kleists "Zerbrochnen Krug" am Wiener Burgtheater und am
Deutschen Theater in Berlin
Verkehrte Welt. Schwarz tagt der Morgen. Wenn der Dorfrichter, der alte Adam, nackt und
bloß, nach seinem großen Fall zerschunden in die Gerichtsstube von Huisum kriecht,
furzend über sein krankes Gedärm, gekrümmt, und stockend dem Gevatter Licht seinen Alp
(und Wahr)traum vom ausgehunzten Richter erzählt, der sich selbst verurteilen und in die
Fichten fliehen mußte.
Verkehrte Welt. Die Fichten stehen dicht an dicht gleich hinter der Eingangstür, ein
Fichtenstamm wächst schon ins Zimmer. Haustiere versauen die Gerichtsstube. Der riesige
schwarze Tisch des Richters hat nur zwei Beine. Der Schrank steht schief und erbricht Akten
und Braunschweiger Würste. Das Perlhuhn - das mit dem Pips - haust ausgestopft neben
dem Pult des Gerichtsschreibers (das auch als SchmutzwäscheBehälter dient). Die debile
Magd gießt den Wein in den Schlüsselring statt ins Glas.
Verkehrte Welt wie auf des Niederländers Jan Steen gleichnamigen Genrebild im Wiener
Kunsthistorischen Museum. Das höchst material- und assoziationsreiche Programmheft des
Burgtheaters zitiert es mit programmatischer Bedeutsamkeit.
Aber wie hat alles angefangen?
Andrea Breths Wiener Inszenierung von Kleists sogenanntem Lustspiel hat längst begonnen,
ehe das Publikum im Burgtheater auf seinen Plätzen sitz. Da hockt Eve vorn am Bühnenrand
träumend vor ihrem Perlhuhn. Dahinter öffnet sich die Guckkastenbühne wie ein riesiges
Auge, gibt den Blick frei auf eine weiße Scheibe. Ganz hinten am Rande dieser Weltscheibe
aber, durch die sich ein blaugrüner Riß schlängelt, hockt mit dem Rücken zum Betrachter
Adam. Adam mit Schlange im Paradies? Nein. Die WeltenScheibe stellt sich schräg, sie ist
zerbrochen, der Riß klafft auf, so unheilbar wie später die Bruchlinie durch Frau Marthes
Krugscherben. Die Welt ist aus den Fugen, von Anfang an. Und aus der zerbrochnen
Weltordnung stürzt Adam wir sollen denken: wie Luzifer, wie Satan kopfüber hinab in die
verkehrte Welt von Huisum, um dort als schuldiger Richter und heimlicher Angeklagter
Gerichtstag zu halten über sich selbst.
Vom Absturz zur theatralischen Auferstehung?
Andrea Breths vierstündige Kleist-Reise: Es ist ein Sturz wie im Traum. Adams TraumErzählung, seine Schuldgefühle, seine Selbstbestrafungsphantasien erscheinen im stummen
Vorspiel symbolisch vorweggenommen. Eine Engelsfigur mit dem Flammenschwert der
ParadiesesAustreibung schreitet über die Bühne. Aus Nebelschwaden tauchen Fichten auf,
während eine Stimme Richterworte über Schuld und Unschuld raunt. Nie waren die
stückeröffnenden Fragen des Schreibers Licht berechtigter: "Sagt, Gevatter Adam! Was ist
mit Euch geschehen? Wie seht Ihr aus?"
Die Regisseurin und Bühnenbildner Gisbert Jäkel haben dem Stück so eine groß gedachte
Deutung bildmächtig vorgeschaltet. Sein Theateranspruch (und der Andrea Breths) setzt
ganz hoch an und will ganz hoch (und ganz tief) hinaus auf den uranfänglichen Sündenfall,
auf den kosmischen Sturz des Menschen aus allen metaphysischen Sicherungen, kurz: auf
die wohlbekannte faustische Theaterreise vom Himmel durch die Welt zur Hölle.
Andrea Breth hat dem Text dabei viel zugemutet, weit mehr, als Kleists holländisch
drapierter, preußischer Dorfgeschichte über streitsüchtige Bauern und einen
körperbehinderten Lüstling von Richter üblicherweise abgewonnen wird. Die Regisseurin
wollte das Lustspiel philosophisch in die Pflicht nehmen: als Beweisstück für ihre
Hypothese, Kleist habe im "Zerbrochnen Krug" seine sogenannte "Kant-Krise" von 1801
dramatisieren wollen. Jene Glaubens- und Sinnkrise, in der sein frommes Weltvertrauen
durch Kant-Lektüre zu Bruch ging.
Fragt sich nur, ob das geht - und ob das gut geht. (Ganz abgesehen davon, daß Kleist
unmittelbar nach seiner Kant-Krise mehr an "Robert Guiskard" und an der "Familie
Schroffenstein" gearbeitet zu haben scheint denn am "Krug".) Zu fragen wäre: Kann Kleists
zügig und straff gebauter Einakter soviel Tiefgründigkeit (und Tiefgründlichkeit) - die in der
Brethschen Interpretation immerhin vier Stunden mit Pause währt - überhaupt tragen? (...)
Aber kein Licht in dieser Dunkelheit, keine Klarheit, kein Recht. Der Fall Krug ist ein Fall
Adam (und zugleich Adams Fall). Dennoch sieht der Dorfrichter dem Lauf der Dinge mit
Gefaßtheit zu. Mit Bäffchen und Kneifer und notdürftig gepuderter Glatze hat sich Traugott
Buhre an seinem Katastrophen-Morgen doch noch respektabel gemacht. Er präsidiert dem
Verfahren mit seiner ganzen massigen Autorität, auch wenn sein Richterstuhl vor einem
schief zusammengebrochenen Richtertisch steht. Buhre spielt den Richter als schweren,
traurigen Wanst, um stoische Würde auch noch im Chaos ringend. Seinem Revisor, dem
visitierenden Gerichtsrat Walter, begegnet dieser Dorfrichter ohne falsche Duckmäuserei,
vielmehr mit erhobenem Dickkopf, von gleich zu gleich.
Wolfgang Gasser stattet den Justizreformer aus Utrecht mit einer magenkrankendünnlippigen Gnadenlosigkeit aus. In diesem Walter waltet kein göttlich-gütiger
Rechtsprecher, sondern ein zugeknöpfter, bleicher Rechthaber, ein unzugänglicher
Amtsträger, ein calvinistischer Doktrinär mit den scharfen Brillen eines Großinquisitors.
Adam ist ein plumper Unrechtsprecher aus Panik. Revisor Walter ist schlimmer: ein kalter
Rechtsbeuger aus Staatsräson. (...)
Nein, ein Happy-End kann es in diesem Huisum nicht geben. Das Glück ist zum Teufel
gegangen, wie der arme Teufel Adam, der zuschlechterletzt im Zeitlupentempo von den
Dörflern vertrieben, ja: exorziert wird. Worauf Revisor Walter durch sein zweideutiges
Verhalten erst selbst nach Kräften für Rechtsunsicherheit sorgt, ehe er dem Schreiber Licht,
dem Jochen Tovote ein bißchen viel schrille, boshaft-buckelnde, schleimziehende Häme
angedeihen ließ, die Amtsperücke überstülpt. In diesem Licht bekommt Huisum jedenfalls
einen Dorfrichter, bei dem "nichts Guts zu ahnden" der Zuschauer allen Anlaß hat.
Die zerbrochne DDR: der "Krug" im Deutschen Theater
In Ostberlin, am Deutschen Theater, hingegen wird uns, anders als in Wien, "wie der Krug
zerbrochen worden, umständlich nach dem Hergang" berichtet. Umständlich und langatmig.
Der Regisseur Thomas Langhoff läßt nämlich den Variant fast ungekürzt spielen. Nach der
tumultuösen Austreibung des Richters rücken die Dörfler ihre Stühle im Kreis zusammen,
um begierig Eves Erzählungen zu lauschen und Scherbengericht zu halten über Adam, der
mittlerweile draußen in der schneeigen Kälte vor dem Fenster rumort und gespenstert, ein
ruheloser Geist.
Eve (Ulrike Krumbiegels) Bericht ist aber auch die einzige Langatmigkeit in dieser ebenso
kurzangebundenen wie kurzweiligen „Krug“-Produktion, die pausenlos in wenig mehr als
zwei Stunden vonstatten geht. Auch in dieser Inszenierung ist mehr zerbrochen als nur ein
Krug. Aber während die Wiener Dramaturgie gleich ein philosophisches Weltbild zu Bruch
gehen läßt, häuft die Dramaturgie des Deutschen Theaters zum zerbrochnen Krug nur noch
die Scherben des kaputten DDR-Regimes. (...)
Im verkommenen Dorfe Husium soll die Rückständigkeit der DDR zu erkennen sein, "ein
Relikt der Vergangenheit, das so schnell wie möglich modernisiert werden muß" mindestens nach Ansicht der "maßgebenden Städte Utrecht und Den Haag"; als Sendbote
dieser neuen Ordnugn fungiert Gerichtsrat Walter, "der jedoch, wie sich zeigt, nicht: Recht
und Gerechtigkeit bringt, sondern Ansehen und Autorität des Staates einfordert und
erzwingt". Kurzum: "Ein mangelhafter Zustand wird durch einen anderen mangelhaften
Zustand ersetzt".
Ein klarer Fall demnach: Husium gleich DDR. Utrecht gleich BRD. „Frau Marthe und der
junge Mann Ruprecht, denen Unrecht getan wurde, werden auf den Instanzenweg geschickt.
Der neue Staat nimmt die Korruption des alten ohne weiteres in sich auf. Und das junge
Mädchen Eve, das zum Schluß mutig die Obrigkeit der Lüge und des Betrugs anklagt, wird
vom Vertreter dieser Obrigkeit zur Einsicht und Vernunft gebracht, nicht durch die
Wahrheit seiner Worte, sondern die Geschicklichkeit, mit der er diese äußert, nicht kraft
seiner Persönlichkeit, sondern durch die symbolische Macht des Geldes“.
Bei Thomas Langhoff hat man auch zu lachen
Zum Glück ist der Regisseur alles andere als ein platter Ideologe. Natürlich läßt sich Thomas
Langhoff keine aktuelle Anspielung entgehen, die der Kleist-Text plötzlich unverhofft
hergibt. Da wird Walters Hoffnung, der diskreditierte Kollege Adam werde „wohl auf
irgendeinem Platze noch zu erhalten sein“, zur sarkastisch belachten Pointe. Und auch
Adams liebedienerische Wie-hätten-Sie's-denn-gerne-Rechtsprecherei dürfte den vereinigten
Deutschen nur allzu vertraut in den Ohren klingen: „Wohlan, befehlt! Ich kann Recht so
jetzt, jetzo so erteilen“.
In seiner Kleist-Inszenierung läßt Thomas Langhoff all die brisanten politischen
Anzüglichkeiten zwar nebenher mitlaufen, aber die Dynamik dieser Regiearbeit wie auch ihr
Humor greifen weit komplexer und vielschichtiger nach den Realitäten, als eine bloße
tagesaktuelle Deutung vermöchte. Den Regisseur interessieren an Kleists Figuren vor allem
die Brüche und Widersprüche, die Binnen-Spannungen zwischen den Figuren und die
Binnen-Geflechte des Zusammenhalts dieser Dorfgesellschaft.
Während Breth in Wien voll angestrengten Symbol-Ernstes eine groß gedachte kosmische
Sündenfall-Geschichte erzählt, zeigt Langhoff in Berlin sehr virtuos und locker eine eher
klein gehaltene Dorfepisode und zwei Liebesgeschichten: zwischen Adam und Eve,
zwischen Eve und Ruprecht. Daß beide Männer dem unbedingten Lauterkeitsanspruch Eves
nicht gewachsen sind macht Langhoff wie beiläufig deutlich.
Jörg Gudzuhn: Clown Adam
Auch in Berlin wird Kleists dreifaches Wortspiel vom „Fall“ (Adams Sündenfall, die
Gerichts-Causa und der Sturz des Richters aus Eves Kammerfenster) beim Bild genommen.
Da sehen wir, im Morgengrauen, den Richter, noch ganz traumverloren und mit sehnsüchtig
ausgestreckten Armen, auf einem Stuhl balancieren, der auf seinem Richtertisch steht.
Prompt verliert Adam das Gleichgewicht und stürzt samt Suhl vom Tisch zu Boden. Ein
böser Fall. Und doch rappelt er sich gleich wieder hoch zu ein paar tapsigen, hinkenden
Tanzschritten ein bleichgeschminkter, kahlköpfiger Tölpel, der herumkaspert, wenn er sich
weh getan hat, ein bizarrer Sonderling mit einem Hang zu hintersinnigen Clownerien, bei
denen außer dem Gevatter Licht aber keiner so recht mithalten kann oder will.
Jörg Gudzuhn in Berlin widerspricht dem herkömmlichen Rollenbild vom bocksfüßigen,
feisten Lüstling und alten Steiger weit deutlicher als der schwergewichtige Traugott Buhre in
Wien. Hinter dem dicken Rollenklischee der dummdreisten Lüsternheit kehrt Gudzuhn den
etwas linkischen, doch nicht uncharmanten Hagestolz hervor.
Zweimal "Der zerbrochne Krug", ein flotter und ein langwieriger Fall und wo die Fallhöhe
größer ist, ob an der Burg oder im Deutschen Theater, das zu entscheiden, bleibt dem
sittlichen Ernst des Publikums anheimgestellt (...)
(Theater heute. 2/1991)
Anhang
Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden
Heinrich von Kleist (1805)
Wenn du etwas wissen willst und es durch Meditation nicht finden kannst, so rate ich dir,
mein lieber, sinnreicher Freund, mit dem nächsten Bekannten, der dir aufstößt, darüber zu
sprechen. Es braucht nicht eben ein scharfdenkender Kopf zu sein, auch meine ich es nicht
so, als ob du ihn darum befragen solltest: nein! Vielmehr sollst du es ihm selber allererst
erzählen. Ich sehe dich zwar große Augen machen, und mir antworten, man habe dir in
frühern Jahren den Rat gegeben, von nichts zu sprechen, als nur von Dingen, die du bereits
verstehst. Damals aber sprachst du wahrscheinlich mit dem Vorwitz, andere, ich will, daß
du aus der verständigen Absicht sprechest, dich zu belehren, und so können, für
verschiedene Fälle verschieden, beide Klugheitsregeln vielleicht gut nebeneinander
bestehen. Der Franzose sagt, l'appétit vient en mangeant, und dieser Erfahrungssatz bleibt
wahr, wenn man ihn parodiert, und sagt, l'idee vient en parlant.
Oft sitze ich an meinem Geschäftstisch über den Akten, und erforsche, in einer verwickelten
Streitsache, den Gesichtspunkt, aus welchem sie wohl zu beurteilen sein möchte. Ich pflege
dann gewöhnlich ins Licht zu sehen, als in den hellsten Punkt, bei dem Bestreben, in
welchem mein innerstes Wesen begriffen ist, sich aufzuklären. Oder ich suche, wenn mir
eine algebraische Aufgabe vorkommt, den ersten Ansatz, die Gleichung, die die gegebenen
Verhältnisse ausdrückt, und aus welcher sich die Auflösung nachher durch Rechnung leicht
ergibt. Und siehe da, wenn ich mit meiner Schwester davon rede, welche hinter mir sitzt,
und arbeitet, so erfahre ich, was ich durch ein vielleicht stundenlanges Brüten nicht
herausgebracht haben würde. Nicht, als ob sie es mir, im eigentlichen Sinne, sagte; den sie
kennt weder das Gesetzbuch, noch hat sie den Euler, oder den Kästner studiert. Auch nicht,
als ob sie mich durch geschickte Fragen auf den Punkt hinführte, auf welchen es ankommt,
wenn schon dies letzte häufig der Fall sein mag. Aber weil ich doch irgendeine dunkle
Vorstellung habe, die mit dem, was ich suche, von fern her in einiger Verbindung steht, so
prägt, wenn ich nur dreist damit den Anfang mache, das Gemüt, während die Rede
fortschreitet, in der Notwendigkeit, dem Anfang nun auch ein Ende zu finden, jene
verworrene Vorstellung zur völligen Deutlichkeit aus, dergestalt, daß die Erkenntnis zu
meinem Erstaunen mit der Periode fertig ist. Ich mische unartikulierte Töne ein, ziehe die
Verbindungswörter in die Länge, gebrauche wohl eine Apposition, wo sie nicht nötig wäre,
und bediene mich anderer, die Rede ausdehnender, Kunstgriffe, zur Fabrikation meiner Idee
auf der Werkstätte der Vernunft, die gehörige Zeit zu gewinnen. Dabei ist mir nichts
heilsamer, als eine Bewegung meiner Schwester, als ob sie mich unterbrechen wollte; denn
mein ohnehin schon angestrengtes Gemüt wird durch diesen Versuch von außen, ihm die
Rede, in deren Besitz es sich befindet, zu entreißen, nur noch mehr erregt, und in seiner
Fähigkeit, wie ein großer General, wenn die Umstände drängen, noch um einen Grad höher
gespannt. In diesem Sinne begreife ich, von welchem Nutzen Moliere seine Magd sein
konnte; denn wenn er derselben, wie er vorgibt, ein Urteil zutraute, das das seinige berichten
konnte, so ist dies eine Bescheidenheit, an deren Dasein in seiner Brust ich nicht glaube. Es
liegt ein sonderbarer Quell der Begeisterung für denjenigen, der spricht, in einem
menschlichen Antlitz, das ihm gegenübersteht; und ein Blick, der uns einen halb
ausgedrückten Gedanken schon als begriffen ankündigt, schenkt uns oft den Ausdruck für
die ganz andere Hälfte desselben.
Ich glaube, daß mancher großer Redner, in dem Augenblick, da er den Mund aufmachte,
noch nicht wußte, was er sagen würde. Aber die Überzeugung, daß er die ihm nötige
Gedankenfülle schon aus den Umständen, und der daraus resultierenden Erregung seines
Gemüts schöpfen würde, machte ihn dreist genug, den Anfang, auf gutes Glück hin, zu
setzen.
Mir fällt jener »Donnerkeil« des Mirabeau ein, mit welchem er den Zeremonienmeister
abfertigte, der nach Aufhebung der letzten monarchischen Sitzung des Königs am 23ten Juni,
in welcher dieser den Ständen auseinanderzugehen anbefohlen hatte, in den Sitzungssaal, in
welchem die Stände noch verweilten, zurückkehrte, und sie befragte, ob sie den Befehl des
Königs vernommen hätten? »Ja«, antwortete Mirabeau, »wir haben des Königs Befehl
vernommen« - ich bin gewiß, daß er, bei diesem humanen Anfang, noch nicht an die
Bajonette dachte, mit welchen er schloß: »ja, mein Herr«, wiederholte er, »wir haben ihn
vernommen« - man sieht, daß er noch gar nicht recht weiß, was er will. »Doch was berechtigt
Sie« - fuhr er fort, und nun plötzlich geht ihm ein Quell ungeheurer Vorstellungen auf - »uns
hier Befehle anzudeuten? Wir sind die Repräsentanten der Nation.« - Das war es, was er
brauchte! »Die Nation gibt Befehle und empfängt keine« - um sich gleich auf den Gipfel der
Vermessenheit zu schwingen. »Und damit ich mich ihnen ganz deutlich erkläre« - und erst
jetzo findet er, was den ganzen Widerstand, zu welchem seine Seele gerüstet dasteht,
ausdrückt: »So sagen Sie Ihrem Könige, daß wir unsere Plätze anders nicht, als auf die
Gewalt der Bajonette verlassen werden.« - Worauf er sich, selbstzufrieden, auf einen Stuhl
niedersetzte. - Wenn man an den Zeremonienmeister denkt, so kann man sich ihn bei diesem
Auftritt nicht anders, als in einem völligen Geistesbankerott vorstellen; nach einem
ähnlichen Gesetz, nach welchem in einem Körper, der von einem elektrischen Zustand Null
ist, wenn er in eines elektrisierten Körpers Atmosphäre kommt, plötzlich die
entgegengesetzte Elektrizität erweckt wird. Und wie in dem elektrisierten dadurch, nach
einer Wechselwirkung, der in ihm inwohnende Elektrizitätsgrad wieder verstärkt wird, so
ging unseres Redners Mut, bei der Vernichtung seines Gegners, zur verwegensten
Begeisterung über. Vielleicht, daß es auf diese Art zuletzt das Zucken einer Oberlippe war,
oder ein zweideutiges Spiel an der Manschette, was in Frankreich den Umsturz der Ordnung
der Dinge bewirkte. Man liest, daß Mirabeau sobald der Zeremonienmeister sich entfernt
hatte, aufstand, und vorschlug: 1) sich sogleich als Nationalversammlung, und 2) als
unverletzlich, zu konstituieren. Denn dadurch, daß er sich, einer Kleistischen Flasche gleich,
entladen hatte, war er nun wieder neutral geworden, und gab, von der Verwegenheit
zurückgekehrt, plötzlich der Furcht vor dem Chatelet, und der Vorsicht, Raum.
Dies ist eine merkwürdige Übereinstimmung zwischen den Erscheinungen der physischen
und moralischen Welt, welche sich, wenn man sie verfolgen wollte, auch noch in den
Nebenumständen bewähren würde. Doch ich verlasse mein Gleichnis, und kehre zur Sache
zurück.
Auch Lafontaine gibt, in seiner Fabel: les animaux malades de la peste, wo der Fuchs dem
Löwen eine Apologie zu halten gezwungen ist, ohne zu wissen, wo er den Stoff dazu
hernehmen soll, ein merkwürdiges Beispiel von einer allmählichen Verfertigung des
Gedankens aus einem in der Not hingesetzten Anfang. Man kennt diese Fabel. Die Pest
herrscht im Tierreich, der Löwe versammelt die Großen desselben, und eröffnet ihnen, daß
dem Himmel, wenn er besänftigt werden solle, ein Opfer fallen müsse. Viel Sünder seien im
Volke, der Tod des größesten müsse die übrigen vom Untergang retten. Sie möchten ihm
daher ihre Vergehungen aufrichtig bekennen. Er, für sein Teil, gestehe, daß er, im Drange
des Hungers, manchem Schafe den Garaus gemacht; auch dem Hunde, wenn er ihm zu nahe
gekommen; ja, es sei ihm in leckerhaften Augenblicken zugestoßen, daß er den Schäfer
gefressen. Wenn niemand sich größerer Schwachheiten sich schuldig gemacht habe, so sei er
bereit zu sterben. »Sire«, sagt der Fuchs, der das Ungewitter von sich ableiten will, »Sie sind
zu großmütig. Ihr edler Eifer führt Sie zu weit. Was ist es, ein Schaf erwürgen? Oder ein
Hund, diese nichtswürdige Bestie? Und: quant au berger«, fährt er fort, denn dies ist der
Hauptpunkt: »On peut dire«; obschon er noch nicht weiß, was? »qu'il méritoit tout mal«; auf
gut Glück; und somit ist er verwickelt; »etant«; eine schlechte Phrase, die ihm aber Zeit
verschafft: »de ces gens la«, nun erst findet er den Gedanken, der ihn aus der Not reißt: »qui
sur les animaux se font un chimerique empire«. Und jetzt beweist er, daß der Esel, der
blutdürstige! (der alle Kräuter auffrißt), das zweckmäßigste Opfer sei, worauf alle über ihn
herfallen, und ihn zerreißen.
Ein solches Reden ist wahrhaft lautes Denken. Die Reihen der Vorstellungen und ihrer
Bezeichnungen gehen nebeneinander fort, und die Gemütsakte, für eins und das andere,
kongruieren. Die Sprache ist alsdann keine Fessel, etwa wie ein Hemmschuh an dem Rade
des Geistes, sondern wie ein zweites mit ihm parallel fortlaufendes, Rad an seiner Achse.
Etwas ganz anderes ist es, wenn der Geist schon, vor aller Rede, mit dem Gedanken fertig
ist. Denn dann muß er bei seiner bloßen Ausdrückung zurückbleiben, und dies Geschäft,
weit entfernt ihn zu erregen, hat vielmehr keine andere Wirkung, als ihn von seiner
Erregung abzuspannen. Wenn daher eine Vorstellung verworren ausgedrückt wird, so folgt
der Schluß noch gar nicht, daß sie auch verworren gedacht worden sei; vielmehr könnte es
leicht sein, daß die verworrenst ausgedrückten gerade am deutlichsten gedacht werden.
Man sieht oft in einer Gesellschaft, wo, durch ein lebhaftes Gespräch, eine kontinuierliche
Befruchtung der Gemüter mit Ideen im Werk ist, Leute, die sich, weil sie sich der Sprache
nicht mächtig fühlen, sonst in der Regel zurückgezogen halten, plötzlich, mit einer
zuckenden Bewegung aufflammen, die Sprache an sich reißen und etwas Unverständliches
zur Welt bringen. Ja, sie scheinen, wenn sie nun die Aufmerksamkeit aller auf sich gezogen
haben, durch ein verlegnes Gebärdenspiel anzudeuten, daß sie selbst nicht mehr recht
wissen, was sie haben sagen wollen. Es ist wahrscheinlich, daß diese Leute etwas recht
Treffendes, und sehr deutlich, gedacht haben. Aber der plötzliche Geschäftswechsel, der
Übergang ihres Geistes vom Denen zum Ausdrücken, schlug die ganze Erregung desselben,
die zur Festaltung des Gedankens notwendig, wie zum Hervorbringen, erforderlich war,
wieder nieder. In solchen Fällen ist es um so unerläßlicher, daß uns die Sprache mit
Leichtigkeit zur Hand sei, um dasjenige, was wir gleichzeitig gedacht haben, und doch nicht
gleichzeitig von uns geben können, wenigstens so schnell als möglich, aufeinander folgen zu
lassen. Und überhaupt wird jeder, der, bei gleicher Deutlichkeit, geschwinder als sein
Gegner spricht, einen Vorteil über ihn haben, weil er gleichsam mehr Truppen als er ins Feld
führt.
Wie notwendig eine gewisse Erregung des Gemüts ist, auch selbst nur, um Vorstellungen,
die wir schon gehabt haben, wieder zu erzeugen, sieht man oft, wenn offene, und
unterrichtete Köpfe examiniert werden, und man ihnen, ohne vorhergegegangene
Einleitung, Fragen vorlegt, wie diese: was ist der Staat? Oder: was ist das Eigentum? Oder
dergleichen. Wenn diese jungen Leute in einer Gesellschaft befunden hätten, wo man sich
vom Staat, oder vom Eigentum, schon eine Zeit lang unterhalten hätte, so würden sie
vielleicht mit Leichtigkeit, durch Vergleichung, Absonderung und Zusammenfassung der
Begriffe, die Definition gefunden haben. Hier aber, wo die Vorbereitung des Gemüts
gänzlich fehlt, sieht man sie stocken, und nur ein unverständiger Examinator wird daraus
schließen, daß sie nicht wissen. Denn nicht wir wissen, es ist allererst ein gewisser Zustand
unsrer, welcher weiß. Nur ganz gemeine Geister, Leute, die, was der Staat sei, gestern
auswendig gelernt, und morgen schon wieder vergessen haben, werden hier mit Antwort
bei der Hand sein. Vielleicht gibt es überhaupt keine schlechtere Gelegenheit, sich von einer
vorteilhaften Seite zu zeigen, als grade eine öffentliches Examen. Abgerechnet, daß es schon
widerwärtig und das Zartgefühl verletzend ist, und daß es reizt, sich stetig zu zeigen, wenn
solch ein gelehrter Roßkamm nach den Kenntnissen sieht, um uns, je nachdem es fünf oder
sechs sind, zu kaufen oder wieder abtreten zu lassen: es ist so schwer, auf ein menschliches
Gemüt zu spielen und ihm seinen eigentümlichen Laut abzulocken, es verstimmt sich so
leicht unter ungeschickten Händen, daß selbst der geübteste Menschenkenner, der in der
Hebeammenkunst der Gedanken, wie Kant sie nennt, auf das meisterhafteste bewandert
wäre, hier noch, wegen der Unbekanntschaft mit seinem Sechswöchner Mißgriffe tun
könnte. Was übrigens solchen jungen Leuten, auch selbst den unwissendsten noch, in den
meisten Fällen ein gutes Zeugnis verschafft, ist der Umstand, daß die Gemüter der
Examinatoren, wenn die Prüfung öffentlich geschieht, selbst zu sehr befangen sind, um ein
freies Urteil fällen zu können. Denn nicht nur fühlen sie häufig die Unanständigkeit dieses
ganzen Verfahrens: man würde sich schon schämen, von jemanden, daß er seine Geldbörse
vor uns ausschütte, zu fordern, viel weniger, seine Seele: sondern ihr eigener Verstand muß
hier eine gefährliche Musterung passieren, und sie mögen oft ihrem Gott danken, wenn sie
selbst aus dem Examen gehen können, ohne sich Blößen, schmachvoller vielleicht, als der,
eben von der Universität kommende, Jüngling, gegeben zu haben, den sie examinierten.
Mentales Fast Food: Der Wikipedia-Eintrag zu Kleist
Heinrich von Kleist
Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist (* 18. Oktober, nach Kleists eigenen Angaben 10. Oktober
1777 in Frankfurt (Oder); † 21. November 1811 am Stolper Loch (heute kleiner Wannsee) bei
Berlin) war ein deutscher Dramatiker, Erzähler, Lyriker und Publizist. Kleist stand als
„Außenseiter im literarischen Leben seiner Zeit […] jenseits der etablierten Lager“[1] und
der Literaturepochen der Weimarer Klassik und der Romantik. Bekannt ist er vor allem für
das „historische Ritterschauspiel“ Das Käthchen von Heilbronn, seine Lustspiele Der
zerbrochne Krug und Amphitryon, das Trauerspiel Penthesilea sowie für seine Novellen
Michael Kohlhaas und Die Marquise von O …
Familie, Ausbildung, Militärdienst (1777–1799)
Heinrich von Kleist entstammte einer Familie des pommerschen Uradels, dem in Preußen
eine herausgehobene Stellung zukam. Zahlreiche Generäle und Feldmarschälle, viele
Gutsbesitzer, aber auch etliche Gelehrte und hohe Diplomaten hießen Kleist. Kleists Vater,
Joachim Friedrich von Kleist (* 1728; † 1788), diente als Stabskapitän beim Regiment zu Fuß
Prinz Leopold von Braunschweig in der Garnisonsstadt Frankfurt an der Oder. Aus einer
ersten Ehe mit Caroline Luise, geb. von Wulffen († 1774), gingen die beiden Halbschwestern
Kleists, Wilhelmine, genannt Minette, und Ulrike Philippine hervor, der Kleist später sehr
nahe stand. Joachim Friedrich heiratete 1775 in zweiter Ehe Juliane Ulrike, geb. von
Pannwitz (* 1746; † 1793), die die Kinder Friederike, Auguste Katharina, Heinrich und
schließlich noch dessen jüngere Geschwister Leopold Friedrich und Juliane, genannt Julchen,
gebar.
Nach dem Tod seines Vaters 1788 wurde Kleist in Berlin
in der Pension des reformierten Predigers Samuel
Heinrich Catel erzogen. Kleist wurde wahrscheinlich
durch Catel, der zugleich Professor am Französischen
Gymnasium war, auf die Werke der klassischen Dichter
und der zeitgenössischen Philosophen der Aufklärung
aufmerksam, mit denen er sich während seiner
Militärzeit weiter auseinandersetzte.
Im Juni 1792 trat der junge Kleist getreu seiner
Familientradition in das 3. Bataillon des
Garderegiments zu Potsdam ein. Unter Generalinspekteur Ernst von Rüchel nahm er am
Rheinfeldzug gegen Frankreich sowie an der Belagerung der ersten bürgerlichen Republik
auf deutschem Boden in Mainz teil. Trotz wachsender Zweifel am Soldatendasein verblieb
Kleist im Militär und wurde 1795 zum Fähnrich und 1797 zum Leutnant befördert. Privat
jedoch nahm er zusammen mit seinem Freund Rühle von Lilienstern mathematische und
philosophische Studien in Potsdam auf und erwarb sich den Universitätszugang. 1797
verkauften er und seine Geschwister den ererbten väterlichen Besitz, das kleine Rittergut
Guhrow im Spreewald, für 30.000 Taler, wovon er nach seiner Großjährigkeit im Oktober
1801 über ein Siebtel verfügte.
Wappen der Familie von Kleist
Im März 1799 äußerte er die Absicht, den als unerträglich empfundenen Militärdienst
aufzugeben und seinen Lebensplan, auch gegen den zu erwartenden Widerstand der
Familie, nicht auf Reichtum, Würden, Ehren, sondern auf die Ausbildung des Geistes zu
gründen und ein wissenschaftliches Studium aufzunehmen.
Studium und erste Anstellung (1799–1801)
Nach seiner erbetenen und gegen den Widerstand Ernst von Rüchels bewilligten Entlassung
aus dem Militär begann Kleist im April 1799 in Frankfurt an der Oder an der Viadrina neben
Mathematik als Hauptfach Physik, Kulturgeschichte, Latein und – zur Beruhigung seiner
Verwandten – Kameralwissenschaften zu studieren.
Besonders interessierte er sich für den Physikunterricht
bei Professor Christian Ernst Wünsch, der ihm auch
Privatunterricht in Experimentalphysik erteilte. Wie für
nicht wenige andere Autoren der Zeit (beispielsweise
Goethe, Achim von Arnim und Novalis) waren für ihn
die Naturwissenschaften im Sinne der Aufklärung ein
objektives Mittel, sich selbst, die Gesellschaft und die
Welt zu erkennen – und zu verbessern. Die
hoffnungsvoll begonnene wissenschaftliche
Ausbildung vermochte Kleist jedoch schon bald nicht
mehr voll zu befriedigen; das Buchwissen reichte ihm
nicht aus. Mit dieser Haltung fand Kleist wenig
Verständnis in seiner Umwelt. 1799 lernte er die
Generalstochter Wilhelmine von Zenge kennen, mit der
er sich bereits Anfang 1800 verlobte.
Wilhelmine von Zenge, Kleists Verlobte, anonyme Miniatur (um 1800)
1800 brach er nach nur drei Semestern das Studium wieder ab und begann eine Tätigkeit als
Volontär im preußischen Wirtschaftsministerium in Berlin, obwohl dies seinem Verständnis
eines Lebensplanes „freier Geistesbildung“ nicht entsprach. Hintergrund der Entscheidung
war seine Verlobung. Die Familie der Braut forderte, dass Kleist ein Staatsamt bekleide. Für
das Ministerium war Kleist im Sommer 1800 in geheimer Mission – vermutlich als
Wirtschaftsspion – unterwegs.
Die berufliche, soziale und individuelle Problematik („das Leben ist ein schweres Spiel …,
weil man beständig und immer von neuem eine Karte ziehen soll und doch nicht weiß, was
Trumpf ist;“ – Brief an die Halbschwester Ulrike vom 5. Februar 1801)[2] verdichtete sich
vermutlich vor dem Hintergrund der Lektüre von Kants Kritik der Urteilskraft zur „Kant-
Krise“ – so ein umstrittener Begriff der älteren Kleistforschung. In Orientierung an Kants
Kritik an allzu simplen Vorstellungen der Aufklärung sah Kleist seinen geradlinigen, rein
vernunftorientierten Lebensplan über Nacht obsolet geworden. In einem berühmten Brief an
Wilhelmine vom 22. März 1801 notierte Kleist:
„Wir können nicht entscheiden, ob das was wir Wahrheit nennen, wahrhaftig Wahrheit ist
oder ob es uns nur so scheint (…) Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, ich habe
nun keines mehr –[2]“
Kleist berief sich auf eine durch die Lektüre Immanuel Kants ausgelöste Krise, um einer von
Zögern, Scheitern und falschen Entscheidungen geprägten Lebensphase eine philosophische
Rechtfertigung zu geben.
Die Briefe, die er vor dem 22. März 1801 geschrieben hatte, lassen jedoch deutlich erkennen,
dass „er sich schon Monate vor der sogenannten Kant-Krise von den Wissenschaften
abwandte, und keineswegs, weil er grundsätzlich an den Möglichkeiten sicherer Erkenntnis
zweifelte, sondern weil die Beschäftigung mit den Wissenschaften den Reiz für ihn verloren
hatte.“[3] Die von der älteren Forschung postulierte These der vollständigen Wandlung der
kleistschen Persönlichkeit ausschließlich aufgrund philosophischer Lektüre wurde später
relativiert. Die Lebenskrise, die wesentlich dem Überdruss an einengenden
Spezialisierungszwängen geschuldet war, suchte Kleist mittels einer ausgedehnten Reise
nach Frankreich zu überwinden.
Paris und Thun (Schweiz) (1801–1804)
Im Frühjahr 1801 reiste er zusammen mit seiner Schwester Ulrike über Dresden nach Paris.
Doch angesichts der von ihm als ‚sittenlos‘ empfundenen Hauptstadt schienen ihm die
Werke der französischen Aufklärung (Helvétius, Voltaire, Jean-Jacques Rousseau) durch die
für ihn irrationale Wirklichkeit das Gegenteil ihrer Absicht zu bewirken (Brief an Wilhelmine
vom 15. August 1801).[2] Abermals verarbeitete Kleist seine enttäuschenden Erfahrungen als
Zweifel an der Eindeutigkeit der Vernunft und dem geschichtlichen Wollen. Durch seine
Rousseau-Lektüre sah er sich angeregt, ein bäuerliches Leben zu führen: „Ein Feld zu
bebauen, einen Baum zu pflanzen, und ein Kind zu zeugen“ (Brief vom 10. Oktober 1801 an
Wilhelmine).[2]
Ab April 1802 wohnte er auf der Scherzliginsel in der Aare bei Thun in der Schweiz. Es kam
zum Bruch mit Wilhelmine, die nicht seinen Vorstellungen gemäß als Bäuerin mit ihm
zusammenleben wollte. Er arbeitete nun an dem bereits in Paris unter dem Titel Die Familie
Ghonorez begonnenen Trauerspiel Die Familie Schroffenstein, schrieb weiter an seinem
Trauerspiel Robert Guiskard Herzog der Normänner und begann mit dem Lustspiel Der
zerbrochne Krug.
Im Frühjahr 1803 reiste Kleist nach Deutschland. In Dresden lernte er unter anderen
Friedrich de la Motte Fouqué kennen und traf seinen Jugendfreund Ernst von Pfuel wieder.
Zusammen mit von Pfuel reiste Kleist abermals nach Paris. Dort verbrannte er die
fertiggestellten Teile des Guiskard in tiefer Verzweiflung darüber, seine konzeptionellen
Vorstellungen nicht realisieren zu können. „Der Himmel versagt mir den Ruhm, das größte
der Güter der Erde!“ schrieb er am 26. Oktober 1803 an Ulrike. Kleist fasste daraufhin den
Entschluss, in der französischen Armee gegen England zu kämpfen, „um den Tod in der
Schlacht zu sterben“, wurde aber durch einen Bekannten dazu überredet, nach Potsdam
zurückzukehren. Im Dezember 1803 war Kleist wieder in Deutschland und beantragte in
Berlin eine Anstellung im diplomatischen Dienst.
Königsberg (1804–1807)
Nach einer kurzen Tätigkeit im von Karl Freiherr vom Stein zum Altenstein geleiteten
Finanzdepartment Mitte 1804 arbeitete er ab dem 6. Mai 1805 auf dessen Empfehlung als
Diätar (Beamter im Vorbereitungsdienst ohne festes Gehalt) in Königsberg und sollte sich bei
dem Staats- und Wirtschaftstheoretiker Christian Jacob Kraus in Kameralistik ausbilden
lassen. In Königsberg traf er unter anderem die inzwischen mit dem Philosophieprofessor
Wilhelm Traugott Krug verheiratete Wilhelmine wieder. Kleist vollendete den Zerbrochnen
Krug und arbeitete an dem Lustspiel Amphitryon, dem Trauerspiel Penthesilea und an den
Erzählungen Michael Kohlhaas und Das Erdbeben in Chili.
Im August 1806 teilte Kleist seinem Freund Rühle von Lilienstern seine Absicht mit, aus dem
Staatsdienst zu scheiden, um sich nunmehr durch „dramatische Arbeiten“ zu ernähren. Auf
dem Wege nach Berlin wurden Kleist und seine Begleiter im Januar 1807 von den
französischen Behörden als angebliche Spione verhaftet und zunächst in das Fort de Joux bei
Pontarlier und dann in das Kriegsgefangenenlager Châlons-sur-Marne transportiert. Dort
schrieb er vermutlich die Novelle Die Marquise von O… und arbeitete weiter an der
Penthesilea.
Dresden (1807–1809)
Nach seiner Freilassung reiste er über Berlin nach Dresden (ab Ende August 1807), wo er
unter anderem Schillers Freund Christian Gottfried Körner, die Romantiker Ludwig Tieck,
Gotthilf Heinrich von Schubert, Caspar David Friedrich und vor allem den Staats- und
Geschichtsphilosophen Adam Heinrich Müller sowie den Historiker Friedrich Christoph
Dahlmann kennen lernte. Zusammen mit Müller gab Kleist ab Januar 1808 das Journal für
die Kunst (so der Untertitel) Phöbus heraus. Das erste Heft mit dem Beitrag Fragment aus
dem Trauerspiel: Penthesilea sandte er unter anderem Goethe zu, der in einem
Antwortschreiben seine Verwunderung und sein Unverständnis bekundete.
Im Dezember 1808 vollendete Kleist unter dem Eindruck des Widerstands Spaniens gegen
Napoleon, der Besetzung Preußens und der Anfänge des österreichischen Freiheitskampfes
das Drama Die Hermannsschlacht. Gegenstand des Dramas, mit dem Kleist den seit dem 16.
Jahrhundert bestehenden Arminius-Kult in der deutschen Literatur aufgriff, war die
Varusschlacht, in der im Herbst des Jahres 9 n. Chr. drei römischen Legionen in einer
vernichtenden Niederlage gegen ein germanisches Heer unter Führung des Arminius
untergegangen waren.
In der Hoffnung auf einen erstarkenden Widerstand gegen Napoleon reiste Kleist
zusammen mit Dahlmann über Aspern, wo Napoleon einige Tage zuvor besiegt worden
war, am 21./22. Mai 1809 nach Prag. Hier bekamen Kleist und Dahlmann Zugang zu
österreichisch-patriotischen Kreisen und planten, ein Wochenblatt mit dem Titel Germania
herauszugeben. Es sollte ein Organ der „deutschen Freiheit“ werden. Wegen der
Kapitulation Österreichs blieb das Projekt unverwirklicht. In dieser Zeitschrift sollten seine
sogenannten politischen Schriften Was gilt es in diesem Kriege?, Katechismus der Deutschen
abgefasst nach dem Spanischen, zum Gebrauch für Kinder und Alte, das Lehrbuch der
französischen Journalistik, Satiren und die Ode Germania an ihre Kinder erscheinen.
Im November traf Kleist in Frankfurt (Oder) ein und fuhr einen Monat später wieder nach
Berlin, wo er sich mit einer kurzen Unterbrechung bis zu seinem Tod aufhielt.
Berlin (1809–1811)
In Berlin schloss Kleist unter anderem Bekanntschaft mit Achim von Arnim, Clemens
Brentano, Joseph von Eichendorff, Wilhelm Grimm, Karl August Varnhagen von Ense und
Rahel Varnhagen. Im April 1810 erschien der erste Band seiner Erzählungen (Michael
Kohlhaas, Die Marquise von O…, Das Erdbeben in Chili) und im September Das Käthchen
von Heilbronn, dessen Aufführung Iffland als Direktor der Berliner Bühne jedoch ablehnte.
Nach der Einstellung des Phöbus initiierte Kleist ab dem 1. Oktober 1810 ein neues
Zeitungsprojekt: die Berliner Abendblätter. Die Abendblätter waren ein täglich
erscheinendes Zeitungsblatt mit lokalen Nachrichten, als dessen Zweck die Unterhaltung
aller Stände des Volkes und die Beförderung der Nationalsache angegeben wurde. Als
Autoren schrieben hier so Prominente wie Ernst Moritz Arndt, Achim von Arnim, Clemens
Brentano, Adelbert von Chamisso, Otto August Rühle von Lilienstern, Friedrich Karl von
Savigny und Friedrich August von Staegemann. Kleist selbst veröffentlichte unter anderem
seine Abhandlungen Gebet des Zoroaster, Betrachtungen über den Weltlauf, Brief eines
Malers an seinen Sohn, Allerneuester Erziehungsplan und vor allem Über das
Marionettentheater in den Abendblättern. Als Besonderheit und Publikumsmagnet erwies
sich Kleists Veröffentlichung aktueller Polizeiberichte.
Im Frühjahr 1811 musste die Herausgabe der Zeitung wegen verschärfter
Zensurbestimmungen eingestellt werden. Als sein Versuch scheiterte, eine Anstellung in der
preußischen Verwaltung zu erlangen, und auch sein 1809 begonnenes Schauspiel Prinz von
Homburg bis 1814 mit einem Aufführungsverbot durch Friedrich Wilhelm III. belegt wurde,
musste Kleist innerhalb kurzer Zeit einige Erzählungen schreiben, um sich den
Lebensunterhalt zu sichern. Diese Werke wurden in einem zweiten Band mit Erzählungen
zusammengefasst, der unter anderem Das Bettelweib von Locarno und Die Verlobung in St.
Domingo enthält.
Nahezu mittellos und innerlich „so wund, daß mir, ich möchte fast sagen, wenn ich die Nase
aus dem Fenster stecke, das Tageslicht wehe tut, das mir darauf schimmert“ (Brief an Marie
von Kleist vom 10. November 1811) nahmen die Gedanken an einen Suizid überhand. Er
suchte und fand eine Begleiterin für diesen Weg, die an Krebs erkrankte Henriette Vogel. Mit
deren Einverständnis erschoss Kleist am 21. November 1811 am Stolper Loch, dem heutigen
Kleinen Wannsee, im Südwesten Berlins zuerst seine Begleiterin und dann sich selbst. In
seinen Abschiedsbriefen äußerte Kleist hinsichtlich seiner Bestattung keine Wünsche; es war
Henriette Vogel, die um eine gemeinsame Bestattung „in der sicheren Burg der Erde“ bat.[4]
[5] Begraben wurden Kleist und Henriette Vogel an Ort und Stelle, da der Suizid damals
gesellschaftlich und kirchlich geächtet war[6], was eine Bestattung auf einem Friedhof
verbot, die in dieser Zeit in kirchlicher Verwaltung standen.
Das Kleistgrab unterhalb der Bismarckstraße (Wannsee) soll nach einem von der
Bundeskulturstiftung ausgeschriebenen Wettbewerb neu gestaltet werden.[7] [8] Dank einer
Spendenzusage der Berliner Verlegerin Ruth Cornelsen (Cornelsen Kulturstiftung) sollen das
Grabmal und seine Umgebung bis zum zweihundertsten Todestag des Paares 2011 renoviert
und mit Informationstafeln ausgestattet werden.[7][9]
Kleists Abschiedsbrief
Letzte Worte
An Ulrike von Kleist, 21. November 1811.
An Fräulein Ulrike von Kleist Hochwohlgeb. zu Frankfurt a. Oder.
Ich kann nicht sterben, ohne mich, zufrieden und heiter, wie ich bin, mit der ganzen Welt,
und somit auch, vor allen Anderen, meine theuerste Ulrike, mit Dir versöhnt zu haben. Laß
sie mich, die strenge Äußerung, die in dem Briefe an die Kleisten enthalten ist laß sie mich
zurücknehmen; wirklich, Du hast an mir gethan, ich sage nicht, was in Kräften einer
Schwester, sondern in Kräften eines Menschen stand, um mich zu retten: die Wahrheit ist,
daß mir auf Erden nicht zu helfen war. Und nun lebe wohl; möge Dir der Himmel einen Tod
schenken, nur halb an Freude und unaussprechlicher Heiterkeit dem meinigen gleich: das ist
der herzlichste und innigste Wunsch, den ich für Dich aufzubringen weiß.
Stimmings bei Potsdam.
d. – am Morgen meines Todes. DeinHeinrich.[2]
Gegen Ende des Abschiedsbriefes steht hier, wie auch in gedruckten Fassungen, „d.“ (d,
Punkt). Das hält ein Kenner wie Hans Joachim Kreutzer noch in seinem 2011 erschienenen
Buch „Heinrich von Kleist“ für „eine sonderbare (…) Wendung“[10]. Es dürfte sich jedoch
schlicht um die Abkürzung von lateinisch datum (wörtlich übersetzt „gegeben“, zu
verstehen als „geschrieben“) handeln, was zu Kleists Zeit durchaus geläufig war. Dafür
spricht auch eine genaue Betrachtung des Faksimiles: Das Zeichen unmittelbar hinter dem
„d“ ist so viel größer als Kleists sonstige Punkte, so dass es wie ein weiterer Buchstabe (mit
anschließendem Doppelpunkt) wirkt, und dieser Buchstabe liest sich wie der zweite von
„datum“.
Literaturgeschichtliche Bedeutung
Kleists Leben war geprägt vom ruhelosen Streben nach idealem Glück, das sich jedoch
immer wieder als trügerisch erwies, und dies spiegelt sich in seinem Werk wider.
Geistesgeschichtlich lässt sich Kleist allerdings nur schwer einordnen: Weder in den Kreis
der romantischen Theorie noch in den klassischen Diskurs kann man Autor und Werk ohne
weiteres eingliedern. Es sei an dieser Stelle auf Kleists kurze Schrift Über das
Marionettentheater hingewiesen. Die frühe Kleist-Forschung hat diesen Text stets als mehr
oder minder theoretische Abhandlung Kleists gelesen und versucht, denselben im Sinne der
ästhetischen Programmatik des romantischen Diskurses zu deuten. Neuere Versuche der
Interpretation – insbesondere jene, die einem dekonstruktivistischen Interesse entspringen –
betonen dementgegen das subversive Potenzial des Textes und sehen den zentralen Gehalt
in der spielerisch-ironischen Demontage des zeitgenössischen ästhetischidealphilosophischen Diskurses.
Ebenso wie man versucht, Kleist in die Strömungen der Romantik einzuordnen, wird auch
eine Affinität zwischen den Dramen Kleists und der klassischen Dichtung betont. Diese
Zuordnung beruht auf der stofflichen Wahl, denn mehrmals adaptiert Kleist antike
mythologische Inhalte, was eigentlich ein Kennzeichen klassischer Ästhetik ist, und hält sich
bei seiner Bearbeitung an den klassischen Dramenaufbau, wie überhaupt das Verfassen von
Dramen eher für die Dichter der Weimarer Klassik als die Dichter der Romantik
kennzeichnend ist. Zugleich werden aber in Kleists „klassischen“ Dramen die klassischen
Stilprinzipien in hohem Maße verletzt, wie schon die Stoffwahl belegt: Nicht mehr das
allgemein-menschliche, zivilisierende, klassisch-befriedete Element antiker Dichtung,
sondern das Besondere, Extreme und Grausame rückt in den Vordergrund.
Dramatisches Werk
Der zerbrochne Krug, Titelblatt der Erstausgabe (1811)
Kleists erste Tragödie Die Familie Schroffenstein (fertiggestellt 1803, uraufgeführt 1804 am
Grazer Nationaltheater) orientiert sich am Dramenstil Shakespeares und thematisiert die für
Kleists Schaffen zentralen Themen Schicksal vs. Zufall und subjektives (Vor-)Urteil vs.
objektive Wirklichkeit. Seine zweite Tragödie Penthesilea (1808) ist inspiriert von drei
antiken Tragödien des Euripides (Medea, Hippolytos und Die Bakchen). Sie handelt von
einer Amazonenkönigin, die in kriegerischer Weise auf einem Schlachtfeld vor Troja um den
griechischen Helden Achilles wirbt und dabei scheitert. Wegen der stilistisch gehobenen
Sprache, den damals nicht darstellbaren Kriegsszenen und der der antiken Tragödie
nachempfundenen Grausamkeit war dem Stück zu Kleists Lebzeiten kein Erfolg beschieden,
es wurde erst 1876 in Berlin uraufgeführt. Erfolgreicher als diese beiden Tragödien war
damals sein romantisches Schauspiel Das Käthchen von Heilbronn, oder Die Feuerprobe
1808, ein poetisches Drama voller Rätsel und mittelalterlichem Treiben, das sich seine
Popularität erhalten hat.
Im Komödienfach machte sich Kleist einen Namen mit Der zerbrochne Krug.[11] Die
Hermannsschlacht (1809) behandelt ein historisches Thema und ist zugleich voller
Referenzen auf die politischen Bedingungen seiner Zeit. In der Hermannsschlacht verleiht
Kleist seinem Hass auf die Unterdrücker seines Landes Ausdruck. Zusammen mit dem
Drama Prinz Friedrich von Homburg (siehe auch Friedrich II. (Hessen-Homburg)), einem
Höhepunkt des Kleistschen Schaffens, wurde das Stück erstmals 1821 von Ludwig Tieck in
Heinrich von Kleists hinterlassene Schriften veröffentlicht. Robert Guiskard, ein in großem
Maßstab konzipiertes Drama, blieb Fragment.
Erzählerisches Werk, Lyrik und weitere Schriften
Kleist war ein Meister in der Kunst der Erzählung. Michael Kohlhaas gilt als eine der
wichtigsten deutschsprachigen Erzählungen ihrer Zeit. Darin gibt der berühmte
Brandenburger Pferdehändler Kohlhase aus Luthers Tagen seine Familie, die
gesellschaftliche Position und sein sonstiges Hab und Gut auf, verletzt schließlich sogar
selbst die Rechtsnormen, nur um in einem relativ geringfügigen Streitfall, bei dem ihm ein
klares Unrecht zugefügt worden ist, Recht zu erhalten; ihm wird in der Erzählung ein
ambivalentes Denkmal gesetzt. Bedeutend sind weiterhin die Erzählungen Das Erdbeben in
Chili, Die Marquise von O… und Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik.
Kleist war zudem ein vaterlandsliebender, franzosenfeindlicher Dichter, was sich deutlich in
seinen Gedichten Germania an ihre Kinder und Kriegslied der Deutschen äußert. Das
Heilige Römische Reich Deutscher Nation bestand zu seiner Zeit zum Teil aus von
Frankreich besetzten und somit abhängigen Vasallenstaaten, die unter anderem
Truppenkontingente für die napoleonischen Eroberungskriege stellen mussten oder direkt
von Napoleon annektiert worden waren.
Im Gegensatz zu zeitgenössischen Gepflogenheiten hat Heinrich von Kleist keine
offenkundig ästhetisch-programmatische Schrift hinterlassen. Insbesondere das
Marionettentheater wurde auf seinen theoretisch-poetologischen Gehalt hin untersucht.
Doch wurde hierbei generell der fiktive Charakter des Gesprächs vernachlässigt: Es handelt
sich um einen Bericht über ein Gespräch, das zum Zeitpunkt der Wiedergabe bereits einige
Jahre zurückliegt. Nur unter Vorbehalt lässt sich in dem kurzen Aufsatz die Proklamation
der Wiedererlangung eines paradiesischen Zustandes erkennen. Besonders Hanna
Hellmann, die das Marionettentheater im Jahre 1911 wiederentdeckte, deutete diesen Text
im Sinne der romantischen Triade, die die dritte Stufe der menschlichen Entwicklung – d.h.
die Wiedererlangung des paradiesischen Zustandes – im Bereich der Kunst verwirklicht
sieht.
Wirkung
Das literarische Schaffen von Heinrich von Kleist hat auf seine Zeitgenossen und auf spätere
Leser eine widersprüchliche, aber nachhaltige Wirkung ausgeübt. „Die Zeitgenossen wurden
durch die Gewaltsamkeit der Bilder, die Maßlosigkeit der Gefühlsausbrüche, die Krassheit
der Situationen, die Missachtung schöner Konventionen mehr schockiert als durch die Kraft,
die rhythmische Dynamik, die weiten dramatischen Spannungsbögen und die poetische
Schönheit dieser Sprache angezogen.“[12] Im Laufe der widersprüchlichen
Rezeptionsgeschichte wurde Kleist von weltanschaulich gewissermaßen konträren
Gruppierungen für sich in Anspruch genommen. Er wurde gleichermaßen als verkannter
Vorbote der literarischen Moderne wie auch als bedeutender Streiter im Sinne der
nationalistischen und chauvinistischen Strömungen des Deutschen Kaiserreichs gedeutet.
Insbesondere seit der deutschen Reichsgründung von 1871 kam es zu wechselnden
Renaissancen und einer immer stärker werdenden politischen Inanspruchnahme Kleists.[13]
Kleist im Urteil seiner Zeitgenossen [Bearbeiten]Schon die erste Veröffentlichung Kleists, Die
Familie Schroffenstein in „der Geßnerischen Buchhandlung beym Schwanen“ 1802, zog
skeptische wie gleichermaßen wohlwollende Urteile der Zeitgenossen auf sich. Eine erste
ausführliche Rezension des anonym veröffentlichten Kleist-Erstlings stammt aus der Feder
des Dramatikers Ludwig Ferdinand Huber. Huber bekräftigte im März 1803, der unbekannte
Dichter habe seine anfängliche Skepsis durch die begeisterte Hoffnung zu ersetzen
vermocht, „daß endlich doch wieder ein rüstiger Kämpfer um den poetischen Lorbeer
aufstehe, wie ihn unser Parnaß gerade jetzt so sehr braucht“.[14] Trotz der einhellig
anerkannten, allerdings weiterer Entwicklung bedürftigen Begabung des Dichters fand das
Stück kaum Beachtung auf deutschen Bühnen. Vier Jahre vergingen, bis ein weiteres Werk
Kleists veröffentlicht wurde, das Lustspiel Amphitryon (1807), herausgegeben von Adam
Müller. Der Amphitryon, eine weitreichende Bearbeitung einer Vorlage von Molière und ein
Grenzgang zwischen den Nationalliteraturen, konnte angesichts des Einzugs Napoleons in
Berlin (27. Oktober 1806) nur geringe Resonanz verzeichnen. Die Kette der kleistschen
Veröffentlichungen riss dennoch bis Mitte 1811 nicht mehr ab.
Als folgenreich erwies sich die Uraufführung des Zerbrochnen Krugs am Weimarer
Hoftheater unter der Leitung Johann Wolfgang von Goethes, der dem Stück nach
zweimaliger Lektüre „außerordentliche Verdienste“ zugesprochen hatte.[15] Das von den
Zeitgenossen in seiner Weimarer Uraufführung am 2. März 1808 als langatmig und sperrig
empfundene Werk prägte die Haltung des zeitgenössischen Publikums Kleist gegenüber
nachhaltig. Kleists Schicksal als zeitgenössischer Bühnenautor war nach der missglückten
Uraufführung, zumal auf Goethes anspruchsvoller Reformbühne, weitgehend besiegelt.
Eine stark verfremdete, pantomimische Inszenierung von Ausschnitten der Penthesilea in
Berlin 1811 fiel ebenfalls beim Publikum durch, und auch als politischer Publizist („Phöbus“)
blieb Kleist der Erfolg versagt. Einzig die Erfolgsgeschichte des Kleist-Dramas Das Käthchen
von Heilbronn begann schon zu Lebzeiten des Dichters mit einer Wiener Aufführung vom
17. März 1810: „Allerdings war das Publikum – wie im übrigen das gesamte neunzehnte
Jahrhundert hindurch – von diesem Stück sehr viel stärker angetan als die Kritik, die allein
dem Genre schon skeptisch gegenüberstand. […] Diese immer wieder gemachte
Beobachtung faßte der Rezensent des Morgenblattes für gebildete Stände schließlich beinahe
lakonisch in der Formel ‚Kleist’s Käthchen von Heilbronn wird sehr verschieden beurtheilt,
aber immer stark besucht‘ zusammen […].“[16]
Nicht zuletzt wurde Kleist zu Lebzeiten zum Verhängnis, dass ihm die Sympathien der
urteilsbildenden und die öffentliche Kultur prägenden intellektuellen Elite seiner Zeit
überwiegend verwehrt blieben. Teilweise brachte er gerade potenzielle Förderer, auf deren
Unterstützung er angewiesen gewesen war, gegen sich auf. Durch gezielte Indiskretionen
über August Wilhelm Iffland, den mächtigen Generaldirektor der Königlichen Schauspiele
in Berlin, der eine Inszenierung des Käthchens abgelehnt hatte, verbaute er sich den Zugang
zu Berliner Theater und Publikum. Bis auf wenige Ausnahmen blieben dem Dramatiker
Kleist die Schauspielhäuser als zentrale Wirkungsstätten verschlossen.
Kleist-Renaissancen und Kleist-Mythos
Neben Kleists spektakulärem Suizid prägten vor allem die Folgen seines Ungeschicks im
Werben um geeignete Förderer Kleists Renommée und das Kleist-Bild über Jahrzehnte
hinweg negativ. Insbesondere Goethes Abwendung und der postume Abdruck nicht
autorisierter Goethe-Sentenzen über die „nordische Schärfe des Hypochonders“ Kleist durch
Johann Daniel Falk[17] wirkte in dieser Hinsicht negativ nach. Erst unter gewandelten
historischen Rahmenbedingungen kam es zu nachhaltigen Renaissancen der KleistRezeption, die die Wahrnehmung des Dichters dauerhaft verändern sollten. Seit der zweiten
Hälfte und verstärkt seit Ende des 19. Jahrhunderts wurden Kleists Dramen und
Erzählungen in den sehr unterschiedlichen Bezugsfeldern der deutschen Einigung wie auch
der literarischen Moderne Gegenstand gegensätzlicher Strömungen der Neuentdeckung.
„Innerhalb des seit den 1860er Jahren einsetzenden ideologischen Feldzuges, mit dem die
Befürworter Preußens die Deutschen zur Beförderung der geeinten Nation überzogen,
wurde Kleist ein gewichtiger […] Part angetragen: in ihm wollte man den Propheten des
werdenden Reiches erkennen und zugleich vorbildliches Preußen- wie Deutschtum
verkörpert sehen.“[18]
Die nationalistisch und chauvinistisch geprägte Vereinnahmung Kleists während des späten
19. Jahrhunderts fand später ihre Fortsetzung in der Vereinnahmung des Dichters durch die
NS-Kulturpolitik, die die „zeitbedingte Bejahung des großen Einzeltäters in der
‚Hermannsschlacht‘ und den absoluten Gehorsamsanspruch des Kurfürsten in ‚Prinz
Friedrich von Homburg‘ als Vorwegnahme des faschistischen Führerkults deutete.“[19]
Neben der ausgiebigen Rezeption des politischen Dichters Kleists als Inbegriff des deutschen
Patrioten (Hermannsschlacht, Prinz Friedrich von Homburg) im Sinne des Deutschen
Kaiserreichs wandten sich um die Jahrhundertwende auch die jungen Autoren der
literarischen Moderne programmatisch dem Werk Kleists zu. Angesichts seiner
weitgehenden Entfremdung von den Vertretern der Weimarer Klassik bot Kleist sich
mustergültig als Vorbild für die Ablösung einer neuen Schriftstellergeneration von Goethes
übermächtiger Erscheinung an. „Daraus resultierte, daß
Kleist eine gleich zweifache Vorreiterrolle zugewiesen
wurde: in seiner eigenen Gegenwart als Kämpfer gegen die
Klassik und – achtzig Jahre später im Zeichen der
literarischen Avantgarde als Vorkämpfer der Moderne, der
zugleich Opfer der Klassik wurde.“[20] Im Gefolge dieser
nachhaltigen zweiten Welle der Kleist-Wiederaneignung
entdeckte im frühen zwanzigsten Jahrhundert eine
Generation junger Schriftsteller, darunter Gerhart
Hauptmann, Frank Wedekind, Carl Sternheim und Georg
Kaiser, den Dichter als wichtigen Wegbereiter
experimenteller und subjektivierter literarischer Ansätze für
sich.[21]
Briefmarke der Deutschen Bundespost (1961) aus der Serie Bedeutende Deutsche
Straßenbenennung
Nach Heinrich von Kleist wurden Straßen, wie z.B. in Köln, Mülheim an der Ruhr, Leipzig,
Berlin, Wolfsburg und Dresden benannt.
Werke
Entstehungszeit und Originalausgaben
Robert Guiskard, Herzog der Normänner (Fragment), entstanden 1802–1803, erschienen
April/Mai 1808 in Phöbus, Uraufführung 6. April 1901 im Berliner Theater in Berlin
Die Familie Schroffenstein, Anfang 1803 anonym erschienen, Uraufführung 9. Januar 1804 in
Graz
Der zerbrochne Krug, entstanden 1803–1806, Uraufführung am 2. März 1808 im Hoftheater
in Weimar
Amphitryon, erschienen 1807, Uraufführung 8. April 1899 im Neuen Theater in Berlin
Das Erdbeben in Chili, erschienen unter dem ursprünglichen Titel Jeronimo und Josephe
1807 in Cottas Morgenblatt für gebildete Stände, Buchausgabe leicht redigiert 1810 in
Erzählungen (1. Band)
Die Marquise von O…, erschienen Februar 1808 in
Phöbus, Buchausgabe in überarbeiteter Fassung 1810 in
Erzählungen (1. Band)
Die Hermannsschlacht, vollendet 1808, erschienen 1821
(Hrsg. Ludwig Tieck), Uraufführung am 18. Oktober
1860 in Breslau (Bearbeitung: Feodor Wehl)
Penthesilea, erschienen 1808, szenische Uraufführung
Mai 1876 im Königlichen Schauspielhaus in Berlin
Das Käthchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe. Ein
großes historisches Ritterschauspiel, entstanden 1807–
1808, Fragmente erschienen in Phöbus 1808,
Uraufführung 17. März 1810 im Theater an der Wien in
Wien, Buchausgabe in umgearbeiteter Fassung 1810
Michael Kohlhaas. Aus einer alten Chronik, teilweise
erschienen 1808 in Phöbus, Buchausgabe 1810 in
Erzählungen (1. Band)
Katechismus der Deutschen, 1809
Anekdoten, erschienen 1810–1811 in den Berliner
Abendblättern – darunter die Anekdote aus dem letzten
preußischen Kriege
Das Käthchen von Heilbronn, Titelblatt der Erstausgabe (1810)
Das Bettelweib von Locarno, erschienen 11. Oktober 1810 in den Berliner Abendblättern,
Buchausgabe 1811 in Erzählungen (2. Band)
Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik. Eine Legende, erschienen 15.–17. November
1810 in den Berliner Abendblättern, Buchausgabe in erweiterter Fassung 1811 in
Erzählungen (2. Band)
Über das Marionettentheater, erschienen 12.–15. Dezember 1810 in den Berliner
Abendblättern
Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden, postum in: Paul Lindau (Hg)
Nord und Süd, Bd.4 S.3-7, 1878
Die Verlobung in St. Domingo, erschienen 25. März bis 5. April 1811 in Der Freimüthige,
Buchausgabe in überarbeiteter Fassung 1811 in Erzählungen (2. Band)
Der Findling, erschienen 1811 in Erzählungen (2. Band)
Der Zweikampf, erschienen 1811 in Erzählungen (2. Band)
Prinz Friedrich von Homburg, entstanden 1809–1811, Uraufführung 3. Oktober 1821 als Die
Schlacht vom Fehrbellin am Burgtheater in Wien
Gesamt- und Werkausgaben
Heinrich von Kleists gesammelte Schriften. Hrsg. von Ludwig Tieck. 3 Bände. Berlin: G.
Reimer 1826.
Kleists sämtliche Werke. Hrsg. Arthur Eloesser. 5 Bände. Tempel-Verlag, Leipzig. um 1920
Heinrich von Kleist. Werke und Briefe. Hrsg. von Siegfried Streller. 4 Bände. Berlin und
Weimar: Aufbau 1978.
Heinrich von Kleist. Sämtliche Werke und Briefe. Hrsg. von Ilse-Marie Barth, Klaus MüllerSalget, Stefan Ormanns und Hinrich C. Seeba. 4 Bände. Frankfurt am Main: Deutscher
Klassiker Verlag 1987–1997.
Heinrich von Kleist. Sämtliche Werke. Hrsg. von Roland Reuß und Peter Staengle. Basel;
Frankfurt am Main: Stroemfeld 1988–2010 (Berliner Ausgabe; ab 1992: Brandenburger
Ausgabe), Editionsplan
Heinrich von Kleist – Sämtliche Werke und Briefe. Hrsg. von Helmut Sembdner. 9.
vermehrte und revidierte Auflage. München: Hanser 1993 (= München: dtv 2001 ISBN 3-42312919-0).
Heinrich von Kleist – Sämtliche Werke und Briefe. Münchner Ausgabe. Hrsg. von Roland
Reuß und Peter Staengle. 3 Bände. München: Hanser 2010, ISBN 978-3-446-23600-4.
Literatur
Biographien und Gesamtdarstellungen
Wilhelm Amann: Heinrich von Kleist. Leben Werk Wirkung. Suhrkamp Basisbiographie.
Suhrkamp, Berlin 2011, ISBN 978-3-518-18249-9.
Jens Bisky: Kleist. Eine Biographie. Rowohlt, Berlin 2007, ISBN 978-3-87134-515-9.
Günter Blamberger: Heinrich von Kleist. Biographie, S. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main
2011, ISBN 978-3-10-007111-8.
Ingo Breuer (Hrsg.): Kleist-Handbuch. Leben-Werk-Wirkung. Verlag Metzler, Stuttgart 2009,
ISBN 978-3-476-02097-0.
Klaus Günzel: Kleist. Ein Lebensbild in Briefen und zeitgenössischen Berichten. Berlin 1984,
ISBN 3-476-00563-1.
Herbert Kraft: Kleist. Leben und Werk. Aschendorff, Münster 2007, ISBN 3-402-00448-8.
Rudolf Loch: Kleist. Eine Biographie. Wallstein, Göttingen 2003, ISBN 3-89244-433-1.
Peter Michalzik: Kleist - Dichter, Krieger, Seelensucher. Propyläen Verlag, Berlin 2011, ISBN
978-3549073247.
Klaus Müller-Salget: Heinrich von Kleist. Reclam, Stuttgart 2002, ISBN 3-15-017635-2.
(Reclams Universal-Bibliothek 17635)
Arno Pielenz: Kennst du Heinrich von Kleist?. Bertuch, Weimar 2007, ISBN 978-3-937601-434.
Heiko Postma: »Welche Unordnungen in der natürlichen Grazie des Menschen das
Bewußtsein anrichtet« Über den deutschen Dichter Heinrich von Kleist (1777–1811). jmb,
Hannover 2011, ISBN 978-3-940970-18-3.
Gerhard Schulz: Kleist. Eine Biographie. C. H. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-56487-1.
Hans-Georg Schede: Heinrich von Kleist. Rowohlt, Reinbek 2008, ISBN 978-3-499-50696-3.
Eberhard Siebert: Heinrich von Kleist - eine Bildbiographie". Studienausgabe. Kleist-Archiv
Sembdner, Heilbronn 2011. 364 S. (Heilbronner Kleist-Biographien, Band 2). ISBN 978-3940494-32-0.
Peter Staengle: Heinrich von Kleist. Sein Leben. 4., wiederum durchgesehene und
aktualisierte Auflage. Kleist-Archiv Sembdner, Heilbronn 2011 (Heilbronner KleistBiographien, Band 1), ISBN 978-3-940494-44-3.
Heinrich von Kleist in Brandenburg und Berlin. Der arme Kauz aus Frankfurt (Oder)
(Wolfgang de Bruyn, Hans-Jürgen Rehfeld, Martin Maurach, Wolfgang Bartel, Horst Häker,
Eberhard Siebert) In: Die Mark Brandenburg. Heft 78, Marika Großer Verlag Berlin 2010,
ISBN 978-3-910134-07-2.
Zu Einzelwerken [Bearbeiten]Ludwig Börne: Dramaturgische Blätter: Das Käthchen von
Heilbronn (1818). In: Sämtliche Schriften. Band I. Düsseldorf: Melzer 1964.
Gerhard Dünnhaupt: Kleists Marquise von O. and its Literary Debt to Cervantes. In: Arcadia
10 (1975).
Günther Emig, Peter Staengle (Hrsg.): Amphitryon. „Das faßt kein Sterblicher“.
Interdisziplinäres Kolloquium zu Kleists „Lustspiel nach Molière“. Heilbronn: Kleist-Archiv
Sembdner 2004 (Heilbronner Kleist-Kolloquien; Band 4), ISBN 3-931060-74-8
Bernhard Greiner: Kleists Dramen und Erzählungen : Experimente zum "Fall" der Kunst. - 2.
Aufl.. - Tübingen : Universitätsbibliothek Tübingen, 2010 [1. Aufl. Tübingen : Francke, 2000
(UTB; 2129 : Germanistik)]
Walter Hinderer (Hrsg.): Kleists Dramen. Stuttgart: Reclam 1997 (Reclams UniversalBibliothek. Literaturstudium. Interpretationen; Band 17502), ISBN 3-15-017502-X
Jochen Schmidt: Heinrich von Kleist. Die Dramen und Erzählungen in ihrer Epoche.
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003, ISBN 3-534-15712-5
Helmut Sembdner: Die Berliner Abendblätter Heinrich von Kleists, ihre Quellen und ihre
Redaktion. Reprint der Ausgabe Berlin 1939. Kleist-Archiv Sembdner, Heilbronn 2011.
(Heilbronner Kleist-Reprints). ISBN 978-3-940494-41-2.
Hans Steffen: Das Gesetz des Widerspruchs als Kleists Dichtungsgesetz. Demonstriert an
seinem Lustspiel „Der zerbrochene Krug“. In: Europäische Komödie. Hrsg. von Herbert
Mainusch. Darmstadt: Wissenschaftl. Buchges. 1990. S. 304–354.
Rolf Tiedemann: Ein Traum von Ordnung. Marginalien zur Novellistik Heinrichs von Kleist.
In: Ders.: Niemandsland. München 2007, S. 34–59.
Weitere Einzelaspekte
Günter Blöcker: Heinrich von Kleist oder Das absolute Ich. Argon, Berlin 1960.
Erotik und Sexualität im Werk Heinrich von Kleists. Internationales Kolloquium des KleistArchivs Sembdner, 22.-24. April 1999 in der Kreissparkasse Heilbronn. Heilbronn: KleistArchiv Sembdner 2000 (Heilbronner Kleist-Kolloquien; Band 2), ISBN 3-931060-48-9.
Robert Floetemeyer: Entromantisierte Romantik - Kleist vor Friedrichs "Mönch am Meer". In:
Von Altdorfer bis Serra - Schülerfestschrift für Lorenz Dittmann, hrsg. v. I. Besch, St. Inbert
1993, S. 97 - 115.
Ulrich Fülleborn: Die frühen Dramen Heinrich von Kleists. Fink, München 2007, ISBN 978-37705-4331-1.
Dirk Grathoff: Kleist. Geschichte, Politik, Sprache. Aufsätze zu Leben und Werk Heinrich
von Kleists. Heilbronn: Kleist-Archiv Sembdner 2008. (Heilbronner Kleist-Reprints), ISBN
978-3-940494-12-2. [Reprint der 2., verbesserten Auflage Wiesbaden 2000]
Barbara Gribnitz, Wolfgang de Bruyn (Hrsg.): Hier wird das Herz von Sorgen leer. Das
Hirschberger Tal um 1800. Sonderheft der Vierteljahresschrift Silesia Nova zur Ausstellung
Über den Häuptern der Riesen – Kleists schlesische Reise des Kleist-Museums Frankfurt
(Oder) und des Städtischen Museums Gerhart-Hauptmann-Haus Jelenia Gora. Dresden:
Neisse Verlag 2008, ISBN 978-3-940310-45-3
Klaus Jeziorkowski [Hrsg.]: Kleist in Sprüngen. Mit Beiträgen von Annette Linhard, Kay
Link, Sigurd Martin, Klaus Jeziorkowski, Mareike Blum und Ingo Wintermeyer. München:
Iudikum Verlag 1999, ISBN 3-89129-626-6
Katharina Mommsen: Kleists Kampf mit Goethe. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1979.
Michael Mandelartz: Goethe, Kleist. Literatur, Politik und Wissenschaft um 1800. Berlin:
Erich Schmidt Verlag 2011, ISBN 978-3-503-12271-4
Walter Müller-Seidel (Hrsg.): Heinrich von Kleist. Aufsätze und Essays. Darmstadt:
Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1967 (= 4. Auflage 1987) (Wege der Forschung; Band
147), ISBN 3-534-03989-0
Sigismund Rahmer: Das Kleist-Problem aufgrund neuer Forschungen zur Charakteristik und
Biographie von Heinrich von Kleist. Berlin: Reimer 1903. Reprint: Heilbronn: Kleist-Archiv
Sembdner 2009, ISBN 978-3-940494-26-9
Helmut Sembdner (Hrsg.): Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der
Zeitgenossen. 7. erweiterte Neuauflage. München: Hanser 1996.
Schumacher, Horst: Das Kleist-Grab am Kleinen Wannsee. Heilbronn: Kleist-Archiv
Sembdner 2010, ISBN 978-3-940494-34-4
Einzelnachweise
1.↑ Wolfgang Beutin, Klaus Ehlert, Wolfgang Emmerich, Helmut Hoffacker, Bernd Lutz,
Volker Meid, Ralf Schnell, Peter Stein und Inge Stephan: Deutsche Literaturgeschichte. Von
den Anfängen bis zur Gegenwart. Fünfte, überarb. Auflage. Stuttgart, Weimar: Metzler 1994.
S. 188.
2.↑ a b c d e Heinrich von Kleist. Sämtliche Werke und Briefe. Hrsg. von Ilse-Marie Barth,
Klaus Müller-Salget, Stefan Ormanns und Hinrich C. Seeba. 4 Bände. Frankfurt am Main:
Deutscher Klassiker Verlag 1987–1997.
3.↑ Jochen Schmidt: Heinrich von Kleist. Die Dramen und Erzählungen in ihrer Epoche.
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003. S. 13. – „Wissenschaften“ sind hier im
Sinne der Aneignung von Grundkenntnissen, die für die Ausübung eines praktischen Berufs
erforderlich waren, zu verstehen.
4.↑ Heinrich von Kleist, sämtliche Briefe In: Kleist-Archiv Sembdner, Heilbronn.
5.↑ Ingeborg Harms, FAZ-online vom 24. Juli 2009, Was wird aus Kleists Grab? Nun, o
Unsterblichkeit, bist du ganz mein[1]
6.↑ Michael Bienert, Wie Kleist Berlin erlebte, Der Tagesspiegel vom 27. Februar 2011, Nr.
20901, S. 7
7.↑ a b Heinrich von Kleists Grab wird neu gestaltet. In: Hamburger Abendblatt. 23.
November 2009, S. 6.
8.↑ Ingeborg Harms, FAZ-online vom 24. Juli 2009, Was wird aus Kleists Grab? Nun, o
Unsterblichkeit, bist du ganz mein[2]
9.↑ FAZ vom 8. Oktober 2010, S. 34
10.↑ Hans Joachim Kreutzer: Heinrich von Kleist. 1. Auflage. C.H.Beck, München 18. März
2010, ISBN 9783406612404.
11.↑ Zahlreiche logische Inkonsistenzen der Handlungsführung des Zerbrochnen Krugs, die
eine Täterschaft von Dorfrichter Adam allenthalben unwahrscheinlich machen, offenbart
Gerhard Stadelmaier in dem ausführlichen Essay: Adams Alibi oder Wer war in Eves
Kammer? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. November 2008.
12.↑ Siegfried Streller: Einleitung. In: Heinrich von Kleist. Dramen 1. Die Familie
Schroffenstein, Robert Guiskard, Der zerbrochene Krug, Amphitryon. Frankfurt am Main:
Insel 1986 (Heinrich von Kleist. Werke und Briefe in vier Bänden. Hrsg. von Siegfried Streller
in Zusammenarbeit mit Peter Goldammer und Wolfgang Barthel, Anita Golz, Rudolf Loch).
S. 5–96, hier S. 5.
13.↑ Anett Lütteken: Heinrich von Kleist – Eine Dichterrenaissance. Tübingen: Max
Niemeyer 2004. S. 27.
14.↑ Ludwig Ferdinand Huber: Erscheinung eines neuen Dichters. In: Der Freimüthige, oder
Berlinische Zeithung für gebildete, unbefangene Leser, 4. März 1803, Nr. 36, S. 141 f. Zitiert
nach: Anett Lütteken: a.a.O. S. 40.
15.↑ Johann Wolfgang von Goethe an Adam Müller, 28. August 1807, in: Jakob Baxa (Hrsg.):
Adam Müllers Lebenszeugnisse. 2 Bände. München; Paderborn; Wien 1966. Bd. I, S. 345 f.,
Nr. 236. Zitiert nach: Anett Lütteken: a.a.O. S. 66.
16.↑ Anett Lütteken: a.a.O. S. 58.
17.↑ Anett Lütteken: a.a.O. S. 74–77, hier S. 75.
18.↑ Anett Lütteken: a.a.O. S. 151.
19.↑ Siegfried Streller: Einleitung. In: Heinrich von Kleist. Dramen 1. Die Familie
Schroffenstein, Robert Guiskard, Der zerbrochene Krug, Amphitryon. Frankfurt am Main:
Insel 1986. S. 5–96, hier S. 7. – Dazu ausführlicher: Rolf Busch: Imperialistische und
faschistische Kleist-Rezeption 1890–1945. Eine ideologiekritische Untersuchung. Frankfurt
am Main 1974.
20.↑ Anett Lütteken: a.a.O. S. 84.
21.↑ Dazu ausführlicher: Klaus Kanzog (Hrsg.): Text und Kontext. Quellen und Aufsätze zur
Rezeptionsgeschichte der Werke Heinrich von Kleists. Berlin [West] 1979.
22.↑ Dazu ausführlicher: Klaus Kanzog, Hans Joachim Kreutzer (Hrsg.): Werke Kleists auf
dem modernen Musiktheater. Berlin 1977.
23.↑ Dazu ausführlicher: Klaus Kanzog (Hrsg.): Erzählstrukturen – Filmstrukturen.
Erzählungen Heinrich von Kleists und ihre filmische Realisation. Berlin [West]: Schmidt
1981. – Mary Rhiel: Re-viewing Kleist. The discursive construction of authorial subjectivity in
West German Kleist films. New York: Lang 1991.
24.↑ gebrueder-beetz.de: Die Akte Kleist
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