Von der Struktur zum Mechanismus

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Von der Struktur zum Mechanismus
Das Leben ist undenkbar ohne die Vielzahl von Enzymen, die in pflanzlichen, tierischen und
mikrobiellen Organismen den Fluss im komplexen Stoffwechsel jeder Zelle bewerkstelligen.
So steuern und beschleunigen sie als Biokatalysatoren schwierige chemische Reaktionen
rund um Vererbung, Atmung und Verdauung, aber auch die Synthese von Naturstoffen.
Damit sind Enzyme wie Chorismatasen als Angriffspunkt für die Entwicklung neuer
Wirkstoffe interessant. Juniorprofessorin Dr. Jennifer Andexer vom Institut für
Pharmazeutische Wissenschaften der Universität Freiburg hat an der Entdeckung einer
neuen Familie der Chorismatasen mitgewirkt. Sie untersucht ihre dreidimensionale
Struktur, um Rückschlüsse auf die Arbeitsweise dieser Enzyme ziehen und langfristig
vielleicht selbst Bausteine für die Biosynthese von Naturstoffen basteln zu können.
Jun.-Prof. Dr. Jennifer Andexer nimmt es mit den Chorismatasen auf. © Dr. Jennifer Andexer, Universität Freiburg
Pflanzen, Pilze und Bakterien nutzen die Chorisminsäure oder das Chorismat, das Salz der
Säure, für die Produktion von aromatischen Aminosäuren wie Phenylalanin, Tyrosin und
Tryptophan. Tieren fehlt dieser Stoffwechselweg. Deshalb ist Chorismat als Baustein ebenso in
der medizinischen Forschung interessant wie die ihn umsetzenden Enzyme, zum Beispiel die
Chorismatasen, wenn es darum geht, neue Ansatzstellen für Wirkstoffe zu finden.
So wie die Mutagenese, die gerichtete molekulare Veränderung von Enzymen, verbesserte
Biokatalysatoren hervorbringt, soll nun die Mutasynthese - eine Kombination aus Synthetischer
Biologie und chemischer Synthese - eine Sammlung an verbesserten Naturstoffen liefern. Die
Idee ist, durch die Manipulation biosynthetischer Wege Stoffderivate mit anderen zytotoxischen
oder antibiotischen Eigenschaften und mit gegebenenfalls weniger Nebenwirkungen zu
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kreieren.
Laut Juniorprofessorin Dr. Jennifer Andexer vom Institut für Pharmazeutische Wissenschaften
der Universität Freiburg ist das Verständnis für das Enzym die Voraussetzung für ein solches
rationales Design, bei dem Moleküle gezielt durch molekulare Modellierung entworfen werden.
Ihr Projekt wird im Juniorprofessoren-Programm des Landes Baden-Württemberg seit Oktober
2013 mit einer Förderung über drei Jahre unterstützt. In ihrer ehemaligen Arbeitsgruppe in
Cambridge war Andexer an der Entdeckung der Chorismatasen beteiligt. Während die dortigen
Forscher weiterhin vor allem komplette Biosynthesewege analysieren, konzentriert sich die
Juniorprofessorin hier vermehrt auf Charakteristika und Funktionen der Enzyme selbst.
Kleine Unterschiede - andere Wirkweise
Aufbau der Chorismatase FkbO im 3D-Bändermodell. Grüne Pfeile: β-Faltblatt-Struktur der Polypeptide, blau: αHelices, rot: aktives Zentrum © Dr. Jennifer Andexer, Universität Freiburg
„Wir nehmen einzelne Enzyme aus dem Biosyntheseweg heraus und schauen uns ihre Struktur
genau an“, erklärt die Biologin, „denn der dreidimensionale Aufbau eines Enzyms hängt sehr
stark mit dem Mechanismus zusammen, wie es funktioniert.“ Interessant ist, dass
Chorismatasen meist Teil großer Biosynthesecluster mit zahlreichen Enzymen sind, die alle
gemeinsam wie an einem Fließband arbeiten, an dessen Ende sehr große Moleküle wie
Rapamycin oder Tacrolimus stehen. Chorismat selbst (choris, griech.: Zweig) nimmt dabei eine
zentrale Rolle ein und ist Verzweigungspunkt von vielen enzymatischen Reaktionen, die eine
große Zahl sehr unterschiedlicher Substanzen mit Ringstrukturen hervorbringen. So
resultieren aus dem Shikimisäureweg, dessen Bestandteil Chorismat ist, neben den für den
Menschen essenziellen Aminosäuren auch Ubichinone, Vitamin K und E, Folsäure, Anthocyane
und Salicylsäure.
Andexer weiß, dass es nicht bloß eine, sondern eine ganze Reihe verschiedener Enzyme gibt,
die Chorismat umsetzen, und möchte ihre Funktionsweise erforschen: „Uns interessiert, wie
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und warum aus dem Chorismat verschiedene Produkte synthetisiert werden und worin sich die
verschiedenen Chorismatasen unterscheiden.“ Zwei Chorismatase-Haupttypen konnten sie und
ihr Team bereits aus Streptomyceten isolieren und identifizieren. Je nach Produkt, das neben
Pyruvat durch die Hydrolyse von Chorismat entsteht, ordneten sie die Enzyme entweder dem
FkbO-Typ (3,4-Hydroxy-1,5-dien-cyclohexansäure) oder dem Hyg5-Typ (3-Hydroxybenzoesäure)
zu. Diesen beiden Biokatalysatoren gilt derzeit Andexers Hauptinteresse. Offenbar haben die
zwei Enzyme verschiedene 3D-Strukturen und unterschiedliche Mechanismen, nach denen sie
mit demselben Substrat - dem Chorismat - arbeiten. „Aber die Aminosäuresequenzen zwischen
FkbO und Hyg5 sind extrem ähnlich“, bemerkt die Wissenschaftlerin, „warum machen also
diese beiden Enzyme zwei unterschiedliche Dinge - wie schaffen die das?“ Die 3D-Struktur des
FkbO-Typs hat das Team in einer Kooperationsarbeit mit kristallographischen Methoden
bereits aufgeklärt. Nun kommt noch mehr Fleißarbeit. „Basierend auf der Struktur haben wir
postuliert, wie der Mechanismus bei FkbO sein könnte“, sagt Andexer, „und den versuchen wir
in laufenden Arbeiten zu beweisen.“
Grundlagenforschung im Vordergrund
Andexers Hauptaugenmerk liegt nach eigener Aussage darauf, Bausteine für bestimmte
Synthesewege herzustellen. Der Baustein, der aus der Hydrolyse von Chorismat entsteht (ein
trans-Diol), ist aufgrund seiner Chiralität für die Arbeitsgruppe von besonderem Interesse. Ein
chirales Molekül kann infolge seiner festgelegten Stereochemie, also der räumlichen
Anordnung seiner Atome, durch zum Beispiel Spiegelung nicht zur Selbstabbildung gebracht
werden. Diese Moleküle lassen sich chemisch nur mit einem aufwendigen mehrstufigen
Prozess herstellen. „Mit FkbO-Chorismatasen lassen sich chirale Moleküle herstellen, die als
Bausteine für weitere Synthesen verwendet werden können“, berichtet Andexer, „so können
wir chemisch sehr komplexe Syntheseprozesse stark vereinfachen.“
Die nächsten drei Jahre werden in der AG Andexer gut gefüllt sein, denn es gibt noch viele
offene Fragen. So gibt es neben den zwei Chorismatasen-Haupttypen offensichtlich noch
andere sehr verwandte Enzyme, die es abzugrenzen gilt. Die Wissenschaftler wollen wissen, wie
nah beispielsweise Chorismat-Lyasen, -Synthasen und -Mutasen mit FkbO und Hyg5 verwandt
sind. Auch hierfür müssen die Forscher zunächst einmal Struktur und Mechanismus
vergleichen. Darüber hinaus gibt es eine Isochorismatase, die als natürliches Substrat zwar
Isochorismat hat, aber als Nebenreaktion für die Bearbeitung von Chorismat exakt denselben
Mechanismus der Chorismatase benutzt. Diese Wege gilt es zu verstehen und die
Zusammenhänge zwischen den ganzen Chorismat-abhängigen Enzymen zu finden.
Ausgehend vom Chorismat liefern die Chorismatase-Typen FkbO und Hyg5 unterschiedliche Produkte. © Dr. Jennifer
Andexer, Universität Freiburg
Anwendungen: Rapaloge und Tacrologe
Die genaue Kenntnis von Enzymen sowie die Art und Weise, wie sie innerhalb der
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Biosynthesewege agieren, ist die Grundlage für potenzielle Manipulationen. Die Mutasynthese
koppelt die chemische Synthese an die molekulare Biologie, um medizinisch wirksame
Produkte zu entwickeln. Viele Immunsuppressiva wie Rapamycin oder Tacrolimus werden von
Bakterien unter Zuhilfenahme von Chorismat hergestellt. Knockt man gezielt Komponenten
aus und schleust modifizierte Bausteine in die Reaktion ein, so lassen sich veränderte
Naturstoffderivate, sogenannte Rapaloge oder Tacrologe produzieren. Diese sind dann mit
ihren Eigenschaften als Pharmazeutika in der Therapie besser verträglich oder wirksamer.
Fachbeitrag
10.03.2014
Stephanie Heyl
BioRegion Freiburg
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Jun.-Prof. Dr. Jennifer Andexer
Institut für Pharmazeutische Wissenschaften
Universität Freiburg
Albertstr. 25 (Otto-Krayer-Haus)
79104 Freiburg
Tel.: 0761 / 203 - 67398
Fax: 0761 / 203 - 6351
E-Mail: jennifer.andexer(at)pharmazie.uni-freiburg.de
Universität Freiburg, Institut für Pharmazeutische
Wissenschaften
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Chemische Werkzeuge für biologische Anwendungen
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