Kapitel 38 - Menschliches Handeln

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XXXVIII. Der Platz der Nationalökonomie in der Bildung
1. Das Studium der Nationalökonomie
Die Naturwissenschaften sind letztlich auf die Tatsachen gegründet, die in Laborexperimenten festgestellt werden. Physikalische und biologische Theorien sind
mit diesen Fakten konfrontiert und werden abgelehnt, wenn sie mit ihnen in Konflikt geraten. Die Perfektion dieser Theorien erfordert nicht weniger als die Verbesserung der technologischen und therapeutischen Verfahren mehr und bessere
Laborforschung. Diese experimentellen Projekte erfordern Zeit, mühevolle Anstrengungen der Spezialisten und kostspieligen Materialeinsatz. Forschung kann
nicht mehr von isolierten Bleistift-Wissenschaftlern betrieben werden, und seien
sie noch so einfallsreich. Der Ort des Experimentierens sind heute die riesigen Laboratorien, die von Regierungen, Universitäten, Instituten und den Großunternehmen unterhalten werden. Die Arbeit in diesen Einrichtungen hat sich zu einer
Berufsroutine entwickelt. Die Mehrheit der dort Beschäftigten sind Techniker, die
solche Fakten dokumentieren, die die Pioniere, von denen einige selbst Experimentatoren sind, eines Tages als Bausteine für ihre Theorien verwenden werden.
Was den Fortschritt der wissenschaftlichen Theorien betrifft, sind die Leistungen
des Fußvolks der Forscher nur nebensächlich. Aber sehr oft haben ihre Entdeckungen unmittelbare praktische Ergebnisse bei der Verbesserung der therapeutischen und der Wirtschaftsmethoden.
Indem sie die radikalen epistemologischen Unterschiede zwischen den Naturwissenschaften und der Wissenschaft des menschlichen Handelns ignorieren,
glauben die Leute, dass es zur weiteren ökonomischen Erkenntnis nötig sei, die
Wirtschaftsforschung nach den bewährten Methoden der medizinischen,
physikalischen und chemischen Forschungseinrichtungen zu betreiben. Beträchtliche Summen wurden für etwas ausgegeben, das ökonomische Forschung genannt wird. In Wirklichkeit ist der Hauptgegenstand der Arbeit all dieser Institute
die jüngste Wirtschaftsgeschichte.
Es ist gewisse eine lobenswerte Sache, das Studium der Wirtschaftsgeschichte
zu fördern. So aufschlussreich die Ergebnisse solcher Studien auch sein mögen,
man darf sie nicht mit dem Studium der Ökonomik verwechseln. Sie erzeugen
keine Tatsachen in dem Sinn, in dem dieser Begriff bei den Ereignissen, die in La borexperimenten getestet werden, verwendet wird. Sie liefern keine Bausteine für
die Konstruktion von aposteriorischen Hypothesen und Theoremen. Im Gegenteil,
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sie sind bedeutungslos, wenn sie nicht im Licht von Theorien interpretiert werden,
die unabhängig von ihnen entwickelt wurden. Wir müssen dem, was in den vorherigen Kapiteln gesagt wurde, nichts hinzufügen. Kontroversen über die Ursachen geschichtlicher Ereignisse können nicht auf der Grundlage einer Überprüfung der Fakten beigelegt werden, die nicht durch bestimmte praxeologische
Theorien geleitet werden.1
Die Gründung von Instituten zur Krebsforschung kann möglicherweise zur
Entdeckung der Methoden zur Bekämpfung und Vorbeugung dieser schlimmen
Krankheit beitragen. Aber ein Wirtschaftskonjunkturinstitut ist für die Bestrebungen zur Vermeidung der Wiederkehr von Depressionen keine Hilfe. Die genaueste
und zuverlässigste Sammlung aller Daten über die wirtschaftliche Depression der
Vergangenheit ist von geringem Nutzen für die Erkenntnis auf diesem Gebiet. Gelehrte widersprechen sich nicht im Hinblick auf diese Daten; sie widersprechen
sich bei den Lehrsätzen, die zu ihrer Interpretation herangezogen werden sollen.
Noch wichtiger ist die Tatsache, dass es ohne Bezug auf die Theorien, die vom
Historiker ganz am Anfang seiner Arbeit angenommen wurden, unmöglich ist, die
Daten über ein konkretes Ereignis zu sammeln. Der Historiker trägt nicht alle
Fakten vor, sondern nur solche, die er auf der Grundlage seiner Theorien als erheblich ansieht; er verschweigt Daten, die er als unerheblich für die Interpretation
der Ereignisse erachtet. Wenn er durch falsche Theorien irregeleitet ist, wird sein
Bericht dürftig und kann fast wertlos werden.
Selbst die gründlichste Überprüfung eines Kapitels Wirtschaftsgeschichte,
selbst wenn sie die jüngst vergangene ist, ist kein Ersatz für das ökonomische
Denken. Nationalökonomie ist, wie Logik und Mathematik, eine Erscheinung des
abstrakten Denkens. Nationalökonomie kann niemals experimentell und empirisch sein. Der Ökonom braucht keinen ausgedehnten Apparat für die Durchführung seiner Studien. Was er braucht, ist die Kraft, klar zu denken und das Verstehen der Wüstenei der Geschehnisse, um zwischen dem Wesentlichen und dem
Beiläufigen unterscheiden zu können.
Es gibt keinen Konflikt zwischen der Wirtschaftsgeschichte und der Nationalökonomie. Jeder Wissenszweig hat seine eigenen Verdienste und seine eigenen
Rechte. Die Ökonomen haben nie versucht, die Bedeutung der Wirtschaftsgeschichte zu schmälern oder zu leugnen. Auch lehnen wirkliche Historiker nicht
das Studium der Nationalökonomie ab. Der Gegensatz wurde absichtlich von den
Sozialisten und Interventionisten in die Welt gesetzt, die die Einwände nicht widerlegen konnten, die gegen ihre Lehren durch die Ökonomen erhoben wurden.
Die Historische Schule und die Institutionalisten versuchten die Nationalökono1
Vgl. über die darin enthaltenen wesentlichen epistemologischen Probleme (Kap. II.1—3),
über das Problem der „quantitativen“ Ökonomik (Kap. II.8 und Kap. XVI.5) und über die
antagonistische Interpretation der Arbeitsbedingungen im Kapitalismus (Kap. XXI.6).
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mie zu verdrängen und sie durch „empirische“ Studien zu ersetzen, genau darum,
weil sie die Ökonomen zum Schweigen bringen wollten. Wirtschaftsgeschichte
war in ihren Plänen ein Mittel zur Zerstörung des Ansehens der Ökonomen und
zur Propagierung des Interventionismus.
2. Nationalökonomie als Beruf
Die frühen Ökonomen widmeten sich dem Studium der Probleme der Ökonomie.
Durch Vorträge und das Schreiben von Büchern wollten sie ihren Mitbürgern die
Ergebnisse ihres Denkens mitteilen. Sie versuchten, die öffentliche Meinung zu
beeinflussen, um eine vernünftige Politik bei der Führung der öffentlichen Angelegenheiten durchzusetzen. Sie begriffen die Nationalökonomie nie als einen Beruf.
Die Entwicklung der Ökonomik als Beruf ist ein Spross des Interventionismus.
Der berufsmäßige Wirtschaftswissenschaftler ist der Spezialist, der bei der Konstruktion verschiedener Maßnahmen staatlichen Eingreifens in die Wirtschaft behilflich ist. Er ist ein Experte auf dem Gebiet der Wirtschaftsgesetzgebung, die
heute ausnahmslos auf die Behinderung des freien Marktgetriebes zielt.
Es gibt Tausende und Abertausende solcher berufsmäßigen Experten, die in den
Büros des Staates, der verschiedenen politischen Parteien und Interessengruppen
und in den Redaktionen von Parteizeitungen und den Blättern der Interessengruppen tätig sind. Andere sind als Berater der Unternehmen beschäftigt oder in
unabhängigen Agenturen. Manche haben einen nationalen oder sogar weltweiten
Ruf; viele gehören zu den einflussreichsten Menschen ihres Landes. Es passiert
oft, dass solche Experten in die Führung von Großbanken und Aktiengesellschaften berufen, in das Parlament gewählt und zu Ministern ernannt werden. Sie konkurrieren mit der Anwaltschaft bei der obersten Leitung der politischen Angelegenheiten. Die bedeutende Rolle, die sie spielen, ist das charakteristischste Kennzeichen unserer interventionistischen Zeit.
Es kann kein Zweifel bestehen, dass eine Klassen von Menschen, die so vorherrschend ist, sich aus extrem begabten, sogar aus den bedeutendesten Menschen unserer Zeit zusammensetzt. Aber die Philosophie, von der sie sich leiten
lassen, engt ihren Horizont ein. Kraft ihrer Beziehungen zu bestimmten Parteien
und Interessengruppen, die besondere Privilegien erreichen wollen, werden sie
einseitig. Sie verschließen ihre Augen vor den ferneren Folgen der Politik, die sie
vertreten. Für sie zählt nichts als die kurzfristigen Interessen der Gruppe, der sie
dienen. Das Endziel ihrer Bestrebungen ist es, ihre Klienten auf Kosten anderer
Leute reicher zu machen. Sie wollen sich davon überzeugen, dass das Schicksal
der Menschheit mit den kurzfristigen Interessen ihrer Gruppe zusammenfällt. Sie
versuchen diese Idee der Öffentlichkeit verkaufen. Wenn sie um einen höheren
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Silber-, Weizen- oder Zuckerpreis für die Mitglieder ihrer Vereinigung kämpfen,
oder für einen Zoll auf billigere ausländische Produkte, beanspruchen sie, für höhere Werte zu kämpfen, für Freiheit und Gerechtigkeit, für das nationale Wohlergehen und für die Zivilisation.
Das Publikum schaut misstrauisch auf die Lobbyisten und klagt sie wegen der
Missstände der interventionistischen Gesetze an. Doch sitzt das Übel viel tiefer.
Die Philosophie der verschiedenen Interessengruppen hat die gesetzgebende Körperschaften unterwandert. In den heutigen Parlamenten sitzen Repräsentanten
der Weizenanbauer, Viehzüchter und bäuerlichen Kooperativen, des Silberbergbaus, der verschiedenen Gewerkschaften, von Industrien, die dem internationalen
Wettbewerb ohne Zölle nicht gewachsen sind und vieler anderer Interessengruppen. Es gibt wenige, die die Nation über ihre Gruppe stellen. Das gleiche trifft auf
die Ministerien zu. Der Landwirtschaftsminister betrachtet sich als Anhänger der
agrarischen Interessen; seine Hauptaufgabe ist es, Lebensmittelpreise in die Höhe
zu treiben. Der Arbeitsminister betrachtet sich als Vertreter der Gewerkschaften;
seine vorrangiges Ziel ist es, die Gewerkschaften so respekteinflößend wie möglich zu machen. Jedes Ministerium verfolgt seinen eigenen Kurs und arbeitet gegen die Bestrebungen der anderen Ministerien.
Viele Leute klagen heute über einen Mangel an kreativen Staatsmännern. Doch
unter der Vorherrschaft der interventionistischen Ideen steht eine politische Karriere nur einem Menschen offen, der sich mit den Interessen einer Gruppe identifiziert. Die Denkweise eines Gewerkschaftsführers oder eines Sekretärs des Bauernbundes ist nicht das, was ein weitsichtiger Staatsmann braucht. Staatskunst
ist unveränderlich langfristige Politik; aber die Interessengruppen kümmern sich
nicht um die Langfristigkeit. Die beklagenswerten Mängel des deutschen Weimarer Systems und der dritten Französischen Republik waren in erster Linie der Tatsache geschuldet, dass die Politiker nur Experten von Interessengruppen waren.
3. Vorhersage als Beruf
Als die Geschäftsleute endlich lernten, dass der Aufschwung, der durch die Kreditausweitung geschaffen wird, nicht ewig weitergehen kann und schließlich zu
einem Sturz führen muss, begriffen sie, dass es wichtig für sie war, rechtzeitig den
Tag des Zusammenbruchs zu wissen. Sie wendeten sich an die Nationalökonomen
um Rat.
Der Ökonom weiß, dass der Aufschwung zu einer Depression führen muss.
Aber er weiß nicht und kann nicht wissen, wann die Krise auftreten wird. Dies
hängt von den besonderen Bedingungen eines jeden Falles ab. Viele politischen
Ereignisse können den Ausgang beeinflussen. Es gibt keine Regeln, nach denen
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die Dauer des Aufschwungs oder die darauf folgende Depression errechnet werden können. Auch selbst, wenn solche Regeln vorhanden wären, wären sie für den
Geschäftsmann nutzlos. Der einzelne Geschäftsmann muss, um Verluste zu vermeiden, das Datum des Wendepunkts zu einer Zeit kennen, zu der andere Geschäftsleute noch glauben, dass der Zusammenbruch ferner liegt, als es tatsächlich der Fall ist. Dann wird ihm sein überlegenes Wissen die Möglichkeit geben,
seine Geschäfte so zu regeln, dass er unbeschadet davonkommt. Wenn aber das
Aufschwungende mit einer Formel errechnet werden könnte, würden alle Geschäftsleute das Datum zur gleichen Zeit erfahren. Ihre Bestrebungen, ihre Geschäftsführung an dieser Information auszurichten, würde unmittelbar zum Auftreten aller Phänomene der Depression führen. Es wäre für jeden von ihnen zu
spät, es zu vermeiden, ihr zum Opfer zu fallen.
Wenn es möglich wäre, die zukünftige Marktstruktur zu berechnen, wäre die
Zukunft nicht mehr ungewiss. Es gäbe weder unternehmerischen Gewinn noch
Verlust. Was die Leute von den Ökonomen erwarten, liegt außerhalb der Macht
eines sterblichen Menschen.
Schon die Idee, dass die Zukunft vorhersagbar sei, dass einige Formeln an die
Stelle des eigentümlichen Verstehens treten können, die das Wesen der unternehmerischen Aktivität ist, und dass die Kenntnis dieser Formeln es jedem ermöglicht, die Leitung eines Unternehmens zu übernehmen, ist natürlich ein Auswuchs
des ganzen Komplexes von Trugschlüssen und Missverständnissen, die der heutigen antikapitalistischen Politik zugrunde liegen. Im ganzen Körper dessen, was
marxistische Philosophie genannt wird, gibt es nicht die leiseste Andeutung dessen, dass es die Hauptaufgabe des Handelns ist, für ungewisse Geschehnisse vorzusorgen. Die Tatsache, dass die Ausdrücke Unternehmer und Spekulant heute
nur mit einem verächtlichen Beigeschmack verwendet werden, zeigt deutlich,
dass unsere Zeitgenossen noch nicht einmal vermuten, worin das grundlegende
Problem des Handelns besteht.
Unternehmerisches Urteil gehört zu den Dingen, die nicht auf dem Markt verkauft werden. Die unternehmerische Idee, die weiterführt und Gewinn trägt, ist
eben die Idee, die nicht der Mehrheit einfällt. Es ist nicht die richtige Weitsicht als
solche, die Gewinn abwirft, sondern diejenige, die besser ist als die des Rests. Der
Preis geht nur an diejenigen Andersdenkenden, die sich nicht von den Irrtümern
leiten lassen, die die Mehrheit akzeptiert. Was Gewinne auftreten lässt, ist die
Vorsorge für solche zukünftigen Bedürfnisse, für die andere es versäumt haben,
angemessene Vorkehrungen zu treffen.
Unternehmer und Kapitalisten zeigen ihr eigenen materiellen Wohlstand, wenn
sie von der Richtigkeit ihrer Pläne überzeugt sind. Sie würden es niemals wagen,
ihre wirtschaftliche Existenz in die Hand zu nehmen, weil ein Experte ihnen riet,
das zu tun. Die unwissenden Leute, die an der Aktien- und Warenbörse sich an
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Tipps halten, erleiden das Schicksal, ihr Geld zu verlieren, gleich aus welcher
Quelle sie ihre Eingebungen und die „Insider“-Information bezogen haben.
Tatsächlich sind sich die Ökonomen und die Geschäftsleute der Ungewissheit
der Zukunft völlig bewusst. Die Geschäftsleute erkennen, dass die Ökonomen keine verlässlichen Informationen über zukünftige Ereignisse mitteilen und dass alles, was sie liefern, die Auslegung der statistischen Daten ist, die sich auf die Vergangenheit beziehen. Denn die Meinung der Ökonomen über die Zukunft gilt für
Kapitalisten und Unternehmer nur als fragwürdige Vermutung. Sie sind skeptisch
und nicht leicht zu täuschen. Aber da sie ganz zurecht glauben, dass es nützlich
ist, alle Daten zu kennen, wie möglicherweise für ihre Angelegenheiten relevant
sind, abonnieren sie die Zeitungen und Zeitschriften, die Vorhersagen veröffentlichen. Darauf bedacht, keine erhältliche Informationsquelle zu vernachlässigen,
halten sich Großunternehmen Stäbe von Ökonomen und Statistikern.
Die Vorhersage der Wirtschaft scheitert bei dem vergeblichen Versuch, die Ungewissheit der Zukunft zum Verschwinden zu bringen und dem Unternehmertum
seinen inhärenten spekulativen Charakter zu entziehen. Aber es leistet schätzbare
Dienste beim Sammeln und Interpretieren der vorhandenen Daten über die wirtschaftlichen Trends der jüngsten Vergangenheit.
4. Die Nationalökonomie und die Universitäten
Steuerfinanzierte Universitäten stehen unter dem Einfluss der machthabenden
Partei. Die Obrigkeit versucht, nur Professoren zu berufen, die bereit sind, Ideen
zu befördern, denen sie selbst zustimmen. Da alle nichtsozialistischen Regierungen heute fest vom Interventionismus überzeugt sind, berufen sie nur Interventionisten. Ihrer Meinung nach ist es die oberste Pflicht der Universität, der heranwachsenden Generation die offizielle Gesellschaftsphilosophie zu verkaufen. 2 Sie
haben für Ökonomen keine Verwendung.
Doch beherrscht der Interventionismus auch viele der unabhängigen Universitäten.
Nach einer uralten Tradition ist es die Aufgabe der Universitäten nicht nur zu
lehren, sondern auch Wissen und Wissenschaft voranzubringen. Die Pflicht des
Hochschullehrers erschöpft sich nicht darin, den Studenten den Wissenskomplex
auszuhändigen, der durch andere Menschen entwickelt wurde. Er ist gehalten, zur
Vermehrung dieses Schatzes durch sein eigenes Werk beizutragen. Es wird vor2
Vgl. G. Santayana bemerkte in einer Rede über einen Philosophieprofessor der damaligen
Preußischen Universität von Berlin, „dass es diesem schien, dass es die Berufung eines Pro fessors sei, auf dem staatlichen Treidelpfad einer Gesetzesfracht hinterher zu stapfen“.
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ausgesetzt, dass er ein versiertes Mitglied der weltumspannenden Republik der
Gelehrten ist, ein Erneuerer und ein Pionier auf dem Pfad zu mehr und besserer
Erkenntnis. Keine Universität würde zugeben, dass die Mitglieder ihrer Fakultät
in ihrem Fachgebiet anderen unterlegen sind. Jeder Universitätsprofessor betrachtet sich den anderen Meistern seiner Wissenschaft als ebenbürtig. Wie die größten unter ihnen, trägt auch er seinen Teil zum Fortschritt des Wissens bei.
Diese Idee der Gleichheit aller Professoren ist natürlich fiktiv. Es gibt einen
enormen Unterschied zwischen der kreativen Arbeit des Genies und dem Einzelwerk eines Spezialisten. Doch auf dem Gebiet der empirischen Forschung ist es
möglich, an dieser Fiktion festzuhalten. Der große Innovator und der einfach Routinier wenden bei ihren Untersuchungen dieselben Forschungsmethoden an. Sie
bauen Laborexperimente oder sammeln historische Dokumente. Die äußere Erscheinung ihres Werks ist die gleiche. Ihre Veröffentlichungen beziehen sich auf
die gleichen Gegenstände und Probleme. Sie sind vergleichbar.
Bei den theoretischen Wissenschaften wie der Philosophie und der Ökonomik
ist es ganz anders. Hier gibt es nichts, das ein Routinier mit mehr oder weniger
stereotypen Mustern erreichen kann. Hier gibt es keine Aufgaben, die die gewissenhafte und akribische Anstrengung fleißiger Verfasser von Monographien erfordern. Es gibt keine empirische Forschung; alles muss mit der Kraft der Reflexion
erreicht werden, da alle Probleme miteinander verknüpft sind. Wenn man sich mit
einem Teil des Wissenskörpers befasst, tut man das mit dem ganzen. Ein bedeutender Historiker beschrieb einst die psychologische und erzieherische Bedeutung
der Doktorarbeit damit, dass sie dem Autor die stolze Sicherheit vermittelt, dass
es eine kleine Ecke im Wissensgebiet gibt, in der er mit seinem Wissen hinter nie mandem zurücksteht, und sei sie noch so klein. Es ist offensichtlich, dass dieser
Effekt nicht mit einer Arbeit über einen Gegenstand der ökonomischen Analyse
erzielt werden kann. Es gibt im Komplex des ökonomischen Denkens keine solchen isolierten Ecken.
Es lebten gleichzeitig niemals mehr als zwei Dutzend Menschen, deren Werk
etwas Wesentliches zur Ökonomik beitrugen. Die Zahl der kreativen Menschen ist
in der Ökonomik so klein wie in anderen Wissensgebieten. Übrigens gehören viele
der kreativen Ökonomen nicht zur lehrenden Zunft. Es gibt aber eine Nachfrage
nach Tausenden Lehrern der Ökonomik an Hochschulen und Colleges. Die Gelehrten-Tradition erfordert es, dass jeder von ihnen seinen Wert durch die Veröffentlichung von Originalbeiträgen beweist, nicht nur durch kompilierte Schulbücher und Nachschlagewerke. Ansehen und Gehalt eines akademischen Lehrers
hängen mehr von diesem literarischen Werk ab als von seinen unterrichtlichen
Fähigkeiten. Ein Professor muss Bücher veröffentlichen. Wenn er nicht die Berufung zum Schreiben über Ökonomik in sich spürt, wendet er sich der Wirtschaftsgeschichte oder der beschreibenden Ökonomik zu. Aber dann muss er, um sein
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Gesicht zu wahren, darauf bestehen, dass die von ihm behandelten Probleme reine Ökonomik sind, nicht Wirtschaftsgeschichte. Er muss sogar vorgeben, dass seine Schriften sich auf dem einzig legitimen Gebiet der ökonomischen Studien bewegen, dass allein sie empirisch, induktiv und wissenschaftlich sind, während die
nur deduktiven Ergüsse der „Lehnstuhltheoretiker“ müßige Spekulationen sind.
Sollte er das versäumen, würde er zugeben, dass die Lehrer der Ökonomik sich in
zwei Klassen teilen – solche, die selbst etwas zum Fortschritt des ökonomischen
Denkens beitrugen, und solche, die es nicht taten, obwohl sie in anderen Fächern
wie der Wirtschaftsgeschichte eine gute Arbeit abgeliefert haben. Auf diese Weise
wird die akademische Atmosphäre für die Lehren der Nationalökonomie ungünstig. Viele Professoren – glücklicherweise nicht alle – versuchen die „reine Theorie“
zu verunglimpfen. Sie versuchen die ökonomische Analyse durch eine unsystematische Sammlung geschichtlicher und statistischer Informationen zu ersetzen. Sie
lösen die Ökonomik in eine Zahl einheitlicher Zweige auf. Sie spezialisieren sie in
Agrikultur, Arbeit, Lateinamerika und viele andere ähnliche Unterteilungen.
Es ist sicherlich eine der Aufgaben der universitären Ausbildung, die Studenten
mit der Wirtschaftsgeschichte in allgemeinen und nicht weniger mit der jüngsten
wirtschaftlichen Entwicklung bekannt zu machen. Aber alle diese Bemühungen
sind zum Scheitern verurteilt, wenn sie nicht fest auf einer gründlichen Kenntnis
der Nationalökonomie fußen. Die Nationalökonomie lässt sich nicht in Spezialgebiete aufteilen. Sie befasst sich unveränderlich mit dem Zusammenhang aller
Phänomene des Handelns. Die katallaktischen Probleme können nicht erkennbar
werden, wenn man sich mit jedem Produktionszweig getrennt befasst. Es ist unmöglich, Arbeit und Löhne zu untersuchen, ohne implizit die Warenpreise, Zinssätze, Gewinn und Verlust, Geld und Kredit und all die anderen Hauptprobleme
zu studieren. Die wirklichen Probleme bei der Bestimmung der Lohnsätze können
selbst in einem Kurs über die Arbeit nicht berührt werden. Es gibt keine „Ökonomik der Arbeit“ oder „Ökonomik der Landwirtschaft“. Es gibt nur einen zusammenhängenden Körper der Nationalökonomie.
Womit sich diese Spezialisten in ihren Vorlesungen und Veröffentlichungen befassen, ist nicht Ökonomik, sondern es sind die Lehren der verschiedenen Interessengruppen. Weil sie die Ökonomik ignorieren, müssen sie den Ideologien derjenigen zum Opfer fallen, die besonderen Privilegien für ihre Gruppe anstreben.
Selbst solche, die nicht offen auf der Seite bestimmter Interessengruppen stehen
und die für sich eine vornehme Neutralität beanspruchen, tragen die wesentlichen Glaubensüberzeugungen der interventionistischen Lehre mit. Während sie
sich mit den zahllosen Varianten staatlicher Einmischung in die Wirtschaft befassen, wollen sie nicht an dem festhalten, was sie bloßen Negativismus nennen.
Wenn sie die angewendeten Maßnahmen kritisieren, tun sie das nur, um ihre eigene Sorte des Interventionismus als Ersatz für den Interventionismus anderer zu
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fordern. Bedenkenlos unterstützen sie die grundlegende These des Interventionismus und Sozialismus, dass die unbehinderte Marktwirtschaft die Lebensinteressen der überwältigenden Mehrheit einzig zum Nutzen hartherziger Ausbeuter in
unfairer Weise verletzt. Ihrer Ansicht nach ist ein Ökonom, der die Fehlerhaftigkeit des Interventionismus beweist, ein bestochener Anhänger der ungerechten
Ansprüche der Großunternehmen. Es ist ein Muss, solchen Schurken den Zugang
zu den Universitäten und ihren Artikeln die Veröffentlichung in den Zeitschriften
der Vereinigungen der Universitätslehrer zu verwehren.
Die Studenten sind verwirrt. In den Kursen der mathematischen Ökonomen
werden sie mit Formeln gefüttert, die hypothetische Gleichgewichtszustände beschreiben, in der es kein Handeln mehr gibt. Sie schlussfolgern leicht, dass diese
Gleichungen zum Begreifen wirtschaftlicher Aktivitäten gar nicht taugen. Sie
müssen daraus schließen, dass die Dinge wirklich paradox sind, weil es niemals
ein Gleichgewicht gibt, und die Lohnsätze und die Preise der landwirtschaftlichen
Produkte nicht so hoch sind, wie die Gewerkschaften und die Bauern sie haben
wollen. Es ist offensichtlich, dass eine radikale Reform unumgänglich ist. Aber
welche Art von Reform?
Die Mehrheit der Studenten befürworten ohne Hemmungen die von ihren Professoren geforderten interventionistischen Patentrezepte. Die gesellschaftlichen
Verhältnisse werden vollkommen befriedigend sein, wenn die Regierung Mindestlöhne erzwingt und jeden mit angemessener Nahrung und Wohnraum versorgt
oder wenn der Verkauf von Margarine und der Import ausländischen Zuckers verboten wird. Sie sehen die Widersprüche in den Worten ihrer Lehrer nicht, die an
einem Tag die Verrücktheit des Wettbewerbs beklagen und am nächsten Tag die
Übel der Monopole, die am einen Tag sich über fallende Preise beklagen und am
nächsten Tag über den Anstieg der Lebenshaltungskosten. Sie machen ihren Abschluss und versuchen so bald wie möglich einen Job beim Staat oder einer mächtigen Interessengruppe zu bekommen.
Es gibt aber viele junge Menschen, die kühn genug sind, die Trugschlüsse des
Interventionismus zu durchschauen. Sie akzeptieren die Ablehnung des unbehinderten Marktes durch ihren Lehrer. Aber sie glauben nicht, dass die isolierten
Maßnahmen des Interventionismus die erwünschten Ziele erreichen kann. Sie
denken die Ideen ihres Lehrers konsistent bis zu ihren logischen Konsequenzen zu
Ende. Sie wenden sich dem Sozialismus zu. Sie verehren das Sowjetsystem als die
Dämmerung einer neuen und besseren Zivilisation.
Was aber die heutigen Universitäten mehr oder weniger zu Brutstätten des Sozialismus gemacht hat, sind nicht so sehr die Bedingungen in den Fakultäten für
Ökonomik wie die Lehren, die in anderen Abteilungen verbreitet werden. In den
Fakultäten der Nationalökonomie finden sich noch immer bedeutende Ökonomen, und sogar die anderen Lehrer sind mit einigen Widerlegungen, die gegen die
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Durchführbarkeit des Sozialismus vorgetragen werden, vertraut. Anders ist es bei
vielen Lehrern der Philosophie, Geschichte, Literatur, Soziologie und Politikwissenschaften. Selbst viele derjenigen, die den Marxismus leidenschaftlich wegen
seines Materialismus und Atheismus angreifen, stehen unter dem Einfluss der
Ideen, die im Kommunistischen Manifest und im Programm der Kommunistischen
Internationale entwickelt wurden. Sie erklären Depressionen, Massenarbeitslosigkeit, Inflation, Krieg und Armut als notwendige Übel, die dem Kapitalismus innewohnen und geben zu verstehen, dass diese Phänomene nur durch das Vergehen
des Kapitalismus verschwinden können.
5. Allgemeinbildung und Ökonomik
In Ländern, die nicht durch Kämpfe zwischen verschiedenen Sprachgruppen gequält sind, kann das öffentliche Schulwesen sehr gut funktionieren, wenn es begrenzt wird auf Lesen, Schreiben und Rechnen. Klugen Kindern ist es sogar möglich, elementare Begriffe der Geometrie, der Naturwissenschaften und den geltenden Gesetzen des Landes beizubringen. Aber sobald man weiter gehen will, treten
ernste Schwierigkeiten auf. Der Unterricht der Grundstufe nimmt notwendig indoktrinäre Züge an. Es ist unmöglich, den Heranwachsenden alle Aspekte eines
Problems zu aufzuzeigen und sie zwischen den unterschiedlichen Sichtweisen
wählen zu lassen. Die Partei, die die Schule betreibt, ist in der Lage, ihre Überzeugungen zu propagieren und die der anderen Parteien herabzusetzen.
Auf dem Gebiet der religiösen Erziehung lösten die Liberalen das Problem
durch die Trennung von Staat und Kirche. In liberalen Ländern wird Religion
nicht mehr in den öffentlichen Schulen gelehrt. Aber die Eltern haben die Freiheit,
ihre Kinder in Bekenntnisschulen zu schicken, die durch die Religionsgemeinschaften unterhalten werden.
Doch besteht das Problem nicht nur bei der Religionslehre und gewisse Theorien der Naturwissenschaft, die von der Bibel abweichen. Es wird heute über die
Notwendigkeit gesprochen, den Geschichtsunterricht von den Einflüssen des Nationalismus und Chauvinismus zu befreien. Aber wenige Leute erkennen, dass das
Problem von Unparteilichkeit und Objektivität nicht weniger bei der Behandlung
der inländischen Geschichte auftaucht. Die Sozialphilosophie der Lehrer und
Schulbuchautoren färben die Erzählungen. Je mehr die Abhandlung vereinfacht
und verkürzt werden muss, um dem unreifen Verstand der Kinder und Jugendlichen verständlich zu sein, desto schlimmer sind die Effekte.
In den Augen der Marxisten und Interventionisten ist der Geschichtsunterricht
durch die Wertschätzung der Ideen des alten Liberalismus geprägt. Sie wollen die
„bourgeoise“ Interpretation der Geschichte durch ihre eigene ersetzen. Nach Mei-
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nung der Marxisten waren die Englische Revolution von 1688, die Amerikanische
Revolution, die große Französische Revolution und die revolutionären Bewegungen des neunzehnten Jahrhunderts in Kontinentaleuropa bürgerliche Bewegungen. Sie führten zur Niederlage des Feudalismus und zur Errichtung der bürgerlichen Herrschaft. Die proletarischen Massen wurden nicht befreit; sie wechselten
nur von der Klassenherrschaft der Aristokratie zu der der kapitalistischen Ausbeuter. Um den Arbeiter zu befreien, ist die Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise erforderlich. Das, nehmen die Interventionisten an, sollte durch die Sozialpolitik oder den New Deal herbeigeführt werden. Die orthodoxen Marxisten
andererseits behaupten, dass nur der gewaltsame Umsturz des bourgeoisen Herrschaftssystems das Proletariat erfolgreich befreien kann.
Es ist unmöglich dieses Kapitel zu behandeln, ohne in den kontroversen Fragen und den zugrundeliegenden ökonomischen Lehren Farbe zu bekennen. Die
Schulbücher und die Lehrer können keine vornehme Neutralität angesichts der
Behauptung einnehmen, dass die „unvollendete“ durch die kommunistische Revolution abgeschlossen werden muss. Jede Aussage über die Geschehnisse der letzten dreihundert Jahre geht einher mit einem bestimmten Urteil über diese Kontroversen. Man kann nicht vermeiden, zwischen der Philosophie der Unabhängigkeitserklärung und der Gettysburg Address sowie dem Kommunistischen Manifest zu wählen. Die Herausforderung steht, und es ist nutzlos, den Kopf in den
Sand zu stecken.
Auf dem Hochschulniveau und sogar auf dem des Colleges ist die Weitergabe
der geschichtlichen und ökonomischen Erkenntnisse praktisch Indoktrination.
Der größere Teil der Studenten sind gewiss nicht reif genug, sich seine eigene
Meinung auf der Grundlage einer kritischen Prüfung der Darlegung ihrer Lehrer
zu bilden.
Wenn die öffentliche Bildung effizienter wäre, als sie wirklich ist, würden die
politischen Parteien auf die Beherrschung des Schulsystems drängen, um die Art,
wie diese Themen gelehrt werden, zu bestimmen. Doch spielt die Allgemeinbildung nur eine kleine Rolle bei der heranwachsenden Generation. Der Einfluss der
Presse, des Radios und der Umgebungseinflüsse ist viel stärker als der der Lehrer
und der Schulbücher. Die Propaganda der Kirchen, der politischen Parteien und
der Interessengruppen übertrifft den Einfluss der Schulen, gleich was sie lehren.
Was in den Schulen gelernt wird, wird oft bald vergessen und kann mit dem fortwährenden Hämmern des sozialen Milieus, in dem sich der Mensch bewegt, nicht
mithalten.
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6. Ökonomik und die Bürger
Ökonomik darf nicht in Klassenzimmer und in statistische Ämter verbannt und
nicht esoterischen Zirkeln überlassen werden. Es ist die Philosophie des menschlichen Lebens und Handelns und betrifft jeden und alles. Sie ist der Kern der Zivili sation und der humanen Existenz.
Diese Tatsache zu erwähnen heißt nicht, der oft verspotteten Schwäche der
Spezialisten, die die Bedeutung ihres eigenen Wissenszweiges überbewerten,
nachzugeben. Nicht die Ökonomen, sondern alle heutigen Menschen weisen der
Ökonomik diesen bedeutenden Platz zu.
Alle gegenwärtigen Themen betreffen Probleme, die gemeinhin ökonomische
genannt werden. Alle Argumente, die in heutigen Diskussionen des Sozialwesens
und der öffentlichen Angelegenheiten vorgetragen werden, befassen sich mit den
grundlegenden Fragen der Praxeologie und der Nationalökonomie. Die ökonomischen Lehren beherrschen die Köpfe aller Menschen. Die Philosophen und Theologen scheinen mehr an Problemen der Ökonomik interessiert zu sein als an denen, die frühere Generationen als den Gegenstand der Philosophie und Theologie
ansahen. Romane und Theaterstücke behandeln alle menschlichen Dinge – einschließlich der sexuellen Beziehungen – vom Blickwinkel der Wirtschaftslehren.
Alle denken ökonomisch, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht. Beim Beitritt zu einer politischen Partei und bei der Abgabe seiner Wählerstimme bekennt
der Bürger implizit Farbe in den wesentlichen ökonomischen Theorien.
Im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert war die Religion das Hauptthema in den europäischen politischen Kontroversen. Im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert war die Hauptfrage in Europa wie in Amerika repräsentative Demokratie versus monarchischer Absolutismus. Heute ist sie Marktwirtschaft versus Sozialismus. Das ist natürlich ein Problem, dessen Lösung ganz von der ökonomischen Analyse abhängt. Die leeren Losungen oder der Mystizismus des dialektischen Materialismus sind nutzlos.
Es gibt kein Mittel, mit dem jemand seiner persönlichen Verantwortung entgehen kann. Wer immer versäumt, nach seinen besten Fähigkeiten alle involvierten
Probleme zu überprüfen, gibt freiwillig sein Geburtsrecht auf, zu einer selbsternannten Elite von Übermenschen zu gehören. Sich in solchen lebenswichtigen
Fragen blind auf die „Experten“ zu verlassen und die populären Reizwörter und
Vorurteile unkritisch zu akzeptieren, ist gleichbedeutend damit, seine Selbstbestimmung aufzugeben und sich von anderen beherrschen zu lassen. Wie die Dinge
heute liegen, kann einem intelligenten Menschen nichts wichtiger sein als Nationalökonomie. Sein eigenes Schicksal und das seiner Nachkommen steht auf dem
Spiel.
Sehr wenige sind fähig, dem Körper des ökonomischen Denkens eine logische
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Idee hinzuzufügen. Aber alle vernünftigen Menschen sind aufgefordert, sich selbst
mit den Lehren der Ökonomik vertraut zu machen. Das ist in unserer Zeit die erste Bürgerpflicht.
Ob wir es mögen oder nicht, es ist eine Tatsache, dass die Ökonomik kein esoterischer Wissenszweig bleiben darf, der nur einer kleinen Gruppe von Gelehrten
und Spezialisten zugänglich ist. Die Ökonomik befasst sich mit den grundlegenden Problemen der Gesellschaft; sie betrifft alle und gehört allen. Sie ist das wich tigste und eigentliche Studiengebiet eines jeden Bürgers.
7. Ökonomik und Freiheit
Die überragende Rolle, die die ökonomischen Ideen bei der Bestimmung der bürgerlichen Angelegenheiten spielen, erklärt, warum die Regierungen, politischen
Parteien und die Interessengruppen die Freiheit des ökonomischen Denkens einschränken wollen. Sie sind darauf aus, die „gute“ Lehre zu propagieren und die
Stimme der „schlechten“ Lehren zum Verstummen zu bringen. Ihrer Ansicht nach
hat die Wahrheit keine inhärente Kraft, die kraft dessen, dass sie wahr ist, sich
letztlich durchsetzen wird. Um sich zu behaupten, muss die Wahrheit durch Gewaltaktionen seitens der Polizei oder bewaffneter Truppen gestützt werden. In
diesem Blickwinkel ist das Kriterium für die Wahrheit einer Lehre die Tatsache,
dass ihre Vertreter mit Waffengewalt die Anhänger der abweichenden Sichtweise
erfolgreich besiegen. Damit wird vorausgesetzt, dass Gott oder eine mythische
Agentur den Lauf der menschlichen Geschicke immer so lenkt, dass der Sieg denen zufällt, die für die gute Sache kämpfen. Der Staat ist von Gott und hat die
heilige Pflicht, den Ketzer zu vernichten.
Es ist nutzlos, sich mit den Widersprüchen und Inkonsequenzen dieser Lehre
der Intoleranz und Verfolgung der Abweichler aufzuhalten. Niemals zuvor hat die
Welt ein so schlau entworfenes Propaganda- und Unterdrückungssystem ersonnen wie das, das durch die heutigen Regierungen, Parteien und Interessengruppen eingerichtet wurde. Doch alle diese Gebäude werden wie Kartenhäuser zusammenstürzen, sobald eine große Ideologie sie angreift.
Nicht nur in den von barbarischen und neobarbarischen Despoten beherrschten Ländern, sondern nicht weniger in den sogenannten westlichen Demokratien,
ist das Studium der Nationalökonomie heute praktisch geächtet. Die öffentliche
Diskussion der ökonomischen Probleme ignoriert meistens alles, was von den
Ökonomen in den letzten zweihundert Jahren gesagt wurde. Preise, Löhne, Zinsen
und Gewinne werden behandelt, als wenn ihre Bestimmung keinem Gesetz unterliegen würde. Die Regierungen versuchen, Höchstpreise für Waren und Mindestlöhne zu erlassen und zu erzwingen. Staatsmänner ermahnen Geschäftsleute, die
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Gewinne zu beschneiden, die Preise zu senken und die Löhne zu heben, als hinge
dies von den lobenswerten Absichten der Einzelnen ab. In der Behandlung internationaler Wirtschaftsbeziehungen übernehmen die Leute unbekümmert die
naivsten Trugschlüsse des Merkantilismus. Wenige sind sich der Mängel all dieser
populären Lehren bewusst oder erkennen, warum die Politik, die auf ihnen fußt,
unabänderlich Katastrophen ausbreitet.
Das sind traurige Tatsachen. Doch gibt es nur eine Antwort darauf: niemals in
der Suche nach der Wahrheit nachzulassen.
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