Deutsches Ärzteblatt 1973: A-1647

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Spektrum der Woche
Aufsätze • Notizen
FEUILLETON
Laudatio für Fechner
Um gelesen zu werden, tarnte
sich beispielsweise Arno Holz als
zu seiner Zeit modischer Norweger:
Bjarne P. Holmsen. Fechner hatte
— ebenso modisch — als „nom de
guerre" den eines französischen
Anatomen.
Uns Ärzten ergeht es in seinen
Schriften nicht gut; er treibt seinen
Spott mit uns. Gewiß, man hatte
drei Jahre lang an 'ihm, dem fast
Blinden und zeitweilig Pensionierten, (nach bestem Wissen und Gewissen) herumgedoktert: man verbrannte, um Eiterungen hervorzurufen, „Moxa" (span'isch) genannte
Brennkegel auf der Haut, so wie
man zwanzig Jahre zuvor E. T. A.
Hoffmann mit glühenden Nadeln in
den Rücken stach, um ihn von seiner Tabes dorsalis zu heilen.
Fechner war, wie schon erwähnt,
ein Fanatiker der Messungen und
Experimente. Mit 56 hob er 55 Tage
lang ein Bleigewicht von zehn
Pfund, bis ihm die Gefahr des Blutsturzes drohte. Irgendein Experiment, irgendeine Messung. Er ist
der Begründer des psychologischen
Experiments, er erfand auch das
System statistischer Rundfragen.
So ließ er 1871 bei einer HolbeinAusstellung Eintragungen von Urteilen sammeln. Von 11842 Besuchern hatten 113 Eintragungen gemacht.
So allein er stand, und sowenig
er Schule machte, sowenig Erfolg
er hatte — nie wurde der geborene
Optimist mutlos. Ihm waren manche Wesensarten fremd: Mit Kant
kam er in kein Verhältnis. Hegel
mochte er nicht, wie auch Schelling
und Oken. Aber er war großzügig
genug, an einer spiritistischen Söance mit Tischrücken teilzunehmen.
Vielleicht blieb Fechner auch deswegen so wenig erfolgreich, weil
er keineswegs so verständlich
schrieb wie sein siegender Pessimistenantipode Schopenhauer.
Oder verstände jetzt jemand den
Satz: „Die Gravitationswirkung
zwischen zwei Kraftcentren a und
b als das Produkt der beiden Reak-
tionen ab und ba, demnach als das
Quadrat ihrer erscheint." Auf seinem Schreibtisch lag immer die Logarithmentafel, obwohl er kein hervorragender Mathematiker war.
Aus Broterwerbsgründen schrieb
er ein Drittel seines „Hauslexikons"
— darin ein Aufsatz, wie man Taschenuhren behandeln solle. Denn
an der Universität machte Hegel
das Rennen, obwohl er doch Sätze
schrieb wie „Elektrizität ist der reine Zweck der Gestalt, der sich von
ihr befreit". Aber die akademische
Jugend von damals kämpfte im vollgepfropften Hörsaal Hegels um einen Platz vorn am Podium.
Für Fechner war das Universum
Geist, für die Materialisten Maschine. Fechner beseelte d'ie Pflanzen
(Nanna, 1848), ja sogar die Gesteine. Er hat sich durch die Tragödie,
geistig überlebt zu sein, noch ehe
er das geistige Leben zu durchdringen begann — Schopenhauer hatte
den Erfolg —, nicht von der gläubigen Gewißheit über den Wert seines Werkes abbringen lassen. Auch
darin liegt Größe. Man denke an
den Komponisten Berlioz, an den
Maler Carstens. Man denke an all
die Arzttragödien: gar keine oder
zu späte Anerkennung wichtiger Erkenntnisse. Das „Nichterfolgsmenschentum".
Sein Leben war auch finanziell
eine Gelehrtentragödie. Er arbeitete acht Bände Lexikon aus — ohne
Ertrag. Statt einer Blaubrille trug
er eine Binde über den ruinierten
Augen. Es war das gleiche Schicksal wie das des französichen Historikers Augustin Thierry, der
durch zuviel Studien erblindete.
Aber auch er ließ sich nicht umwerfen und arbeitete mit Hilfe seiner Freunde weiter. Wenn Wir ihn
auch heute ebensowenig wie seine Zeitgenossen verstehen, allein
die edle Gesinnung, das unermüdliche Forschen und die unvorstellbare Bescheidenheit wirken wie eine Art Erbauung. Wir leben von solchen Leitbildern.
699 Bad Mergentheim
Weinsteige 11
Kunstmarkt
Weniger gefragt:
Ecole de Paris
Auf starke Resonanz im In- wie
Ausland stieß auch die jüngste
Lempertz-Auktion moderner Kunst,
die Anfang Mai in Köln über die
Bühne ging. Vor allem waren es
wieder die deutschen Expressionisten, die sowohl das Privatsammler- wie Händlerinteresse weckten
und zu höchst beachtenswerten
Preisen führten, denen in vielen
Fällen heftige Bietgefechte vorausgingen.
Mit wenigen Ausnahmen — so einige Arbeiten Schmidt-Rottluffs —
fanden alle Objekte neue Besitzer.
Werke der Ecole de Paris waren
indessen weniger gefragt, wenn
auch nicht gerade von einem Rückschlag gesprochen werden kann.
Die allgemeine Zurückhaltung Namen wie Chagarl, Picasso, Matisse, Redon gegenüber läßt sich
seit Monaten beobachten. Immerhin ging eine Kaltnadelradierung
Picassos von 1905 für 16 500 DM
(18 000) ab! Wunderlichs 13 Lithografien fanden keinen Käufer.
Für Janssen und Bellmer aber gab
es viele Interessenten und hervorragende Preise: 18 000 DM (12 000)
für Bellmers Zink-Plastik „DemiPoupöe" sowie 7400 DM (4000) für
sein „Petit Traitö de Moral" von
1968.
Eine Bleistiftzeichnung Egon Schieles, kauernder Akt, brachte den
doppelten Schätzpreis ein: 16 000
DM, einen runden Tausender mehr
für Vilmos Huszars konstruktivistische „Stijl-Komposition", die auf
6000 geschätzt war. — Die Attraktion der Versteigerung bildeten,
wie oben erwähnt, freilich die Expressionisten, unter denen, wie
nicht anders zu erwarten, Nolde
den Vogel abschoß. B. St. R.
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DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 24 vom 14. Juni 1973 1647
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