Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen FEUILLETON Laudatio für Fechner Um gelesen zu werden, tarnte sich beispielsweise Arno Holz als zu seiner Zeit modischer Norweger: Bjarne P. Holmsen. Fechner hatte — ebenso modisch — als „nom de guerre" den eines französischen Anatomen. Uns Ärzten ergeht es in seinen Schriften nicht gut; er treibt seinen Spott mit uns. Gewiß, man hatte drei Jahre lang an 'ihm, dem fast Blinden und zeitweilig Pensionierten, (nach bestem Wissen und Gewissen) herumgedoktert: man verbrannte, um Eiterungen hervorzurufen, „Moxa" (span'isch) genannte Brennkegel auf der Haut, so wie man zwanzig Jahre zuvor E. T. A. Hoffmann mit glühenden Nadeln in den Rücken stach, um ihn von seiner Tabes dorsalis zu heilen. Fechner war, wie schon erwähnt, ein Fanatiker der Messungen und Experimente. Mit 56 hob er 55 Tage lang ein Bleigewicht von zehn Pfund, bis ihm die Gefahr des Blutsturzes drohte. Irgendein Experiment, irgendeine Messung. Er ist der Begründer des psychologischen Experiments, er erfand auch das System statistischer Rundfragen. So ließ er 1871 bei einer HolbeinAusstellung Eintragungen von Urteilen sammeln. Von 11842 Besuchern hatten 113 Eintragungen gemacht. So allein er stand, und sowenig er Schule machte, sowenig Erfolg er hatte — nie wurde der geborene Optimist mutlos. Ihm waren manche Wesensarten fremd: Mit Kant kam er in kein Verhältnis. Hegel mochte er nicht, wie auch Schelling und Oken. Aber er war großzügig genug, an einer spiritistischen Söance mit Tischrücken teilzunehmen. Vielleicht blieb Fechner auch deswegen so wenig erfolgreich, weil er keineswegs so verständlich schrieb wie sein siegender Pessimistenantipode Schopenhauer. Oder verstände jetzt jemand den Satz: „Die Gravitationswirkung zwischen zwei Kraftcentren a und b als das Produkt der beiden Reak- tionen ab und ba, demnach als das Quadrat ihrer erscheint." Auf seinem Schreibtisch lag immer die Logarithmentafel, obwohl er kein hervorragender Mathematiker war. Aus Broterwerbsgründen schrieb er ein Drittel seines „Hauslexikons" — darin ein Aufsatz, wie man Taschenuhren behandeln solle. Denn an der Universität machte Hegel das Rennen, obwohl er doch Sätze schrieb wie „Elektrizität ist der reine Zweck der Gestalt, der sich von ihr befreit". Aber die akademische Jugend von damals kämpfte im vollgepfropften Hörsaal Hegels um einen Platz vorn am Podium. Für Fechner war das Universum Geist, für die Materialisten Maschine. Fechner beseelte d'ie Pflanzen (Nanna, 1848), ja sogar die Gesteine. Er hat sich durch die Tragödie, geistig überlebt zu sein, noch ehe er das geistige Leben zu durchdringen begann — Schopenhauer hatte den Erfolg —, nicht von der gläubigen Gewißheit über den Wert seines Werkes abbringen lassen. Auch darin liegt Größe. Man denke an den Komponisten Berlioz, an den Maler Carstens. Man denke an all die Arzttragödien: gar keine oder zu späte Anerkennung wichtiger Erkenntnisse. Das „Nichterfolgsmenschentum". Sein Leben war auch finanziell eine Gelehrtentragödie. Er arbeitete acht Bände Lexikon aus — ohne Ertrag. Statt einer Blaubrille trug er eine Binde über den ruinierten Augen. Es war das gleiche Schicksal wie das des französichen Historikers Augustin Thierry, der durch zuviel Studien erblindete. Aber auch er ließ sich nicht umwerfen und arbeitete mit Hilfe seiner Freunde weiter. Wenn Wir ihn auch heute ebensowenig wie seine Zeitgenossen verstehen, allein die edle Gesinnung, das unermüdliche Forschen und die unvorstellbare Bescheidenheit wirken wie eine Art Erbauung. Wir leben von solchen Leitbildern. 699 Bad Mergentheim Weinsteige 11 Kunstmarkt Weniger gefragt: Ecole de Paris Auf starke Resonanz im In- wie Ausland stieß auch die jüngste Lempertz-Auktion moderner Kunst, die Anfang Mai in Köln über die Bühne ging. Vor allem waren es wieder die deutschen Expressionisten, die sowohl das Privatsammler- wie Händlerinteresse weckten und zu höchst beachtenswerten Preisen führten, denen in vielen Fällen heftige Bietgefechte vorausgingen. Mit wenigen Ausnahmen — so einige Arbeiten Schmidt-Rottluffs — fanden alle Objekte neue Besitzer. Werke der Ecole de Paris waren indessen weniger gefragt, wenn auch nicht gerade von einem Rückschlag gesprochen werden kann. Die allgemeine Zurückhaltung Namen wie Chagarl, Picasso, Matisse, Redon gegenüber läßt sich seit Monaten beobachten. Immerhin ging eine Kaltnadelradierung Picassos von 1905 für 16 500 DM (18 000) ab! Wunderlichs 13 Lithografien fanden keinen Käufer. Für Janssen und Bellmer aber gab es viele Interessenten und hervorragende Preise: 18 000 DM (12 000) für Bellmers Zink-Plastik „DemiPoupöe" sowie 7400 DM (4000) für sein „Petit Traitö de Moral" von 1968. Eine Bleistiftzeichnung Egon Schieles, kauernder Akt, brachte den doppelten Schätzpreis ein: 16 000 DM, einen runden Tausender mehr für Vilmos Huszars konstruktivistische „Stijl-Komposition", die auf 6000 geschätzt war. — Die Attraktion der Versteigerung bildeten, wie oben erwähnt, freilich die Expressionisten, unter denen, wie nicht anders zu erwarten, Nolde den Vogel abschoß. B. St. R. - DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 24 vom 14. Juni 1973 1647