Indem sich Künstler bemühen , die Antike wieder aufleben

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Manuskript
radioWissen
SENDUNG: 04.04.2017
9.30 Uhr
AUFNAHME:
STUDIO:
MUSIK
Ab 8. Schuljahr
TITEL:
Orpheus und Eurydike Eine musikalische Reise in die Unterwelt
AUTOR/IN:
Markus Vanhoefer
REDAKTION:
Petra Herrmann
REGIE:
Markus Vanhoefer
PERSONEN:
Sprecher 1
Sprecher 2
Zitator
Zitator 2
Musik
Besondere Anmerkungen:
ED 23.02.2010
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[email protected]; www.bayern2.de
2
(Musik 1)
ZITATOR:
Orpheus, mythischer Sänger in Griechenland. Sohn der Muse Kalliope,
bezauberte durch Gesang die wilden Tiere, Bäume und Steine, holte seine
geliebte Gattin Eurydike aus der Unterwelt zurück.
SPRECHER 1:
Aus „Brockhaus kleines Konversationslexikon“, Ausgabe 1906.
ZITATOR:
Das Verhältnis der Töne zueinander bestimmt ihre Harmonie für das Ohr. Solche
Harmonien erfreuen oft, ohne dass irgendjemand zu sagen vermöchte warum –
außer der Forscher nach den Ursachen der Dinge.
SPRECHER 1:
Der berühmte Renaissance-Baumeister Andrea Palladio.
( Musik 2 )
SPRECHER 1:
Aus Alt mach neu: Italien, Ende des 16. Jahrhunderts, die Spät-Renaissance. Im
Palast des Florentiner Grafen Giovanni Bardi trifft sich eine erlesene Gesellschaft
aus Adligen, Musikern und Dichtern, um sich in schöngeistigen Diskursen mit
einem der großen Themen dieser Epoche auseinander zu setzen: Der
Wiederbelebung einer „goldenen griechischen Vergangenheit“.
SPRECHER 2:
Ob in der Architektur der Renaissance oder in den Akademien, die sich der
Lektüre von Aristoteles, Plato oder Plutarch widmen, die Antike ist in Mode. Das
„Griechenfieber“ hat alle erfasst, auch den elitären Zirkel des Grafen Bardi.
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3
SPRECHER 1:
Die Florentiner Intellektuellen-Gruppe, die als „Camerata“ in die Kulturgeschichte
eingegangen ist, hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Sie möchte das attische
Theater so zum Klingen bringen, wie es in vorchristlichen Zeiten geklungen hat.
( Musik 3 )
SPRECHER 2:
Dabei stellt sich folgendes Problem: Die Tragödientexte eines Aischylos oder
Sophokles haben die Jahrhunderte überdauert, die Musik des antiken
Amphitheaters, von der man nur weiß, dass es sie geben hat, ist dagegen eine
verloren gegangene Kunst.
SPRECHER 1:
Was tun? Den Komponisten der Camerata-Akademie bleibt bei ihren
Rekonstruktionsversuchen nur eine Möglichkeit: Die Mutmaßung, das heißt, das
freie Spiel ihrer Fantasie.
( Musik 4 )
SPRECHER 2:
Auf diese Weise wird in Florenz um 1600, an der Schnittstelle zwischen
Renaissance und Barock, eine neue Lustbarkeit geboren, die wie kaum eine
andere „Erfindung“ die abendländische Musik grundlegend revolutionieren sollte.
SPRECHER 1:
„Dramma (!) per musica“, taufen sie die Italiener, „Oper“ wird sie heute genannt:
ZITATOR:
Als man die Oper schuf, dachte man die antike Tragödie zu erneuern, aber dieses
Zurückgreifen anscheinend historisierender Art erwies sich als äußerst vital und es
bildete sich etwas gänzlich Neues.
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4
Denn indem die Künstler die Antike zu kopieren versuchten, wurde sie zum
Symbol. Die Antike war ein Ideal, das scheinbar wieder zum Leben erweckt
werden konnte, in Wirklichkeit aber war sie der Inbegriff aller Bestrebungen, die in
die Zukunft wiesen.
SPRECHER 1:
Aus Guido Adlers „Handbuch der Musikgeschichte“.
( Musik 5 )
SPRECHER 1:
Die Oper als Wiederbelebung des antiken Dramas. Es ist sicherlich kein Zufall,
dass die allegorische Figur des Orpheus immer wieder dann auf die Bühne tritt,
wenn die junge, sich machtvoll entfaltende Gattung „Oper“ an eine wichtige
Weichenstellung kommt.
ZITATOR:
Nun will ich euch von Orpheus berichten / der mit seinem Gesang die Tiere
zähmte / der durch sein Bitten sogar die Hölle bezwang / und unsterblichen Ruhm
auf dem Pindas und dem Helikon errang.
SPRECHER 1:
Orpheus, der sagenhafte Gründervater der Musik, der Magier der Stimmbänder,
dessen überirdische Künste sogar die olympischen Götter rührte.
SPRECHER 2:
Die Geschichte von Orpheus und Eurydike ist ein Mythos ganz nach dem
Geschmack des17. Jahrhunderts, denn er beinhaltet all den Anspruch und auch
den Reiz, den die frühe Oper für die Menschen dieser Zeit hatte:
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5
ZITATOR:
Die Oper ist ein Schauspiel, bei dem die Worte gesungen werden. Sie wird
aufgeführt von den besten Gesangs- und Instrumentalmusikern. Sie ist ohne
Zweifel eine der herrlichsten Zerstreuungen, die sich der Menschengeist ersinnen
kann.
( Musik 6)
ZITATOR 2:
Orpheus auf der Opernbühne. Florenz 1600: „Euridice“ von Jacopo Peri.
SPRECHER 1:
Zurück zur Florentiner Camerata, in deren philosophierenden Reihen sich einige
erfahrene Musiker befinden.
SPRECHER 2:
Der fähigste unter ihnen ist der 1561 geborene Komponist und Sänger Jacopo
Peri, der als Kapellmeister beim Fürstenhaus der Medici in Lohn und Brot steht.
SPRECHER 1:
Während des Faschingstreibens des Jahres 1598 setzt Peri die antikisierenden
Gedankenspiele der Camerata zum ersten Mal in Töne um. Es entsteht „Daphne“,
ein erster Opernversuch, der jedoch leider verschollen ist.
SPRECHER 2:
Die wahre Geburtsstunde der spektakulären, innovativen Kunstform „Oper“ findet
zwei Jahre später bei einem gesellschaftlichen Großereignis statt: 1600 führt der
französische König Heinrich IV die Florentiner Prinzessin Maria de´ Medici vor den
Traualtar.
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6
SPRECHER 1:
Im Rahmen der ausschweifenden Feierlichkeiten kommt am 6. Oktober in einem
kleinen Saal des Palazzo Pitti ein gesungenes Schauspiel zur Erstauführung, das
den Orpheus – Mythos zur Grundlage hat. Es ist Peris „Euridice“, in welcher der
Komponist die Rolle des Orpheus übernimmt.
( Musik 7 )
SPRECHER 2:
„Euridice“, die Wahl des Titels ist ein politischer Fingerzeig: Das Werk ist zwar
zunächst eine Ehrerbietung an die italienische Braut, aber auch gleichzeitig ein
Signal der machtbewussten Medici an den frisch gebackenen Ehemann, den
französischen König.
SPRECHER 1:
Florenz im Oktober 1600: Die Aufführung im Palazzo Pitti ist eine exklusive
Veranstaltung, zu der nur zweihundert ausgesuchte Gäste zugelassen sind, selbst
im Orchester sitzen hochrangige Aristokraten.
SPRECHER 2:
So spröde Peris sparsam begleiteter Gesang für uns heute auch klingen mag, für
die Hochzeitsgesellschaft ist die „Euridice“ ein emotional aufwühlendes Erlebnis.
Zum ersten Mal erlebt ein Publikum ein durchkomponiertes Theaterstück, und dies
in einem faszinierend neuen Kompositionsstil, der Monodie.
SPRECHER 1:
Monodie bedeutet: Komponisten kombinieren nicht mehr einzelne Stimmen
Schicht um Schicht zu einem Geflecht, sondern sie harmonisieren eine Melodie
mit vertikalen Akkorden.
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7
SPRECHER 2:
Wenn es Momente gegeben hat, die unsere Musik von Grund auf verändert
haben, der 6. Oktober 1600 ist einer davon.
( Musik 8 )
ZITATOR 2:
Orpheus auf der Opernbühne. Mantua. 1607. „Orfeo“ von Claudio Monteverdi.
ZITATOR:
Zur gold´nen Leier pflege ich zu singen / das Ohr der Sterblichen wohl zu
bewegen / Um so in ihren Seelen zu erregen / die Sehnsucht nach der
Himmelsleier Klingen.
SPRECHER 1:
Nur sieben Jahre nach Peris „Euridice“ entsteht das erste epochale Meisterwerk
der Operngeschichte, wieder ist dessen Geburtsort ein absolutistischer Fürstenhof
und wieder ist Orpheus mit im Spiel.
ZITATOR:
Die Uraufführung von Monteverdis „Orfeo“ erfolgte am 24. Februar 1607 in der
„Akademie der Verliebten und Lüsterngemachten“ im Schloss von Mantua. Der
Eindruck auf die Zuhörerschaft war überwältigend, ...
SPRECHER 1:
... schreibt Rudolf Kloiber im „Handbuch der Oper“.
( Musik 9 )
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8
SPRECHER 2:
Es gibt zahlreiche Parallelen zwischen Peris Euridice und Monteverdis Orfeo.
Beide Werke erwuchsen aus den Diskussionen eines Kreises, der die Antike
wiederbeleben wollte, „Accademia de gli´Invaghiti“, nennt er sich in Mantua. Wie
der Florentiner Peri, so ist auch Monteverdi, zum Entstehungszeitpunkt seines
epochalen Stücks etwa 40 Jahre alt, und damit ein erfahrener Musiker.
SPRECHER 1:
Die Gattung Oper ist also nicht die künstlerischer Revolte junger Leute, sondern
das mühsam erarbeitete Ergebnis langwieriger Denk-Prozesse.
SPRECHER 2:
Das bedeutet: Um 1600 erkennen Komponisten und Musiktheoretiker eine
zwingende Notwendigkeit, die Musik zu reformieren.
ZITATOR:
Unsere Musik aber scheidet sich gegenwärtig in zwei Gruppen: die eine ist jene,
welche sich Kontrapunkt nennt, die andere sei die Kunst gut zu singen, von uns
genannt.
SPRECHER 1:
„Die Kunst gut zu singen“, der Ausdruck des Florentiner Grafen Bardi gilt auch für
Monteverdis Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten:
ZITATOR:
Wie werde ich das Sprechen der Winde darstellen können, wenn sie nicht
sprechen? Und wie werde ich die Affekte bewegen können? Welch ein Vergnügen
wird den Sinnen zuteil werden, wenn sie so aufgeführt werden?
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9
SPRECHER 1:
Affekt ist ein Schlüsselbegriff der musikalischen Barockzeit, die mit Monteverdis
Opernerstling so eindrucksvoll beginnt.
( Musik 10 )
ZITATOR:
Affekt. Seelischer Erregungszustand, Leidenschaft. Ein wesentlicher Bestandteil
der barocken Musiklehre war die Forderung, die Musik müsse menschliche Affekte
darstellen und auch im Zuhörer erregen, ...
SPRECHER 1:
...erklärt der Monteverdi-Forscher Denis Stevens. „Muovere gli affetti“, wenn es ein
mythologisches Sinnbild für dieses „Auslösen von Emotionen“, gibt, dann gibt es
kein besseres, als den singenden griechischen Sagen-Helden „Orpheus“.
SPRECHER 2:
Das ist einer der Gründe, warum der Orpheus-Stoff eine so zentrale Stellung in
der frühen Operngeschichte einnimmt. Etwa 65 Mal wird der antike Mythos im
Barock vertont.
ZITATOR:
Sieh Orpheus, um dich herum / lächelt der Wald und lächelt die Wiese; spiel nur
weiter mit deinem goldenen Plektron / und versüße die Luft an diesem glücklichen
Tage.
( Musik 11 )
ZITATOR 2:
Orpheus auf der Opernbühne. Paris 1647. Orfeo von Luigi Rossi.
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10
SPRECHER 1:
Die Oper ist eine italienische “Erfindung”, in Italien tritt sie ihren triumphalen
Siegeszug an. Das Augenmerk der Pionierwerke eines Monteverdi oder Peri liegt
jedoch zunächst fast ausschließlich auf der musikalischen Neuerung. Kulissen
und Ausstattung spielen bei deren Aufführung nur eine untergeordnete Rolle.
SPRECHER 2:
Dies ändert sich schnell. Bald wird die Oper zu einer spektakulären Show der
Illusionen, zu einem Massenereignis, für alle, die es sich leisten können. Die Oper
zieht in Theater-Paläste, sie kleidet sich in prachtvolle Fantasiekostüme und betört
die Zuschauer mit Bühneneffekten, die mit ihrer Wirkung auf die Menschen jener
Zeit den virtuellen Zaubereien des heutigen Hollywood-Kinos in nichts
nachstehen.
( Musik 12)
SPRECHER 1:
Rodolfo Celletti in „Die Geschichte des Belcanto“.
ZITATOR:
Es wurden die Requisiten und Effekte geschaffen, die für die gesamte Barockoper
charakteristisch sind. Bühnenbilder mit „Perspektive ins Unendliche“, Lichteffekte,
Überraschungsmaschinen, die das Auftauchen und Verschwinden von Personen
ermöglichten. Es gab Jagdszenen, Idyllen am Wasser und Wind- , Regen-, Hagelund Donnermaschinen.
( Musik 12 hoch )
SPRECHER 1:
Die Oper ist ein Rausch der Sinne, ein audiovisuelles Wunder, dass sich Mitte des
17. Jahrhunderts auch außerhalb Italiens ausbreitet. Und wieder ist es Orpheus,
der musikalisches Neuland erobern soll.
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11
SPRECHER 2:
Paris im Jahr 1647. Als erster Minister und Erzieher des noch minderjährigen
Königs Ludwig XIV ist Kardinal Mazarin der mächtigste Mann Frankreichs.
SPRECHER 1:
Mazarin ist gebürtiger Italiener und beschließt die italienische Oper in all ihrer
repräsentativen Pracht auch in seiner neuen Heimat zu etablieren.
SPRECHER 2:
Der römische Maestro Luigi Rossi, einer der berühmtesten Komponisten der Zeit,
erhält den Auftrag für eine Orpheus–Oper, die am 2. März 1647 in Paris ihre
Uraufführung erlebt.
( Musik 13)
SPRECHER 1:
Rossis Werk ist ein gigantisches Ereignis, das keine Kosten und keinen Aufwand
scheut, Italiens beste Theateringenieure ziehen alle Register der Bühnentechnik,
von Bacchus-Sohn Aristheus bis zur Venus bevölkert der gesamte griechische
Götterolymp in 29 Rollen die Bühne.
ZITATOR:
Kardinal Mazarin hat eine Comödie von dem Orfeo und der Euridice dem Hofe zur
Lust spielen lassen. Es war eine vortreffliche Opera, da Leute in der Luft mit
Wägen und Rossen hin und wieder geführt, auch Engel und Menschen von der
Erde in den Himmel geflogen. Dass dergleichen durch Kunst zuwege gebracht
werden könnte, war dergleichen nie gesehen worden.
SPRECHER 1:
Trotz des überwältigenden Eindrucks regen sich bald Proteste.
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ZITATOR:
Die Oper löste einen solchen Lärm und Tumult unter dem Volke aus, dass es an
nichts mehr anderes dachte. Denn jedermann erbitterte sich über die
schauererregenden Ausgaben, für die Maschinen und für die italienischen
Musikanten.
SPRECHER 1:
Mitte des 17. Jahrhunderts befindet sich Frankreich in einer wirtschaftlich
schwierigen Lage, viele einfache Menschen hungern. Die Verschwendungssucht
des Orfeo ist der Funke, der ein soziales Pulverfass zur Explosion bringt. Der Adel
tritt in offenen Widerstand gegen Mazarin und den Königshof. Für einige Zeit steht
Frankreich kurz vor dem Bürgerkrieg. Auch das kann eine Oper bewirken.
( Musik 14 )
ZITATOR 2:
Orpheus auf der Opernbühne. Wien 1762. Orpheus und Eurydike von Christoph
Willibald Gluck.
ZITATOR:
Ich habe versucht all die Missbräuche zu beseitigen, die durch Eitelkeit der Sänger
und Nachgiebigkeit der Musiker in die italienische Oper eingedrungen sind und
aus dem schönsten aller Schauspiele das lächerlichste und langweiligste gemacht
hatten.
SPRECHER 1:
150 Jahre nach der Florentiner Camerata ist es wieder so weit, es herrscht
Reformbedarf. Das opulente, gekünstelte Barocktheater hat ausgedient, die Oper
ist reif für einen Innovationsschub.
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13
SPRECHER 2:
Und erneut sind es die Tragödien der Antike, das Streben nach Natürlichkeit im
Ausdruck und nach echten, wahrhaften Gefühl, die als Ideale eines zukünftigen
Musiktheaters herhalten müssen.
( Musik 15 )
ZITATOR:
Ich habe versucht, eben alle jene Auswüchse zu bannen, gegen die der gute
Geschmack und die Vernunft längst ihre Stimme erhoben haben.
SPRECHER 1:
„Auswüchse“ sind zum Beispiel die Kastraten, denn Orpheus, dieses überirdische
Wesen, kann doch nicht mit einer gewöhnlichen menschlichen Stimme singen.
SPRECHER 2:
Es ist der 1714 in der Oberpfalz geborene Christoph Willibald Gluck, dem es mit
kongenialer Unterstützung seines Librettisten Ranieri die Calsabigi, gelingt, die
Oper zu entrümpeln und wieder einmal gibt der mystische Held Orpheus dieser
einschneidenden Reform ihre theatralische Gestalt.
( Musik 16 )
SPRECHER 1:
Am 5. Oktober 1762 bringt Gluck eine Oper in Wien zur Uraufführung, die durch
ihre psychologische Zeichnung der Figuren und durch ihre enge Verbindung
zwischen Wortsinn und Musik künstlerisches Neuland betritt.
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14
ZITATOR
Das Werk wurde anlässlich der Feier des Namenstages von Kaiser Franz I
geschrieben, es war die erste von Glucks Reformopern, ein historischer
Meilenstein, der als „Geburt der modernen Oper“ bezeichnet wird, ...
SPRECHER 1:
... der amerikanische Musikkritiker Robert Commenday .
( Musik 17)
SPRECHER 1:
Glucks „Orpheus und Eurydike“ ist ein strahlender Höhepunkt, aber gleichzeitig
auch der Schlussakkord von Orpheus langer Opernkarriere.
SPRECHER 2:
Ende des 18. Jahrhunderts haben sich Götter, Helden und antike Fabelwesen
überlebt. Das was einst erhaben wirkte, wirkt im Zeichen von Aufklärung und
Industrialisierung nur noch lächerlich. Es menschelt im Musiktheater: Mozarts
„Figaro“ oder Rossinis Barbier von Sevilla tragen keinen „Glorienschein“.
( Musik 18 )
SPRECHER 1:
Dennoch ist es dem griechischen Sänger vergönnt, noch einmal ein Comeback zu
feiern. Am 21. Oktober 1858 tritt er als Musiklehrer Orpheus ins Rampenlicht des
Pariser Theatre des Bouffes-Parisiens.
SPRECHER 2:
Monsieur Orpheus ist jedoch kein Kind von hochkultureller Traurigkeit, er leistet
sich die Nymphe Chloe als Geliebte, während sich Gattin Eurydike mit einem
Schäfer tröstet. Göttervater Jupiter langweilt sich samt Anhang auf dem Olymp,
bis Pluto in der Hölle die Megasause steigen lässt.
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15
SPRECHER 1:
„Orpheus in der Unterwelt“ lautet der Titel des skandalösen Zweiakters, mit dem
Jacques Offenbach der Pariser Elite des zweiten Kaiserreichs den Spiegel vorhält.
„Orpheus en Enfer“ sorgt als beißende Gesellschaftssatire für Furore.
SPRECHER 2:
Napoleon III soll über Offenbachs Operetten-Spott durchaus amüsiert gewesen
sein. Ganz im Gegensatz zu seinen Anhänger, den Bonapartisten:
ZITATOR:
Sich über gekrönte Häupter in einer Farce lächerlich zu machen, ist alles andere
als ein Witz.
( Musik 19)
stopp
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