Frauenkriminalität Tatverdächtige insgesamt sowie weibliche Tatverdächtige 3.000.000 600.000 2.500.000 500.000 2.000.000 400.000 1.500.000 300.000 1.000.000 200.000 500.000 100.000 Weiblich Kriminologie I WS 2009-2010 08 07 20 06 20 05 20 04 20 03 20 02 20 01 20 00 20 99 20 98 19 97 19 96 19 95 19 94 19 93 19 92 19 91 19 90 19 89 19 19 19 19 88 0 87 0 Insgesamt Page 2 Anteile weiblicher Tatverdächtiger 1987-2008 Kriminologie I WS 2009-2010 07 20 05 20 03 20 01 20 99 19 97 19 95 19 93 19 91 19 89 19 19 87 25 24,5 24 23,5 23 22,5 22 21,5 21 20,5 20 19,5 Page 3 Erklärung der Frauenkriminalität Biologische und moralische Erklärungen (Theorie der Schwäche) These der "Ritterlichkeit“ Theorie unterschiedlicher Sozialisation Unterschiedliche Sozialkontrolle Unterschiedliche Gelegenheiten (bedingt durch unterschiedliche Integration in das öffentliche bzw. Berufsleben) Emanzipationsprozesse Unterwelt als Spiegelbild der Oberwelt (Diskriminierung und Machtgefälle) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 4 Gefä Gefährliche Klassen, Berufsverbrecher (crime (crime as work), work), Organisierte Kriminalitä Kriminalität Gefä Gefährliche Klassen: Schicht und Kriminalitä Kriminalität Ausgangspunkt: offiziell registrierte Kriminalität konzentriert sich auf untere soziale Schichten – Schichtmodell und Klassenmodelle der Gesellschaft 19. Jahrhundert: Debatte über „Gefährliche Klassen“ – Lumpenproletariat – Frage der Kontrolle (Einbindung) gesellschaftlicher Gruppen – Bindung durch Arbeit und Arbeitsmarkt – Klassenstrafrecht und Klassenjustiz Kriminologie I WS 2009-2010 Page 6 Verbrechen als Beruf Sutherland, E.H.: The professional thief. The university of Chicago 1937. Unterwelt, Schattenwelten und Schattenwirtschaften Normen und Werte regulieren die Schattenwirtschaften und damit verbundene Berufsrollen (Dieb und Hehler, Zuhälter etc.) Lerntheorien, Gelegenheitstheorien, ökonomische Theorien Kriminologie I WS 2009-2010 Page 7 Organisierte Kriminalität Der Diskurs über organisierte Kriminalität und Innere Sicherheit Das OrgKG (Gesetz zur Bekämpfung des Betäubungsmittelhandels und anderer Formen der Organisierten Kriminalität) 1992 Geldwäsche, Gewinnabschöpfung und neue Ermittlungsmethoden Kriminologie I WS 2009-2010 Page 8 Definition Organisierter Kriminalität Gemeinsame Arbeitsgruppe Justiz/Polizei, 1990 Planmäßige Begehung von Straftaten Einzeln oder in Gesamtheit von erheblicher Bedeutung Zwei oder mehr Beteiligte auf längere oder unbestimmte Zeit arbeitsteilig gewerbliche/geschäftsähnliche Strukturen unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder unter Einflussnahme auf Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Justiz Kriminologie I WS 2009-2010 Page 9 Geschichte der Organisierten Kriminalität 17./18. Jahrhundert Räuber- und Gaunerbanden 19./20. Jahrhundert Grossstädtische Unterwelten Berufs- Gewohnheitsverbrecher/Professionelle Kriminalität Kriminologie I WS 2009-2010 Page 10 Erklärung der Organisierten Kriminalität Grossstadtmilieus Anpassung und Rationalisierung Entwicklung von Schwarzmärkten Reaktion von Minderheiten („ethnische Leiter“) Theorie des „schwachen Staats“ Kriminologie I WS 2009-2010 Page 11 Immigranten, Ethnische Minoritä Minoritäten und Kriminalitä Kriminalität Immigrantenforschung: Ausgangspunkte Forschung zu Immigranten ist lange Zeit vernachlässigt worden – Alleinige Orientierung an Nationalität Sensible Fragestellungen – Kulturelle, ethnische und religiöse Differenzen – Diskriminierung Mobile Menschen und mobiles Recht – Mit den Menschen wandern auch das Recht und Vorstellungen darüber, was gerecht ist Wer ist ein Immigrant? Kriminologie I WS 2009-2010 Page 13 Ausländeranteile an Tatverdächtigen und Wohnbevölkerung 40 35 30 25 20 15 10 5 19 61 19 64 19 67 19 70 19 73 19 76 19 79 19 82 19 85 19 88 19 91 19 94 19 97 20 00 20 03 20 06 0 Anteil Tatverdächtige Kriminologie I WS 2009-2010 Anteil Wohnbevölkerung Page 14 Wer ist ein Immigrant? Wer ist ein Immigrant und wie lange bleibt man ein Immigrant? – Bei Zugrundelegen der Staatsangehörigkeit haben etwa 8% der Wohnbevölkerung Immigrantenstatus Statistisches Bundesamt: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus 2005 –. Wiesbaden 2007, S. 328 – Bei Zugrundelegen von Migrationserfahrung und direkter Abstammung von Personen mit Migrationserfahrung – Anteil der Wohnbevölkerung mit Migrationshintergrund » Ca. 18% Aus Immigranten werden im Laufe der Zeit teilweise – Ethnische Minderheiten Kriminologie I WS 2009-2010 Page 15 Woher kommen die Migranten? Ehemalige SU Sonstiges Europa EU25 3579000 1515000 159000 217000 1864000 Türkei 2445000 453000 513000 536000 168000 Afrika Kriminologie I WS 2009-2010 Naher/Mittlerer Osten Page 16 Phasen der Einwanderungspolitik bis 1973 70er/80er Jahre 90er Jahre ab 2000 Kriminologie I WS 2009-2010 Immigration aus früheren Kolonien und Anwerbung von „Gastarbeitern“ Familienzusammenführung und Asyl Asyl, Flüchtlinge, illegale Immigration Asyl, Flüchtlinge, illegale Immigration und ausgewählte Arbeitsmigranten Page 17 Ausländerstatus und Tatverdacht Asylbewerber Ausbildung Kriminologie I WS 2009-2010 Arbeitnehmer Illegal 08 20 06 20 04 20 02 20 00 20 98 19 96 19 94 19 92 19 90 19 88 19 86 19 19 84 40 35 30 25 20 15 10 5 0 Touristen Page 18 Beziehungen zwischen Einwanderung, Sicherheit und Kriminalität Einige, jedoch nicht alle, Immigrantengruppen sind stärker mit Kriminalität belastet Besondere Belastungen sind teilweise sichtbar bei den Einwanderern der zweiten und dritten Generation Viele Immigranten befinden sich in einer ökonomisch und sozial gesehen prekären Situation Der soziale und ökonomische Wandel der letzten Jahrzehnte hat sich zu Lasten von Immigranten ausgewirkt – Das Verschwinden (einfacher) Arbeit insbesondere hat die Immigrationsund Integrationsbedingungen verändert – Neuimmigranten bietet sich häufig nur der Weg in Schattenwirtschaften; der erste Arbeitsmarkt bleibt versperrt. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 19 Was hat sich für Immigranten verändert? Rechtlicher Status: vom Arbeitsmigranten zu Asyl, Flüchtlingsstatus und Illegalität Transformation der Arbeitsmärkte führt zu hoher Arbeitslosigkeit und Arbeit in Schattenwirtschaften Immigranten konzentrieren sich in grossstädtischen Gebieten Arbeitsmigranten der 1950er und 1960er Jahre kommen aus ländlichen Gebieten; Migranten der letzten zwei Jahrzehnte kommen aus grosstädtischen Gebieten Immigration führt in Europa zu transnationalen (ethnischen) Gemeinschaften (transnational communities) – Beibehaltung von Bindungen an die Herkunftsgesellschaften – Doppelte Staatsbürgerschaft Kriminologie I WS 2009-2010 Page 20 Immigranten (Nichtdeutsche) und ihr Anteil an polizeilich registrierter Kriminalität 2006 30 25 20 15 10 Insgesamt Betrug Drogendelikte Schwerer Diebstahl Raub Vergewaltigung 0 Tötungsdelikte 5 Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik 2006 Kriminologie I WS 2009-2010 Page 21 Immigrantenkriminalität Immigrantenkriminalität ist weitgehend durchschnittliche Kriminalität Ausnahmen – Immigrationsbezogene Kriminalität – Urkundenfälschung – Ausländer-, Asyldelikte – Schattenwirtschaftsbezogene Kriminalität – Drogenmärkte – Rotlicht – Höhere Belastung mit Gewaltkriminalität (auch in Dunkelfeldbefragungen bei jungen Männern) – Ehre und Gewalt – Vergeltende Gewalt Kriminologie I WS 2009-2010 Page 22 Konsequenzen der Immigrantenkriminalität Hoher Anteil an polizeilich registrierten Tatverdächtigen (22%) – Insbesondere in Grossstädten, bei Intensivtätern und bei jungen Menschen (45% der Jugendgruppengewalttäter waren 2006 in Berlin nichtdeutsch oder deutsch nichtdeutscher Herkunft) – Häufige, teilweise konflikthafte/gewalttätige Konfrontationen mit Polizei Hoher Anteil an Verurteilten (23%) Hoher Anteil an Strafgefangenen (22%) Vergleichsweise geringer Anteil an Maßregelvollzugsinsassen (Schätzungen liegen bei etwa 10%) Neuregelung des Maßregelvollzugsrechts 2006 hatte auch Entlastung durch Vorrang der Abschiebung zum Ziel Kriminologie I WS 2009-2010 Page 23 Raum und Kriminalität Räumliche Verteilungen Grossstädte vs. Land – Grossstädte (< 500.000) = ca. 18% der Einwohner, aber etwa 35% der registrierten Kriminalität – Kleinstädte (40% der Einwohner, aber 20% der Kriminalität) Industriestaaten vs Entwicklungsländer Stadtteile (hot spots) Unterschiede zwischen Grossstädten (beispw. München vs. Hamburg) – Hamburg: 16.168/100.000 – München: 9.263/100.000 Kriminologie I WS 2009-2010 Page 25 Erklärung der Unterschiede und Reaktionen Chicago-Schule der Kriminologie – Soziale Desorganisation – Häufiger Wechsel der Personen/Haushalte – Zusammenbruch informeller Sozialkontrolle Zero-Tolerance Policing – „Wehret den Anfängen“ – broken windows Prozess Kriminologie I WS 2009-2010 Page 26 Broken Windows Sichtbare Zeichen von Verfall und Verwahrlosung der Wohnumgebung (Incivilities: Graffiti, Müll, benutzte Spritzen etc.) können eine Verstärkung von Unordnung und Kriminalität auslösen – Bleibt die Reaktion auf diese Zeichen aus, so wird angenommen, dass dies zur Wahrnehmung (durch Bewohner und potentielle Straftäter) führt, dass in der betroffenen Gegend soziale Kontrolle fehlt und das Risiko der Begehung von Straftaten gering ist Dies führt zu einem (sozialen) Rückzug der Bewohner und zu einer Schwächung der sozialen Kontrolle Dies zieht Straftäter von außen an (Verlagerung von Devianz) und verstärkt die Devianz vor Ort lebender junger Männer usw Die Broken Windows Hypothese dient zur Begründung von „NullToleranz“ Ansätzen der Polizei (insbesondere New York in den 1990er Jahren) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 27 Literatur Broken Windows Keizer, K., Lindenberg, S., Steg, L.: The Spreading of Disorder. Science 322(2008), S. 1681-1685 Gau, J.M., Pratt, T.C.: Broken Windows or Window Dressing? Citizens´(In) Ability to Tell the Difference Between Disorder and Crime. Criminology & Public Policy 7(2008), S. 163-194 Kelling, G.L., Wilson, J.Q.: Broken Windows. The Atlantic 1982 www.theatlantic.com/doc/198203/broken-windows Rosenfeld, R., Fornango, R., Rengifo, A.F.: The Impact of OrderMaintenance Policing on New York City Homicide and Robbery Rates: 1988-2001. Criminology 45(2007), S. 355-383 Hirtenlehner, H.: Unwirtlichkeit, Unterstützungserwartungen, Risikoantizipation und Kriminalitätsfurcht. Monatsschrift für Kriminologie 91(2008), S. 112-130. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 28 Die Aussagekraft der Polizeilichen Kriminalstatistik Was wird durch Polizeiliche Kriminalstatistiken gemessen? Anzeigebereitschaft (Opfer ist „gate keeper“) – Determinanten » Deliktsschwere, ethnische Zugehörigkeit, Illegalität (beisp. Illegale Immigranten, Drogenmärkte) » Direkt beeinflussbar durch gesetzliche, vertragliche Verpflichtungen (Geldwäsche, Versicherungen) Kontrollintensität im Falle opferloser Delikte – „proaktive“ Polizei (V-Leute, under cover policing, TÜ etc.) – abhängig von Investitionen in Polizei und Verfahrensrecht Kriminologie I WS 2009-2010 Page 30 „Selbstjustiz“/Informelle Erledigung von Straftaten Selbständige Erledigung von Kriminalität beispw. durch – Betriebsjustiz – Öffentliche Verkehrsbetriebe (Erhöhter Fahrpreis) – Familie – Nachbarschaft Kriminologie I WS 2009-2010 Page 31 Konsequenzen Dunkelfeld der Kriminalität Gesetz der konstanten Verhältnisse? Alternative Messinstrumente – Selbstberichtsbefragungen (Self reported delinquency SRD) – Opferbefragungen Kriminologie I WS 2009-2010 Page 32 SRD Fragen Die meisten Menschen tun in ihrem Leben manchmal Dinge, die verboten sind, z.B. ohne Fahrkarte im Bus fahren oder etwas stehlen. Wir möchten gerne von Dir wissen, ob Du auch schon einmal etwas Verbotenes getan hast. Ich habe schon einmal – einen ganzen Tag oder mehrere Tage die Schule geschwänzt – in einem Geschäft etwas gestohlen – jemanden so geschlagen, dass er/sie verletzt war oder blutete Kriminologie I WS 2009-2010 Page 33 Freiburger SRD Studie www.mpicc.de – forschung/online publications and resources – Oberwittler u.a.: Soziale Lebenslagen und Delinquenz von Jugendlichen Kriminologie I WS 2009-2010 Page 34 Freiburger SRD Studie Kriminologie I WS 2009-2010 Page 35 Freiburger SRD Studie Kriminologie I WS 2009-2010 Page 36 Freiburger SRD Studie Kriminologie I WS 2009-2010 Page 37 Freiburger SRD Studie Kriminologie I WS 2009-2010 Page 38 Freiburger SRD Studie Kriminologie I WS 2009-2010 Page 39 Freiburger SRD Studie Kriminologie I WS 2009-2010 Page 40 Freiburger SRD Studie Kriminologie I WS 2009-2010 Page 41 Selbstberichtsuntersuchungen Beziehen sich ganz überwiegend Auf junge Menschen Werden häufig als Schuluntersuchungen durchgeführt (Klassenbefragungen) Basieren auf retrospektiven Fragen Haben Sie …, Wie oft haben Sie in den letzten 12 Monaten ….? Kriminologie I WS 2009-2010 Page 42 Probleme retrospektiver Befragung Erinnerung Vergessen Fehlerhafte Platzierung Falsche Erinnerung der Häufigkeit Verdrängung/Beschönigung Von erheblicher Relevanz für die Erinnerung Die jeweilige Bedeutung des Ereignisses Kriminologie I WS 2009-2010 Page 43 Befunde aus Selbstberichtsforschungen Kriminalität ist (bei Kindern und Jugendlichen) weit verbreitet (Ubiquitätsthese; Normalitätsthese) Die weite Verbreitung von Kriminalitätsbegehung ist beschränkt auf triviale Delikte (Schwarzfahren, kleine Diebstähle). Nahezu alle Jugendliche begehen irgendwann einmal eine Straftat. Für die meisten jungen Menschen bleibt es bei einer oder einer gelegentlichen kleinen Straftat Kriminologie I WS 2009-2010 Page 44 Befunde Schwere Kriminalitätsbegehung sowie wiederholte und mehrfache Deliktsbegehung sind selten. Unterschiede zwischen den Geschlechtern bleiben bestehen, wenn schwere Straftaten und wiederholte Deliktsbegehung einbezogen werden (und auf triviale Delikte verzichtet wird). Kriminologie I WS 2009-2010 Page 45 Befunde Das Dunkelfeld ist offensichtlich bei leichten Delikten stärker ausgeprägt als bei schweren Delikten. Die Ergebnisse aus Täterbefragungen lassen sich im Bereich von schwerer Kriminalität mit denen der Kriminalstatistik zur Deckung bringen. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 46 Befunde Eine strikte Trennung zwischen Tätern und Nichttätern (oder Tätern und Opfern) kann nicht durchgeführt werden Kriminologie I WS 2009-2010 Page 47 Opferbefragungen Fragestellungen – Selbst erlittene Kriminalität – Einstellungen – insb. aber Kriminalitätsfurcht Kriminologie I WS 2009-2010 Page 48 Opferbefragungen Vorteile – weniger sensible Fragen für die Befragten » Ausnahme: Betrug, sexuelle Gewalt Nachteile – nur Deliktsbereiche mit individuellen Opfern Kriminologie I WS 2009-2010 Page 49 Freiburger SRD Studie Kriminologie I WS 2009-2010 Page 50 Freiburger SRD Studie Kriminologie I WS 2009-2010 Page 51 Deutschland: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht Kriminologie I WS 2009-2010 Page 52 Deutschland: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht Kriminologie I WS 2009-2010 Page 53 Deutschland: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht Kriminologie I WS 2009-2010 Page 54 Deutschland: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht Kriminologie I WS 2009-2010 Page 55 International Crime Victims Survey (ICVS 2000) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 56 International Crime Victims Survey (ICVS 2000) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 57 International Crime Victims Survey (ICVS 2000) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 58 International Crime Victims Survey (ICVS 2005) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 59 International Crime Victims Survey (ICVS 2005) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 60 Normalität der Kriminalität Kriminalität und ökonomische/kulturelle Leistungen (Rechtswissenschaft, Arbeitsplätze, Versicherungen, Literatur) Kriminalität als Schrittmacher für sozialen Wandel (beispielsweise sexuelle Emanzipation, Gewerkschaften/Arbeiterbewegung) Kriminalität macht Normen erst sichtbar (aus der Abweichung ergibt sich erst der Inhalt und die Autorität der Norm) Kriminalität als Voraussetzung für Integration einer Gesellschaft (die konformen Gesellschaftsmitglieder solidarisieren sich gegen den Abweichler) Der Verbrecher ist notwendig als Projektionsobjekt für Triebwünsche und dafür, daß dauerhafter Triebverzicht (und damit die Kanalisation der Antriebskräfte in kulturelle Leistungen) ermöglicht wird. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 61 Kriminalitätstheorien Soziologische Theorien Psychologische Theorien Ökonomische Theorien Biologische Theorien Kriminologie I WS 2009-2010 Page 62 Soziologische Kriminalitätstheorien Anomietheorie der Kriminalität Durkheim, Emile 1858 – 1917 – Über die Teilung der sozialen Arbeit. Frankfurt 1977 – Der Selbstmord. Neuwied, Berlin 1973 Merton, Robert 1910 – 2003 – Sozialstruktur und Anomie. In: Sack, F., König, R. (Hrsg.): Kriminalsoziologie, Frankfurt am Main, S. 283–313 Kriminologie I WS 2009-2010 Page 64 Soziale Integration, Anomie und Kriminalität Gesellschaftliche Integration wird ermöglicht durch ein die Bedürfnisse der Individuen begrenzendes gemeinsames Kollektivbewusstsein ("Conscience collective") Im Kollektivbewusstsein sind die für die Gesellschaft maßgeblichen Normen und Werte verkörpert Kollektivbewusstsein vermittelt Orientierungssicherheit und ein Gefühl der Solidarität Für vormoderne Gesellschaften ist eine “mechanische Solidarität” typisch, die durch die Ähnlichkeit ihrer Teile gewährleistet wird In einer modernen arbeitsteiligen Gesellschaft geht die Ähnlichkeit verloren (Individualisierung) “Mechanische Solidarität” wird durch "organische Solidarität” ersetzt, die beständig erzeugt werden muss Ein Anstieg des Suizides oder steigende Kriminalitätsraten kennzeichnen einen Verlust an Solidarität/Integration sowie anomischen Zustand (Unsicherheit in der Orientierung, fehlende Normen) Der Begriff der Anomie verweist nicht auf Kriminalität an sich, sondern auf einen anomischen Kriminalitätsanstieg, da nur dies Schwächung des Kollektivbewusstseins und soziale Desintegration anzeigt Kriminalität ist im Übrigen nicht nur ein normaler Bestandteil der sozialen Struktur, sondern funktional, da die Strafe das beeinträchtigte Kollektivbewusstsein bestärkt Das Kollektivbewusstsein darf nicht zu stark sein; eine Anpassung des moralischen Bewusstseins an geänderte gesellschaftliche Verhältnisse und damit sozialer Wandel muss möglich bleiben Hierzu gehört die prinzipielle Möglichkeit kriminellen Verhaltens; das Verbrechen kann im Einzelfall eine künftige im Kollektivbewusstsein enthaltene Moral antizipieren und zum Schrittmacher sozialen Wandels werden Kriminologie I WS 2009-2010 Page 65 Mertons Anomietheorie Gesellschaften zerfallen in eine kulturelle und in eine soziale Struktur – die kulturelle Struktur gibt an, welche Ziele in einer Gesellschaft erreicht werden sollten und wie dies geschehen sollte (Normen und Werte) – die soziale Struktur entscheidet über die Möglichkeiten, die Ziele tatsächlich zu erreichen: objektive Bedingungen des Handelns Kriminologie I WS 2009-2010 Page 66 Anomietheorie Sind kulturelle und soziale Strukturen nicht integriert, dann entsteht – für den einzelnen Menschen eine anomische Situation oder Stress Kriminologie I WS 2009-2010 Page 67 Reaktion auf Anomie Innovation: Die kulturellen Ziele werden beibehalten, die normativ zugelassenen Wege werden ersetzt durch illegale oder illegitime Mittel (Abweichung, Kriminalität). Ritualismus: Die Werte und Ziele werden aufgegeben, die zugelassenen institutionalisierten Mittel werden zum Eigenwert. Rückzug aus der Gesellschaft. Sowohl Werte und Ziele als auch die Mittel werden abgelehnt. Die Anpassung besteht darin, sich aus der Gesellschaft auszugrenzen. Rebellion: Sowohl Werte als auch Normen werden abgelehnt, gleichzeitig wird versucht, die abgelehnten Werte und Normen durch ein neues (gerechteres) System von Werten und Normen zu ersetzen. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 68 Cloward/Ohlin: Anomie und Zugangschancen Erweiterung der Anomietheorie kriminellen Verhaltens durch Cloward/Ohlin Ergänzt wird die Anomietheorie um die Zugangschancen zu illegitimen Mitteln Bei Merton enthält die Sozialstruktur implizit eine Annahme zur Verteilung der Zugangschancen zu legitimen Mitteln, – der Unterschicht sind legitime Mittel weitgehend verbaut Cloward/Ohlin stellen die Frage nach der Verteilung der illegitimen Möglichkeiten – Rückgriff auf Theorie der differentiellen Assoziation Kriminologie I WS 2009-2010 Page 69 Theorie der differentiellen Assoziation Theorie der differentiellen Assoziation (Edwin Sutherland): – kriminelles Verhalten wird gelernt, wie jedes andere Verhalten auch – Die hiermit verbundenen Annahmen betreffen: – Kriminelles Verhalten wird in intimen Bezugsgruppen gelernt. – Das, was gelernt wird, besteht nicht nur darin, wie man Diebstähle oder andere kriminelle Verhaltensweisen begeht, sondern auch in bestimmten Wertemustern, Einstellungen (die für bestimmte professionelle Kriminalitätsbegehung bezeichnend sind). – Der Zugang zu derartigen Gruppen ist unterschiedlich verteilt. – Insoweit hängt die Begehung von Kriminalität davon ab, ob und inwieweit man zu bestimmten Gruppen und damit Lernmöglichkeiten Zugang bekommt. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 70 Theorieintegration Integration der Theorie der differentiellen Assoziation und der Anomietheorie Typisierung verschiedener subkultureller Anpassungsmuster: – Die kriminelle Subkultur (die entsprechende Lern- und Kontaktmöglichkeiten voraussetzt) – Die Konfliktsubkultur (Banden) – Gewalt als Mittel zu Statuserwerb und -erhalt – Die Rückzugssubkultur (Scheitern in jeder Hinsicht, d. h. sowohl im legalen als auch im illegalen Bereich) – Drogensubkultur Kriminologie I WS 2009-2010 Page 71 Hauptgesichtspunkte der Anomietheorien – Strukturell erzeugter „Stress“ führt zu Kriminalität (oder anderen abweichenden „stresslösenden“ Verhaltensweisen) – Politische Reaktion: Herstellung von Chancengleichheit, Beseitigung von Armut (Politik der sechziger und siebziger Jahre; war on poverty) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 72 Subkulturtheorien Cohens Kultur der Gang Kulturtheorie männlicher Bandenkriminalität – Ausgangspunkt: Mertons Analyse von kultureller und sozialer Struktur – männliche Jugendliche der Ghettos können bereits in der Schule die von der Mittelschichtsgesellschaft gesetzten Erwartungen nicht oder nur schwer erfüllen. – Hieraus folgt individuelle Frustration. – Zur Lösung der Frustration werden im Wege einer kollektiven Reaktionsbildung die Mittelschichtsnormen und -werte entwertet und durch eine andere Wertekultur ersetzt. – Dies ist die Wertekultur der Bande. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 74 Millers Kulturkonflikttheorie Die Subkultur der Bande ist das Produkt eines größeren subkulturellen Kontextes. Miller versteht die Jugendbande als Teil einer traditionsreichen Subkultur (der Unterschicht, der Arbeiterklasse). Die Verhaltensweisen, die als deviant oder kriminell bezeichnet werden können, entstehen dabei aber nicht wie bei Merton oder Cohen aus der Frustration oder der Anomie, sondern aus der allgemeinen Motivation, mit subkulturellen Werten und Normen konform zu bleiben Die Kriminalität der Bande ist deshalb ein Nebenprodukt subkultureller Normen, die mit denen der dominanten Kultur im Widerspruch stehen. Abweichung und Kriminalität sind damit kein Produkt einer zielgerichteten Reaktion auf Mittelschichtsnormen, sondern der Versuch, nach den in der Subkultur geltenden Normen zu leben. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 75 Subkulturelle Werte – Schwierigkeiten mit dem Gesetz haben, – Härte und Männlichkeit (gegenüber Weichheit und Feigheit), – Gerissenheit (gegenüber Beschränktheit, Gelderwerb durch harte Arbeit), – Risiko und Aufregung, Autonomie (gegenüber Unterordnung und Autorität). Kriminologie I WS 2009-2010 Page 76 Labeling Approach Anomietheorien verweisen auf sozial bedingten Stress auf den einzelnen Menschen, der somit zu Abweichung und kriminellem Verhalten getrieben wird und keine eigenständigen Beiträge leistet. Im Labeling Approach (oder Etikettierungsansatz) wird die einzelne Person ebenfalls in den Mittelpunkt gerückt. Hiermit wird dann auf Interaktionen (zwischen Personen oder zwischen Personen und Institutionen) verwiesen. Der labeling approach ist mit den Arbeiten von Howard Becker verbunden (wie wird man Jazzmusiker; wie wird man Haschischraucher). – Becker, H. S.: Außenseiter. Frankfurt 1981 Der labling approach wurde in den 1960er Jahren auch in Deutschland bzw. in Westeuropa rezipiert. Der labeling approach ist methodisch mit qualitativen Verfahren verbunden (symbolischer Interaktionismus) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 77 Labeling Approach Ausgangspunkt: – Es gibt kein abweichendes Verhalten „an sich“ – Erst die Normsetzung schafft die Voraussetzung für die Möglichkeit des von ihnen abweichenden Verhaltens – Soziale Gruppen schaffen abweichendes Verhalten, indem sie Normen aufstellen – Moralunternehmer – Die Unterscheidung von normal und abweichend ist Gegenstand von sozialen Konflikten – Soziale Normen "verursachen" deshalb Abweichung bzw. Kriminalität Kriminologie I WS 2009-2010 Page 78 Labeling approach Die Bewertung einer Handlung als konform oder abweichend erfordert: – Ein Bewertungsschema (Norm) – Ein Bewertungsvorgang: d. h. ein Interaktionsprozess, in dessen Verlauf Menschen anderen Menschen die Eigenschaft abweichend bzw. kriminell zuschreiben, die dann das Etikett für sich selbst übernehmen Kriminologie I WS 2009-2010 Page 79 Zuschreibungsprozess 1. Schritt: Verhalten (oder Abweichung) 2. Schritt: Interaktionsprozesse: Handelt es sich um eine Abweichung? Ist die betreffende Person ein Dieb? 3. Schritt: Zuschreibung in Form von – Selbstzuschreibung, Identitätsveränderung – Fremdzuschreibung, Rekonstruktion der Geschichte des Individuums » erleichtert durch Aktenführung (Jugendämter, Strafakten) – Reduzierung anderer Handlungs- und Entwicklungsoptionen » Auch bedingt durch Stigmatisierung (durch strafrechtliche Verurteilung oder Gefängnisaufenthalt) – Entstehung einer „Laufbahn“, Karriere – Allerdings ist dies kein zwingender Mechanismus Kriminologie I WS 2009-2010 Page 80 Symbolischer Interaktionismus Menschen verhalten sich Dingen und anderen Menschen gegenüber auf der Grundlage der Bedeutungen, die diese Dinge oder Menschen für sie haben Diese Bedeutungen entstehen in sozialer Interaktion mit anderen Menschen und wirken darauf zurück Menschen handhaben jene Bedeutungen durch Interpretation, die dazu dient, den Objekten der sozialen Umwelt einen Sinn abzugewinnen Eine menschliche Handlung lässt sich nur aus dem situativen Kontext heraus und mithilfe der Interpretation der handelnden Individuen selbst verstehen Der symbolische Interaktionismus befasst sich mit dem Selbst als jener Instanz im Menschen, welche reflektiert, benennt, interpretiert und sich zu sich selbst ebenso wie zu anderen Individuen in Beziehung setzt Die Methode des symbolischen Interaktionismus bezieht sich auf Situationen aus dem Alltag des Menschen Die Gesellschaft stellt eine intersubjektive Welt geteilter Bedeutung und Sinnzuschreibung dar Kriminologie I WS 2009-2010 Page 81 Konsequenzen des labeling approach Unterscheidung zwischen – Primärabweichung – Sekundärabweichung Besondere Bedeutung für kriminelle Karriere Besondere Bedeutung für Kriminalpolitik – – – – Verhinderung von Sekundärkriminalität Diversion Non-Intervention Reduzierung von Stigma, beispw. Bundeszentralregistergesetz Kriminologie I WS 2009-2010 Page 82 Stress oder Kontrolle? Kriminalitätstheorien als Erklärung – pathologischer Erscheinungen, die im Verlaufe von Vergesellschaftungs- oder Sozialisationsprozessen auftreten. Erklärung der Fehl- oder Nichtanpassung eines Menschen, – verursacht durch sozialstrukturelle Pathologien, familiäre Ausnahmesituationen oder persönlichkeitsspezifische Defizite "Stresstheorien" fassen solche Ansätze zusammen, die – von einem allgemein gesellschaftlichen Norm- und Wertekonsensus ausgehen und – die abweichende oder kriminelle Handlungen durch blockierte Zugänge und dadurch ausgelösten Streß verursacht ansehen. – Der Schwerpunkt in der Erklärung der Entstehung von Konformität liegt auf der Erziehung und dem Prozess der Norminternalisierung. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 83 Ausgangsfrage Hobbes: Der Mensch ist des Menschen Wolf Problem: Wie kann der Einzelne geschützt werden? Schutz (innere Sicherheit) bietet allein der Staat (durch äußeren Zwang) Kriminalität wird verhindert durch äußeren Zwang Kriminologie I WS 2009-2010 Page 84 Änderung der Ausgangsfrage Aus der Fragestellung von Hobbes – „Warum verhalten sich Menschen konform?“ wird die Frage – „Warum verhalten sich Menschen abweichend?“ Kriminologie I WS 2009-2010 Page 85 Antwort der sozialstrukturellen Gesellschaftstheorie Menschen verhalten sich konform, weil – es ein konsentiertes Werte- und Normensystem gibt, – das im Laufe der Sozialisation jeder Mensch, der „normal“ erzogen wird, „internalisiert“. – Insoweit kommen Erwartungen der Gesellschaft (Normen) und Interessen des Einzelnen zur Deckung. Konformität ist deshalb die Regel (und nicht erklärungsbedürftig), Abweichung ist die Ausnahme (und deshalb erklärungsbedürftig) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 86 Probleme Werte- und Normkonsens ist zweifelhaft – 1960er Jahre: Vietnamkrieg, Studentenunruhen, Rassenunruhen in den USA Was ist Norminternalisierung? – Freudsches Konzept des Über-Ichs und des Gewissens als Übernahme von Fremderwartungen (gesellschaftliche Normen) – Konsequenz: schlechtes Gewissen, aber keine Verhinderung des Normbruchs Kriminologie I WS 2009-2010 Page 87 Neues Interesse an Kontrolltheorien Kontrolltheorie der Kriminalität (Hirschi) Erklärungsbedürftig ist, warum sich der Einzelne an die Regeln hält Kriminologie I WS 2009-2010 Page 88 Relevante Faktoren Attachment: emotionale Bindung an relevante andere (Eltern, peers) Commitment: rationale Bindung über instrumentelle Interessen (beispielsweise erworbener Status, der nicht aufs Spiel gesetzt werden soll, Karrierechancen, die man sich nicht verderben will) Belief: Bindung aufgrund gemeinsamer geteilter Werte und Normvorstellungen; Glaube an die Legitimität der Ordnung und der Normen Involvement: Bindung auf der Basis der faktischen Teilnahme an den Institutionen der Gesellschaft (beispielsweise durch Arbeit oder Ausbildung). Kriminologie I WS 2009-2010 Page 89 Fortentwicklung der Kontrolltheorie Gottfredson/Hirschi – Gottfredson, M., Hirschi, T.: A General Theory of Crime. Stanford 1990 – Allgemeine Kriminalitätstheorie – Kriminalität ist Ausdruck mangelhafter – Selbstkontrolle » Personen mit hoher Selbstkontrolle berücksichtigen die langfristigen Konsequenzen von Handlungen » Personen mit geringer Selbstkontrolle berücksichtigen die Folgen nicht » Selbstkontrolle ist erlernt und wenig anfällig für Veränderungen Kriminologie I WS 2009-2010 Page 90 Was bedingt die Konformität mit Internationalem Recht? Führt die Ratifizierung der UNO Anto Folter Konvention zu weniger Folter? – Nur ganz schwache Korrelation zwischen Ratifizierung und Ausmaß der Folter Demokratie und Folter? – Voll ausgebildete Demokratien folgen Pflichten aus der Konvention eher und zeigen nach Ratifizierung eine Verbesserung der Praktiken Kriminologie I WS 2009-2010 Page 91 Warum halten sich Staaten an Konventionen? Der Staat als rationaler Akteur? – Direkte Sanktionen: ökonomische Sanktionen oder humanitäre Intervention (Sicherheitsrat) – Informelle Sanktionen: Reputation und Scham – Konformität mit internationalem Recht reflektiert nationale Interessen – Wahrnehmung von internationalem Recht als legitim und gerecht Kriminologie I WS 2009-2010 Page 92 Voraussetzungen für Konformität Politische Strukturen – Ausmaß der politischen Beteiligung und der Gleichheit Systeme der Rechtfertigung von Anti-Folter Politik – Entwickelt und unterstützt durch soziale und politische Eliten – Ausschluss von Feindbildern, insb. das außergewöhnliche Verbrechen, gefährliche Menschen Systeme der Organisation von Autorität – Vorgesetztenverantwortlichkeit Kontrolle lokaler Dynamik von Folter – Insb. Schutz von Gruppen mit niedrigem sozialem Status: Obdachlose, Drogenabhängige Kriminologie I WS 2009-2010 Page 93 Literatur Hathaway, O.A.: Do Human Rights Treaties Make a Difference? The Yale Law Journal 111(2002), S. 19352042. Cole, W.M.: Sovereignty Relinquished? Explaining Commitment to the International Human Rights Convenants, 1966 – 1999. American Sociological Review 70(2005), S. 472-495. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 94 Psychologische Kriminalitä Kriminalitätstheorien Theorie der Psychodynamik (Freud) Persönlichkeit gliedert sich in Es, Ich und Über-Ich – Es: Triebe – Ich: Person oder Persönlichkeit – Über-Ich: Gewissen Entwicklung der Psyche – Ausbildung des Ich (und damit der Abgrenzung zu anderen Personen) – Ausbildung des Über-Ichs (gesellschaftliche Normen und Erwartungen) Die Entwicklung von – Ich und Über-Ich: Identifikationsprozesse (mit Mutter und Vater) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 96 Psychodynamik und Abweichung Abweichendes Verhalten entsteht als Folge von Fehlentwicklungen in der Persönlichkeit – neurotische Fehlentwicklungen: ein zu starkes ("tyrannisches") Über-Ich (bedingt durch zu starke Identifikations- und Unterwerfungsprozesse in der frühen Erziehung) läßt eine adäquate Verarbeitung der Triebe nicht zu. Triebimpulse werden verdrängt und aufgestaut. Verbrechen und Abweichungen werden dann zu Symptomen (Beispiel: der Verbrecher aus Schuldgefühl). – Psychopathische Entwicklungen (als Folge gestörter (fehlender) Identifikation) führen zu Über-Ich-Defiziten, die eine angemessene Kontrolle der Triebe und eine interne Steuerung des Menschen auf der Basis der Repräsentanz gesellschaftlicher Erwartungen im ÜberIch nicht gewährleisten. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 97 Lerntheorien Kriminelles Verhalten wird erlernt wie jedes andere Verhalten (Sutherland) Lernmechanismus der operanten Konditionierung (Bekräftigungslernen) – Problemverhalten wird aufgrund verstärkender Verhaltenskonsequenzen erworben und verfestigt. Hypothese: Eine Person wird dann antisoziales Verhalten (kriminelles Verhalten) zeigen, wenn sie in der Vergangenheit dafür bekräftigt/belohnt worden ist und wenn aversive Konsequenzen das Verhalten nicht unterdrückt haben. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 98 Lerntheorien Erklärung erstmaligen Verhaltens/Erklärung seltenen Verhaltens – hier kann die Bekräftigung bzw. Verstärkung keine Rolle spielen Lerntheorie stellt heute auf eine Dreiteilung ab: – Erwerb von Verhalten, – Auslösung von Verhalten – Stabilisierung von Verhalten. Der Erwerb von Verhalten erfolgt durch Beobachtungslernen Kriminologie I WS 2009-2010 Page 99 Eysencks Persönlichkeitstheorie der Kriminalität Unterscheidung zwischen Extrovertierten und Introvertierten – Beobachtung: Extrovertierte sind stärker mit Kriminalität belastet Annahme: Kriminalität tritt eher bei extrovertierten Personen auf weil: – Extrovertierte Menschen weniger Angst haben – Angst eine Voraussetzung für Konditionierung darstellt – Extrovertierte Menschen deshalb schwerer lernen, weil sie weniger ängstlich sind Kriminologie I WS 2009-2010 Page 100 Counter Strike Kriminologie I WS 2009-2010 Page 101 Politik unter Zugzwang: Zugzwang: Bürger fordern Verbot von Gewaltspielen Das Erfurter Schulmassaker hat eine vehemente Diskussion über die Rolle der Gewalt in den Medien ausgelöst. Killerspiele der Art, wie sie Robert Steinhäuser suchtmäßig spielte, wurden entwickelt, um Soldaten zum ungehemmten Töten zu drillen. Sie haben in Kinderzimmern nichts zu suchen! Das Schulmassaker in Erfurt und die berechtigte Wut der Bevölkerung über die bisherige Untätigkeit der Politik haben eine allgemeine Debatte über die Ursache der "Neuen Gewalt" ausgelöst. Die Teilnahme von über 100000 Menschen am Erfurter Gedenkgottesdienst für die Opfer am 3. Mai - eine der größten Versammlungen in Deutschland seit der Wiedervereinigung machte deutlich, daß die Geduld der Bevölkerung zur Neige geht. Eine Umfrage des Bonner dimap-Instituts ergab, daß 81% der Bevölkerung ein Verbot von Gewaltvideos und brutalen Computerspielen befürworten. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 102 StGB § 131 Gewaltdarstellung (1) Wer Schriften (§ 11 Abs. 3), die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt, 1. verbreitet, 2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht, 3. einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überläßt oder zugänglich macht oder 4. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummern 1 bis 3 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 103 Beobachtungslernen Massenmedien, Videospiele und Gewalt Hypothesen – „Konsum“ (Beobachtung) von Gewalt erzeugt Gewalttätigkeit – Keine Auswirkungen – „Konsum“ von Gewalt führt zu weniger Gewalttätigkeit Problem der Überprüfung – Längsschnittfragestellung – Labor- und Feldforschung Kriminologie I WS 2009-2010 Page 104 Forschungsergebnisse AMERICAN ACADEMY OF PEDIATRICS: Media Violence. Pediatrics 108(2001), S. 1222-1226. Anderson, C.A., Bushman, B.J.: The Effects of Media Violence on Society. Science 295(2002), S. 2377-2379. Media violence and aggression: 46 longitudinal samples involving 4975 participants, 86 cross-sectional samples involving 37,341 participants, 28 field experiment samples involving 1976 participants, and 124 laboratory experiment samples involving 7305 participants. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 105 Forschungsergebnisse Anderson, C.A., Bushman, B.J.: The Effects of Media Violence on Society. Science 295(2002), S. 2377-2379. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 106 Auslösung von Verhalten Wahrnehmung von Gelegenheiten Befehl und Gehorsam Kriminologie I WS 2009-2010 Page 107 Das Milgram Experiment (1961) Angeregt durch den Beginn des Strafverfahrens gegen Eichmann in Israel Aufruf zur Teilnahme an einem Experiment über „Lernen, Gedächtnis und Strafe“; 4,50 US$ für Teilnahme Rollen: Lernender, Lehrer und Wissenschaftler, der das Experiment überwacht Der Lernende wird in einem Stuhl festgeschnallt und an Elektroden angeschlossen Vorgetäuscht wird zur Zuordnung der Rollen von Lernendem und Lehrer eine Zufallsauswahl. Der Lernende wird allerdings immer von einem Schauspieler gespielt. Das Experiment besteht aus: – Vorlesen von Begriffspaaren, die vom Lernenden wiederholt werden müssen – Bei Fehlern muss der Lehrer Stromstöße versetzen – Stromstöße reichen von 15 Volt bis 450 Volt (Lebensgefahr) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 108 Das Milgram Experiment Kriminologie I WS 2009-2010 Page 109 Durchführung 30 Schalter von 15 - 450 Volt, markiert mit Hinweisen wie 15 Volt = leichter Schock, 75 Volt = schmerzhaft bis 450 Volt = Lebensgefahr Vor Beginn des Versuchs wurden die Versuchspersonen von einem anwesenden Versuchsleiter, der als legitimierte Autoritätsfigur auftrat, nochmals massiv darauf hingewiesen, wie wichtig die strikte Einhaltung der Regeln sei Der angebliche Schüler äußerte vor Beginn des Versuchs beiläufig, er habe ein leichtes Herzleiden, wolle aber dennoch am Versuch teilnehmen Das Opfer begann bei 75 Volt zu stöhnen, woraufhin viele Versuchspersonen den Versuchsleiter vorsichtig baten, das Experiment zu unterbrechen, was dieser jedoch mit barscher Kritik und Appellen an die Männlichkeit seiner Versuchspersonen ablehnte Bei 180 Volt bat dann der "Schüler" eindringlich, das Experiment abzubrechen, da er die Schmerzen nicht mehr ertrage Bei 300 Volt brüllte er um Hilfe, danach schwieg er Kriminologie I WS 2009-2010 Page 110 Ergebnisse The theory that only the most severe monsters on the sadistic fringe of society would submit to such cruelty is disclaimed Two-thirds of this studies participants fall into the category of ‘obedient' subjects, they represent ordinary people drawn from the working, managerial, and professional classes (Obedience to Authority) Ultimately 65% of all of the "teachers" punished the "learners" to the maximum 450 volts No subject stopped before reaching 300 volts Kriminologie I WS 2009-2010 Page 111 Literatur Milgram, S.: Behavioral Study of Obedience. Journal of Abnormal and Social Psychology 67(1963), S. 371-378. Milgram, S.: Obedience to Authority; An Experimental View. Harpercollins 1974. Blass, Th.: The Milgram paradigm after 35 years: Some things we now know about obedience to authority. Journal of Applied Social Psychology 25 (1999), S. 955-978. Blass, Th.: The Man Who Shocked the World", Psychology Today (35)2002. Blass, Th.: The Man Who Shocked the World: The Life and Legacy of Stanley Milgram. Basic Books 2004. Burger, J.M.: Replicating Milgram. Would People Still Obey Today? American Psychologist 64 (2009), S. 1–11 Kriminologie I WS 2009-2010 Page 112 Stanford Prison Experiment 1971 (Zimbardo) Das Experiment 24 junge Männer (Mittelschicht, psychisch unauffällig und gesund) – Per Zufall: 12 Gefängniswärter, 12 Gefangene – Briefing der „Gefängniswärter“: Gewalt ist nicht erlaubt, ansonsten die Vermittlung des Gefühls vollständiger Kontrolle – Das Experiment musste nach einigen Tagen abgebrochen werden; sadistische und erniedrigende Behandlung von Gefangenen war die Regel Kriminologie I WS 2009-2010 Page 113 Ergebnisse des Stanford Prison Experiments Haney, C., Banks, W. C., Zimbardo, P. G.: Interpersonal dynamics in a simulated prison. International Journal of Criminology and Penology, 1(1973) 69-97. – The experiment's results demonstrate the impressionability and obedience of people when provided with a legitimizing ideology and social and institutional support – The results support situational attributions of behavior rather than dispositional attribution: the situation caused the participants' behavior rather than anything inherent in their individual personalities Kriminologie I WS 2009-2010 Page 114 Ansätze zur Erklärung von Holocaust, Folter etc. Disposition vs. Situation Erklärung durch: Veränderungen des moralischen Bezugsrahmens – Aus dem Tötungs- (Folter)verbot wird ein Tötungs-/Foltergebot – Rechtfertigungssysteme – Vollkommener Ausschluss der Opfer aus dem moralischen Bezugsrahmen – Dies erlaubt die Aussage: Ich töte/foltere, bin aber ein anständiger Mensch geblieben Veränderungen des moralischen Bezugsrahmens können offensichtlich sehr schnell erfolgen Kriminologie I WS 2009-2010 Page 115 Literatur zu Abu Ghraib Fiske, S.T., Harris, L.T., Cuddy, A.J.: Why Ordinary People Torture Enemy Prisoners. Science, 26. November 2004, Bd. 306, S. 1482-1483. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 116 Ökonomische Kriminalitä Kriminalitätstheorien Aufklärungsdenken und Nützlichkeit Jeremy Bentham (1748-1832) Konstant wirkende Kräfte: – Leid und Freude Entscheidend ist deshalb das Nutzenkalkül Jeremy Bentham (1789): „Die Natur hat den Menschen unter die Regierung zweier Herren gestellt: Schmerz und Lust. Nur sie weisen uns darauf hin was wir tun sollten, und bestimmen unser Handeln. “ Menschen handeln immer so, dass ihr Nutzen maximiert wird (Utilitarismus). Strafe: Notwendiger Schmerz, um vor Kriminalität abzuschrecken. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 118 Negative Generalprävention (Androhungsprävention) Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775 – 1833) Der Mensch wird geleitet durch die Verfolgung von für ihn nützlichen Zielen und die Vermeidung von Schmerz und Nachteilen Deshalb müssen die durch Strafe angedrohten Nachteile die durch eine Straftat erreichbaren Vorteile immer überwiegen Kriminologie I WS 2009-2010 Page 119 Neo-klassische ökonomische Theorie der Kriminalität Gary Becker (1968): „Dieser Ansatz nimmt an, dass eine Person ein Verbrechen begeht, wenn der erwartete Nutzen den Nutzen übersteigt, den er durch andere Aktivitäten erwarten könnte. Einige Menschen werden ‚Kriminelle‘, nicht weil sie eine grundlegend andere Motivation haben, sondern weil sie andere Nutzen und Kosten haben. Kriminalität lässt sich im Rahmen einer allgemeinen Theorie erklären und benötigt keine ad hoc-Konzepte wie Differentielle Assoziation, Anomie etc.“ Kriminologie I WS 2009-2010 Page 120 Unterschiedliche Perspektiven auf Kriminalitätsursachen (Neo)Klassisch (18. Jh) positivistisch (19. Jh) soziologisch (20. Jh) Menschenbild freier Wille; Glücksmaximierung kein freier Wille, stabile Anlagen zur Abweichung gesellschaftliche Ursachen dominant Theorieansätze Rational Choice Biologie/Psychopathologie Anomie, Subkultur, Bindungstheorie Kriminalpolitik Abschreckung; abgestufte Sanktionen Exklusion Sozialpolitik, Erziehung nach: Hess/Scheerer 2004 Kriminologie I WS 2009-2010 Page 121 Ökonomische Kriminalitätstheorien Makro-ökonomische Ansätze – Arbeitslosigkeit und Kriminalität – Krisen und Kriminalität – Preisentwicklung und Kriminalität Rational Choice – Die Entscheidung für eine Handlung ist das Ergebnis von Nützlichkeitsabwägungen – (1) Menschen sind rationale Akteure – (2) Rationalität beinhaltet Kosten-Nutzen-Kalkulation – (3) Menschen entscheiden frei und auf der Grundlage rationaler Kalküle über alle Verhaltensweisen (deviant und konform) – (4) Das zentrale Element des Kalküls besteht in der Kosten-Nutzen Abwägung: Vorteile der Straftat gegen Nachteile durch Bestrafung – (5) Die Entscheidung ist auf die Maximierung des Nutzens gerichtet Kriminologie I WS 2009-2010 Page 122 Rational Choice vereinfachte Nutzenfunktion: – erwarteter Nutzen = Gewinn – Kosten Kosten = (Wahrscheinlichkeit Strafe * Strafhöhe) + Begehungskosten Begehungskosten = Aufwand + entgangener alternativer Gewinn (Opportunitätskosten) – wenn G > K Normbruch – wenn G < K kein Normbruch Kriminologie I WS 2009-2010 Page 123 Ökonomische Kriminalitätstheorien Wann treten Nützlichkeitskalkulationen auf? Wie wird Nützlichkeit bewertet? – Grenznutzen und Grenzschaden – (Grenznutzen: mit zunehmendem Verbrauch nimmt der Nutzen eines Gutes für das konsumierende Individuum ab) Einschränkungen der rational choice Erklärung – Normen, normative Orientierung – Routinen, routine activity approach Kriminologie I WS 2009-2010 Page 124 Biologische Kriminalitä Kriminalitätstheorien Biologische Kriminalitätstheorien Annahme: Kriminalität ist vererblich Adoptions- und Zwillingsstudien Genetische/molekularbiologische Forschung Gehirnforschung Kriminologie I WS 2009-2010 Page 126 Zwillingsstudien Christiansen (1977) – 3.586 Zwillingspaare – In 900 Fällen fiel mindestens ein Zwilling kriminell auf – bei 35,2% der eineiigen Zwillinge war auch der zweite Zwilling kriminell auffällig – bei 12,5% der zweieiigen Zwillinge waren beide auffällig – eineiige Zwillinge sind offensichtlich einer gleichförmigen sozialen Reaktion unterworfen – aus den Verteilungen lässt sich folgern, dass annähernd zwei Drittel der eineiigen Zwillinge unterschiedliche Verläufe im Hinblick auf kriminelle Auffälligkeiten nahmen Kriminologie I WS 2009-2010 Page 127 Adoptionsstudien Hutchings/Mednick 1977 Untersuchung der Entwicklung adoptierter Kinder – Waren weder der leibliche Vater noch der Adoptivvater kriminell auffällig – Auffälligkeit adoptierter Kinder 10% – War der biologische Vater nicht kriminell, aber der Adoptivvater – Auffälligkeitsquote der Kinder 11%. – Unauffälligkeit des Adoptivvaters und Auffälligkeit des biologischen Vaters – Auffälligkeitsquote der Kinder 22% – Sowohl der biologische als auch der soziale Vater sind kriminell auffällig – Auffälligkeitsquote der Kinder 36%. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 128 Chromosomen-Anomalien XYY anstatt XY – Annahme erhöhter Gewalttätigkeit – Basiert im Wesentlichen auf der Beobachtung, dass in Gefängnispopulationen XYY in etwa 1-3% vorliegt, während die Anomalie in der Bevölkerung bei unter 1% der Personen auftritt Kriminologie I WS 2009-2010 Page 129 Molekularbiologie Neuropeptide, insbesondere Oxytocin – Verstärkte Ausschüttung von Oxytocin führt zu mehr Vertrauen in zwischenmenschlichen Interaktionen (Spielexperimente) Misshandelte Kinder mit einem MAOA (Monoamin Oxidase A) Gen, das lediglich in geringem Ausmaß das MAOA Enzym produziert, entwickeln häufiger Verhaltensprobleme (insbesondere auch Gewaltkriminalität) im späteren Leben Caspi, A., McClay, J., Mofitt, T.E., Mill, J., Judy Martin, J., Ian W. Craig, I.W., Alan Taylor, A., Poulton, R.: Role of Genotype in the Cycle of Violence in Maltreated Children. Science 297(2002), S. 851854. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 130 Gehirn und Kriminalitätserklärungen Impulsive Menschen bevorzugen die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung, geduldige Menschen können die Bedürfnisbefriedigung aufschieben (‚Marshmellow-Test‘, Mischel et al. 1989) Wird das im Gehirn an einer Stelle entschieden, oder konkurrieren unterschiedliche „Entscheidungszentren“? Hypothese: kurzfristige Ungeduld wird vom limbischen System (Dopamin-Ausschüttung) angetrieben, langfristige Geduld sitzt im präfrontalen Kortex. Kriminologie I WS 2009-2010 Page 131 Empirische Studie: Science 306(2004), 503-506 Experiment: Versuchspersonen müssen sich entscheiden zwischen unmittelbarer und späterer finanzieller Belohnung. Die unmittelbare Belohnung ist (etwas) geringer als die spätere. Methode: Brain Scanning mit funktionalem Magnetresonanz-Imaging (fMRI), Untersuchung der Gehirnaktivitäten während des Experiments Kriminologie I WS 2009-2010 Page 132 Gehirnaktivität im Limbischen System bei unmittelbarer Belohung Kriminologie I WS 2009-2010 Page 133 Gehirnaktivität im präfrontalen Kortex bei späterer Belohnung Kriminologie I WS 2009-2010 Page 134 Ergebnisse „Bei der Entscheidung für unmittelbare und spätere Belohnung sollte das relative Gewicht des Limbischen Systems gegenüber dem präfrontalen Kortex den Ausschlag geben. Wenn das limbische System aktiviert wird, fällt die Entscheidung meistens für die unmittelbare Belohnung.“ „Menschliches Verhalten ist oft bestimmt vom Wettbewerb zwischen automatischen Prozessen auf niedriger Stufe, welche eine evolutionäre Anpassung an bestimmte Umwelten darstellen mögen, und der neueren, spezifisch menschlichen Fähigkeit zu abstrakter Vernunft und Zukunftsplanung.“ Kriminologie I WS 2009-2010 Page 135 Soziale Kontrolle Soziale Kontrolle Gesellschaftliche Institutionen/Systeme zur Erzeugung und Erhaltung von Verhaltenskonformität – Strafrechtliche Sozialkontrolle – Allgemeine Sozialkontrolle Kriminologie I WS 2009-2010 Page 137 Soziale Kontrolle und Prävention Primärprävention – Prävention unerwünschten Verhaltens durch Erziehung etc. Sekundärprävention – Prävention durch Strafgesetze (Androhung von Strafe) Tertiärprävention – Prävention durch Rückfallverhütung Kriminologie I WS 2009-2010 Page 138 Normgenese Strafrechtsnormen als konsensualer Kern des Normensystems Strafrechtsnormen als Ausdruck von – Gruppeninteressen – Institutionellen Interessen Probleme der Normgeneseforschung – Seltenheit des Normsetzungsereignisses – Komplexität von Normsetzungsprozessen – Probleme des Datenzugangs – Verknüpfung mit Normimplementation Kriminologie I WS 2009-2010 Page 139 Bedingungen und Funktionen Kriminalisierung und Entkriminalisierung Überkriminalisierung Überkriminalisierung und präventive Wirkungen des Strafrechts – Fragmentarischer Charakter des Strafrechts – Straftat und Strafe als Ausnahmeerscheinungen Kriminologie I WS 2009-2010 Page 140 Institutionen Strafrechtlicher Verhaltenskontrolle Polizei Staatsanwaltschaft Gerichte Soziale Dienste in der Justiz Vollstreckungseinrichtungen, insbesondere Strafvollzug Kriminologie I WS 2009-2010 Page 141 Polizei Rechtsgrundlagen polizeilichen Handelns – Polizeigesetze der Länder » Gefahrenabwehr und Aufrechterhaltung von Ordnung » Ermessen – Strafprozessordnung » Polizisten als „Ermittlungsbeamte“ der Staatsanwaltschaft » Ermittlungen bei Verdacht strafbarer Handlungen » Legalitätsprinzip Kriminologie I WS 2009-2010 Page 142 Grafik: Anzahl öffentlicher und privater Polizei pro 100.000 der Wohnbevölkerung in den Ländern der EU 600 488 500 440 400 362 394 344 300 200 75 100 318 275 109 379 320 236 233 193 477 375 304 276 256 201 132 217 143 121 310 152 184 135 160 76 69 19 Irl an d Ita lie Lu n xe m bu Ni rg ed er la nd e P or tu ga l S pa ni en S ch EU wed en In sg es am t el ng gi la en nd /W al es Dä ne m ar k Fi nn la nd Fr an kr ei D ch eu ts ch G al rie nd ch en la nd E B Ö st er re ic h 0 Öffentliche Polizei/100.000 Kriminologie I WS 2009-2010 Private Polizei/100.000 Page 143 Tatverdacht Entstehung des Tatverdachts – Zunächst weitgehend Anzeigeerstatter, reaktive Orientierung der Polizei – Alltagstheorien und Kontrolle – proaktive Methoden der Ermittlung – verdachtsunabhängige Kontrollen (Schleierfahndung) im Grenzraum Kriminologie I WS 2009-2010 Page 144 Polizeiforschung Untersuchungen über die Polizei – Wie entsteht Tatverdacht – Polizeiliche Ermittlungseffizienz – Verhältnis Polizei und Gesellschaft/Minderheiten – Übernahme von ethnischen Minderheiten in der Polizei Untersuchungen für die Polizei – Kriminalistik Kriminologie I WS 2009-2010 Page 145 Ermittlungseffizienz Grafik: Ermittlungseffizienz der Polizei in Abhängigkeit von einem zu Beginn der Ermittlungen identifizierten Tatverdächtigen (Einbruchsdiebstahl; Dölling 1999, S.52) 120 100 97 72 80 60 60 40 30 22 20 20 0 Aufklärung Anklage Tatverdächtiger bekannt Kriminologie I WS 2009-2010 Verurteilung Tatverdächtiger unbekannt Page 146 Polizeiliche Kontrollstrategien Community Policing – Gemeinwesenorientierte Polizeiarbeit – Orientierung an Problemen auf lokaler Ebene – Ziel: vertrauensvolle Beziehungen zur Bevölkerung Zero tolerance – Anknüpfungspunkt: „Broken Windows“ – Sofortiges Eingreifen, auch bei Bagatellen – Ziel: Verhinderung der Problemeskalation Kriminologie I WS 2009-2010 Page 147 Zero Tolerance und Beschwerden Graph: Index crimes and Complaints for Abuse of Police Authority in New York 1993-1998 700000 3000 600000 2500 500000 2000 400000 1500 300000 1000 200000 500 100000 0 0 1993 1994 1995 Index Crimes Kriminologie I WS 2009-2010 1996 1997 1998 Complaints Page 148 Traditionelle Funktionen der Staatsanwaltschaft Repräsentiert die rechtliche Dimension des Ermittlungsverfahrens » Ausgleich zwischen Effizienz und Rechtsstaat » Kontrolle und Anleitung der Polizei Neutralität im Ermittlungsverfahren Gate-Keeper für Gericht und Kriminalstrafe: Anklagemonopol Kriminologie I WS 2009-2010 Page 149 Legalitäts- und Opportunitätsprinzip in Europa Zwei Modelle – Opportunität: Holland, England, Frankreich, Belgien, – Legalität: Italien, Deutschland, Österreich Aber: Zunehmende Konvergenz Konvergenz hin zu Opportunität Kriminologie I WS 2009-2010 Page 150 Staatsanwaltschaft und Polizei Ausgangsmodell – StA ist „Herrin“ des Ermittlungsverfahrens » Ausnahme: Untersuchungsrichter (Frankreich, Spanien) » Ausnahme: Polizei ist in den Ermittlungen unabhängig (England) De Facto: » Polizei ermittelt unabhängig » StA trifft Entscheidungen (Nichtverfolgung, Anklage) » StA wird zum „Richter vor dem Richter“ Kriminologie I WS 2009-2010 Page 151 Das Verhältnis zwischen StA und Polizei De Facto Unabhängigkeit der Polizei – Unabhängige Ermittlungen in praktischer Hinsicht – Unabhängigkeit in der Entwicklung und Praxis proaktiver Ermittlungsmethoden (V-Leute, technische Ermittlungsmaßnahmen) – Unabhängige Informationserhebung und Datenverarbeitung – Struktur- und Vorermittlungen Rechtliche Unabhängigkeit – Präventiv-Polizeiliche Bereiche und „Vorfeld“-Ermittlungen – Europäische und internationale polizeiliche Zusammenarbeit Verhängung von „Transaktions“-Geldstrafen (Niederlande, Dänemark) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 152 Entwicklungen bei vereinfachten Verfahren Verstärkte Einführung und Nutzung vereinfachter und beschleunigter Verfahren Verschiebung der de facto Strafzumessung auf die Staatsanwaltschaft Kriminologie I WS 2009-2010 Page 153 Strafbefehl (§ 407 StPO) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 154 Erklärungen für die veränderte Rolle der StA Starke Zunahme der Straftaten und des Fallaufkommens in den sechziger und siebziger Jahren Komplexe und zeitaufwendige Verfahren der Wirtschaftskriminalität Tendenz zum Präventions- und Risikostrafrecht Kriminologie I WS 2009-2010 Page 155 Erledigungen in Deutschland 30 27,5 25 22 18,6 20 15 11,3 10 11,5 4,6 4,5 5 0 st. st . ge ehl a f n n l i lage dachts nsti ges i e k k E E b t f n e e a A So Stra edingt edingt f Pri v Tatver b unb weis au angels Ver inst. m E Kriminologie I WS 2009-2010 Page 156 Struktur der Auflagen in Deutschland 2008 90 84,9 Geldauflage (Nr. 2) 80 Wiedergutmachung (Nr. 1) Täter-Opfer-Ausgleich (Nr. 5) gemeinn. Leistungen (Nr. 3) Unterhalt (Nr. 4) 70 60 50 40 30 20 10 0 Kriminologie I WS 2009-2010 5,4 5,1 2,7 Aufbaukurs (Nr. 6) 0,4 0,2 1,1 sonstige (Satz 2) Page 157 Trends in der Anklagepraxis in Deutschland (1981 – 2008, %) 25 20 15 10 5 19 81 19 83 19 85 19 87 19 89 19 91 19 93 19 95 19 97 19 99 20 01 20 03 20 05 20 07 0 Anklage Kriminologie I WS 2009-2010 Strafbefehl §153 §153a Page 158 Ungleichmäßigkeit Ungleichmäßigkeit innerhalb Deliksgruppen – beispw. Drogendelikte – beispw. Diebstahl Ungleichmäßigkeit zwischen Delikten – beispw. Eigentums- vs. Wirtschaftsdelikte Fragen: – Soll Gleichmäßigkeit hergestellt werden? – Wie kann Gleichmäßigkeit hergestellt werden? Kriminologie I WS 2009-2010 Page 159 Kontrolle des Einstellungsermessens Einführung von allgemeinen Richtlinien (Einstellungsrichtlinien, vergleichbar sentencing guidelines (USA), in Kraft in Holland) Kontrolle durch das Opfer – beispw. “Klageerzwingungsverfahren“ – beispw. zwingende Wiedergutmachung in Frankreich Interne Kontrollen Transparenz: Begründung Kriminologie I WS 2009-2010 Page 160 Gerichte und Richter Sanktionsmuster Strafzumessungsentscheidungen Kriminologie I WS 2009-2010 Page 161 Strafvollzugsinsassen an Stichtagen 1961 – 2009 (pro 100.000) 120 100 80 60 40 20 Kriminologie I WS 2009-2010 09 20 06 20 03 20 00 20 97 19 94 19 91 19 88 19 85 19 82 19 79 19 76 19 73 19 70 19 67 19 64 19 19 61 0 Page 162 Sanktionsmuster Sanktionsmuster sind geprägt durch die normativen Rahmenbedingungen – §47 Geldstrafe hat Priorität über die kurze Freiheitsstrafe – §56 Bewährung bei Freiheitsstrafen bis zu 2 Jahren Kriminologie I WS 2009-2010 Page 163 Sanktionsstruktur (%) 80 70 80 60 50 40 30 20 10 6 14 0 Geldstrafe Kriminologie I WS 2009-2010 Freiheitsstrafe ohne Freiheitsstrafe mit Bewährung Bewährung Page 164 Straflänge und Strafstruktur (%) 100 91 72 80 66 60 32 40 24 7 20 2 4 2 0 bis unter 6 Monaten 6-12 Monate Geldstrafe Freiheitsstrafe ohne Bewährung Kriminologie I WS 2009-2010 bis 24 Monate Freiheitsstrafe mit Bewährung Page 165 Verurteilungen wegen Tötungsdelikten und lebenslange Freiheitsstrafe 2500 2000 1500 1000 500 19 62 19 64 19 66 19 68 19 70 19 72 19 74 19 76 19 78 19 80 19 82 19 84 19 86 19 88 19 90 19 92 19 94 19 96 19 98 20 00 20 02 20 04 20 06 20 08 0 Verurteilungen wegen Mordes Verurteilungen zu lebenslänglich Verurteilungen wegen vorsätzlicher Tötungsdelikte Lebenslängliche im Strafvollzug (31.3.) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 166 Anteile von Drogendelikten an langen Freiheitsstrafen 40 35 30 25 20 15 10 5 19 68 19 70 19 72 19 74 19 76 19 78 19 80 19 82 19 84 19 86 19 88 19 90 19 92 19 94 19 96 19 98 20 00 20 02 20 04 20 06 0 10-15 Jahre Kriminologie I WS 2009-2010 2-5 Jahre 5-10 Jahre Page 167 Strafzumessungsforschung - Fragestellungen Welche Faktoren erklären Variation in der Strafzumessung? – Gesetzliche Faktoren (§§46, 47 etc.) – Außerrechtliche Faktoren » Vorurteile (gegen Minderheiten) » Strafzweckpräferenzen » Öffentliche Meinung (Medien) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 168 Strafzumessungsforschung - Methoden Untersuchung von Strafakten Interview und Befragung (Teilnehmende) Beobachtung Befragung und fiktive Fälle – Einem Experiment vergleichbar: Variation bestimmter Merkmale (des Falles bzw. des Angeklagten) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 169 Strafzumessungsforschung Befunde – Strafe bleibt im unteren Drittel des Strafrahmens – Strafe ist orientiert an „glatten Zahlen“ – Strafzumessung orientiert sich nicht an dem komplexen Programm des §46 StGB, sondern an wenigen Faktoren » Schwere » Vorstrafen – Strafzumessung entwickelt lokale Traditionen und damit auch regionale Differenzen – Strafzumessung wird erlernt » Gespräche mit anderen Richtern » Antrag der Staatsanwaltschaft und der Strafverteidigung » Bundeszentralregisterauszüge Kriminologie I WS 2009-2010 Page 170 Strafmaßverteilungen bei Vergewaltigung 700 589 600 500 400 300 200 100 63 3 0 bis 5 Jahre Kriminologie I WS 2009-2010 5-10 Jahre 10-15 Jahre Page 171 Verteilungen der Strafe bei Raub 450 408 400 350 343 300 250 200 150 117 100 41 50 2 0 0 bis 1 Jahr Kriminologie I WS 2009-2010 1-2 Jahre 2-3 Jahre 3-5 Jahre 5-10 Jahre 10-15 Jahre Page 172 Vollstreckung Geldstrafe – Ersatzfreiheitsstrafe und gemeinnützige Arbeit Bewährung – Bewährungshilfe Freiheitsstrafe – Gefängnissystem Kriminologie I WS 2009-2010 Page 173 Die Ökonomie des Strafrechts Ökonomische Rahmenbedingungen – Prinzip der Selektion – Einstellungen, vereinfachte Verfahren, Geldstrafe vs. Freiheitsstrafe Kosten sowie Kosten-Nutzen-Analysen – Was kostet das Strafrecht? Kriminologie I WS 2009-2010 Page 174 Personal pro 100.000 der Bevölkerung Richter Österreich Dänemark Frankreich Deutschland Niederlande Schweden UK Kriminologie I WS 2009-2010 Staatsanwaltscahft Polizei 19,8 2,6 6,5 10 11 2,2 25,4 7,5 10 3 19,2 7,9 14,9 4,1 Gefängnis 420 265 403 302 254 309 376 Insgesamt 45 566 80 424 43 493 43 532 95 408 94 477 82 521 Page 175 Kosten pro Einwohner in Euro pro Jahr Kosten in Euro/Einwohner Justiz StA Österreich 57 Dänemark 30 Frankreich 23 Deutschland 64 Niederlande 23 Schweden 33 Kriminologie I WS 2009-2010 Polizei 4 5 6 19 11 8 Gefängnis 203 117 132 137 151 119 Insgesamt 26 290 32 184 19 180 25 245 54 239 43 203 Page 176 Gefängnis und Alternativen Kritik der Freiheitsstrafe und des Gefängnisses – F. v. Liszt: Marburger Programm 1882, Der Zweckgedanke im Strafrecht Gefängnis als „Schule des Verbrechens“ – Subkulturtheorien – Prisonisierungstheorien Gefängnis als „totale Institution“ (Goffman, E.: Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. Frankfurt 1972) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 177 Die Subkultur Insassenkultur – besondere Sprache – besondere Normen » Status » Verhältnis zu Vollzugsstab – Verhaltensweisen » Schwarzmärkte in Vollzugsanstalten – kollektive Einstellungen (beispielsweise gegenüber den Vollzugsbeamten, der Strafjustiz) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 178 Prisonisierung und Gefängnissoziologie Begriff der Prisonisierung – Anpassung und Gewöhnung an die Wertvorstellungen und Normen der Subkultur Das Gefängnis als „Totale Institution“ – Vollständige Regulierung des Lebens – Zwang zur Übernahme der Rolle des Gefangenen Clemmer – unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Grad der Anpassung an die Subkultur (Prisonisierung) und der Dauer des Aufenthalts im Gefängnis – Clemmer, D. (1940) The prison community. New York. Wheeler – Anpassung folgt einem U-Verlauf: Anpassung an die Gefängnissubkultur ist am Anfang der Haft recht schwach ausgeprägt, nimmt bis zur Mitte der Haft stark zu, um sich dann vor der Entlassung wieder abzuschwächen – Wheeler, S. (1961): Socialisation in Correctional Communities. In: American Sociological Review. S. 697 – 712 Offene Fragen – Hat das Gefängnis eine eigenständige Wirkung in Form von „Haftprägungen“ (Lerngelegenheiten in der sog. „Schule des Verbrechens“) oder wird die Subkultur importiert (beispw. durch Gangs) – Kann derartigen Prisonisierungsprozessen im Gefängnis entgegengewirkt werden? » Offener Strafvollzug » Vollzugslockerungen Kriminologie I WS 2009-2010 Page 179 Wirkungen des Gefängnisses Unmittelbare Auswirkungen Mittelbare Auswirkungen: Stigmatisierung und Chancenverschlechterung Besserung durch Behandlung – Wirkungsforschung/Behandlungsforschung – Problem fehlender kontrollierter Experimente – Lange Zeit überschätzt – Effekte partiell vorhanden, aber eher bescheiden Auswirkungen auf die Nachbarschaft und Wohnumgebung von Gefangenen und Strafentlassenen Kriminologie I WS 2009-2010 Page 180 Die Entwicklung von Alternativen zur Freiheitsstrafe Gefängnis und Alternativen zur Freiheitsstrafe Finanzielle Strafen Geldstrafe/Tagessatzgeldstrafe Ziele Diversion (Teil) ausgesetzte Strafe (Freiheitsstrafe) Bewährung und Restaussetzung Ziel: Rehabilitation Gemeinnützige Arbeit Community Sanktionen Ziele: Überwachung und Rehabilitierung Restitution Wiedergutmachung Mediation Ziele: Opferorientiert Behandlungs-Sanktionen Drogen Sexualstraftäter Ziele: Risikokontrolle/Rehabilitation Gewinnabschöpfung Elektronisch kontrollierter Hausarrest Ziele: Überwachung Kombinationen von Alternativen Ziele: Überwachung Disziplinierung Sex-Offender-Notification Sichtbare Strafarbeit Sicherungsverwahrung (Lebens) Lange Freiheitsstrafe Ziele: Sicherung und Risikokontrolle Ziel: Sicherung/Prävention Kriminologie I WS 2009-2010 Ziele: Opferschutz, Scham Page 181 Wandel strafrechtlicher Sozialkontrolle Von Todes- und Leibesstrafen zur Freiheitsstrafe – abgeschlossen Ende des 19. Jahrhunderts Von Freiheitsstrafe zu Kontroll- und Geldstrafen – abgeschlossen Mitte des 20. Jahrhunderts Erklärungen – Elias: Zivilisierung von Gesellschaft und Macht – Foucault: Perfektionierung der Kontrolle Kriminologie I WS 2009-2010 Page 182 Der Prozess der Zivilisation Entstehung von sozialen Abhängigkeiten und Vergrößerung der Verletzlichkeit des Einzelnen Zügelung von Aggressivität, Vordringen zivilisierten Verhaltens und Selbstkontrolle Veränderung der Psyche und der Gefühle – Zurückhaltung bei Gewalttätigkeit und Ablehnung der (öffentlichen) Zufügung von Schmerz und Leiden Akte, die starke Gefühle auslösen oder demonstrieren, werden weitgehend aus der Öffentlichkeit entfernt Kriminologie I WS 2009-2010 Page 183 Kennzeichen moderner Strafe Nicht öffentlich Experten (Resozialisierung) vollstrecken die Strafe Kosten-Nutzen orientiert Risiko orientiert Kriminologie I WS 2009-2010 Page 184 Einstellungen zum Gefängnis Neues Interesse am Strafvollzug: Prison Works! Die Dauer der Freiheitsstrafe nimmt zu Die Gefängniskapazität wird ausgeweitet: – Beispiel Holland von 5.000 auf 15.000 Haftplätze innerhalb von 15 Jahren Kriminologie I WS 2009-2010 Page 185 0 Kriminologie I WS 2009-2010 1987 1995 2000 2006 USA Finnland Norwegen Italien Griechenland Spanien Österreich England Niederlande Dänemark Schweden Deutschland Frankreich Schweiz Ungarn Tschechei Polen Rumänien Ukraine Russland Gefangenenraten (pro 100.000) 800 700 600 500 400 300 200 100 2008/2009 Page 186 Gründe für den Anstieg der Gefangenenraten Mehr und längere Gefängnisstrafen – Der rationale Straftäter und organisierte Kriminalität – Die Entdeckung der Predators (Raubtiere) – Neue prekäre und nicht-sesshafte Gruppen – – – – Drogenkonsumenten Ethnische Minderheiten Illegale Immigranten Langfristig Arbeitslose Kriminologie I WS 2009-2010 Page 187 sc Ö hl a s te n d rr e B e ic h D ä lg i ne en m S p a rk F r a ni e a G nk n rie re ch ich en la n ta d N o lie rw n eg H en ol P o lan d r S c t ug h w al ed Sc en hw e iz De ut Gefangenenraten in Europa (pro 100.000 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 0 Inländer Kriminologie I WS 2009-2010 Ausländer Page 188 Postmodernes Strafen? Die Rückkehr von Stigmatisierung und Gefängnis Common Sense anstelle überprüfbarer Wirkungen Der Wechsel der Adressaten: Vom Individuum zur Öffentlichkeit Vertrauen auf Symbole und sichtbare Zeichen des Strafens und Bestraftwerdens Kriminologie I WS 2009-2010 Page 189 Die Folgen Strafrechtlicher Sozialkontrolle Generalprävention – positive Generalprävention – negative Generalprävention Spezialprävention – positiv – negativ Sicherung Kriminologie I WS 2009-2010 Page 190 Negative Generalprävention Abschreckungs- oder „deterrence“ Forschung Theoretische Grundlagen: Lerntheorien, ökonomische Theorien Variable der Abschreckung – Bestrafungsrisiko – Bestrafungsschwere – Schnelligkeit der Bestrafung Kriminologie I WS 2009-2010 Page 191 Methodenfragen Methodische Ansätze – Vergleich verschiedener Regionen (mit unterschiedlichen Sanktionen; insb. Forschungen zur Todesstrafe) – Vergleich Vorher/Nachher bei Änderungen des strafrechtlichen Sanktionensystems (Beispiel: deutsche Strafrechtsreform 1969; Reduzierung der kurzen Freiheitsstrafe) – Befragungen Kriminologie I WS 2009-2010 Page 192 Abschreckungsforschungen durch Befragungen Kombination Dunkelfeldbefragung und Schwereeinschätzung und Risikoeinschätzung – Problem: Kausalität bei Querschnittuntersuchungen Kombination: Perzeption von Risiko und Schwere sowie Handlungsintentionen – Problem: Sind Handlungsintentionen realistisch? Kriminologie I WS 2009-2010 Page 193 Befunde der Abschreckungsforschung Im Vergleich Entdeckungsrisiko und Bestrafungsschwere spielt das Entdeckungsrisiko die entscheidende Rolle Die Bestrafungsschwere wirkt sich erst bei einem bedeutsamen Entdeckungsrisiko aus Dies heißt, dass Abschreckungsstrategien im Kern auf die Erhöhung des Entdeckungsrisikos setzen müssen – Allerdings lässt sich das Entdeckungsrisiko in der Praxis nur sehr schwer manipulieren Werden außerstrafrechtliche Abschreckungsfaktoren einbezogen, dann werden Entdeckungsrisiko und Schwere marginal Kriminologie I WS 2009-2010 Page 194 Positive Generalprävention Normbruch erzeugt Enttäuschung Auf Enttäuschung kann reagiert werden durch – Aufgabe der normativen Erwartungen – Demonstration der Beibehaltung der Erwartungen Die Beibehaltung der Erwartungen wird demonstriert dadurch, dass dem Verantwortlichen Kosten auferlegt werden (Sanktion) Kernpunkt: Akzeptanz und Legitimität der strafrechtlichen Normen (Beibehaltung der Erwartungen) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 195 Spezialprävention Negativ: individuelle Abschreckung – durch Bestrafung werden zusätzliche Hemmschwellen für die Zukunft aufgebaut (beispw. taste of prison approach) – Problem: abnehmender Grenzschaden (analog zum Grenznutzenmodell der Ökonomie): Sanktionen nutzen sich schnell ab Positiv: Behandlung und Lernen – Resozialisierungsforschung, insbesondere im Strafvollzug und in der Sozialtherapie Kriminologie I WS 2009-2010 Page 196 Behandlungsforschung Behandlungsideologie der fünfziger und sechziger Jahre – unbestimmte Freiheitsstrafe Martinson 1974: nothing works und Kritik aus der Rechtsstaatsperspektive Evaluationsforschung – Problem der Methoden: kaum Experimente – Frage: wurden Behandlungsansätze überhaupt implementiert? – Frage: für wen sind Behandlungsansätze sinnvoll? Stand: Für spezifische Gruppen können, wenn auch kleine Behandlungseffekte nachgewiesen werden Kriminologie I WS 2009-2010 Page 197 Sicherung Sicherungsverwahrung/incapacitation Kriminalpolitische Ausformungen – selective incapacitation – categorical incapacitation – Schwerpunktbildungen Intensivtäter/chronische Straftäter Forschung: Zusammenhänge zwischen physischer Sicherung und Entwicklungen der Kriminalität – Problem der Identifizierung und Prognose – Ökonomische Probleme Kriminologie I WS 2009-2010 Page 198 Entwicklung: Lebenslang, Psychiatrie und Sicherungsverwahrung 6000 5000 4000 3000 2000 1000 Sicherungsverwahrung Kriminologie I WS 2009-2010 Psychiatrie 03 20 01 20 99 19 97 19 95 19 93 19 91 19 89 19 87 19 85 19 83 19 81 19 79 19 77 19 75 19 73 19 71 19 69 19 67 19 19 65 0 Lebenslang Page 199 Strafrechtliche Sozialkontrolle und Kritik Sündenbocktheorie Herrschaftskritik (insb. marxistische Ansätze; Kritische oder Radikale Kriminologie) Strafrecht, Macht und Interessenschutz Abolitionismus Christie: Konflikte werden durch das Strafrecht „gestohlen“ Entmachtung oder Entlastung durch das Strafrecht? Gesellschaften ohne Strafvollzug und ohne Strafrecht Kriminologie I WS 2009-2010 Page 200 Viktimologie Viktimologie Lehre vom Kriminalitätsopfer Hans v. Hentig: The Criminal and His Victim. Studies in the Sociobiology of Crime (1948) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 202 Ausgangspunkte der Opferforschung Das Opfer als Lieferant von Kriminalitätsdaten – Opferbefragungen und Dunkelfeld Das Opfer als „Kriminalitätsursache“: Beiträge zur Entstehung der Straftat Das Opfer als Teil der sozialen Kontrolle Kriminologie I WS 2009-2010 Page 203 Opfer und Kriminalitätsdaten Gegenwärtige Diskussion ist auch bestimmt durch die Frage, ob regelmäßige Opferbefragungen in Deutschland in Ergänzung der polizeilichen Kriminalstatistik durchgeführt werden sollen Beispiele: National Crime Survey USA; British Crime Survey, International Crime Survey Problem: Kosten Kriminologie I WS 2009-2010 Page 204 Viktimisierung in Europa 2005 Kriminologie I WS 2009-2010 Page 205 Registrierte Kriminalität und Viktimisierungsdaten Kriminologie I WS 2009-2010 Page 206 Alkohol und Kriminalität Kriminologie I WS 2009-2010 Page 207 Viktimisierung durch fremdenfeindliche Taten Kriminologie I WS 2009-2010 Page 208 Korruption Kriminologie I WS 2009-2010 Page 209 Eigentumskriminalität im zeitlichen Verlauf Kriminologie I WS 2009-2010 Page 210 Opfer und Mitverantwortung Viktimodogmatik: – wie wird das Opferverhalten in der Strafrechtsdogmatik aufgegriffen » Beispiel: Notwehrrecht (Provokation) Opfer und Stigmatisierung – Beispiel: Sexualkriminalität Opfer und Selbstschutz sowie Prävention – Sicherung und Selbstverteidigung Opfer und Verbrechenskontrolle – Anzeigeerstattung Kriminologie I WS 2009-2010 Page 211 Opfer und Soziale Kontrolle Opfer als gate-keeper/Anzeigeerstattung – Warum unterlassen Opfer eine Anzeige? – Warum erstatten Opfer eine Anzeige? Kriminologie I WS 2009-2010 Page 212 Anzeigemotive Anzeigemotive bei Eigentumsdelikten und Delikten gegen die Person 45 41,6 40 35 29,8 30 23,4 19,6 19,2 20 12,8 15 8,6 10 6,4 4,2 be En ko ts m ch m äd en ig un g vo m T ät er da s D am it si ch 1,4 U m di e 0 B es tr af ni un ch g tw ie de rh ol t 2,5 ge st oh le ne V n ers Sa ic ch he en ru w ngs ie de sch rz u ub tz ek om Sc m hw en er er Fa ll/ G eh ör ta ng ez ei gt 5 19,2 H ilf e % 25 Eigentums delikte Kriminologie I WS 2009-2010 Delikte gegen die Pers on Page 213 sc hw er w ie ge nd /k ei n Sc Pr ha ob Po de le liz n m ei se hä lb tte st ni ge ch lö ts st Po tu n liz Po kö ei liz nn hä e tte iw en ar so ni w ch ie so tn ni öt A c ig K ht ng ei s n eh ge Ve ör m rs ig ac ic e ht he ha ru be ng n ss di e ch Sa ut ch z e Tä W be te ill re rw in m ig it ar Po t e in liz ei Be ni ka ch nn ts te zu r tu Fu n rc ha ht be vo n rR ep re ss al ie n Ta tn ic ht % Nichtanzeigemotive Nichtanzeigemotive bei Eigentumsdelikten und Delikten gegen die Person 50 45 44,5 20 10 5 Kriminologie I WS 2009-2010 41,6 40 35 30 25 15 16 14,3 9 6,1 7,5 8,6 4 3,9 Eigentumsdelikte 2,5 2 1,7 1,5 3 1,3 0,5 0,5 5,2 0 Delikte gegen die Person Page 214 Erweiterungen der kriminologischen Perspektiven Sicherheitsgefühle Punitivität, Bestrafungserwartungen, Einstellungen zu Sanktionen Verarbeitung der Folgen der Viktimisierung Erwartungen an strafrechtliche Sozialkontrolle (Polizei, Justiz) Kriminologie I WS 2009-2010 Page 215 Verbrechensfurcht Innere Sicherheit hat objektive und subjektive Dimensionen (Wahrnehmung von Sicherheit/ Sicherheitsgefühl) Verbrechensfurcht als weiterer Schwerpunkt in Opferbefragungen Kriminologie I WS 2009-2010 Page 216 Dimensionen der Verbrechensfurcht Emotional (haben Sie nachts Angst in der Umgebung Ihrer Wohnung?) Kognitiv (mit welcher Wahrscheinlichkeit rechnen Sie, in den nächsten 12 Monaten Opfer eines (Diebstahls) zu werden?) Verhalten (Haben Sie in Ihrem Haushalt eine Schusswaffe? Bewaffnen Sie sich, wenn Sie abends aus dem Haus gehen? Kriminologie I WS 2009-2010 Page 217 Korrelate der Verbrechensangst Geschlecht Alter Kriminologie I WS 2009-2010 Page 218 Erklärungen der Verbrechensangst Besondere Verletzlichkeit Reaktion auf Viktimisierung? – Unabhängig von der Kriminalitätsrate Kriminologie I WS 2009-2010 Page 219 Viktimisierung und Kriminalitätsfurcht 2005 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 e k s a d m n d m ny la nd ta ly ec e t ria nce gal ary ain an gdo toni land ma r giu e de lan erag a l I re l n m us Fra ortu ung Sp Ire Kin Po Av G er Es the r Den Be Fi A Sw P H G e d N EU te i n U Feeling unsafe after dark outside Kriminologie I WS 2009-2010 % victimized Page 220 Kriminalitätswahrnehmungsparadox Kriminalitätsproblem wird auf lokaler Ebene (Wohngegend) als gleich bleibend wahrgenommen Kriminalität wird insgesamt (beispw. in Deutschland) als ansteigend wahrgenommen Kriminologie I WS 2009-2010 Page 221 Stalking, Opfer und Gesetzgebung Wiederholtes und absichtliches belästigendes oder unerwünschtes Verhalten – Und damit verbundene glaubhafte explizite oder implizite Drohungen gegen das Opfer oder dessen Familie – lösen (vernünftigerweise) Angst vor dem Täter aus Kriminologie I WS 2009-2010 Page 222 Die Entstehung des Problems Stalking entsteht als Problem in den neunziger Jahren in den USA, Kanada, UK und Australien als (Folge von) » Belästigung von celebrities » Vorläufer und/oder Fortsetzung von häuslicher Gewalt, sexuellem Missbrauch » Aufgreifen von Unsicherheitsgefühlen/Angst vor Gewalt als relevantes Problem » Kulturell unterschiedlichen Veränderungen in der Bewertung von sozialen Beziehungen » Skandalisierung als Folge von Tötungsdelikten, deren Vorläufer in Stalking gesehen werden Entdeckung, Generalisierung, Feststellung, dass bisherige Ansätze nicht ausreichen und Erforschung Gefolgt von den Fragen: » Wer soll sich darum kümmern? » Warum hat sich bislang niemand darum gekümmert? Kriminologie I WS 2009-2010 Page 223 Verwandte Probleme Terrorismus Hasskriminalität Mobbing Gemeinsamkeiten: Angst, Unsicherheit, Verletzlichkeit Folter » Kubark Manual (1963): Angst ist ein wirksames Mittel. Die Drohung mit Gewalt bricht Widerstand sehr viel effizienter als Gewalt Kriminologie I WS 2009-2010 Page 224 Prävalenz 12 Monate Frauen British Crime Survey 1998 3% NVAW Survey US 1996 1% Schottland 2002 3% Australien 1996 2% Kriminologie I WS 2009-2010 Page 225 Prävalenz Lebenszeit Frauen British Crime Survey 1998 16% Louisiana (US) Survey Frauen 1999 15% NVAW Survey US 1996 8% Schottland 2002 10% Australien 1996 15% Kriminologie I WS 2009-2010 Page 226 Prävalenzdaten Sind abhängig von – Verwendeter Definition und Operationalisierung von stalking – Erinnerung – Gesellschaftlicher Sensibilisierung Kriminologie I WS 2009-2010 Page 227 Opfer(risiko)merkmale Überwiegend Frauen Besonders ausgeprägt bei jungen Frauen Niedriges Einkommen Allein lebend In Ausbildung Kriminologie I WS 2009-2010 Page 228 Die Tat Dauer (British Crime Survey: 20% > 1 Jahr) Tathandlungen – – – – – – Erzwungene direkte Kommunikation Wiederholte (stille) Telefonanrufe Physische Einschüchterung Verfolgen Berührungen Vor der Wohnung/am Arbeitsplatz des Opfers warten Einzelhandlungen sind eher geringfügig, die eigentliche Wirkung folgt aus der Kumulation verschiedener und wiederholter Tathandlungen Städtischer Kontext Kriminologie I WS 2009-2010 Page 229 Konsequenzen für das Opfer Erzwungene Veränderungen » Umzug » Arbeitsplatzwechsel/-verlust; Schulwechsel » Alltagsverhalten Physische/psychische Konsequenzen » Angst, post-traumatic stress vergleichbar Traumata, die aus Gewalt, Unfällen etc. herrühren Dauerhafte Beeinträchtigung » Es bleibt auch bei Abbruch des stalking offensichtlich das Gefühl, dass die Gefahr jederzeit wieder auftreten kann Kriminologie I WS 2009-2010 Page 230 Ist Stalking ein Vorläufer von Gewalt? Niederlande: Stalking geht bis zu 20% aller PartnerTötungsdelikte voraus US: < 2% von Stalking Fällen enden mit Tötungsdelikten Kriminologie I WS 2009-2010 Page 231 Ursachen Typologien – – – – – Täter-Opfer-Beziehung Motivation Psychiatrische Auffälligkeiten Verhalten Entwicklung und Situation (Trennung, Drogenabhängigkeit etc.) Individualisierung – – – – Auflösung von (Solidar-/Unterstützungs)Gemeinschaften Höheres Potential an Unsicherheit/Angst Veränderte Bewertung sozialer Beziehungen Sensibilisierung für Persönlichkeitsschutz/Privatheit Kriminologie I WS 2009-2010 Page 232 Punitivitä Punitivität Einstellungen zur Todesstrafe in den USA und in Deutschland Sexualmorde an Kindern Terrorismus US Kriminologie I WS 2009-2010 02 20 99 19 96 19 93 19 90 19 87 19 84 19 81 19 78 19 75 19 72 19 69 19 65 19 62 19 59 19 56 19 19 53 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 BRD Page 234 Support for the Death Penalty Under Conditions of various Alternatives in the US % 90 80 77 70 56 60 44 50 41 40 30 20 10 0 Abstract Support Kriminologie I WS 2009-2010 Life with no parole Life , no parole for Life, no parole at all, for 25 years 25 years, restitution restitution Page 235 European Crime Survey (2004/2005) UK Ireland Greece Netherlands Sweden Hungary Estonia Italy Spain Germany Denmark Portugal Belgium Luxembourg Finland Austria Poland France 0% Other Sentences Prison 10 % Kriminologie I WS 2009-2010 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % Page 236 Punitivität 2004 Interaktion Geschlecht und Alter 0.6 Männer (n = 725) Frauen (n = 937) 0.4 Punitivität (M) 0.2 0.0 -0.2 -0.4 -0.6 16-19 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 65-69 70+ Alter Kriminologie I WS 2009-2010 Page 237 Opferpolitik und Opfergesetzgebung Schutz des Opfers vor Sekundärbelastungen/traumatisierung durch – stärkere Beteiligung am Strafverfahren » Opferanwalt » Nebenklage, Adhäsionsklage – stärkeren Schutz vor Belastungen » Videovernehmungstechnik (Mehrfachvernehmung) » Anonymität von Zeugen » Ausschluss der Öffentlichkeit – bessere Information » Informationsrechte – bessere Wiedergutmachung/Mediation » Täter-Opfer-Ausgleich » Opferentschädigungsgesetz Kriminologie I WS 2009-2010 Page 238