Vorlesung 2 - Max-Planck

Werbung
Frauenkriminalität
Tatverdächtige insgesamt sowie weibliche Tatverdächtige
3.000.000
600.000
2.500.000
500.000
2.000.000
400.000
1.500.000
300.000
1.000.000
200.000
500.000
100.000
Weiblich
Kriminologie I WS 2009-2010
08
07
20
06
20
05
20
04
20
03
20
02
20
01
20
00
20
99
20
98
19
97
19
96
19
95
19
94
19
93
19
92
19
91
19
90
19
89
19
19
19
19
88
0
87
0
Insgesamt
Page 2
Anteile weiblicher Tatverdächtiger 1987-2008
Kriminologie I WS 2009-2010
07
20
05
20
03
20
01
20
99
19
97
19
95
19
93
19
91
19
89
19
19
87
25
24,5
24
23,5
23
22,5
22
21,5
21
20,5
20
19,5
Page 3
Erklärung der Frauenkriminalität
Biologische und moralische Erklärungen (Theorie der Schwäche)
These der "Ritterlichkeit“
Theorie unterschiedlicher Sozialisation
Unterschiedliche Sozialkontrolle
Unterschiedliche Gelegenheiten (bedingt durch unterschiedliche Integration in
das öffentliche bzw. Berufsleben)
Emanzipationsprozesse
Unterwelt als Spiegelbild der Oberwelt (Diskriminierung und Machtgefälle)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 4
Gefä
Gefährliche Klassen,
Berufsverbrecher (crime
(crime as
work),
work), Organisierte Kriminalitä
Kriminalität
Gefä
Gefährliche Klassen: Schicht und Kriminalitä
Kriminalität
Ausgangspunkt: offiziell registrierte Kriminalität konzentriert
sich auf untere soziale Schichten
– Schichtmodell und Klassenmodelle der Gesellschaft
19. Jahrhundert: Debatte über „Gefährliche Klassen“
– Lumpenproletariat
– Frage der Kontrolle (Einbindung) gesellschaftlicher Gruppen
– Bindung durch Arbeit und Arbeitsmarkt
– Klassenstrafrecht und Klassenjustiz
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 6
Verbrechen als Beruf
Sutherland, E.H.: The professional thief. The
university of Chicago 1937.
Unterwelt, Schattenwelten und Schattenwirtschaften
Normen und Werte regulieren die
Schattenwirtschaften und damit verbundene
Berufsrollen (Dieb und Hehler, Zuhälter etc.)
Lerntheorien, Gelegenheitstheorien, ökonomische
Theorien
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 7
Organisierte Kriminalität
Der Diskurs über organisierte Kriminalität und Innere
Sicherheit
Das OrgKG (Gesetz zur Bekämpfung des
Betäubungsmittelhandels und anderer Formen der
Organisierten Kriminalität) 1992
Geldwäsche, Gewinnabschöpfung und neue
Ermittlungsmethoden
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 8
Definition Organisierter Kriminalität
Gemeinsame Arbeitsgruppe Justiz/Polizei, 1990
Planmäßige Begehung von Straftaten
Einzeln oder in Gesamtheit von erheblicher Bedeutung
Zwei oder mehr Beteiligte
auf längere oder unbestimmte Zeit
arbeitsteilig
gewerbliche/geschäftsähnliche Strukturen
unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur
Einschüchterung geeigneter Mittel oder unter
Einflussnahme auf Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Justiz
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 9
Geschichte der Organisierten Kriminalität
17./18. Jahrhundert Räuber- und Gaunerbanden
19./20. Jahrhundert Grossstädtische Unterwelten
Berufs- Gewohnheitsverbrecher/Professionelle
Kriminalität
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 10
Erklärung der Organisierten Kriminalität
Grossstadtmilieus
Anpassung und Rationalisierung
Entwicklung von Schwarzmärkten
Reaktion von Minderheiten („ethnische
Leiter“)
Theorie des „schwachen Staats“
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 11
Immigranten, Ethnische
Minoritä
Minoritäten und Kriminalitä
Kriminalität
Immigrantenforschung: Ausgangspunkte
Forschung zu Immigranten ist lange Zeit vernachlässigt
worden
– Alleinige Orientierung an Nationalität
Sensible Fragestellungen
– Kulturelle, ethnische und religiöse Differenzen
– Diskriminierung
Mobile Menschen und mobiles Recht
– Mit den Menschen wandern auch das Recht und
Vorstellungen darüber, was gerecht ist
Wer ist ein Immigrant?
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 13
Ausländeranteile an Tatverdächtigen und Wohnbevölkerung
40
35
30
25
20
15
10
5
19
61
19
64
19
67
19
70
19
73
19
76
19
79
19
82
19
85
19
88
19
91
19
94
19
97
20
00
20
03
20
06
0
Anteil Tatverdächtige
Kriminologie I WS 2009-2010
Anteil Wohnbevölkerung
Page 14
Wer ist ein Immigrant?
Wer ist ein Immigrant und wie lange bleibt man ein
Immigrant?
– Bei Zugrundelegen der Staatsangehörigkeit haben etwa 8%
der Wohnbevölkerung Immigrantenstatus
Statistisches Bundesamt: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit.
Bevölkerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des
Mikrozensus 2005 –. Wiesbaden 2007, S. 328
– Bei Zugrundelegen von Migrationserfahrung und direkter
Abstammung von Personen mit Migrationserfahrung
– Anteil der Wohnbevölkerung mit Migrationshintergrund
» Ca. 18%
Aus Immigranten werden im Laufe der Zeit teilweise
– Ethnische Minderheiten
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 15
Woher kommen die Migranten?
Ehemalige SU
Sonstiges
Europa
EU25 3579000
1515000
159000
217000
1864000
Türkei 2445000
453000
513000
536000
168000
Afrika
Kriminologie I WS 2009-2010
Naher/Mittlerer
Osten
Page 16
Phasen der Einwanderungspolitik
bis 1973
70er/80er Jahre
90er Jahre
ab 2000
Kriminologie I WS 2009-2010
Immigration aus früheren Kolonien
und Anwerbung von „Gastarbeitern“
Familienzusammenführung und Asyl
Asyl, Flüchtlinge, illegale Immigration
Asyl, Flüchtlinge, illegale Immigration
und ausgewählte Arbeitsmigranten
Page 17
Ausländerstatus und Tatverdacht
Asylbewerber
Ausbildung
Kriminologie I WS 2009-2010
Arbeitnehmer
Illegal
08
20
06
20
04
20
02
20
00
20
98
19
96
19
94
19
92
19
90
19
88
19
86
19
19
84
40
35
30
25
20
15
10
5
0
Touristen
Page 18
Beziehungen zwischen Einwanderung, Sicherheit und Kriminalität
Einige, jedoch nicht alle, Immigrantengruppen sind stärker mit Kriminalität
belastet
Besondere Belastungen sind teilweise sichtbar bei den Einwanderern der
zweiten und dritten Generation
Viele Immigranten befinden sich in einer ökonomisch und sozial gesehen
prekären Situation
Der soziale und ökonomische Wandel der letzten Jahrzehnte hat sich zu
Lasten von Immigranten ausgewirkt
– Das Verschwinden (einfacher) Arbeit insbesondere hat die Immigrationsund Integrationsbedingungen verändert
– Neuimmigranten bietet sich häufig nur der Weg in Schattenwirtschaften;
der erste Arbeitsmarkt bleibt versperrt.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 19
Was hat sich für Immigranten verändert?
Rechtlicher Status: vom Arbeitsmigranten zu Asyl, Flüchtlingsstatus
und Illegalität
Transformation der Arbeitsmärkte führt zu hoher Arbeitslosigkeit und
Arbeit in Schattenwirtschaften
Immigranten konzentrieren sich in grossstädtischen Gebieten
Arbeitsmigranten der 1950er und 1960er Jahre kommen aus ländlichen
Gebieten; Migranten der letzten zwei Jahrzehnte kommen aus
grosstädtischen Gebieten
Immigration führt in Europa zu transnationalen (ethnischen)
Gemeinschaften (transnational communities)
– Beibehaltung von Bindungen an die Herkunftsgesellschaften
– Doppelte Staatsbürgerschaft
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 20
Immigranten (Nichtdeutsche) und ihr Anteil an polizeilich
registrierter Kriminalität 2006
30
25
20
15
10
Insgesamt
Betrug
Drogendelikte
Schwerer
Diebstahl
Raub
Vergewaltigung
0
Tötungsdelikte
5
Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik 2006
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 21
Immigrantenkriminalität
Immigrantenkriminalität ist weitgehend durchschnittliche
Kriminalität
Ausnahmen
– Immigrationsbezogene Kriminalität
– Urkundenfälschung
– Ausländer-, Asyldelikte
– Schattenwirtschaftsbezogene Kriminalität
– Drogenmärkte
– Rotlicht
– Höhere Belastung mit Gewaltkriminalität (auch in
Dunkelfeldbefragungen bei jungen Männern)
– Ehre und Gewalt
– Vergeltende Gewalt
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 22
Konsequenzen der Immigrantenkriminalität
Hoher Anteil an polizeilich registrierten Tatverdächtigen (22%)
– Insbesondere in Grossstädten, bei Intensivtätern und bei jungen
Menschen (45% der Jugendgruppengewalttäter waren 2006 in Berlin
nichtdeutsch oder deutsch nichtdeutscher Herkunft)
– Häufige, teilweise konflikthafte/gewalttätige Konfrontationen mit
Polizei
Hoher Anteil an Verurteilten (23%)
Hoher Anteil an Strafgefangenen (22%)
Vergleichsweise geringer Anteil an Maßregelvollzugsinsassen
(Schätzungen liegen bei etwa 10%)
Neuregelung des Maßregelvollzugsrechts 2006 hatte auch
Entlastung durch Vorrang der Abschiebung zum Ziel
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 23
Raum und Kriminalität
Räumliche Verteilungen
Grossstädte vs. Land
– Grossstädte (< 500.000) = ca. 18% der Einwohner, aber etwa
35% der registrierten Kriminalität
– Kleinstädte (40% der Einwohner, aber 20% der Kriminalität)
Industriestaaten vs Entwicklungsländer
Stadtteile (hot spots)
Unterschiede zwischen Grossstädten (beispw. München vs.
Hamburg)
– Hamburg: 16.168/100.000
– München: 9.263/100.000
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 25
Erklärung der Unterschiede und Reaktionen
Chicago-Schule der Kriminologie
– Soziale Desorganisation
– Häufiger Wechsel der Personen/Haushalte
– Zusammenbruch informeller Sozialkontrolle
Zero-Tolerance Policing
– „Wehret den Anfängen“
– broken windows Prozess
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 26
Broken Windows
Sichtbare Zeichen von Verfall und Verwahrlosung der
Wohnumgebung (Incivilities: Graffiti, Müll, benutzte Spritzen etc.)
können eine Verstärkung von Unordnung und Kriminalität auslösen
– Bleibt die Reaktion auf diese Zeichen aus, so wird angenommen,
dass dies zur Wahrnehmung (durch Bewohner und potentielle
Straftäter) führt, dass in der betroffenen Gegend soziale Kontrolle
fehlt und das Risiko der Begehung von Straftaten gering ist
Dies führt zu einem (sozialen) Rückzug der Bewohner und zu einer
Schwächung der sozialen Kontrolle
Dies zieht Straftäter von außen an (Verlagerung von Devianz) und
verstärkt die Devianz vor Ort lebender junger Männer usw
Die Broken Windows Hypothese dient zur Begründung von „NullToleranz“ Ansätzen der Polizei (insbesondere New York in den
1990er Jahren)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 27
Literatur Broken Windows
Keizer, K., Lindenberg, S., Steg, L.: The Spreading of Disorder.
Science 322(2008), S. 1681-1685
Gau, J.M., Pratt, T.C.: Broken Windows or Window Dressing?
Citizens´(In) Ability to Tell the Difference Between Disorder and
Crime. Criminology & Public Policy 7(2008), S. 163-194
Kelling, G.L., Wilson, J.Q.: Broken Windows. The Atlantic 1982
www.theatlantic.com/doc/198203/broken-windows
Rosenfeld, R., Fornango, R., Rengifo, A.F.: The Impact of OrderMaintenance Policing on New York City Homicide and Robbery
Rates: 1988-2001. Criminology 45(2007), S. 355-383
Hirtenlehner, H.: Unwirtlichkeit, Unterstützungserwartungen,
Risikoantizipation und Kriminalitätsfurcht. Monatsschrift für
Kriminologie 91(2008), S. 112-130.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 28
Die Aussagekraft der Polizeilichen
Kriminalstatistik
Was wird durch Polizeiliche Kriminalstatistiken gemessen?
Anzeigebereitschaft (Opfer ist „gate keeper“)
– Determinanten
» Deliktsschwere, ethnische Zugehörigkeit, Illegalität (beisp.
Illegale Immigranten, Drogenmärkte)
» Direkt beeinflussbar durch gesetzliche, vertragliche
Verpflichtungen (Geldwäsche, Versicherungen)
Kontrollintensität im Falle opferloser Delikte
– „proaktive“ Polizei (V-Leute, under cover policing, TÜ etc.)
– abhängig von Investitionen in Polizei und Verfahrensrecht
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 30
„Selbstjustiz“/Informelle Erledigung von Straftaten
Selbständige Erledigung von Kriminalität beispw. durch
– Betriebsjustiz
– Öffentliche Verkehrsbetriebe (Erhöhter Fahrpreis)
– Familie
– Nachbarschaft
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 31
Konsequenzen
Dunkelfeld der Kriminalität
Gesetz der konstanten Verhältnisse?
Alternative Messinstrumente
– Selbstberichtsbefragungen (Self reported delinquency
SRD)
– Opferbefragungen
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 32
SRD Fragen
Die meisten Menschen tun in ihrem Leben
manchmal Dinge, die verboten sind, z.B. ohne
Fahrkarte im Bus fahren oder etwas stehlen. Wir
möchten gerne von Dir wissen, ob Du auch schon
einmal etwas Verbotenes getan hast.
Ich habe schon einmal
– einen ganzen Tag oder mehrere Tage die Schule
geschwänzt
– in einem Geschäft etwas gestohlen
– jemanden so geschlagen, dass er/sie verletzt war
oder blutete
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 33
Freiburger SRD Studie
www.mpicc.de
– forschung/online publications and resources
– Oberwittler u.a.: Soziale Lebenslagen und Delinquenz von
Jugendlichen
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 34
Freiburger SRD Studie
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 35
Freiburger SRD Studie
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 36
Freiburger SRD Studie
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 37
Freiburger SRD Studie
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 38
Freiburger SRD Studie
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 39
Freiburger SRD Studie
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 40
Freiburger SRD Studie
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 41
Selbstberichtsuntersuchungen
Beziehen sich ganz überwiegend
Auf junge Menschen
Werden häufig als Schuluntersuchungen durchgeführt
(Klassenbefragungen)
Basieren auf retrospektiven Fragen
Haben Sie …, Wie oft haben Sie in den
letzten 12 Monaten ….?
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 42
Probleme retrospektiver Befragung
Erinnerung
Vergessen
Fehlerhafte Platzierung
Falsche Erinnerung der Häufigkeit
Verdrängung/Beschönigung
Von erheblicher Relevanz für die Erinnerung
Die jeweilige Bedeutung des Ereignisses
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 43
Befunde aus Selbstberichtsforschungen
Kriminalität ist (bei Kindern und Jugendlichen) weit
verbreitet (Ubiquitätsthese; Normalitätsthese)
Die weite Verbreitung von Kriminalitätsbegehung ist
beschränkt auf triviale Delikte (Schwarzfahren, kleine
Diebstähle). Nahezu alle Jugendliche begehen
irgendwann einmal eine Straftat.
Für die meisten jungen Menschen bleibt es bei einer
oder einer gelegentlichen kleinen Straftat
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 44
Befunde
Schwere Kriminalitätsbegehung sowie wiederholte und
mehrfache Deliktsbegehung sind selten.
Unterschiede zwischen den Geschlechtern bleiben
bestehen, wenn schwere Straftaten und wiederholte
Deliktsbegehung einbezogen werden (und auf triviale Delikte
verzichtet wird).
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 45
Befunde
Das Dunkelfeld ist offensichtlich bei leichten Delikten
stärker ausgeprägt als bei schweren Delikten.
Die Ergebnisse aus Täterbefragungen lassen sich im
Bereich von schwerer Kriminalität mit denen der
Kriminalstatistik zur Deckung bringen.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 46
Befunde
Eine strikte Trennung zwischen Tätern und Nichttätern (oder
Tätern und Opfern) kann nicht durchgeführt werden
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 47
Opferbefragungen
Fragestellungen
– Selbst erlittene Kriminalität
– Einstellungen
– insb. aber Kriminalitätsfurcht
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 48
Opferbefragungen
Vorteile
– weniger sensible Fragen für die Befragten
» Ausnahme: Betrug, sexuelle Gewalt
Nachteile
– nur Deliktsbereiche mit individuellen Opfern
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 49
Freiburger SRD Studie
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 50
Freiburger SRD Studie
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 51
Deutschland: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 52
Deutschland: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 53
Deutschland: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 54
Deutschland: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 55
International Crime Victims Survey (ICVS 2000)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 56
International Crime Victims Survey (ICVS 2000)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 57
International Crime Victims Survey (ICVS 2000)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 58
International Crime Victims Survey (ICVS 2005)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 59
International Crime Victims Survey (ICVS 2005)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 60
Normalität der Kriminalität
Kriminalität und ökonomische/kulturelle Leistungen
(Rechtswissenschaft, Arbeitsplätze, Versicherungen, Literatur)
Kriminalität als Schrittmacher für sozialen Wandel (beispielsweise
sexuelle Emanzipation, Gewerkschaften/Arbeiterbewegung)
Kriminalität macht Normen erst sichtbar (aus der Abweichung ergibt
sich erst der Inhalt und die Autorität der Norm)
Kriminalität als Voraussetzung für Integration einer Gesellschaft (die
konformen Gesellschaftsmitglieder solidarisieren sich gegen den
Abweichler)
Der Verbrecher ist notwendig als Projektionsobjekt für Triebwünsche
und dafür, daß dauerhafter Triebverzicht (und damit die Kanalisation
der Antriebskräfte in kulturelle Leistungen) ermöglicht wird.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 61
Kriminalitätstheorien
Soziologische Theorien
Psychologische Theorien
Ökonomische Theorien
Biologische Theorien
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 62
Soziologische Kriminalitätstheorien
Anomietheorie der Kriminalität
Durkheim, Emile 1858 – 1917
– Über die Teilung der sozialen Arbeit. Frankfurt 1977
– Der Selbstmord. Neuwied, Berlin 1973
Merton, Robert 1910 – 2003
– Sozialstruktur und Anomie. In: Sack, F., König, R. (Hrsg.):
Kriminalsoziologie, Frankfurt am Main, S. 283–313
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 64
Soziale Integration, Anomie und Kriminalität
Gesellschaftliche Integration wird ermöglicht durch ein die Bedürfnisse der Individuen begrenzendes
gemeinsames Kollektivbewusstsein ("Conscience collective")
Im Kollektivbewusstsein sind die für die Gesellschaft maßgeblichen Normen und Werte verkörpert
Kollektivbewusstsein vermittelt Orientierungssicherheit und ein Gefühl der Solidarität
Für vormoderne Gesellschaften ist eine “mechanische Solidarität” typisch, die durch die Ähnlichkeit
ihrer Teile gewährleistet wird
In einer modernen arbeitsteiligen Gesellschaft geht die Ähnlichkeit verloren (Individualisierung)
“Mechanische Solidarität” wird durch "organische Solidarität” ersetzt, die beständig erzeugt werden
muss
Ein Anstieg des Suizides oder steigende Kriminalitätsraten kennzeichnen einen Verlust an
Solidarität/Integration sowie anomischen Zustand (Unsicherheit in der Orientierung, fehlende
Normen)
Der Begriff der Anomie verweist nicht auf Kriminalität an sich, sondern auf einen anomischen
Kriminalitätsanstieg, da nur dies Schwächung des Kollektivbewusstseins und soziale Desintegration
anzeigt
Kriminalität ist im Übrigen nicht nur ein normaler Bestandteil der sozialen Struktur, sondern
funktional, da die Strafe das beeinträchtigte Kollektivbewusstsein bestärkt
Das Kollektivbewusstsein darf nicht zu stark sein; eine Anpassung des moralischen Bewusstseins an
geänderte gesellschaftliche Verhältnisse und damit sozialer Wandel muss möglich bleiben
Hierzu gehört die prinzipielle Möglichkeit kriminellen Verhaltens; das Verbrechen kann im Einzelfall
eine künftige im Kollektivbewusstsein enthaltene Moral antizipieren und zum Schrittmacher sozialen
Wandels werden
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 65
Mertons Anomietheorie
Gesellschaften zerfallen in eine kulturelle und in eine
soziale Struktur
– die kulturelle Struktur gibt an, welche Ziele in einer
Gesellschaft erreicht werden sollten und wie dies
geschehen sollte (Normen und Werte)
– die soziale Struktur entscheidet über die Möglichkeiten, die
Ziele tatsächlich zu erreichen: objektive Bedingungen des
Handelns
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 66
Anomietheorie
Sind kulturelle und soziale Strukturen nicht integriert,
dann entsteht
– für den einzelnen Menschen eine anomische Situation oder
Stress
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 67
Reaktion auf Anomie
Innovation: Die kulturellen Ziele werden beibehalten, die
normativ zugelassenen Wege werden ersetzt durch
illegale oder illegitime Mittel (Abweichung, Kriminalität).
Ritualismus: Die Werte und Ziele werden aufgegeben,
die zugelassenen institutionalisierten Mittel werden zum
Eigenwert.
Rückzug aus der Gesellschaft. Sowohl Werte und Ziele
als auch die Mittel werden abgelehnt. Die Anpassung
besteht darin, sich aus der Gesellschaft auszugrenzen.
Rebellion: Sowohl Werte als auch Normen werden
abgelehnt, gleichzeitig wird versucht, die abgelehnten
Werte und Normen durch ein neues (gerechteres)
System von Werten und Normen zu ersetzen.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 68
Cloward/Ohlin: Anomie und Zugangschancen
Erweiterung der Anomietheorie kriminellen Verhaltens durch
Cloward/Ohlin
Ergänzt wird die Anomietheorie um die Zugangschancen zu
illegitimen Mitteln
Bei Merton enthält die Sozialstruktur implizit eine Annahme zur
Verteilung der Zugangschancen zu legitimen Mitteln,
– der Unterschicht sind legitime Mittel weitgehend verbaut
Cloward/Ohlin stellen die Frage nach der Verteilung der
illegitimen Möglichkeiten
– Rückgriff auf Theorie der differentiellen Assoziation
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 69
Theorie der differentiellen Assoziation
Theorie der differentiellen Assoziation (Edwin Sutherland):
– kriminelles Verhalten wird gelernt, wie jedes andere Verhalten
auch
– Die hiermit verbundenen Annahmen betreffen:
– Kriminelles Verhalten wird in intimen Bezugsgruppen gelernt.
– Das, was gelernt wird, besteht nicht nur darin, wie man Diebstähle
oder andere kriminelle Verhaltensweisen begeht, sondern auch in
bestimmten Wertemustern, Einstellungen (die für bestimmte
professionelle Kriminalitätsbegehung bezeichnend sind).
– Der Zugang zu derartigen Gruppen ist unterschiedlich verteilt.
– Insoweit hängt die Begehung von Kriminalität davon ab, ob und
inwieweit man zu bestimmten Gruppen und damit Lernmöglichkeiten
Zugang bekommt.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 70
Theorieintegration
Integration der Theorie der differentiellen Assoziation und
der Anomietheorie
Typisierung verschiedener subkultureller
Anpassungsmuster:
– Die kriminelle Subkultur (die entsprechende Lern- und
Kontaktmöglichkeiten voraussetzt)
– Die Konfliktsubkultur (Banden)
– Gewalt als Mittel zu Statuserwerb und -erhalt
– Die Rückzugssubkultur (Scheitern in jeder Hinsicht, d. h.
sowohl im legalen als auch im illegalen Bereich)
– Drogensubkultur
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 71
Hauptgesichtspunkte der Anomietheorien
– Strukturell erzeugter „Stress“ führt zu Kriminalität (oder
anderen abweichenden „stresslösenden“
Verhaltensweisen)
– Politische Reaktion: Herstellung von Chancengleichheit,
Beseitigung von Armut (Politik der sechziger und siebziger
Jahre; war on poverty)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 72
Subkulturtheorien
Cohens Kultur der Gang
Kulturtheorie männlicher Bandenkriminalität
– Ausgangspunkt: Mertons Analyse von kultureller und
sozialer Struktur
– männliche Jugendliche der Ghettos können bereits in der
Schule die von der Mittelschichtsgesellschaft gesetzten
Erwartungen nicht oder nur schwer erfüllen.
– Hieraus folgt individuelle Frustration.
– Zur Lösung der Frustration werden im Wege einer
kollektiven Reaktionsbildung die Mittelschichtsnormen und
-werte entwertet und durch eine andere Wertekultur ersetzt.
– Dies ist die Wertekultur der Bande.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 74
Millers Kulturkonflikttheorie
Die Subkultur der Bande ist das Produkt eines größeren subkulturellen
Kontextes.
Miller versteht die Jugendbande als Teil einer traditionsreichen
Subkultur (der Unterschicht, der Arbeiterklasse).
Die Verhaltensweisen, die als deviant oder kriminell bezeichnet werden
können, entstehen dabei aber nicht wie bei Merton oder Cohen aus der
Frustration oder der Anomie, sondern aus der allgemeinen Motivation,
mit subkulturellen Werten und Normen konform zu bleiben
Die Kriminalität der Bande ist deshalb ein Nebenprodukt subkultureller
Normen, die mit denen der dominanten Kultur im Widerspruch stehen.
Abweichung und Kriminalität sind damit kein Produkt einer
zielgerichteten Reaktion auf Mittelschichtsnormen, sondern der
Versuch, nach den in der Subkultur geltenden Normen zu leben.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 75
Subkulturelle Werte
– Schwierigkeiten mit dem Gesetz haben,
– Härte und Männlichkeit (gegenüber Weichheit und
Feigheit),
– Gerissenheit (gegenüber Beschränktheit, Gelderwerb durch
harte Arbeit),
– Risiko und Aufregung, Autonomie (gegenüber
Unterordnung und Autorität).
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 76
Labeling Approach
Anomietheorien verweisen auf sozial bedingten Stress auf den
einzelnen Menschen, der somit zu Abweichung und kriminellem
Verhalten getrieben wird und keine eigenständigen Beiträge leistet.
Im Labeling Approach (oder Etikettierungsansatz) wird die einzelne
Person ebenfalls in den Mittelpunkt gerückt.
Hiermit wird dann auf Interaktionen (zwischen Personen oder zwischen
Personen und Institutionen) verwiesen.
Der labeling approach ist mit den Arbeiten von Howard Becker
verbunden (wie wird man Jazzmusiker; wie wird man
Haschischraucher).
– Becker, H. S.: Außenseiter. Frankfurt 1981
Der labling approach wurde in den 1960er Jahren auch in Deutschland
bzw. in Westeuropa rezipiert.
Der labeling approach ist methodisch mit qualitativen Verfahren
verbunden (symbolischer Interaktionismus)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 77
Labeling Approach
Ausgangspunkt:
– Es gibt kein abweichendes Verhalten „an sich“
– Erst die Normsetzung schafft die Voraussetzung für die
Möglichkeit des von ihnen abweichenden Verhaltens
– Soziale Gruppen schaffen abweichendes Verhalten, indem
sie Normen aufstellen
– Moralunternehmer
– Die Unterscheidung von normal und abweichend ist
Gegenstand von sozialen Konflikten
– Soziale Normen "verursachen" deshalb Abweichung bzw.
Kriminalität
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 78
Labeling approach
Die Bewertung einer Handlung als konform oder
abweichend erfordert:
– Ein Bewertungsschema (Norm)
– Ein Bewertungsvorgang: d. h. ein Interaktionsprozess,
in dessen Verlauf Menschen anderen Menschen die
Eigenschaft abweichend bzw. kriminell zuschreiben, die
dann das Etikett für sich selbst übernehmen
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 79
Zuschreibungsprozess
1. Schritt: Verhalten (oder Abweichung)
2. Schritt: Interaktionsprozesse: Handelt es sich um eine
Abweichung? Ist die betreffende Person ein Dieb?
3. Schritt: Zuschreibung in Form von
– Selbstzuschreibung, Identitätsveränderung
– Fremdzuschreibung, Rekonstruktion der Geschichte des
Individuums
» erleichtert durch Aktenführung (Jugendämter, Strafakten)
– Reduzierung anderer Handlungs- und Entwicklungsoptionen
» Auch bedingt durch Stigmatisierung (durch strafrechtliche
Verurteilung oder Gefängnisaufenthalt)
– Entstehung einer „Laufbahn“, Karriere
– Allerdings ist dies kein zwingender Mechanismus
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 80
Symbolischer Interaktionismus
Menschen verhalten sich Dingen und anderen Menschen gegenüber auf der
Grundlage der Bedeutungen, die diese Dinge oder Menschen für sie haben
Diese Bedeutungen entstehen in sozialer Interaktion mit anderen Menschen
und wirken darauf zurück
Menschen handhaben jene Bedeutungen durch Interpretation, die dazu
dient, den Objekten der sozialen Umwelt einen Sinn abzugewinnen
Eine menschliche Handlung lässt sich nur aus dem situativen Kontext
heraus und mithilfe der Interpretation der handelnden Individuen selbst
verstehen
Der symbolische Interaktionismus befasst sich mit dem Selbst als jener
Instanz im Menschen, welche reflektiert, benennt, interpretiert und sich zu
sich selbst ebenso wie zu anderen Individuen in Beziehung setzt
Die Methode des symbolischen Interaktionismus bezieht sich auf Situationen
aus dem Alltag des Menschen
Die Gesellschaft stellt eine intersubjektive Welt geteilter Bedeutung und
Sinnzuschreibung dar
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 81
Konsequenzen des labeling approach
Unterscheidung zwischen
– Primärabweichung
– Sekundärabweichung
Besondere Bedeutung für kriminelle Karriere
Besondere Bedeutung für Kriminalpolitik
–
–
–
–
Verhinderung von Sekundärkriminalität
Diversion
Non-Intervention
Reduzierung von Stigma, beispw.
Bundeszentralregistergesetz
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 82
Stress oder Kontrolle?
Kriminalitätstheorien als Erklärung
– pathologischer Erscheinungen, die im Verlaufe von
Vergesellschaftungs- oder Sozialisationsprozessen auftreten.
Erklärung der Fehl- oder Nichtanpassung eines Menschen,
– verursacht durch sozialstrukturelle Pathologien, familiäre
Ausnahmesituationen oder persönlichkeitsspezifische Defizite
"Stresstheorien" fassen solche Ansätze zusammen, die
– von einem allgemein gesellschaftlichen Norm- und
Wertekonsensus ausgehen und
– die abweichende oder kriminelle Handlungen durch blockierte
Zugänge und dadurch ausgelösten Streß verursacht ansehen.
– Der Schwerpunkt in der Erklärung der Entstehung von Konformität
liegt auf der Erziehung und dem Prozess der Norminternalisierung.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 83
Ausgangsfrage
Hobbes: Der Mensch ist des Menschen Wolf
Problem: Wie kann der Einzelne geschützt werden?
Schutz (innere Sicherheit) bietet allein der Staat (durch
äußeren Zwang)
Kriminalität wird verhindert durch äußeren Zwang
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 84
Änderung der Ausgangsfrage
Aus der Fragestellung von Hobbes
– „Warum verhalten sich Menschen konform?“
wird die Frage
– „Warum verhalten sich Menschen abweichend?“
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 85
Antwort der sozialstrukturellen Gesellschaftstheorie
Menschen verhalten sich konform, weil
– es ein konsentiertes Werte- und Normensystem gibt,
– das im Laufe der Sozialisation jeder Mensch, der
„normal“ erzogen wird, „internalisiert“.
– Insoweit kommen Erwartungen der Gesellschaft
(Normen) und Interessen des Einzelnen zur Deckung.
Konformität ist deshalb die Regel (und nicht
erklärungsbedürftig), Abweichung ist die Ausnahme
(und deshalb erklärungsbedürftig)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 86
Probleme
Werte- und Normkonsens ist zweifelhaft
– 1960er Jahre: Vietnamkrieg, Studentenunruhen,
Rassenunruhen in den USA
Was ist Norminternalisierung?
– Freudsches Konzept des Über-Ichs und des Gewissens als
Übernahme von Fremderwartungen (gesellschaftliche
Normen)
– Konsequenz: schlechtes Gewissen, aber keine Verhinderung
des Normbruchs
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 87
Neues Interesse an Kontrolltheorien
Kontrolltheorie der Kriminalität (Hirschi)
Erklärungsbedürftig ist, warum sich der Einzelne an die
Regeln hält
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 88
Relevante Faktoren
Attachment: emotionale Bindung an relevante andere
(Eltern, peers)
Commitment: rationale Bindung über instrumentelle
Interessen (beispielsweise erworbener Status, der
nicht aufs Spiel gesetzt werden soll, Karrierechancen,
die man sich nicht verderben will)
Belief: Bindung aufgrund gemeinsamer geteilter Werte
und Normvorstellungen; Glaube an die Legitimität der
Ordnung und der Normen
Involvement: Bindung auf der Basis der faktischen
Teilnahme an den Institutionen der Gesellschaft
(beispielsweise durch Arbeit oder Ausbildung).
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 89
Fortentwicklung der Kontrolltheorie
Gottfredson/Hirschi
– Gottfredson, M., Hirschi, T.: A General Theory of Crime. Stanford
1990
– Allgemeine Kriminalitätstheorie
– Kriminalität ist Ausdruck mangelhafter
– Selbstkontrolle
» Personen mit hoher Selbstkontrolle berücksichtigen die langfristigen
Konsequenzen von Handlungen
» Personen mit geringer Selbstkontrolle berücksichtigen die Folgen
nicht
» Selbstkontrolle ist erlernt und wenig anfällig für Veränderungen
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 90
Was bedingt die Konformität mit Internationalem Recht?
Führt die Ratifizierung der UNO Anto Folter Konvention
zu weniger Folter?
– Nur ganz schwache Korrelation zwischen Ratifizierung und
Ausmaß der Folter
Demokratie und Folter?
– Voll ausgebildete Demokratien folgen Pflichten aus der
Konvention eher und zeigen nach Ratifizierung eine
Verbesserung der Praktiken
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 91
Warum halten sich Staaten an Konventionen?
Der Staat als rationaler Akteur?
– Direkte Sanktionen: ökonomische Sanktionen oder humanitäre Intervention
(Sicherheitsrat)
– Informelle Sanktionen: Reputation und Scham
– Konformität mit internationalem Recht reflektiert nationale Interessen
– Wahrnehmung von internationalem Recht als legitim und gerecht
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 92
Voraussetzungen für Konformität
Politische Strukturen
– Ausmaß der politischen Beteiligung und der Gleichheit
Systeme der Rechtfertigung von Anti-Folter Politik
– Entwickelt und unterstützt durch soziale und politische Eliten
– Ausschluss von Feindbildern, insb. das außergewöhnliche
Verbrechen, gefährliche Menschen
Systeme der Organisation von Autorität
– Vorgesetztenverantwortlichkeit
Kontrolle lokaler Dynamik von Folter
– Insb. Schutz von Gruppen mit niedrigem sozialem Status:
Obdachlose, Drogenabhängige
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 93
Literatur
Hathaway, O.A.: Do Human Rights Treaties Make a
Difference? The Yale Law Journal 111(2002), S. 19352042.
Cole, W.M.: Sovereignty Relinquished? Explaining
Commitment to the International Human Rights
Convenants, 1966 – 1999. American Sociological Review
70(2005), S. 472-495.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 94
Psychologische Kriminalitä
Kriminalitätstheorien
Theorie der Psychodynamik (Freud)
Persönlichkeit gliedert sich in Es, Ich und Über-Ich
– Es: Triebe
– Ich: Person oder Persönlichkeit
– Über-Ich: Gewissen
Entwicklung der Psyche
– Ausbildung des Ich (und damit der Abgrenzung zu anderen
Personen)
– Ausbildung des Über-Ichs (gesellschaftliche Normen und
Erwartungen) Die Entwicklung von
– Ich und Über-Ich: Identifikationsprozesse (mit Mutter und
Vater)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 96
Psychodynamik und Abweichung
Abweichendes Verhalten entsteht als Folge von
Fehlentwicklungen in der Persönlichkeit
– neurotische Fehlentwicklungen: ein zu starkes ("tyrannisches")
Über-Ich (bedingt durch zu starke Identifikations- und
Unterwerfungsprozesse in der frühen Erziehung) läßt eine adäquate
Verarbeitung der Triebe nicht zu. Triebimpulse werden verdrängt
und aufgestaut. Verbrechen und Abweichungen werden dann zu
Symptomen (Beispiel: der Verbrecher aus Schuldgefühl).
– Psychopathische Entwicklungen (als Folge gestörter (fehlender)
Identifikation) führen zu Über-Ich-Defiziten, die eine angemessene
Kontrolle der Triebe und eine interne Steuerung des Menschen auf
der Basis der Repräsentanz gesellschaftlicher Erwartungen im ÜberIch nicht gewährleisten.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 97
Lerntheorien
Kriminelles Verhalten wird erlernt wie jedes andere
Verhalten (Sutherland)
Lernmechanismus der operanten Konditionierung
(Bekräftigungslernen)
– Problemverhalten wird aufgrund verstärkender
Verhaltenskonsequenzen erworben und verfestigt.
Hypothese: Eine Person wird dann antisoziales
Verhalten (kriminelles Verhalten) zeigen, wenn sie in
der Vergangenheit dafür bekräftigt/belohnt worden ist
und wenn aversive Konsequenzen das Verhalten nicht
unterdrückt haben.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 98
Lerntheorien
Erklärung erstmaligen Verhaltens/Erklärung seltenen
Verhaltens
– hier kann die Bekräftigung bzw. Verstärkung keine Rolle
spielen
Lerntheorie stellt heute auf eine Dreiteilung ab:
– Erwerb von Verhalten,
– Auslösung von Verhalten
– Stabilisierung von Verhalten.
Der Erwerb von Verhalten erfolgt durch
Beobachtungslernen
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 99
Eysencks Persönlichkeitstheorie der Kriminalität
Unterscheidung zwischen Extrovertierten und
Introvertierten
– Beobachtung: Extrovertierte sind stärker mit Kriminalität
belastet
Annahme: Kriminalität tritt eher bei
extrovertierten Personen auf
weil:
– Extrovertierte Menschen weniger Angst haben
– Angst eine Voraussetzung für Konditionierung darstellt
– Extrovertierte Menschen deshalb schwerer lernen, weil sie
weniger ängstlich sind
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 100
Counter Strike
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 101
Politik unter Zugzwang:
Zugzwang: Bürger fordern Verbot von Gewaltspielen
Das Erfurter Schulmassaker hat eine vehemente Diskussion über
die Rolle der Gewalt in den Medien ausgelöst. Killerspiele der Art,
wie sie Robert Steinhäuser suchtmäßig spielte, wurden entwickelt,
um Soldaten zum ungehemmten Töten zu drillen. Sie haben in
Kinderzimmern nichts zu suchen!
Das Schulmassaker in Erfurt und die berechtigte Wut der
Bevölkerung über die bisherige Untätigkeit der Politik haben eine
allgemeine Debatte über die Ursache der "Neuen Gewalt" ausgelöst.
Die Teilnahme von über 100000 Menschen am Erfurter
Gedenkgottesdienst für die Opfer am 3. Mai - eine der größten
Versammlungen in Deutschland seit der Wiedervereinigung machte deutlich, daß die Geduld der Bevölkerung zur Neige geht.
Eine Umfrage des Bonner dimap-Instituts ergab, daß 81% der
Bevölkerung ein Verbot von Gewaltvideos und brutalen
Computerspielen befürworten.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 102
StGB § 131 Gewaltdarstellung
(1) Wer Schriften (§ 11 Abs. 3), die grausame oder sonst unmenschliche
Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art
schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten
ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die
Menschenwürde verletzenden Weise darstellt,
1. verbreitet,
2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht,
3. einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überläßt oder zugänglich macht
oder
4. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen
oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im
Sinne der Nummern 1 bis 3 zu verwenden oder einem anderen eine solche
Verwendung zu ermöglichen,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 103
Beobachtungslernen
Massenmedien, Videospiele und Gewalt
Hypothesen
– „Konsum“ (Beobachtung) von Gewalt erzeugt
Gewalttätigkeit
– Keine Auswirkungen
– „Konsum“ von Gewalt führt zu weniger Gewalttätigkeit
Problem der Überprüfung
– Längsschnittfragestellung
– Labor- und Feldforschung
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 104
Forschungsergebnisse
AMERICAN ACADEMY OF PEDIATRICS: Media Violence.
Pediatrics 108(2001), S. 1222-1226.
Anderson, C.A., Bushman, B.J.: The Effects of Media
Violence on Society. Science 295(2002), S. 2377-2379.
Media violence and aggression: 46 longitudinal samples
involving 4975 participants, 86 cross-sectional samples
involving 37,341 participants, 28 field experiment samples
involving 1976 participants, and 124 laboratory experiment
samples involving 7305 participants.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 105
Forschungsergebnisse
Anderson, C.A., Bushman, B.J.: The Effects of Media Violence on
Society. Science 295(2002), S. 2377-2379.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 106
Auslösung von Verhalten
Wahrnehmung von Gelegenheiten
Befehl und Gehorsam
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 107
Das Milgram Experiment (1961)
Angeregt durch den Beginn des Strafverfahrens gegen Eichmann in Israel
Aufruf zur Teilnahme an einem Experiment über „Lernen, Gedächtnis und
Strafe“; 4,50 US$ für Teilnahme
Rollen: Lernender, Lehrer und Wissenschaftler, der das Experiment
überwacht
Der Lernende wird in einem Stuhl festgeschnallt und an Elektroden
angeschlossen
Vorgetäuscht wird zur Zuordnung der Rollen von Lernendem und Lehrer
eine Zufallsauswahl. Der Lernende wird allerdings immer von einem
Schauspieler gespielt.
Das Experiment besteht aus:
– Vorlesen von Begriffspaaren, die vom Lernenden wiederholt werden müssen
– Bei Fehlern muss der Lehrer Stromstöße versetzen
– Stromstöße reichen von 15 Volt bis 450 Volt (Lebensgefahr)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 108
Das Milgram Experiment
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 109
Durchführung
30 Schalter von 15 - 450 Volt, markiert mit Hinweisen wie 15 Volt = leichter
Schock, 75 Volt = schmerzhaft bis 450 Volt = Lebensgefahr
Vor Beginn des Versuchs wurden die Versuchspersonen von einem
anwesenden Versuchsleiter, der als legitimierte Autoritätsfigur auftrat,
nochmals massiv darauf hingewiesen, wie wichtig die strikte Einhaltung der
Regeln sei
Der angebliche Schüler äußerte vor Beginn des Versuchs beiläufig, er habe
ein leichtes Herzleiden, wolle aber dennoch am Versuch teilnehmen
Das Opfer begann bei 75 Volt zu stöhnen, woraufhin viele
Versuchspersonen den Versuchsleiter vorsichtig baten, das Experiment zu
unterbrechen, was dieser jedoch mit barscher Kritik und Appellen an die
Männlichkeit seiner Versuchspersonen ablehnte
Bei 180 Volt bat dann der "Schüler" eindringlich, das Experiment
abzubrechen, da er die Schmerzen nicht mehr ertrage
Bei 300 Volt brüllte er um Hilfe, danach schwieg er
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 110
Ergebnisse
The theory that only the most severe monsters on the
sadistic fringe of society would submit to such cruelty is
disclaimed
Two-thirds of this studies participants fall into the
category of ‘obedient' subjects, they represent ordinary
people drawn from the working, managerial, and
professional classes (Obedience to Authority)
Ultimately 65% of all of the "teachers" punished the
"learners" to the maximum 450 volts
No subject stopped before reaching 300 volts
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 111
Literatur
Milgram, S.: Behavioral Study of Obedience. Journal of
Abnormal and Social Psychology 67(1963), S. 371-378.
Milgram, S.: Obedience to Authority; An Experimental View.
Harpercollins 1974.
Blass, Th.: The Milgram paradigm after 35 years: Some
things we now know about obedience to authority. Journal
of Applied Social Psychology 25 (1999), S. 955-978.
Blass, Th.: The Man Who Shocked the World", Psychology
Today (35)2002.
Blass, Th.: The Man Who Shocked the World: The Life and
Legacy of Stanley Milgram. Basic Books 2004.
Burger, J.M.: Replicating Milgram. Would People Still Obey
Today? American Psychologist 64 (2009), S. 1–11
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 112
Stanford Prison Experiment 1971 (Zimbardo)
Das Experiment
24 junge Männer (Mittelschicht, psychisch unauffällig und
gesund)
– Per Zufall: 12 Gefängniswärter, 12 Gefangene
– Briefing der „Gefängniswärter“: Gewalt ist nicht erlaubt,
ansonsten die Vermittlung des Gefühls vollständiger
Kontrolle
– Das Experiment musste nach einigen Tagen abgebrochen
werden; sadistische und erniedrigende Behandlung von
Gefangenen war die Regel
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 113
Ergebnisse des Stanford Prison Experiments
Haney, C., Banks, W. C., Zimbardo, P. G.: Interpersonal
dynamics in a simulated prison. International Journal of
Criminology and Penology, 1(1973) 69-97.
– The experiment's results demonstrate the impressionability
and obedience of people when provided with a legitimizing
ideology and social and institutional support
– The results support situational attributions of behavior rather
than dispositional attribution: the situation caused the
participants' behavior rather than anything inherent in their
individual personalities
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 114
Ansätze zur Erklärung von Holocaust, Folter etc.
Disposition vs. Situation
Erklärung durch:
Veränderungen des moralischen
Bezugsrahmens
– Aus dem Tötungs- (Folter)verbot wird ein Tötungs-/Foltergebot
– Rechtfertigungssysteme
– Vollkommener Ausschluss der Opfer aus dem moralischen Bezugsrahmen
– Dies erlaubt die Aussage: Ich töte/foltere, bin aber ein anständiger Mensch
geblieben
Veränderungen des moralischen
Bezugsrahmens können offensichtlich sehr
schnell erfolgen
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 115
Literatur zu Abu Ghraib
Fiske, S.T., Harris, L.T., Cuddy, A.J.: Why Ordinary People
Torture Enemy Prisoners. Science, 26. November 2004, Bd.
306, S. 1482-1483.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 116
Ökonomische Kriminalitä
Kriminalitätstheorien
Aufklärungsdenken und Nützlichkeit
Jeremy Bentham (1748-1832)
Konstant wirkende Kräfte:
– Leid und Freude
Entscheidend ist deshalb das Nutzenkalkül
Jeremy Bentham (1789):
„Die Natur hat den Menschen unter die Regierung zweier Herren
gestellt: Schmerz und Lust. Nur sie weisen uns darauf hin was wir tun
sollten, und bestimmen unser Handeln. “
Menschen handeln immer so, dass ihr Nutzen maximiert wird
(Utilitarismus).
Strafe: Notwendiger Schmerz, um vor Kriminalität abzuschrecken.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 118
Negative Generalprävention (Androhungsprävention)
Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775 – 1833)
Der Mensch wird geleitet durch die Verfolgung von für ihn
nützlichen Zielen und die Vermeidung von Schmerz und
Nachteilen
Deshalb müssen die durch Strafe angedrohten Nachteile
die durch eine Straftat erreichbaren Vorteile immer
überwiegen
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 119
Neo-klassische ökonomische Theorie der Kriminalität
Gary Becker (1968):
„Dieser Ansatz nimmt an, dass eine Person ein
Verbrechen begeht, wenn der erwartete Nutzen den
Nutzen übersteigt, den er durch andere Aktivitäten
erwarten könnte. Einige Menschen werden ‚Kriminelle‘,
nicht weil sie eine grundlegend andere Motivation haben,
sondern weil sie andere Nutzen und Kosten haben.
Kriminalität lässt sich im Rahmen einer allgemeinen
Theorie erklären und benötigt keine ad hoc-Konzepte wie
Differentielle Assoziation, Anomie etc.“
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 120
Unterschiedliche Perspektiven auf
Kriminalitätsursachen
(Neo)Klassisch
(18. Jh)
positivistisch
(19. Jh)
soziologisch
(20. Jh)
Menschenbild
freier Wille;
Glücksmaximierung
kein freier Wille,
stabile Anlagen
zur Abweichung
gesellschaftliche
Ursachen
dominant
Theorieansätze
Rational Choice
Biologie/Psychopathologie
Anomie,
Subkultur,
Bindungstheorie
Kriminalpolitik
Abschreckung;
abgestufte
Sanktionen
Exklusion
Sozialpolitik,
Erziehung
nach: Hess/Scheerer 2004
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 121
Ökonomische Kriminalitätstheorien
Makro-ökonomische Ansätze
– Arbeitslosigkeit und Kriminalität
– Krisen und Kriminalität
– Preisentwicklung und Kriminalität
Rational Choice
– Die Entscheidung für eine Handlung ist das Ergebnis von
Nützlichkeitsabwägungen
– (1) Menschen sind rationale Akteure
– (2) Rationalität beinhaltet Kosten-Nutzen-Kalkulation
– (3) Menschen entscheiden frei und auf der Grundlage rationaler Kalküle
über alle Verhaltensweisen (deviant und konform)
– (4) Das zentrale Element des Kalküls besteht in der Kosten-Nutzen
Abwägung: Vorteile der Straftat gegen Nachteile durch Bestrafung
– (5) Die Entscheidung ist auf die Maximierung des Nutzens gerichtet
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 122
Rational Choice
vereinfachte Nutzenfunktion:
– erwarteter Nutzen = Gewinn – Kosten
Kosten = (Wahrscheinlichkeit Strafe * Strafhöhe) +
Begehungskosten
Begehungskosten = Aufwand + entgangener alternativer
Gewinn (Opportunitätskosten)
– wenn G > K Normbruch
– wenn G < K kein Normbruch
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 123
Ökonomische Kriminalitätstheorien
Wann treten Nützlichkeitskalkulationen auf?
Wie wird Nützlichkeit bewertet?
– Grenznutzen und Grenzschaden
– (Grenznutzen: mit zunehmendem Verbrauch nimmt der
Nutzen eines Gutes für das konsumierende Individuum
ab)
Einschränkungen der rational choice Erklärung
– Normen, normative Orientierung
– Routinen, routine activity approach
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 124
Biologische Kriminalitä
Kriminalitätstheorien
Biologische Kriminalitätstheorien
Annahme: Kriminalität ist vererblich
Adoptions- und Zwillingsstudien
Genetische/molekularbiologische Forschung
Gehirnforschung
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 126
Zwillingsstudien
Christiansen (1977)
– 3.586 Zwillingspaare
– In 900 Fällen fiel mindestens ein Zwilling kriminell auf
– bei 35,2% der eineiigen Zwillinge war auch der zweite Zwilling
kriminell auffällig
– bei 12,5% der zweieiigen Zwillinge waren beide auffällig
– eineiige Zwillinge sind offensichtlich einer gleichförmigen sozialen
Reaktion unterworfen
– aus den Verteilungen lässt sich folgern, dass annähernd zwei
Drittel der eineiigen Zwillinge unterschiedliche Verläufe im
Hinblick auf kriminelle Auffälligkeiten nahmen
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 127
Adoptionsstudien
Hutchings/Mednick 1977 Untersuchung der Entwicklung adoptierter
Kinder
– Waren weder der leibliche Vater noch der Adoptivvater kriminell
auffällig
– Auffälligkeit adoptierter Kinder 10%
– War der biologische Vater nicht kriminell, aber der Adoptivvater
– Auffälligkeitsquote der Kinder 11%.
– Unauffälligkeit des Adoptivvaters und Auffälligkeit des
biologischen Vaters
– Auffälligkeitsquote der Kinder 22%
– Sowohl der biologische als auch der soziale Vater sind kriminell
auffällig
– Auffälligkeitsquote der Kinder 36%.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 128
Chromosomen-Anomalien
XYY anstatt XY
– Annahme erhöhter Gewalttätigkeit
– Basiert im Wesentlichen auf der Beobachtung, dass in
Gefängnispopulationen XYY in etwa 1-3% vorliegt, während
die Anomalie in der Bevölkerung bei unter 1% der Personen
auftritt
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 129
Molekularbiologie
Neuropeptide, insbesondere Oxytocin
– Verstärkte Ausschüttung von Oxytocin führt zu mehr
Vertrauen in zwischenmenschlichen Interaktionen
(Spielexperimente)
Misshandelte Kinder mit einem MAOA (Monoamin
Oxidase A) Gen, das lediglich in geringem Ausmaß das
MAOA Enzym produziert, entwickeln häufiger
Verhaltensprobleme (insbesondere auch
Gewaltkriminalität) im späteren Leben
Caspi, A., McClay, J., Mofitt, T.E., Mill, J., Judy Martin, J., Ian W.
Craig, I.W., Alan Taylor, A., Poulton, R.: Role of Genotype in the
Cycle of Violence in Maltreated Children. Science 297(2002), S. 851854.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 130
Gehirn und Kriminalitätserklärungen
Impulsive Menschen bevorzugen die unmittelbare
Bedürfnisbefriedigung, geduldige Menschen können die
Bedürfnisbefriedigung aufschieben (‚Marshmellow-Test‘,
Mischel et al. 1989)
Wird das im Gehirn an einer Stelle entschieden, oder
konkurrieren unterschiedliche „Entscheidungszentren“?
Hypothese: kurzfristige Ungeduld wird vom limbischen
System (Dopamin-Ausschüttung) angetrieben,
langfristige Geduld sitzt im präfrontalen Kortex.
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 131
Empirische Studie: Science 306(2004), 503-506
Experiment:
Versuchspersonen müssen sich entscheiden zwischen
unmittelbarer und späterer finanzieller Belohnung. Die
unmittelbare Belohnung ist (etwas) geringer als die
spätere.
Methode: Brain Scanning mit funktionalem
Magnetresonanz-Imaging (fMRI), Untersuchung der
Gehirnaktivitäten während des Experiments
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 132
Gehirnaktivität im Limbischen System bei unmittelbarer Belohung
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 133
Gehirnaktivität im präfrontalen Kortex bei späterer Belohnung
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 134
Ergebnisse
„Bei der Entscheidung für unmittelbare und spätere
Belohnung sollte das relative Gewicht des Limbischen
Systems gegenüber dem präfrontalen Kortex den
Ausschlag geben. Wenn das limbische System aktiviert
wird, fällt die Entscheidung meistens für die unmittelbare
Belohnung.“
„Menschliches Verhalten ist oft bestimmt vom Wettbewerb
zwischen automatischen Prozessen auf niedriger Stufe,
welche eine evolutionäre Anpassung an bestimmte
Umwelten darstellen mögen, und der neueren, spezifisch
menschlichen Fähigkeit zu abstrakter Vernunft und
Zukunftsplanung.“
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 135
Soziale Kontrolle
Soziale Kontrolle
Gesellschaftliche Institutionen/Systeme zur Erzeugung
und Erhaltung von Verhaltenskonformität
– Strafrechtliche Sozialkontrolle
– Allgemeine Sozialkontrolle
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 137
Soziale Kontrolle und Prävention
Primärprävention
– Prävention unerwünschten Verhaltens durch Erziehung etc.
Sekundärprävention
– Prävention durch Strafgesetze (Androhung von Strafe)
Tertiärprävention
– Prävention durch Rückfallverhütung
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 138
Normgenese
Strafrechtsnormen als konsensualer Kern des
Normensystems
Strafrechtsnormen als Ausdruck von
– Gruppeninteressen
– Institutionellen Interessen
Probleme der Normgeneseforschung
– Seltenheit des Normsetzungsereignisses
– Komplexität von Normsetzungsprozessen
– Probleme des Datenzugangs
– Verknüpfung mit Normimplementation
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 139
Bedingungen und Funktionen
Kriminalisierung und Entkriminalisierung
Überkriminalisierung
Überkriminalisierung und präventive Wirkungen des
Strafrechts
– Fragmentarischer Charakter des Strafrechts
– Straftat und Strafe als Ausnahmeerscheinungen
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 140
Institutionen Strafrechtlicher Verhaltenskontrolle
Polizei
Staatsanwaltschaft
Gerichte
Soziale Dienste in der Justiz
Vollstreckungseinrichtungen, insbesondere Strafvollzug
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 141
Polizei
Rechtsgrundlagen polizeilichen Handelns
– Polizeigesetze der Länder
» Gefahrenabwehr und Aufrechterhaltung von Ordnung
» Ermessen
– Strafprozessordnung
» Polizisten als „Ermittlungsbeamte“ der
Staatsanwaltschaft
» Ermittlungen bei Verdacht strafbarer Handlungen
» Legalitätsprinzip
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 142
Grafik: Anzahl öffentlicher und privater Polizei pro 100.000 der Wohnbevölkerung in
den Ländern der EU
600
488
500
440
400 362
394
344
300
200
75
100
318
275
109
379
320
236 233
193
477
375
304
276 256
201
132
217
143
121
310
152
184
135
160
76
69
19
Irl
an
d
Ita
lie
Lu
n
xe
m
bu
Ni
rg
ed
er
la
nd
e
P
or
tu
ga
l
S
pa
ni
en
S
ch
EU wed
en
In
sg
es
am
t
el
ng
gi
la
en
nd
/W
al
es
Dä
ne
m
ar
k
Fi
nn
la
nd
Fr
an
kr
ei
D
ch
eu
ts
ch
G
al
rie
nd
ch
en
la
nd
E
B
Ö
st
er
re
ic
h
0
Öffentliche Polizei/100.000
Kriminologie I WS 2009-2010
Private Polizei/100.000
Page 143
Tatverdacht
Entstehung des Tatverdachts
– Zunächst weitgehend Anzeigeerstatter, reaktive
Orientierung der Polizei
– Alltagstheorien und Kontrolle
– proaktive Methoden der Ermittlung
– verdachtsunabhängige Kontrollen (Schleierfahndung) im
Grenzraum
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 144
Polizeiforschung
Untersuchungen über die Polizei
– Wie entsteht Tatverdacht
– Polizeiliche Ermittlungseffizienz
– Verhältnis Polizei und Gesellschaft/Minderheiten
– Übernahme von ethnischen Minderheiten in der Polizei
Untersuchungen für die Polizei
– Kriminalistik
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 145
Ermittlungseffizienz
Grafik: Ermittlungseffizienz der Polizei in Abhängigkeit
von einem zu Beginn der Ermittlungen identifizierten
Tatverdächtigen (Einbruchsdiebstahl; Dölling 1999, S.52)
120
100
97
72
80
60
60
40
30
22
20
20
0
Aufklärung
Anklage
Tatverdächtiger bekannt
Kriminologie I WS 2009-2010
Verurteilung
Tatverdächtiger unbekannt
Page 146
Polizeiliche Kontrollstrategien
Community Policing
– Gemeinwesenorientierte Polizeiarbeit
– Orientierung an Problemen auf lokaler Ebene
– Ziel: vertrauensvolle Beziehungen zur Bevölkerung
Zero tolerance
– Anknüpfungspunkt: „Broken Windows“
– Sofortiges Eingreifen, auch bei Bagatellen
– Ziel: Verhinderung der Problemeskalation
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 147
Zero Tolerance und Beschwerden
Graph: Index crimes and Complaints for Abuse of Police
Authority in New York 1993-1998
700000
3000
600000
2500
500000
2000
400000
1500
300000
1000
200000
500
100000
0
0
1993
1994
1995
Index Crimes
Kriminologie I WS 2009-2010
1996
1997
1998
Complaints
Page 148
Traditionelle Funktionen der Staatsanwaltschaft
Repräsentiert die rechtliche Dimension des Ermittlungsverfahrens
» Ausgleich zwischen Effizienz und Rechtsstaat
» Kontrolle und Anleitung der Polizei
Neutralität im Ermittlungsverfahren
Gate-Keeper für Gericht und Kriminalstrafe: Anklagemonopol
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 149
Legalitäts- und Opportunitätsprinzip in Europa
Zwei Modelle
– Opportunität: Holland, England, Frankreich, Belgien,
– Legalität: Italien, Deutschland, Österreich
Aber: Zunehmende Konvergenz
Konvergenz hin zu Opportunität
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 150
Staatsanwaltschaft und Polizei
Ausgangsmodell
– StA ist „Herrin“ des Ermittlungsverfahrens
» Ausnahme: Untersuchungsrichter (Frankreich,
Spanien)
» Ausnahme: Polizei ist in den Ermittlungen unabhängig
(England)
De Facto:
» Polizei ermittelt unabhängig
» StA trifft Entscheidungen (Nichtverfolgung, Anklage)
» StA wird zum „Richter vor dem Richter“
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 151
Das Verhältnis zwischen StA und Polizei
De Facto Unabhängigkeit der Polizei
– Unabhängige Ermittlungen in praktischer Hinsicht
– Unabhängigkeit in der Entwicklung und Praxis proaktiver
Ermittlungsmethoden (V-Leute, technische Ermittlungsmaßnahmen)
– Unabhängige Informationserhebung und Datenverarbeitung
– Struktur- und Vorermittlungen
Rechtliche Unabhängigkeit
– Präventiv-Polizeiliche Bereiche und „Vorfeld“-Ermittlungen
– Europäische und internationale polizeiliche Zusammenarbeit
Verhängung von „Transaktions“-Geldstrafen
(Niederlande, Dänemark)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 152
Entwicklungen bei vereinfachten Verfahren
Verstärkte Einführung und Nutzung vereinfachter
und beschleunigter Verfahren
Verschiebung der de facto Strafzumessung auf die
Staatsanwaltschaft
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 153
Strafbefehl (§ 407 StPO)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 154
Erklärungen für die veränderte Rolle der StA
Starke Zunahme der Straftaten und des
Fallaufkommens in den sechziger und siebziger Jahren
Komplexe und zeitaufwendige Verfahren der
Wirtschaftskriminalität
Tendenz zum Präventions- und Risikostrafrecht
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 155
Erledigungen in Deutschland
30
27,5
25
22
18,6
20
15
11,3
10
11,5
4,6
4,5
5
0
st.
st .
ge
ehl
a
f
n
n
l
i
lage dachts nsti ges
i
e
k
k
E
E
b
t
f
n
e
e
a
A
So
Stra edingt edingt f Pri v Tatver
b
unb weis au angels
Ver inst. m
E
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 156
Struktur der Auflagen in Deutschland 2008
90
84,9
Geldauflage (Nr. 2)
80
Wiedergutmachung
(Nr. 1)
Täter-Opfer-Ausgleich
(Nr. 5)
gemeinn. Leistungen
(Nr. 3)
Unterhalt (Nr. 4)
70
60
50
40
30
20
10
0
Kriminologie I WS 2009-2010
5,4 5,1 2,7
Aufbaukurs (Nr. 6)
0,4
0,2 1,1
sonstige (Satz 2)
Page 157
Trends in der Anklagepraxis in Deutschland (1981 – 2008,
%)
25
20
15
10
5
19
81
19
83
19
85
19
87
19
89
19
91
19
93
19
95
19
97
19
99
20
01
20
03
20
05
20
07
0
Anklage
Kriminologie I WS 2009-2010
Strafbefehl
§153
§153a
Page 158
Ungleichmäßigkeit
Ungleichmäßigkeit innerhalb Deliksgruppen
– beispw. Drogendelikte
– beispw. Diebstahl
Ungleichmäßigkeit zwischen Delikten
– beispw. Eigentums- vs. Wirtschaftsdelikte
Fragen:
– Soll Gleichmäßigkeit hergestellt werden?
– Wie kann Gleichmäßigkeit hergestellt werden?
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 159
Kontrolle des Einstellungsermessens
Einführung von allgemeinen Richtlinien
(Einstellungsrichtlinien, vergleichbar sentencing
guidelines (USA), in Kraft in Holland)
Kontrolle durch das Opfer
– beispw. “Klageerzwingungsverfahren“
– beispw. zwingende Wiedergutmachung in Frankreich
Interne Kontrollen
Transparenz: Begründung
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 160
Gerichte und Richter
Sanktionsmuster
Strafzumessungsentscheidungen
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 161
Strafvollzugsinsassen an Stichtagen 1961 – 2009 (pro 100.000)
120
100
80
60
40
20
Kriminologie I WS 2009-2010
09
20
06
20
03
20
00
20
97
19
94
19
91
19
88
19
85
19
82
19
79
19
76
19
73
19
70
19
67
19
64
19
19
61
0
Page 162
Sanktionsmuster
Sanktionsmuster sind geprägt durch die normativen
Rahmenbedingungen
– §47 Geldstrafe hat Priorität über die kurze Freiheitsstrafe
– §56 Bewährung bei Freiheitsstrafen bis zu 2 Jahren
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 163
Sanktionsstruktur (%)
80
70
80
60
50
40
30
20
10
6
14
0
Geldstrafe
Kriminologie I WS 2009-2010
Freiheitsstrafe ohne Freiheitsstrafe mit
Bewährung
Bewährung
Page 164
Straflänge und Strafstruktur (%)
100
91
72
80
66
60
32
40
24
7
20
2
4
2
0
bis unter 6 Monaten
6-12 Monate
Geldstrafe
Freiheitsstrafe ohne Bewährung
Kriminologie I WS 2009-2010
bis 24 Monate
Freiheitsstrafe mit Bewährung
Page 165
Verurteilungen wegen Tötungsdelikten und lebenslange
Freiheitsstrafe
2500
2000
1500
1000
500
19
62
19
64
19
66
19
68
19
70
19
72
19
74
19
76
19
78
19
80
19
82
19
84
19
86
19
88
19
90
19
92
19
94
19
96
19
98
20
00
20
02
20
04
20
06
20
08
0
Verurteilungen wegen Mordes
Verurteilungen zu lebenslänglich
Verurteilungen wegen vorsätzlicher Tötungsdelikte
Lebenslängliche im Strafvollzug (31.3.)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 166
Anteile von Drogendelikten an langen Freiheitsstrafen
40
35
30
25
20
15
10
5
19
68
19
70
19
72
19
74
19
76
19
78
19
80
19
82
19
84
19
86
19
88
19
90
19
92
19
94
19
96
19
98
20
00
20
02
20
04
20
06
0
10-15 Jahre
Kriminologie I WS 2009-2010
2-5 Jahre
5-10 Jahre
Page 167
Strafzumessungsforschung - Fragestellungen
Welche Faktoren erklären Variation in der
Strafzumessung?
– Gesetzliche Faktoren (§§46, 47 etc.)
– Außerrechtliche Faktoren
» Vorurteile (gegen Minderheiten)
» Strafzweckpräferenzen
» Öffentliche Meinung (Medien)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 168
Strafzumessungsforschung - Methoden
Untersuchung von Strafakten
Interview und Befragung
(Teilnehmende) Beobachtung
Befragung und fiktive Fälle
– Einem Experiment vergleichbar: Variation bestimmter
Merkmale (des Falles bzw. des Angeklagten)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 169
Strafzumessungsforschung
Befunde
– Strafe bleibt im unteren Drittel des Strafrahmens
– Strafe ist orientiert an „glatten Zahlen“
– Strafzumessung orientiert sich nicht an dem komplexen
Programm des §46 StGB, sondern an wenigen Faktoren
» Schwere
» Vorstrafen
– Strafzumessung entwickelt lokale Traditionen und damit
auch regionale Differenzen
– Strafzumessung wird erlernt
» Gespräche mit anderen Richtern
» Antrag der Staatsanwaltschaft und der Strafverteidigung
» Bundeszentralregisterauszüge
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 170
Strafmaßverteilungen bei Vergewaltigung
700
589
600
500
400
300
200
100
63
3
0
bis 5 Jahre
Kriminologie I WS 2009-2010
5-10 Jahre
10-15 Jahre
Page 171
Verteilungen der Strafe bei Raub
450
408
400
350
343
300
250
200
150
117
100
41
50
2
0
0
bis 1 Jahr
Kriminologie I WS 2009-2010
1-2 Jahre
2-3 Jahre
3-5 Jahre
5-10 Jahre 10-15 Jahre
Page 172
Vollstreckung
Geldstrafe
– Ersatzfreiheitsstrafe und gemeinnützige Arbeit
Bewährung
– Bewährungshilfe
Freiheitsstrafe
– Gefängnissystem
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 173
Die Ökonomie des Strafrechts
Ökonomische Rahmenbedingungen
– Prinzip der Selektion
– Einstellungen, vereinfachte Verfahren, Geldstrafe vs.
Freiheitsstrafe
Kosten sowie Kosten-Nutzen-Analysen
– Was kostet das Strafrecht?
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 174
Personal pro 100.000 der Bevölkerung
Richter
Österreich
Dänemark
Frankreich
Deutschland
Niederlande
Schweden
UK
Kriminologie I WS 2009-2010
Staatsanwaltscahft
Polizei
19,8
2,6
6,5
10
11
2,2
25,4
7,5
10
3
19,2
7,9
14,9
4,1
Gefängnis
420
265
403
302
254
309
376
Insgesamt
45
566
80
424
43
493
43
532
95
408
94
477
82
521
Page 175
Kosten pro Einwohner in Euro pro Jahr
Kosten in Euro/Einwohner
Justiz
StA
Österreich
57
Dänemark
30
Frankreich
23
Deutschland
64
Niederlande
23
Schweden
33
Kriminologie I WS 2009-2010
Polizei
4
5
6
19
11
8
Gefängnis
203
117
132
137
151
119
Insgesamt
26
290
32
184
19
180
25
245
54
239
43
203
Page 176
Gefängnis und Alternativen
Kritik der Freiheitsstrafe und des Gefängnisses
– F. v. Liszt: Marburger Programm 1882, Der
Zweckgedanke im Strafrecht
Gefängnis als „Schule des Verbrechens“
– Subkulturtheorien
– Prisonisierungstheorien
Gefängnis als „totale Institution“ (Goffman, E.: Asyle.
Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten
und anderer Insassen. Frankfurt 1972)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 177
Die Subkultur
Insassenkultur
– besondere Sprache
– besondere Normen
» Status
» Verhältnis zu Vollzugsstab
– Verhaltensweisen
» Schwarzmärkte in Vollzugsanstalten
– kollektive Einstellungen (beispielsweise gegenüber den
Vollzugsbeamten, der Strafjustiz)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 178
Prisonisierung und Gefängnissoziologie
Begriff der Prisonisierung
– Anpassung und Gewöhnung an die Wertvorstellungen und Normen der Subkultur
Das Gefängnis als „Totale Institution“
– Vollständige Regulierung des Lebens
– Zwang zur Übernahme der Rolle des Gefangenen
Clemmer
– unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Grad der Anpassung an die Subkultur
(Prisonisierung) und der Dauer des Aufenthalts im Gefängnis
– Clemmer, D. (1940) The prison community. New York.
Wheeler
– Anpassung folgt einem U-Verlauf: Anpassung an die Gefängnissubkultur ist am Anfang der
Haft recht schwach ausgeprägt, nimmt bis zur Mitte der Haft stark zu, um sich dann vor der
Entlassung wieder abzuschwächen
– Wheeler, S. (1961): Socialisation in Correctional Communities. In: American Sociological
Review. S. 697 – 712
Offene Fragen
– Hat das Gefängnis eine eigenständige Wirkung in Form von „Haftprägungen“
(Lerngelegenheiten in der sog. „Schule des Verbrechens“) oder wird die Subkultur importiert
(beispw. durch Gangs)
– Kann derartigen Prisonisierungsprozessen im Gefängnis entgegengewirkt werden?
» Offener Strafvollzug
» Vollzugslockerungen
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 179
Wirkungen des Gefängnisses
Unmittelbare Auswirkungen
Mittelbare Auswirkungen: Stigmatisierung und
Chancenverschlechterung
Besserung durch Behandlung
– Wirkungsforschung/Behandlungsforschung
– Problem fehlender kontrollierter Experimente
– Lange Zeit überschätzt
– Effekte partiell vorhanden, aber eher bescheiden
Auswirkungen auf die Nachbarschaft und
Wohnumgebung von Gefangenen und Strafentlassenen
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 180
Die Entwicklung von Alternativen zur Freiheitsstrafe
Gefängnis und Alternativen
zur Freiheitsstrafe
Finanzielle Strafen
Geldstrafe/Tagessatzgeldstrafe
Ziele
Diversion
(Teil) ausgesetzte Strafe
(Freiheitsstrafe)
Bewährung und Restaussetzung
Ziel: Rehabilitation
Gemeinnützige Arbeit
Community Sanktionen
Ziele: Überwachung
und Rehabilitierung
Restitution
Wiedergutmachung
Mediation
Ziele: Opferorientiert
Behandlungs-Sanktionen
Drogen
Sexualstraftäter
Ziele: Risikokontrolle/Rehabilitation
Gewinnabschöpfung
Elektronisch kontrollierter
Hausarrest
Ziele: Überwachung
Kombinationen von
Alternativen
Ziele: Überwachung
Disziplinierung
Sex-Offender-Notification
Sichtbare Strafarbeit
Sicherungsverwahrung
(Lebens) Lange Freiheitsstrafe
Ziele: Sicherung und
Risikokontrolle
Ziel: Sicherung/Prävention
Kriminologie I WS 2009-2010
Ziele: Opferschutz, Scham
Page 181
Wandel strafrechtlicher Sozialkontrolle
Von Todes- und Leibesstrafen zur Freiheitsstrafe
– abgeschlossen Ende des 19. Jahrhunderts
Von Freiheitsstrafe zu Kontroll- und Geldstrafen
– abgeschlossen Mitte des 20. Jahrhunderts
Erklärungen
– Elias: Zivilisierung von Gesellschaft und Macht
– Foucault: Perfektionierung der Kontrolle
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 182
Der Prozess der Zivilisation
Entstehung von sozialen Abhängigkeiten und Vergrößerung der
Verletzlichkeit des Einzelnen
Zügelung von Aggressivität, Vordringen zivilisierten Verhaltens
und Selbstkontrolle
Veränderung der Psyche und der Gefühle
– Zurückhaltung bei Gewalttätigkeit und Ablehnung der (öffentlichen)
Zufügung von Schmerz und Leiden
Akte, die starke Gefühle auslösen oder demonstrieren, werden
weitgehend aus der Öffentlichkeit entfernt
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 183
Kennzeichen moderner Strafe
Nicht öffentlich
Experten (Resozialisierung) vollstrecken die Strafe
Kosten-Nutzen orientiert
Risiko orientiert
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 184
Einstellungen zum Gefängnis
Neues Interesse am Strafvollzug: Prison
Works!
Die Dauer der Freiheitsstrafe nimmt zu
Die Gefängniskapazität wird ausgeweitet:
– Beispiel Holland von 5.000 auf 15.000
Haftplätze innerhalb von 15 Jahren
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 185
0
Kriminologie I WS 2009-2010
1987
1995
2000
2006
USA
Finnland
Norwegen
Italien
Griechenland
Spanien
Österreich
England
Niederlande
Dänemark
Schweden
Deutschland
Frankreich
Schweiz
Ungarn
Tschechei
Polen
Rumänien
Ukraine
Russland
Gefangenenraten (pro 100.000)
800
700
600
500
400
300
200
100
2008/2009
Page 186
Gründe für den Anstieg der Gefangenenraten
Mehr und längere Gefängnisstrafen
– Der rationale Straftäter und organisierte Kriminalität
– Die Entdeckung der Predators (Raubtiere)
– Neue prekäre und nicht-sesshafte Gruppen
–
–
–
–
Drogenkonsumenten
Ethnische Minderheiten
Illegale Immigranten
Langfristig Arbeitslose
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 187
sc
Ö hl a
s te n d
rr
e
B e ic h
D ä lg i
ne en
m
S p a rk
F r a ni
e
a
G nk n
rie re
ch ich
en
la
n
ta d
N o lie
rw n
eg
H en
ol
P o lan d
r
S c t ug
h w al
ed
Sc en
hw
e iz
De
ut
Gefangenenraten in Europa (pro 100.000
1600
1400
1200
1000
800
600
400
200
0
Inländer
Kriminologie I WS 2009-2010
Ausländer
Page 188
Postmodernes Strafen?
Die Rückkehr von Stigmatisierung und Gefängnis
Common Sense anstelle überprüfbarer Wirkungen
Der Wechsel der Adressaten: Vom Individuum zur
Öffentlichkeit
Vertrauen auf Symbole und sichtbare Zeichen des
Strafens und Bestraftwerdens
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 189
Die Folgen Strafrechtlicher Sozialkontrolle
Generalprävention
– positive Generalprävention
– negative Generalprävention
Spezialprävention
– positiv
– negativ
Sicherung
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 190
Negative Generalprävention
Abschreckungs- oder „deterrence“ Forschung
Theoretische Grundlagen: Lerntheorien, ökonomische
Theorien
Variable der Abschreckung
– Bestrafungsrisiko
– Bestrafungsschwere
– Schnelligkeit der Bestrafung
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 191
Methodenfragen
Methodische Ansätze
– Vergleich verschiedener Regionen (mit
unterschiedlichen Sanktionen; insb. Forschungen zur
Todesstrafe)
– Vergleich Vorher/Nachher bei Änderungen des
strafrechtlichen Sanktionensystems (Beispiel:
deutsche Strafrechtsreform 1969; Reduzierung der
kurzen Freiheitsstrafe)
– Befragungen
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 192
Abschreckungsforschungen durch Befragungen
Kombination Dunkelfeldbefragung und
Schwereeinschätzung und Risikoeinschätzung
– Problem: Kausalität bei Querschnittuntersuchungen
Kombination: Perzeption von Risiko und Schwere
sowie Handlungsintentionen
– Problem: Sind Handlungsintentionen realistisch?
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 193
Befunde der Abschreckungsforschung
Im Vergleich Entdeckungsrisiko und Bestrafungsschwere
spielt das Entdeckungsrisiko die entscheidende Rolle
Die Bestrafungsschwere wirkt sich erst bei einem
bedeutsamen Entdeckungsrisiko aus
Dies heißt, dass Abschreckungsstrategien im Kern auf die
Erhöhung des Entdeckungsrisikos setzen müssen
– Allerdings lässt sich das Entdeckungsrisiko in der Praxis nur
sehr schwer manipulieren
Werden außerstrafrechtliche Abschreckungsfaktoren
einbezogen, dann werden Entdeckungsrisiko und Schwere
marginal
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 194
Positive Generalprävention
Normbruch erzeugt Enttäuschung
Auf Enttäuschung kann reagiert werden durch
– Aufgabe der normativen Erwartungen
– Demonstration der Beibehaltung der Erwartungen
Die Beibehaltung der Erwartungen wird demonstriert
dadurch, dass dem Verantwortlichen Kosten auferlegt
werden (Sanktion)
Kernpunkt: Akzeptanz und Legitimität der
strafrechtlichen Normen (Beibehaltung der Erwartungen)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 195
Spezialprävention
Negativ: individuelle Abschreckung
– durch Bestrafung werden zusätzliche Hemmschwellen für
die Zukunft aufgebaut (beispw. taste of prison approach)
– Problem: abnehmender Grenzschaden (analog zum
Grenznutzenmodell der Ökonomie): Sanktionen nutzen
sich schnell ab
Positiv: Behandlung und Lernen
– Resozialisierungsforschung, insbesondere im Strafvollzug
und in der Sozialtherapie
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 196
Behandlungsforschung
Behandlungsideologie der fünfziger und sechziger Jahre
– unbestimmte Freiheitsstrafe
Martinson 1974: nothing works und Kritik aus der
Rechtsstaatsperspektive
Evaluationsforschung
– Problem der Methoden: kaum Experimente
– Frage: wurden Behandlungsansätze überhaupt
implementiert?
– Frage: für wen sind Behandlungsansätze sinnvoll?
Stand: Für spezifische Gruppen können, wenn auch kleine
Behandlungseffekte nachgewiesen werden
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 197
Sicherung
Sicherungsverwahrung/incapacitation
Kriminalpolitische Ausformungen
– selective incapacitation
– categorical incapacitation
– Schwerpunktbildungen Intensivtäter/chronische
Straftäter
Forschung: Zusammenhänge zwischen physischer
Sicherung und Entwicklungen der Kriminalität
– Problem der Identifizierung und Prognose
– Ökonomische Probleme
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 198
Entwicklung: Lebenslang, Psychiatrie und Sicherungsverwahrung
6000
5000
4000
3000
2000
1000
Sicherungsverwahrung
Kriminologie I WS 2009-2010
Psychiatrie
03
20
01
20
99
19
97
19
95
19
93
19
91
19
89
19
87
19
85
19
83
19
81
19
79
19
77
19
75
19
73
19
71
19
69
19
67
19
19
65
0
Lebenslang
Page 199
Strafrechtliche Sozialkontrolle und Kritik
Sündenbocktheorie
Herrschaftskritik (insb. marxistische Ansätze; Kritische oder
Radikale Kriminologie)
Strafrecht, Macht und Interessenschutz
Abolitionismus
Christie: Konflikte werden durch das
Strafrecht „gestohlen“
Entmachtung oder Entlastung durch das Strafrecht?
Gesellschaften ohne Strafvollzug und ohne
Strafrecht
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 200
Viktimologie
Viktimologie
Lehre vom Kriminalitätsopfer
Hans v. Hentig: The Criminal and His Victim. Studies in
the Sociobiology of Crime (1948)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 202
Ausgangspunkte der Opferforschung
Das Opfer als Lieferant von Kriminalitätsdaten
– Opferbefragungen und Dunkelfeld
Das Opfer als „Kriminalitätsursache“: Beiträge zur
Entstehung der Straftat
Das Opfer als Teil der sozialen Kontrolle
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 203
Opfer und Kriminalitätsdaten
Gegenwärtige Diskussion ist auch bestimmt durch die
Frage, ob regelmäßige Opferbefragungen in
Deutschland in Ergänzung der polizeilichen
Kriminalstatistik durchgeführt werden sollen
Beispiele: National Crime Survey USA; British Crime
Survey, International Crime Survey
Problem: Kosten
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 204
Viktimisierung in Europa 2005
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 205
Registrierte Kriminalität und Viktimisierungsdaten
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 206
Alkohol und Kriminalität
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 207
Viktimisierung durch fremdenfeindliche Taten
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 208
Korruption
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 209
Eigentumskriminalität im zeitlichen Verlauf
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 210
Opfer und Mitverantwortung
Viktimodogmatik:
– wie wird das Opferverhalten in der Strafrechtsdogmatik
aufgegriffen
» Beispiel: Notwehrrecht (Provokation)
Opfer und Stigmatisierung
– Beispiel: Sexualkriminalität
Opfer und Selbstschutz sowie Prävention
– Sicherung und Selbstverteidigung
Opfer und Verbrechenskontrolle
– Anzeigeerstattung
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 211
Opfer und Soziale Kontrolle
Opfer als gate-keeper/Anzeigeerstattung
– Warum unterlassen Opfer eine Anzeige?
– Warum erstatten Opfer eine Anzeige?
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 212
Anzeigemotive
Anzeigemotive bei Eigentumsdelikten und Delikten gegen die Person
45
41,6
40
35
29,8
30
23,4
19,6
19,2
20
12,8
15
8,6
10
6,4
4,2
be
En
ko
ts
m
ch
m
äd
en
ig
un
g
vo
m
T
ät
er
da
s
D
am
it
si
ch
1,4
U
m
di
e
0
B
es
tr
af
ni
un
ch
g
tw
ie
de
rh
ol
t
2,5
ge
st
oh
le
ne V
n ers
Sa ic
ch he
en ru
w ngs
ie
de sch
rz u
ub tz
ek
om
Sc
m
hw
en
er
er
Fa
ll/
G
eh
ör
ta
ng
ez
ei
gt
5
19,2
H
ilf
e
%
25
Eigentums delikte
Kriminologie I WS 2009-2010
Delikte gegen die Pers on
Page 213
sc
hw
er
w
ie
ge
nd
/k
ei
n
Sc
Pr
ha
ob
Po
de
le
liz
n
m
ei
se
hä
lb
tte
st
ni
ge
ch
lö
ts
st
Po
tu
n
liz
Po
kö
ei
liz
nn
hä
e
tte
iw
en
ar
so
ni
w
ch
ie
so
tn
ni
öt
A
c
ig
K
ht
ng
ei
s
n
eh
ge
Ve
ör
m
rs
ig
ac
ic
e
ht
he
ha
ru
be
ng
n
ss
di
e
ch
Sa
ut
ch
z
e
Tä
W
be
te
ill
re
rw
in
m
ig
it
ar
Po
t
e
in
liz
ei
Be
ni
ka
ch
nn
ts
te
zu
r
tu
Fu
n
rc
ha
ht
be
vo
n
rR
ep
re
ss
al
ie
n
Ta
tn
ic
ht
%
Nichtanzeigemotive
Nichtanzeigemotive bei Eigentumsdelikten und Delikten gegen die Person
50
45
44,5
20
10
5
Kriminologie I WS 2009-2010
41,6
40
35
30
25
15
16 14,3
9
6,1 7,5
8,6
4 3,9
Eigentumsdelikte
2,5
2 1,7
1,5
3
1,3 0,5
0,5
5,2
0
Delikte gegen die Person
Page 214
Erweiterungen der kriminologischen Perspektiven
Sicherheitsgefühle
Punitivität, Bestrafungserwartungen, Einstellungen
zu Sanktionen
Verarbeitung der Folgen der Viktimisierung
Erwartungen an strafrechtliche Sozialkontrolle
(Polizei, Justiz)
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 215
Verbrechensfurcht
Innere Sicherheit hat objektive und subjektive
Dimensionen (Wahrnehmung von Sicherheit/
Sicherheitsgefühl)
Verbrechensfurcht als weiterer Schwerpunkt in
Opferbefragungen
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 216
Dimensionen der Verbrechensfurcht
Emotional (haben Sie nachts Angst in der Umgebung
Ihrer Wohnung?)
Kognitiv (mit welcher Wahrscheinlichkeit rechnen Sie, in
den nächsten 12 Monaten Opfer eines (Diebstahls) zu
werden?)
Verhalten (Haben Sie in Ihrem Haushalt eine
Schusswaffe? Bewaffnen Sie sich, wenn Sie abends aus
dem Haus gehen?
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 217
Korrelate der Verbrechensangst
Geschlecht
Alter
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 218
Erklärungen der Verbrechensangst
Besondere Verletzlichkeit
Reaktion auf Viktimisierung?
– Unabhängig von der Kriminalitätsrate
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 219
Viktimisierung und Kriminalitätsfurcht 2005
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
e
k
s
a
d
m
n
d
m
ny la nd ta ly ec e t ria nce gal ary ain
an gdo toni land ma r giu e de lan erag
a
l
I
re
l
n
m
us Fra ortu ung
Sp
Ire Kin
Po Av
G
er
Es the r Den Be
Fi
A
Sw
P
H
G
e
d
N
EU
te
i
n
U
Feeling unsafe after dark outside
Kriminologie I WS 2009-2010
% victimized
Page 220
Kriminalitätswahrnehmungsparadox
Kriminalitätsproblem wird auf lokaler Ebene
(Wohngegend) als gleich bleibend wahrgenommen
Kriminalität wird insgesamt (beispw. in Deutschland) als
ansteigend wahrgenommen
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 221
Stalking, Opfer und Gesetzgebung
Wiederholtes und absichtliches belästigendes oder
unerwünschtes Verhalten
– Und damit verbundene
glaubhafte explizite oder implizite Drohungen gegen das Opfer
oder dessen Familie
– lösen
(vernünftigerweise) Angst vor dem Täter aus
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 222
Die Entstehung des Problems
Stalking entsteht als Problem in den neunziger Jahren in den USA,
Kanada, UK und Australien als (Folge von)
» Belästigung von celebrities
» Vorläufer und/oder Fortsetzung von häuslicher Gewalt, sexuellem
Missbrauch
» Aufgreifen von Unsicherheitsgefühlen/Angst vor Gewalt als
relevantes Problem
» Kulturell unterschiedlichen Veränderungen in der Bewertung von
sozialen Beziehungen
» Skandalisierung als Folge von Tötungsdelikten, deren Vorläufer in
Stalking gesehen werden
Entdeckung, Generalisierung, Feststellung, dass bisherige Ansätze
nicht ausreichen und Erforschung
Gefolgt von den Fragen:
» Wer soll sich darum kümmern?
» Warum hat sich bislang niemand darum gekümmert?
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 223
Verwandte Probleme
Terrorismus
Hasskriminalität
Mobbing
Gemeinsamkeiten: Angst, Unsicherheit, Verletzlichkeit
Folter
» Kubark Manual (1963): Angst ist ein wirksames Mittel. Die Drohung
mit Gewalt bricht Widerstand sehr viel effizienter als Gewalt
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 224
Prävalenz 12 Monate Frauen
British Crime Survey 1998
3%
NVAW Survey US 1996
1%
Schottland 2002
3%
Australien 1996
2%
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 225
Prävalenz Lebenszeit Frauen
British Crime Survey 1998
16%
Louisiana (US) Survey Frauen 1999
15%
NVAW Survey US 1996
8%
Schottland 2002
10%
Australien 1996
15%
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 226
Prävalenzdaten
Sind abhängig von
– Verwendeter Definition und Operationalisierung von
stalking
– Erinnerung
– Gesellschaftlicher Sensibilisierung
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 227
Opfer(risiko)merkmale
Überwiegend Frauen
Besonders ausgeprägt bei jungen Frauen
Niedriges Einkommen
Allein lebend
In Ausbildung
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 228
Die Tat
Dauer (British Crime Survey: 20% > 1 Jahr)
Tathandlungen
–
–
–
–
–
–
Erzwungene direkte Kommunikation
Wiederholte (stille) Telefonanrufe
Physische Einschüchterung
Verfolgen
Berührungen
Vor der Wohnung/am Arbeitsplatz des Opfers warten
Einzelhandlungen sind eher geringfügig, die eigentliche Wirkung
folgt aus der Kumulation verschiedener und wiederholter
Tathandlungen
Städtischer Kontext
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 229
Konsequenzen für das Opfer
Erzwungene Veränderungen
» Umzug
» Arbeitsplatzwechsel/-verlust; Schulwechsel
» Alltagsverhalten
Physische/psychische Konsequenzen
» Angst, post-traumatic stress vergleichbar Traumata,
die aus Gewalt, Unfällen etc. herrühren
Dauerhafte Beeinträchtigung
» Es bleibt auch bei Abbruch des stalking offensichtlich
das Gefühl, dass die Gefahr jederzeit wieder auftreten
kann
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 230
Ist Stalking ein Vorläufer von Gewalt?
Niederlande: Stalking geht bis zu 20% aller PartnerTötungsdelikte voraus
US: < 2% von Stalking Fällen enden mit Tötungsdelikten
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 231
Ursachen
Typologien
–
–
–
–
–
Täter-Opfer-Beziehung
Motivation
Psychiatrische Auffälligkeiten
Verhalten
Entwicklung und Situation (Trennung, Drogenabhängigkeit
etc.)
Individualisierung
–
–
–
–
Auflösung von (Solidar-/Unterstützungs)Gemeinschaften
Höheres Potential an Unsicherheit/Angst
Veränderte Bewertung sozialer Beziehungen
Sensibilisierung für Persönlichkeitsschutz/Privatheit
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 232
Punitivitä
Punitivität
Einstellungen zur Todesstrafe in den USA und in
Deutschland
Sexualmorde
an Kindern
Terrorismus
US
Kriminologie I WS 2009-2010
02
20
99
19
96
19
93
19
90
19
87
19
84
19
81
19
78
19
75
19
72
19
69
19
65
19
62
19
59
19
56
19
19
53
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
BRD
Page 234
Support for the Death Penalty Under Conditions of various Alternatives in
the US %
90
80
77
70
56
60
44
50
41
40
30
20
10
0
Abstract Support
Kriminologie I WS 2009-2010
Life with no parole Life , no parole for Life, no parole at all,
for 25 years
25 years, restitution
restitution
Page 235
European Crime Survey (2004/2005)
UK
Ireland
Greece
Netherlands
Sweden
Hungary
Estonia
Italy
Spain
Germany
Denmark
Portugal
Belgium
Luxembourg
Finland
Austria
Poland
France
0%
Other Sentences
Prison
10 %
Kriminologie I WS 2009-2010
20 %
30 %
40 %
50 %
60 %
70 %
80 %
90 %
100 %
Page 236
Punitivität 2004
Interaktion Geschlecht und Alter
0.6
Männer (n = 725)
Frauen (n = 937)
0.4
Punitivität
(M)
0.2
0.0
-0.2
-0.4
-0.6
16-19
20-24
25-29
30-34
35-39
40-44
45-49
50-54
55-59
60-64
65-69
70+
Alter
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 237
Opferpolitik und Opfergesetzgebung
Schutz des Opfers vor Sekundärbelastungen/traumatisierung durch
– stärkere Beteiligung am Strafverfahren
» Opferanwalt
» Nebenklage, Adhäsionsklage
– stärkeren Schutz vor Belastungen
» Videovernehmungstechnik (Mehrfachvernehmung)
» Anonymität von Zeugen
» Ausschluss der Öffentlichkeit
– bessere Information
» Informationsrechte
– bessere Wiedergutmachung/Mediation
» Täter-Opfer-Ausgleich
» Opferentschädigungsgesetz
Kriminologie I WS 2009-2010
Page 238
Herunterladen