SWR2 OPER Moderationsmanuskript von Reinhard Ermen Arrigo Boito: „Mefistofele“ Sonntag, 21.02.2016, 20.03 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. 1 Auf dem Spielplan steht „Mefistofele“, Oper in einem Prolog, vier Akten und einem Epilog nach Goethes „Faust“. Text und Musik von Arrigo Boito. Sie hören den Mitschnitt der Premiere aus der Bayerischen Staatsoper vom 24. Oktober 2015. Eine Premiere war das in doppelter Hinsicht, denn es handelte sich um die szenische Erstaufführung in München unter der Regie von Roland Schwab. Wir haben es mit dem engagierten Versuch zu tun, Goethes „Faust“ in einer respektablen Form auf die Opernbühne zu bringen. Die wunderbare Doppelbegabung Arrigo Boitos macht sich bemerkbar. Dem Dichter, dem letzten Librettisten Giuseppe Verdis, dem „Othello“ & „Falstaff“ zu verdanken sind, gelingt irgendwie die Quadratur des Kreises. Er schafft es, beide Teile des Riesendramas so zusammen zu schieben, dass eine Ahnung vom Ganzen erhalten bleibt und das Werk trotzdem überschaubar ist. Boitos Trick ist eine gleichsam fragmentarische Vorgehensweise; er nimmt Teile, die wiedererkennbar erhalten bleiben und überspringt wissentlich den riesigen Rest. Im Grunde genommen hätte er, ähnlich wie Robert Schumann von „Faust Szenen“ sprechen können. Wie Inseln in einem Ozean tauchen die Szenen aus der Tiefe auf. Verlebendigt werden die Bruchstücke durch eine Musik, die sich der Zeitgenossenschaft zum späten Verdi sehr bewusst ist und sich dabei glänzend behauptet. Manchmal meint man einen geradezu veristischen Duktus herauszuhören, der seiner Zeit durchaus voraus ist. Ja, gelegentlich entsteht sogar der Eindruck, dass Verdi auch musikalische Anregungen Boitos aufgegriffen hat. Beiden gemeinsam scheint jedenfalls eine kurz gefasste akustische Geste eigen zu sein. Dass auch Boito die Konvention, das prachtvolle Zelebrieren des Wunderwerks mit Namen ‚Oper„ beherrscht, ist unüberhörbar. Es gab im Übrigen nicht viele Köpfe, die sich zu dieser Zeit mit dem großen alten Mann messen konnten. Einer von Ihnen war Arrigo Boito, geboren 1842 in Padua und gestorben 1918 in Mailand. Die gültige zweite Fassung seines „Mefistofele“ wurde im Oktober 1875 in Bologna uraufgeführt. Den Anfang macht der „Prolog im Himmel“. Wäre es Boito um eine konventionelle ‚Veroperung„ gegangen, so hätte er darauf verzichtet. Doch er will den Einstieg über das Grundsätzliche und kreiert so den Beginn durch ein gewaltiges Klangbild, das durchaus überdimensional geraten ist. Bei dieser Gelegenheit wird auch überdeutlich, warum diese „Faust“-Oper den Widersacher, den, der „stets verneint“, im Titel führt: Mefistofele wird in dieser szenischen Ouvertüre als Hauptfigur eingeführt! Mit den unsichtbaren Stimmen der Himmlischen geht er seine Wette ein, nämlich die, dass er den guten Faust, der sich redlich müht, in seinen, in den Abgrund des Teufels ziehen wird. Es geht gleich weiter mit dem ersten Akt. Faust und Wagner im Gespräch, es handelt sich um den kenntnisreich gerafften Osterspaziergang. Den beiden folgt in diesem Fall nicht ein Hund, sondern ein Mönch, der sich in Faustens Studierstube als Teufel entpuppt. Der Pakt kommt nach einer schwärmerischen Arie schnell unter Dach und Fach. Falls es ihm, Mefistofele, gelingen würde, ihm, Faust, die Worte zu entlocken „verweile doch du bist so schön“ hat der Teufel gewonnen. Wenn der Teufel sein Opfer in den schönen Zustand der Selbstvergessenheit führen, bzw. verführen kann, ist die Sache erledigt. Aber bis dahin muss Mefistofele dienen. - Die Ausführenden sind: Mefistofele: René Pape Faust: Joseph Calleja Margherita: Kristine Opolais Marta: Heike Grötzinger Wagner: Andrea Borghini Elena: Karine Babajanyan Pantalis: Rachael Wilson Nerèo: Joshua Owen Mills 2 Der Bayerische Staatsopernchor Der Bayerische Staatskinderchor Das Bayerische Staatsorchester Leitung: Omer Meir Wellber Bevor es losgeht noch ein Hinweis auf die Inszenierung von Roland Schwab, die sich gelegentlich auch akustisch bemerkbar macht. Er etablierte ein aktuelles Verführungsszenario mit modernen und gelegentlich auch nostalgischen Versatzstücken. Der Teufel und sein Opfer sind schon mal auf dem Motorrad unterwegs, aber zu Beginn, wenn sich die fernen Chöre melden, kommt das von einer Platte, die Mefistofele auf ein altes Grammophon auflegt. Akustisch ist das auch nachvollziehbar, allerdings nur in den allerersten Takten. Davor gibt es auch eine stumme Szene. Faust, der in dieser Szene noch nichts zu singen hat, wird an der Leine hereingeführt. Der Regisseur versprach im Vorfeld eine „teuflisch gute Show“. Das scheint gelungen zu sein; die Szenenfotos bestätigen jedenfalls diese Ankündigung. Das sieht gut aus, das Stück wurde anscheinend nicht gegen den Strich gebürstet, sondern mit dem Willen zu attraktiven Schauplätzen zugespitzt. Es gibt im ersten Akt eine Anspielung auf das Oktoberfest und zum Schluss entzieht sich Faust seinem Versucher ins Vergessen. Das heißt, er endet in einer Art Demenz, die den Teufel nicht mehr kennt. Doch soweit sind wir jetzt noch nicht. Arrigo Boito, „Mefistofele“: Prolog und erster Akt. „Mefistofele“, 1. Teil = 47‘39“ SWR2 Opernabend, Sie hören „Mefistofele“ von Arrigo Boito als Mitschnitt aus der Bayerischen Staatsoper München. Mit René Pape in der Titelpartie. Faust ist Joseph Calleja und Margherita Kristine Opolais. Am Pult Omer Meir Wellber. Am 5. März 1868 wurde “Mefistofele” in der Mailänder Scala uraufgeführt. Doch in der ersten Fassung, die noch viel mehr aus Goethes Original übernahm, ging die Oper erst einmal unter. Der Dichter-Komponist musste noch das richtige Verhältnis zum Stoff finden. Diese „Faust“-Oper fiel anscheinend durch Längen, sprich „Überlängen“ aus dem Rahmen, ganz abgesehen davon, dass sich schon im Vorfeld der Uraufführung eine starke Opposition gegen den lautstark auftrumpfenden Musikdramatiker formierte. Boito unterzog das Werk daraufhin einer intensiven Revision, die durch Kürzungen und Ergänzungen zu einer deutlich anderen Werkgestalt fand. Ganz genau lassen sich die Arbeitsschritte seiner Revision nicht mehr benennen. Das Textbuch der Urfassung blieb zwar erhalten, doch die Musik, soweit sie nicht mehr gebraucht wurde, hat der Komponist wohl vernichtet. Dabei hat sich der fragmentarische Charakter des Ganzen wohl verstärkt und die augenfällige Disproportion, die den Teufel in den Mittelpunkt stellt. Das Musikdrama stellt sich gegen einen eingefahrenen Weg der Goethe-Rezeption, es findet in dem Stück ein neues Zentrum, bzw. eine produktive personale Schieflage, die der Komponist zu nutzen wusste. Dieses Ringen um das eigene Hauptwerk lag vor der engen Zusammenarbeit mit Giuseppe Verdi. Ja, Boito betätigt sich erst einmal als Librettist für Amilcare Ponchielli, er zeichnete für den Text von „La Gioconda“ verantwortlich; uraufgeführt 1876 in Mailand. Boito hat auch eine italienische Übersetzung von „Tristan“ und „Freischütz“ vorgelegt. Er war eben, wie eingangs schon gesagt, ein Doppelbegabung. Ab 1879 schließlich folgte das Buch für „Othello“ und später noch „Falstaff“. Eine zweite, eigene Oper „Nerone“ wurde indessen nie fertig. Soviel ganz kurz zur Philologie und zur Historie. Es geht weiter mit dem zweiten Akt, in dem Gretchen, sprich Margherita ihren ersten Auftritt hat. 3 Bei der ersten Szene des zweiten Aktes handelt es sich mehr oder weniger um die Gartenszene, das traute Zusammensein Margherita und Faust, von Mefistofele und Marta. Dabei gelingt es Boito, dem Textdichter und Redakteur des Originals von Goethe, das Religionsgespräch hier zu integrieren. Darüber hinaus lernen wir ihn als bedeutenden Ensemblekomponisten kennen. Ein weiteres Merkmal seiner musikdramatischen Kunst ist das Setzen wirkungsvoller Kontraste, wie sich im Übergang zur zweiten Szene des zweiten Aktes zeigen wird. Auf die intime Gartenszene folgt die Walpurgisnacht. Mefistofeles wirkungsvolles Ablenkungsmanöver schlägt fehl: Faust kann Margherita nicht vergessen! Arrigo Boito, „Mefistofele“, der zweite Akt. „Mefistofele“, 2. Teil = 31‘10“ SWR2 Opernabend, Sie hören „Mefistofele“ von Arrigo Boito als Mitschnitt aus der Bayerischen Staatsoper München. Mit René Pape in der Titelpartie. Faust ist Joseph Calleja und Margherita Kristine Opolais. Am Pult Omer Meir Wellber. Margherita ist bis jetzt erst einmal aufgetreten, im dritten Aufzug folgt schon ihr letzter Auftritt. – Eine Oper, die sich zu lange mit Faust und Margarethe aufhält, kann eben nicht „Mefistofele“ heißen. Wir erleben Margeritha im Kerker mit einer empfindsamen Arie. Die Schmerzen, die die Verlassene erduldet hat, werden in einer diskret ausgesungenen Wahnsinnsszene angedeutet. Faust betritt die Szene, zu hören ist ein wehmütiges Liebesduett . Als Mefistofele erscheint, wendet sie sich ab. Sie ruft die himmlischen Mächte an und wird gerettet Arrigo Boito, „Mefistofele“, der dritte Akt. „Mefistofele“, 3. Teil = 22‘20“ SWR2 Opernabend, Sie hören „Mefistofele“ von Arrigo Boito als Mitschnitt aus der Bayerischen Staatsoper München. Mit René Pape in der Titelpartie. Faust ist Joseph Calleja und Margherita Kristine Opolais. Im vierten Akt kommt Karine Babajanyan als Elena hinzu. Am Pult Omer Meir Wellber. Gegenstück zum Finale des zweiten Aktes auf dem Brocken ist im vierten Akt die Klassische Walpurgisnacht, die in hier ganz um die Figur der schönen Helena herum gelegt ist. Dass der Regisseur Roland Schwab diese Szene in ein Heim für Demenzkranke verlegt, mag gehen. Gedacht war wohl an eine falsche Illusion, die sich mehr und mehr von der Realität löst. Auf dem Papier sieht das durchaus gut aus. Elena als Krankenschwester, das könnte gehen, zumal diese Walpurgisnacht mit melancholischen Untertönen ausgestattet ist. Der Augenblick des verzückten Selbstvergessens will sich trotzdem nicht einstellen. In sein Studierzimmer zurückgekehrt (das ist der Schauplatz des Epilogs), zieht Faust ein bitteres Resümee. Der Teufel lauert auf die Beute. Faust wartet auf sein Ende. Auch er wird erlöst. In den Himmel aufsteigend, animiert durch die Stimmen der Seeligen fallen die entscheidenden Worte: „Heiliger, flüchtiger Augenblick! Verweile doch, du bist so schön!“ Hier endet die Macht des Teufels. Mit den prachtvollen Klangwelten des Prologs endet das Stück. Arrigo Boito, „Mefistofele“, der vierte Akt und der Epilog. 4 „Mefistofele“, 4. Teil = 31‘12“ SWR2 Operabend, Sie hörten „Mefistofele“, Oper in einem Prolog, vier Akten und einem Epilog nach Goethes „Faust“. Text und Musik von Arrigo Boito. Die Ausführenden waren: Mefistofele: René Pape Faust: Joseph Calleja Margherita: Kristine Opolais Marta: Heike Grötzinger Wagner: Andrea Borghini Elena: Karine Babajanyan Pantalis: Rachael Wilson Nerèo: Joshua Owen Mills Der Bayerische Staatsopernchor Der Bayerische Staatskinderchor Das Bayerische Staatsorchester Leitung: Omer Meir Wellber Dieser Mitschnitt des Bayerischen Rundfunks, der uns über die EBU erreichte, entstand am 24. Oktober 2015 in der Bayerischen Staatsoper als szenische Erstaufführung in München in der Inszenierung von Roland Schwab. 5