SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE __________________________________________________________________________ SWR2 Essay Im Vorschein der Musik Ernst Bloch begegnet Ernst Krenek Von Matthias Henke Sendung: Redaktion: Produktion: Montag, 6. März 2017, 22.03 Uhr Lydia Jeschke SWR 2017 __________________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. __________________________________________________________________________ Service: Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Essay sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] __________________________________________________________________________ Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Musik 1 1’52 Ernst Krenek: Reisebuch, Nr. 1: Ich reise aus ... Wolfgang Holzmair (Bariton) Gerard Wyss (Klavier) Decca (00171), 00028948310432 Sprecher 1: Österreich, das sei ein sonderbares Land – stellte Ernst Bloch Mitte der 30er Jahre fest, als er vorübergehend in Wien wohnte. Der marxistisch gesinnte Philosoph, ein Pfälzer aus Ludwigshafen, sagte es nicht ohne Bewunderung. Denn in der Wiener Zeitung, dem Amtsblatt der rechten Regierung, war soeben eine begeisterte Würdigung seines Buches „Erbschaft dieser Zeit“ erschienen. Sie stammte von Ernst Krenek, dem in Wien geborenen Komponisten und Schriftsteller. Nach Stationen in Berlin, der Schweiz und Kassel war er 1928 in seine Geburtsstadt zurückgekehrt: angewidert vom preußischen Piefke-Gehabe und dem Radau der Nazis. Sprecherin: Krenek, durch und durch Skeptiker, trug allerdings schwer an seiner Heimat. Einmal hatte er Österreich sogar als „schauerliches Gemisch“ beschimpft, als Potpourri aus … Sprecher 2: „Weichherzigkeit und Brutalität, Sentimentalität und Rohheit, Wehleidigkeit und Rüpelei, gewalttätiger Schlamperei und blutiger Gemütlichkeit, von Borniertheit und Besserwisserei, von Schäbigkeit“.1 Sprecher 1: Grundsätzlich jedoch liebte Krenek seine Heimat. Ihre Berge und Weine waren ihm regelrecht heilig. Vor allem aber schätzte er die Seele Österreichs: seinen weiten Horizont, der sich dem Habsburger Vielvölkerstaat verdankte und oft in einer erstaunlichen Toleranz zutage trat. Sprecherin: Eben sie hatte Krenek dazu verholfen, in der Wiener Zeitung eine Rezension unterzubringen, die das Werk des jüdischen Linksintellektuellen Ernst Bloch in höchsten Tönen lobte. Und das mitten im Austrofaschismus, wie er sich später amüsierte. Sprecher 2: „Die Wiener Zeitung war das offizielle Organ zur Bekanntgabe von Gesetzen und Regierungserlassen…“ Sprecherin: … kommentierte Krenek. Sprecher 2: „Deshalb wurde sie von allen abonniert, die in solchen Dingen auf dem laufenden sein mussten – von Rechtsanwälten, Geschäftsleuten und so weiter –, aber sonst praktisch von niemandem, denn sie galt als die langweiligste Zeitung, die man sich vorstellen konnte. Trotzdem hatte sie eine der lebendigsten Feuilletonredaktionen.“ 2 Sprecherin: Das liberale Journal, so Krenek weiter, habe ihm sogar ermöglicht, Autoren wie Brecht und Döblin zu besprechen, deren Bücher andere Wiener Blätter geflissentlich umgingen. Sprecher 2: „Während jener wenigen Jahre entstand die unglaublich absurde Situation, dass die Zeitung von einer Regierung herausgegeben wurde, die den Liberalen als faschistischer Ableger verdächtig war, in ihrem Feuilleton fortschrittliche und nonkonformistische Ansichten abdruckte, die unabhängige Wiener Zeitungen aus lauter Angst nicht anzupacken wagten.“2 Sprecherin: Die von Krenek beschriebene Diskrepanz zwischen staatlicher Doktrin und realem Leben war für jene Jahre nicht untypisch. Sprecher 1: Auf der einen Seite strebte Österreichs Regierung das quasi totalitäre Modell eines Christlichen Ständestaats an. Sprecherin: Auf der anderen suchten dort Menschen Zuflucht, die sich der nationalsozialistischen Verfolgung ausgesetzt sahen. Sprecher 1: Zu ihnen zählte etwa Bruno Walter. Nach der sogenannten Machtergreifung hatte der deutschjüdische Dirigent seinen Posten als Chef des Leipziger Gewandhaus-Orchesters verloren. In Österreich jedoch war er willkommen. Sprecherin: Walter dirigierte die Wiener Philharmoniker, trat bei den Salzburger Festspielen auf und wurde 1936 künstlerischen Berater der Wiener Staatsoper. Und noch im selben Jahr erschien beim Wiener Reichner-Verlag eine Festschrift für ihn. Sprecher 1: Auf der Flucht vor den Braunhemden war auch Bloch nach Wien übersiedelt. Hier hatte er auch schon bald geheiratet: Karola Piotrkowska, eine polnische Architektin, die 1981, in ihrer Autobiographie, auf diese Zeit zurückblickte. Musik 2 ca. 1’35 Ernst Krenek: Triophantasie für Violine, Violoncello und Klavier, op. 63 Ulrich Edelmann (Violine) László Fenyö (Violoncello) Fritz Walther (Klavier) hr-musik.de (11252) Sprecherin 2: „Politisch gesehen war eine Emigration nach Österreich nicht sehr vernünftig. Seit dem Staatsstreich von Kanzler Dollfuß im März 1933 herrschte dort Austrofaschismus – gemildert durch Schlamperei, wie Ernst Bloch zu sagen pflegte. Niemand belästigte uns, Juden wurden nicht verfolgt, man gewöhnte sich an die illegalen Nazi-Demonstrationen. Wir fanden bald einen ungewöhnlich sympathischen Freundeskreis. Zu ihm gehörte die Schriftsteller Soma Morgenstern und Elias Canetti, der Bildhauer Fritz Wotruba, seine Schülerin Anna Mahler, Tochter von 3 Gustav Mahler, damals mit dem Verleger Zsolnay verheiratet, [und] der Komponist Ernst Krenek.“3 Musik 2 (Hochblenden, bei ca. 1’35 ausblenden) Sprecherin: Karola Bloch erwähnte Canetti, Morgenstern und Anna Mahler keinesfalls im Sinne dessen, was man heute „name-dropping“ nennt. Hinter den Namen verbirgt sich vielmehr ein Netzwerk, das gerade für Exilanten wichtig war. Sprecher 1: Der Schriftsteller Soma Morgenstern beispielsweise, aus PolnischGalizien stammend, war eng mit Alban Berg befreundet. Als dieser Ende 1935 starb, hielt Ernst Krenek die Grabrede. Sprecherin: Elias Canetti wiederum hatte sich erfolglos in Anna Mahler verliebt, genauer gesagt in ihren wunderschönen Blick. Eben dem setzte der Schriftsteller in seiner Autobiographie ein Denkmal, und zwar im dritten Teil, „Das Augenspiel“. Sprecher 1: Den äußerst produktiven Krenek watschte Canetti hier jedoch als seichten Vielschreiber ab. Weil der Komponist zuvor bei Anna Mahler Gehör gefunden hatte, ja zeitweilig mit ihr verheiratet gewesen war? Wie auch immer, Karola Bloch machte sich über den Geschmähten ihren eigenen Reim: Sprecherin 2: „Krenek, früher mit Anna Mahler verheiratet, war ein äußerst kluger, belesener Komponist, der durch seine erste Oper ‚Jonny spielt auf’ berühmt geworden war. (Hier langsam Musik 3 einblenden) Krenek war es auch, der über ‚Erbschaft in dieser Zeit’ in der Wiener Presse eine Rezension schrieb. Wir waren erstaunt, dass das in dem schon faschistisch beeinflussten Land möglich war, denn ‚Erbschaft dieser Zeit’ enthielt eine marxistische Analyse des Faschismus, die keinen Zweifel am Standort des Autors zuließ. Die ‚Neue Zürcher Zeitung’ zum Beispiel brachte keine Besprechung.“4 Sprecher 1: … obwohl Blochs Buch im Zürcher Verlag Oprecht & Helbing erschienen war. Musik 3 ca. 1’35 Ernst Krenek: Akt 1, Szene 3, Introduktion aus der Oper „Jonny spielt auf“ op. 45 Gewandhausorchester Leipzig Leitung: Lothar Zagrosek Decca (00171), 436631-2 Sprecher 1: Die 1935 veröffentliche Schrift „Erbschaft dieser Zeit“ war kein durchgängig geschriebenes Buch, sondern eine Sammlung von Aufsätzen, die Bloch in den Jahren zuvor verfasst hatte. Sie sprachen die verschiedensten Themen an und wechselten ohne Scheu zwischen Alltags- und Hochkultur, dem Geist der Zwischenkriegszeit gemäß. 4 Sprecherin: Da war von den modernen Medien die Rede, vom Film oder dem neuartigen, mit Bildreportagen durchsetzten Printmagazin. Ebenso durfte ein Essay über Nietzsche nicht fehlen. Interessant auch eine bereits 1924 vorveröffentlichte Abhandlung mit dem Titel „Hitlers Gewalt“. Hier beschrieb Bloch in der ihm eigentümlichen Diktion den Einfluss, den der Führer schon damals auf die deutsche Jugend ausübte: Sprecher 2: „Siebzehnjährige brennen Hitler entgegen, Bierstudenten von ehemals, öde im Glück der Bügelfalte schwelgend, sind nicht mehr zu erkennen, es hämmert ihr Herz. Heldische Bünde mit allen Zeichen irrationaler Verschwörung sammeln sich unter einem geheimen Licht.“5 Sprecherin: Freilich hatte Bloch in seine Sammlung auch Aufsätze zur Musik eingebracht. Ihr widmete er sich zeitlebens mit Leidenschaft. Nur wenig später begann er auf ihrem Fundament sein philosophisches Hauptwerk zu errichten, die drei Bände über „Das Prinzip Hoffnung“. Der Ordnung des musikalisches Ausdrucks gab er hier einen utopischen Sinn, indem er sie als Vorschein auf eine bessere Welt deutete, als Sprecher 2: „ein Haus, ja einen Kristall, aber aus künftiger Freiheit, einen Stern, aber als neue Erde.“ Sprecherin: In „Erbschaft dieser Zeit“ setzte sich Bloch hingegen mit konkreten Kompositionen auseinander, mit Werken, die ihn spürbar bewegt hatten. Zu ihnen zählte etwa Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“. Sprecher 2: „Ein Hungertraum aus Volkstänzen und Marktzauber von ehemals, der auf eine Landstraße zieht, wo nur noch die Gespenster vergangener Musikparaden umgehen.“6 Sprecherin: Und auch über die „Dreigroschenoper“ räsonnierte Bloch. Sie habe … Sprecher 2: … „die schlechteste Musik, die Schlager, in den Dienst der vorgeschrittensten gestellt; und sie zeigt sich gefährlich. Aus der Hure im bürgerlichen Straßendienst wurde eine anarchistische Schmugglerin.“ 7 Musik 4 ca. 1’00 Kurt Weill: „Seeräuber-Jenny“ aus der „Dreigroschenoper“ Timna Brauer (Gesang) SONY / RCA Red Seal, B00001R3MQ Sprecherin: Auf Blochs musikbezogene Ausführungen in „Erbschaft dieser Zeit“ ging Krenek in seiner Rezension nicht ein. Vielmehr lag ihm daran, das grundsätzliche Anliegen des Philosophen darzustellen. Bloch, konstatierte Krenek, gehe von der 5 Forderung aus, nicht alle bürgerlichen Werte und Errungenschaften zu entsorgen, wenn man die kommunistische Gemeinschaft etablieren wolle. Sprecher 2: „Die ‚Erbschaft dieser Zeit’ ist eine kritische Sichtung der geistigen Zustände unserer Epoche, mit dem Ziel, das auszusondern, was der Mitnahme in eine – nach Ansicht des Autors einer sozialistischen Gesellschaftsordnung gehörende – Zukunft würdig erscheint.“8 Sprecherin: Einen solchen Prozess, ergänzte Krenek, könne Bloch wie kaum ein Zweiter begleiten, da er ein gutes Gespür für soziale Verwerfungen habe. Sprecher 2: „Wenige Denker besitzen ein so sensibles Organ für die Gebrochenheit unserer Zeit, für alles unscheinbar Widerspruchsvolle, Klaffende, Unstimmige, wie Ernst Bloch, wenige haben die Fähigkeit, es so unmittelbar anschaulich zu machen wie er.“9 Sprecherin: Um eben diese Widersprüche sichtbar werden zu lassen, verwendete Bloch die Kategorie der „Ungleichzeitigkeit“. Sie entsteht, wenn sich historisch verschiedene Schichten übereinanderschieben, wenn das Nicht-mehr und das Nochnicht einander berühren – so Krenek, der Rezensent. Sprecher 1: Für Krenek, den Komponisten, muss es besonders spannend gewesen sein, dass Bloch in „Erbschaft dieser Zeit“ eine künstlerische Antwort auf das Problem der „Ungleichzeitigkeit“ gefunden hatte. Sprecher 2: „Als legitime Form der Vergegenwärtigung ungleichzeitiger Elemente erscheint Bloch die Montage, die die Einzeldinge aus ihren überalterten Gefügen herausbricht und unmodifiziert in einen blitzartig erhellenden Zusammenhang bringt.“10 Sprecher 1: Blochs Bewertung der Montage fiel bei Krenek auf fruchtbaren Boden. Immerhin hatte er sich schon in den 20er Jahren mit ähnlichen, von ihm surrealistisch genannten Konzepten beschäftigt – besonders intensiv nach einem längeren Paris-Besuch, von dem er ziemlich verwirrt zurückkehrte. Sprecherin: Einerseits nahm er das Leben in Paris als phantastisch, fröhlich, ja berauschend wahr; zugleich aber erschien es ihm trist zu sein, alltäglich, belanglos, feindselig und korrupt. Sprecher 1: Dieser Zwiespalt veränderte Kreneks Sicht auf die eigene Existenz. Fortan betrachtete er sein Dasein nicht mehr als Kontinuum, innerhalb dessen jeder einzelne Schritt vor der Vergangenheit oder der Zukunft zu rechtfertigen ist. Nun wollte er, so Krenek wörtlich, „aus jedem Augenblick das Beste herausholen“, ohne nach Hinten oder Vorn zu schauen. 6 Sprecherin: Kreneks neue Lebensauffassung wirkte sich auf sein künstlerisches Denken aus. So reifte in ihm damals die Idee, eine Art Revue zu schreiben, nicht zuletzt weil er Pariser Varieté-Theater wie die Folies Bergère besucht hatte. Sprecher 2: „In meinem einsamen Hotelzimmer sitzend, begann ich über ein Bühnenstück nachzudenken, das nach den Prinzipien der musikalischen Revue aufgebaut sein oder vielmehr einem Prinzip folgen würde, das von der Abwesenheit jedes strukturellen Prinzips hergeleitet werden sollte, die für diese Art der Unterhaltung so charakteristisch ist. Ich wusste [jedoch] nicht, wie ich so etwas zustande bringen sollte und kam über die Phase des Nachdenkens nicht hinaus.“11 Sprecherin: Krenek zeigte sich demnach von der Grundidee der Revue fasziniert, heterogene Bilder oder Szenen in einem nur losen Zusammenhang zu präsentieren. Gleichzeitig bekannte er jedoch seine Unsicherheit, surrealistisch zu arbeiten, also disparate Materialien sinnvoll in einem Werk zu vereinen. Sprecher 1: Zu einem tieferen Verständnis dieser Problematik gelangte Krenek erst durch Ernst Bloch. Nicht nur, indem er dessen „Erbschaft in dieser Zeit“ rezensierte, um als wichtige Lesefrucht die Erkenntnis der „Ungleichzeitigkeit“ mitzunehmen, dass sich nämlich historisch Ungleiches simultan ereignen kann. Nicht nur, indem er sich von der Bloch’schen Auffassung der Montage begeistern ließ, weil sie den gesellschaftlichen Brüchen der Zeit entsprach. Sondern auch weil er mit dem Philosophen ausgiebig diskutierte. Sprecherin: Aufschlussreich ist hier ein Streitgespräch, das Krenek in seiner Autobiographie schildert. Es entzündete sich an Kreneks neoromantischem „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“, das 1929 entstanden war, im Nachgang zum Schubertjahr, als Seitenstück zur „Winterreise“. Die ungebrochenen Naturschilderungen des „Reisebuchs“, deren Texte wie die Musik von Krenek stammen, empfand Bloch schlichtweg als Provokation, weil so die politische Gegenwart ausgeblendet würde. Sprecher 2: „Ich erinnere mich nicht, wie und wann Bloch mein ‚Reisebuch’ kennenlernte. Aber ich weiß, dass er es aus der Sicht des Surrealismus kritisierte. Er meinte, man könne solche Dinge heutzutage nicht mehr ernsthaft sagen. Als ich erwiderte, dass schließlich immer noch Fischlein aus dem Wasser der ruhigen Alpenseen sprängen (dieses Detail in dem Lied ‚Heißer Tag am See’ erregte ihn besonders) und dass ich sie so gesehen hätte, wie es in dem Lied dargestellt war, gab er zurück, das sei zwar vielleicht so, aber wir seien nicht mehr berechtigt, einen solchen Eindruck unbesehen poetisch zu verwenden.“12 Musik 5 2’29 Ernst Krenek: „Heißer Tag am See“ aus dem „Reisebuch“ Wolfgang Holzmair (Bariton) Gerard Wyss (Klavier) 7 Decca (00171), 00028948310432 Sprecher 1: Krenek zeigte sich von Blochs Kritik nicht unbeeindruckt, ja er scheint sie angenommen zu haben, wie seine offenbar nach dem skizzierten Gespräch entstandene Besprechung von Blochs „Erbschaft dieser Zeit“ vermuten lässt. Sprecherin: Die Offenheit, mit der sich die beiden Intellektuellen immer wieder begegneten, verdient besonderen Respekt, wenn man ihre politisch-religiöse Verortung bedenkt. Hier Bloch, der überzeugte Marxist jüdischer Abstammung. Dort Krenek, der (wenn auch nur kurz) dem Christlichen Ständestaat zugetan war und in den Schoß der katholischen Kirche zurückgefunden hatte. Das hinderte Krenek aber keinesfalls, von seinem Gesprächspartner zu schwärmen. Sprecher 2: „Ernst Bloch war ein ganz reizender Mensch und einer der größten Geschichtenerzähler, die ich je gekannt habe. Er sprach einen breiten Dialekt, der für seine Heimat (Ludwigshafen) charakteristisch ist, und war voll von höchst faszinierenden, farbigen altjüdischen Geschichten aus den Überlieferungen des Talmud, der Kabbala und der großen polnischen Rabbiner.“13 Sprecher 1: Solche und andere Erzählungen (Miniaturen der Weltsicht könnte man sie nennen) hatte Bloch 1930 veröffentlicht, in Berlin, im Verlag des Galeristen Paul Cassirer. In den „Spuren“, wie die Sammlung hieß, zeigte sich der Philosoph als Literat, beispielsweise mit einer Parabel, die den zunächst unverständlichen Titel „Fall ins Jetzt“ trägt. Musik 6 ca. 3’30 Ernst Krenek: Potpourri op. 54 Radio-Philharmonie Hannover des NDR cpo (08492), 999 236-2 Sprecher 2: „Man hatte gelernt und sich gestritten, war darüber müde geworden. Da unterhielten sich die Juden, im Bethaus der kleinen Stadt, was man sich wünschte, wenn ein Engel käme. Der Rabbi sagte, er wäre schon froh, wenn er seinen Husten los wäre. Und ich wünschte mir, sagte ein Zweiter, ich hätte meine Töchter verheiratet. Und ich wollte, rief ein Dritter, ich hätte überhaupt keine Töchter, sondern einen Sohn, der mein Geschäft übernimmt. Zuletzt wandte sich der Rabbi an einen Bettler, der gestern Abend zugelaufen war und nun zerlumpt und kümmerlich auf der hinteren Bank saß. ‚Was möchtest du dir denn wünschen, Lieber? Gott sei es geklagt, du siehst nicht aus, wie wenn du ohne Wunsch sein könntest.' - ‚Ich wollte', sagte der Bettler, ‚ich wäre ein großer König und hätte ein großes Land. In jeder Stadt hätte ich einen Palast, und in der allerschönsten meine Residenz, aus Onyx, Sandel und Marmor. Da säße ich auf dem Thron, wäre gefürchtet von meinen Feinden, geliebt von meinem Volk, wie der König Salomo. Aber im Krieg habe ich nicht Salomos Glück; der Feind bricht ein, meine Heere werden geschlagen und alle Städte und Wälder gehen in Brand auf. Der Feind steht schon vor meiner Residenz, 8 ich höre das Getümmel auf den Straßen und sitze im Thronsaal ganz allein, mit Krone, Szepter, Purpur und Hermelin, verlassen von allen meinen Würdenträgern und höre, wie das Volk nach meinem Blut schreit. Da ziehe ich mich aus bis aufs Hemd und werfe alle Pracht von mir, springe durchs Fenster hinab in den Hof. Komme hindurch durch die Stadt, das Getümmel, das freie Feld und laufe, laufe durch mein verbranntes Land, um mein Leben. Zehn Tage lang bis zur Grenze, wo mich niemand mehr kennt, und komme hinüber, zu andern Menschen, die nichts von mir wissen, nichts von mir wollen, bin gerettet und seit gestern Abend sitze ich hier.' – Lange Pause und ein Chok dazu, der Bettler war aufgesprungen, der Rabbi sah ihn an. ‚Ich muss schon sagen', sprach der Rabbi langsam, ‚ich muss schon sagen, du bist ein merkwürdiger Mensch. Wozu wünschst du dir denn alles, wenn du alles wieder verlierst. Was hättest du dann von deinem Reichtum und von deiner Herrlichkeit?' - ‚Rabbi', sprach der Bettler und setzte sich wieder, ‚ich hätte schon etwas, ein Hemd.' - Nun lachten die Juden und schüttelten die Köpfe und schenkten dem König das Hemd.“14 Musik 6 (Hochblenden, bei ca. 3’30 ausblenden) Sprecher 1: Es war nicht nur der Humor, der Bloch und Krenek einander näher brachte. Auch die Neigung der Beiden, Dinge wie Gedanken genau zu reflektieren, ließ sie zu Verbündeten werden. Sprecherin: Eine Basis für ihren auf Augenhöhe vorgenommenen Gedankenaustausch war sicherlich die Tatsache, dass Krenek an der Wiener Universität Philosophie studierte hatte. Noch Jahrzehnte später rühmte er die Heraklit-Vorlesung von Professor Heinrich Gomperz: Sprecher 2: „Der alte Mann mit dem Bart eines jüdischen Propheten vermittelte uns ein anschauliches Bild von der Evolution des griechischen Geistes. Besonders faszinierte mich die Bekanntschaft mit Heraklit, dem großen Pessimisten der alten Zeiten. Das Konzept der Relativität aller Werte, das in den Äußerungen dieses Weisen so stark hervorgehoben wird, leuchtete mir sofort ein und beherrscht seither in unterschiedlicher Intensität mein Denken.“15 Sprecher 1: So Krenek im Rückblick auf sein Philosophiestudium an der Wiener Universität. In den Schriften Blochs, speziell den „Leipziger Vorlesungen“ zur Geschichte der Philosophie, spielt Heraklit zwar nur eine marginale Rolle, wenn man die Zahl und das Gewicht von Zitaten oder Verweisen zugrunde legt. Doch scheint das Denken des Vorsokratikers häufig implizit auf – etwa in der Beobachtung und Beschreibung des steten Weltwandels, der sich mit dem populären Stichwort des „Panta rhei“ verbindet, des „Alles fließt“; oder in der Vorliebe des Paradoxen, dem Prinzip, Gegensätze als Einheit zu betrachten. Sprecherin: Auch in solchen Aspekten ergab sich zwischen Bloch und Krenek ein Gleichklang, wie eines der Lieblingszitate des Komponisten bestätigen kann, ein 9 Satz Alfred Polgars: Sprecher 2: „Eigentlich lebt man überall ein bisschen ungern.“ Sprecher 1: Unter der Oberfläche dieser Sentenz kann man Verwandtschaftliches mit den Gedanken Heraklits erkennen. So trägt das Überall-ein-bisschen-ungernleben trägt bereits den Ortswechsel in sich: In der Bindung scheint ja schon die Lösung auf, die Veränderung. Eben solches, das Unterwegssein im geographischen, existenziellen, vor allem aber im geistigen Sinn prägt aber auch Blochs Erzählband „Spuren“. Sprecherin: Arno Münster, der in den 60er Jahren bei dem damals in Tübingen lehrenden Philosophen studiert hatte, führt aus: Sprecher 2: „Nicht zufällig nimmt in den ‚Spuren’ das Reisen, das den Leser durch mehrere Länder Europas und gelegentlich sogar bis nach China entführt, einen so breiten Platz ein. Das existenzielle Grunderlebnis der ‚Bahnhofshaftigkeit des Daseins’ – ein Lieblingswort von Ernst Bloch – findet hier seine breiteste erzählerisch-metaphorische Ausgestaltung.“16 Sprecher 1: Die Idee des Reisens, im Sinn eines Ganges durch die Welt romantisch grundiert, ließ Bloch während seines langen Lebens nie los. Noch in seiner Tübinger Zeit, in der 60er Jahren, kommentierte er dementsprechend: Sprecher 2: „Ein Mensch nimmt sich mit, wenn er wandert. Doch ebenso geht er hierbei aus sich heraus, wird von Flur, Wald, Berg reicher. Schlecht wandern, das heißt als Mensch unverändert bleiben. Ein solcher eben entdeckt nur die Gegend, nicht auch sich selber an und mit ihr. Je bedürftiger aber ein Mensch ist, sich erfahrend zu bestimmen, desto tiefer (nicht nur breiter) wird er auch durch äußeres Erfahren werden. Und wie er selber auf jeder Fahrstufe sich erneuert und berichtigt, so geht in wechselseitiges Subjekt-Objekt-Beziehung Erfahrenes als ferner oder näher antwortendes Gegenbild des Inneren auf.“17 Sprecher 1: Die zentralen Begriffe, die sich diesen Bloch-Zitaten entnehmen lassen, sind „Bahnhofshaftigkeit“ und „Erfahrung“. Sie könnten – über ihre ursprüngliche Bestimmung hinaus – auch als Wegweiser durch das Werk Ernst Kreneks dienen, durch sein kompositorisches wie schriftstellerisches Oeuvre – eine weitere Konkordanz zwischen ihm und Bloch. Sprecherin: Dass nämlich auch Krenek das Reisen mehr weitaus mehr bedeutete als das Zurücklegen von Entfernungen lässt sich exemplarisch an seinen zahlreichen Reisefeuilletons ablesen, die er schwerpunktmäßig in den 30er Jahren verfasste. Sie erschienen 1959 in einer repräsentativen Sammlung, die den Titel „Gedanken unterwegs“ trägt. Im Vorwort bilanzierte der Herausgeber Friedrich Saathen: 10 Sprecher 2: „Ernst Krenek hat sehr viel erfahren, indem er, seit seiner Kindheit auf Fahrt, stets zu erfassen strebte, was immer ihm zu erfassen der Mühe wert erschienen ist. So hat er – fahrend erfahrend – das Gesetz der Bewegung, das Grundgesetz alles Lebendigen zum Gesetz auch seines Denkens gemacht. Darum liebt er, was der Fortbewegung nützlich ist, was sie beschleunigt, potenziert. Darum liebt er das Auto, die Eisenbahn, das Schiff und das Flugzeug.“18 Sprecher 1: Die Auffassung, das Leben sei Bewegung, leitete nicht nur Krenek, den Reisenden, der schon um 1930 Spanien und Nordafrika durchquert hatte. Sie prägt ebenso seine Erfolgsoper „Jonny spielt auf“, die 1927 in Leipzig zur Uraufführung kam. Krenek, der auch das Libretto schrieb, spielt hier mit gegensätzlichen Hauptfiguren. Sprecherin: Auf der einen Seite befindet sich Jonny, ein Jazzmusiker, der frech wie Oskar durchs Leben schwadroniert, ebenso wie vital wie hemmungslos, ein leidenschaftlicher Genießer, der es versteht, sich dem Augenblick hinzugeben. Sprecher 1: Auf der anderen Seite steht Max, ein junger Komponist, der sich mental nicht von der Stelle zu bewegen scheint, der bei auftauchenden Problemen in die Bergwelt flieht und so den Kontakt zu den Menschen zu verlieren droht, nicht zuletzt den zu seiner Geliebten Anita. Und es ist gerade sie, die Max aus seiner Erstarrung löst, indem sie ihn betrügt. Sprecherin: „Das Leben, das du nicht verstehst, es ist Bewegung, und darin ist es Glück.“ Sprecher 1: Anitas Weltsicht aktiviert schließlich den trägen bis egozentrischen Max. Als sie, von Beruf Sängerin, zu einer Amerika-Tournee aufbricht, fährt der sonst so Zögerliche – einer plötzlichen Eingebung folgend – zum Bahnhof und sieht sich umgehend belohnt. Es gelingt ihm, in letzter Minute auf den Zug zu springen, der Anita nach Amsterdam zu ihrem Schiff bringen soll, und sich mit ihr zu versöhnen. Sprecherin: Indem Max die transitorische Natur seines Lebens erkennt und die Tatsache annimmt, keine Station seiner Existenz einfrieren zu können, entspricht er dem Bloch’schen Wort von der „Bahnhofshaftigkeit des Daseins“. Dass Kreneks „Jonny “ gerade auf einem Bahnhof endet, passt ebenso zum Weltbild des Philosophen. Musik 7 insgesamt ca. 5‘06 Ernst Krenek: Schlussszene aus der Oper „Jonny spielt auf“ op. 45 Gewandhausorchester Leipzig Leitung: Lothar Zagrosek Decca (00171), 436631-2 11 Sprecher 1: Vermutlich 1927, im Uraufführungsjahr von „Jonny“, vielleicht auch etwas später, kam es im Umfeld der Berliner Krolloper zu einer ersten persönlichen Begegnung der Beiden. Hier sollten sie ein hochinteressantes Terrain finden: der eine als Autor von Programmhefttexten, der andere als Komponist. Otto Klemperer, der Direktor und musikalischer Leiter des eben wiedereröffneten Hauses, hatte mit seiner bekenntnishaften Inszenierung von Beethovens „Fidelio“ gerade eine neue Ära eingeleitet. Sprecherin: Klemperer und sein Team, vor allem die Bühnenbildner Ewald Sülberg und Teo Otto, hatten sich das Ziel gesetzt, den Opernbetrieb zu entstauben. Sie wollten „Altes so aufzuführen, als sei es neu“ und sich andererseits für die musikalische Moderne engagieren. Heinrich Strobel, allem Neuen gegenüber aufgeschlossen, veröffentlichte in der Thüringer Allgemeinen Zeitung einen begeisterten Kommentar: Sprecher 2: „Es gibt in Berlin eine neue Sensation. Das ist der ‚Fidelio’, mit dem Klemperer seine Tätigkeit eröffnete. Ein ‚Fidelio’ ohne theatralisches Pathos, ohne bombastisches Geschluchze, ohne biedermännische Banalitäten, ohne naturalistische Peinlichkeiten. Man glaubte, ein neues Werk zu hören. Die Dekorationen Ewald Dülbergs, von Bauhausideen angeregt, wundervoll im Zusammenklingen von Weiß, Blau und Grau. Von allem Naturalismus losgelöst, trugen ihre einfach klaren Linien die Musik.“19 Sprecher 1: Klemperer, ein jüdischer Dirigent, Dülberg mit seiner Bauhaus-Ästhetik, noch dazu in Kombination mit dem versockelten Beethoven– das war den Nazis schichtweg zu viel. Sie diffamierten die Krolloper umgehend als Brutstätte des Kulturbolschewismus und arbeiteten an ihrem Untergang. Sprecherin: Bloch ließ sich von dem Gebell nicht irritieren. Er nutzte die Programmhefte der Krolloper, um den revolutionären Gehalt sogenannter Klassiker zu beleuchten. Ihn hatte man in der Vergangenheit allzu oft weggebügelt. Sein vielzitierter „Fidelio“-Essay nimmt schon wesentliche Gedanken des „Prinzip Hoffnung“ vorweg. Bloch schreibt hier der Musik, dem Trompetensignal, die Fähigkeit zu, als Vorschein einer besseren Welt dienen zu können. Sprecher 2: „Nirgends brennen wir genauer. Leid, wirre Hoffnung, Magie einer Treue ohnegleichen, in Pizarro der Dämon dieser Welt auf der Bühne, und nun das ungeheure Grundspiel von Kampf, Not, Trompetensignal in die letzte Finsternis, Auferstehung. Von Anfang an spannt sich der Ton, ladet. Dies Signal ist ein Morgenrot, dessen Tag noch nicht gekommen ist; im Abglanz des Fidelio ist er mit am genauesten verborgen.“20 Sprecherin: Den neuen Blick auf bewährtes Repertoire zeigte Bloch auch in einem weit weniger bekannten Programmhefttext. Gemeint ist sein Kommentar zur „Zauberflöte“, den er 1930 schrieb, ein Jahr bevor die Krolloper ihren Türen schloss. 12 Sprecher 1: Bloch zieht hier eine Parallele zu den Schöpfern des Singspiels und ihrer Epoche. Er deutet das Gemeinschaftswerk von Mozart und Schikaneder im Sinn einer surrealistischen Montage. So lässt er einmal mehr an die „Erbschaft dieser Zeit“ denken. Sprecher 2: „Wie verwandt sind die Bedingungen und auch der Horizont, worunter die ‚Zauberflöte’ entstand. Lassen wir den Staub von Papagenos Vogelbalg, die ‚würdigen’ Priester beiseite, so drang doch auch damals Gasse, Lockerung, Jahrmarkt und Revue in die hohe Kunst, vor allem aber lag Revolution in der Luft. Unerhört, was der Revuedirektor Schikaneder so alles zusammenkarrte und zusammengoss, auch woanders her. Kasperle und Prinzen-Zier, Freimaurertum, Orpheussage, Shakespeare und alles, was gut und teuer war, und gut und nicht teuer. Mit einer fast surrealistischen Anarchie tauscht Hohes und Niederes seine vom Licht träumenden Gesichter.“21 Sprecherin: Zu Blochs Interpretation von Mozarts Singspiel dürfte Krenek einiges beigetragen haben. Ende 1928, ein gutes Jahr vor ihrem Erscheinen, waren an der Krolloper seine drei Einakter aufgeführt worden. Die musikalische Leitung hatte Otto Klemperer übernommen, während Ernst Legal für die Inszenierung verantwortlich zeichnete. Sprecher 1: Das Mittelstück dieser Einakter, es trägt den Titel „Das geheime Königreich“, ist eine Art Seitenstück zur „Zauberflöte“. Krenek, der erneut als sein eigener Librettist fungierte, bringt nicht nur ein ähnliches Personal auf die Bühne, etwa die drei Damen oder die Königin. Er montiert hier auch, exakt wie es Bloch später im Fall der „Zauberflöte“ darlegte, Elemente des Hohen und Niederen. Den Koloraturen der Königin, die nicht von ungefähr an Mozarts Rache-Arie erinnern, lässt Krenek beispielsweise einen Tango folgen Sprecherin: Vor allem aber könnte Krenek die Sichtweise Blochs beeinflusst haben, indem er „Das geheime Königreich“ mit einer Revolution beginnen ließ und sich somit auch das utopische Element der „Zauberflöte“ aneignete. Denn unmittelbar nach dem Aufruhr dankt der König ab, um seine Krone dem Hofnarren anzuvertrauen. Es dürfte kein Zufall sein, das Blochs auf Mozarts Singspiel gemünzte Worte gleichermaßen auch auf Kreneks Einakter zutreffen. Sprecher 2: „Der Wegraum der ‚Zauberflöte’ ist der der Aufklärung, als des kämpfenden, utopisch einleuchtenden Gutwerdens von Menschen und Dingen.“22 Musik 8 ca. 1’30 Ernst Krenek: Das geheime Königreich op. 50, Szene 1 Deutscher Symphonie-Orchester Berlin Leitung: Marek Janowski CAPRICCIO (08748), C60107 13 Sprecher 1: „Das geheime Königreich“, die drei Einakter insgesamt, gehören heute zu den Flaggschiffen Kreneks. Doch damals, gegen Ende der Weimarer Republik, mussten sie einer Bugwelle des Hasses standhalten, die über sie hinwegrollte – ausgelöst von der rechten Presse. Paul Zschorlich, als „gusseiserner Wagnerianer“ wie als Rassist bekannt, hetzte in der Deutschen Zeitung: Sprecher 2: „Kein vernünftiger Mensch wird sich diese Einakter ein zweites Mal ansehen, mancher wird auch auf das erste Mal verzichten. An Kreneks Kolportagemusik ist überhaupt nichts gelegen. Eines aber muss gesagt werden: sie ist der adäquate Ausdruck des hohlen, seelenlosen, aufgedunsenen und herausfordernden Maulheldentums der Nachkriegszeit.“23 Sprecherin: Mit einer solchen Tirade kam Krenek noch vergleichsweise glimpflich davon. Zschorlich sollte für Schönbergs Einakter, die gleichfalls in der Krolloper zu sehen waren, noch weit üblere Worte finden. Sprecher 2: „Das ,Schaffen’ Schönbergs stellt sich dar als eine Verneinung aller deutschen Musikkultur, als eine Vernichtung des Geschmacks, des Gefühls, der berlieferung und aller ästhetischen Grundsätze. Schönberg aufführen heißt so viel wie Kokainstuben fürs Volk eröffnen. Kokain ist Gift. Schönbergs Musik ist Kokain.“24 Sprecher 1: 1931 kam es zum vorzeitigen Finale der Krolloper. Wieder stand ein runderneuerter Klassiker auf dem Programm: jetzt Mozarts „Figaro“. Die Schließung des Hauses mutete wie ein Vorzeichen an. 1933 gelangten die Nazis an die Macht. Auf ihren schwarzen Listen sahen sich Bloch und Krenek wieder einmal vereint. Doch der Rückzug nach Wien half den Verfemten nichts: Es sollte nicht allzu lange dauern, bis die deutsche Armee auch Österreich besetzte. Sprecherin: Krenek emigrierte 1938 in die USA. Er ließ sich zunächst im Bundesstaat New York nieder und gab an diversen Universitäten Kompositionsunterricht. Sprecher 1: Bloch floh im gleichen Jahr und ebenfalls nach New York. Da er des Englischen nicht mächtig war, strebten seine Einnahmen gegen Null. Für die finanzielle Ausstattung seiner Familie sorgte nun seine Frau Karola. Nachdem sie eine Weile als Kellnerin gearbeitet hatte, gelang es ihr, eine passable Anstellung als Architektin zu finden. Sprecherin: Einige Male trafen sich Bloch und Krenek noch in New York oder auf dem Land. Dann trennten sich beider Wege. Sprecher 1: Aber auch wenn sie keinen Kontakt mehr zueinander hielten, durchquerten sie ihren nächsten Lebensabschnitt in geistiger Verbundenheit. Nicht länger im Rampenlicht stehend, in mehr oder weniger großer Abgeschiedenheit 14 schufen sie beide ein Opus summum. Ja, mehr noch: sie schufen es zunächst nur für sich, ohne ein Publikum zu haben oder auch nur an ein solches zu denken. Sprecherin: Kreneks Opus summum war das nahezu abendfüllende Chorwerk „Lamentatio Jeremiae Prophetae“, die „Klagelieder des Propheten Jeremias“. Es entstand zu Beginn der 40er Jahre, als der Komponist von Existenzsorgen und Todesangst geplagt wurde. Seine Krise verschärfte sich 1941 durch den Überfall der japanischen Luftwaffe auf den amerikanischen Marinestützpunkt Pearl Harbor – eine Attacke, die bekanntlich den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg nach sich zog. Sprecher 2: „Von nun werden wir ständig in Furcht und Zittern leben, bis das Ende naht.“25 Sprecherin: … vertraute Krenek Ende 1941 seinem Tagebuch an. Sprecher 2: „Ich kann vor Todesangst kaum leben. Ich kann die Zeichen an der Wand sehen und irgendwie fühle ich mich wie gelähmt und sehe hilflos dem Näherkommen der Katastrophe zu. Damit meine ich, dass ich oft denke, ich bin der Lösung des Geheimnisses ganz nahe und kurz davor , die Position für mich zu finden, von der aus ich Sinn und Bedeutung von alldem blitzartig erkennen würde, und dann wäre ich befreit.“26 Sprecher 1: Wenige Tage später schien Kreneks Depression sich noch zu steigern, weil er sich ‚als feindlicher Ausländer’ diskriminiert fühlte. Sprecher 2: „Als ich Österreich verließ, stand es in friedlichen und freundlichen Beziehungen zu Amerika, und ich habe absolut keinen Anteil an dem, was später dort geschah. Ich kann die Idee, hier als eine Art Aussätziger zu leben, nicht ertragen.“27 Sprecher 1: Vor dem skizzierten Hintergrund darf man die Entstehung von Kreneks „Lamentatio“ als eine Art Selbstfindungs-, ja Selbstheilungsprozess verstehen. Zum einen, weil die alttestamentarischen Klagelieder mit dem Untergang Jerusalems auf eine ähnliche Katastrophe zurückgingen, der er sich nunmehr persönlich ausgesetzt sah. Zum anderen aber auch, weil Krenek hier in einem äußerst schwierigen Arbeitsprozess zu einer radikalen Lösung gefunden hat. Sprecherin: Denn es gelang ihm in der „Lamentatio“ das Wesen der mittelalterlichen Kirchentonarten mit den Prinzipien der Zwölftontechnik zu vereinen, den Geist der Gregorianik mit dem der Moderne zu verschmelzen, also Ungleichzeitiges zu kombinieren. Sprecher 1: Mit der Rückbesinnung auf die Gregorianik wollte Krenek sich offenbar eine Art Heimat schaffen, ein geistiges Rückzugsgebiet könnte man sagen. In Europa hatte er häufig Idiome amerikanischer Unterhaltungsmusik verwendet. Nun, 15 im Exil, kehrte er zu den Urquellen des Abendlandes zurück, um sie mit den Errungenschaften der Wiener Moderne zu versöhnen, sprich der Zwölftonmethode Arnold Schönbergs. Sprecherin: In einer Krenek verwandten Arbeitshaltung gelang es auch Ernst Bloch, sein Opus summum zu vollenden. 1938 hatte er mit dem Schreiben begonnen. Fast zehn Jahre später konnte er sein monumentales Werk abschließen. Er nannte es „Das Prinzip Hoffnung“ – ein Titel, der in den 60er Jahren eine enorme Strahlkraft entwickeln sollte. Sprecher 1: In den rund 1500 Druckseiten der Buches finden sich, das kann nicht weiter verwundern, zahlreiche Spuren von Krenek und seinem Denken. So zitiert Bloch an einer Stelle aus dessen Schrift „ ber neue Musik“. Sie war aus einer Vortragsreihe des Jahres 1936 hervorgegangen. Ihr dürfte der Philosoph beigewohnt haben. Sprecherin: In dem betreffenden Kapitel von „Prinzip Hoffnung“ erläutert Bloch die Musik der Wiener Moderne. Anders als in früheren Epochen, etwa bei der Fuge oder der Sonate, gehe ihr kein wiedererkennbares Thema voran. Die neue Musik sei eine Existenzart, „die sich als geschehend erst bildet“, sie kenne also keine Heimat. Sprecher 2: „Von daher“ … Sprecherin: … zitiert Bloch nun den Komponistenfreund … Sprecher 2: „Von daher hat die Formgebung der neuen Musik etwas Fragmentarisches, mit allen Konsequenzen der Trauer und Unbefriedigtheit des Eindrucks, den das Fragmentarische hinterlässt.“28 Sprecher 1: Bloch verharrt allerdings, ganz dem „Prinzip Hoffnung“ entsprechend, nicht nur bei den dunklen Momenten der neuen Musik, sondern billigt ihr auch zukunftsweisende und lichte Eigenschaften zu. Sprecher 2: „Diese Musik ist voller Wundmale einer harten, durchaus nicht paradiesischen Übergangszeit, jedoch ebenso voll unbestimmter oder noch unbestimmter Funkenfigur ihres Gesichts.“29 Sprecherin: Die Funken, die Bloch aus der neuen Musik sprühen sah, passten natürlich zu seinem Konzept des Vorscheins. Die mit ihm einhergehende Hoffnung sollte sich in der realen Welt hinsichtlich Kreneks „Lamentatio“ und Blochs „Das Prinzip Hoffnung“ einlösen. Die „Klagelieder“ gelangten 1958 in der Kasseler Martinskirche zur Uraufführung, zwölf Jahre nach ihrer Vollendung. 1959, mit dem selben zeitlichen Abstand zwischen Entstehung und Veröffentlichung, erschien der letzte Teilband von Blochs Opus summum. 16 Sprecher 2: „Der Ton zündet das Licht, das er braucht, selber an. Er braucht kein äußeres, er erträgt das Dunkel, ja er sucht sein Schweigen. Schweigend, in der Nacht werden Schätze gehoben, Musik stört dieses Schweigen nicht, sie versteht sich auf die Gruft als das Licht in der Gruft.“30 Musik 9 Ernst Krenek: Lamentatio Jeremiae Prophetae op. 93 Lamentatio Jeremiae Prophetae op. 93 RIAS Kammerchor Leitung: Markus Creed Harmonia Mundi (00761), B001927MJ0 17 Ernst Krenek, „Von der Aufgabe ein Österreicher zu sein“ [1931], in: ders., Gedanken unterwegs, München 1959, S. 13–23, hier S. 19. Langen-Müller 2 Ernst Krenek, Im Atem der Zeit. Erinnerungen an die Moderne, Hamburg 1998, S. 847 und 849. Hoffmann und Campe 3 Karola Bloch, Aus meinem Leben, Pfullingen 1981, S. 119. Günther Neske 4 Ebd, S. 120. 5 Ernst Bloch, „Erinnerung: Hitlers Gewalt“, in: ders., Erbschaft dieser Zeit, Zürich 1935, S. 102– 106. Oprecht & Helbling 6 Ernst Bloch, „Zeitecho Stravinkij“, ebd., S. 173–181. 7 Ders., „Zur Dreigroschenoper“, ebd., S. 171–173. 8 Ernst Krenek, Philosophie der Unstimmigkeit, Wiener Zeitung, 14. Januar 1935, S. 6. 9 Ebd. 10 Ebd. 11 Krenek, Im Atem der Zeit, a.a.O., S. 492. Hoffmann und Campe 12 Ebd., S. 730. 13 Krenek, Im Atem der Zeit, a.a.O., S. 730. 14 Ernst Bloch, „Fall ins Jetzt“, in: ders., Spuren. Neue erweiterte Auflage, Berlin und Frankfurt M. 1960, S. 122–124. Suhrkamp 15 Krenek, Im Atem der Zeit, a.a.O., S. 186. 16 Arno Münster, Ernst Bloch. Eine politische Biographie, 2. Auflage, Hamburg 2012, S. 156. CEP Europäische Verlagsanstalt 17 Ernst Bloch, Tübinger Einleitung in die Philosophie, Frankfurt M., S. 50. Suhrkamp 18 Friedrich Saathen, [Vorwort des Herausgebers], in: Ernst Krenek, Gedanken unterwegs. Dokumente einer Reise, München 1959, S. 7–10. Langen-Müller 19 Heinrich Strobel, [Über Fidelio], Thüringer Allgemeine Zeitung, 25. November 1927, zitiert nach: Hans Curjel, Experiment Krolloper. 1927–1931, aus dem Nachlass hg. von Eigel Kruttge, München 1975, S. 224. Prestel 20 Bloch, „Zu Fidelio“, zitiert nach Curjel, a.a.O., S. 339–340. 21 Ders., „Die ‚Zauberflöte und Symbole von heute“, zitiert nach: Curjel, a.a.O., S. 343–344. 22 Ebd. 23 Paul Zschorlich, „Krenekerei in der Staatsoper“, Deutsche Zeitung vom 3. Dezember 1928, zitiert nach: Curjel, a.a.O., S. 250–252. 24 Ders., „Schönberg-Heuchelei bei Kroll“, zitiert nach: Curjel, a.a.O., S. 292–294. 25 Ernst Krenek, Die amerikanischen Tagebücher 1937–1942. Dokumente aus dem Exil, hg. von Claudia Maurer Zenck, Wien u.a. 1992, S. 239. Böhlau 26 Ebd. 27 Ebd., S. 241. 28 Ernst Krenek, Über neue Musik, Wien 1937, S. 89. Verlag der Ringbuchhandlung [Nachdruck: Darmstadt 1977, Wissenschaftliche Buchgesellschaft] 29 Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Fünfter Teil, „Wunschbilder des erfüllten Augenblicks“, 9. Auflage Frankfurt M. 2013, S. 1281. Suhrkamp 30 Ebd., S. 1289–1290. 1 18