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129 Sauberkeit im Abo 1/5
129 Sauberkeit im Abo
Steffen Wettengl | 26.02.2015 | BWL • Marketing
Die Miele-Waschmaschine WDA110 WCS gibt’s mit Rabatt,
wenn man ein 2-jähriges Waschmittel-Abo abschließt.
Miele, der bekannte Hausgerätehersteller, hat einen interessanten Versuch gestartet,
neue Kunden zu gewinnen und zu binden. Wer eine Waschmaschine der WDA- oder
einen Geschirrspüler der G49-Baureihe kauft, kann sich über eine Preisreduzierung
freuen. Eine WDA110-Maschine gibt’s z. B. für 599 statt 799 Euro. Bevor die schwäbischen und schottischen Blog-Leser zum nächsten Elektrohändler sprinten, sollten
sie allerdings weiterlesen. Den Rabatt bekommt nur, wer mit dem Kauf ein Abonnement für Wasch- bzw. Geschirrspülmittel abschließt. Beispiel: 2-Jahres-Waschmittelabo = 200 Euro Kaufpreisermäßigung für die Waschmaschine. Für das zweijährige Waschmittel-Abo namens “PerfectCare” sind 269 Euro fällig. Dafür gibt’s
6 Packungen Miele Ultrawhite und 14 Flaschen Miele Ultracolor.
Die Waschmaschine mit Waschmittel-Abo, faz.net 13.02.2015
PerfectCare-Pressemitteilung
auf miele.de, 9.12.2014
“Pate stand in gewisser Weise die Mobilfunkbranche”, erläutert ein Miele-Manager
das Kombiangebot von Waschmaschine und Waschmittel. Hausgeräte in Zukunft für
nur einen Euro anzubieten, sei aber nicht geplant. Als Premiumhersteller kann Miele
kein Interesse daran haben, dass bei Kunden das Bild entsteht, man würde mit einem
Abo über den Tisch gezogen. Das wird der PerfectCare-Kunde auch nicht. Selbst
wenn die Lieferungen nicht ganz für die versprochenen 672 Waschgänge reichen
sollten, sind die Nettokosten von 69 Euro (-200 Rabatt + 269 Abo) für die MieleWaschmittel in den ersten 2 Jahren recht günstig.
“PerfectCare” als Geschäftsmodellinnovation
Der Begriff Geschäftsmodell (business model) gehört in der BWL seit rund 10 Jahren
zum Standardvokabular. Eine einfache Definition des Begriffs lautet: Ein Geschäftsmodell beschreibt die “Logik” eines Unternehmens anhand der Nutzen-, der Kunden-,
der Wertschöpfungs- und der Finanzdimension. Mit dem Abo-Konzept “PerfectCare”
hat Miele ein neues Geschäftsmodell realisiert. Man spricht von einer Geschäftsmodellinnovation.
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Mit dem Abo-Konzept
“PerfectCare” hat Miele
ein neues Geschäftsmodell realisiert. Sowohl
die Nutzen- als auch die
Kunden-, die Wertschöpfungs- und die Finanzdimension der Geschäftstätigkeit sind betroffen.
Vereinfacht sieht das
so aus.
(1) Nutzendimension: In einem Geschäftsmodell soll deutlich werden, welches
“Nutzenversprechen” (engl. value proposition) ein Unternehmen mit einem bestimmten Angebot von Produkten und/oder Dienstleistungen gibt. Mit PerfectCare
mischt sich Miele intensiver als bisher in die Nutzungsphase der eigenen Geräte ein.
Die regelmäßige Belieferung mit Wasch- und Spülmitteln interpretieren die MieleVerkäufer als spürbar erhöhten Komfort für den Endkunden. Die Kombination von
Gebrauchsgütern (Wasch- bzw. Spülmaschine) und passenden Verbrauchsgütern
(Wasch- bzw. Spülmittel) soll als Komplettlösung besonders überzeugend wirken.
(2) Wertschöpfungsdimension: Geschäftsmodelle beinhalten einen Plan für die
“Architektur” der Wertschöpfung. Durch welche Aktivitäten und Prozesse soll das
gemachte Nutzenversprechen in die Tat umgesetzt werden? Welche eigenen Ressourcen bzw. Produktionsfaktoren werden in die Leistungserstellung eingebracht und
wo holt man sich Partner zu Hilfe? Auf Ultrawhite und Ultracolor steht zwar “Miele”,
Lieferant der Waschmittel sind aber die Dalli-Werke. Miele hat also im Zuge des
Projekts “PerfectCare” die Fertigungstiefe nicht vergrößert. Allerdings hat die Leistungstiefe zugenommen, denn nun dirigiert man die Entstehung eines Kombi- bzw.
Systemangebots.
(3) Die Kundendimension in einem Geschäftsmodell umfasst z. B. Aussagen über
die Zielkunden und die Art der Kundenbeziehungen. Auf der Absatzseite haben die
Vertriebsmanager von Miele gewiss das Marktsegment der preissensiblen Einsteiger
im Visier. Auf der → PerfectCare-Microsite werden Zielkunden, z. B. junge Familien,
mit der passenden Botschaft empfangen: “Unsere erste Miele”. Außerdem kommt
Miele durch das Abo in “direkten” Kontakt mit den Endkunden. An die Namen und
Kontaktdaten der Waschmaschinenkäufer kommen die Hersteller sonst nur selten.
(4) Die Finanzdimension in Geschäftsmodellen beschreibt, (a) wie durch die Gestaltung der Preispolitik Umsatzerlöse erzielt werden sollen und (b) welche Kosten durch
den Einsatz von Ressourcen im Zuge der Wertschöpfung entstehen. Bei “PerfectCare” ändert sich das Erlösmodell: Die einmaligen Erlöse durch den Waschmaschinenverkauf werden kleiner, dafür entstehen – mindestens für eine Weile – regelmäßige Abo-Erlöse. Für Miele führt dies zu einem stetigeren Mittelzufluss (CashFlow). Allerdings fließt das Geld auch später in die Kasse, was Kaufleute im Grunde
nicht sehr mögen.
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“PerfectCare” als Angebot komplementärer Güter
Waschmaschinen und Waschmittel sind komplementäre Produkte. Sie ergänzen
sich sinnvoll in Bezug auf eine übergeordnete Funktion bzw. Problemlösung. Zusammen sorgen beide Güter für saubere Kleidung [→ Anm. 1]. Dasselbe Prinzip steckt
auch hinter komplementären bzw. ergänzenden Dienstleistungen. Durch diese können Hersteller von Sachgütern ihr Angebot zu umfassenden Problemlösungen für
die Kunden ausbauen.
Einen spürbaren Anteil an den Umsatzerlösen haben beispielsweise ergänzende
Dienstleistungen bei Airbus Helicopters. Das Unternehmen produziert Hubschrauber und bietet einen 24/7-Service sowie Trainings für Piloten an. Außerdem können
sich die Kunden beraten lassen, wie die Betriebskosten während der Nutzungsdauer
reduziert werden können. Ähnlich sieht es beim Triebwerkehersteller MTU aus. Das
Unternehmen hat in den vergangenen Jahrzehnten das Geschäft mit der Triebwerksinstandhaltung (MTU Maintenance) bereits deutlich ausgebaut. Dieses Servicegeschäft soll weiterwachsen.
Airbus Helicopters
Training Services
Pressemiteilung zu MTU Maintenance,
21.11.2014
“PerfectCare”, ein Razorblade-Geschäftsmodell?
Mieles “PerfectCare”-Abo lässt sich in der Sprache von Geschäftsmodellexperten zu
den Tied Products-Modellen rechnen (engl. tied = gebunden).
“Tied products business model (verbundene Produkte Geschäftsmodell):
ein kostengünstiges oder unentgeltliches Erstprodukt oder Dienstleistung motiviert die Nutzung zukünftiger kostenpflichtiger Ersatzprodukte
oder Dienstleistungen (Beispiel: Gillette, HP Farbtintenstrahldrucker).
Auch bekannt als Bait-and-Hook- oder Razorblade-Geschäftsmodelle.”
Schlagwort “Geschäftsmodell”
im Gabler Wirtschaftslexikon
Bait bedeutet Köder. Hook ist das englische Wort für Haken. Am Beispiel der Rasierklingen wird klar, wie das Köder-und-Haken-Modell funktioniert. Gillette hat gerade
das rasieren neu erfunden. Seit Anfang 2015 gibt es den “Gillette Fusion ProGlide
Flexball”-Rasierer (schwer weiterzuschreiben, man könnte mit einem Lachkrampf
vom Stuhl fallen …). Dieses High-End-Gerät gibt es inklusive einer (!) ProGlide-Klinge
für 11,99 Euro. Viel deutlicher spürt der ProGlide-Nutzer den Nachkauf der Klingen im
Portemonnaie. 4 Klingen = 17,95 EUR. Mit einem Spar-Abo für regelmäßige Nachlieferungen lassen sich zumindest 5 Prozent sparen (17,95 – 0,90 = 17,05).
Pressemitteilung “Gillette erfindet die
Rasur neu!”, 19.01.2015
Gillette Fusion ProGlide Klingen
(4 Stück) auf amazon.de
Das klassische Razorblade-Geschäftsmodell basiert auf der exklusiven technischen Kompatibilität der kombinierten Systemkomponenten. Oder andersrum:
Entscheidend ist die fehlende Kompatibilität zu alternativen Ergänzungsangeboten.
Gillettes ProGlide-Flexball-Rasierer (pardon, ich habe das “Fusion” vergessen) und
die dazugehörigen Klingen bilden ein geschlossenes System, in das der Kunde “eingesperrt” ist. Mit anderen Worten: Bei Lidl ist leider kein 10er-Pack mit ProGlidekompatiblen Günstigklingen erhältlich.
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Bei klassischen Razorblade-Geschäftsmodellen werden die Kunden nach dem Kauf eines
Köderprodukts in ein geschlossenes System “eingesperrt”. Das kann man zum Beispiel bei
Nassrasierern, elektrischen Zahnbürsten, Druckern und Kapselsystemen für Kaffee beobachten [→ Anm. 2].
Bei Mieles Waschmittel-Abo ist das “Einsperren” oder “Gefangenhalten” (engl. lockin) der Abonnenten nur eine befristete vertragliche Angelegenheit. Nach Ablauf des
Abos ist die Bindung der Kunden an das Miele/Dalli-Waschmittel vermutlich nur
schwach. In eine WDA-Maschine von Miele kann man natürlich auch Waschmittel
von Henkel und anderen Herstellern einfüllen.
Jenseits von “PerfectCare”
Ein schönes Beispiel für eine Geschäftsmodellinnovation ist Mieles Abo-Konzept
“PerfectCare” auf jeden Fall. Ich glaube aber nicht, dass in der Hausgerätebranche
demnächst ähnliche Zustände herrschen wie beim Handyverkauf.
Zum Schluss noch drei Abo-Ideen, die mir beim Schreiben des Postings in den Sinn
kamen. Was halten Sie von den drei Ködern?
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Die Miele-Idee, ein Waschmittelabo an einen Waschmaschinenkauf zu koppeln, ist sicher
noch nicht das Ende des Abotrends. Hier drei weitere Angebote (zum Vergrößern und
genauer Lesen anklicken). Garantiert nicht erhältlich im Updates-Fanshop.
Anmerkungen:
1 Zur vollständigen Problemlösung “Saubere Kleidung” gehören, streng genommen, noch Strom, Wasser und die Handgriffe des Waschmaschinennutzers
(z. B. dreckige Wäsche einlegen, Waschprogramm wählen, saubere Wäsche
herausnehmen).
2 Die Alleinstellung ihrer komplementären Nachkaufprodukte wird von Firmen wie
Nestlé (Nespresso), Hewlett Packard (Drucker) und Lego (Spielsteine) mit Zähnen
und Klauen verteidigt. Das bringt zumindest temporär die Vorteile, die Kunden “am
Haken zu haben”. In der Regel gibt es aber auch Nachahmer, die versuchen, in
attraktive Märkte für Systemprodukte einzudringen. Gerade hat z. B. die Ethical
Coffee Company (ECC) vor Gericht einen Sieg gegen Nestlé erzielt. ECC darf
Nespresso-kompatible Kaffeekapseln vermarkten (→ faz.net).
Literatur:
 Schallmo, D.: Geschäftsmodelle erfolgreich entwickeln und implementieren,
Wiesbaden 2013. Alles Wichtige zum Thema Geschäftsmodelle in einem Lehrbuch. In der Bibliothek der Hochschule Ulm unter “658.01 Scha” zu finden. Das
Kapitel “Theoretische Grundlagen” ist auf → springer.com online.
 Wettengl, S.: Schnellkurs BWL, Weinheim 2015, S. 45-49. Das Allerwesentlichste
zum Thema Geschäftsmodelle auf 4 Seiten.
Tags:
Dienstleistungen • Geschäftsmodell • Geschäftsmodellinnovation
• Hausgeräte • Kompatibilität • Komplementarität • Preispolitik
Unternehmen: Miele
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