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Jahrbuch 2003/2004 | Betz, Heinrich; Müller, Ulrike | Molekulare Analyse der synaptischen Hemmung
Molekulare Analyse der synaptischen Hemmung
Molecular analysis of synaptic inhibition
Betz, Heinrich; Müller, Ulrike
Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Frankfurt am Main
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Die Aktivitäten des Nervensystems w erden durch das präzise
Zusammenspiel von erregenden und
hemmenden Impulsen bestimmt. Die Abteilung Neurochemie erforscht die molekularen Mechanismen, w elche
Hemmung an zentralnervösen Schaltstellen zw ischen Nervenzellen vermitteln. Dabei gilt ein besonderes
Interesse der Funktion von Membranproteinen, w elche Hemmung durch die Aminosäure Glyzin vermitteln oder
regulieren. Im Berichtsjahr konnten durch die Herstellung von Mausmutanten für spezifische Subtypen von
sog. Glyzintransportern und Glyzinrezeptoren w ichtige Funktionen bei der Hemmung motorischer und
Schmerzempfindungen übertragender Schaltkreise identifiziert w erden. Die erhaltenen Befunde sind für die
Entw icklung neuer Neuropharmaka w ichtig.
Summary
The proper functioning of the nervous system requires a precise interplay of excitatory and inhibitory nerve
impulses. Our department investigates the molecular mechanisms of synaptic inhibition in the central nervous
system. A particular focus are studies on the function of membrane proteins w hich mediate or regulate
inhibition by the amino acid glycine. By generating mouse mutants for specific subtypes of glycine transporters
and glycine receptors, important functions of these proteins in the inhibition of motor and pain pathw ays could
be identified. Our results are important for the development of new neuroactive drugs.
Die Aminosäure Glyzin ist neben der γ-Aminobuttersäure (GABA) die w ichtigste hemmende Überträgersubstanz
(Neurotransmitter) im zentralen Nervensystem. Glyzin w ird in Nervenendigungen in kleinen sog. synaptischen
Vesikeln gespeichert und bei Erregung an den Schaltstellen zw ischen Nervenzellen, den Synapsen, auf
Zielneurone ausgeschüttet. Dort bindet es an spezifische Glyzinrezeptoren, w elche porenartige Ionenkanäle in
der Zellmembran von Neuronen ausbilden. Nach Bindung des Transmitters Glyzin öffnet sich der RezeptorKanal, und Chlorid-Ionen strömen in die Zelle ein. Dieser Ionenfluss hemmt die Nervenreizleitung und dämpft
das "Feuern" der Neurone. Nach der Rezeptorbindung w ird Glyzin durch hochaffine Transportsysteme, die sog.
Glyzintransporter,
in
die
Nervenendigung
bzw .
umliegenden
Gliazellen
aufgenommen
und
so
der
Übertragungsvorgang beendet.
Für Glyzin sind im Zentralnervensystem von Säugetieren zw ei verschiedene Transporterproteine bekannt. Das
eine (GlyT1) ist in den die Nervenzellen umgebenden Stütz- oder Gliazellen lokalisiert, das zw eite (GlyT2)
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hochspezifisch in Hemmung vermittelnden Interneuronen des Rückenmarks und Hirnstamms exprimiert. Um die
spezifischen Funktionen dieser Glyzintransporter präziser zu erhellen, w urden Mauslinien entw ickelt, in denen
die GlyT1- bzw . GlyT2-Gene inaktiviert sind. Diese Mauslinien stellen Tiermodelle für zw ei seltene neurologische
Erbkrankheiten des Menschen dar, die so genannte Glyzinenzephalopathie, w elche zu einer schw eren Störung
der
Hirnentw icklung
und
Tod
im frühen
"Schreckkrankheit", deren schw ere
Kindesalter
Formen ebenfalls
führt, und
die
hereditäre
Hyperekplexie
oder
mit frühem Kindstod einhergehen können. Die
Untersuchung der Mutantentiere ergab, dass GlyT1 hauptsächlich für die Terminierung der glyzinergen
Neurotransmission verantw ortlich ist, w ährend GlyT2 die W iederaufnahme von Glyzin in die vorgeschaltete
Nervenendigung vermittelt und dadurch die Bereitstellung von Glyzin für neue Übertragungsvorgänge sichert.
Somit haben gliale und neuronale Transporter unterschiedliche Funktionen.
Die an den Glyzintransporter-defizienten Mauslinien gew onnenen Erkenntnisse sind für die Entw icklung neuer
therapeutischer Ansätze von Bedeutung. Das GlyT1-Protein z. B. gilt derzeit als eines der w ichtigsten
Zielmoleküle für die Entw icklung neuer bei Schizophrenie w irksamer Pharmaka. Die genauen Ursachen dieser
häufigsten psychiatrischen Erkrankung sind bisher ungeklärt. In Tierversuchen und klinischen Studien an
Schizophreniepatienten konnte aber gezeigt w erden, dass die verbesserte Aktivierung des Glyzin-abhängigen
erregenden NMDA-Rezeptors durch direkte Glyzinsubstitution oder pharmakologische Hemmung der GlyT1vermittelten
Glyzinaufnahme
typische
Symptome
der
Schizophrenie
deutlich
reduziert.
Etliche
Forschungslabors in Pharmafirmen suchen deshalb nach klinisch nutzbaren Inhibitoren von GlyT1, da solche
Stoffe für die Behandlung von Psychosen vielversprechend erscheinen. Die jetzt durch Geninaktivierung
erhaltenen Befunde
lassen vermuten, dass derartige Therapieansätze möglicherw eise mit erheblichen
Nebenw irkungen behaftet sind, da GlyT1 vitale Funktionen an hemmenden Synapsen im Hirnstamm hat. In
neugeborenen GlyT1-defizienten Tieren führt die verminderte Glyzinaufnahme zu einer verstärkten Aktivierung
hemmender Rezeptoren, w odurch es zu einer lethalen Suppression des Atemrhythmus kommt.
In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Müller, der Abteilung Neuroanatomie und vielen Kollegen aus dem
In- und Ausland gelang außerdem bei Arbeiten an einem Subtyp des inhibitorischen Glyzinrezeptores, GlyRα3,
die Identifikation eines bisher nicht bekannten Steuermechanismus bei der Schmerzverarbeitung. Mithilfe
genetisch veränderter Mäuse konnte jener molekulare Signalw eg aufgeklärt w erden, der bei Entzündungen zu
einer verstärkten Schmerzreizleitung vom Rückenmark zum Gehirn führt. Entzündungsreaktionen, die als Folge
einer Gew ebeverletzung entstehen können, gehen typischerw eise mit einer erhöhten Empfindlichkeit
gegenüber Schmerzen einher. Hierbei führen Reize, die bereits unter Normalbedingungen als schmerzhaft
empfunden w erden, zu einer massiv verstärkten Schmerzreaktion (Hyperalgesie), und an sich neutrale Reize,
w ie
beispielsw eise
leichte
Berührungen,
können
heftige
Schmerzen
auslösen
(Allodynie).
Diese
inflammatorische Sensitisierung gegenüber Schmerzreizen ist z. T. auf eine erhöhte Erregbarkeit der
peripheren Nervenzellen zurückzuführen. Forschungsarbeiten der letzten Jahre zeigen aber, dass auch
Nervenzellen des Rückenmarks durch entzündliche Prozesse empfindlicher w erden.
Hierbei spielen
Prostaglandine, eine
Klasse
von
Botenstoffen, die
w ährend
Entzündungsreaktionen
ausgeschüttet w erden, eine zentrale Rolle. So beruht die W irkungsw eise von Schmerzmitteln w ie Aspirin auf
der Hemmung der Prostaglandin-Synthese. Interessanterw eise w erden Prostaglandine, insbesondere der
Subtyp E2 (PGE2), nicht nur von Zellen in der unmittelbaren Umgebung des Entzündungsherdes produziert,
sondern auch im Rückenmark steigt der Prostaglandin-Spiegel massiv an. Das eingehende Schmerzsignal w ird
somit im Rückenmark über eine PGE2-abhängige Signalkaskade nochmals verstärkt. Diese Verstärkung erfolgt
in den oberflächlichen Schichten des Rückenmarks, dem dorsalen Horn. Dieses ist die zentrale Schaltstelle
zw ischen schmerzempfindlichen Nervenfasern der Peripherie und nachgeschalteten Nervenzellen, die das
Signal dann zum Gehirn w eiterleiten.
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Ziel
der
Arbeit
w ar
ursprünglich,
die
Funktion
des
GlyRα3-Subtyps
zu
verstehen.
Hierzu
w urden
Gew ebeschnitte des Rückenmarks von Mäusen mit Fluoreszenz-markierten Antikörpern gegen GlyRα3 inhibiert
(v g l. Abb. 1). Diese Versuche ergaben für GlyRα3 eine spezifische Lokalisation im dorsalen Horn des
Rückenmarks, w as auf eine mögliche Funktion des Rezeptors in der Schmerzreizleitung hinw ies. Aus
elektrophysiologischen Untersuchungen der Arbeitsgruppe von Hanns-Ulrich Zeilhofer von der Universität
Erlangen-Nürnberg w ar bekannt, dass die Nervenimpulsleitung von Neuronen des dorsalen Horns durch
Prostaglandine moduliert w ird und dass hierbei Glyzin-Rezeptoren beteiligt sind. Mithilfe von genetisch
modifizierten Mäusen, in denen das Gen für GlyRα3 inaktiviert w urde, w urden in Zusammenarbeit mit Zeilhofer
gezeigt, dass spezifisch die α3-Isoform des Glyzinrezeptors von Prostaglandinen moduliert w ird und diesen
Rezeptoren damit eine Schlüsselfunktion in der inflammatorischen Schmerzsensitisierung zukommt.
Eine im m unhistoche m ische Fä rbung de s R ück e nm a rk s m it
Antik örpe rn ge ge n GlyR α3 (grün) und Ge phyrin (rot) ze igt die
spe zifische Lok a lisa tion von GlyR α3 im dorsa le n Horn.
© P rof. He inz W ä ssle
So zeigten elektrophysiologische Messungen an Rückenmarksschnitten von GlyRα3-defizienten Tieren nicht die
typische Hemmung der Glyzin-abhängigen Nervenreizleitung. Um herauszufinden, w elche Rolle GlyRα3 in der
physiologischen Schmerzantw ort hat, w urde die Schmerzempfindlichkeit von GlyRα3-defizienten mit der von
normalen Mäusen verglichen. Beide Tiergruppen reagierten in gleicher Weise auf akute Schmerzreize. W urde
jedoch zunächst eine Entzündungsreaktion, zum Beispiel durch Injektion einer irritierenden Substanz in die
Pfote induziert, so blieb die hierdurch in normalen Mäusen ausgelöste, langanhaltende Schmerzsensitisierung
in den GlyRα3-defizienten Tieren aus.
Zusammenfassend zeigen diese Versuche, dass die Hemmung von GlyRα3 essentiell ist für die nach
Entzündungen gesteigerte Schmerzreizleitung durch Rückenmarksneurone. Auf molekularem Niveau löst die
Bindung des Prostaglandins PGE2 an Zelloberflächenrezeptoren die Aktivierung einer Signalkaskade aus, die
zur Übertragung von Phosphatgruppen auf GlyRα3 führt (vgl. Abb. 2). Hierdurch w ird der Rezeptor inaktiviert
und kann seine hemmende W irkung auf die Schmerzreizleitung nicht mehr ausüben. Letztlich führt dies zu
einer gesteigerten Aktivität der Rückenmarksneurone, das Schmerzsignal w ird somit stärker. Die Entw icklung
von Substanzen, w elche diesen Signalw eg unterbinden, könnte zu neuen Therapien für chronische
Schmerzzustände führen.
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Bindung von Glyzin a n de n GlyR α3 führt norm a le rwe ise zum
Einstrom von C hloridione n und da m it zur He m m ung de r
Ne rve nre izle itung. In Ge ge nwa rt de s P rosta gla ndins P GE2
k om m t e s zur P hosphorylie rung und Ina k tivie rung de s
R e ze ptors GlyR α3. Die se Block a de e rle ichte rt die ne urona le
Ak tivie rung und Schm e rzre izle itung.
© P D Dr. Ulrik e Mülle r
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