Allmenderessourcen, Märkte und die Unsichtbare Hand

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Allmenderessourcen, Märkte und die
Unsichtbare Hand
Dr. André Casajus∗ und Dipl.-Soz. Andreas Tutic∗†
(Juli 2007, diese Version: August 4, 2007)
Zusammenfassung
Allmendeprobleme sind eine eigenständige Form eines sozialen Dilemmas,
d.h. Allmendeprobleme stellen Situationen dar, die es den Akteuren nicht ermöglichen, durch dezentrale Koordination sozial optimale Ergebnisse zu erzielen. Allmendeprobleme bestehen immer dann, wenn eine Gruppe von Agenten
gemeinsam eine Ressource nutzt und es dabei zu negativen externen Effekten
kommt. Dies führt typischerweise zu einer Übernutzung der Ressource. In
diesem Beitrag zeigen wir zum Einen, dass größere Gruppen zu größerer Ineffizienz bei der Nutzung der Allmenderessource tendieren. Weiterhin zeigen wir
auf, dass die Marktnachfrage aus Sicht der Unternehmen als Allmenderessource
gedeutet werden kann. Perfekte Wettbewerbsmärkte sind gerade deshalb effizient, weil sie die Anbieter am Markt der intensivsten Form eines sozialen
Dilemmas aussetzen.
∗
Universität Leipzig,
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät,
Mikroökonomik, PF 100920, D-04009 Leipzig, Germany
†
korrespondierender Autor, e-mail: [email protected]
Professur
für
1. Einleitung
Soziale Dilemmata sind Situationen, in denen dezentrale Koordination zu
Ergebnissen führt, die aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive suboptimal
sind. Im Allgemeinen führt das Bestehen von externen Effekten, die die
Individuen nicht in ihren separaten Verhaltenskalkülen berücksichtigen, zu
ineffizienten Gleichgewichten. Ein prominentes Beispiel ist das GefangenenDilemma:
c
d
c 3, 3 0, 5
d 5, 0 1, 1
Im Gefangenen-Dilemma wählen zwei Spieler simultan eine der beiden Strategien c und d. Je nach dem, welche Kombination von Strategien resultiert,
erhalten die beiden Spieler Auszahlungen, wie sie in der Tabelle zusammengefasst sind; links steht jeweils die Auszahlung des Zeilenwählers und rechts die
des Spaltenwählers. Externe Effekte bestehen hier insofern, als dass jeder
Spieler es vorzieht, dass der andere die Strategie c statt d wählt. Da beide
Spieler unabhängig davon, welche Strategie der andere Spieler wählt, vorziehen
d zu wählen, gibt es im Gefangenen-Dilemma ein eindeutiges Gleichgewicht,
(d, d). Beide Spieler erhalten also eine Auszahlung von 1; durch die Wahl
der Strategiekombination (c, c) könnten jedoch beide Spieler besser gestellt
werden, Auszahlung 3. Die Pareto-optimale Strategiekombination (c, c) ist
allerdings kein Gleichgewicht, weil jeder Spieler einen Anreiz hätte, einseitig
auf d auszuweichen, um sich so die Auszahlung 5 zu sichern. Das GefangenenDilemma ist also ein Beispiel für ein soziales Dilemma, weil es eine Situation
darstellt, in der das eindeutige Nash-Gleichgewicht ineffizient ist.
In diesem Aufsatz möchten wir eine spezielle Form sozialer Dilemmata
vorstellen, sogenannte Allmendeprobleme. Hardin hat in seinem einflussre- Illustratives
ichen Beitrag The Tragedy of the Commons (1968) ein einfaches Beispiel für Beispiel
ein solches Problem beschrieben. Eine Gruppe von Bergbauern besitzt und
nutzt gemeinsam eine Weide. Wenn ein Bergbauer darüber entscheidet, ob
er eine weitere Kuh auf die Weide treibt, wird er zwei Effekte gegeneinander
abwägen. Einerseits kann er dadurch eine weitere Kuh ernähren, andererseits
nimmt die durchschnittliche Futtermenge an Gras für jede Kuh ab, so dass
jede seiner Kühe, die sich schon auf der Weide befinden, weniger Milch gibt.
Ein Bergbauer wird erst dann damit aufhören, weitere Kühe auf die Weide
2
zu treiben, wenn sein persönlicher Verlust aus der zusätzlichen Nutzung der
Weide seinen persönlichen Gewinn aus der zusätzlichen Kuh übersteigt. Diese
Verhaltensweise führt aber aus gesellschaftlicher Sicht zur Übernutzung. Denn
sozial optimal wäre es, schon dann aufzuhören, weitere Kühe auf die Weide zu
treiben, wenn der soziale Schaden aus dem Gewichtsverlust (aufgrund der reduzierter Futtermenge) aller schon auf der Weide grasenden Kühe den Gewinn
aus der zusätzlichen Kuh übersteigt. Der einzelne Bergbauer berücksichtigt
jedoch nur den Gewichtsverlust der eigenen Kühe auf der Weide, und treibt
daher zuviele hinauf.
Intuitiv formuliert, besteht ein Allmendeproblem immer dann, wenn eine
Gruppe von Agenten eine gemeinsame Ressource, die sogenannte Allmenderessource, unkoordiniert nutzt. In einer solchen Situation ist typischerweise mit Übernutzung zu rechnen, weil jeder Agent die Allmenderessource
in einem solchen Maße beanspruchen wird, dass sich sein individueller marginaler Ertrag und seine individuellen marginalen Kosten ausgleichen. Bei
Allmenderessourcen sinkt aber der Ertrag für die anderen Nutzer, wenn ein
bestimmter Agent seine Nutzung ausdehnt, so dass es negative externe Effekte gibt. Diese führen zur ineffizienten Nutzung der Ressource. Allmendeprobleme sind daher soziale Dilemmata, d.h. Situationen, bei denen die
„Unsichtbare Hand“ (Smith [1776] 1937: 432), die dezentrale Koordination
auf Märkten zu sozial optimalen Ergebnisse führt, versagt. Weitere Beispiele
für Allmendeprobleme (vgl. Ostrom 1990) sind die Befischung gemeinsamer weitere
Fischgründe, die Bejagung von Walschulen in internationalen Gewässern, die Beispiele
Nutzung gemeinsamer Bewässerungsanlagen in trockenen Regionen oder auch
die Verteilung von Sitzplätzen in der Uni-Bibliothek.
In diesem Beitrag wollen wir zunächst Allmendeprobleme als Spiele im
Sinne der nicht-kooperativen Spieltheorie beschreiben und aufzeigen, dass es
sich dabei um eine Form eines sozialen Dilemmas handelt, d.h. dass die Gleichgewichte dieser Spiele ineffizient sind. In einem zweiten Schritt wollen wir
zeigen, dass die Nachfrage auf einem Markt als Allmenderessource gedeutet
werden kann. Schließlich zeigen wir, dass ein perfekter Wettbewerbsmarkt
gerade deshalb die gesellschaftliche Wohlfahrt maximiert, weil er die Anbieter
einem Allmendeproblem aussetzt. Dies illustriert die Funktionsweise sozialer
Institutionen: Institutionen dienen einerseits dazu, soziale Dilemmata durch
veränderte Anreizstrukturen zu entschärfen (z.B. Pigou-Steuern), andererseits
kann es für die Gesellschaft optimal sein, Teilgruppen einem institutional-
3
isierten sozialen Dilemma auszusetzen, solange dies ausreichend positive Effekte für die Anderen impliziert.
2. Allmendeprobleme als generische Form eines sozialen
Dilemmas
In diesem Abschnitt formulieren wir Allmendeprobleme als Spiele in strategischer Form, geben für eine allgemeine Klasse von Problemen die Gleichgewichte
an und zeigen, dass diese ineffizient sind.
2.1. Allmendeprobleme als Spiele
Mit Ostrom, Gardner & Walker (1992, 1994) können wir ein Allmendeproblem
allgemein wie folgt beschreiben: Einige Agenten entscheiden simultan über ihr
jeweiliges Aktivitätsniveau (wie viele Kühe jeder auf die Weide treibt). Das aggregierte Aktivitätsniveau (Gesamtanzahl der Kühe) bestimmt den Gesamtertrag für die Gruppe. Der Anteil am Gesamtertrag für einen Agenten i ist proportional zu seinem Aktivitätsniveau. Formal können wir ein Allmendeprob- Modellierung
lem als Tripel (N, F, c) schreiben: N bezeichnet die (endliche und nichtleere)
Menge der Spieler, F : R+ → R+ die Outputfunktion (R+ meint die nichtnegativen reellen Zahlen), wobei F (X) den Output, der durch die Ressource
generiert wird, als Funktion der aggregierten Aktivitätsniveaus X der Spieler
angibt und c die konstanten und interindividuell identischen Grenz- und Durchschnittskosten der Aktivität. Die Funktion F ist dabei streng konkav und differenzierbar. Außerdem gibt es ein (aggregiertes) Aktivitätsniveau X̄ ∈ R+ ,
dF
dF
so dass dX
> 0 für alle X < X̄ und dX
≤ 0 für alle X ≥ X̄.
Ein solches Tripel induziert ein Spiel (N, (Si )i∈N , (ui )i∈N ) in strategischer
Form, wobei Si = R+ die Strategiemenge von Spieler i ∈ N darstellt und die
Auszahlungsfunktion wie folgt definiert ist
ui (xi , x−i ) =
xi
F (X) − c · xi .
X
P
Dabei setzen wir X :=
i∈N xi und x−i := (xj )j∈N\{i} . In diesem Beitrag
wollen wir den einfachen Fall einer quadratische Funktion F (X) = aX − bX 2 , Annahmen
wobei a, b > 0, für illustrative Zwecke durchgängig voraussetzen. Schließlich über
nehmen wir noch a > c an. Dies stellt sicher (vgl. Abschnitt 2.4), dass im F (·)
Nash-Gleichgewicht und im sozialen Optimum die Allmenderessource über4
haupt genutzt wird.
Frage 1. Skizzieren Sie diese Funktion und bestimmen Sie X̄ analytisch!
Die Auszahlungsfunktion eines typischen Spielers i ∈ N ist dann gegeben
durch
xi
ui (xi , x−i ) = (aX − bX 2 ) − cxi .
X
2.2. Gleichgewicht des Allmendeproblems
Ein Nash-Gleichgewicht ist ein Vektor (x̂i )i∈N von Aktivitätsniveaus, so
dass kein Spieler einen Anreiz hat, einseitig sein Verhalten zu ändern. For- Gleichgewichtsmaler gefasst, gilt für alle Spieler i ∈ N in einem Nash-Gleichgewicht, dass konzept
ui (x̂i , x̂−i ) ≥ ui (xi , x̂−i ) für alle xi ∈ Si .
Wir bestimmen nun zunächst das symmetrische Nash-Gleichgewicht in unserem Allmendeproblem und zeigen dann, dass es kein weiteres Gleichgewicht
gibt. Zu diesem Zweck leiten wir die Auszahlungsfunktion eines repräsentativen Agenten i nach seinem eigenen Aktivitätsniveau ab und setzen diese gleich 0. Unter Verwendung der Ketten-, Quotienten- und Produktregel erhalten
wir
∂ui
x̂−i x̂i
!
= (aX̂ − bX̂ 2 )
+ (a − 2bX̂) − c = 0.
2
∂xi
X̂
X̂
In einem symmetrischen Nash-Gleichgewicht gilt x̂i = x̂j = x̂, für alle i, j ∈ N
und damit X̂ = n · x̂ bzw. x̂−i = (n − 1) · x̂, so dass wir diese Optimalitätsbedingung auch so aufschreiben können:
∂ui
(n − 1)x̂ 1
!
= (anx̂ − bn2 x̂2 )
+ (a − 2bnx̂) − c = 0
∂xi
n2 x̂2
n
Wir lösen nach dem individuellen x̂ und aggregierten Aktivitätsniveau
X̂ im symmetrischen Nash-Gleichgewicht, x̂, auf und erhalten
x̂ =
a−c
(n + 1)b
und
X̂ =
n a−c
.
n+1 b
Wir möchten nun zeigen, dass es in diesem Spiel kein zweites Nash-Gleichgewicht
gibt. Bereits gezeigt wurde, dass es nur ein Nash-Gleichgewicht gibt, in dem Eindeutiges
alle Spieler dasselbe, echt positive Aktivitätsniveaus haben. Potentielle wei- Gleichtere Gleichgewichte können also nur noch eine der beiden folgenden Form an- gewicht
nehmen:
• kein Agent hat ein positives Aktivitätsniveau;
5
• die Agenten haben unterschiedliche Aktivitätsniveaus.
Versuchen Sie selbst, den ersten dieser beiden Fälle auszuschließen!
Frage 2. Zeigen Sie, dass x∗i = 0 für alle i ∈ N kein Nash-Gleichgewicht
darstellt!
Angenommen, es gäbe ein Nash-Gleichgewicht (x̂i )i∈N , in dem es zwei
Spieler i, j ∈ N gibt, die nicht dasselbe Aktivitätsniveau haben, x̂i > x̂j ≥ 0.
Dann aber gälte
∂uj ∂ui
x̂i − x̂j x̂j − x̂i
−
= (aX̂ − bX̂ 2 )
+
(a − 2bX̂)
∂xj ∂xi
X̂ 2
X̂
´ x̂ − x̂
³
i
j
2
= aX̂ − bX̂ − aX̂ + 2bX̂
2
X̂
= b (x̂i − x̂j ) > 0.
∂u (x̂)
Da im Nash-Gleichgewicht ∂u∂xi (x̂)
= 0 gilt, impliziert dies ∂xj j > 0, d.h.,
i
Spieler j könnte seinen Nutzen durch eine Erhöhung seines Aktivitätsniveaus
vergrößern — im Widerspruch dazu, dass x̂ ein Nash-Gleichgewicht ist. Also
gibt es kein Nash-Gleichgewicht mit unterschiedlichen Aktivitätsniveaus.
2.3. Allmendeprobleme mit einer großen Anzahl von Agenten
Wenn wir ein Allemende-Problem mit einer sehr großen Anzahl von Agenten betrachten, können wir auch einfach den Durchschnittsertrag des aggregiertes Aktivitätsniveaus F (X)
gleich den Grenzkosten c setzen, um das
X
aggregierte Aktivitätsniveau im Nash-Gleichgewicht zu bestimmen: Einerseits
erhält man aus
F (X)
!
= a − bX = c
X
⇔
X=
a−c
,
b
und andererseits
lim X̂(n) = lim n
n→∞
n→∞
a−c
a−c
=
.
b(n + 1)
b
Die ökonomische Intuition zu diesem Ergebnis kann man sich wieder an Hardins
Beispiel klarmachen:
In dem Bergdorf leben nun sehr viele Bergbauern, die wiederum sehr viele wieder
Kühe besitzen, welche–ceteris paribus–jeweils gleich viel Milch geben. Die im
Sennerin des Dorfes verlangt für Auf- und Abtrieb sowie die Versorgung einen Bergdorf
6
Betrag von c pro Kuh. Sonst fallen keine Kosten für das Halten einer Kuh auf
der Alm an.
Vor dem Almauftrieb werden die aufzutreibenden Kühe am Dorfausgang
auf einer Weide versammelt. Jeder Bergbauer muss nun entscheiden, wie viele
Kühe er mit der Sennerin auf die Alm schicken möchte. Wann lohnt es sich
für einen Bergbauern, der noch keine seiner Kühe auf dieser Weide hat, eine
Kuh dazu zu stellen? Doch gerade dann, wenn der Ertrag pro Kuh, der Durchschnittsertrag F (X)
, nicht kleiner als die Kosten c sind, wobei X die Anzahl
X
der Kühe einschließlich der seinen ist und F (X) der Gesamtertrag aller Kühe.
Es ist nun plausibel, dass dieser Durchschnittsertrag mit steigender Anzahl
der Kühe auf der Alm abnimmt und bei hinreichend großer Anzahl von Kühen
auf c fällt. Solange der Durchschnittsertrag noch nicht auf c gefallen ist, wird
sich also ein Bergbauer finden, der seine erste Kuh noch auf die Alm treiben
lassen will. Da es sehr viele Bergbauern mit sehr vielen Kühen gibt, werden
schließlich so viele Kühe auf der Alm grasen, dass der Durchschnittsertrag
gleich den konstanten Grenzkosten c ist.
2.4. Ineffizienz des Gleichgewichts von Allmendeproblemen
Eine effiziente Nutzung (vgl. Wiese & Casajus 2001) der Allmenderessource
liegt genau dann vor, wenn der marginale Ertrag aus der Erhöhung des aggregiertes Aktivitätsniveaus gerade den marginalen Kosten entspricht:
∂(F (X) − cX)
!
= a − 2bX e − c = 0
∂X
⇔
Xe =
a−c
.
2b
Vergleicht man das effiziente, aggregierte Aktivitätsniveau X e mit dem gleichgewichtigen X̂ stellt man fest, dass dezentrale Koordination bei der Wahl
des Aktivitätsniveaus zu einer Übernutzung der Ressource führt. Wenn
X e (a,b,c)
man den Quotienten 12 ≤ X̂(a,b,c,n)
≤ 1 als Maß für den Grad der Effizienz
1
definiert ( 2 : völlige Ineffizienz, 1: völlige Effizienz) lassen sich komparativstatische Aussagen über das Ausmaß der Ineffizienz in Abhängigkeit von der
Variation exogener Parameter treffen. Insbesondere nimmt die Effizienz der
Nutzung mit steigender Gruppengröße ab.
Frage 3. Zeigen Sie, dass die Effizienz des Gleichgewichts mit steigender Agentenanzahl abnimmt!
Abbildung 2.1 illustriert die Zusammenhänge. Im sozialen Optimum X e
entspricht die Steigung der Output-Funktion F gerade der der Kostenfunktion
7
Ineffizienz
großer
Gruppen
c ⋅ X , F (X )
c⋅ X
n→∞
n =1
F (X )
Xe
X
X̂ ∞
X
Figure 2.1: Das Allmendeproblem
cX. Wenn eine Allmenderessource nur von einem Agenten (n = 1) genutzt
wird, bestehen keine externen Effekte und es kommt daher nicht zu Ineffizienzen. Wenn wir ein große Anzahl von Agenten voraussetzen (n → ∞), ist
im Nash-Gleichgewicht X̂ ∞ aber nicht der Grenzerlös, sondern der Durchschnittserlös gleich den Grenzkosten. Bei streng konkaven Funktionen ist
der Grenzerlös stets geringer als der Durchschnittserlös, sodass es zur Übernutzung der Allmenderessource kommt, d.h. der Schnittpunkt von Erlös- und
Kostenkurve liegt rechts vom sozialen Optimum. Mit abnehmender Gruppengröße wandert das aggregierte Aktivitätsniveau X̂ n in Richtung auf das soziale
Optimum.
3. Die Marknachfrage als Allmenderessource
Die allgemeine Gleichgewichtstheorie (z.B. Varian 1992: Kapitel 21) hat
gezeigt, dass ein System perfekter Wettbewerbsmärkte Gleichgewichte generiert, die Pareto-optimal sind. Tatsächlich kann man mithilfe der kooperativen Spieltheorie sogar noch eine stärkere Behauptung zeigen: Märkte führen
nicht nur zu Pareto-optimalen Allokationen, sondern es gibt auch keine Teilgruppe, die mit ihren eigenen Ressourcen sämtliche Mitglieder besserstellen
kann. In technischen Termen formuliert: Jede Marktallokation liegt im Kern
(vgl. Wiese 2004) der Ökonomie (z.B. Wiese 2005: S. 270ff). Märkte haben
8
Märkte
sind
effizient
also eine integrative Wirkung — es kann keine Teilgruppe geben, die davon
profitieren könnte, sich aus einer Marktwirtschaft zu verabschieden.
Wettbewerbsmärkte stellen also eine Institution dar, die die Akteure gerade mit keinem sozialen Dilemma konfrontiert. In diesem Abschnitt möchten scheinbares
wir zunächst ein scheinbares Paradox präsentieren, um schließlich zu zeigen, Paraan welcher Stelle der Schein trügt. Das Paradox besteht darin, dass man das dox
Geschehen auf einem Markt auf natürliche Weise als Allmendeproblem formulieren kann. Wenn dem so ist, wie kann es dann sein, dass Märkte effiziente,
Allmendeprobleme aber ineffiziente Gleichgewichte haben? Diese Frage beantworten wir am Ende dieses Beitrags.
3.1. Märkte als Allmendeprobleme
Cournot hat als erster oligopolistische Märkte analysiert. Ein CournotOligopol-Modell hat folgende Bestandteile: Es gibt eine inverse Nachfragefunktion p : R+ → R+ , X 7→ p(X), die für jede Menge X angibt, wie hoch der
Preis sein muss, damit genau X Einheiten abgesetzt werden. Weiterhin gibt
es eine Menge von Unternehmen N, die simultan ihre Ausbringungsmengen
(xi )i∈N festlegen. Vereinfachend setzt man dabei die Linearität der inversen
Nachfragefunktion p(X) = a − bX sowie konstante und identische Grenz- und
Durchschnittskosten der Unternehmen i ∈ N voraus: ci = c. Ein typisches
Unternehmen i hat also die folgende Gewinnfunktion:
π(xi , x−i ) = (a − bX)xi − cxi = (aX − bX 2 )
xi
− cxi ,
X
wobei X wiederum die aggregierte Ausbringungsmenge aller Unternehmen
bezeichnet. Ein Vergleich dieser Gewinnfunktion mit der Auszahlungsfunktion bei Allmendeproblemen zeigt, dass das Cournot-Oligopol aus Sicht der
Unternehmen ein Allmendeproblem darstellt. Ökonomisch lässt sich diese Tatsache folgendermaßen interpretieren: Alle am Markt agierenden Unternehmen
nutzen die Ressource „Marktnachfrage“, wobei externe Effekte auftreten. Erhöht ein Unternehmen seine Ausbringungsmenge, fällt der Preis, was auch den
Gewinn der anderen Unternehmen sinken lässt.
3.2. Perfekte Wettbewerbsmärkte
Wir haben bereits in Abschnitt 2.3 gezeigt, dass das Gleichgewicht von Allmendeproblemen mit einer großen Anzahl von Spielern bestimmt werden kann,
9
wenn man den Durchschnittsertrag der Allmenderessource gleich den Grenzkosten der Erhöhung des Aktivitätsniveaus setzt. In der mikroökonomi- Grenzfall
schen Preistheorie findet sich dieser Zusammenhang in der Idee der Preisnehmerschaft auf perfekten Wettbewerbsmärkten wieder. Dort, so die Vorstellung, agieren so viele Unternehmen, dass das einzelne Unternehmen durch
Variation seiner eigenen Ausbringungsmenge den Preis nicht beeinflusst. Der
Gesamtertrag der Allmenderessource „Nachfrage“ ist der aggregierte Erlös der
Unternehmen: R(X) = (a − bX)X. Entsprechend ist der durchschnittliche
Ertrag gerade der Preis: R(X)
= a − bX = p(X). Wir sehen also über den
X
Umweg der Reformulierung der Situation als Allmendeproblem, dass ein perfekter Wettbewerbsmarkt als Grenzfall des Cournot-Oligopols bei sehr vielen
Unternehmen aufgefasst werden kann. Dies nennt man das Cournot-LimitTheorem (z.B. Shy 1996: S. 101).
Die ökonomische Intuition zur Vorstellung der Preisnehmerschaft kann man
sich wie folgt klarmachen: Im Nash-Gleichgewicht eines Cournot-Oligopols
bringen die Unternehmen gerade soviele Einheiten aus, dass der marginale Ertrag den marginalen Kosten entspricht. Der marginale Ertrag einer weiteren
auf den Markt gebrachten Einheit ist aber im Allgemeinen kleiner als p, da
der Marktpreis aufgrund des gestiegenen Angebotes sinkt und der Oligopolist
für alle seine schon ausgebrachten Einheiten Preisabschläge hinnehmen muss.
Wenn die Zahl der Unternehmen steigt, bringt der einzelne Oligopolist im
Nash-Gleichgewicht aber immer weniger Einheiten aus, so dass die negative
Komponente des Grenzertrags gegen 0 geht, mithin der Grenz- gegen den
Durchschnittsertrag, d.h. gegen den Marktpreis, konvergiert:
dRi (xi ) ¯¯
lim
xj =x̂,j∈N
n→∞
dxi
∙
¸
dp
= lim
x̂i + p(X̂(n))
n→∞ dxi
∙
¸
a−c
+ p(X̂(n)) = lim p(X̂(n)) = c.
= lim −b
n→∞
n→∞
b(n + 1)
Wie aber können Wettbewerbsmärkte effizient sein, wenn sie gleichzeitig
die krasseste Form eines Allmendeproblems darstellen? Die Antwort wurde in
der Einleitung schon angedeutet: Es kann für die gesamte Gesellschaft optimal sein, Teilgruppen einem sozialen Dilemma auszusetzen, solange Andere
in ausreichend hohem Maße davon profitieren. Abbildung 3.1 illustriert dies
am Beispiel der Marktformenlehre. Die Ressource „Nachfrage“ wird aus
10
Auflösung
des
Paradox
p, MR
KR1
pM
p( X )
KR2
PR
c
p PC
MR
XM
X PC
X
Figure 3.1: Institutionalisierung eines Allmendeproblems
Sicht der Unternehmen nur im Monopolfall effizient genutzt. Ein Monopolist
maximiert seinen Gewinn, wenn er die Monopolmenge X m = a−c
ausbringt.
2b
Im Grenzfall einer völlig ineffizienten Nutzung der Ressource, dem perfekten
Wettbewerbsmarkt (c = p(X P C )), macht kein Unternehmen Gewinn. Dies
ist aber gesamtgesellschaftlich optimal, da die Produzentenrente des Monopolisten (P R) in der Konsumentrente aufgeht und die Nachfrager sogar noch
zusätzlich Rente (KR2 ) dazugewinnen, so dass die gesellschaftliche Wohlfahrt
schließlich P R + KR1 + KR2 anstatt P R + KR1 beträgt.
References
Hardin, G. (1968). The tradegy of the commons, Science 162: 1243—1248.
Ostrom, E. (1990). Governing the Commons. The Evolution of Institutions for
Collective Action, Cambridge University Press, Cambridge.
Ostrom, E., Gardner, R. & Walker, J. (1992). Covenants with and without
a sword: Self-governance is possible, American Political Science Review
86: 404—417.
Ostrom, E., Gardner, R. & Walker, J. (1994). Rules, Games, and CommonPool Ressources, University of Michigan Press, Ann Arbor.
11
Shy, O. (1996). Industrial Organization, The MIT Press, Cambridge.
Smith, A. (1937). The Wealth of Nations, Modern Library, New York.
Wiese, H. (2004). Der Kern - ein Lösungskonzept für kooperative Spiele, das
wirtschaftsstudium 2: 239—246, 252.
Wiese, H. (2005). Kooperative Spieltheorie, Oldenbourg, München.
Wiese, H. & Casajus, A. (2001). Pareto-Optimalität, das wirtschaftsstudium
11: 1541—1547, 1559.
4. Lösungen zu den Aufgaben
Frage 1. Skizzieren Sie diese Funktion und bestimmen Sie X̄ analytisch!
Vgl. Abbildung 2.1. Die Funktion F (X) = aX − bX 2 ist quadratisch mit
negativem Leitkoefizienten. Die gesuchte Menge X̄ liegt im Scheitelpunkt der
durch F beschriebenen Parabel. Diesen ermitteln wir über den Ansatz
dF
!
= a − 2bX̄ = 0
dX
und erhalten X̄ =
a
.
2b
Frage 2. Zeigen Sie, dass x∗i = 0 für alle i ∈ N kein Nash-Gleichgewicht
darstellt!
Einerseits gilt ui (x∗ ) = 0 und andererseits
ui (xi , x∗−i ) =
für xi =
a−c
.
2b
xi
(a − c)2
>0
(axi − bx2i ) − cxi =
xi
4b
Ein Agent i kann also einseitig profitabel von x∗ abweichen.
Frage 3. Zeigen Sie, dass die Effizienz des Gleichgewichts mit steigender Agentenanzahl abnimmt!
Als Maß für die Effizienz eines Gleichgewichts haben wir
a−c
X e (a, c, b)
n+1
1
1
2b
=
= +
a−c =
n b(n+1)
2n
2 2n
X̂(a, c, b, n)
eingeführt. Es ist leicht zu sehen, dass dieser Ausdruck mit steigendem n fällt.
12
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