Wie verhext! - Hysterie und Metapsychologie

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Wie verhext! Ein Seminar über Hysterie und Metapsychologie (2003)
“Da muss die Hexe Metapsychologie heran!” meinte Freud einmal lakonisch als würde er
konzedieren dass sein psychoanalytisches Lehrgebäude selbst Züge der Zauberei und des
verworrenen magischen Strebens in sich trägt, ähnlich jener Psychopathologie – der Hysterie
– zu deren Enträtselung es von ihm ursprünglich entwickelt wurde.
Umgangssprachliche Beschreibungen des hysterischen Charakters und der hysterischen
Verhaltensweisen lauten bei verschiedenen Autoren: “unecht”, “demonstrativ”, “unehrlich”,
“theatralisch”, “übertrieben”, “emotional” oder “unsachlich” – alles recht wertende Urteile,
denen man gern ein Zitat Freuds gegenüberstellen möchte: “dass man unter den Hysterischen
die geistig klarsten, willensstärksten, charaktervollsten und kritischsten Menschen finden
kann.” Die klassische Psychiatrie ist aber geneigt, jenen geläufigen Werturteilen zu folgen.
Da finden wir entsprechende Einteilungen der hysterischen Phänomene, wie etwa bei
Alarcon, in sieben verschiedenen Merkmalen: 1) theatralisches Verhalten 2) emotionale
Labilität, 3) eine aktive Abhängigkeitstendenz – im Englischen heißt das demanding
dependency, eine Abhängigkeit die ständig etwas vom Objekt aktiv fordert, 4)
Übererregbarkeit, 5) Egozentrismus, 6) verführerisches Verhalten und 7) die Suggestibilität.
Solche Merkmale haben ihre Wurzeln in einem vor-analytischen Verständnis der Hysterie,
welches in die Antike zurückreicht. Im Kaun-Papyrus des alten Ägyptens (14-13 Jh. vor Chr.)
finden wir die vielleicht erste Beschreibung der Hysterie mit einer kausalen Diagnose,
nämlich die “wandernde Gebärmutter”, als eine rein weibliche Erkrankung. Das antike
Griechenland nahm diese Sichtweise auf, etwa bei Platon im Timäus: “Der Uterus wandert im
Körper herum, was zu verschiedenen Sensationen führt.” Im zweiten vorchristlichen
Jahrhundert diagnostiziert der Arzt Galen die sexuelle Abstinenz als Ursache und schreibt von
einer “Unterdrückung des Menses und der Vaginalsekrete bei Frauen”. Als erster postuliert er
eine männliche Hysterie indem er meint, die sexuelle Abstinenz bei Männern könne zu
ähnlichen Erscheinungen führen.
Im christlichen Mittelalter kommt eine andere Kategorie der Besessenheit hinzu. Dabei muss
ich jetzt bereits auf einen modernen Autor, Lucien Israel hinweisen der bemerkt hat, die
Hexenverfolgungen hätten selbst den Hexensabbat verursacht: die kollektive „Orgie der
Hexen“ habe es vor den Verfolgungen nicht gegeben. Damit wird eine Polarisierung, ein
Aufstand, eine Rebellion, eine Parteinahme sichtbar. Für die Moderne schließt Israel auf ein
anderes Phänomen wenn er meint, das heutige Betreiben der Selbstmordverhütung, die
Modewelle der Prophylaxe, unter Umständen auch eine Zunahme an Selbstmorden
begünstigen könnte. Je mehr dafür agitiert wird das etwas als besondere Krankheit eingestuft
wird, umso mehr werden bestimmte Personen dazu gedrängt, gerade diese Wahl auf sich zu
nehmen.
Im aufgeklärten 19 Jh. wie bei Charcot finden wir die Hysterie als organische Erkrankung
wieder, diesmal nicht als wandernde Gebärmutter sondern als neurologische Störung, eine
degenerative Schädigung der Nervenbahnen. Allerdings hat Charcot Freuds Forschungen
bereichert, als er mit seiner Hypnose-Technik vorangegangene traumatogene Ereignisse
demonstrieren konnte. Nur hatte Charcot seine hysterischen Patientinnen nicht selbst sprechen
lassen. Er hatte sie in Trance versetzt und dann selbst über ihre Erlebnisse gesprochen. Der
amerikanische Psychiater Thomas Szasz bemerket dazu: „Vielleicht ist das Verschwinden des
klassischen hysterischen Anfalls nach Charcot kein Zufall oder kein rein kulturell bedingtes
Phänomen, sondern die Hysterikerinnen von Charcot hätten sich gemäß seinen Erwartungen
verhalten. Nach seinem Tod war kein Anlass mehr, diese grossen Anfälle zu produzieren.“
Hier war es wohl Freuds Verdienst, nicht all zu sehr auf Charcot zu hören, sondern auf seine
Patientinnen, um deren geheime Sprache zu entschlüsseln.
Folgen wir nun eine Weile lang der Entwicklung seiner Theoriebildung. Lassen wir die
Studien über Hysterie die er mit Breuer zusammen geschrieben hatte einmal beiseite so finden
wir in einem Aufsatz von 1893 seine Feststellung, für die Hysterie seien immer
Traumatisierungen verantwortlich, jedoch nicht unbedingt das eine große Trauma: er
postuliert, eine große Menge kleiner kontinuierlicher Traumatisierungen können die gleiche
Wirkung haben. Trotzdem hält er fest: „Jede Hysterie ist traumatisch.“
In seiner therapeutischen Methode bezieht er sich nach wie vor auf die suggestivhypnotischen Verfahren, der er in Zusammenarbeit mit Breuer entwickelt hatte, d.h. auf die
Katharsis. Eine Abfuhr der Erregung würde genügen, um die Symptome verschwinden zu
lassen. Er ist aber weise genug um dabei zu vermerken: „Wir heilen damit nicht die Hysterie
sondern nur die Symptome der Hysterie.“
Drei Jahre später erscheint seine Abhandlung Zur Ätiologie der Hysterie, von der KrafftEbing gesagt hat: „Das klingt wie ein wissenschaftliches Märchen“. Hier konstatiert Freud
dass das Sexualleben für die Hysterie immer ausschlaggebend ist, die Traumatisierungen
beziehen sich immer auf das Sexuelle, auf Formen von real erlebter Verführung im
Kindesalter. Er distanziert sich von Breuers Hypothese eines „Hypnoids“, d.h. bei den
Hysterikerinnen würden zwei Bewusstseinszustände gleichzeitig existieren, der normale und
eine Art „hypnoider“ Zustand, wo gewisse Erlebnisse abgelagert sind, die erst mit der Trance
oder mit Hilfe der Suggestion zum Durchbruch kommen. Freud war der Ansicht, dieses
„Hypnoid“ sei zwar nicht auszuschließen, man könne aber genauso gut eine Theorie
aufbauen, wo es zu keiner Dissoziation dieser Art kommen müsste, sondern dass die
Symptome die Ergebnisse einer Abwehr, eine Verdrängung ins Unbewusste sind. Damit
nähert er sich der Annahme, der psychische Konflikt sei die Ursache der hysterischen
Symptomatik, dass hier die Erinnerungen abgewehrt werden. Aber er hält daran fest dass sie
Erinnerungen an tatsächliche Geschehnisse sind.
Im gleichen Aufsatz diskutiert Freud die Frage, warum die Hysterie weniger beim
sogenannten „niedrigen Volk“ vorkam als bei den Bürgerlichen seiner Zeit und schließt aus
dieser nicht belegbaren, vielleicht irrigen Annahme, das moralische und intellektuelle Ich sei
im bürgerlichen Stand eben weiter entwickelt, daher die stärkere Verdrängungsleistung. In
diesem Sinn gilt ihm die Hysterie auch als Kulturneurose.
Allmählich vollzieht sich bei ihm eine Wandlung. Er revidiert seine Vorstellung, reale
Verführungserlebnisse seien immer verantwortlich: damit erkennt er die unbewusste
Phantasietätigkeit und das kindliche Sexualleben an. Im Jahr 1905 publiziert er seine Drei
Abhandlungen zur Sexualtheorie und zeichnet die Entwicklung der Libido beim Kleinkind in
phasenspezifischer Form auf. Fast gleichzeitig erscheint sein Bruchstück einer
Hysterieanalyse, der berühmte Fall Dora, in einer Zeit da für ihn noch nicht entschieden ist,
welchen Stellenwert hier reale Ereignisse oder die unbewusste Phantasietätigkeit des Kindes
für die Symptomatik haben.
Aber im Fall Dora hatte sich Freud bereits von einer reinen Symptomorientierung
abgewendet. Er ist in seiner Technik auch zur freien Assoziation gelangt die eher eine
ganzheitliche Behandlung der Person impliziert als eine bloße Symptomerleichterung. Eine
konsequente Analyse der Übertragungsbeziehung findet aber noch nicht statt. Erst am Schluss
der Studie verweist er auf die bislang vernachlässigten Aspekte der Übertragungs- und
Gegenübertragungsanalyse, in der klinischen Arbeit orientiert er sich vorwiegend an Träumen
der Patientin.
Auch das Thema der Mutterfixerung wird jetzt aufgeworfen. Bislang hatte Freud die
weibliche Hysterie vornehmlich als ödipale Problematik gesehen wo der Vater
ausschlaggebend war d.h. die erotische Beziehung zum Vater. Hier erwähnt er aber die
„Hausfrauenpsychose“ von Doras Mutter die zu einer Geringschätzung bei der Patientin
geführt hat. Diese Beobachtung definiert einen Zug den wir immer wieder in der Klinik bei
diesen Patientinnen finden, die Entwertung der Mutter.
Auch der anale Aspekt kommt im Fall Dora zur Geltung wo Freud den Ekel der
Hysterikerinnen bespricht, immer ein Ekel vor dem Sexuellen das mit analen Inhalten
verbunden wird. Inter urinas et faeces nascimur, wir kommen zwischen Harn und Fäkalien
zur Welt. Er diskutiert hier ob nicht jede Person die bei sexueller Erregung Unlust und
Ekelgefühle empfindet in die Reihe der Hysteriker zu stellen ist.
Zum ersten Mal wird hier auch vom primären und sekundären Krankheitsgewinn gesprochen.
Primär bieten die hysterischen Symptome eine Entlastung des psychischen Konflikts als
Gewinn an, sekundär erfolgt noch ein Gewinn über die Manipulation der sozialen Umwelt um
erhöhte Zuwendung zu bekommen.
Am Schluss der Fallgeschichte sieht Freud ein, dass er die homosexuelle Neigung seiner
Patientin vernachlässigt hat. In dieser recht früh abgebrochenen Therapie hat Freud immer nur
die Vaterübertragung, die Erotisierung einer männlichen Idealfigur betont. In seinem Resumé
meint er eigentlich übersehen zu haben, dass die wahre Liebe Doras weder ihrem Vater noch
Herrn K. galt, sondern Frau K., der Geliebten des Vaters, als Ersatz für eine Mutterliebe die
nicht befriedigt wurde. Er kommt also auf eine „gynäkophile“ Störung einer Frau, die andere
Frauen liebt, ist aber noch unsicher ob er das als männliche oder rein homoerotische Strebung
der Frau ansehen soll. Das sei aber typisch für das unbewusste Liebesleben der hysterischen
Mädchen: die Schwärmereien der Schulmädchen für ihre Lehrerinnen, diesen Aspekt habe er
zu wenig beachtet. Zum Schluss schreibt Freud: „Ob ich das Mädchen bei der Behandlung
erhalten hätte, wenn ich mich selbst in eine Rolle gefunden, den Wert ihres Verbleibens für
mich übertrieben und ihr ein warmes Interesse gezeigt hätte, das bei aller Milderung durch
meine Stellung als Arzt doch wie ein Ersatz für die von ihr ersehnte Zärtlichkeit ausgefallen
wäre? – Ich weiß es nicht.“
Mit dieser Kasuistik gibt Freud die Idee eines „Hypnoids“, eines zweiten
Bewusstseinszustandes, endgültig auf und hält an der Konflikttheorie fest, an einer Abwehr
von Abkömmlingen von unbewussten Triebrepräsentanzen, die ins Unbewusste
zurückgedrängt werden. Aber die Frühstadien von Freuds Forschungen, die Trauma-Theorie
wie auch die Idee der dissoziativen Bewusstseinszustände erleben in den modernen Arbeiten
zur Hysterie, wie bei Masson oder Schatzman, eine Renaissance.
1908 folgt dann die Arbeit Die hysterischen Phantasien und ihre Beziehung zur Bisexualität.
Hier wird das hysterische Symptom als Ersatzbildung definiert: für die nicht realisierte
Wunscherfüllung erfolgt eine symbolische. „Die Krankheitserscheinungen der Hysteriker,“
schreibt er hier, „sind ihre infantile Sexualbetätigungen, wenn man sie nur dechiffrieren
kann.“ Und aus der Dora-Analyse hat er eine neue Einsicht gewonnen: das hysterische
Symptom ist immer Ausdruck sowohl einer männlichen wie einer weiblichen unbewussten
Phantasie.
Nach Freud hat die Hysterie nicht aufgehört, die Psychoanalytiker zu faszinieren. Abraham
hat bei den weiblichen Hysterikerinnen zwei Typen aufgestellt: den Wunscherfüllungs- und
den Rachetypus. Beim ersten Typus wird der Penismangel als derart starke Kastration erlebt
dass sie mit einer Wunscherfüllung kompensiert werden muss. Solche Frauen „.... hätten also
den Penis oder das, was ihnen verwehrt worden ist.“ Beim zweiten Typus reagiert die Frau
indem sie sich an den Männern dafür rächt dass diese das privilegierte Objekt besitzen und sie
nicht.
Fenichel will diese Unterscheidung ätiologisch heraus differenzieren wenn er meint:
„Vielleicht geht es hier um bestimmte Fixierungen in der libidinösen Entwicklung.“ Nach
seiner Sicht sei der Rachetypus eigentlich in der anal-sadistischen Phase fixiert, wo die
Zerstörungslust überwiegt. Der Wunscherfüllungstypus, die Frau die sich z.B. selbst zum
Penis macht – indem sie ihren ganzen Körper idealisiert, ihr Aussehen, ihre Aufmachung – sei
eher auf der Höhe der phallischen Phase fixiert, also in einer späteren libidinösen Phase. Nach
Fenichel liegt der wesentliche Unterschied zwischen Hysterie und Zwangsneurose darin, dass
bei Zwangsneurotikern die Erinnerungen und Vorstellungen im Bewussten bleiben, nur sind
die Affekte nicht damit verbunden, sie werden abgespalten, isoliert, rationalisiert. Beim
hysterischen Syndrom ist es umgekehrt. Hier sind die Affekte sehr wohl bewusst, die
Gefühlsstürme, die überflutende Erregung, aber die dazugehörigen Vorstellungen, nämlich
von den infantilen Verführungsszenen, werden ins Unbewusste verdrängt. Um die
Vorstellungen unbewusst zu halten werden noch mehr Emotionen die sich von aktuellen
Ereignissen speisen zusätzlich forciert.
Während Wilhelm Reich die Hysterie als rein genitale Störung in der ödipalen Phase
betrachtet will Wittels in den 20er Jahren auch prä-ödipale Anteile erkennen: die infantile
Naivität, die starken Abhängigkeitstendenzen, das schwache Ich. Im Amerika kann Judd
Marmor diese Ansicht in seiner berühmten Arbeit über die Oralität in der Hysterie weiter
entwickeln, womit ein ganz neuer Zug in die Diskussion hereinkommt: ist die Hysterie nicht
doch eine Frühstörung, eine narzisstische Neurose die mit ödipal-genitaler Thematik
überlagert worden ist?
Die Übersicht wird immer komplexer. Bei Freud sind die topischen, dynamischen und
genetischen Aspekte noch klar lokalisiert, später wird die Phänomenologie vieldeutig, es
kommt zu neuen diagnostischen Kriterien wie „hysteriform“, „hysteroid“ oder „infantile
Persönlichkeit“ (Kernberg), wo die klassische Symptomatik auf der Grundlage eines
abgewehrten Konflikts nun zu einer Charakterneurose auf der Basis einer narzisstischen
Störung übergeht. Je länger die Metapsychologie sich mit der Hysterie beschäftigt umso
verhexter wird ihr Abbild davon.
Psychopathologische Phänomene können wir auf drei Ebenen verstehen: eine
phänomenologische, eine metapsychologische und eine klinisch-dynamische Ebene. Die
Phänomenologie, das Erscheinungsbild wie es umgangssprachlich aufgefasst wird haben wir
bereits zu Beginn erörtert. Die Metapsychologie streng nach Freud betrachtet errichtet eine
genaue Einteilung nach topischen, dynamischen, genetischen, ökonomischen und
strukturellen Aspekten – später kommen von Hartmann in den USA und seinen Schülern
noch die adaptiven und sozialen Aspekte hinzu - also ein theoretisches Gebäude, welches das
Ganze umfassen soll.
Die Topik bezeht sich auf die Orte im psychischen Apparat: Bewusst, Vorbewusst und
Unbewusst. Die Hysterie basiert in Freuds Theoriebildung auf unbewusste Phantasien,
verdrängte Vorstellungen oder Triebrepräsentanzen. Gerade die Verdrängungsleistung zeigt
auf, dass es jetzt eine Trennung zwischen Bewusst und Unbewusst gibt: bei primitiveren
Abwehrmechanismen wie Projektion oder Introjektion gibt es noch keine klar erkennbare
Schranke zwischen beiden Systemen. Nur ab einer bestimmten Phase der frühkindlichen
Entwicklung wird die Verdrängung zu einer Leistung, die das Unbewusste erst konstituiert
(die „Ur-Verdrängung“). So gesehen hat die Hysterie den entscheidenden Beitrag zur
psychoanalytischen Lehre des Unbewussten geliefert. Sie hat jenen Ort konstituiert wo die
Verdrängung stattfindet, im Grenzbereich zwischen Bewusst und Unbewusst.
Die Dynamik bezieht ich auf die Trieb- und Abwehrkräfte. Aber auch Freuds Triebtheorie
unterliegt einer Wandlung. Zunächst war ein Triebdualismus vorhanden zwischen den
Sexualtrieben einerseits die für die Arterhaltung sorgen, und den Ich- oder
Selbsterhaltungstrieben andererseits, die dem individuellen Überleben dienen. Gewisse
sexuelle Verführungserlebnisse könnten das Ich gefährden und in diesem Triebkonflikt
entsteht auch das hysterische Symptom. Später mit seiner Schrift Zur Einführung des
Narzissmus gab Freud diesen Dualismus auf als er sah, dass das Ich genauso mit Libido
besetzt werden kann wie ein Objekt des Begehrens. In einer dritten Phase postuliert er dann
als Gegenkraft zur Libido den Todestrieb; aber meines Wissens gibt es bei ihm keine weitere
Beschäftigung mit der Hysterie im Zusammenhang mit einer innewohnenden
Zerstörungstendenz. Wir werden sie erst bei den Objektbeziehungstheoretikern der
Kleinschen Schule und bei der Lacan-Schule finden. Nach Lacan ist der Ödipus keine
trianguläre Situation, konstituiert durch Vater, Mutter und Kind, sondern eigentlich eine
quadrilineare – es sind vier konstitutive Faktoren, der Tod kommt als vierter Faktor hinzu. Bei
Lucien Israel in seinem Buch Die Unerhörte Botschaft der Hysterie, auf das wir noch
zurückkommen werden, geht es bei der Hysterikerin darum, das Genießen aufrecht zu
erhalten und dieses Genießen, die jouissance, findet ohne Tod, ohne Zäsur, ohne Kastration
statt: also ein ewige Vorlust um die Spannung aufrecht zu erhalten, wo der Orgasmus als
„kleiner Tod“ kommen müsste. Zum Orgasmus in einem solchen Sinn darf es nicht kommen.
Das wäre dann nach Israel die Aufgabe des Analytikers, die Hysterikerin „sterben zu lassen“,
ihr zu helfen, dass sie endlich den Tod akzeptieren kann.
Bereits beim ökonomischen Aspekt fangen die analytischen Streitigkeiten an. Das
Unbewusste und die Trieb-Abwehr-Konflikte mögen allgemein anerkannt sein, das Prinzip
einer Energiekonstanz ist es nicht und findet bei Kleinianern und Lacaniern keine Beachtung.
Fenichel gibt aber eine überzeugende Rechtfertigung für diesen ökonomischen Aspekt, wenn
er das Problem der psychischen Erschöpfung erörtert. Menschen die an einer externen
Tätigkeit nicht ermüden aber an einem schweren psychischen Konflikt leiden können kraftlos
und apathisch erscheinen, als ginge psychische Energie in dieser Abwehr- und
Verdrängungstätigkeit verloren. Bei der Zwangsneurose wird das an den Gegenbesetzungen
besonders deutlich. Der Zwangsneurotiker muss wiederkehrende magische Handlungen wie
das fortwährende Waschen und Putzen ausüben, die seine reale Energie erfordern um die
unbewussten Triebimpulse in Schach zu halten.
Wie sieht es beim Hysteriker aus mit den Gegenbesetzungen? Einerseits erlaubt hier das
Konversionssymptom eine Abfuhr der Erregung, da scheint keine Gegenbesetzung vorhanden
zu sein. Andererseits erläutert Freud in Hemmung, Symptom und Angst das ökonomische
Problem der Hysterie folgendermaßen: eine für die Hysterie typische Reaktionsbildung ist:
Liebe statt Hass. Im Unbewussten ist eine Feindseligkeit vorhanden die mit übertriebene
Liebe kaschiert wird. Der Hass gegen eine bestimmte Person wird durch ein Übermaß an
Zärtlichkeit für sie und Ängstlichkeit um sie niedergehalten.
Im Unterschied zur Zwangsneurose zeigen die hysterischen Reaktionsbildungen keine
allgemeine Natur von Charakterzügen sondern schränken sich auf bestimmte
Beziehungssituationen zu ganz bestimmten Personen ein. Die „Scheißfreundlichkeit“ des
Zwangsneurotikers gegenüber allem und jedem die seine Aggressivität übertünchen soll gibt
es hier nicht. Zu einer zweiten Gegenbesetzung bei Hysterikerinnen kommt es bei der
Einschränkung der Wahrnehmung wenn nach außen gefährliche Wahrnehmungen vermutet
werden. Sie nimmt die Form einer anderen Wachsamkeit an, die durch Ich-Einschränkung
Situationen vermeidet in denen die Wahrnehmung auftreten müsste und bringt es zustande,
dieser Wahrnehmung die Aufmerksamkeit zu entziehen, wenn sie doch aufgetaucht ist. Die
französischen Autoren nennen dies „Skotomisierung“ – etwas wird nicht gesehen, es gibt eine
gewisse Blindheit gegenüber Dingen die sonst jeder sieht, diese sieht der Hysteriker nicht.
Diese außerordentliche Wachsamkeit des Ich, gewisse Dinge nicht zu sehen, sie zu
vermeiden, ist eine Form von Gegenbesetzung auch im ökonomischen Sinn.
Wie lässt sich die Hysterie nun im strukturellen Sinn in der Lehre vom Es, Ich und Über-Ich
auffassen? Die Ich-Organisation nach Freud bringt eine Synthese mit sich, d.h. Anteile des Es
und des Über-Ich müssen im Ich integriert werden. Wie wird das im hysterischen Symptom
gewährleistet? Freud schreibt dazu: „Ein klassisches Beispiel sind die hysterischen
Symptome, die uns als Kompromiss zwischen Befriedigungs- und Strafbedürfnis durchsichtig
geworden sind. Die Befriedigung käme vom Es, das Strafbedürfnis vom Über-Ich. Als
Erfüllung einer Forderung des Über-Ich haben solche Symptome von vorne herein Anteile am
Ich, während sie andererseits Positionen des Verdrängten und Einbruchstellen desselben in
die Ich-Organisation bedeuten. Sie sind sozusagen Grenzsituationen mit gemischten
Besetzungen. Ob alle primären hysterischen Symptome so gebaut sind, verdient eine
sorgfältige Untersuchung.“ Im Anhang dazu diskutiert Freud noch den sekundären
Krankheitsgewinn der adaptiven und sozialen Aspekte, d.h. das Ich gewöhnt sich an das
Symptom, baut es ein, verleiht ihm gewisse Bedeutungen, Vertretungen für seine eigenen
Interessen die in die sozialen und intimen Beziehungen eingebettet werden. Und hier beginnt
die Metapsychologie bereits vollends auszuufern. In diesem Zusammenhang hat Freud von
der „Hexe Metapsychologie“ gesprochen, sie kann einen mit theoretischem Spintisieren derart
faszinieren, dass man zuweilen die klinischen Phänomene gar nicht mehr im Blick behält.
Vielleicht ist die neuere psychoanalytische Forschung deshalb bemüht gewesen, die Hysterie
nicht in die Metapsychologie besonders einzubetten sondern sie mit einer klinischdynamischen Sprache, sowie sie im Behandlungskontext erlebt wird, zu umschreiben. So wie
bei Mentzos: „Es gibt eben keine hysterische Neurose, keine nosologische Krankheitseinheit
der Hysterie, es gibt so etwas wie einen hysterischen Modus der Konfliktverarbeitung, eine
bestimmte hysterische Art, Konflikte zu erledigen.“ Die wiederkehrenden hysterischen
Inszenierungen von Ehekrachs und Beziehungszerwürfnissen haben immer einen Zweck, sie
dienen der Entlastung von intrapsychischen Konflikten. Es geht letztlich immer darum zu
beweisen: „Ich bin nicht schuld. Du bist Schuld an meiner Situation, nicht ich.“
Der andere übernimmt, nach Mentzos, immer die Rolle des Über-Ich im liebenden wie im
strafenden Aspekt. Beim abhängig-unterwürfigen Typus heißt es dann „Du bist mein IchIdeal, das gütige Über-Ich mit dem ich mich vereinen kann, das mich von aller Schuld
befreien wird.“ Anders herum kann es heißen: „Du bist der Böse, Strafende, der mich hindert
und hemmt, der mir das Leben schwer macht. Ich rebelliere indem ich diese moralischen
Instanzen auf Dich externalisiere.“
Hier finden wir eine gewisse Abkehr von der Metapsychologie, denn die interpersonellen
Beziehungsdramen und theatralischen Inszenierungen werden rein klinisch gesehen und nach
ihrer Wirkung beurteilt. Mentzos sieht auch das Konversionssymptom dementsprechend: wir
können nicht mehr differenzieren was davon psychosomatische Funktionsstörung und was
reine Konversionssymptomatik ist. Die Übergänge sind fließend, die Hysterie ist nicht an
einer bestimmten Phase der Libidoentwicklung festzumachen.
Auffallend dabei ist doch die Ausklammerung der analen Phase, die Diskussion verläuft
zunehmend über die oralen, frühnarzisstischen oder phallisch-genitalen Phasen. Hier zeigt die
Psychoanalyse manchmal ein Vexierbild der Hysterikerinnen selber, die Expertinnen darin
sein können, ihre Analität auszuklammern, sie mit Gegenbesetzungen aus anderen libidinösen
Phasen zu unterdrücken. Auch Mentzos scheint mir der Hexerei der Hysterie zu erliegen
wenn er die Konfusion einführt, die „ödipale Phase“ als eine Stufe der Libidoentwicklung
entlang der erogenen Zonen verstehen zu wollen.
Der Ödipus-Komplex ist eine Beziehungsform die noch nichts über die libidinösen
Besetzungen im Körper aussagt. Sie ist eine Stufe der Objektbeziehungen, nicht per se eine
der Libidoentwicklung. Sie entscheidet letztlich über unsere Allmachts- und
Wunscherfüllungstendenzen, sie konfrontiert uns mit allen Komplexitäten des
Realitätsprinzips in der menschlichen Interaktion, angefangen mit der simplen Realität der
Geschlechts- und Generationsunterschiede. Ihre Libido kann sie aus jeder Stufe beziehen,
phallisch, anal-passiv oder sadistisch, oral-passiv oder aggressiv.
Mentzos kommt zu dem etwas anzweifelbaren Schluss, die Hysterie am besten als eine
Inszenierung zu betrachten die eine quasi veränderte Selbstrepräsentanz darstellen soll. Die
Person kann sich nicht so erleben wie sie ist und stellt sich dar als etwas anderes, eine Art
Pseudologie. Natürlich ist ein Hauptmoment dabei, für andere interessant zu wirken. Der
Antrieb für diesen Wunsch, interessant zu wirken ist eine „innere Leere“. Aber ist diese
innere Leere ein Defekt, eine Lücke in der Ich-Bildung weil zu wenig Liebe und Zuwendung
empfunden wurden? Oder entsteht diese innere Leere aus Verdrängung weil etwas aus dem
Bewusstsein entleert werden musste, etwa die Beschaffenheit der erotischen und aggressiven
Impulse?
Diese Sichtweise der „interpersonellen Arrangements“ von Mentzos unterliegt auch seiner
psychoanalytischen Technik. Er betont, dass es für den Therapeuten darum geht, auf jeden
Fall seiner Gegenübertragung Herr zu werden; die Hysterikerinnen können einen so aggressiv
machen, das muss man gut beherrschen können. Sie können einen aber auch dazu verführen
wollen, ihnen ewig Liebe zu geben, das muss man auch kontrollieren. Seine abstinente, quasi
chirurgische Haltung umreißt er so: „Es geht darum, für die Hysterikerin (wir bleiben noch
bei der weiblichen Hysterie) eine neue adäquate Inszenierung zu ermöglichen, ein korrigiertes
Szenarium, wo falsche Akzente eliminiert werden und richtige dafür hervortreten können.“
Der Analytiker soll, so die Implikation, das vollkommene Realitätsprinzip verkörpern; er
weiß, was die richtigen und was die falschen Akzente sind!
Wenden wir uns kurz den britischen Objektbeziehungstheoretikern zu. Eric Brenman ist der
Ansicht, eine schwere psychotische Störung sei die Grundlage der Hysterie. Hysterische
Patienten würden in einer inneren Welt leben wo sie sich von einem idealisierten Objekt
(Brust, Penis) völlig abhängig fühlen, das ihnen ewige Liebe und kontinuierliche
Bewunderung zusichern soll. Anstatt aus Erfahrung zu lernen fahren sie damit fort,
idealisierte Objekte zu suchen. Der Konflikt zwischen Realität und Illusion/Desillusionierung
ist nie durchgearbeitet worden, sie verwenden ihre Sensibilität zum Zweck einer invasiven
Überzeugungskraft um eine falschen Realismus aufrecht zu erhalten. Sie hätten das Gefühl sie
seien im Besitz eines Allheilmittels das ihnen eine phantasmatische Macht verleiht, die
allerdings rein vom Besitz eines Objekts abhängt und nicht von einem Gewinn an innerer
Kraft, die uns helfen würde mit der Angst und den Wechselfällen des Lebens umzugehen.
Masud Khan schreibt davon dass ein Aspekt der hysterischen Inszenierung darin besteht, den
anderen dazu zu zwingen ein Zeuge/Komplize zu sein, eine Art Triangulierung wo die
Hysteriker den Analytiker dazu zwingen ihre Introjekte mittels eine Form von „performance
art“ wahrzunehmen. „Wenn wir uns bewusst werden, dass die Externalisierung von
psychischen Zuständen deshalb bei Hysterikern stattfindet,“ schreibt Christopher Bollas,
„weil sie sich an das Scheitern der Mutter, ihr Kind zu internalisieren, angepasst hätten....
dann wird uns klarer warum hysterische Patienten ein so dringendes Bedürfnis haben ein
Ereignis in unserer Gegenwart zu sein dass es sehr schwer ist, sie zu vergessen. Wir
beobachten den verzweifelten Versuch des Säuglings, ein Abbild von sich in die
verweigernde Mutter zu implantieren. Solche Menschen scheinen vollends damit präokkupiert
zu sein, den Analytiker zu ergreifen um eine unvergessliche Vision zu erzeugen, und dieses
Ziel hat Priorität über das Denken, Reflektieren und Verstehen.“ Wo die Hysteriker zu Freuds
Zeiten den psychischen Konflikt in ein gelähmtes oder betäubtes Objekt als Teil ihres Körpers
umwandelten, wird heute der Analytiker selbst zum Behälter für diese Umwandlung. Die
scheinbare Oberflächlichkeit der Hysteriker induziert im Analytiker eine seltsame Indifferenz
und Unsensibilität gegenüber dem psychischen Leiden des Patienten, da alles wie eine
„Show“ erscheinen mag. Man wird an das kleine Mädchen erinnert, das so oft „Feuer!“
geschrien hatte, dass niemand ihr mehr glaubte, auch wie das Haus wirklich zu brennen
begann. „Hysterie ist immer die Schöpfung zweier Personen,“ meint Bollas, „ursprünglich
von Mutter und Kind – und das was vorhin in der hysterischen Symptomatik als individuelle
neurotische Schöpfung erschien wird nun in der analytischen Situation zu einer Krankheit von
zwei Personen.“ Damit aber schlüpft die wandelbare Gestalt der Hysterie erfolgreich aus dem
Gebäude der Metapsychologie wieder heraus....
Anstatt zu fragen welches Verständnis die Metapsychologie von der Hysterie besitzt könnten
wir umgekehrt fragen, wie das hysterische Verständnis der Metapsychologie beschaffen sein
könnte? Dieser Ansatz wird von Lucien Israel in seinem Buch Die Unerhörte Botschaft der
Hysterie vertreten. Als Lacan-Schüler der sich später etwas vom Meister distanziert hat will
Israel auch eine Rückkehr zu Freud, aber zum frühen Freud als Zuhörer und nicht als
metapsychologischer Theoretiker: einer der zuhören konnte ohne zu klassifizieren, einzuteilen
und eine immer komplexere Diagnostik zu erstellen. Die Definition der Hysterie ist nach
Israel niemals gegeben worden und wird auch niemals gegeben werden.
Ihm geht es darum: was will der Hysteriker oder die Hysterikerin eigentlich? Seine Antwort
lautet: eine andere Sexualität und eine andere Liebe. Hier sind analytische verbrämte
verhaltenstherapeutische Maßnahmen wie Abstinenz, Abprallen lassen, Ignorieren der
Symptomatik, gänzlich unangebracht. Vielmehr geht es um eine Anerkennung der libidinösen
Wünsche und Hoffnungen. Wenn schon keine Befriedigung gegeben werden kann, so
zumindest ein Zuhören damit ein Raum dafür gegeben wird ohne Vorurteile,
Prädispositionen, Klassifizierungen, Vertretung eines Realitätsprinzips et al. Die Idee einer
anderen Liebe, einer anderen Sexualität bleibt kulturkritisch relevant; die klassischen
hysterischen Symptome des 19. Jahrhunderts zeugen davon wie die Liebe ohne Sexualität
zum gängigen Kulturwerk gehörte. Sexualität wurde nicht erwähnt, die Liebe dafür in der
romantischen Kunst betont. Das hat sich heute geändert, vielleicht sogar umgekehrt, die
Sexualität ohne Liebe wird als Befreiungsweg zelebriert und der Zusammenhang zwischen
beiden bleibt nach wie vor brüchig.
Daher vermuten wir eine ebensolche Verbreitung der hysterischen Störungen heute wie
damals. Autoren die meinen, die hysterischen Persönlichkeiten sind weniger geworden haben
aus meiner Sicht Unrecht. Sie sind nur weniger in den Behandlungsräumen der
Psychoanalytiker als vielmehr in den Ordinationen der praktischen Ärzte zu sehen, meistens
mit einer Fülle von körperlichen Symptomen die wie erstarrte, chronifizierte
Konversionssymptome anmuten. Die Hysteriker haben gelernt, dem Psychoanalytiker
auszuweichen – und mit Recht, denn die Analytiker haben sich auch geändert, sie sind meist
nicht mehr das, was sie zu Freuds Zeiten, in der Pionierzeit der Psychoanalyse, waren:
Menschen die zuhören und neugierig waren auf das, was die Symptomatik wirklich aussagen
konnte, auf den Hunger nach Liebe, Anerkennung und Erfüllung. Auch wenn die Hoffnungen
utopisch sind, nie ganz erfüllbar, ist ein Mitgehen möglich. Aber wie weit kann mit mitgehen?
Das will die Hysterikerin wissen. Der heutige Analytiker kommt mit einem ganzen
Instrumentarium von Deutungen, von metapsychologischen Kategorien daher und die
heutigen Hysteriker fühlen sich noch wohler beim praktischen Arzt wo sie immer wieder ihre
Enttäuschungserlebnisse festmachen können.
Dies impliziert nach Israel bestimmte Forderungen an die psychoanalytische Haltung, der
Fehler in der Gegenübertragung sei – im Gegensatz zur Ansicht von Mentzos – vielmehr in
der Distanziert einer übertriebenen Abstinenz zu sehen als in der Zuneigung. Die Angst von
der Hysterikerin verführt zu werden schafft eine Reaktionsbildung beim Analytiker: wie bei
Freud im Fall Dora wird zu wenig Mütterlichkeit, Verständnis, Mitgehen, Echo gewährt,
sondern der „Diskurs des Herren“ wird fortgesetzt im Wunsch, die Situation unter Kontrolle
zu halten, oder der Diskurs der Wissenschaft, wenn die Metapsychologie zu stark ins Spiel
kommt, wenn die Phänomene vorwiegend aus den Büchern über Neurosenlehre überprüft
werden. Dann wird der Zusammenprall unvermeidlich.
Wenn immer nur die oralen Probleme gesehen werden bedeutet das, Frau und Mann
wiederholen nur das Muster von Mutter und Säugling. In der Liebe zwischen Mann und Frau
sollen nicht die frühen Beziehungen zwischen Mutter und Säugling wiederholten werden, sie
müssen ihre eigene Liebe zueinander neu erfinden, ohne Führer und Vorbilder. Das ist es, was
die Hysterikerinnen anstreben. Sie rebellieren ja nicht nur gegen ein internalisiertes Über-Ich
das aus frühkindlichen Erfahrungen entstanden ist, sondern gegen das institutionalisierte
Über-Ich in den gesellschaftlichen Normen der äußeren Realität. Hysteriker haben ein
außerordentliches Gespür für die Schwachstellen des Analytikers dort wo er sich auf den
Diskurs des Herren oder der Universität zurückziehen möchte. Besonders typisch dafür ist,
die eigene Gegenübertragung als Manifestation des hysterischen Patienten zu deuten, etwa:
„Diese hysterische Frau macht mich aggressiv, sie beschwert sich fortwährend. Ich kann ihr
nicht helfen und das Leiden geht weiter.“ Dann werden die Konflikte vor allem im Kontext
der Aggressivität gedeutet, die Patientin leide an einer mangelnden Abfuhr ihrer aggressiven
Impulse.
Aber erstens ist fraglich ob die Aggression ohne wirklich ausreichende Basis der libidinösen
Verständigung deutbar ist, zweitens ist die Gefahr gegeben den Analysanden erst recht in jene
Aggressivität hineinzutreiben, die man ihm vorgeworfen hatte, also eine selbsterfüllende
Prophezeiung. Wenn genügend libidinöse Basis vorhanden ist werden die
Zerstörungswünsche mit der Zeit von selber einsichtig, ohne dass man sie dem Analysanden
auf den Kopf werden müsste. Nach der Lacan’schen Ansicht ist das ganze Gerede von der
Aggressivität im Prinzip unanalytisch. Es gibt den Todestrieb aber er ist weder gut noch böse:
er ist nur das Prinzip der Ökonomie, dass alles ein Ende haben muss. Aggressivität als böse,
zerstörerische Ur-Neigung des Menschen zu sehen mögen Melanie Klein oder
Verhaltensforscher wie Konrad Lorenz behaupten, das habe aber nichts mit Psychoanalyse zu
tun. Aggression sei kein Urtrieb sondern wohl nur die wertende Haltung von
Objektbeziehungstheoretikern, die sich an den gängigen kulturellen Moralvorstellungen
halten. Was sind „böse“ oder „gute“ Introjekte? Sind sie nicht letztlich Repräsentanzen einer
gängigen Kulturmoral?
Insofern bleibt der Anspruch einer Metapsychologie, alles verstehen zu wollen, eine Art
Vergewaltigung des Subjekts. Der Tod stellt einen Riss im Dasein dar, ein Urbild der
Kastration, als Verlust der Liebe des Objekts konstituiert er erst die Liebe. Wenn ich mit der
Hysterikerin in einer Liebe mitgehe, die eine verführerische und verführte ist, muss ich doch
berücksichtigen dass jede Analyse ein Ende hat, dass auch unsere Beziehung ein Ende haben
wird, spätestens wenn ich sterbe aber hoffentlich früher wenn es keine lebenslange
Behandlung werden soll. Diesem Bewusstsein einen Platz zu lassen, dass der Tod erst jene
Realität schafft welche die Liebe möglich macht, damit der Narzissmus der kindlichen
Wunscherfüllung einen Riss erfährt – die Liebe ist stark wie der Tod, wie es beim Prediger
Salomo heißt – das wäre vielleicht die eigentliche Aufgabe des Analytikers.
DISKUSSIONSBEITRÄGE
Frage: Können Sie noch etwas zur männlichen Hysterie sagen? Bevor ich klinisch zu
arbeiten begann hatte ich mir eine Art Einteilung geschaffen: die weiblichen Hysterikerinnen
sind wie die Frauen in Dantes Divina Commedia, sie schweben irgendwo in der Luft herum
wie Vogelschwärme, im ewigen arc-en-cercle getrieben, die klassischen verruchten
Verführerinnen wie Helena oder Kleopatra. Und die Männer gehen mühsam den
Läuterungsberg hinauf, ewig ihre Litanei von ihren Sünden, von ihrem Versagen vor sich hin
betend, in einem philosophierenden Ritual. Diese Einteilung musste ich dann aufgeben als ich
mit Kindern zu arbeiten begann, wo mir zuerst einmal lauter hysterische Buben begegnet sind
– die konnte ich dann später in der Arbeit mit erwachsenen Männern wieder finden.
FM: Vielleicht habe ich das Thema der männlichen Hysterie wegen zu großer persönlicher
Betroffenheit unterschlagen! Nun, wir haben bei der weiblichen Hysterie konstatiert, im
äußeren Gehabe wirke immer eine gewissen Unsicherheit über die Geschlechtsrolle mit, eine
übertriebene Weiblichkeit oder eine übertrieben Männlichkeit in Kleidung oder Haltung. Dies
ist in der männlichen Hysterie genau so anzutreffen: Männer die ein besonders phallisches
Gehabe an den Tag legen, der Don-Juan oder Macho-Typus der ständig neue Eroberungen
von Frauen benötigt um seinen Kastrationskomplex zu verleugnen: sein Penis kann sich bei
jeder neuen Frau aufs Neue potent erweisen, in einer konstanten Beziehung würde das
fraglich werden. Auf der anderen Seite einer solchen Lederjacken- und Motorradkultur finden
wir die übertrieben feminisierte Männer, die „Softies“, oft auch bärtig weil der Bart da etwas
kompensiert – er ist zwar Zeichen der Männlichkeit aber zugleich taktil, weich und
verschleiert den Kinn, vielleicht wie eine Verschiebung der weiblichen Schamhaare nach
oben....
Viele männliche Konversionssymptome werden nie als hysterisch diagnostiziert, die vasomotorischen Anfälle, die vegetative Dystonie, die Schwindelanfälle. Hysterische Männer
werden sich oft auf übertriebene Weise nach dem anderen richten, sich unterordnen. Diese
Männer neigen dazu, stärkere oder ältere Frauen zu verehren oder zu heiraten, unterwerfen
sich dann deren Diktaten, erleben aber dabei oft Wutentladungen, Jähzornsausbrüche die
meist in ihrem hysterischen Charakter verkannt werden. Oft sind sie zwischen mehreren
Liebschaften hin und hergerissen, sitzen zwischen den Stühlen und können sich nicht
entscheiden, haben immer ein Hintertürchen offen. Bei den Frauen wird das immer als
zentrales Lebensdrama gesehen, beim Mann lässt sich das leichter kaschieren, es gehört halt
dazu, er steht ja mitten im Leben, das kann er immer als peripher zu seinen wirklichen
Arbeitsproblemen abtun.
Frage: Sie sehen da vor allem ein Problem von Fehldiagnosen?
FM: Es ist eben die Sicherheit der Diagnostik welche die Hysterie so gern zu Fall bringen
möchte. Aber bei Männern habe ich mir in der Praxis beim Erstgespräch oft gedacht „Da ist
eine schizoide oder zwanghafte Struktur, intellektualisierend, rationalisierend, affektlos usw.“
Aber spätestens beim ersten Liegen auf der Couch ist es auf einmal eine blühende Hysterie.
Vielleicht kann sich die Hysterie beim Mann erst überhaupt in der intimen Beziehung
entfalten. Es gibt für Männer so viele Möglichkeiten in ihrem Berufsleben dieser Intimität
auszuweichen, während Frauen vielmehr darauf sozialisiert werden, Liebe und Ehe in den
Mittelpunkt zu stellen aber auch viel mehr die kulturellen Beziehungsnormen zu hinterfragen.
Wenn gesellschaftliche und ökonomische Probleme in der weiblichen Hysterie personalisiert
werden wird der Ehemann, der Vater, der Partner oft als personalisierte Vertretung dieser
triebunterdrückenden Instanzen gesehen, die laut Freud eigentlich seit der Eiszeit, seit der
Beendigung der Eiszeit uns bedrücken. Aber warum muss ein Einzelner dafür herhalten? Hier
kommt dann der Ärger beim Mann hoch, der sich oft selbst vom System unterdrückt und
ausgebeutet fühlt aber nun zum offenkundigen Macho deklariert wird, der den ganzen
Kulturskandal verursacht hat. In der hysterischen Beziehung wollen beide immer Opfer sein
und bezichtigen sich gegenseitig, eigentlich Täter zu sein.
Frage: Also die Hysterie ist gleichermaßen bei beiden Geschlechtern vorhanden?
FM: Wenn sie weniger bei Männern als bei Frauen diagnostiziert wird, könnte das laut
Lucien Israel einen guten Grund haben – vielleicht ist sie wirklich ungleich verteilt und das
wäre kein Makel der Frauen. Wenn die Feministinnen klagen „Warum wird immer von der
weiblichen und nicht von der männlichen Hysterie gesprochen?“ so fordern sie eine
Gleichheit, die es vielleicht nicht gibt, als sollte auch jede Krankheit gleich verteilt werden.
Die soziale Gleichstellung der Geschlechter zu fordern ist etwas anderes als eine immanente
Gleichheit der Geschlechter vorauszusetzen, dies verträgt sich nicht mit einer analytischen
Haltung.
Interessanterweise kommen bei Männern die hysterischen Symptome besonders in
Kriegsneurosen vor, Freud hat sie gut recherchiert, das sogenannte „Kriegszittern“ zum
Beispiel. Vielleicht sind im Alltag die Frauen vielmehr in einer Art von Krieg involviert als
die Männer. Hier ist der Feind für sie viel realer, während der Mann doch den Ausweg finden
kann, sich passiv-homosexuell diesem Feind, dem übermächtigen Vater, zu unterwerfen oder
sich mit ihm zu identifizieren: so kann er diesen Konflikten einer patriarchalischen Kultur
leichter entkommen.
Frage: Meine Frage ist, ob Sie nicht hier in eine Falle, in eine hysterische Falle geraten sind?
Wenn Lacan immer vom „hysterischen Subjekt“ spricht, kommt ihm die französische Sprache
zu Hilfe; der Terminus „le discours de l’hysterique“ enthält kein Geschlechtsmerkmal. Lacan
sagt, das hysterische Subjekt zeichne sich dadurch aus, dass es Fragen stellt und den anderen
dazu bringt, ständig darauf zu antworten, solange bis es ihm zu bunt wird und er in einen
„Diskurs des Wissens“ übergeht und eine Pädagogik erzeugen will. Insofern ist bereits jedes
Fragen Bestandteil des hysterischen Diskurses, weil es in der Hysterie darum geht, ein
Begehren – und zwar ein ständiges Begehren – zu erwecken, das Begehren darf nie zur Ruhe
kommen können. Das Geschlecht das von vornherein glaubt, oder auch so behandelt wird,
dass es einen Mangel besitzt, ist besonders dazu aufgefordert, Begehren beim anderen zu
erwecken, selbst begehrt werden zu wollen. Daher der Vorrang des hysterischen Diskurses bei
den Frauen. Sie haben schon recht, wenn sie sagen, da ist ein Bruch in den Kategorien, wenn
von oral und anal usw. zu ödipal übergegangen wird, weil sich jetzt eine
Beziehungsproblematik auftut. In der ödipalen Phase geht es erstmals nicht darum, eines
Objektes zu bedürfen, sondern eine Beziehung zu begehren.
FM: Ja, Ihr Kommentar ist sehr hilfreich. Der große Unterschied ist zwischen Bedürfnis und
Wunsch, daher spielt die Bedürfnisbefriedigung des Hysterikers überhaupt keine Rolle, es
geht ihm nie um Bedürfnisbefriedigung sondern immer nur um das Aufrechterhalten des
Wunsches, vom anderen geliebt zu werden.
Frage: Sie sprechen davon, wie oft die Analität beim Hysteriker unterdrückt wird und doch
scheint es so unproduktiv zu sein die aggressiven und bemächtigenden Komponente der
Neurose zu deuten?
FM: Ein besonderes Problem hier sind die Schamgefühle, die für Freud in der DoraBehandlung wohl zum Verhängnis wurden. Bei der sehr schüchternen Hysterikerin die leicht
rot im Gesicht wird, die kaum etwas sagt, findet man zwar die Verdrängung der sexuellen und
aggressiven Impulse aber auch ein anales Element der besonderen Zurückhaltung, ein anales
Genießen dass man seine Mitteilung wie etwas kostbares zurückhält. Nur ist das schwer
anzusprechen, weil es so stark von Schamgefühlen überlagert ist.
Frage: Könnten hier nicht auch Unterschiede im weiblichen und im männlichen Über-Ich
bestehen? Hysteriker brauchen immer Publikum, aber das wichtigste Publikum ist das eigene
Über-Ich. Sie inszenieren doch eigentlich alles um vom Über-Ich als nicht-schuldig
angesehen zu werden. Freud meinte, Männer hätten ein stärkeres Über-Ich, heißt das, dass
Frauen in der Regel ein flexibleres und liebevolleres Über-Ich besitzen? Da wäre doch ein
Unterschied in der Gegenübertragung, ob wir einen hysterischen Mann oder eine hysterische
Frau mit dieser Inszenierung in Analyse haben. Inwieweit könnte da -? .......
(Ende der Aufzeichnung)
Bibliographie:
Bollas C (1991): Hysteria, London
Brenman E (1990): Hysterie, Stuttgart
Fenichel O (1974): Psychoanalytische Neurosenlehre, Olten
Israel L (2001): Die Unerhörte Botschaft der Hysterie, München
Mentzos S (2002): Hysterie, Frankfurt a. M.
Szasz T (1974): Die Fabrikation des Wahnsinns, Olten
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