Wie verhext! Ein Seminar über Hysterie und Metapsychologie (2003) “Da muss die Hexe Metapsychologie heran!” meinte Freud einmal lakonisch als würde er konzedieren dass sein psychoanalytisches Lehrgebäude selbst Züge der Zauberei und des verworrenen magischen Strebens in sich trägt, ähnlich jener Psychopathologie – der Hysterie – zu deren Enträtselung es von ihm ursprünglich entwickelt wurde. Umgangssprachliche Beschreibungen des hysterischen Charakters und der hysterischen Verhaltensweisen lauten bei verschiedenen Autoren: “unecht”, “demonstrativ”, “unehrlich”, “theatralisch”, “übertrieben”, “emotional” oder “unsachlich” – alles recht wertende Urteile, denen man gern ein Zitat Freuds gegenüberstellen möchte: “dass man unter den Hysterischen die geistig klarsten, willensstärksten, charaktervollsten und kritischsten Menschen finden kann.” Die klassische Psychiatrie ist aber geneigt, jenen geläufigen Werturteilen zu folgen. Da finden wir entsprechende Einteilungen der hysterischen Phänomene, wie etwa bei Alarcon, in sieben verschiedenen Merkmalen: 1) theatralisches Verhalten 2) emotionale Labilität, 3) eine aktive Abhängigkeitstendenz – im Englischen heißt das demanding dependency, eine Abhängigkeit die ständig etwas vom Objekt aktiv fordert, 4) Übererregbarkeit, 5) Egozentrismus, 6) verführerisches Verhalten und 7) die Suggestibilität. Solche Merkmale haben ihre Wurzeln in einem vor-analytischen Verständnis der Hysterie, welches in die Antike zurückreicht. Im Kaun-Papyrus des alten Ägyptens (14-13 Jh. vor Chr.) finden wir die vielleicht erste Beschreibung der Hysterie mit einer kausalen Diagnose, nämlich die “wandernde Gebärmutter”, als eine rein weibliche Erkrankung. Das antike Griechenland nahm diese Sichtweise auf, etwa bei Platon im Timäus: “Der Uterus wandert im Körper herum, was zu verschiedenen Sensationen führt.” Im zweiten vorchristlichen Jahrhundert diagnostiziert der Arzt Galen die sexuelle Abstinenz als Ursache und schreibt von einer “Unterdrückung des Menses und der Vaginalsekrete bei Frauen”. Als erster postuliert er eine männliche Hysterie indem er meint, die sexuelle Abstinenz bei Männern könne zu ähnlichen Erscheinungen führen. Im christlichen Mittelalter kommt eine andere Kategorie der Besessenheit hinzu. Dabei muss ich jetzt bereits auf einen modernen Autor, Lucien Israel hinweisen der bemerkt hat, die Hexenverfolgungen hätten selbst den Hexensabbat verursacht: die kollektive „Orgie der Hexen“ habe es vor den Verfolgungen nicht gegeben. Damit wird eine Polarisierung, ein Aufstand, eine Rebellion, eine Parteinahme sichtbar. Für die Moderne schließt Israel auf ein anderes Phänomen wenn er meint, das heutige Betreiben der Selbstmordverhütung, die Modewelle der Prophylaxe, unter Umständen auch eine Zunahme an Selbstmorden begünstigen könnte. Je mehr dafür agitiert wird das etwas als besondere Krankheit eingestuft wird, umso mehr werden bestimmte Personen dazu gedrängt, gerade diese Wahl auf sich zu nehmen. Im aufgeklärten 19 Jh. wie bei Charcot finden wir die Hysterie als organische Erkrankung wieder, diesmal nicht als wandernde Gebärmutter sondern als neurologische Störung, eine degenerative Schädigung der Nervenbahnen. Allerdings hat Charcot Freuds Forschungen bereichert, als er mit seiner Hypnose-Technik vorangegangene traumatogene Ereignisse demonstrieren konnte. Nur hatte Charcot seine hysterischen Patientinnen nicht selbst sprechen lassen. Er hatte sie in Trance versetzt und dann selbst über ihre Erlebnisse gesprochen. Der amerikanische Psychiater Thomas Szasz bemerket dazu: „Vielleicht ist das Verschwinden des klassischen hysterischen Anfalls nach Charcot kein Zufall oder kein rein kulturell bedingtes Phänomen, sondern die Hysterikerinnen von Charcot hätten sich gemäß seinen Erwartungen verhalten. Nach seinem Tod war kein Anlass mehr, diese grossen Anfälle zu produzieren.“ Hier war es wohl Freuds Verdienst, nicht all zu sehr auf Charcot zu hören, sondern auf seine Patientinnen, um deren geheime Sprache zu entschlüsseln. Folgen wir nun eine Weile lang der Entwicklung seiner Theoriebildung. Lassen wir die Studien über Hysterie die er mit Breuer zusammen geschrieben hatte einmal beiseite so finden wir in einem Aufsatz von 1893 seine Feststellung, für die Hysterie seien immer Traumatisierungen verantwortlich, jedoch nicht unbedingt das eine große Trauma: er postuliert, eine große Menge kleiner kontinuierlicher Traumatisierungen können die gleiche Wirkung haben. Trotzdem hält er fest: „Jede Hysterie ist traumatisch.“ In seiner therapeutischen Methode bezieht er sich nach wie vor auf die suggestivhypnotischen Verfahren, der er in Zusammenarbeit mit Breuer entwickelt hatte, d.h. auf die Katharsis. Eine Abfuhr der Erregung würde genügen, um die Symptome verschwinden zu lassen. Er ist aber weise genug um dabei zu vermerken: „Wir heilen damit nicht die Hysterie sondern nur die Symptome der Hysterie.“ Drei Jahre später erscheint seine Abhandlung Zur Ätiologie der Hysterie, von der KrafftEbing gesagt hat: „Das klingt wie ein wissenschaftliches Märchen“. Hier konstatiert Freud dass das Sexualleben für die Hysterie immer ausschlaggebend ist, die Traumatisierungen beziehen sich immer auf das Sexuelle, auf Formen von real erlebter Verführung im Kindesalter. Er distanziert sich von Breuers Hypothese eines „Hypnoids“, d.h. bei den Hysterikerinnen würden zwei Bewusstseinszustände gleichzeitig existieren, der normale und eine Art „hypnoider“ Zustand, wo gewisse Erlebnisse abgelagert sind, die erst mit der Trance oder mit Hilfe der Suggestion zum Durchbruch kommen. Freud war der Ansicht, dieses „Hypnoid“ sei zwar nicht auszuschließen, man könne aber genauso gut eine Theorie aufbauen, wo es zu keiner Dissoziation dieser Art kommen müsste, sondern dass die Symptome die Ergebnisse einer Abwehr, eine Verdrängung ins Unbewusste sind. Damit nähert er sich der Annahme, der psychische Konflikt sei die Ursache der hysterischen Symptomatik, dass hier die Erinnerungen abgewehrt werden. Aber er hält daran fest dass sie Erinnerungen an tatsächliche Geschehnisse sind. Im gleichen Aufsatz diskutiert Freud die Frage, warum die Hysterie weniger beim sogenannten „niedrigen Volk“ vorkam als bei den Bürgerlichen seiner Zeit und schließt aus dieser nicht belegbaren, vielleicht irrigen Annahme, das moralische und intellektuelle Ich sei im bürgerlichen Stand eben weiter entwickelt, daher die stärkere Verdrängungsleistung. In diesem Sinn gilt ihm die Hysterie auch als Kulturneurose. Allmählich vollzieht sich bei ihm eine Wandlung. Er revidiert seine Vorstellung, reale Verführungserlebnisse seien immer verantwortlich: damit erkennt er die unbewusste Phantasietätigkeit und das kindliche Sexualleben an. Im Jahr 1905 publiziert er seine Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie und zeichnet die Entwicklung der Libido beim Kleinkind in phasenspezifischer Form auf. Fast gleichzeitig erscheint sein Bruchstück einer Hysterieanalyse, der berühmte Fall Dora, in einer Zeit da für ihn noch nicht entschieden ist, welchen Stellenwert hier reale Ereignisse oder die unbewusste Phantasietätigkeit des Kindes für die Symptomatik haben. Aber im Fall Dora hatte sich Freud bereits von einer reinen Symptomorientierung abgewendet. Er ist in seiner Technik auch zur freien Assoziation gelangt die eher eine ganzheitliche Behandlung der Person impliziert als eine bloße Symptomerleichterung. Eine konsequente Analyse der Übertragungsbeziehung findet aber noch nicht statt. Erst am Schluss der Studie verweist er auf die bislang vernachlässigten Aspekte der Übertragungs- und Gegenübertragungsanalyse, in der klinischen Arbeit orientiert er sich vorwiegend an Träumen der Patientin. Auch das Thema der Mutterfixerung wird jetzt aufgeworfen. Bislang hatte Freud die weibliche Hysterie vornehmlich als ödipale Problematik gesehen wo der Vater ausschlaggebend war d.h. die erotische Beziehung zum Vater. Hier erwähnt er aber die „Hausfrauenpsychose“ von Doras Mutter die zu einer Geringschätzung bei der Patientin geführt hat. Diese Beobachtung definiert einen Zug den wir immer wieder in der Klinik bei diesen Patientinnen finden, die Entwertung der Mutter. Auch der anale Aspekt kommt im Fall Dora zur Geltung wo Freud den Ekel der Hysterikerinnen bespricht, immer ein Ekel vor dem Sexuellen das mit analen Inhalten verbunden wird. Inter urinas et faeces nascimur, wir kommen zwischen Harn und Fäkalien zur Welt. Er diskutiert hier ob nicht jede Person die bei sexueller Erregung Unlust und Ekelgefühle empfindet in die Reihe der Hysteriker zu stellen ist. Zum ersten Mal wird hier auch vom primären und sekundären Krankheitsgewinn gesprochen. Primär bieten die hysterischen Symptome eine Entlastung des psychischen Konflikts als Gewinn an, sekundär erfolgt noch ein Gewinn über die Manipulation der sozialen Umwelt um erhöhte Zuwendung zu bekommen. Am Schluss der Fallgeschichte sieht Freud ein, dass er die homosexuelle Neigung seiner Patientin vernachlässigt hat. In dieser recht früh abgebrochenen Therapie hat Freud immer nur die Vaterübertragung, die Erotisierung einer männlichen Idealfigur betont. In seinem Resumé meint er eigentlich übersehen zu haben, dass die wahre Liebe Doras weder ihrem Vater noch Herrn K. galt, sondern Frau K., der Geliebten des Vaters, als Ersatz für eine Mutterliebe die nicht befriedigt wurde. Er kommt also auf eine „gynäkophile“ Störung einer Frau, die andere Frauen liebt, ist aber noch unsicher ob er das als männliche oder rein homoerotische Strebung der Frau ansehen soll. Das sei aber typisch für das unbewusste Liebesleben der hysterischen Mädchen: die Schwärmereien der Schulmädchen für ihre Lehrerinnen, diesen Aspekt habe er zu wenig beachtet. Zum Schluss schreibt Freud: „Ob ich das Mädchen bei der Behandlung erhalten hätte, wenn ich mich selbst in eine Rolle gefunden, den Wert ihres Verbleibens für mich übertrieben und ihr ein warmes Interesse gezeigt hätte, das bei aller Milderung durch meine Stellung als Arzt doch wie ein Ersatz für die von ihr ersehnte Zärtlichkeit ausgefallen wäre? – Ich weiß es nicht.“ Mit dieser Kasuistik gibt Freud die Idee eines „Hypnoids“, eines zweiten Bewusstseinszustandes, endgültig auf und hält an der Konflikttheorie fest, an einer Abwehr von Abkömmlingen von unbewussten Triebrepräsentanzen, die ins Unbewusste zurückgedrängt werden. Aber die Frühstadien von Freuds Forschungen, die Trauma-Theorie wie auch die Idee der dissoziativen Bewusstseinszustände erleben in den modernen Arbeiten zur Hysterie, wie bei Masson oder Schatzman, eine Renaissance. 1908 folgt dann die Arbeit Die hysterischen Phantasien und ihre Beziehung zur Bisexualität. Hier wird das hysterische Symptom als Ersatzbildung definiert: für die nicht realisierte Wunscherfüllung erfolgt eine symbolische. „Die Krankheitserscheinungen der Hysteriker,“ schreibt er hier, „sind ihre infantile Sexualbetätigungen, wenn man sie nur dechiffrieren kann.“ Und aus der Dora-Analyse hat er eine neue Einsicht gewonnen: das hysterische Symptom ist immer Ausdruck sowohl einer männlichen wie einer weiblichen unbewussten Phantasie. Nach Freud hat die Hysterie nicht aufgehört, die Psychoanalytiker zu faszinieren. Abraham hat bei den weiblichen Hysterikerinnen zwei Typen aufgestellt: den Wunscherfüllungs- und den Rachetypus. Beim ersten Typus wird der Penismangel als derart starke Kastration erlebt dass sie mit einer Wunscherfüllung kompensiert werden muss. Solche Frauen „.... hätten also den Penis oder das, was ihnen verwehrt worden ist.“ Beim zweiten Typus reagiert die Frau indem sie sich an den Männern dafür rächt dass diese das privilegierte Objekt besitzen und sie nicht. Fenichel will diese Unterscheidung ätiologisch heraus differenzieren wenn er meint: „Vielleicht geht es hier um bestimmte Fixierungen in der libidinösen Entwicklung.“ Nach seiner Sicht sei der Rachetypus eigentlich in der anal-sadistischen Phase fixiert, wo die Zerstörungslust überwiegt. Der Wunscherfüllungstypus, die Frau die sich z.B. selbst zum Penis macht – indem sie ihren ganzen Körper idealisiert, ihr Aussehen, ihre Aufmachung – sei eher auf der Höhe der phallischen Phase fixiert, also in einer späteren libidinösen Phase. Nach Fenichel liegt der wesentliche Unterschied zwischen Hysterie und Zwangsneurose darin, dass bei Zwangsneurotikern die Erinnerungen und Vorstellungen im Bewussten bleiben, nur sind die Affekte nicht damit verbunden, sie werden abgespalten, isoliert, rationalisiert. Beim hysterischen Syndrom ist es umgekehrt. Hier sind die Affekte sehr wohl bewusst, die Gefühlsstürme, die überflutende Erregung, aber die dazugehörigen Vorstellungen, nämlich von den infantilen Verführungsszenen, werden ins Unbewusste verdrängt. Um die Vorstellungen unbewusst zu halten werden noch mehr Emotionen die sich von aktuellen Ereignissen speisen zusätzlich forciert. Während Wilhelm Reich die Hysterie als rein genitale Störung in der ödipalen Phase betrachtet will Wittels in den 20er Jahren auch prä-ödipale Anteile erkennen: die infantile Naivität, die starken Abhängigkeitstendenzen, das schwache Ich. Im Amerika kann Judd Marmor diese Ansicht in seiner berühmten Arbeit über die Oralität in der Hysterie weiter entwickeln, womit ein ganz neuer Zug in die Diskussion hereinkommt: ist die Hysterie nicht doch eine Frühstörung, eine narzisstische Neurose die mit ödipal-genitaler Thematik überlagert worden ist? Die Übersicht wird immer komplexer. Bei Freud sind die topischen, dynamischen und genetischen Aspekte noch klar lokalisiert, später wird die Phänomenologie vieldeutig, es kommt zu neuen diagnostischen Kriterien wie „hysteriform“, „hysteroid“ oder „infantile Persönlichkeit“ (Kernberg), wo die klassische Symptomatik auf der Grundlage eines abgewehrten Konflikts nun zu einer Charakterneurose auf der Basis einer narzisstischen Störung übergeht. Je länger die Metapsychologie sich mit der Hysterie beschäftigt umso verhexter wird ihr Abbild davon. Psychopathologische Phänomene können wir auf drei Ebenen verstehen: eine phänomenologische, eine metapsychologische und eine klinisch-dynamische Ebene. Die Phänomenologie, das Erscheinungsbild wie es umgangssprachlich aufgefasst wird haben wir bereits zu Beginn erörtert. Die Metapsychologie streng nach Freud betrachtet errichtet eine genaue Einteilung nach topischen, dynamischen, genetischen, ökonomischen und strukturellen Aspekten – später kommen von Hartmann in den USA und seinen Schülern noch die adaptiven und sozialen Aspekte hinzu - also ein theoretisches Gebäude, welches das Ganze umfassen soll. Die Topik bezeht sich auf die Orte im psychischen Apparat: Bewusst, Vorbewusst und Unbewusst. Die Hysterie basiert in Freuds Theoriebildung auf unbewusste Phantasien, verdrängte Vorstellungen oder Triebrepräsentanzen. Gerade die Verdrängungsleistung zeigt auf, dass es jetzt eine Trennung zwischen Bewusst und Unbewusst gibt: bei primitiveren Abwehrmechanismen wie Projektion oder Introjektion gibt es noch keine klar erkennbare Schranke zwischen beiden Systemen. Nur ab einer bestimmten Phase der frühkindlichen Entwicklung wird die Verdrängung zu einer Leistung, die das Unbewusste erst konstituiert (die „Ur-Verdrängung“). So gesehen hat die Hysterie den entscheidenden Beitrag zur psychoanalytischen Lehre des Unbewussten geliefert. Sie hat jenen Ort konstituiert wo die Verdrängung stattfindet, im Grenzbereich zwischen Bewusst und Unbewusst. Die Dynamik bezieht ich auf die Trieb- und Abwehrkräfte. Aber auch Freuds Triebtheorie unterliegt einer Wandlung. Zunächst war ein Triebdualismus vorhanden zwischen den Sexualtrieben einerseits die für die Arterhaltung sorgen, und den Ich- oder Selbsterhaltungstrieben andererseits, die dem individuellen Überleben dienen. Gewisse sexuelle Verführungserlebnisse könnten das Ich gefährden und in diesem Triebkonflikt entsteht auch das hysterische Symptom. Später mit seiner Schrift Zur Einführung des Narzissmus gab Freud diesen Dualismus auf als er sah, dass das Ich genauso mit Libido besetzt werden kann wie ein Objekt des Begehrens. In einer dritten Phase postuliert er dann als Gegenkraft zur Libido den Todestrieb; aber meines Wissens gibt es bei ihm keine weitere Beschäftigung mit der Hysterie im Zusammenhang mit einer innewohnenden Zerstörungstendenz. Wir werden sie erst bei den Objektbeziehungstheoretikern der Kleinschen Schule und bei der Lacan-Schule finden. Nach Lacan ist der Ödipus keine trianguläre Situation, konstituiert durch Vater, Mutter und Kind, sondern eigentlich eine quadrilineare – es sind vier konstitutive Faktoren, der Tod kommt als vierter Faktor hinzu. Bei Lucien Israel in seinem Buch Die Unerhörte Botschaft der Hysterie, auf das wir noch zurückkommen werden, geht es bei der Hysterikerin darum, das Genießen aufrecht zu erhalten und dieses Genießen, die jouissance, findet ohne Tod, ohne Zäsur, ohne Kastration statt: also ein ewige Vorlust um die Spannung aufrecht zu erhalten, wo der Orgasmus als „kleiner Tod“ kommen müsste. Zum Orgasmus in einem solchen Sinn darf es nicht kommen. Das wäre dann nach Israel die Aufgabe des Analytikers, die Hysterikerin „sterben zu lassen“, ihr zu helfen, dass sie endlich den Tod akzeptieren kann. Bereits beim ökonomischen Aspekt fangen die analytischen Streitigkeiten an. Das Unbewusste und die Trieb-Abwehr-Konflikte mögen allgemein anerkannt sein, das Prinzip einer Energiekonstanz ist es nicht und findet bei Kleinianern und Lacaniern keine Beachtung. Fenichel gibt aber eine überzeugende Rechtfertigung für diesen ökonomischen Aspekt, wenn er das Problem der psychischen Erschöpfung erörtert. Menschen die an einer externen Tätigkeit nicht ermüden aber an einem schweren psychischen Konflikt leiden können kraftlos und apathisch erscheinen, als ginge psychische Energie in dieser Abwehr- und Verdrängungstätigkeit verloren. Bei der Zwangsneurose wird das an den Gegenbesetzungen besonders deutlich. Der Zwangsneurotiker muss wiederkehrende magische Handlungen wie das fortwährende Waschen und Putzen ausüben, die seine reale Energie erfordern um die unbewussten Triebimpulse in Schach zu halten. Wie sieht es beim Hysteriker aus mit den Gegenbesetzungen? Einerseits erlaubt hier das Konversionssymptom eine Abfuhr der Erregung, da scheint keine Gegenbesetzung vorhanden zu sein. Andererseits erläutert Freud in Hemmung, Symptom und Angst das ökonomische Problem der Hysterie folgendermaßen: eine für die Hysterie typische Reaktionsbildung ist: Liebe statt Hass. Im Unbewussten ist eine Feindseligkeit vorhanden die mit übertriebene Liebe kaschiert wird. Der Hass gegen eine bestimmte Person wird durch ein Übermaß an Zärtlichkeit für sie und Ängstlichkeit um sie niedergehalten. Im Unterschied zur Zwangsneurose zeigen die hysterischen Reaktionsbildungen keine allgemeine Natur von Charakterzügen sondern schränken sich auf bestimmte Beziehungssituationen zu ganz bestimmten Personen ein. Die „Scheißfreundlichkeit“ des Zwangsneurotikers gegenüber allem und jedem die seine Aggressivität übertünchen soll gibt es hier nicht. Zu einer zweiten Gegenbesetzung bei Hysterikerinnen kommt es bei der Einschränkung der Wahrnehmung wenn nach außen gefährliche Wahrnehmungen vermutet werden. Sie nimmt die Form einer anderen Wachsamkeit an, die durch Ich-Einschränkung Situationen vermeidet in denen die Wahrnehmung auftreten müsste und bringt es zustande, dieser Wahrnehmung die Aufmerksamkeit zu entziehen, wenn sie doch aufgetaucht ist. Die französischen Autoren nennen dies „Skotomisierung“ – etwas wird nicht gesehen, es gibt eine gewisse Blindheit gegenüber Dingen die sonst jeder sieht, diese sieht der Hysteriker nicht. Diese außerordentliche Wachsamkeit des Ich, gewisse Dinge nicht zu sehen, sie zu vermeiden, ist eine Form von Gegenbesetzung auch im ökonomischen Sinn. Wie lässt sich die Hysterie nun im strukturellen Sinn in der Lehre vom Es, Ich und Über-Ich auffassen? Die Ich-Organisation nach Freud bringt eine Synthese mit sich, d.h. Anteile des Es und des Über-Ich müssen im Ich integriert werden. Wie wird das im hysterischen Symptom gewährleistet? Freud schreibt dazu: „Ein klassisches Beispiel sind die hysterischen Symptome, die uns als Kompromiss zwischen Befriedigungs- und Strafbedürfnis durchsichtig geworden sind. Die Befriedigung käme vom Es, das Strafbedürfnis vom Über-Ich. Als Erfüllung einer Forderung des Über-Ich haben solche Symptome von vorne herein Anteile am Ich, während sie andererseits Positionen des Verdrängten und Einbruchstellen desselben in die Ich-Organisation bedeuten. Sie sind sozusagen Grenzsituationen mit gemischten Besetzungen. Ob alle primären hysterischen Symptome so gebaut sind, verdient eine sorgfältige Untersuchung.“ Im Anhang dazu diskutiert Freud noch den sekundären Krankheitsgewinn der adaptiven und sozialen Aspekte, d.h. das Ich gewöhnt sich an das Symptom, baut es ein, verleiht ihm gewisse Bedeutungen, Vertretungen für seine eigenen Interessen die in die sozialen und intimen Beziehungen eingebettet werden. Und hier beginnt die Metapsychologie bereits vollends auszuufern. In diesem Zusammenhang hat Freud von der „Hexe Metapsychologie“ gesprochen, sie kann einen mit theoretischem Spintisieren derart faszinieren, dass man zuweilen die klinischen Phänomene gar nicht mehr im Blick behält. Vielleicht ist die neuere psychoanalytische Forschung deshalb bemüht gewesen, die Hysterie nicht in die Metapsychologie besonders einzubetten sondern sie mit einer klinischdynamischen Sprache, sowie sie im Behandlungskontext erlebt wird, zu umschreiben. So wie bei Mentzos: „Es gibt eben keine hysterische Neurose, keine nosologische Krankheitseinheit der Hysterie, es gibt so etwas wie einen hysterischen Modus der Konfliktverarbeitung, eine bestimmte hysterische Art, Konflikte zu erledigen.“ Die wiederkehrenden hysterischen Inszenierungen von Ehekrachs und Beziehungszerwürfnissen haben immer einen Zweck, sie dienen der Entlastung von intrapsychischen Konflikten. Es geht letztlich immer darum zu beweisen: „Ich bin nicht schuld. Du bist Schuld an meiner Situation, nicht ich.“ Der andere übernimmt, nach Mentzos, immer die Rolle des Über-Ich im liebenden wie im strafenden Aspekt. Beim abhängig-unterwürfigen Typus heißt es dann „Du bist mein IchIdeal, das gütige Über-Ich mit dem ich mich vereinen kann, das mich von aller Schuld befreien wird.“ Anders herum kann es heißen: „Du bist der Böse, Strafende, der mich hindert und hemmt, der mir das Leben schwer macht. Ich rebelliere indem ich diese moralischen Instanzen auf Dich externalisiere.“ Hier finden wir eine gewisse Abkehr von der Metapsychologie, denn die interpersonellen Beziehungsdramen und theatralischen Inszenierungen werden rein klinisch gesehen und nach ihrer Wirkung beurteilt. Mentzos sieht auch das Konversionssymptom dementsprechend: wir können nicht mehr differenzieren was davon psychosomatische Funktionsstörung und was reine Konversionssymptomatik ist. Die Übergänge sind fließend, die Hysterie ist nicht an einer bestimmten Phase der Libidoentwicklung festzumachen. Auffallend dabei ist doch die Ausklammerung der analen Phase, die Diskussion verläuft zunehmend über die oralen, frühnarzisstischen oder phallisch-genitalen Phasen. Hier zeigt die Psychoanalyse manchmal ein Vexierbild der Hysterikerinnen selber, die Expertinnen darin sein können, ihre Analität auszuklammern, sie mit Gegenbesetzungen aus anderen libidinösen Phasen zu unterdrücken. Auch Mentzos scheint mir der Hexerei der Hysterie zu erliegen wenn er die Konfusion einführt, die „ödipale Phase“ als eine Stufe der Libidoentwicklung entlang der erogenen Zonen verstehen zu wollen. Der Ödipus-Komplex ist eine Beziehungsform die noch nichts über die libidinösen Besetzungen im Körper aussagt. Sie ist eine Stufe der Objektbeziehungen, nicht per se eine der Libidoentwicklung. Sie entscheidet letztlich über unsere Allmachts- und Wunscherfüllungstendenzen, sie konfrontiert uns mit allen Komplexitäten des Realitätsprinzips in der menschlichen Interaktion, angefangen mit der simplen Realität der Geschlechts- und Generationsunterschiede. Ihre Libido kann sie aus jeder Stufe beziehen, phallisch, anal-passiv oder sadistisch, oral-passiv oder aggressiv. Mentzos kommt zu dem etwas anzweifelbaren Schluss, die Hysterie am besten als eine Inszenierung zu betrachten die eine quasi veränderte Selbstrepräsentanz darstellen soll. Die Person kann sich nicht so erleben wie sie ist und stellt sich dar als etwas anderes, eine Art Pseudologie. Natürlich ist ein Hauptmoment dabei, für andere interessant zu wirken. Der Antrieb für diesen Wunsch, interessant zu wirken ist eine „innere Leere“. Aber ist diese innere Leere ein Defekt, eine Lücke in der Ich-Bildung weil zu wenig Liebe und Zuwendung empfunden wurden? Oder entsteht diese innere Leere aus Verdrängung weil etwas aus dem Bewusstsein entleert werden musste, etwa die Beschaffenheit der erotischen und aggressiven Impulse? Diese Sichtweise der „interpersonellen Arrangements“ von Mentzos unterliegt auch seiner psychoanalytischen Technik. Er betont, dass es für den Therapeuten darum geht, auf jeden Fall seiner Gegenübertragung Herr zu werden; die Hysterikerinnen können einen so aggressiv machen, das muss man gut beherrschen können. Sie können einen aber auch dazu verführen wollen, ihnen ewig Liebe zu geben, das muss man auch kontrollieren. Seine abstinente, quasi chirurgische Haltung umreißt er so: „Es geht darum, für die Hysterikerin (wir bleiben noch bei der weiblichen Hysterie) eine neue adäquate Inszenierung zu ermöglichen, ein korrigiertes Szenarium, wo falsche Akzente eliminiert werden und richtige dafür hervortreten können.“ Der Analytiker soll, so die Implikation, das vollkommene Realitätsprinzip verkörpern; er weiß, was die richtigen und was die falschen Akzente sind! Wenden wir uns kurz den britischen Objektbeziehungstheoretikern zu. Eric Brenman ist der Ansicht, eine schwere psychotische Störung sei die Grundlage der Hysterie. Hysterische Patienten würden in einer inneren Welt leben wo sie sich von einem idealisierten Objekt (Brust, Penis) völlig abhängig fühlen, das ihnen ewige Liebe und kontinuierliche Bewunderung zusichern soll. Anstatt aus Erfahrung zu lernen fahren sie damit fort, idealisierte Objekte zu suchen. Der Konflikt zwischen Realität und Illusion/Desillusionierung ist nie durchgearbeitet worden, sie verwenden ihre Sensibilität zum Zweck einer invasiven Überzeugungskraft um eine falschen Realismus aufrecht zu erhalten. Sie hätten das Gefühl sie seien im Besitz eines Allheilmittels das ihnen eine phantasmatische Macht verleiht, die allerdings rein vom Besitz eines Objekts abhängt und nicht von einem Gewinn an innerer Kraft, die uns helfen würde mit der Angst und den Wechselfällen des Lebens umzugehen. Masud Khan schreibt davon dass ein Aspekt der hysterischen Inszenierung darin besteht, den anderen dazu zu zwingen ein Zeuge/Komplize zu sein, eine Art Triangulierung wo die Hysteriker den Analytiker dazu zwingen ihre Introjekte mittels eine Form von „performance art“ wahrzunehmen. „Wenn wir uns bewusst werden, dass die Externalisierung von psychischen Zuständen deshalb bei Hysterikern stattfindet,“ schreibt Christopher Bollas, „weil sie sich an das Scheitern der Mutter, ihr Kind zu internalisieren, angepasst hätten.... dann wird uns klarer warum hysterische Patienten ein so dringendes Bedürfnis haben ein Ereignis in unserer Gegenwart zu sein dass es sehr schwer ist, sie zu vergessen. Wir beobachten den verzweifelten Versuch des Säuglings, ein Abbild von sich in die verweigernde Mutter zu implantieren. Solche Menschen scheinen vollends damit präokkupiert zu sein, den Analytiker zu ergreifen um eine unvergessliche Vision zu erzeugen, und dieses Ziel hat Priorität über das Denken, Reflektieren und Verstehen.“ Wo die Hysteriker zu Freuds Zeiten den psychischen Konflikt in ein gelähmtes oder betäubtes Objekt als Teil ihres Körpers umwandelten, wird heute der Analytiker selbst zum Behälter für diese Umwandlung. Die scheinbare Oberflächlichkeit der Hysteriker induziert im Analytiker eine seltsame Indifferenz und Unsensibilität gegenüber dem psychischen Leiden des Patienten, da alles wie eine „Show“ erscheinen mag. Man wird an das kleine Mädchen erinnert, das so oft „Feuer!“ geschrien hatte, dass niemand ihr mehr glaubte, auch wie das Haus wirklich zu brennen begann. „Hysterie ist immer die Schöpfung zweier Personen,“ meint Bollas, „ursprünglich von Mutter und Kind – und das was vorhin in der hysterischen Symptomatik als individuelle neurotische Schöpfung erschien wird nun in der analytischen Situation zu einer Krankheit von zwei Personen.“ Damit aber schlüpft die wandelbare Gestalt der Hysterie erfolgreich aus dem Gebäude der Metapsychologie wieder heraus.... Anstatt zu fragen welches Verständnis die Metapsychologie von der Hysterie besitzt könnten wir umgekehrt fragen, wie das hysterische Verständnis der Metapsychologie beschaffen sein könnte? Dieser Ansatz wird von Lucien Israel in seinem Buch Die Unerhörte Botschaft der Hysterie vertreten. Als Lacan-Schüler der sich später etwas vom Meister distanziert hat will Israel auch eine Rückkehr zu Freud, aber zum frühen Freud als Zuhörer und nicht als metapsychologischer Theoretiker: einer der zuhören konnte ohne zu klassifizieren, einzuteilen und eine immer komplexere Diagnostik zu erstellen. Die Definition der Hysterie ist nach Israel niemals gegeben worden und wird auch niemals gegeben werden. Ihm geht es darum: was will der Hysteriker oder die Hysterikerin eigentlich? Seine Antwort lautet: eine andere Sexualität und eine andere Liebe. Hier sind analytische verbrämte verhaltenstherapeutische Maßnahmen wie Abstinenz, Abprallen lassen, Ignorieren der Symptomatik, gänzlich unangebracht. Vielmehr geht es um eine Anerkennung der libidinösen Wünsche und Hoffnungen. Wenn schon keine Befriedigung gegeben werden kann, so zumindest ein Zuhören damit ein Raum dafür gegeben wird ohne Vorurteile, Prädispositionen, Klassifizierungen, Vertretung eines Realitätsprinzips et al. Die Idee einer anderen Liebe, einer anderen Sexualität bleibt kulturkritisch relevant; die klassischen hysterischen Symptome des 19. Jahrhunderts zeugen davon wie die Liebe ohne Sexualität zum gängigen Kulturwerk gehörte. Sexualität wurde nicht erwähnt, die Liebe dafür in der romantischen Kunst betont. Das hat sich heute geändert, vielleicht sogar umgekehrt, die Sexualität ohne Liebe wird als Befreiungsweg zelebriert und der Zusammenhang zwischen beiden bleibt nach wie vor brüchig. Daher vermuten wir eine ebensolche Verbreitung der hysterischen Störungen heute wie damals. Autoren die meinen, die hysterischen Persönlichkeiten sind weniger geworden haben aus meiner Sicht Unrecht. Sie sind nur weniger in den Behandlungsräumen der Psychoanalytiker als vielmehr in den Ordinationen der praktischen Ärzte zu sehen, meistens mit einer Fülle von körperlichen Symptomen die wie erstarrte, chronifizierte Konversionssymptome anmuten. Die Hysteriker haben gelernt, dem Psychoanalytiker auszuweichen – und mit Recht, denn die Analytiker haben sich auch geändert, sie sind meist nicht mehr das, was sie zu Freuds Zeiten, in der Pionierzeit der Psychoanalyse, waren: Menschen die zuhören und neugierig waren auf das, was die Symptomatik wirklich aussagen konnte, auf den Hunger nach Liebe, Anerkennung und Erfüllung. Auch wenn die Hoffnungen utopisch sind, nie ganz erfüllbar, ist ein Mitgehen möglich. Aber wie weit kann mit mitgehen? Das will die Hysterikerin wissen. Der heutige Analytiker kommt mit einem ganzen Instrumentarium von Deutungen, von metapsychologischen Kategorien daher und die heutigen Hysteriker fühlen sich noch wohler beim praktischen Arzt wo sie immer wieder ihre Enttäuschungserlebnisse festmachen können. Dies impliziert nach Israel bestimmte Forderungen an die psychoanalytische Haltung, der Fehler in der Gegenübertragung sei – im Gegensatz zur Ansicht von Mentzos – vielmehr in der Distanziert einer übertriebenen Abstinenz zu sehen als in der Zuneigung. Die Angst von der Hysterikerin verführt zu werden schafft eine Reaktionsbildung beim Analytiker: wie bei Freud im Fall Dora wird zu wenig Mütterlichkeit, Verständnis, Mitgehen, Echo gewährt, sondern der „Diskurs des Herren“ wird fortgesetzt im Wunsch, die Situation unter Kontrolle zu halten, oder der Diskurs der Wissenschaft, wenn die Metapsychologie zu stark ins Spiel kommt, wenn die Phänomene vorwiegend aus den Büchern über Neurosenlehre überprüft werden. Dann wird der Zusammenprall unvermeidlich. Wenn immer nur die oralen Probleme gesehen werden bedeutet das, Frau und Mann wiederholen nur das Muster von Mutter und Säugling. In der Liebe zwischen Mann und Frau sollen nicht die frühen Beziehungen zwischen Mutter und Säugling wiederholten werden, sie müssen ihre eigene Liebe zueinander neu erfinden, ohne Führer und Vorbilder. Das ist es, was die Hysterikerinnen anstreben. Sie rebellieren ja nicht nur gegen ein internalisiertes Über-Ich das aus frühkindlichen Erfahrungen entstanden ist, sondern gegen das institutionalisierte Über-Ich in den gesellschaftlichen Normen der äußeren Realität. Hysteriker haben ein außerordentliches Gespür für die Schwachstellen des Analytikers dort wo er sich auf den Diskurs des Herren oder der Universität zurückziehen möchte. Besonders typisch dafür ist, die eigene Gegenübertragung als Manifestation des hysterischen Patienten zu deuten, etwa: „Diese hysterische Frau macht mich aggressiv, sie beschwert sich fortwährend. Ich kann ihr nicht helfen und das Leiden geht weiter.“ Dann werden die Konflikte vor allem im Kontext der Aggressivität gedeutet, die Patientin leide an einer mangelnden Abfuhr ihrer aggressiven Impulse. Aber erstens ist fraglich ob die Aggression ohne wirklich ausreichende Basis der libidinösen Verständigung deutbar ist, zweitens ist die Gefahr gegeben den Analysanden erst recht in jene Aggressivität hineinzutreiben, die man ihm vorgeworfen hatte, also eine selbsterfüllende Prophezeiung. Wenn genügend libidinöse Basis vorhanden ist werden die Zerstörungswünsche mit der Zeit von selber einsichtig, ohne dass man sie dem Analysanden auf den Kopf werden müsste. Nach der Lacan’schen Ansicht ist das ganze Gerede von der Aggressivität im Prinzip unanalytisch. Es gibt den Todestrieb aber er ist weder gut noch böse: er ist nur das Prinzip der Ökonomie, dass alles ein Ende haben muss. Aggressivität als böse, zerstörerische Ur-Neigung des Menschen zu sehen mögen Melanie Klein oder Verhaltensforscher wie Konrad Lorenz behaupten, das habe aber nichts mit Psychoanalyse zu tun. Aggression sei kein Urtrieb sondern wohl nur die wertende Haltung von Objektbeziehungstheoretikern, die sich an den gängigen kulturellen Moralvorstellungen halten. Was sind „böse“ oder „gute“ Introjekte? Sind sie nicht letztlich Repräsentanzen einer gängigen Kulturmoral? Insofern bleibt der Anspruch einer Metapsychologie, alles verstehen zu wollen, eine Art Vergewaltigung des Subjekts. Der Tod stellt einen Riss im Dasein dar, ein Urbild der Kastration, als Verlust der Liebe des Objekts konstituiert er erst die Liebe. Wenn ich mit der Hysterikerin in einer Liebe mitgehe, die eine verführerische und verführte ist, muss ich doch berücksichtigen dass jede Analyse ein Ende hat, dass auch unsere Beziehung ein Ende haben wird, spätestens wenn ich sterbe aber hoffentlich früher wenn es keine lebenslange Behandlung werden soll. Diesem Bewusstsein einen Platz zu lassen, dass der Tod erst jene Realität schafft welche die Liebe möglich macht, damit der Narzissmus der kindlichen Wunscherfüllung einen Riss erfährt – die Liebe ist stark wie der Tod, wie es beim Prediger Salomo heißt – das wäre vielleicht die eigentliche Aufgabe des Analytikers. DISKUSSIONSBEITRÄGE Frage: Können Sie noch etwas zur männlichen Hysterie sagen? Bevor ich klinisch zu arbeiten begann hatte ich mir eine Art Einteilung geschaffen: die weiblichen Hysterikerinnen sind wie die Frauen in Dantes Divina Commedia, sie schweben irgendwo in der Luft herum wie Vogelschwärme, im ewigen arc-en-cercle getrieben, die klassischen verruchten Verführerinnen wie Helena oder Kleopatra. Und die Männer gehen mühsam den Läuterungsberg hinauf, ewig ihre Litanei von ihren Sünden, von ihrem Versagen vor sich hin betend, in einem philosophierenden Ritual. Diese Einteilung musste ich dann aufgeben als ich mit Kindern zu arbeiten begann, wo mir zuerst einmal lauter hysterische Buben begegnet sind – die konnte ich dann später in der Arbeit mit erwachsenen Männern wieder finden. FM: Vielleicht habe ich das Thema der männlichen Hysterie wegen zu großer persönlicher Betroffenheit unterschlagen! Nun, wir haben bei der weiblichen Hysterie konstatiert, im äußeren Gehabe wirke immer eine gewissen Unsicherheit über die Geschlechtsrolle mit, eine übertriebene Weiblichkeit oder eine übertrieben Männlichkeit in Kleidung oder Haltung. Dies ist in der männlichen Hysterie genau so anzutreffen: Männer die ein besonders phallisches Gehabe an den Tag legen, der Don-Juan oder Macho-Typus der ständig neue Eroberungen von Frauen benötigt um seinen Kastrationskomplex zu verleugnen: sein Penis kann sich bei jeder neuen Frau aufs Neue potent erweisen, in einer konstanten Beziehung würde das fraglich werden. Auf der anderen Seite einer solchen Lederjacken- und Motorradkultur finden wir die übertrieben feminisierte Männer, die „Softies“, oft auch bärtig weil der Bart da etwas kompensiert – er ist zwar Zeichen der Männlichkeit aber zugleich taktil, weich und verschleiert den Kinn, vielleicht wie eine Verschiebung der weiblichen Schamhaare nach oben.... Viele männliche Konversionssymptome werden nie als hysterisch diagnostiziert, die vasomotorischen Anfälle, die vegetative Dystonie, die Schwindelanfälle. Hysterische Männer werden sich oft auf übertriebene Weise nach dem anderen richten, sich unterordnen. Diese Männer neigen dazu, stärkere oder ältere Frauen zu verehren oder zu heiraten, unterwerfen sich dann deren Diktaten, erleben aber dabei oft Wutentladungen, Jähzornsausbrüche die meist in ihrem hysterischen Charakter verkannt werden. Oft sind sie zwischen mehreren Liebschaften hin und hergerissen, sitzen zwischen den Stühlen und können sich nicht entscheiden, haben immer ein Hintertürchen offen. Bei den Frauen wird das immer als zentrales Lebensdrama gesehen, beim Mann lässt sich das leichter kaschieren, es gehört halt dazu, er steht ja mitten im Leben, das kann er immer als peripher zu seinen wirklichen Arbeitsproblemen abtun. Frage: Sie sehen da vor allem ein Problem von Fehldiagnosen? FM: Es ist eben die Sicherheit der Diagnostik welche die Hysterie so gern zu Fall bringen möchte. Aber bei Männern habe ich mir in der Praxis beim Erstgespräch oft gedacht „Da ist eine schizoide oder zwanghafte Struktur, intellektualisierend, rationalisierend, affektlos usw.“ Aber spätestens beim ersten Liegen auf der Couch ist es auf einmal eine blühende Hysterie. Vielleicht kann sich die Hysterie beim Mann erst überhaupt in der intimen Beziehung entfalten. Es gibt für Männer so viele Möglichkeiten in ihrem Berufsleben dieser Intimität auszuweichen, während Frauen vielmehr darauf sozialisiert werden, Liebe und Ehe in den Mittelpunkt zu stellen aber auch viel mehr die kulturellen Beziehungsnormen zu hinterfragen. Wenn gesellschaftliche und ökonomische Probleme in der weiblichen Hysterie personalisiert werden wird der Ehemann, der Vater, der Partner oft als personalisierte Vertretung dieser triebunterdrückenden Instanzen gesehen, die laut Freud eigentlich seit der Eiszeit, seit der Beendigung der Eiszeit uns bedrücken. Aber warum muss ein Einzelner dafür herhalten? Hier kommt dann der Ärger beim Mann hoch, der sich oft selbst vom System unterdrückt und ausgebeutet fühlt aber nun zum offenkundigen Macho deklariert wird, der den ganzen Kulturskandal verursacht hat. In der hysterischen Beziehung wollen beide immer Opfer sein und bezichtigen sich gegenseitig, eigentlich Täter zu sein. Frage: Also die Hysterie ist gleichermaßen bei beiden Geschlechtern vorhanden? FM: Wenn sie weniger bei Männern als bei Frauen diagnostiziert wird, könnte das laut Lucien Israel einen guten Grund haben – vielleicht ist sie wirklich ungleich verteilt und das wäre kein Makel der Frauen. Wenn die Feministinnen klagen „Warum wird immer von der weiblichen und nicht von der männlichen Hysterie gesprochen?“ so fordern sie eine Gleichheit, die es vielleicht nicht gibt, als sollte auch jede Krankheit gleich verteilt werden. Die soziale Gleichstellung der Geschlechter zu fordern ist etwas anderes als eine immanente Gleichheit der Geschlechter vorauszusetzen, dies verträgt sich nicht mit einer analytischen Haltung. Interessanterweise kommen bei Männern die hysterischen Symptome besonders in Kriegsneurosen vor, Freud hat sie gut recherchiert, das sogenannte „Kriegszittern“ zum Beispiel. Vielleicht sind im Alltag die Frauen vielmehr in einer Art von Krieg involviert als die Männer. Hier ist der Feind für sie viel realer, während der Mann doch den Ausweg finden kann, sich passiv-homosexuell diesem Feind, dem übermächtigen Vater, zu unterwerfen oder sich mit ihm zu identifizieren: so kann er diesen Konflikten einer patriarchalischen Kultur leichter entkommen. Frage: Meine Frage ist, ob Sie nicht hier in eine Falle, in eine hysterische Falle geraten sind? Wenn Lacan immer vom „hysterischen Subjekt“ spricht, kommt ihm die französische Sprache zu Hilfe; der Terminus „le discours de l’hysterique“ enthält kein Geschlechtsmerkmal. Lacan sagt, das hysterische Subjekt zeichne sich dadurch aus, dass es Fragen stellt und den anderen dazu bringt, ständig darauf zu antworten, solange bis es ihm zu bunt wird und er in einen „Diskurs des Wissens“ übergeht und eine Pädagogik erzeugen will. Insofern ist bereits jedes Fragen Bestandteil des hysterischen Diskurses, weil es in der Hysterie darum geht, ein Begehren – und zwar ein ständiges Begehren – zu erwecken, das Begehren darf nie zur Ruhe kommen können. Das Geschlecht das von vornherein glaubt, oder auch so behandelt wird, dass es einen Mangel besitzt, ist besonders dazu aufgefordert, Begehren beim anderen zu erwecken, selbst begehrt werden zu wollen. Daher der Vorrang des hysterischen Diskurses bei den Frauen. Sie haben schon recht, wenn sie sagen, da ist ein Bruch in den Kategorien, wenn von oral und anal usw. zu ödipal übergegangen wird, weil sich jetzt eine Beziehungsproblematik auftut. In der ödipalen Phase geht es erstmals nicht darum, eines Objektes zu bedürfen, sondern eine Beziehung zu begehren. FM: Ja, Ihr Kommentar ist sehr hilfreich. Der große Unterschied ist zwischen Bedürfnis und Wunsch, daher spielt die Bedürfnisbefriedigung des Hysterikers überhaupt keine Rolle, es geht ihm nie um Bedürfnisbefriedigung sondern immer nur um das Aufrechterhalten des Wunsches, vom anderen geliebt zu werden. Frage: Sie sprechen davon, wie oft die Analität beim Hysteriker unterdrückt wird und doch scheint es so unproduktiv zu sein die aggressiven und bemächtigenden Komponente der Neurose zu deuten? FM: Ein besonderes Problem hier sind die Schamgefühle, die für Freud in der DoraBehandlung wohl zum Verhängnis wurden. Bei der sehr schüchternen Hysterikerin die leicht rot im Gesicht wird, die kaum etwas sagt, findet man zwar die Verdrängung der sexuellen und aggressiven Impulse aber auch ein anales Element der besonderen Zurückhaltung, ein anales Genießen dass man seine Mitteilung wie etwas kostbares zurückhält. Nur ist das schwer anzusprechen, weil es so stark von Schamgefühlen überlagert ist. Frage: Könnten hier nicht auch Unterschiede im weiblichen und im männlichen Über-Ich bestehen? Hysteriker brauchen immer Publikum, aber das wichtigste Publikum ist das eigene Über-Ich. Sie inszenieren doch eigentlich alles um vom Über-Ich als nicht-schuldig angesehen zu werden. Freud meinte, Männer hätten ein stärkeres Über-Ich, heißt das, dass Frauen in der Regel ein flexibleres und liebevolleres Über-Ich besitzen? Da wäre doch ein Unterschied in der Gegenübertragung, ob wir einen hysterischen Mann oder eine hysterische Frau mit dieser Inszenierung in Analyse haben. Inwieweit könnte da -? ....... (Ende der Aufzeichnung) Bibliographie: Bollas C (1991): Hysteria, London Brenman E (1990): Hysterie, Stuttgart Fenichel O (1974): Psychoanalytische Neurosenlehre, Olten Israel L (2001): Die Unerhörte Botschaft der Hysterie, München Mentzos S (2002): Hysterie, Frankfurt a. M. Szasz T (1974): Die Fabrikation des Wahnsinns, Olten