Seminarskript Psychische Krankheitsbilder und Kunsttherapie K.-H. Menzen, Sommersemester 2014 Persönlichkeitsstörungen erfassen für das Individuum typische stabile und beherrschende Verhaltensweisen, die sich als rigide Reaktionsmuster in unterschiedlichsten Lebenssituationen manifestieren und mit persönlichen Funktionseinbußen und/oder sozialem Leid einhergehen. Einführung: Die Erfindung der Hysterie – und der Beginn einer wissenschaftlichen Krankheitslehre von der Psyche (Das folgende Kapitel 1 ist Teil einer Veröffentlichung und darf nur für private Zwecke genutzt werden) 1 Mesmerismus und Hypnosepraxis Die Suggestionsmethode des Franz Anton Mesmer um 1800 und die Bilder der Salpétrière um 1880 wie die ihres Chefarztes Charcot, der eine Spielart dieser Methode benutzt, lassen eine Hypothese zu, die da heißt: In den Symptomen der Patienten, speziell der Patientinnen des ausgehenden 19. Jahrhunderts spiegelt sich eine Art der Entleibung, umgekehrt: der Aneignung sexueller Körperlichkeit, welche männerbündnishaft wie im Raum der Kirche so hier im Raum der Klinik verwaltet wird. Probehalber wird in der berühmtesten Klinik Europas, des psychiatrischen Klinikums Salpétrière in Paris, ein Phänomen öffentlich, wird dieses theatralisch inszeniert und einer erweiterten Öffentlichkeit zugänglich gemacht, das wir Hysterie nennen. Ein Mythos, der des hysterischen weiblichen Körpers entsteht. Und eine doppelte Natur dieses Körpers zeigt sich: einerseits eingebildet - symptomatisch, andererseits real symptomatisch. Christina von Braun hat in Ihrem Aufsatz " Das wandelbare Gesicht der Hysterie. Von der Hysterie zur Anorexie" (vgl. web) auf den vergleichbaren Akt der Verwandlung bei der Transsubstantiation hingewiesen, auf "das Fleisch gewordene Wort", das in der Salpétrière real - symptomatisch per suggestiver Hypnose Lähmungen, Krämpfe, Erstickungsanfälle und Sprachverlust hervorruft. Das hierfür notwendige Wort spricht selbstinduziert-hypnotische Trance anregend der Therapeut, der für diesen Akt von Penetration nicht zahlt - wie im Altertum üblich (vgl. die Praxis mit den entlohnenden Bordellmarken, der ersten Entstehungsform des Geldes ; siehe Abb.), sondern - und das ist in dieser Klinik nicht unüblich - mit dem sexuellen Gegenwert für seine Arbeit entlohnt wird. Wir sprechen also über eine Art der Tempelprostitution, wie wir sie von den Assyrern oder Griechen des fünften vorchristlichen Jahrhunderts kennen, - wie sie in der die psychiatrische Klinik der Neuzeit begründenden Praxis der Salpétrière verbürgt ist (Didi-Hubermann, 1997, 198) und offenbar derzeit in pädagogischen und kirchlichen Erziehungseinrichtungen der Gegenwart sublim weitergeführt worden ist. Thomas Kerstan und Martin Spiewak (ZEIT 12, 2010) sprechen von "Parallelen zwischen Tätergemeinschaften" pädagogischer und kirchlicher Provenienz, die wir hier um die klinische verlängern. In Deutschland wie in Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts sind die soziokulturellen Weihestätten der Gesellschaft ähnlich männerbündlerisch organisiert. Ob wilhelminischmilitärisch, jansenistisch-kirchlich, reformpädagogisch oder klinisch-psychiatrisch, - " innige persönliche Beziehungen" (so der Reformpädagoge Geheeb) suchen die distanziertobrigkeitsstaatlichen zu kompensieren, liberal zu unterlaufen. Innige persönliche Beziehungen - das waren in der Klinik Salpétrière Kompression des Uterus, Friktionen der Geschlechtsteile, Masturbationen und sogar Verordnungen des Beischlafs, wie Briquet, einer der Erfinder der Hysterie es schonungslos beschreibt. (Didi-Huberman, 1997, 1998) Was da auf Gongschlag assoziativ per Hypnose freigesetzt wurde, ereignete sich nicht selten auf den Weg der Penetration. "Die Geburt der Klinik", wie sie Michel Foucault skizziert, lebte von der sexuellen Initialisierung, lebte von einem Opferakt, dem die auffällig gewordene, zuweilen familiär widerständige Frau sich zu unterwerfen hatte. Wenn die beliebteste Versuchsperson der Klinik, Augustine, als ehedem vergewaltigte und nunmehr die psychischen Reaktionen reinszenierende Patientin in der für eine Öffentlichkeit freigegebenen Theaterszene hypnotischer Reaktualisierung auftritt, reißen sich die Assistenten Charcots um dieses Mädchen, solange bis es ihr zu viel wird und sie als man verkleidet aus der Klinik flieht. (Abb.) Die Beckendusche (Pelvicdouche), wie sie schon um 1860 zur HysterieLinderung angeboten wird, macht die sexuelle Absicht überdeutlich. Als Charcot die Klinik Salpétrière als Chefarzt übernimmt, liegen dort in den Bettensälen an die 20.000 Patientinnen - und wir müssen uns das Szenario vorstellen: schreiend, sich wälzend, stöhnend, sexuell sich gebärdend, eben so, wie man ihnen beigebracht hat, auf welchem Weg sie Beachtung finden. Charcot reduziert ihre Zahl auf 4000, - und über die Aspekte, die Auswahlkriterien der Reduktion brauchen wir uns keine sonderlichen Gedanken machen, sie sind u.a. sexueller Natur, richten sich auch danach, welchen wissenschaftlichen Wert die Patientinnen ersprechen. Der Chefarzt und seine Assistenten installieren ein Fotolabor, legen eine "Iconographie photograpique de la Salpétrière" an, Dokumente, aus denen alle hineinzulesenden Anzüglichkeiten retouchiert sind. Didi-Huberman: "So bekommt man sie im Bildausschnitt, im Klischee, nie zu sehen. An vielen Details spürt man, dass sich die Berührung, einverständliche Liebkosung oder Brutalität, auslöschen will. (ders. 1997, 199) Und Didi-Huberman fragt an: "Wie konnte die Beziehung zwischen einem Arzt und seiner Patientin in einem Hospiz von viertausend 'unheilbaren' Körpern, eine Beziehung, die neben der Ehe fast als einzige die Betastung der Körper autorisierte, ja instituierte - wie also konnte diese Beziehungen zur Sklaverei, zum Besitz, zur Quälerei werden?" (ders. 1997, 198) - wir sind im Thema unseres Buches angelangt. 2 Die Inszenierung des nicht zugelassenen Sexuellen "Ich sage immer, dass sich in Wahrheit, eine bestimmte, die tiefere Schichten von Wahrheit, nur erreichen lässt durch Stilisierung und Inszenierung und Erfindung." (Werner Herzog, Zeit-Interview, 4.2. 2010) Das Krankheitsbild der Hysterie wird später Konversions-, Dissoziations-, so Somatisierungsstörung genannt. Und wird damit ausdrücken, dass psychische Belastungen und Konflikte in körperliche Symptome umgewandelt werden - ohne dass eine eigentliche körperliche Störung entsteht. Wir haben vielleicht von dieser Krankheit im Verlauf einer Schilderung Anna O.s gehört, der berühmtesten Patienten von Josef Breuer, der zum Ende des 19. Jahrhunderts in Wien diese Frau mit ihren bürgerlichen Namen Bertha Pappenheim versuchte zu kurieren. Eine Redekur, talking cure nannten beide diese Behandlungsart, wenn der die Patientinnen überbelastende Erlebnis werden Zustände der Vergangenheit sprach und nochmalig durchlebte. Die Krankheitssymptom, dass Anna O. im Verlauf der Pflege ihres sterbenden Vaters annahm, Sprachverlust und Lähmungserscheinungen, wurden von Josef Breuer, einem der bekanntesten ärztlichen Diagnostiker seiner Zeit, als hysterische Symptome bezeichnet und mit einem der Wärmeenergetik Carnots entliehenen Modell vom Erhalt aber möglichen Verschiebungen der Energie erklärt: Hiernach verschöben sich nicht nur die physikalischen, auch die psychischen Erregungssummen, hier speziell auf abnormem Wege; der Organismus habe das Bestreben, das Niveau der Erregung fest zu halten und wieder zu erreichen, nachdem es überschritten worden sei. Die psychische Energie wird also in ihrer Summa als konstant betrachtet, wobei sie allenfalls durch Umwandlung der motorischen oder assoziativen Tätigkeit in kinetische Energie summativ veränderbar sei.(Hirschmüller 1978, 13f.) Sigmund Freud wird bald diesem Konzept widersprechen und für die Tendenz zur Erniedrigung der Erregungssumme nach dem Prinzip der Abfuhr (Katharsis) plädieren. Wo von Summe die Rede ist, kann geteilt werden. Also liegt die Vermutung nicht weit, dass die Summe des Erregungspotenzials teilbar ist, also aufgespalten werden kann. Wir sind bei Breuers Erkenntnis, dass das hysterische Symptom sich durch eine Spaltung des Bewusstseins, psychischen Tätigkeit definiert. Und tatsächlich stellen wir fest, dass zu der Zeit, in der Freud und Breuer ihre "Studien zur Hysterie" (1895) schreiben, vielen Patienten und Patientinnen in den Anstalten Europas ihre gespaltenen Bewusstseinsausdrücke auf Papier und Leinwand bringen. Und obwohl ein Teil dieses abgespaltenen, also dissoziativen Zustandes, in dieser Befindlichkeit dem bewussten Zugriff nicht mehr erreichbar ist, zeichnen, malen, plastizieren die Patienten in Reaktion auf ihre psychisch belastenden Erfahrungen. Solches wird nämlich jetzt immer deutlicher: Wer schwerwiegende, nunmehr kommt die Bezeichnung auf, traumatische Erfahrungen in seinem Leben gemacht hat, musste sie unter Umständen wegblenden, abspalten, ist angesichts von deren schwer lähmenden Affekthaltigkeit in einen Zustand der sogenannten Amnesie, d.h. totalen oder partiellen Gedächtnisausblendung gegangen. Unter der Hand wird die Hysterie zunehmend als Dissoziation nach Psychotraumata bezeichnet. Und die Künstler und Künstlerinnen, solchermaßen betroffen, zeichnen, malen sich in totaler Isolation. Freud und Breuer werden sich über den Realitätsgehalt des Erlebten so auseinandersetzen, dass sich trennen. Freud, der noch vor der Jahrhundertwende einen Arbeitskreis für die sexuell ausgebeuteten Mädchen gründete, die vornehmlich als Dienstkräfte in die großen Städte wie Wien oder Berlin strömten, abgefangen und zu sexuellen Dienstleistungen gezwungen wurden (wir sprechen von zirka einem Prozent der Bevölkerung, die auf den großen Bahnhöfen Europas von der aufkommenden Bahnhofsmission schließlich betreut wird), wird gegenüber Breuer schon bald diese Form der psychischen Traumatisierung eher der Fantasie schulden. Darüber werden sich nicht nur diese beiden Männer trennen, darüber wird auch die große Zahl seiner Schülerschaft sich von ihm lösen. Werden Freud darin missverstehen, dass er traumatische Erfahrungen nicht in ihrer Faktizität ablehnt, wohl aber auf die gelingende bzw. misslingende Form ihrer Verarbeitung verweist. Die gemeinsame Erkenntnis der "Studien zur Hysterie" ist im Sinne Freuds und Breuers jedoch unumstößlich: Die Wirkungsweise psychischer Traumen ist durch eine Zurückhaltung von Affekt zu erklären; die Auffassung des hysterischen Symptoms erklärt sich als eine aus dem Seelischen ins Körperliche versetzte Erregung - und Freud setzt hinzu: Ideen, für welche wir die Termini "Abreagieren" und "Konversion" geschaffen haben. (Freud 1904, V, Über Psychotherapie) Immer noch hält die aufkommenden Psychoanalyse, wie Watzlawick einhundert Jahre später verdeutlichen wird (1980, 12f.), an der ausschließlichen Betonung der mit Erhaltung und Umwandlung von Energie zusammenhängenden Phänomene fest, an den Merkmalen einer aus dem ersten Hauptsatz der Wärmelehre übernommen Theorie, die die psychische Energie (Libido) mit dem hydraulischen Modell einer zähen, geradlinigen und da determiniert zu berechnenden Flüssigkeit vergleicht. Watzlawick wird Jahre später den evolutiven, systemischen, selbstregulativen und sich rückkoppelnden Charakter der Energie Bertalanffys herausheben. Desungeachtet weren aber bis heute viele mit Traumaphänmenen Umgehende an dem alten psychischen Energiebegriff festhalten. Pierre Janet (1859-1947), einer der wohl begabtesten Schüler Charcots, wird den systemisch sich manifestierenden Charakter des Traumas erahnen: "Es ist, als hätte sich eine Vorstellung, ein partielles Gedankensystem emanzipiert, wäre unabhängig geworden und hätte sich auf eigene Faust entwickelt ... es (scheint) nicht mehr vom Bewusstsein kontrolliert zu werden." (1906, Harvard-Vorlesung) Er definiert die Hysterie als Spaltung der "Ideen und Funktionssysteme, die die Persönlichkeit konstituieren." Und Janet erläutert, wie die Hysterie von einer "übermächtigen Vorstellung, die in abnormer Weise auf den Körper einwirkt", bestimmt wird; er nennt eine solche Vorstellung "Suggestion", die infolge nicht mehr vom Bewusstsein kontrolliert wird, "sich ohne Führung davon zumachen" sucht. (ebd.) Das Opfer eines Kutschenunfalls, das gegen alle Realität glaubt, das Rad sei über sein Bein gefahren, ist als gelähmtes willkommenes Beispiel für seine Theorie. Nicht wenige der Opfer, die in den Psychiatrien Europas einsitzen, malen demonstrativ ihren Zustand als gespalten und werden oft infolge fälschlicherweise als psychotisch eingestuft. Die Diagnosepraxis der Psychiatrie erweist sich nicht selten, so Gunter Herzog (1984), als willkürliche Zuschreibungsdiagnostik, die sich wohl differenziert: Mit großen wissenschaftlichen Interesse wird vermerkt, wie Bewusstseins-und Bewegungskomplexe zusammenhängen, aufeinander verwiesen sind. C.G. Jung, der 15 Jahre nach Freud die Pariser Klinik aufsucht, wird von Janet lernen, dass "in der Hysterie... besonders physiologische ... Funktionen gestört (werden)", dass es sich um "Projektionen der primitiven Psyche" handelt. (Jung, Analytische Psychologie und Weltanschauung, 1979, S. 401; Psychologische Determinanten, 1979, S. 143) Und in unseren Tagen werden Koma-Patienten, die wegen psychischen Unfallsfolgen behandelt werden, auf Grund ihrer Körperhaltungen diagnostiziert, die sich nach ihren traumatischen Erlebnissen im Körpergedächtnis des autonomen Körperselbst eingeschrieben haben (Stammhirn, Hypothalamus, Hypophyse, Basalganglien). (Johnson 1980,364) Das aus allen Fugen geratene sexuelle Erregungspotenzial weiss selbst in der komatösen Rückzugsposition eine Antwort auf die traumatisch-isolative, dissoziative Situation, inszeniert sich körperhaft. (Zieger, 2002) (Abb.) 3 Rückblende: Aufkommende Suggestions- und Hypnosetechniken des 19. Jahrhunderts Um die Wende zum 19. Jahrhundert wird ein Heilmittel erfunden, der animalische Magnetismus. Er beruft sich auf ein universal verbindendes Fluidum, also eine Substanz, die alle miteinander verbindet. Sie ist magnetisch, so die romantische Einsicht, bringt alles mit allem zusammen, erschafft Korrespondenzen, so wie Sonne und Mond, Wasser und Erde, Kälte und Wärme etc. Die Naturmedizin der Romantik geht von einem dieseswegs bewerkstelligten Gleichgewicht aus, einer Homöostase der Naturprozesse. Animalisch heißt diese Lehre, weil auch die Menschen miteinander verbunden sind in Anziehung und Abstoßung auf der Grundlage dieses Stoffes, den man Fluidum oder Äther nennt. Ist der Mensch gesund, ist er offenbar im Gleichgewicht; ist er krank, ist die Regulation der Beziehungskräfte gestört. 1775 entdeckt Franz Anton Mesmer, der 1766 eine Dissertation über den Einfluss der Planeten (des Makrokosmos) auf die Krankheiten (des Mikrokosmos) geschrieben hat, den medizinalen und finanziellen Nutzen dieser Theorie. Er setzt sie in eine gesundheitliche Praxis um, in deren Gebräu aus astrologischen, alchemistischen, elektrophysikalischen und anfänglich-psychosomatischen Erkenntnissen jene feinstofflichdurchdringende und -verbindende Substanz, eine Art Lebenselexier der Gesundheitszustand des Menschen garantiert sein soll. Mit Hilfe eines magnetischen Zubers oder Bottichs, in dem Wasser mit magnetisierten Spänen vermischt eben jenes Fluidum abbildet und - wenn man seine vielleicht kranken Gliedmassen in es eintaucht - heilsam zu wirken in der Lage ist, wird der Gesundheits- als Gleichgewichtszustand wiederhergestellt. Der Magnetiseur - später wird er heißen: Hypnotiseur, noch später: Psychotherapeeut - hat für den Ausgleich, das ungestörte Zusammenwirken der Regulationskräfte des Körpers zu sorgen. Die Theorie ist nicht ganz ohne Hintergrund, bezieht sich auf Isaac Newton, der eine Anziehungskraft zwischen allen Massen (Gravitation) gelehrt hat und dabei von einer Art Äther ausgegangen ist, - eben von jenem Fluidum, in welchem Kräfte zwischen lebendigen Körpern aufeinander wirken. Chinesische und indische Vorstellungen, die in den Großstädten Europas der damaligen Zeit umlaufen, den Vorstellungen von jenem Lebensstoff, der wie das indische Prana oder das fernöstliche Chi unseren Körper durchströmt und reguliert, finden sich in dem Topf dieses Gebäudes genauso wieder wie die Lehre des Schweizer Johann Samuel Halle, der 1784 ein Buch mit dem Titel "Magie oder die Zauberkräfte der Natur" verfasst. Magnetismus ist in aller Munde. Wundersam geformte Magnete sollen spezifische Einflüsse auf spezifische Organe bewerkstelligen, herzförmige Magnete beispielsweise das Herz beeinflussen, alle kleinen und großen Körper beseelen und beleben, so Professor Wolfart in seinem Buch "Mesmerismus oder System der Wechselwirkungen, Theorie und Anwendung des tierischen Magnetismus als die allgemeine Heilkunde zur Erhaltung des Menschen" (1814). Wolfart weiß, dass ein solcher Magnetismus wieder Ordnung in den Zusammenhang der Körperteile bringt. Das bringt ihm den Applaus der französischen und deutschen Oberschicht ein und macht ihn populär, obwohl Napoleon die Lehre als einer Art adligen Okkultismus zu unterdrücken sucht. Trotz der Ablehnung einer wissenschaftlichen Kommission der französischen Regierung (1784) erhält der Magnetismus Zuspruch aus Philosophie, speziell der Naturphilosophie (Schelling), der Literatur (Edgar Allan Poe) wie der Musik (Mozart: Cosi fan tutte) und revolutioniert das Gesundheitswesen der Zeit. James Braid wirkt 1843 in England, Hyppolite Bernheim um 1865 in Frankreich, - und eine durchgehende These der Praktizierenden lautet: die suggerierten Vorstellungen in den Séancen der mesmerischen Praxen streben danach, "zur Empfindung, zum Bild, zur Bewegung zu werden" (Bernheim, 1840 bis 1919). Sie können solchermaßen heilsam auf die dysregulierten Kräfte des Körpers zu wirken. Pierre Janet wird sich später gerade diesen regulativen Kräften der Suggestion, die er in der Hysterie gestaltgebend vorfindet, widmen. Und die neurologische Forschung wird entdecken, dass Hysterie und Suggestion im denselben präfrontalen Arealen des Cortex wirken. Axel Munthe (1857 bis 1949), Leibarzt der schwedischen Königin und Mitarbeiter in der Salpétrière um 1880, wird in seinem berühmten Werk "Das Buch von San Michele" (1929) die diagnostischen und suggestiv-hypnotischen Praxen der Zeit so schildern, dass eine breite europäische Oberschicht von den Phänomenen der Hysterie und ihrer Heilungsversuche fasziniert ist. Warum sind die Leute so fasziniert? Was lässt dieses Buch so verbreitet werden? Es ist das stille Einverständnis einer breiten Käuferschicht, die sich in der Zeitschilderung des Buches wiederfindet, die findet, dass hier etwas ausgesprochen ist, was gemeinhin unerwähnt bleibt. Das 19. Jahrhundert ist eines der grossen innerfamiliären und zwischengeschlechtlichen Tabus. In den sozial- und erziehungsphilosophischen Entwürfen von dem, was den Menschen ausmacht, was ihn aufklärerisch-moralisch und -pragmatisch auszeichnet, werden innere Regungen, werden Gefühle erst um die Wende zum 19 Jahrhundert benannt. Sie finden sich allerdings begrifflich in den aufkommenden Lexika der Aufklärer nur im Rang der unteren Vorstellungsvermögen wieder, entsprechend jener Auffassung, nach der triebhafte Äußerungen vor allem den Tieren, aber auch den Frauen zuzusprechen sind. Hier ist einer der Gründe zu suchen, warum vornehmlich Frauen als Patientinnen in den Psychiatrien derzeit anzutreffen sind. Entsprechend dem allgemein geltenden Tabu kommen Gefühle sowohl im privaten wie im öffentlichen Leben oft nur gewaltsam zum Ausdruck, brechen eben aus. Die Krankheitslehren der Zeit bezeichnen solche explosiven, überzeichneten Gefühlsausbrüche als "hysterisch" und haben umgangsprachlich diese Bezeichnung bis heute beibehalten. Karl Philipp Moritz, Aufklärer der ersten Stunde und auf dem Höhepunkt seiner Karriere Professor für Ästhetik in Berlin, beginnt um 1780, Gefühlsausdrücke aller Art zu sammeln. Sein "Magazin zur Erfahrungsseelenkunde als ein Lesebuch für Gelehrte und Ungelehrte" (1783-1793 ) listet solche umgangssprachlichen Gefühlsausdrücke auf und macht sie einer lesenden Ober- und Mittelschicht zugänglich. Mit den pädagogischen Schriften eines Herbart oder den psychologischen eines Carus werden die emotionalen Befindlichkeiten zum erstenmal wissenschaftlich erfasst und erhalten eine solche Dignität, dass man darüber redet und nunmehr klinisch erörtert, wenn sie allzu leidenschaftlich, d. h. bar jeder Vernunft geäußert werden. Offenbar werden ganz im Sinne der Aufklärung Unterschiede gemacht in den vernünftigen und sinneshaften Äußerungsformen, wird zwischen vernünftiger und sinnlicher Anschauung unterschieden. „Körperliche Ekstase“ als „Symbol der explosiven Ankunft“, hat Mary Douglas in ihren sozialanthropologischen Studien dies genannt, annonciert der „Vermischung von Göttlichem und Menschlichem“ (Douglas 1974, 9) – eben den Beginn der Inthronisation Gottes auf symbolhaftem Weg. 4 Schemen des Blicks: Von rationalen und sinnlichen Weltsichten und wie sie zusammenfinden Immanuel Kant (1724 bis 1804) fordert in seinen aufklärerischen Aufruf, aus selbstverschuldeter Unmündigkeit auszusteigen, dazu auf, die Welt mit autonomem Verstand zu betrachten. Er weiß darum, dass wir die Welt mit zwei Augen betrachten: dass wir sie mit unsern Sinnen erfassen und ihr gleichzeitig eine Struktur, eine vernünftige Ordnung geben. Immanuel Kant entwirft eine Bild- und Erkenntnistheorie in drei Kritikentwürfen (1781 bis 1790) und fordert dazu auf, die innere wie äussere Welt in ihrer Allgemeinheit wie auch in ihrer Besonderheit zu erkennen. "Den Begriffen hängen ... doch immer bildliche Vorstellungen an", sagt er und ergänzt in seiner Kritik der reinen Vernunft (B 181), dass die Bilder der Dinge und Ereignisse im Kopf der Betrachter entstünden. Es ist ein denkwürdiger Satz, der uns bis heute beschäftigt: „Das Bild ist ein Produkt des empirischen Vermögens der produktiven Einbildungskraft, das Schema sinnlicher Begriffe ein Produkt und gleichsam ein Monogramm der reinen Einbildungskraft apriori, wodurch und wonach die Bilder allererst möglich werden..." (I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 181) Kant teilt uns hier seine Annahme mit, dass aus dem Schema der Dinge sozusagen ein Monogramm, schließlich ein Bild entstehe; oder umgekehrt: dass der Schnittpunkt von Monogramm, also einen grafischen Zeichen, und dem Bild die Schemata seien, welche die Sinnes-und Verstandesdaten miteinander vermittelten. Das Problem, das Kant uns hier mitteilt, ist nicht nur ein Problem der Philosophen, sondern auch der Therapeuten. So lesen wir bei Freud: "Ich legte der Kranken die Hand auf die Stirne oder nahm ihren Kopf zwischen meine beiden Hände und sagte: 'Es wird Ihnen jetzt einfallen unter dem Drucke meiner Hand. Im Augenblicke, da ich mit dem Drucke aufhöre, werden Sie etwas vor sich sehen oder wird Ihnen etwas als Einfall durch den Kopf gehen und das greifen Sie auf. Es ist das, was wir suchen.- Nun, was haben Sie gesehen oder was ist Ihnen eingefallen?'" (Freud, GW Bd. 1, S. 168). Und Freud benennt das Problem des Patienten wie des Therapeuten in diesem Vorgang: Beide können mit der Flut von Einfällen bzw. der Bildassoziationen, welche ihnüberkommen, kaum umgehen. Freud: "Es war wie eine Reihe von Bildern mit erläuterndem Texte" (GW Bd. 1, S. 246). Es ist eben nicht leicht, die Bildeinfälle – dies im Sinne der damaligen Heilkunst gesagt – „auf die Reihe zu kriegen“. Es ist wie ein Jonglieren Freuds zwischen Wort und Bild. Dieses zeigt sein Bemühen, verbal die bildhaften Produktionen seiner Patienten zu konstellieren: "Benehmen Sie sich so, wie zum Beispiel ein Reisender, der am Fensterplatze des Eisenbahnwagens sitzt und den im Innern Untergebrachten beschreibt, wie sich vor seinen Blicken die Aussicht verändert." (GW Bd. 8, S. 468) Wir kennen solche Anweisung aus dem hypnotischem Um-Arrangement, bei dem der Wiener Analytiker Josef Breuer seine Patientin Anna O. das Schlafzimmer ihres Vaters umräumen lässt. Der Patient Sigmund Freuds: "Ich könnte es zeichnen, ... aber ich weiß nicht, wie ich es sagen soll" (GW Bd. 11, S. 86). Freud begreift offensichtlich jene Schwierigkeit, Bild in Wort rückzuübersetzen: Er weist darauf hin, "daß ein Bewußtwerden der Denkvorgänge durch Rückkehr zu den visuellen Resten möglich ist" (GW Bd. 13, S. 248); berichtet aber auch von den Schwierigkeiten, die sich hierbei bieten: "Man erlebt es (den Traum) vorwiegend in visuellen Bildern ... Ein Teil der Schwierigkeit des Traumerzählens kommt daher, daß wir diese Bilder in Worte zu übersetzen haben" (GW Bd. 11, S. 86). Die Vorstellungen, die dem Patienten einfallen, repräsentieren, d. h. wieder präsent machen, bilden sozusagen eine Zeitbrücke, welche die Vorstellungen von jetzt und damals verbinden, also die vergangenen Bilder mit ihren noch erhaltenen - wir wissen heute: neuronalen Spuren, Resten synthetisiern. In diesem Vorgang sind die Schemata sowohl erkenntnismäßig wie psychisch-kognitiv und -emotional außerordentlich wichtig. Synthetisieren sie doch die Elemente der Wahrnehmung und Gefühle - Kant sagt: einbildungkräftig. Sie versetzen also in ein Bild, in dem sich sinnliches und verstandesmäßiges Begreifen treffen. Schemata, das hat uns Kant, der diese wiewohl nicht psychologisch verstanden wissen wollte, gelehrt, bestimmen alle eingehenden Informationen, füllen die Informationslücken und entscheiden darüber, wie wir das Gesehene verstehen. Wenn die momentane Realität sich von den alten aktiven Schemata unterscheidet, werden sie nur wahrgenommen, wenn sie nicht zu übersehen sind. Schemata umreißen also in der Psychologie grundlegende mentale Wissensstrukturen, die einen Gegenstand, eine Situation bzw. ein Konzept in abstrakter, generalisierter Form enthalten. Für Kant, der wie gesagt die Schemata als grundlegendes Werkzeug des Verstandes begreift, ist die Kategorie der Zeit die Hauptdimension, in der sich das sinnliche und verstandesmäßige Erfassen im Bild treffen. Ein Bild, das will uns Kant sagen, ist die Darstellung derjenigen „Vorstellung der Einbildungskraft, die viel zu denken veranlasst, ohne dass ihr doch irgendein bestimmter Gedanke, d.i. Begriff, adäquat sein kann, die folglich keine Sprache völlig erreicht und verständlich machen kann." Eine solche Darstellung repräsentiert ein „unabsehliches Feld verwandter Vorstellungen". (Kant, KdU § 49) So kann Freud, der die Schema - Lehre auf sein System überträgt, zu der Feststellung kommen: "Es ist möglich, den somatischen Effekt eines Gedankens festzustellen, ohne dass das Ich darum wisse ..." (Freud, vgl. rororo-Biografie, nach seinem Aufenthalt bei Charcot, 1886) Sowohl im Traum wie in der Rekonstruktion des Traums via Psychoanalyse wird die zeitliche Reihung der Eindrücke von der anfänglichen Wahrnehmung, über die Spuren dieser Wahrnehmung (Erinnerungsspuren) bis zu ihrer Umsetzung in Handlung insofern wichtig, als sie zurückverfolgt werden kann, die Zeitversetzung von vorher und nachher also im Blick bleibt - das Bild als bleibendes also das sichtbare und bleibende Konstrukt jener Zeitbrücke bildet, welche die zu rekonstruierenden Vorstellungen miteinander verbindet. 5 Wenn sich der Vorhang hebt: Die Nacht der Triebe und der Tag des Bewusstseins In einem Brief an Romain Rolland vom Januar 1936 schreibt Freud: „Sie wissen, meine wissenschaftliche Arbeit hatte sich das Ziel gesetzt, ungewöhnliche, abnorme, pathologische Erscheinungen des Seelenlebens aufzuklären, das heißt, sie auf die hinter ihnen wirkenden psychischen Kräfte zurückzuführen und die dabei tätigen Mechanismen aufzuzeigen. Ich versuchte dies zunächst an der eigenen Person, dann auch an anderen, und endlich in kühnem Übergriff auch am Menschengeschlecht im Ganzen." (Freud S: Brief an Romain Rolland. Eine Erinnerungsstörung auf der Akropolis. GW, Bd. 16) Wie sollen diese psychisch wirkenden Kräfte auf unsere Vorstellungskomplexe greifbar werden, fragt Freud sich und erfährt viele Antworten. So handelt Carl Gustav Carus' (1789-1869) Anschauungslehre unentwegt von diesem einen Aspekt: Aus der Dämmerung der sog. Nachtvölker der Triebe treten die Tagvölker des Bewußtseins hervor; und "der dunkle Körper" ist es hier, welcher des "reinen... Lichts" harrt (Carus 1963, S.194); entsprechend korrellieren den unbewußten die bewußte Aspekte "der Natur- und Seelenwirkungen". (Carus 1963, S.158) Seit Leibniz, seit Sulzer, seit Tetens, seit Schelling und Carus lesen wir; bei Immanuel Kant, bei Jean Paul, bei Arthur Schopenhauer, bei Friedrich Nietzsche erfahren wir: Eine Sphäre des Triebhaften ist mit einer entsprechend wilden, unheimlichen, dunklen, verworrenen, unbewußten Sphäre zu assoziieren; dieser Sphäre ist, wie Kant sagt, die Einbildungskraft verschrieben (vgl. Lütkehaus 1991). Vorstellungs- und Bewußtseinsformen sind kaum mehr nur 'rein und hell' zu entwerfen. Und Sigmund Freud fragt konsequent aber metaphorisch danach, was den sog. 'dark continent... psychisch ur-bevölkere', - während er dabei ist, diese unerklärliche unbewußte Sphäre zu skizzieren (zu der Zeit liest er des Afrikaforscher Stanleys 'Through the dark continent', wie er am 14. August 1878 an Silberstein schreibt). Es handelt sich um eine "unaufhörlich fließende Quelle sexueller Erregung" - so malt Freud das zu erkundende, einprägsame Bild. (Freud, Stud. Ausg. Bd. 5, 126) Seine Bild- und speziell: Symbol- Auffassung orientiert sich bekanntlich an einer abgewehrten und analytisch zu erarbeitenden Triebrealität. Sein Bild- und Symbol- Begriff stehen zeichenhaft für elementare Triebvorgänge. Dieses Verständnis fragt danach, welchen Sinn, welche Richtung das individuelle Triebschicksal schon im kindlichen Zeichen-, Symbol- Ausdruck offenbare; welche unbewußt seelisch-konflikthaften Sachverhalte sich hierin manifestierten? Das ästhetisch-bildnerische Produkt scheint deutbar als konflikt-ersatzweiser Interpretationsversuch; das symbolisch Manifeste scheint hinzudeuten auf ein LeidensSymptom. 'Zerrbild einer Kunstschöpfung' heisst nach Freud beispielgebend dieses Symptom, welches er "Hysterie" nennt; welches ihm in seiner Bildhaftigkeit, in seinem "als-obCharakter" (Mentzos 1982) zu entzerren, aufzulösen ist. Welches - so die Tochter Freuds, Anna, neu zu zentrieren ist- insofern es im symbolischen Ausdruck seine innere, umgeleitete Erregung dokumentiert. - Was liegt näher, als auf den symbolisch zu hebenden Bildwert des Symptoms einzugehen? Sigmund Freud aber tut sich schwer mit der Deutbarkeit der Bilder auf der Ebene des bildnerisch-Ästhetischen. Er der jüdische Analytiker folgt hier vielleicht dem Bilderverbot seiner Vorfahren. (Menzen, 2009, 176) Freuds schematische Darstellung der umgeleiteten Erregung, der primären Abwehr (Verdrängung) ist uns "Aus den Anfängen der Psychoanalyse " (Freud, 1950) überliefert. In seiner " Psychologie des Unbewussten" (1975, 172) erscheint die Wortvorstellung als ein abgeschlossener Vorstellungskomplex, die Objektvorstellungen mit ihren visuellen, akustischen oder klanglichen Assoziationen aber als ein offener Komplex. In dem Vorgang der Hinterfragung der Bild - Wort - Assoziation geht es ihm immer um "die Art der Verknüpfung, die sich zwischen dem gesuchten Namen und dem verdrängten Thema ... hergestellt" hat (vgl. seine Spurensuche, beispielsweise seine Assoziationen um das im Verlauf der Analyse fallenden Wort Signorelli; vgl. Freud, Zum psychischen Mechanismus der Vergesslichkeit, 1898/Zur Psychopathologie des Alltagslebens, 1901); ihm geht es um einen psychisch bedingten, d. h. lebensgeschichtlich verstörend-bedingten Gestaltszerfall der Wahrnehmung und deren Äußerung. Die Skizze eines Sexualschemas, die Freud 1895 an seinen Freund Fliess nach Berlin schickt, illustriert die Umwege, die Verstellungen jenes aus Gründen des psychischen Überlebens notwendig gewordenen Zerfalls. Es gehört zu den visuellen Bildtechniken Freuds, die Ur-Szene, die den psychischen Zerfall initiiert hat, wiederaufleben zulassen in einer Art Schauspiel. Freud sagt: Der "Zweck des Schauspiels" gehe dahin, eine "Reinigung der Affekte" herbeizuführen; … diene "vor allem dem Austoben intensiver vielfacher Empfindungen" (Freud 1905/6; Bd.10, 1969, S.163 f.). Ganz im Banne der psychologischen Introspektionstheorie entwirft Freud ein Modell der inneren "bewußten und ... verdrängten" Teilhabe an einem "Schau-Spiel": "... infolge der Bekanntheit der Stoffe hebt sich der Vorhang ...immer gleichsam mitten im Stück" (Bd.10, S.165). Es gehe hierbei darum, meint er, "uns... wiederzufinden", was bedeute: "den Akt der Verdrängung zu wiederholen", dabei den "Verstand... zu verlieren" (Bd.10, S.165 f.). Bedingung sei in diesem Vorgang, daß der Zuschauer, d. h. der Patient mindestens zu 'erregtem Mitleiden' fähig ist; den 'Wunsch' kenne, 'gesund zu werden, den Zustand zu verlassen'. Wir werden an die Anfänge des Mesmerismus erinnert, in denen der in Berlin neu bestallte Professor K.Ch. Wolfart mit seinem Buch "Mesmerismus oder System der Wechselwirkungen, Theorie und Anwendung des thierischen Magnetismus als die allgemeine Heilkunde zur Erhaltung des Menschen" (1814) davon redet, daß kranke Menschen sozusagen außer Takt geraten sind - wir sagen umgangssprachlich "nicht mehr auf der Reihe sind" - und einer neuen inneren Ordnung bedürfen: Solche "Reihe ist von einer Ordnung, welche die Nervensubstanz durchdringt und mit der gesammten Natur in Wechselverhältniß bringen kann" (Wolfart 1814). Die erkenntnis- und gefühlsmäßige Neuordnung, Rekonstruktion der Psyche ist hier begründet. 6 Der erregte weibliche Körper und sein Wert - Szenen des Hysterischen Wenn wir hier von Hysterie sprechen, dann sind damit zunächst jene ekstatischen Körperverrenkungen, Krämpfe, Lähmungserscheinungen, Anfälle von Erstickung, auch der Verlust des Sprechens gemeint, wie wir sie aus der psychiatrischen Literatur des 19. Jahrhunderts kennen. Jene Unsicherheiten beim Gehen und Stehen, jene Empfindungslosigkeit der Haut, des Sehvermögens - und immer wieder: jene Gebärden sexueller Exaltation, die wie in einem Horrorgemälde Tausende von Frauen, in den Betten der Salpétrière stöhnend und sich verrenkend liegend, befallen hat. Sind es männliche Wunschbilder, die in jenen Geburtsort der psychiatrischen Klinik des ausgehenden 19. Jahrhunderts hinein projiziert werden? In der viel weiter zurückreichenden Geschichte jenes hier angenommenen Wunschbildes ist es das Bild von dem Tier, das ruhelos im Körper der Frau umherwandere, bis es, wenn die Geschlechtsteile eingerieben, also behandelt sind, seinen Ort im unteren Teil des Körpers wieder eingenommen hat. Besonders ist es das Bild von der Gebärmutter, die ein Eigenleben führt und, der Verfügung der Frau entzogen, dem rationalen Zugriff des Mannes anheim fällt. Die in Hexenprozessen hunderttausendfach verbrannten Frauen müssen die Austreibung jenes Tieres, genannt Teufel, sprachlos erdulden. Selbst die Saubermänner der Renaissance (besonders Paracelsus und Rabelais) zeichnen gierig dieses Bild, das zunehmend seiner animalischen Besessenheit auch im Kopf gewahr wird. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ist es endlich so weit, ist endlich eine Methode entdeckt, die jene besessenen Köpfe in der hypnotischen Suggestion sprechen lässt. Zitat: „Die ersten Experimente mit Frauen nennt Charcot Experimente mit Hypnotismus. Das Wort war ungefährlich. Deshalb benutzt er es. Er wählt zwei junge Frauen als Objekte aus, Augustine (der Nachname fehlt, und sie verschwindet nach diesem Experiment aus der Geschichte) und Blanche Wittmann. Assistenten sind Gilles de la Tourette, Joseph Babinski und Désiré-Magloire Bourneville, zwei von ihnen (sind) spätere Monumente der Geschichte der Medizin. Er bezeichnet die Ausgangslage der Objekte, also der Patientinnen, als labil. Augustine hatte sich seit dem Vortag in einem trance-ähnlichen Zustand befunden, und Blanche war aggressiv, hatte gewiehert, kurze Lacher ausgestoßen und Charcot mit beinah feindlichen Augen betrachtet. Das Experiment wurde jedoch mit Blanche eingeleitet, die ein Pendel betrachten mußte und bereits nach fünf bis acht Minuten schläfrig zu werden schien, die Augen schloß und einschlief. Sie blieb sitzen. Augustine war auf ein Bett gelegt worden: Als Charcot für einige Sekunden ihre Augenlider hochhob, reagierte sie sofort und streckte die Beine aus; eine Bewegung, die ihr Nachthemd zur Seite gleiten ließe und ihren nackten Unterleib und das bloße Geschlecht enthüllte. Charcot gab daraufhin Bourneville die Anweisung, ihren Körper zu bedecken. Blanche schlief jetzt. Charcot blies leicht über ihr Gesicht und sagte ihr, wenn sie aufwachte, würde sie sich wohl fühlen. Sie verblieb jedoch in einem kataleptischen Zustand (Zustand, in dem aktiv oder passiv eingenommene Körperhaltungen übermäßig lange beibehalten werden Anm.d.A.). Charcot preßte daraufhin seine Hand auf Punkte an ihren Eierstöcken: dies ist also, bevor Charcot die Ovarienpresse erfand, die aus Metall und Leder, die benutzt wurde, um Hysterie zum Stillstand zu bringen. Sie erwachte und sah Charcot mit einem eigentümlichen Lächeln an. ‚Wie fühlst du dich jetzt', hatte Charcot gefragt. Sie antwortete: ‚Ich hätte nichts dagegen, jetzt ein Stück Brioche zu essen.'" ( Schott, H., Medizingeschichte(n): Medizin und Literatur - Jean-Martin Charcot. In: Dtsch Aerztebl 2006; 103(34-35): A-2254 / B-1955 / C-1889) Wenn wir hier von Hysterie sprechen, dann sind besonders damit Frauen gemeint, deren Gebärfähigkeit hinterfragt, nein: eher männlicherseits beneidet wird. In dem Augenblick, als die Weiblichkeit des männlichen, literarisch-bildnerisch-theatralisch sich gebärden könnenden Körpers en vogue ist - Christine von Braun hat in dem bemerkenswerten Artikel "Das wandelbare Gesicht der Hysterie. Von der Hysterie zur Anorexie" (vgl. web.) dies herausgearbeitet -, schmücken sich Flaubert, Baudelaire oder Mallarmé, hier für viele stehend, mit diesem Etikett. Aber der angesichts einer feindlichen Übermacht "kriegs- zitternde" Mann, der sich in den Lazaretten der Weltkriege als 'Simulant' und 'Drückeberger' eher die männliche Ehre als die (eher weibliche) Sexualität nehmen lässt, will sich die gemeinhin anerkannte FrauenKrankheit der Hysterie nicht zuschreiben lassen. Auf dem Psychoanalysekongress im Budapest der Kriegsjahre 1918 wird der Kriegszitterer hinter verschlossenen Tür verhandelt, nur Männer sind zugelassen. "Kriegsneurose" heißt jetzt diese Krankheit, die trotz aller Vorsicht der Organisatoren höchste öffentliche Aufmerksamkeit erhält. (Vgl. Freud, Zur Psychoanalyse der Kriegsneurosen. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien 1919) Über die Hysterie des Mannes darf vernünftig und wissenschaftlich geredet werden. Sie erhält ihre Bühne, ihre nur sublim, d.h. verdeckt-sexuelle, fachwissenschaftliche Form - und beginnt, sich gegen das Bild der verirrten, da nicht beheimateten weiblichen Gebärmutter, in übermächtiger Grenzerfahrung aus den Grabenkriegen des Ersten Weltkrieges her zu definieren – aus jenen, um es metaphorisch zu sagen, dunklen Löchern buchstäblich an das alles zerreissende Licht tretend. Ernst Jüngers Buch "In Stahlgewittern" schildert die Fronterlebnisse des Autors 1915 bis 1918 und beginnt noch romantisierend mit der "Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen", um dann eitel zu berichten, wie er "es immerhin erreicht, dass elf von diesen Geschossen auf mich persönlich abgegeben wurden". Mit Tagebuchskizzen, in denen Männer um ihn herum nicht mehr "bei klarem Verstand" und ihre Gehirne in "rote Nebel..., Blutdurst, Wut und Trunkenheit" getaucht von dem "übermächtigen Wunsch zu töten" beseelt sind, spaltete er die männliche literarisches Szene, die allenfalls den traumatisierenden Schock als beherrschendes Moment hervorhebt (vgl. Karl Heinz Bohrer: "die Kategorie des Schocks als beherrschendes Moment moderner Wahrnehmung"). "Es wurde auch höchste Zeit, dass unsere erregten Nerven zur Ruhe kamen", heißt es zu Beginn des Erlebnisberichts eines Soldaten über die Osterschlacht 1915; er schließt mit den Worten: " Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, war jeder darauf bedacht,... zu vergessen all das Schreckliche der letzten Tage, glücklich eher, den der Traumgott heimtrug tun Müttern, bis - die Wirklichkeit beim Erwachen wieder an ihn herantrat." (vgl. web) In Augenblicken der größten männlichen Verwirrung hat die GebärMutter wieder ihren Ort, der hier geradezu von göttlich-erlösendem Wert ist. 7 Alles hat seinen Preis: Männliche Hohepriester, Psychotherapeuten - die neuen Zöllner der westlichen Kultur Die folgende Geschichte von der Erfindung des Geldes ist eng mit der Praxis der Opfergaben im Tempel konnotiert: "pecunia", lateinisch abgeleitet von pecus=Vieh, ist der Wert, der in Form von Münzen den Wert eines Opfertieres dokumentiert. Von den Fruchtbarkeitsriten der babylonischen Tempel über den Aphrodite-Kult der Griechen bis in die Tempel- und noble Bordellpraxis der römischen Kaiserzeit gilt die Praxis, im Tauschgeschäft für mitgebrachte Naturalien (Tiere, Wein, Früchte) eine Münze zur erwerben, die wie in Roms 39 ausgesuchten Bordellen zu jener sexuellen Praxis berechtigt, die auf der Münze abgebildet ist. Eine weit verbreitete religiös und später profan geregelte prostitutive Hingabe junger bürgerlicher Mädchen zieht sich durch das erste vorchristliche Jahrtausend. Die Prägung der ersten Silbermünzen geht mit solcher religiös-geschlechtlicher Hingabe einher. Es wird gesetzlich geregelt, wie das Geld aus den Händen der männlichen Hohenpriester - um die Jahrtausendwende werden es in Rom nur noch hohe Beamte sein, denen diese Aufgabe zufällt - in das allgemeine staatliche und private Tauschgeschäft übergeht. Es hat schon seinen Preis, über die leibhaften Entäußerungen der sich konstituierenden jungen Tempel-Dienerinnen (man nennt sie von früh an Hierodulen = heilige Dienerinnen) zu verfügen. Der Zugang zu ihren Körpern ist per Zoll geregelt. Das Opfer, dass die babylonischen Mädchen in der Art eines sozialen Jahres zu erbringen haben, hat eine Geschichte, die bis in die psychiatrische Klinik der Salpétrière reicht: Auch hier stehen die jungen Frauen den Assistenten Charcots zur Verfügung, der Beischlaf zum Vollzug der Hypnose ist nicht unüblich, wie der Ästhetik-Theoretiker Didi-Huberman schildert: "Wie kam es dazu, das der Patientenkörper dem ärztlichen Körper gehörte, und wie konnte sich diese Enteignung in dem vollziehen, was die Hysterie selbst uns zwingt, Zauber zu nennen?" (1997, 198) Der Zugang zur Erfahrung des Außergewöhnlichen ist nunmehr klinisch geregelt, die neurologisch versierten Psychotherapeuten sind quasi Zollbeamte einer inzwischen aufgeklärten Kultur. Der Wert des sich konstituieren müssenden weiblichen Körpers offenbart sich als lebende Münze, in welcher der sexuelle weibliche Leib zur Inkarnation göttlich-orgiastischer Erfahrung wird. Die massenhysterischen Opfer der in der Regel männlichen Sinnes- und Schaulust, jene über die Jahrhunderte geschätzten ca. 9 Millionen wegen Hexerei verbrannter Frauen, haben durchaus zur geschlechtsspezifischen Konstitution männlicher Kultur beigetragen, werden nunmehr Ende des 19. Jahrhunderts theatralisch in den Räumen der Salpétrière zur Schaustellung und zum Sinnesvergnügen angereister wissenschaftlicher Intellektuelle benutzt: "Die Hysterikerinnen der Salpêtrière …waren stets bereit »de piquer une attaque«, um Charcots klassische Grande Hysterie, den »arc-en-ciel« usw. oder seine berühmten drei Stadien der Hypnose vorzunehmen: Lethargie, Katalepsie, Somnambulismus, alle vom Meister erfunden und kaum je außerhalb der Salpêtrière beobachtet. Einige rochen mit Behagen an einer Flasche Ammoniak, wenn man sie ihnen als Rosenwasser hinhielt, andere aßen ein Stück Kohle, wenn man ihnen sagte, daß es Schokolade sei, wieder andere krochen auf allen vieren, bellten wütend, wenn man ihnen suggerierte, sie seien Hunde; sie bewegten die Arme, als wollten sie fliegen, wenn man sie zur Taube machte. Andere rafften ihr Kleid mit einem Entsetzensschrei, wenn man ihnen einen Handschuh zuwarf mit der Suggestion, es sei eine Schlange", - schreibt Axel Munthe, betonte Autor von "Das Buch von San Michele". 8 Der sexuelle Opferakt –oder: „Geben ist seliger als Nehmen“ Die lustvolle Erfahrung des Heiligen im Akt der Hingabe, im Opferakt der weiblichen Sexualität bleibt seit jenen Tagen nicht mehr den Männern vorbehalten, wie Christina Braun schreibt: „… die Hysteriker machen sich zur ‚Verkörperung‘ des vernichteten Sexualwesens und heben damit den Prozeß der Entleibung wieder auf. Sie schlagen die Logik mit ihren eigenen Mitteln in Bann, denn allein die Tatsache, daß sie ihre Verwandlung in einen Mythos zu spielen vermögen, beweist, daß sie existieren, daß diese Verwandlung also nicht stattgefunden hat. Wer seine Vernichtung noch darzustellen vermag, der ist nicht vernichtet. „ (Christina von Braun, 1988) Bataille zeichnet in seinem Werk „L’érotisme“ (1957; dt 1965) diese Verwandlung aus der Sicht des Mannes nach, skizziert eine Szene aus den Höhlen von Lascaux: „Ein Mann, der augenscheinlich tot ist, liegt ausgestreckt, wie gefällt, vor einem reglosen und bedrohlichen schweren Tier. Das Tier ist ein Bison, und die Bedrohung, die von ihm ausgeht, wiegt umso schwerer, als er mit dem Tode ringt: er ist verwundet, und aus seinem aufgerissenen Bauch quellen seine Eingeweide. Offenbar hat der hingestreckte Mann das sterbende Tier mit seinem Wurfspiess durchbohrt. Aber der Mann ist nicht ganz Mensch, sein Kopf, ein Vogelkopf, verjüngt sich zu einem Schnabel. Nichts in dieser Szene rechtfertigt die paradoxe Tatsache, dass der Mann mit aufgerichtetem Geschlecht daliegt.“ (Bataille 1965, 25) Das Rätsel von Lascaux, so Bataille, gibt den Blick frei auf jenen „dark continent“ Sigmund Freuds, gibt einen Blick in die Tiefe des Schachts der Menschheitsgeschichte: „Diese Wahrheit tritt sicher immer wieder ans Tageslicht. Aber sooft sie zutage tritt, sooft entzieht sie sich ... Verhüllt in Gegensätzen, die auf schwindelerregende Weise sich offenbaren, in der gleichsam unzugänglichen Tiefe, die für mich das Extrem des Möglichen ist.“ (ders. 1965, 26f.) Und am Schluss dieses Wort: „ich betone es noch einmal: solange die Erotik uns nicht in ihrer Bodenlosigkeit bewusst ist, entgeht uns ihre Wahrheit… Wer den religiösen Sinn der Erotik nicht sieht, dem entgeht ihr ganzes Wesen. Wer umgekehrt das Band nicht sieht, das die Religion mit der Erotik verknüpft, dem wird auch das Wesen der Religion entgehen“ (ebd., 37f.) Krankheitslehre des Psychischen Definition "Persönlichkeitsstörungen" erfassen für das Individuum typische stabile und beherrschende (pervasive) Verhaltensweisen, die sich als rigide Reaktionsmuster in unterschiedlichsten Lebenssituationen manifestieren und mit persönlichen Funktionseinbußen und/oder sozialem Leid einhergehen. Diese Definition beinhaltet, dass die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung in der Adoleszenz aufgrund der noch vorhandenen Entwicklungspotenziale zurückhaltend gestellt werden sollte. Andererseits lässt sich bei einigen Persönlichkeitsstörungen ein eindeutiges Kontinuum zwischen den Verhaltensmustern in Kindheit und Jugend und denen des Erwachsenenalters nachweisen, sodass auch aus klinisch-praktischen Erwägungen die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung in der späten Adoleszenz sinnvoll sein kann. Beziehungs- / Persönlichkeitsstörungen Was versteht man unter Beziehungs- und Persönlichkeitsstörungen? Menschen mit dieser Problematik verfügen nicht über ausreichend Flexibilität, Vielfalt und Anpassungsfähigkeit im Rahmen ihres Persönlichkeitsstils. Die persönlichen Eigenarten weichen dagegen mit ausgesprochener Unflexibilität, ständiger Wiederholung und der Unfähigkeit, Stress zu bewältigen, von einem angemessenen und befriedigenden Verhalten und Erleben ab. Die Abweichungen betreffen folgende Bereiche: Kognition (d.h. Wahrnehmung und Interpretation von Dingen, Menschen und Ereignissen sowie Einstellungen und Vorstellungen von sich und anderen) 1. Gefühle (Variationsbreite, Intensität und Angemessenheit der emotionalen Ansprechbarkeit und Reaktion) 2. Impulskontrolle und Bedürfnisbefriedigung 3. Zwischenmenschliche Beziehungen und die Art des Umgangs mit ihnen Meist besteht die Problematik seit der späten Kindheit oder frühen Jugend und wird im Gegensatz zu seelischen Störungen (wie z.B. Ängsten oder Depressionen), die auftreten und auch wieder verschwinden können, als zur Person dazu gehörig erlebt. Der Übergang vom Persönlichkeitsstil zur Störung ist fließend und bedarf präziser diagnostischer Klärung. Dazu gehört auch die Information und Aufklärung des Patienten, wie auch die Einbeziehung seiner eigenen Einschätzung. Abb.: Neurobiologisches Mobile 1 Narzisstische Störung Frustration des kleinkindlichen Bedürfnisses nach Zuwendung führt zur Abspaltung des Zuwendungswunsches, in der Folge zu Idealisierungen, Größenphantasien, Überflutungsängsten, Wutzuständen, Leere, Störung des Identitätsgefühls (Beispiel: Erics Weltraumphantasien) Unter Narzißmus versteht man nicht nur das krankhafte Extrem der absoluten Selbstsucht, sondern auch Strebungen der Selbstliebe, wie sie bei jedem Menschen vorhanden sein können. Die Liebe zur eigenen Person ist ein Teil der Liebe insgesamt, ohne sie wäre eine Liebe zu anderen Personen nicht zu verwirklichen. Der Narzißmus ist also nicht nur das erotische Äquivalent des Egoismus.Sigmund Freud unterscheidet einen primären von einem sekundären Narzißmus. • • • • • Jeder Säugling durchläuft eine primär-narzißtische Phase in seinen ersten Lebensmonaten. Die eigene Person, der eigene Körper ist dann Sexualobjekt, auf ihn konzentriert sich seine Libido, seine Lebensenergie, die Freud als sexuelle Energie verstand Zu dieser Zeit kann der Säugling noch nicht zwischen sich und seiner Umwelt unterscheiden, die Abgrenzung vom Selbst zum Nicht-Selbst ist noch nicht erfolgt. Bei Erwachsenen mit primär-narzißtischen Störungen kann man ähnliche Tendenzen beobachten. Ihnen fehlt die existentielle Sicherheit, das Urvertrauen, sie haben Angst, mit ihrer Umwelt zu "verschmelzen". In einer Partnerschaft fällt es ihnen schwer, ihr Selbst von dem Selbst des Partners abzugrenzen Wenn man - in einem späteren Lebensalter - Objektbeziehungen eingeht (zu Dingen oder zu Personen), sie aber aufgrund einer (narzißtischen) Kränkung wieder aufgibt und seine Libido ganz auf sich selbst ausrichtet, dann liegt ein sekundärer Narzißmus vor. Die Selbstliebe ist hier Reaktion auf eine frustierende Umwelt oder auch seelische Verletzung. Der sekundär-narzißtisch gestörte Erwachsene besitzt ein mangelndes Selbstwertgefühl, ist unsicher und leicht zu kränken. Seine Umwelt bzw. sein Partner sind für ihn hauptsächlich dazu da, narzißtische Selbstbestätigungen zu liefern. Bochumer Psychologen mit rund 250 Studierenden im Alter von rund 25 Jahren . Alle lebten seit etwa 42 Monaten in einer festen Beziehung, teils im eigenen Haushalt. In einer weiteren Studie wurde das gesunde Selbstbewusstsein separat erfasst, um es als möglichen Einflussfaktor ausklammern zu können. Schließlich nahmen an der dritten Studie rund 50 Elternpaare von Studierenden teil, die im Schnitt 51 Jahre alt und 26 Jahre verheiratet waren. Verzerrte Selbstwahrnehmung Deutlich erhöhte Werte für Narzissmus traten bei etwa einem Fünftel der befragten Studierenden auf. Damit bestätigten die Forscher eine USamerikanische Studie, in der schon 1986 jeder siebente Studierende erhöhte Werte erreichte, die bis zum Abschluss dieser Untersuchung 2006 kontinuierlich anstiegen. Die Bochumer Studien zeigen nun die Konsequenzen für die Partnerschaft: Je narzisstischer die befragte Person, umso mehr überschätzt sie die eigene Attraktivität und damit zugleich die eigenen Beiträge zur Partnerschaft. Die verzerrte Selbstwahrnehmung äußert sich darin, dass Narzissten die Leistung des Partners geringer einschätzen als die eigene und kaum würdigen. Die narzisstische Person übt in der Beziehung ständig Druck auf ihren Partner aus. Bei den Elternpaaren fielen die Antworten zwar weniger narzisstisch aus, doch auch bei ihnen war der Narzissmus mit einer höheren Bewertung der eigenen Beiträge verbun-den. Zudem zeigte sich hier ein interessantes Phänomen: Die eigene Überschätzung eines Elternteils ging mit einer geringeren Selbsteinschätzung beim anderen Elternteil einher. Diese komplementären Urteile führten letztlich zu einer übereinstimmenden Bewertung beider Partner. In: European Psychologist (2010, im Druck). 2 Histrionische Störung Charakteristisch für Histrioniker ist der Wunsch, im Mittelpunkt zu stehen. Betroffene sind meistens extravertiert, sozial ungezwungen und kontaktfreudig, haben aber nicht selten auch einen Hang zur Aggressivität. Das Selbstwertgefühl ist eher schwach ausgeprägt. Entsprechend wichtig ist für Histrioniker die Bestätigung durch das Umfeld. Um diese Bestätigung zu erreichen, neigen sie zur exzessiven, oft theatralischen Selbstdarstellung. (B.: Oscar Wilds Märchen vom selbstsüchtigen Riesen) Die histrionische Persönlichkeitsstörung (HPS) (von englisch histrionic „schauspielerisch; theatralisch, affektiert“ zu lateinisch histrio „Schauspieler“) ist gekennzeichnet durch egozentrisches und theatralisches Verhalten. Als Bezeichnung für eine Persönlichkeitsstörung hat HPS den veralteten Begriff Hysterie abgelöst Charakteristisch für Histrioniker ist der Wunsch, im Mittelpunkt zu stehen. Betroffene sind meistens extravertiert, sozial ungezwungen und kontaktfreudig, haben aber nicht selten auch einen Hang zur Aggressivität. In Stresssituationen reagieren sie oft mit Schuldabwehr und Selbstbemitleidung, aber auch mit aggressivem Verhalten. Nicht selten suchen sie in derartigen Situationen zudem nach Selbstbestätigung und zeigen deutlich ein Bedürfnis nach sozialer Unterstützung. Das Selbstwertgefühl ist eher schwach ausgeprägt. Sie können die eigene Bedeutung nur schlecht einschätzen, haben dafür aber ein sehr ausgeprägtes Gespür, wie andere auf ihr Auftreten reagieren. Entsprechend wichtig ist für Histrioniker die Bestätigung durch das Umfeld. Um diese Bestätigung zu erreichen, neigen sie zur exzessiven, oft theatralischen Selbstdarstellung. Histrioniker sind extrem suggestibel. Leicht werden sie durch andere beeinflusst, wobei sie meist nach Übereinstimmung streben und Positionen des Gegenüber übernehmen. Gleichermaßen findet eine Anpassung an das jeweilige Umfeld statt, wobei sich die Persönlichkeit deutlich ändern kann. Die Betroffenen sind angeblich sehr leicht zu hypnotisieren und fallen gelegentlich auch allein in Trance. Sie suchen ständig nach Neuem und nach Stimulation. Dadurch können sie sich leicht in gefährliche Situationen begeben. Sie können schnell enthusiastisch Interesse an etwas gewinnen und es ebenso schnell wieder verlieren. Auch sprachlich wechseln sie das Thema. Ihr Sprachstil ist dabei oberflächlich, detailarm und zuweilen impressionistisch. Sie sind offen für oft wechselnde sexuelle Beziehungen. Das fällt ihnen leicht, da sie sich in Szene zu setzen wissen und viel Zeit und Geld in körperliche Attraktivität investieren. Typischerweise besteht ein ausgeprägter innerer Drang, zu flirten und sich (sexuell) verführerisch zu verhalten. Dabei ist vordergründig die umfassende Liebe der Zielperson das Motiv, weniger die sexuelle Befriedigung. Innerhalb einer heterosexuellen Beziehung weicht anfängliche, überschwängliche Begeisterung oft gar nicht viel später der Enttäuschung, wobei die jeweiligen Partner nicht viel mehr als Objekte der emotionalen Manipulation sind und keinen Einfluss auf den Gefühlsumschwung haben. Es sollte aber beachtet werden, dass viele Histrioniker in monogamen Beziehungen oder ganz ohne Partner lebenPromiskuität ist kein sicheres Symptom. Innerhalb der Partnerbeziehungen werden immer wieder Liebesbeweise gefordert, was in extremen Fällen zu Spannungen führt. Recht bedrohlich für die Betroffenen sind Selbstmordversuche, deren Motiv ebenfalls die Beachtung und Liebe durch das soziale Umfeld ist. Gelegentlich sind erpresserische Drohungen damit verbunden, die ernst genommen werden sollten. Klassifizierung nach ICD und DSM ICD-10 Nach ICD-10 müssen mindestens vier der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen vorliegen: dramatische Selbstdarstellung, theatralisches Auftreten oder übertriebener Ausdruck von Gefühlen; Suggestibilität, leichte Beeinflussbarkeit durch andere oder durch Ereignisse (Umstände); oberflächliche, labile Affekte; ständige Suche nach aufregenden Erlebnissen und Aktivitäten, in denen die Betreffenden im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen; unangemessen verführerisches Erscheinen oder Verhalten; übermäßige Beschäftigung damit, äußerlich attraktiv zu erscheinen. Egozentrik, Selbstbezogenheit, dauerndes Verlangen nach Anerkennung, fehlende Bezugnahme auf andere, leichte Verletzbarkeit der Gefühle und andauerndes manipulatives Verhalten vervollständigen das klinische Bild, sind aber für die Diagnose nicht erforderlich. DSM-IV Nach DSM-IV ist die HPS charakterisiert durch ein tiefgreifendes Muster übermäßiger Emotionalität oder Strebens nach Aufmerksamkeit. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter und die Störung zeigt sich in verschiedensten Situationen. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein: fühlt sich unwohl in Situationen, in denen er/sie nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, die Interaktion mit anderen ist oft durch ein unangemessen sexuell-verführerisches oder provokantes Verhalten charakterisiert, zeigt rasch wechselnden und oberflächlichen Gefühlsausdruck, setzt regelmäßig seine körperliche Erscheinung ein, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, hat einen übertrieben impressionistischen, wenig detaillierten Sprachstil, zeigt Selbstdramatisierung, Theatralik und übertriebenen Gefühlsausdruck, ist suggestibel, d.h. leicht beeinflussbar durch andere Personen oder Umstände, fasst Beziehungen enger auf, als sie tatsächlich sind. 3 Passiv-aggressive Störung Die Betroffenen ertragen nicht Autoritätspersonen, die ihnen etwas auferlegen möchten. Nur in der Unabhängigkeit bewahren sie ihre Selbstachtung. In der Anpassung geben sie sich auf. Eine aggressive Grundstimmung soll sie schützen (Beispiel: Marcs aggressive Hochnäsigkeit) 4 Mutistische Störung Erzieherisch oder psychisch bedingte Antwort auf Überforderung beispielsweise Traumatisierung. Verstummen und Sprachlosigkeit als Folge (Beispiel: Roberts Sprachverweigerung) 5 Dependente Störung Pathologische Antwort auf ein fundamentales Bedürfnis nach Versorgung, das sich selbst abwertet, um die Nähe und den Schutz der stärkeren Person einzuhandeln. (B.: Russ. Püppchen, G 3) 6 Depressive Störung Pathologische Antwort auf Verlusterlebnis (Personen oder Objekte auf die ich mich bezogen habe). In der Folge Abspaltung des emotionalen Erlebens und autoaggressiver Rückzug/Beschränkung wie Verdrängung des oral-besitzenWollens (B.: Mareikes erschreckende Bravheit; Hassan; G 16 Lucy) Depressiv (lat. deprimere „niederdrücken“) bezeichnet umgangssprachlich einen Zustand psychischer Niedergeschlagenheit. In der Psychiatrie wird die Depression den affektiven Störungen zugeordnet. Im gegenwärtig verwendeten Klassifikationssystem psychischer und anderer Erkrankungen (ICD 10) lautet die Krankheitsbezeichnung depressive Episode oder rezidivierende (wiederkehrende) depressive Störung. DieDiagnose wird allein nach Symptomen und Verlauf gestellt. Zur Behandlung depressiver Störungen werden nach Aufklärung über die Ursachen und den Verlauf der Erkrankung Antidepressiva eingesetzt, aber auch reine Psychotherapie ohne Medikation, wie z. B tiefenpsychologi-sche oderverhaltenstherapeutische Verfahren Abb.: K.-H. Menzen, Verschüttete Bilder. Anhang Klassifikation nach ICD-100 F32.0 Leichte depressive Episode (Der Patient fühlt sich krank und sucht ärztliche Hilfe, kann aber trotz Leistungeinbußen seinen beruflichen und privaten Pflichten noch gerecht werden, sofern es sich um Routine handelt.) F32.1 Mittelgradige depressive Episode (Berufliche oder häusliche Anforderungen können nicht mehr oder - bei Tagesschwankungen - nur noch zeitweilig bewältigt werden). F32.2 Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (Der Patient bedarf ständiger Betreuung. Eine Klinik-Behandlung wird notwendig, wenn das nicht gewährleistet ist). F32.3 Schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen (Wie F.32.2, verbunden mit Wahngedanken, z. B. absurden Schuldgefühlen, Krankheitsbefürchtungen, Verarmungswahn u. a.). F32.8 Sonstige depressive Episoden F32.9 Depressive Episode, nicht näher bezeichnet 7 Depressive Störung mit psychosomatischer Reaktion Über Tast- und Greiferlebnisse in frühen Jahren werden einprägsame Gefühle und Beziehungen angebahnt. Die Unterbindung affektiver Ausdrücke führt zu Hautaffektionen, die eine Verunsicherung in den grundlegenden Selbst- und Objektrepräsentanzen wiederspiegeln. Unterschiedliche Entwicklungsphasen können nach Recherchen der Ulmer Hautklinik betroffen sein und Regression und Abwehr können unterschiedlich ausfallen. (B.: G 9: Haut als Konfliktort) 8 Hypochondrische Störung Wenn infolge von Vernachlässigung und Affekt-Entzug das/der eigene Selbst/wert in Gefahr ist, wird der Feind im eigenen Körper gesucht, gefunden und abgewehrt. Alles Denken und Handeln dreht sich um das eigene Selbst (B.: Kinderkrankenschwester, ständig leidend) 9 Borderline-Störung Bezugspersonen werden als inkompatibel erlebt und in der Folge werden die Personanteile gespalten. Der Trennung in gute und böse Anteile folgen Idealisierungen, Projektionen, Leugnungen und polymorphes Verhalten (B.: Jussufs Grossspurigkeit und Nähewunsch; Raymund) Emotionalität Affektive Instabilität Betroffene leben in einer extremen und auch labilen Gefühlswelt. Äußern kann sich das in kurzwelligen Stimmungsschwankungen und in tiefen emotionalen Krisen. Die Reizschwelle liegt niedrig. Bereits kleine Ereignisse können starke Gefühlsimpulse auslösen, und bestimmte Reize können nur schwer verarbeitet werden. So kann es leicht vorkommen, dass sich negative Erfahrungen wie z. B. Kränkungen oder Blamagen emotional und gedanklich festsetzen. Sie tauchen als Flashbacks wieder auf und wandeln sich erst lange Zeit später zu normalen Erinnerungen. Unabhängig von solchen Empfindlichkeiten erleben Betroffene äußerst quälende und diffuse Spannungszustände, wobei sie unterschiedliche Emotionen nicht differenziert wahrnehmen. Zu anderen Zeitpunkten werden solche diffusen Spannungen durch Gefühle von innerer Leere kontrastiert. Durch die extreme Gefühlswelt ergeben sich hartnäckige Schlafstörungen. Nicht jeder Betroffene hat diese Probleme permanent und gleich stark, aber jeder hat früher oder später damit zu kämpfen. Impulskontrolle Die geringe Impulskontrolle führt zu einem Muster intensiver Verhaltensstörungen. Dieses Verhalten ist in erster Linie selbstschädigend, es kann aber auch fremdschädigend sein. Die Betroffenen versuchen in charakteristischer Weise, ihre Impulse zu unterdrücken, das unterscheidet sie von antisozialen Persönlichkeiten. Trotzdem wirken sich die Impulse auf Denken und Sozialverhalten aus. BPS – Borderline-Persönlichkeitsstörung Ausbalancieren zwischen Verändern und Akzeptieren Da BPS-PatientInnen seit langer Zeit unter starken Emotionen leiden und in ihrer Umgebung sehr viel Unverständnis gefunden haben ("invalidierende Umgebung"), schwanken sie zwischen den beiden Extremen hin und her, entweder ihren eigenen Gefühlen oder der Meinung der anderen Personen Glauben zu schenken. Mal haben sie das Eindruck, dass ihre starken negativen Gefühle sehr wohl ihren guten Grund haben und sind verzweifelt über ihre belastende Situation, mal schließen sie sich der negativen Meinung ihrer Umgebung an (wenn diese z.B. meint, man wäre "hysterisch" oder "man solle sich zusammenreißen") und werten sich dann selbst als "schwach" oder "schlecht" ab. Infolge versuchen TherapeutInnen, dieser Entwicklung entgegen zu arbeiten, indem sie gemeinsam mit den PatientInnen immer wieder den wahren Kern in ihren Gefühlen suchen und auch finden. Sie versuchen, der invalidierenden Umgebung entgegen zu wirken und unterstützen die PatientInnen dabei, ihre Gefühle klar zu erkennen und ihnen wieder mehr zu trauen. Wenn also die Betroffenen starken Ärger oder starke Traurigkeit und Depression spüren, helfen TherapeutInnen ihnen, diese Gefühle wieder als angemessen und zutreffend zu akzeptieren. Das ist einerseits immer wieder eine Bestätigung und Beruhigung für die PatientInnen, die viele, viele Male das Gegenteil erfahren haben. Andererseits müssen sie natürlich eine sehr negative Realität anerkennen und akzeptieren lernen. Sie müssen möglicherweise akzeptieren, dass wichtige Personen aus ihrer Überlastung heraus häufig Fehler machen, diese jedoch nur menschlich sind, dass sie ungerecht behandelt werden, Ungerechtigkeit jedoch zum Leben gehört und manchmal ertragen werden muss und Ähnliches mehr. Diese Erfahrung ist für BPS-PatientInnen sehr schmerzhaft, manchmal kaum auszuhalten. Und auch wenn sie für diese Entwicklung nicht die Verantwortung tragen, müssen sie selbst für sich einen Weg heraus aus dem Problem finden, obwohl sie oft am Ende ihrer Kräfte sind. (Verhaltenstherapie bei Borderline-Persönlichkeitsstörung„,Marsha M. Linehan) Symptome - Chronische, frei-flottierende Angst: Die Angst, die häufig als allgegenwärtig erfahren wird, kann von Individuen mit einer Borderline-Störung vor allem dann eingesetzt werden, wenn andere bewusstseinsnahe, aber unvereinbare Affekte zugedeckt werden sollen. - Multiple Phobien Hierzu gehören vor allem Phobien, welche die Körperlichkeit oder die leibliche Erscheinung betreffen (z.B. Errötungsphobie, Furcht vor öffentlichen Auftritten oder vor dem Angeschautwerden) und mit Beschämungsängsten verbunden sind. - Zwangssymptome, die vorübergehend die Qualität unumstößlicher Gewissheit erhalten Zwangsgedanken (z. B. hypochondrischen oder paranoiden Inhalts), die lange Zeit als Ich-fremd erfahren werden, können vorübergehend (wie beim psychotischen Individuum) Ich-synton werden, wobei sich die Realitätsprüfung nach einigen Stunden oder Tagen wieder einstellt. - Multiple, bizarre Konversionssymptome Hierunter fallen chronische oder auch massive monosymptomatische Konversionssymptome, Konversionssymptome mit der Tendenz zu Körperhalluzinationen oder mit bizarren Bewegungsabläufen. - Dissoziative Reaktionen Traum- oder Dämmerzustände, häufig schwere Depersonalisationserlebnisse werden vom Borderline-Patienten leicht übersehen, weil sie für ihn etwas sehr Vertrautes darstellen. - Depression Die Borderline-Depression stellt sich zumeist im Anschluss an den Zusammenbruch eines grandiosen Selbstbildes ein, manifestiert sich in ohnmächtiger Wut oder Gefühlen der Hilflosigkeit und löst gegenübertragungsmäßig wenig helferische Aktivitäten aus. - Polymorph-perverse Sexualität Das Vorliegen mehrerer perverser Züge (wie z.B. heterosexuelle und homosexuelle Promiskuität mit sadistischen Elementen) bei einer gleichzeitigen Instabilität von Beziehungen verweist - im Unterschied zu Individuen mit einer stabilen sexuellen Devianz bei konstanten Beziehungen - auf ein Borderline- Symptom. - Vorübergehender Verlust der Impulskontrolle Hierzu gehören zum Beispiel episodische Fresssucht, Alkoholismus, Kleptomanie, Drogenabhängigkeit, die nach Beendigung der Impulsdurchbrüche als Ich-fremd erlebt werden. Neurobiologie der BPS (1) Man konnte in mehreren Studien belegen (Koenigsberg, Siever 2001), dass sowohl bei Borderline-Patienten als auch bei Patienten mit anderen Persönlichkeitsstörungen eine verminderte Gesamtaktivität des serotogenen Systems besteht. Es besteht eine Verbindung zwischen dem serotogenen System und impulsiver Aggression, was sowohl gegen sich selbst gerichtete Aggressionen betrifft (z. B. SVV und Suizidversuche) als auch Fremdaggressionen (z. B. Wutausbrüche oder Gewalt). Die serotogene Gesamtaktivität kann gemessen werden, indem man serotogene Substanzen verabreicht und dann die Prolaktinfreisetzung misst, die bei BPS-Patienten geschwächt ist. Des Weiteren konnte man bei BPS-Patienten nachweisen, dass das cholinerge System empfindlicher ist (Koenigsberg, Siever). Durch diese Empfindlichkeit wird ein Mensch emotional sensibler und stimmungslabiler. Außerdem spielt das cholinerge System eine Rolle bei der Regulierung des REM-Schlafes. BorderlinePatienten haben eine verminderte und stärker schwankende REM-Phase. Neurobiologie der BPS (2) Die Amygdala (Mandelkern) und der Hippocampus sind zwei zusammenwirkende Funktionseinheiten des limbischen Systems. Mit Magnetresonanztomographie und Positronen-Emissions-Tomographie konnte festgestellt werden, dass bei BPSPatienten die Amygdala sowohl verkleinert als auch übererregbar ist (Bohus 2004). Die Amygdala ist ein zentraler Teil des stressverarbeitenden Systems und mit dem Furchtgedächtnis verbunden. Nach Heller und Van der Kolk ist der Hippocampus, der für Gedächtnisabspeicherungen eine wichtige Rolle spielt, bei BPS-Patienten sogar noch stärker degeneriert als die Amygdala. Die Schäden der Borderline-Patienten sind im Übrigen identisch wie bei Patienten mit schweren Posttraumatischer Belastungsstörungen (Bohus, Heller, Van der Kolk). Die Defizite stören die Gefühlsverarbeitung, intensivieren das Emotionsgedächtnis und machen Patienten überempfindlich für Reize. Zudem wird das System durch intensive unangenehme Gefühle, wie Scham, Ärger und Angst, weiter beeinträchtigt, wodurch eine Abwärtsspirale entstehen kann. Beziehungen Beziehungsverhalten ist ein Hauptmerkmal bei Persönlichkeitsstörungen, und gerade bei der BPS spielt es eine prägende Rolle (Huber 2005). Beziehungen haben eine große Bedeutung für Betroffene, sie sind jedoch beziehungsgestört. Partnerschaften verlaufen hier sehr individuell und sie können auch gut funktionieren. Jedoch wirken die negativen Impulse oft verheerend. So kann es durchaus vorkommen, dass die Partner geschädigt aus Beziehungen herausgehen. In manchen Fällen werden die Beziehungspartner so stark belastet, dass sie nach längerer Zeit selber psychologische Unterstützung benötigen, insbesondere wegen leichterer Traumatisierungen durch traumatische Übertragungen Besonders problematisch sind Verhältnisse von Betroffenen untereinander, weil es hier unterschiedliche Bindungstypen gibt, weil beide sensibler sind und weil sich die Störfaktoren akkumulieren. Es ergeben sich teils langwierige und schwierige Beziehungen mit häufigen Trennungen und Wiederannäherungen. Wie solche Beziehungen ablaufen, hängt eben auch vom Bindungstyp des Partners ab. Grundsätzlich lässt sich sagen: je ähnlicher, desto besser. Daher können auch Beziehungen unter Betroffenen gut funktionieren. Bindungstypen In der Bindungstheorie werden verschiedene Bindungstypen diskutiert, die häufig bei Borderline-Patienten gefunden wurden. Die Bindungsforschung hat ergeben, dass Betroffene häufiger einen unsicheren Bindungsstil im Erwachsenenalter zeigen. Insbesondere zeigt sich bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung häufig ein desorganisierter Bindungsstil. Psychoanalytische Forscher vermuten vor allem einen Zusammenhang zwischen der unsicher-ambivalenten Bindung und der desorganisierten Bindung bei der Entwicklung einer Persönlichkeitsstörung. Unsicher-ambivalente Bindung Unsicher-ambivalente Bindungen bilden einen Gegensatz zu unsichervermeidenden Bindungen, aber die beiden Typen sind verwandt und kommen bei verschiedenen Persönlichkeitsstörungen vor. Menschen vom unsichervermeidenden Bindungstyp werten nahe emotionale Beziehungen ab und scheinen sie nicht zu brauchen. Dieser Bindungstyp entsteht primär durch frühkindliche Ablehnung. Die andere Variante ist für BPS charakteristisch. Menschen vom unsicher-ambivalenten Bindungstyp neigen dazu, sich innerlich an Bindungspersonen zu klammern. Gleichzeitig sind sie aber wütend und ärgerlich auf sie. Auf der einen Seite stehen zunächst große Beziehungssehnsucht und Verschmelzungswünsche. Zum anderen kommen dann in der Realität Gefühle von Einengung und Zwang hinzu. Dieser Bindungstyp entwickelt sich aus unsicherer Bindung zu frühkindlichen Bezugspersonen und aus deren unvorhersehbaren Verhaltensweisen. Das unvorhersehbare Verhalten überträgt sich dabei, und es kennzeichnet später die Beziehungsmuster. Unsicher-desorganisierte Bindung Unsicher-desorganisierte Bindungen haben zwei Untertypen: Feindselig bestrafend und tröstend fürsorglich. Beide entwickeln sich aus demselben Hintergrund (Verlassenheit und/oder Misshandlung), aber Betroffene verharren später starr in jeweils nur einem dieser Stile. Sie können nicht flexibel zwischen ihnen hin- und herwechseln. Den feindselig bestrafenden Typ schreibt man mehr anderen Persönlichkeitsstörungen zu, er kann aber auch bei einer BPS bestehen. Die tröstend-fürsorgliche Variante ist bei BPS viel häufiger. In beiden Stilen versuchen Betroffene, die Beziehungen zu anderen Menschen zu kontrollieren. Emotionalität Emotionale Dynamik Die charakteristischen Gefühle der BPS sind Angst, Wut und Verzweiflung, ferner auch Schuldgefühle und Depression (resp. Trauer, Leere, Resignation). Intensive Gefühle werden teils bewusst erlebt, sie können aber auch unterschwellig bestehen. Die emotionalen Aspekte greifen in die Dynamik von Macht und Ohnmacht, die sich wie ein roter Faden durch die Persönlichkeitsmerkmale zieht. Ohnmacht entspricht dabei Hilflosigkeit und ist mit Verzweiflung assoziiert, Macht ist das Gegenteil und bedeutet Kontrolle. Angst und Wut (und als deren Hauptfolge Aggression) befinden sich zwischen diesen Gegensätzen. Verzweiflung ist ein Extrem im menschlichen Gefühlsspektrum und steht auf dem negativen Pol. Die Angst (resp. Panik) und Wut (resp. Aggression) resultieren aus Verzweiflung (resp. aus Ohnmachtsgefühlen) und ziehen in Richtung des vermeintlich positiven Pols. Nach den meisten Schulen ergibt sich Aggression aus dem Gefühl einer existenziellen Bedrohung, insbesondere aus einer empfundenen Bedrohung der Ich-Struktur. Daher wird Aggression durch Angst verursacht. Aus dem Zusammenhang können sich bewusste oder unbewusste Kontrollzwänge sowie Gewaltpotential und kranker Ehrgeiz ergeben. Das kann sich auf die eigene Persönlichkeit und die eigene Organisation beziehen, es kann aber genauso in sozialen Zusammenhängen stehen, auch in Verbindung mit der gestörten Objektbeziehung. 10 Angst-Störung Gestörte frühe Ich-Entwicklung äussert sich in Trennungs- und Verlustangst sowie instabiler Selbst- und Objektrepräsentanz. Der Angstzustand tritt ein in der Folge 11 12 13 14 15 16 17 18 geschwächter Objekt-Konstanz und des Selbstverlustes.(B.: Katharinas Unfähigkeit, flügge zu werden) Phobische Störung Einhergehend mit schweren Angst- und Zwangs-zuständen, in der Folge auch von Depressionen, werden unbewusste Phantasien meist sexueller Art (z.B. nach Missbrauch) gefürchtet, verdrängt, ersetzt, verschoben – auf Orte, Dinge, Tiere, Situationen. (B.: Frau N’s 16jähriger Rückzug) Sozialphobische Störung Obwohl akuter gesellschaftlicher Rückzug Jungen und Mädchen gleichermaßen zu betreffen scheint, sind es überwiegend männliche Personen, die mit ihrem Verhalten Besorgnis oder Aufmerksamkeit erregen. Hinter dem Rückzug vermuten die Psychologen schwere soziale Phobien - die Angst, sich zu blamieren oder den Ansprüchen anderer nicht gerecht zu werden. Angst vor anderen Menschen. (B.: Junge, der sich in seinem Zimmer einschliesst/Jeanette) Ängstlich-vermeidende Störung Die betroffene Person zieht sich gerne und schnell aus sozialen Zusammenhängen zurück, wenn eine unangenehme Situation wie z.B. Kritik oder Zurückweisung drohen (B.: Leo der Lehrer, der die Schule verlässt um die Mutter zu pflegen) Zwangsstörung Die magische Kindheitsphase, in der gewöhnlich eine Stabilisierung des Weltbildes erfolgt, ist gestört. In der Folge ist das stabile selbst und Weltbild gefährdet, wird durch Zwänge (Sammel-, Wasch-, Zähl-, Grübel-, Sauberkeits-) aufrecht gehalten. Ängste, Affekt-Verzichte etc. sind die Folge (Beispiel: G 12 – Zwangshaft-asketische Ehe; der Junge der Theologe werden will) Schizoide Störung Als Folge emotionaler Vernachlässigung geschieht ein Rückzug von affektiven, sozialen und anderen Kontakten mit übermäßiger Vorliebe für Phantastereien, einzelgängerischem Verhalten und eine in sich gekehrte Zurückhaltung. Die Betroffenen verfügen nur über ein begrenztes Vermögen, Gefühle auszudrücken und Freude zu erleben. (B.: Kiras Geschichte einer ganz normalen Vernachlässigung) Dissoziale Störung Soziale Regeln werden nicht mehr eingehalten. Versprechungen, Schulden, Verpflichtungen werden ignoriert. Was Andere über mich denken ist unwichtig. Paranoische Störung Aus Vorsicht vor den anderen Menschen muss ich acht geben, dass sie mich nicht ausbeuten und kleiner machen als ich bin Schizotypische Störung Ich habe eine seltsam verzerrte, exzentrische Wahrnehmungs-, Denk-, Sprech- und Verhaltensweise. Ich bin ein Niemand in einer fremden Umgebung und Welt. So wie ich mich unwohl in Gegenwart der Anderen fühle, so werden sie mich auch erleben. (B.: G 16 - Lucys Unwohlsein in der Familie, der Sozialität – und ihr Bewältigungsmuster mit der Droge) Lit.: Sachse, R. (2006): Persönlichkeitsstörungen verstehen. Psychiatrie Verlag, Bonn. Anm.: Die Ziffer G bezieht sich auf die Geschichten in dem Buch des Autors, „Verschüttete Bilder. Aspekte der Beratungsarbeit. Lambertus: Freiburg 1988); vgl. hier bes.: Kapitel III: Krankheitsbilder