Mathematik für Informatiker B, SS 2012 Dienstag 22.5 $Id: korper.tex,v 1.20 2012/05/22 11:02:43 hk Exp $ §4 Körper 4.3 Der Körper der komplexen Zahlen In der letzten Sitzung hatten wir begonnen die komplexen Zahlen C zu besprechen. Wie schon angekündigt beruht die exakte Definition der komplexen Zahlen auf der sogenannten Gaußschen Zahlenebene C = R2 wobei die komplexe Zahl z = x + iy, x, y ∈ R dem Punkt z = (x, y) ∈ R2 der Ebene entspricht. In unseren einleitenden Überlegungen haben wir gesehen, dass es überhaupt nur eine einzige Möglichkeit gibt Addition und Multiplikation komplexer Zahlen einzuführen. Dies stellen wir nun auf den Kopf und definieren (a1 , b1 ) + (a2 , b2 ) := (a1 + a2 , b1 + b2 ), (a1 , b1 ) · (a2 , b2 ) := (a1 a2 − b1 b2 , a1 b2 + b1 a2 ) für alle a1 , a2 , b1 , b2 ∈ R. Damit haben wir eine Addition und eine Multiplikation auf der Menge C definiert, und wir wollen uns überlegen das hierdurch √ tatsächlich eine Erweiterung von R konstruiert wird, in der es eine Wurzel i = −1 gibt. Streng genommen enthält C = R2 die reellen Zahlen nicht einmal als Teilmenge. Um dieses kleine Problem zu korrigieren, denken wir uns R als die x-Achse in der Ebene, d.h. wir wollen keinen Unterschied zwischen der reellen Zahl x ∈ R und dem Punkt (x, 0) ∈ R2 der Ebene machen. Wir denken uns also x = (x, 0), wobei das Gleichheitszeichen hier nicht wörtlich zu verstehen ist. Wir müssen nur noch verifizieren, dass dann die komplexe und die reelle Addition und Multiplikation reeller Zahlen übereinstimmen. Dies ist schnell geschehen, für alle a, b ∈ R gelten (a, 0) + (b, 0) = (a + b, 0), (a, 0) · (b, 0) = (ab − 0 · 0, a · 0 + 0 · b) = (ab, 0). Unsere Hauptforderung an die Arithmetik komplexer Zahlen war es, zumindest mit den Grundrechenarten, normal rechnen“ zu können. Wie schon früher erwähnt, wird ” dieses normale Rechnen gerade durch die Körperaxiome beschrieben, wir wollen also den folgenden Satz einsehen: Satz 4.17 (Der Körper der komplexen Zahlen) Das Tripel (C, +, ·) ist ein Körper. 10-1 Mathematik für Informatiker B, SS 2012 Dienstag 22.5 Beweis: Der Nachweis das (C, +, ·) ein kommutativer Ring mit Eins ist, geschieht durch direktes Nachrechnen und soll hier nicht vorgeführt werden. Das neutrale Element der Addition ist dabei 0 ∈ R ⊆ C und das neutrale Element der Multiplikation ist 1 ∈ R ⊆ C. Multiplikative Inverse berechnen sich wie zu Beginn dieses Abschnitts gesehen, für x, y ∈ R mit (x, y) 6= (0, 0) ist x y −1 (x, y) = ,− x2 + y 2 x2 + y 2 das multiplikative Inverse von (x, y). Schließlich gibt es in C auch eine Wurzel aus −1. Es handelt sich einfach um den Punkt mit Koordinaten x = 0 und y = 1 auf der y-Achse. Lemma 4.18: Die imaginäre Einheit“ i := (0, 1) ∈ C ist eine Quadratwurzel aus −1. ” Beweis: Es gilt i2 = (0, 1) · (0, 1) = (0 · 0 − 1 · 1, 0 · 1 + 1 · 0) = (−1, 0) = −1. Für alle a, b ∈ R gilt jetzt die Gleichung a + ib = (a, 0) + (0, 1) · (b, 0) = (a, 0) + (0 · b − 1 · 0, 0 · 0 + 1 · b) = (a, 0) + (0, b) = (a, b) die komplexe Zahl a + ib ist also tatsächlich wie vorgesehen der Punkt (a, b) der Ebene. Damit sind die komplexen Zahlen vollständig etabliert. Wir führen jetzt einige zusätzliche, nützliche Schreibweisen ein. Definition 4.19: Ist z = a + ib mit a, b ∈ R eine komplexe Zahl, so nennt man a den Realteil von z und b den Imaginärteil von z, und schreibt Re(z) := a und Im(z) := b. Zur Vorbereitung der nächsten Definition erinnern wir uns noch einmal an die Formel für die multiplikative Inverse einer komplexen Zahl z = a + ib 6= 0, diese war als 1 a − ib = 2 a + ib a + b2 gegeben. Sowohl der Zähler als auch der Nenner dieses Bruchs haben eine eigenständige Bedeutung. Wir beginnen mit dem Zähler und definieren: 10-2 Mathematik für Informatiker B, SS 2012 Dienstag 22.5 Definition 4.20: Ist z = a+ib ∈ C mit a, b ∈ R eine komplexe Zahl, so heißt z := a−ib die zu z konjugiert komplexe Zahl. Offenbar ist genau dann z = z wenn z ∈ R ist. Die komplexe Konjugation erfüllt eine ganze Reihe wichtiger Formeln. Lemma 4.21 (Grundeigenschaften der Konjugation) Für alle z, z1 , z2 ∈ C gelten z1 + z2 = z1 + z2 , z1 · z2 = z1 · z2 und zz = Re(z)2 + Im(z)2 ∈ R≥0 . Beweis: Dies ist Übungsaufgabe (32). Insbesondere können wir für jede komplexe Zahl z = a + ib ∈ C mit a, b ∈ R den schon in der letzten Sitzung eingeführten Betrag von z in Termen der Konjugation auch als √ √ |z| := zz = a2 + b2 ∈ R≥0 schreiben, der Nenner in der Formel für 1/z ist dann gerade |z|2 , d.h. für jedes 0 6= z ∈ C gilt z 1 = 2. z |z| Die komplexe Betragsfunktion erfüllt ähnliche Grundeigenschaften wie der reelle Betrag. Lemma 4.22 (Grundeigenschaften der komplexen Betragsfunktion) Für alle z1 , z2 ∈ C gelten (a) Die Dreiecksungleichung |z1 + z2 | ≤ |z1 | + |z2 |. (b) Die Multiplikativität |z1 z2 | = |z1 | · |z2 | des Betrags. Beweis: (a) Nach Lemma 21 haben wir √ √ √ √ |z1 z2 | = z1 z2 z1 z2 = z1 z2 z1 z2 = z1 z1 · z2 z2 = |z1 | · |z2 |. (b) Wir zeigen zunächst, dass |1 + z| ≤ 1 + |z| für jedes z ∈ C gilt. Mit Lemma 21 ergibt sich |1 + z|2 = (1 + z) · 1 + z = (1 + z) · (1 + z) = 1 + z + z + zz = 1 + z + z + |z|2 . Nach Aufgabe (31) haben wir weiter p p z + z = 2 Re(z) ≤ 2| Re(z)| = 2 Re(z)2 ≤ 2 Re(z)2 + Im(z)2 = 2|z|, 10-3 Mathematik für Informatiker B, SS 2012 Dienstag 22.5 und setzen wir dies in die obige Gleichung ein, so wird |1 + z|2 = 1 + z + z + |z|2 ≤ 1 + 2|z| + |z|2 = (1 + |z|)2 =⇒ |1 + z| ≤ 1 + |z|. Wir kommen jetzt zur allgemeinen Dreiecksungleichung. Im Fall z1 = 0 haben wir sofort |z1 + z2 | = |z2 | = |z1 | + |z2 |. Ist z1 6= 0, so ergibt sich mit (b) und der bereits bewiesenen Teilaussage z2 z z z 2 2 2 = |z1 | · 1 + ≤ |z1 | · 1 + = |z1 | + z1 · |z1 + z2 | = z1 · 1 + z1 z1 z1 z1 = |z1 | + |z2 |. Es gibt noch einige weitere einfache Formeln für die Konjugation und den Betrag. Für z = a + ib ∈ C haben wir offenbar p √ z = z und |z| = z z = zz = |z| sowie für z 6= 0 r r 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 z · = z · = 1 = 1 =⇒ = und = · = =√ = . z z z z z z z zz |z| zz Insbesondere ist für z1 , z2 ∈ C mit z2 6= 0 auch z1 |z1 | z1 z1 und = . = z2 z2 |z2 | z2 4.3.1 Graphische Darstellung der komplexen Zahlen Wir haben die komplexen Zahlen als die Gaußsche Zahlenebene C = R2 eingeführt, und wollen jetzt die bisher definierten Begriffe auch geometrisch interpretieren. Relativ leicht ist dies für Addition, Konjugation und den Betrag möglich. b1 + b 2 z1 + z 2 z=a+ib z=(x,y) r b2 z2 x b1 z1 z=a−ib a2 a1 Addition a1 + a 2 Konjugation 10-4 Betrag y Mathematik für Informatiker B, SS 2012 Dienstag 22.5 Die Formel (a1 , b1 ) + (a2 , b2 ) = (a1 + a2 , b1 + b2 ) ist die Ihnen wahrscheinlich aus der Schule noch vertraute Addition von Vektoren, manchmal als das Kräfteparallelogram“ ” bezeichnet. Die komplexe Konjugation ersetzt die y-Komponente eines Punktes durch ihr Negatives, und dies ist gerade die Spiegelung an der x-Achse. Zur Interpretation des Betrages muss man sich das oben rechts stehende rechtwinklige Dreieck anschauen. Ist z = x + iy mit x, y ∈ R, so haben die beiden Katheten die Längen x und y. Nach dem Satz von Pythagoras ist das Hypothenusenquadrat gleich x2 + y 2 , die Länge p der Hypotenuse ist also x2 + y 2 = |z|. Diese Länge ist nun gerade der Abstand des Punktes z zum Nullpunkt, d.h. |z| = Abstand von z zum Nullpunkt. Hier wird jetzt auch die Benennung der Dreiecksungleichung verständlich. Schauen wir uns das oben links stehende Parallelogram an, und schreiben z1 = a1 + ib1 , z2 = a2 + ib2 , so wird |z1 + z2 | gerade die Länge der Diagonale des Parallelograms. Das von 0, z1 und z1 + z2 gebildete Dreieck, hat die Seitenlänge |z1 |, |z2 | und |z1 + z2 |. Die Dreiecksungleichung wird dann zur geometrischen Dreiecksungleichung, dass die Länge einer jeden Seite eines Dreiecks höchstens so groß ist wie die Summe der Längen der beiden anderen Seiten. Es verbleibt nur noch die komplexe Multiplikation geometrisch zu beschreiben. Hierzu beginnen wir mit einer kleinen Vorüberlegung. Wir geben uns einen Winkel φ vor und betrachten den Punkt e(φ) = eφ ∈ R2 auf e( ) 1 dem Einheitskreis, der zur x-Achse den Winkel φ bildet. y In dem entstehenden rechtwinkligen Dreieck hat die Hyx potenuse die Länge 1, die Länge der Ankathete ist die x-Koordinate von e(φ) und die Länge der Gegenkathete ist die y-Koordinate von e(φ). Damit ist x das Verhältnis von Ankathete zu Hypotenuse, also x = cos φ. Ebenso ist y das Verhältnis von Gegenkathete zu Hypotenuse, also y = sin φ. Unser Punkt berechnet sich also zu e(φ) = (cos φ, sin φ) = cos φ + i sin φ. Der Punkt e(φ) auf dem Einheitskreis wird durch den Winkel φ repräsentiert. In diesem Kontext, und eigentlich immer in der Mathematik, ist es hilfreich den Winkel φ nicht im gewöhnlichen Gradmaß, also zwischen 0◦ und 360◦ zu messen, sondern im sogenannten Bogenmaß. Dieses entsteht aus dem Gradmaß indem wir den Bereich 0◦ . . . 360◦ proportional auf den Bereich von 0 bis 2π umskalieren. Die Winkel φ im Bogenmaß und φ◦ im Gradmaß entsprechen sich also über die Formeln φ◦ φ φ = 2π · und φ◦ = 360◦ · . ◦ 360 2π Wir haben also beispielsweise die folgenden Übersetzungen 10-5 Mathematik für Informatiker B, SS 2012 Gradmaß 0◦ 30◦ 45◦ 60◦ 90◦ 180◦ 360◦ Dienstag 22.5 Bogenmaß 0 π 6 π 4 π 3 π 2 π 2π Beachte das wir Winkel im Bogenmaß einfach als reelle Zahlen betrachten, und nicht als so etwas wie π/2 Grad. In der Mathematik gibt es keine Messungen, und daher auch keinen Bedarf für Maßeinheiten. Das Bogenmaß hat auch eine einfache geometrische Bedeutung. Der Umfang eines Kreises mit Radius r > 0 ist ja bekanntlich 2πr, und der Umfang des Einheitskreises ist somit 2π. Verändern wir den Winkel φ, so verändert sich die Länge des oben dick eingezeichneten Bogens proportional mit φ. Da der volle Umfang des Einheitskreises 2π, also gleich dem vollen Winkel ist, ist damit φ auch zugleich die Länge unseres dick eingezeichneten Bogens. Dies erklärt auch den Namen Bogenmaß“, das Maß des Winkels im Bogenmaß ist eben gerade die Länge ” des entsprechenden Bogens auf dem Einheitskreis. Wir berechnen jetzt, wie die Multiplikation von Punkten auf dem Einheitskreis aussieht. Für alle φ, ψ ∈ R haben wir e(φ) · e(ψ) = = = = (cos φ + i sin φ) · (cos ψ + i sin ψ) cos φ cos ψ − sin φ sin ψ + i · (sin φ cos ψ + cos φ sin ψ) cos(φ + ψ) + i sin(φ + ψ) e(φ + ψ), d.h. bei Multiplikation komplexer Zahlen auf dem Einheitskreis müssen nur die beiden Winkel φ und ψ miteinander addiert werden. In dieser Rechnung haben wir die sogenannten Additionstheoreme von Sinus und Cosinus verwendet, die wir hier als bekannt annehmen wollen. Bei der Multiplikation komplexer Zahlen auf dem Einheitskreis werden also einfach die Winkel die sie zur x-Achse bilden miteinander addiert. Durch Einführung der sogenannten Polarkoordinaten y kann man diese Interpretation der Multiplikation auf alle komplexen Zahlen ausdehnen. Gegeben sei eine komplexe Zahl z ∈ C und wir nehmen erst einmal z 6= 0 an. Die z=reφ r erste Polarkoordinate von z ist dann der Abstand r von eφ φ z zum Nullpunkt, und wir wissen bereits das dies gerade x der Betrag von z ist, also r = |z|. Nun betrachten wir den Schnittpunkt der von Null ausgehenden Halbgeraden in Richtung z mit dem Einheitskreis, als Formel ist dies einfach 10-6 Mathematik für Informatiker B, SS 2012 Dienstag 22.5 z/r = z/|z|. Die zweite Polarkoordinate von z ist der Winkel φ den diese Halbgerade mit der x-Achse hat, also z = e(φ) =⇒ z = re(φ). r Haben wir umgekehrt eine Zahl r ≥ 0 und einen Winkel φ ∈ R gegeben, so können wir die komplexe Zahl z := re(φ) bilden. Beachte das die erste Polarkoordinate r immer eindeutig festgelegt ist, der Winkel φ aber nicht. Man kann zu φ noch beliebige Vielfache von 2π, also von 360◦ im Gradmaß, hinzuaddieren ohne das sich z ändert. Um ein eindeutiges φ zu kriegen muss man die erlaubten Winkel auf ein Intervall der Länge 2π einschränken. Für z = 0 ist φ sogar völlig willkürlich. Die komplexe Multiplikation sieht in Polarkoordinaten nun sehr einfach aus, für alle r, s ≥ 0 und alle Winkel φ, ψ ∈ R gelten re(φ) · se(ψ) = rse(φ) · e(ψ) = rse(φ + ψ). Bei der Multiplikation komplexer Zahlen in Polarkoordinaten werden also die beiden Längen miteinander multipliziert, und die beiden Winkel werden addiert. Schauen wir uns einmal drei kleine Beispiele an. 1. Sei z = i. Der Abstand zu 0 ist r = |i| = 1, und da i im oberen Teil der yAchse liegt, ist der Winkel zur x-Achse gleich 90◦ , beziehungsweise φ = π/2. Also i = 1 · e(π/2) in Polarkoordinaten. 2. Die komplexe Zahl 1 + i hat als Abstand zum Nullpunkt √ √ r = |1 + i| = 12 + 12 = 2. Außerdem liegt z auf der Winkelhalbierenden im ersten Quadranten, unser Win√ kel ist also φ = π/4. Polarkoordinaten sind damit 1 + i = 2 e(π/4). 3. Nehme jetzt z = −i. Es ist r = | − i| = 1. Was als Winkel genommen wird, ist nicht mehr so eindeutig. Man kann etwa φ = 3π/2 oder auch φ = −π/2 verwenden. Diese beiden unterscheiden sich gerade um 2π. 4.4 Polynomdivision Wir wollen jetzt Polynome über den reellen und über den komplexen Zahlen untersuchen. Da R und C unendliche Körper sind, wissen wir bereits nach Satz 7 das wir keinen Unterschied zwischen Polynomen und Polynomfunktionen machen müssen. Wir beginnen mit einigen Wiederholungen und zunächst erinnern wir an die bereits vor Lemma 6 diskutierte Polynomdivision, die wir jetzt auch als einen Satz festhalten wollen. Satz 4.23 (Polynomdivision mit Rest) Sei K ein Körper und seien a, d ∈ K[x] zwei Polynome mit d 6= 0. Dann existieren eindeutig bestimmte Polynome q, r ∈ K[x] mit a = q · d + r und grad(r) < grad(d). Beweis: Klar da in einem Körper jedes von Null verschiedene Element eine Einheit ist. 10-7 Mathematik für Informatiker B, SS 2012 Dienstag 22.5 Zur näheren Untersuchung von Polynomen erinnern wir jetzt an den Begriff der unzerlegbaren oder irreduziblen Polynome, und diesmal wollen wir diese auch einmal explizit als eine Definition einführen. Definition 4.24: Sei K ein Körper. Ein Polynom p ∈ K[x] heißt irreduzibel wenn grad(p) ≥ 1 ist und es keine Polynome q1 , q2 ∈ K[x] mit p = q1 · q2 und grad(q1 ) ≥ 1, grad(q2 ) ≥ 1 gibt. Die irreduziblen Polynome sind also so etwas wie die Primzahlen unter den Polynomen, sie lassen sich nicht in nicht trivialer Weise als Produkt zweier kleinerer Polynome schreiben. Im allgemeinen kann es recht schwer sein einem gegebenen Polynom anzusehen ob es irreduzibel ist oder nicht. Für Polynome kleinen Grades wird es sich allerdings als vergleichsweise einfach herausstellen. Zunächst beachte, dass aus p = q1 · q2 auch grad(p) = grad(q1 ) + grad(q2 ) folgt. Insbesondere ergibt sich für p ∈ K[x] damit grad(p) = 1 =⇒ p ist irreduzibel. Die Polynome von Grad 1 sind dabei die einzigen irreduziblen Polynome die eine Nullstelle haben. Ist nämlich p ∈ K[x] ein Polynom mit grad(p) ≥ 2 das eine Nullstelle a ∈ K besitzt, so liefert Lemma 6 ein Polynom q ∈ K[x] mit grad(q) = grad(p) − 1 ≥ 1 und p = q · (x − a), d.h. p ist nicht irreduzibel. Dies zeigt p ∈ K[x] irreduzibel, grad(p) ≥ 2 =⇒ p hat keine Nullstellen in K. Umgekehrt ist dies falsch, beispielsweise hat das Polynom x4 + 1 ∈ R[x] keine reelle Nullstelle, ist aber trotzdem nicht irreduzibel. Man kann x4 +1 als ein Produkt von zwei quadratischen Polynomen schreiben. Für die Behandlung von Beispielen ist es praktisch zu wissen, dass die Umkehrung für Polynome von Grad 2 und 3 gilt. Ist p ∈ K[x] mit grad(p) ∈ {2, 3} und schreiben wir p = q1 · q2 mit grad(q1 ) ≥ 1, grad(q2 ) ≥ 1, so hat wegen grad(q1 ) + grad(q2 ) = grad(p) ∈ {2, 3} eines der beiden Polynome q1 , q2 den Grad 1, und wir schreiben qi = ax + b mit i ∈ {1, 2}, a, b ∈ K, a 6= 0. Dann ist −b/a eine Nullstelle von qi und damit auch von p. Dies zeigt p ∈ K[x] mit grad(p) ∈ {2, 3} hat keine Nullstelle =⇒ p ist irreduzibel. Wie bemerkt sind die irreduziblen Polynome so etwas wie die Primzahlen unter den Polynomen. Entsprechend der Tatsache das sich jede natürliche Zahl n ≥ 2 als Produkt von Primzahlen schreiben läßt, kann man auch jedes Polynom von Grad mindestens 1 als Produkt irreduzibler Polynome schreiben. Lemma 4.25 (Zerlegung in irreduzible Faktoren) Seien K ein Körper und p ∈ K[x] ein Polynom mit grad(p) ≥ 1. Dann existieren irreduzible Polynome p1 , . . . , ps ∈ K[x] mit p = p1 · . . . · ps . 10-8 Mathematik für Informatiker B, SS 2012 Dienstag 22.5 Beweis: Wir beweisen die Aussage durch Induktion nach n = grad(p). Ist p ∈ K[x] mit grad(p) = 1, so haben wir oben schon festgehalten das p selbst irreduzibel ist, und insbesondere ein Produkt irreduzibler Polynome ist, also s = 1 und p1 = p. Nun sei n ≥ 2 und die Aussage gelte bereits für alle Polynome p ∈ K[x] mit 1 ≤ grad(p) < n. Sei p ∈ K[x] ein Polynom mit grad(p) = n. Dann können zwei Fälle auftreten. Fall 1. Das Polynom p ist irreduzibel. Dann ist p insbesondere wieder ein Produkt irreduzibler Polynome mit s = 1 und p1 = p. Fall 2. Das Polynom p ist nicht irreduzibel. Dann gibt es Polynome q1 , q2 ∈ K[x] mit grad(q1 ) ≥ 1, grad(q2 ) ≥ 1 und p = q1 · q2 . Wegen grad(q1 ) + grad(q2 ) = grad(p) = n ist auch grad(q1 ), grad(q2 ) < n. Also können wir unsere Induktionsannahme anwenden und erhalten irreduzible Polynome p1 , . . . , ps ∈ K[x] und ps+1 , . . . , ps+t ∈ K[x] mit q1 = p1 · . . . · ps und q2 = ps+1 · . . . · ps+t . Damit ist insgesamt p = q1 · q1 = p1 · . . . · ps · ps+1 · . . . · ps+t , und auch p ist als Produkt irreduzibler Polynome geschrieben. Man kann zeigen, dass die Zerlegung in irreduzible Polynome im wesentlichen eindeutig ist, also bis auf Umordnung der Faktoren und Multiplikation mit Konstanten. Diese Tatsache wollen wir hier aber nicht mehr beweisen. Oft beschränkt man sich für die Faktoren p1 , . . . , ps auf normierte, irreduzible Polynome. Ein normiertes Polynom war dabei ein Polynom dessen höchster Koeffizient 1 ist, also ein Polynom der Form xn + an−1 xn−1 + · · · + a0 . Dann muss man aber zusätzlich einen konstanten Faktor zulassen. Etwas ausführlicher kann man also jedes Polynom p ∈ K[x] mit grad(p) ≥ 1 als ein Produkt p = ap1 · . . . · ps schreiben, wobei p1 , . . . , ps normierte, irreduzible Polynome sind und a ∈ K\{0} der höchste Koeffizient des Polynoms p ist. Besonders wichtig ist der Fall wenn alle Polynome p1 , . . . , ps den Grad 1 haben. Dann kann man pi = x − ai mit ai ∈ K schreiben und hat p = a(x − a1 ) · . . . · (x − as ). Damit ist s = grad(p) dann der Grad von p und a1 , . . . , as sind die Nullstellen von p. Dabei kann es durchaus passieren das dieselbe Nullstelle mehrfach aufgelistet wird, man sagt das a1 , . . . , as die mit Vielfachheiten aufgelisteten Nullstellen von p sind und das das Polynom p in Linearfaktoren zerfällt. In Anbetracht des Zerlegungssatzes Lemma 25 ist es von Interesse die irreduziblen Polynome über K möglichst explizit zu kennen. Leider hängt die Gestalt irreduzibler Polynome sehr stark von Körper K ab. U”ber dem Körper mit zwei Elementen zeigte Aufgabe (23) das es beispielsweise genau 1342176 irreduzible Polynome von Grad 25 über diesem Körper gibt, hier ist also keine gute explizite Beschreibung zu erwarten. Über den komplexen Zahlen werden wir gleich sehen, dass die irreduziblen Polynome genau die Polynome von Grad 1 sind, und über den reellen Zahlen haben irreduzible 10-9 Mathematik für Informatiker B, SS 2012 Dienstag 22.5 Polynome immer den Grad 1 oder 2. Über den rationalen ist die Lage dann schon wieder wesentlich komplizierter. 4.5 Polynome in C Wir kommen jetzt speziell zu komplexen Polynomen p ∈ C[x]. Für diese vereinfachen sich die oben eingeführten Begriffe wesentlich, die irreduziblen Polynome sind genau die Polynome von Grad 1. Diese Tatsache beruht auf dem folgenden, leider schon recht komplizierten, Satz. Satz 4.26: Jedes Polynom p ∈ C[x] mit grad(p) ≥ 1 hat in C eine Nullstelle. Beweis: Da ein Beweis dieses Satzes schon etwas fortgeschrittene Hilfsmittel benötigt, soll hier auf den Beweis verzichtet werden. Wir hatten im letzten Abschnitt bemerkt, dass irreduzible Polynome von Grad mindestens 2 keine Nullstellen haben können, also ergibt Satz 26 sofort das für komplexe Polynome p ∈ C[x] die Äquivalenz p ist irreduzibel ⇐⇒ grad(p) = 1 besteht. Damit erhalten wir jetzt auch Satz 4.27 (Fundamentalsatz der Algebra) Sei p ∈ C[x] ein komplexes Polynom von Grad n := grad(p) ≥ 1 mit höchsten Koeffizienten a ∈ C\{0}. Dann zerfällt p in Linearfaktoren und hat mit Vielfachheiten n komplexe Nullstellen a1 , . . . , an ∈ C, also p = a(x − a1 ) · . . . · (x − an ). Beweis: Dies ist klar nach Lemma 25 und der obigen Bemerkung über irreduzible, komplexe Polynome. 4.6 Polynome in R Über den reellen Zahlen ist die Lage etwas komplizierter als über den komplexen Zahlen. Wir wollen uns einmal überlegen das jedes irreduzible, reelle Polynom Grad 1 oder 2 hat. Sei also ein irreduzibles Polynom p ∈ R[x] gegeben, und durch Multiplikation mit einer Konstante können wir annehmen das der höchste Koeffizient von p gleich Eins ist. Es können zwei verschiedene Fälle auftreten. 10-10 Mathematik für Informatiker B, SS 2012 Dienstag 22.5 1. Im ersten Fall hat das Polynom p eine reelle Nullstelle a ∈ R. Dann muss p(x) = x − a sein und insbesondere hat p den Grad 1. 2. Im zweiten Fall hat p keine reelle Nullstelle. Nach Satz 26 hat p dann zumindest eine komplexe Nullstelle a ∈ C\R. Schreiben wir p(x) = pp + p1 x + · · · + pn xn , so folgt mit den Rechenregeln für die komplexe Konjugation auch p(a) = p0 + p1 a + · · · + pn an = p0 + p1 a + · · · + pn an = p(a) = 0, d.h. auch das konjugiert komplexe a von a ist eine Nullstelle von p. Damit können wir das Polynom p ohne Rest durch die Linearfaktoren x − a und x − a teilen, d.h. es gibt ein Polynom q ∈ R[x] mit p(x) = q(x)(x−a)(x−a) = q(x)·(x2 −(a+a)x+aa) = q(x)·(x2 −2 Re(a)x+|a|2 ). Somit ist p ein Vielfaches des reellen Polynoms x2 − 2 Re(a)x + |a|2 ∈ R[x] und da p irreduzibel ist, muss damit sogar p(x) = x2 − 2 Re(a)x + |a|2 , also insbesondere grad(p) = 2, sein. Bei Polynomen in R läßt sich generell keine Aussage über die Anzahlen der reellen Nullstellen treffen. Wir wollen hier nur eine Tatsache festhalten, die nicht nur für Polynome, sondern allgemein für die sogenannten stetigen Abbildungen wahr ist. Lemma 4.28: Seien p ∈ R[x] ein Polynom und a, b ∈ R mit a < b. Es gelte p(a)·p(b) < 0, d.h. p(a) und p(b) haben verschiedene Vorzeichen. Dann existiert ein x ∈ R mit a < x < b und p(x) = 0, d.h. das Polynom p hat eine Nullstelle zwischen a und b. Diese Tatsache wollen wir hier nicht beweisen, da sie sich später als ein Spezialfall des sogenannten Zwischenwertsatzes für stetige Funktionen ergeben wird. Anschaulich ist das Lemma sowieso klar, ist p etwa bei x = a positiv und bei x = b negativ, so muss p(x) zwischendurch auch irgendwo Null sein, da der Graph von p die x-Achse ja nicht überspringen kann“. Da Polynome ungeraden Grades für |x| ausreichend groß ” stets links und rechts verschiedenes Vorzeichen haben, folgt das jedes reelle Polynom ungeraden Grades eine reelle Nullstelle hat. Alternativ kann man dies auch folgern indem verwendet wird das irreduzible Polynome über R immer Grad 1 oder 2 haben. 10-11