GERECHTIGKEIT gegenüber der Natur

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GERECHTIGKEIT
GEGENÜBER DER NATUR
Kritik und Würdigung
nicht-anthropozentrischer
Begründungsansätze
praxisrelevante Überlegungen
zum ´Eigenwert `der Biodiversität
Silke Lachnit
philosophisches Seminar
Georg-August-Universität Göttingen
BEREICH:
ÖKOLOGISCHE
GERECHTIGKEIT
… und was ist
mit dem Baum?
© Klaus Scheidler, aus Eser et al. 2011, Seite
Hintergrund
Viele Menschen teilen die moralische
Intuition, dass es beim Naturschutz
(auch) um den Schutz der Natur ´um
ihrer selbst willen` gehen sollte:
Naturbewusstseinsstudie:
92 % der Befragten stimmen der Aussage zu,
dass Tiere und Pflanzen ein eigenes Recht auf
Existenz haben (BMU & BFN 2012: 55)
BNatschG:
„Schutz der Natur und Landschaft um
ihrer selbst willen…“
CBD (Präambel):


Biodiversität wird als Eigenwert anerkannt
Erhaltung der Biodiversität wird als gemeinsames
Anliegen der gesamten Menschheit angesehen
Was kann die
Ethik hier tun?
Unter der Voraussetzung, dass


die ethische Analyse da ansetzt, wo
Kommunikation auf die Überzeugungskraft
von Argumenten setzt und
die Bewältigung gesellschaftlicher Konflikte
besser gelingen kann, wenn ihre moralischen
Dimensionen ausdrücklich adressiert
werden
hilft die Ethik zu klären:


wie Gerechtigkeitsempfindungen ethisch
kommuniziert werden können und
welche Begriffe, Aussagen und Argumente
wahr, gültig und schlüssig sind
Zentrale
Fragestellungen
Was meint ökologische Gerechtigkeit?




•
Inwieweit ist der Begriff ´ökologische
Gerechtigkeit` problematisch?
Was steht hinter der Rede
´ökologischer Gerechtigkeit`?
Welche ethischen Begründungen gibt es,
Pflichten in Bezug auf die Natur zu rechtfertigen?
Welche ethischen Ansätze gibt es den moralischen
Eigenwert der Biodiversität zu begründen?
Was folgt daraus für die Naturschutzpraxis
Was meint
ökologische
Gerechtigkeit?
Gerechtigkeitsverständnis der Studie:
„Das wir mit guten Gründen
voneinander verlangen können“
Problem: Natur ist kein handelndes Subjekt von
dem etwas verlangt werden könnte
→ Reziprozitätsvoraussetzung ist nicht erfüllt:
Gerechtigkeit basiert auf der gegenseitigen
Anerkennung und Einlösung von Pflichten und Rechten
→ Gerechtigkeitsforderungen sind folglich auf unseren
Umgang mit Subjekten beschränkt, deren
Handlungen ebenfalls als gerecht oder ungerecht
beurteilt werden können

Pflichten gegenüber der Natur und Rechte der Natur
sind dieser Auffassung nach keine
Gerechtigkeitsproblematik
→ Glücksargumente
Ich meine demgegenüber:
 Der Begriff ökologische Gerechtigkeit ist in erster Linie
terminologisch unklar
 Zu prüfen ist daher:
 ob der Begriff schlicht unsinnig ist, weil er einen
logischen Gegensatz zum Ausdruck bringt
 oder ob sich die bis hierhin rein metaphorische Rede
von der ´Gerechtigkeit gegenüber der Natur`
zumindest partiell begründen lässt
Was steht hinter der
Rede von der
´ökologischen
Gerechtigkeit`?
Wenn von Gerechtigkeit die Rede ist, dann soll
darüber zum Ausdruck kommen, dass es hierbei
um menschliche Handlungen geht, die:
1) über die Verfolgung persönlicher
Nutzeninteressen hinausgehen (Dimension der
Klugheit) und
2) sich nicht nur empfehlen, weil bestimmte
Handlungen im Rahmen eines guten Lebens
Sinn machen (Dimension des Glücks) sondern
→ für alle Menschen verpflichtend sind!
Es geht also um die Frage,
ob Menschen Pflichten in Bezug
auf die Natur haben können und sollten
PFLICHTEN IN BEZUG AUF DIE NATUR
wichtige Grundunterscheidungen bezüglich Pflichten:
1) Pflicht als subjektive Verbindlichkeit (Tugendpflichten)
oder Pflichten im Sinne objektiver, universaler
Handlungsnormen
2) Pflichten gegenüber jmd. (direkte Pflicht) oder
Pflichten in Ansehung von jmd. oder etwas
(abgeleitete, indirekte Pflicht)
3) Pflichten in Bezug auf Handlungen mit moralisch
relevanten Folgen (bspw. nicht töten) oder moralisch
nicht relevanten Folgen (Zimmer aufräumen)
→ Je nachdem, wie Pflichten (als Kombination
dieser Aspekte) verstanden werden, ergeben sich
unterschiedliche Begründungsansätze
Welche ethischen
Ansätze gibt es,
Pflichten in Bezug auf
die Natur zu
begründen?
FOKUS DER UMWELT/NATURETHIK:
BEGRÜNDUNG MORALISCHER PFLICHTEN
GEGENÜBER DER NATUR
→ Hier gibt es verschiedene
nicht-anthropozentrische/physiozentrische
Ethikansätze:
ökozentrische/holistische Ethiken
biozentrische Ethiken
alles Seiende
alle
Lebewesen
pathozentrische/sientientistische Ethiken
alle
empfindungsfähigen LW
Die zentrale Fragestellung dieser Ethiken:
Welchen Bereichen der Natur kommt ein moralische
Berücksichtigung ´um ihrer selbst willen` zu →
Welchen Bereichen der Natur kommt moralischer
Eigenwert (besser: Selbstwert) zu und warum?
Ökozentrismus/Holismus:
Selbstwert aufgrund von Existenz
Biozentrismus:
Selbstwert aufgrund von ´Strebungen zum Leben`
Pathozentrismus/Sentientismus:
Selbstwert aufgrund von Leidensfähigkeit
bisherige Erkenntnisse und Probleme:



pathozentrische Moralpositionen sind ethisch bereits
gut ausgearbeitet und breit akzeptiert (TierSchG)
biozentrische und ökozentrische Moralpositionen
weisen demgegenüber erhebliche
Begründungsdefizite und Folgeprobleme auf,
nehmen aber weitverbreitete Intuitionen auf
holistische Moralposition(en) sind bisher theoretisch
besser ausgearbeitet, es ist aber nicht klar,
was genau daraus theoretisch folgt und ob die
praktischen Folgen akzeptabel sind
→ Eigenwertträger als Adressaten moralischer Pflichten?
→ Gerechtigkeitspflichten gegenüber allem Seienden?
Welche umweltethischen
Ansätze gibt es, den
moralischen Eigenwert
der Biodiversität zu
begründen?
Keine Expliziten!
1) Biodiversität soll nicht nur geschützt, sondern auch
nachhaltig genutzt und gerecht verteilt werden
(integrativer, ökosystemarer Ansatz der CBD) →
Alle umwelt- bzw. natur(schutz)ethischen Ansätze
fokussieren primär den Schutzaspekt
2) Biodiversität als Chiffre für ´alles Leben auf der Erde`
→ Anwendung biozentrischer Begründungen
3) Biodiversität als Chiffre für „alles was zur Vielfalt der
belebten Natur beiträgt“ (NBS 2011: 9) →
Anwendung ökozentrischer oder holistischer
Begründungen
theoretische
Schlussfolgerungen
1) Die umweltethischen Begründungsansätze des
moralischen Eigenwertes der Biodiversität sind in
der Begründung selektiv und unzulänglich,
hinsichtlich ihrer Konsequenzen unklar
und/oder in Bezug auf die Folgen problematisch
2) Moralische Pflichten gegenüber leidensfähigen
Lebewesen sind für sich genommen und demgegenüber ethisch gut begründet (normativ akzeptabel?)
und als Norm etabliert (faktisch akzeptiert)
→ Folglich haben moralische Pflichten gegenüber
leidensfähigen Lebewesen ihre Berechtigung
→ Aber: Biodiversität besteht nicht nur aus
leidensfähigen Lebewesen!
3) Wenn diese Pflichten in Bezug auf leidensfähige
Lebewesen nun moralischer Natur sind und nicht
bloß in Ansehung leidensfähiger Lebewesen
bestehen, sondern diesen gegenüber,
4) dann sind alle leidensfähigen Tiere als moralische
Subjekte zu betrachten, denen wir diese Pflichten
schulden, auch wenn diese keine solche Pflichten
uns gegenüber haben
5) Die Pflicht ist damit zwar einseitig (nicht reziprok),
aber sie ist dennoch eine Gerechtigkeitspflicht,
weil sie:

über die Verfolgung persönlicher Nutzeninteressen
hinausgeht (Dimension der Klugheit) und

sich nicht nur für das gute menschliche Leben
empfiehlt (Dimension des Glücks)

sondern für alle Menschen (prima facie)
verpflichtend ist
Wenn „Gerechtigkeit als Chiffre
für alle diejenigen normativen
Forderungen“ verstanden wird,
von denen die Sprecher annehmen,
sie zu Recht erheben zu können“
(Eser et al 2013, 22),
dann hat die Rede von
´ökologischer Gerechtigkeit`
zumindest in Bezug auf
leidensfähige Lebewesen
ihre Berechtigung!
Was folgt daraus für die
Naturschutzpraxis?
praktische
Schlussfolgerungen
In diesem Sinne können wir (als Menschen
unter Menschen) mit guten Gründen
voneinander verlangen:
1) dass leidensfähige Tiere um ´ihrer selbst willen`
artgerecht behandelt werden
2) dass Tierschutz nicht als ´Spleen` sondern als
moralische Pflicht aller Menschen zu betrachten ist
3) dass die Beachtung dieser moralischen Pflicht im
Allgemeinen (prima facie) für alle Menschen gilt
4) dass diejenigen, die dagegen verstoßen sanktioniert
werden (im Mindesten moralisch, bestenfalls rechtlich)
5) dass alle Produkte oder Ereignisse, die unter
Zuwiderhandlung artgerechter Haltung ´produziert`
werden, ebenfalls verboten werden sollten
Wir müssen aber auch einräumen,
dass wir nicht mit guten Gründen
voneinander verlangen können,
dass die gesamte Biodiversität oder Natur
geschützt werden solle, weil diese einen
vermeintlichen Selbstwert besitze
→ zur Bewahrung und Förderung der
Biodiversität/Natur müssen andere
Begründungen herangezogen werden
→ Klugheits- und Glücksargumente
VIELEN DANK FÜR IHRE
AUFMERKSAMKEIT
Diskussion
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