krisengeschüttelten, teuren Kolonien wurden zum Inbegriff der

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Das Weltreich der Deutschen
»Da und dort ein junges deutschland gründen«
Stolzer Jäger – Justizrat Dietrich mit
erlegtem Krokodil, 1906 in Deutsch-Ostafrika.
biete in Übersee von den Mächten der Entente
besetzt. Was Kolonialenthusiasten aber nicht
davon abhielt, für den Fall eines Sieges im Weltkrieg Pläne für ein gewaltiges, mittelafrikanisches Reich zu schmieden, ein »deutsches Indien«, das sich vom Atlantik bis hin zum
Indischen Ozean erstrecken
sollte. Doch die Realität sah
ganz anders aus: In Europa
ging der Weltkrieg verloren –
eine Tatsache, an der auch der
zähe Guerillakampf, den die
deutschen Schutztruppen unter der Führung Paul von Lettow-Vorbecks bis zum Ende
des Krieges in Deutsch-Ostafrika führten, nichts ändern
konnte. Nach dem Ende des
Weltkriegs hoffte das Reich
auf einen milden Frieden.
Umso größer war die Empörung im Land, als bekannt
wurde, dass Deutschland alle
seine Kolonien gemäß dem
Vertrag von Versailles verlieren würde. Die Alliierten begründeten diesen Schritt mit
»Deutschlands Versagen auf
dem Gebiet der kolonialen Zivilisation«. Ein Vorwurf, gegen den sich fast alle Parteien
energisch verwahrten. Bald
schon machte das Wort von
der »kolonialen Schuldlüge«
die Runde. Vor allem rechte
Parteien profitierten von der
allgemeinen Ablehnung dieser Bestimmung des Friedensvertrags von Versailles: »Die
›Kolonialschuldlüge‹ wurde elementarer Bestandteil der ›Kriegsschuldlüge‹, jenes schleichenden Gifts, das zusammen mit der Dolchstoßlegende der Weimarer Republik zusetzte«,
so Horst Gründer. War das Thema Kolonien
in der Öffentlichkeit des Kaiserreichs oftmals
mit Desinteresse oder gar Ablehnung behandelt worden, protestierten 1919 in einer Unterschriftenaktion 3,8 Millionen Deutsche gegen
den »Raub der Kolonien«. Selbst für besonnene
Politiker wie Gustav Stresemann und Konrad
Adenauer wurde die Rückforderung der Kolonien zur politischen Selbstverständlichkeit.
»Was deutsch war, muss wieder deutsch
werden« – die Kolonialbewegung rührte in der
Weimarer Republik emsig die Propagandatrommel: Eine Welle an Erinnerungsliteratur, an
Vorträgen und Umzügen, an Devotionalien
wie Bierdeckeln oder Aschenbechern mit kolonialen Motiven überschwemmte den jungen
Staat. Immer wieder machte nun auch das Wort
vom »Volk ohne Raum« die Runde. Die einst
krisengeschüttelten, teuren Kolonien wurden
zum Inbegriff der vergangenen Pracht und
Größe. Doch in der zweiten Hälfte der 1920er
Jahre flaute das Interesse wieder ab, andere Fragen wurden drängender. 1927 dürfte Thomas
Mann vielen Deutschen aus der Seele gesprochen haben: »Ich glaube, dass die Ereignisse
uns gelehrt haben, unsere Freiheit von kolonialem Gepäck als einen Vorteil zu empfinden.«
Die Führer der Kolonialbewegung sahen
das freilich anders. Sie suchten – und fanden –
Ende der 1920er Jahre für ihre revisionistischen
Ziele einen neuen Verbündeten im Land: den
Nationalsozialismus. Hitler ließ keinen Zweifel
daran, dass er alles daran setzen würde, um
Deutschland wieder Weltgeltung zu verschaf-
»Margeritentag« in Deutsch-Ostafrika, 1912
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Das Weltreich der Deutschen
»Da und dort ein junges deutschland gründen«
Der Traum vom »Deutschen Indien« platzte endgültig nach
Rommels Niederlage im Afrikafeldzug.
fen. »Die Wegnahme der Kolonien bedeutet für NSDAP. Dass die SA ihre braunen Uniformen
uns einen unersetzlichen Verlust«, soll Hitler von den Schutztruppen übernommen hatte,
bereits 1919 geäußert haben. Lange schien es mochte dabei als symbolische Brücke dienen.
nach der »Machtergreifung« der Nazis 1933 so, Tatsächlich aber waren die Kolonien in Übersee
als wäre die Rückgewinnung der Übersee-Kolo- für Hitler nur von sekundärer Bedeutung. Seinien ein wichtiger Punkt im Programm der ne Pläne zielten vielmehr auf die Eroberung
von »Lebensraum im Osten«,
wie er schon in »Mein Kampf«
gefordert hatte.
Bis 1941 tauchte dennoch
immer wieder die Idee eines
großen Mittelafrika-Reichs in
deutschen Strategieentwürfen
auf. Nach ersten Siegen des
Afrikakorps schien eine Realisierung dieses Plans für kurze Zeit auch zum Greifen nah,
in Berlin wurde bereits ein eigenes »Kolonialministerium«
eingerichtet. Doch nach dem
Angriff auf die Sowjetunion
musste der Afrikaplan vorerst
zurückgestellt werden. Einmal mehr hatte die »Ostkolonisation« Vorrang. Die späteren Niederlagen Rommels in
Afrika ließen den Traum vom
Kolonialreich endgültig zerplatzen. 1943 wurde das »Kolonialministerium« aufgelöst,
die Beamten wurden zur
Wehrmacht eingezogen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konnte von einer kritischen Aufarbeitung
der Kolonialgeschichte lange
Zeit keine Rede sein. Bis in die
1960er Jahre hinein wurde
die koloniale Vergangenheit
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in der Bundesrepublik eher verklärt. Kolonialhelden wie Paul von Lettow-Vorbeck, der legendäre »Löwe von Afrika«, galten vielen nach wie
vor als leuchtende Vorbilder. Die Präsenz der
kolonialen Vergangenheit in Denkmälern und
in Straßennamen erregte nirgendwo Anstoß.
Überdeckt von der Erfahrung zweier katastrophaler Weltkriege, geriet die koloniale Vergangenheit Deutschlands mehr und mehr in Vergessenheit. Erst seit den 1970er Jahren setzte
ein Umdenken ein – und eine Diskussion, die
bis heute anhält. Die blutigen Kriege der Kolonialzeit und die Repressionen gegenüber den
Einheimischen warfen die Frage nach Schuld
und Sühne auf. Und nach Kontinuitäten in der
deutschen Geschichte.
Innerhalb einer Generation hat Deutschland ein ganzes überseeisches Reich gewonnen und wieder verloren. Die Weltgeschichte weist wenige Kapitel auf, die gleichzeitig
von solcher Bedeutung, so knapp im Umfang, so vollkommen in sich abgeschlossen
und politisch so lehrreich wären.
Arthur Percival Newton,
britischer Historiker, 1919
Auch in den einstigen Kolonien blieb nach
Erlangung der Unabhängigkeit der Umgang
mit dem deutschen Erbe zwiespältig. Unvergessen sind Ausbeutung, Unterdrückung und die
verlustreichen Kriege gegen die kolonialen Herren. So forderte eine Organisation der Herero
2001 vor einem amerikanischen Zivilgericht
Entschädigungsleistungen der Bundesrepublik
für die hundert Jahre zuvor im Hererokrieg erlittenen Schäden. Dem Antrag war allerdings
kein Erfolg beschieden. Der Bundestag lehnte
im Jahr 2008 sämtliche Forderungen ab, ob-
wohl die damalige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
Heidemarie Wieczorek-Zeul, bereits vier Jahre
zuvor bei einem Besuch in Namibia erklärt hatte: »Wir Deutschen bekennen uns zu unserer
historisch-politischen, unserer moralischen und
unserer ethischen Verantwortung – und zu der
Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen
haben.«
Doch ebenso unvergessen ist in vielen der
ehemaligen Kolonien, dass die deutsche Herrschaft auch den Grundstein für die Bildung einer Nation und eines modernen Staates gelegt
hat. Die Etablierung einer zentralen Verwaltung
zum Beispiel und die Einführung einer einheitlichen Amtssprache trug in mehreren ehemaligen Kolonialstaaten wesentlich zum Prozess
des »Nationbuilding« bei. In vielen der einstigen Kolonien wird heute noch immer die Infrastruktur genutzt, die von den deutschen Kolonisten errichtet wurde.
Das koloniale Erbe ist – im positiven wie im
negativen Sinne – an vielen Orten bis heute lebendig. Doch welche Geschichten verbergen
sich hinter so klingenden Namen wie BismarckArchipel, Lüderitzbucht oder Kilimandscharo?
Wer waren die Deutschen, die einst in den Kolonien lebten? Welchen Einfluss nahmen sie
auf die jeweiligen Gebiete? Die Geschichten der
Protagonisten aus drei der wichtigsten deutschen Kolonien – Deutsch-Südwestafrika, das
Südsee-Gebiet und Deutsch-Ostafrika – erzählen vom vergessenen »Weltreich der Deutschen«. Es sind Geschichten von Gewinnern
und Verlierern, von Glücksfällen und Schicksalsschlägen, von Helden und Schurken – und
nicht zuletzt auch davon, dass kein Mensch
und keine Nation das Recht besitzt, mit Gewalt
über Andere zu herrschen.
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