Komplexe Zahlen Handout 6 zum Mathematik-Brückenkurs Carl Hammann, µFSR, TU Dresden Version vom 7. Oktober 2015, Fehler und Verbesserungsvorschläge bitte an [email protected] 6.1 Motivation und Einführung In den reellen Zahlen hat die Gleichung x2 = −1 bekanntlich keine Lösung. Wir haben auch mit den Aufgaben 5.14 und 5.15 bewiesen, dass diese Gleichung in keinem geordneten Körper lösbar ist. 2 Wenn wir die Gleichung rein formal √ x = −1 lösen wollen, könnten wir zunächst √ Lösungen mit x1,2 = ± −1 angeben; dabei entspricht dem Symbol −1 keine reelle Zahl und es ist auch nicht klar, was die Wurzel überhaupt bedeuten soll. Man behilft sich hier, indem man die neue Zahl i einführt, die darüber definiert ist, das sie die Gleichung i2 = −1 √ erfüllt; dann ist „i = −1“. Historisch bedingt heißt i die imaginäre Einheit. Im Folgenden wollen wir diese Überlegunen konkretisieren und uns überlegen, dass die Einführung einer solchen Zahl i keine Widersprüche erzeugt. 6.2 Definition und erste Eigenschaften Definition 6.1 (komplexe Zahlen). Die Menge C der komplexen Zahlen ist die Menge aller Paare reeller Zahlen. Für ( a, b), (c, d) ∈ C definieren wir Addition und Multiplikation durch ( a, b) + (c, d) := ( a + c, b + d) und ( a, b) · (c, d) := ( ac − bd, ad + bc). Für ( a, b) ∈ C heißt <( a, b) := a der Realteil von ( a, b) und =( a, b) := b der Imaginärteil von ( a, b). 1 Schreibweise 6.2. Wir schreiben ( a, b) ∈ C als a + bi und behandeln das Smybol i beim Rechnen so, als wäre es eine reelle Zahl mit i2 = −1. Man rechnet leicht nach, dass diese Konvention mit der Definition der komplexen Zahlen konsistent ist und dass die Zahl i aus der Einführung dem Paar (0, 1) entspricht. (Das haben wir in der Einführung gemacht) Weiterhin fassen wir R als Teilmenge von C auf, indem wir a ∈ R mit der Zahl ( a, 0) (beziehungsweise a + 0i) identifizieren. Aufgabe 6.1. Überzeuge dich davon, dass unsere Schreibweise und die Definition der Rechenoperationen auf C zu den bekannten Rechenoperationen auf R passt, d.h. überprüfe, dass für a, b ∈ R gilt, dass ( a, 0) + (b, 0) = ( a + b, 0) und ( a, 0) · (b, 0) = ( a · b, 0) und ( a, b) = ( a, 0) + (b, 0) · (0, 1). Proposition 6.3. (C, +, ·) mit + und · aus der Definition ist ein Körper. Definition 6.4 (Betrag). Wir definieren die Betragsfunktion | · | : C → [0, ∞) durch q |z| := (<(z))2 + (=(z))2 . Definition 6.5 (konjugiert komplexe Zahl). Für z = a + ib ∈ C bezeichnet z̄ := a − ib die konjugiert komplexe Zahl von z. Aufgabe 6.2. Beweise folgende Formeln für z, w ∈ C: 1. <(z) = (z + z̄)/2 und =(z) = (z − z̄)/(2i) 2. z ∈ R ⇔ z̄ = z 3. z̄¯ = z 4. z + w = z̄ + w̄ und z · w = z̄ · w̄ 5. |z + w| ≤ |z| + |w| (Dreiecksungleichung) 6. |zw| = |z| · |w| 7. z · z̄ | z |2 = 1 für z 6= 0 Aufgabe 6.3. Bestimme für z = a + bi und y = c + di die Größen <(z/y) und =(z/y) (als Ausdrücke in a, b, c, d mit den von den reellen Zahlen gewohnten Rechenoperationen)! Aufgabe 6.4. Rechne nach, dass (C \ {0}, ·) tatsächlich eine abelsche Gruppe ist und vervollständige damit den Beweis von Proposition 6.3. Du kannst die letzte Behauptung in Aufgabe 6.2 verwenden. Aufgabe 6.5. Skizziere folgende Mengen in der komplexen Zahlenebene: 1. {z ∈ C|1 ≥ |z|} 2. {z ∈ C|<(z) ≤ =(z)} 3. {z ∈ C|<(z2 ) = −1} 4. {z ∈ C||z| ≤ |z + 1|} 2 6.3 Exponentialfunktion Satz 6.6 (Additionstheoreme). Für α, β ∈ R gilt sin(α + β) = sin(α) cos( β) + sin( β) cos(α) und cos(α + β) = cos(α) cos( β) − sin(α) sin( β). Aufgabe 6.6. Beweise das Additionstheorem für den Cosinus! Definition 6.7 (komplexe Exponentialfunktion). Wir definieren die Exponentialfunktion auf den komplexen Zahlen durch exp : C →C z 7→ exp(<(z))(cos(=(z)) + i sin(=(z))). hierbei bezeichnet auf der rechten Seite des Zuordnungspfeils exp die bekannte Exponentialfunktion auf den rellen Zahlen und sin und cos die ebenfalls als bekannt vorausgesetzten Winkelfunktionen auf R. Für exp(z) schreibt man auch ez . Folgende Proposition zeigt, dass die so definierte Exponentialfunktion die Exponentialfunktion auf R verallgemeinert in dem Sinne, dass beide Funktionen die gleiche Funktionalgleichung erfüllen: Proposition 6.8. Für a, b ∈ C gilt exp( a + b) = exp( a) exp(b). Ferner gilt exp(0) = 1. Aufgabe 6.7. Beweise Proposition 6.8! (Du wirst dafür die Additionstheoreme verwenden müssen) Aufgabe 6.8. Schreibe die Zahl a + ib ∈ C (es seien a, b ∈ R) in der Form c · exp(iφ) mit c ≥ 0, φ ∈ R! Diese Darstellung der komplexen Zahlen nennt man Exponentialdarstellung. Definition 6.9 (natürliche Exponenten). Für z ∈ C und definieren wir induktiv z0 = 1 z n +1 = z · z n (n ∈ N ∪ {0}) Aufgabe 6.9. Beweise mit vollständiger Induktion, dass für alle a ∈ C und n ∈ N ∪ {0} die Formel exp( a)n = exp(na) gilt! Du kannst dazu Proposition 6.8 benutzen. 6.4 Wurzeln Definition 6.10 (Wurzel). In einem Körper F heißt für n ∈ N und a ∈ F heißt eine Lösung der Gleichung zn := z| · z{z · · · }z = a n-mal eine n-te Wurzel von a 3 Aufgabe 6.10. Sei F ein Körper. Zeige mit vollständiger Induktion, dass jedes a ∈ F für jedes n ∈ N höchstens n verschiedene n-te Wurzeln hat! Du darfst dabei ohne Beweis verwenden, dass man in jedem Körper wie aus der Schule bekannt Polynomdivision durchführen kann: Sei p ein Polynom mit höchstem Exponenten n und Koeffizienten in F. Dann gilt für k ∈ F genau dann p(k ) = 0, wenn es ein Polynom q mit Koeffizienten in F und höchstem Exponenten n − 1 gibt, für das p( x ) = ( x − k) · q( x ) für alle x ∈ F gilt. Proposition 6.11. Für a = ceiφ ∈ C (c ≥ 0, φ ∈ R) sind die Zahlen √ iφ 2πi n zk = c exp +k n n für k ∈ {0, 1, . . . , n − 1} Lösungen der Gleichung zn = a. Aufgabe 6.11. Beweise Proposition 6.11! Dazu kannst du Aufgabe 6.9 verwenden. Aufgabe 6.12. Skizziere für ein paar kleine n ∈ N die Mengen {z ∈ C|zn = 1}! Was fällt dir auf? Aufgabe 6.13. Zeige, dass für n ∈ N die Menge {z ∈ C|zn = 1} eine zyklische Gruppe bezüglich der Multiplikation der komplexen Zahlen bildet! Was stellt die Gruppe geometrisch dar? n√ o 2+3i Aufgabe 6.14. Berechne z̄, |z|, <(z), =(z), <(1/z) und =(1/z) für z ∈ i, 12 +5i ! 4