Ö 1-KLASSIKER 12103 GERSHWIN + BERNSTEIN + PROKOFIEFF MEDIENBEGLEITHEFT zur CD George Gershwin: »Porgy and Bess« (Ausschnitte), 77.35 Minuten George Gershwin: »Rhapsody in Blue« (Orchestration: Ferde Grofé), 17.10 Minuten Leonard Bernstein: Symphonic Dances aus »West Side Story«, 22.56 Minuten Sergej Prokofieff: »Romeo und Julia« Suite Nr. 1 op. 64b, 27.17 Minuten DAS ZUKUNFTSMINISTERIUM Ö 1 – KLASSIKER: MOZART Das vorliegende Heft ist die weitgehend vollständige Kopie des Begleitheftes zur CD Konzept der Zusammenstellung von Dr. Haide Tenner, Dr. Bogdan Roscic, Lukas Barwinski Executive Producer: Lukas Barwinski Musik Redaktion: Dr. Gustav Danzinger, Dr. Robert Werba, Albert Hosp, Mag. Alfred Solder Text/Lektorat: Michael Blees Grafikdesign: viktorama Fotorecherche: Österreichische Nationalbibliothek/ Mag. Silke Pirolt Fotos: ORF, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv Herausgeber: Universal Music GmbH, Austria 2004 Besonderen Dank an: Prof. Alfred Treiber, Mag. Irina Kubadinow, Dr. Johanna Rachinger, Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Medieninhaber und Herausgeber des vorliegenden Heftes: Medienservice des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur 1014 Wien, Minoritenplatz 5 Bestellungen: Tel. 01/982 13 22-310, Fax. 01/982 13 22-311 E-Mail: [email protected] 2 Ö1-KLASSIKER, VOLUME 3 GERSHWIN + BERNSTEIN + PROKOFIEFF GEORGE GERSHWIN: »PORGY AND BESS« »Ich halte >Porgy and Bess< für eine der besten modernen Opern«, so der sowjetische Komponist Aram Chatschaturjan. »Immer wieder kehre ich zurück zu solch herrlichen Stücken wie Claras Wiegenlied, der Totenklage >My man's gone now<, Porgys spöttischem Song >I got plenty o' nuttin'<, dem bezaubernden Duett von Porgy und Bess und den eindrucksvollen großen Chören, die mit viel polyphonem Geschick und feinem Gefühl für die Sprache des Volkes geschrieben sind. Diese Oper ist ein treffendes Beispiel für das zeitgenössische amerikanische Musikdrama.« Ähnlich hatte es auch das Publikum der Uraufführung der Oper »Porgy and Bess« in Boston 1935 empfunden; »das ist ein großer Fortschritt in der amerikanischen Opernentwicklung, ja einer der größten,« hatte damals der bedeutende Dirigent Serge Kussewitzky die Stimmung auf den Punkt gebracht. Ganz anders fielen die Reaktionen in New York im gleichen Jahr aus; man sprach von einer ›halben Oper‹, empfand die folkloristischen Elemente als unehrlich und kritisierte das ständige Schwanken zwischen Musikdrama, Musical Comedy und Operette. Dass mit »Porgy and Bess« ein ganz neuer, spezifisch amerikanischer Typus des musikalischen Theaters entstanden war, wollten viele Kritiker jener Zeit nicht erkennen. Bereits 1926 hatte George Gershwin (1898-1937) Kontakt mit dem Romanautor DuBose Heyward aufgenommen, um mit ihm über eventuelle Vertonungsrechte seiner Novelle »Porgy« zu verhandeln. Heyward war jedoch gerade damit beschäftigt, seinen Roman selbst in ein Theaterstück umzuwandeln. Jahre später wurde er gebeten, sein Schauspiel als Musicalvorlage für Jerome Kern und Oscar Hammerstein, die Autoren des zugkräftigen »Show Boat«, freizugeben. Heyward wollte seinen »Porgy« aber nicht als Musical Comedy auf die Musiktheaterbühne gebracht wissen, sondern als Volksoper - und dafür kam für ihn nur Gershwin in Frage. Als der Plan bekannt wurde, meldete sich die Metropolitan Opera beim Komponisten; er wollte aber ein Werk für alle Amerikaner schreiben und nicht bloß für die Upper Class von New York, das typische Met-Publikum - und - als wichtigstes Argument sein neues Werk sollte eine Negeroper, gespielt von Farbigen werden. An der Met wäre dies auf Grund der damaligen Rassenvorurteile nicht machbar gewesen, erst 1955 wurde es erstmals einer farbigen Sängerin erlaubt, an der Met aufzutreten. Während der Komposition besuchte Gershwin mehrmals Charleston, um den originalen Handlungsschauplatz, die dortige Bevölkerung, vor allem die Atmosphäre der Fischergassen kennen zu lernen. »Als ich an der Musik zu arbeiten begann, entschloss ich mich, kein originales Volksmusikmaterial zu gebrauchen, weil die Musik aus einem Guss sein sollte«, so Gershwin. »Deshalb schrieb ich meine eigenen Spirituals und Volkslieder. Diese sind aber dennoch Volksmusik - und folglich ist >Porgy and Bess<, da auch in der Form opernhaft, eine Volksoper. Ich habe meine Musik geschrieben, damit sie zu einem vollkommenen Bestandteil der Handlung wird, sie soll zusätzlich zu den Worten Ausdruck geben.« Heyward selbst hat bei der Umwandlung des Bühnenstücks zum Opernlibretto mitgearbeitet, aber auch George Gershwins Bruder Ira war an der Textbearbeitung beteiligt. Zwanzig Monate arbeitete Gershwin an seiner Oper, am 2. September 1935 war die 700 Seiten starke Partitur seines letzten Bühnenwerks vollendet. 1943 fand in Kopenhagen (trotz aller Versuche der NaziBesatzung, die >jüdische Negeroper< zu boykottieren) die europäische Erstaufführung statt, und spätestens seit der Welt-Tournee der »Everyman Opera Company« in den 1950er Jahren gehört »Porgy and Bess« zu den anerkannten Erfolgswerken des 20. Jahrhunderts. 3 »Porgy and Bess« Glückspielszene, Gastspiel der »Everyman Opera Company« an der Volksoper Wien, 1952 Die Figur des Porgy hat es übrigens wirklich gegeben. Sein richtiger Name war zwar Sammy Small, in Charleston wird aber behauptet, er habe nie anders als Porgy geheißen. Die Liebesgeschichte zwischen ihm, einem Behinderten und der schönen Bess haben Gershwin und Heyward zwar realistisch geschildert, Elemente von Rassismus und Diskriminierung - wie später in Bernsteins »West Side Story« - sind hier aber noch nicht zu spüren: In der CatfishRow sitzen des Abends der Trinker Crown und der Fischer Robbins beim Würfelspiel, während Clara ihr Baby in den Schlaf singt. Als Robbins gewinnt, erschlägt ihn der jähzornige Crown und flieht. Der Rauschgifthändler Sporting Life versucht, Crowns Freundin Bess zu überreden, mit ihm nach New York zu gehen, doch Bess lehnt ab und sucht Zuflucht in der Hütte von Porgy, einem verkrüppelten Bettler. Beide verlieben sich. Bei einem Ausflug der Bewohner der Catfish-Row zur Insel Kittiwah, taucht Crown wieder auf und bedrängt Bess, bei ihm zu bleiben. Erst nach Tagen kehrt sie krank und geschwächt zu Porgy zurück. Während eines gewaltigen Sturms, in dem der Fischer Jake und seine Frau Clara umkommen, bricht Crown in Porgys Hütte ein. Porgy ersticht ihn und wird darauf in Untersuchungshaft genommen. Allein gelassen vermag Bess den Werbungen von Sporting Life nicht länger zu widerstehen. Als Porgy zurückkehrt und die Geliebte nicht findet, macht er sich auf nach New York, um Bess dort zu suchen. GEORGE GERSHWIN: »RHAPSODY IN BLUE« Mit kleinen Klavierstücken, Songs und Musik zu Revuen und Musical Comedies hatte sich George Gershwin zu Beginn seiner Laufbahn einen Namen gemacht, unter seinen frühen Werken befand sich aber auch die kleine Oper »Blue Monday«. Bei der Uraufführung 1922 war sie von Paul Whiteman dirigiert worden. Whiteman galt damals als der >King of Jazz<, auch wenn die von ihm aufgeführte Musik nur sehr wenig mit echtem Jazz zu tun hatte. Die Improvisation fehlte seiner Musik ebenso wie das Laute und Lärmende des urwüchsigen Jazz. Eines seiner größten Vorhaben war die volkstümliche Musik unter Anlehnung des Jazz in die Bereiche der ernsten, symphonischen Musik hinüberzutragen, und für die Umsetzung dieses Planes schien ihm Gershwin der richtige Mann zu sein. 4 George Gershwin Gershwin selbst sah dies allerdings anders: er hatte bis dahin noch nie ein größeres Werk geschrieben, fürchtete, dass es ihm an handwerklich-theoretischem Rüstzeug fehlen könnte. Paul Whiteman ließ jedoch nicht locker, überrumpelte den zögernden Komponisten letztendlich mit einer List. Er ließ einfach in einer Zeitung ankündigen, dass Gershwin an einem großen symphonischen Werk arbeite, das am 12. Februar 1924 in der New Yorker Aeolin Hall aufgeführt werde - und dies wohlgemerkt wenige Wochen vor dem angekündigten Konzerttermin. Gershwin war zuerst verärgert, sagte dann aber zu. Eine erste Idee, einen symphonischen Blues zu schreiben, wurde verworfen; eine größere, freiere Form sollte es sein - eine Rhapsodie. Auf einer Eisenbahnfahrt hatte Gershwin dann die Eingebung für sein Werk: »Hier hörte ich plötzlich - ja ich sah sogar auf dem Papier - den vollständigen Aufbau der Rhapsodie, vom Anfang bis zum Ende. Ich hörte sie gleichsam als musikalisches Kaleidoskop Amerikas - unseres ungeheuren Schmelztiegels, unseres unvergessenen nationalen >Pep<, unseres Blues, unserer großstädtischen Unrast.« In einer Fassung für zwei Klaviere komponierte Gershwin sein Werk, die Instrumentation für Soloklavier und symphonisch besetzte Jazzband besorgte danach - wie für alle Werke, die das Paul Whiteman-Orchester aufführte - Ferde Grofé. Besagtes Konzert, für das Gershwins Werk entstanden war, sollte einen Überblick über die besten Werke der amerikanischen >Popular Music< geben, die Zuhörer wollten sich am Gebotenen aber kaum erwärmen und reagierten ausgesprochen kühl - bis George Gershwin auftrat und selbst als Klaviersolist seine »Rhapsody in Blue« vorstellte. Mit einem Mal raste das Publikum vor Begeisterung. »Der Uraufführungstag der >Rhapsody in Blue<, der 12. Februar 1924, ging in die Geschichte der amerikanischen Musik ein«, so Gershwin-Biograph Wolfram Schwinger. »War es nur zufällig der Geburtstag von Abraham Lincoln, dem größten amerikanischen Präsidenten, der das Verbot der Sklaverei 1863 in der Verfassung festlegte? Man hat oft auf das Zusammenfallen dieser beiden Ereignisse hingewiesen und in Anbetracht der Beziehungen zwischen der Volksmusik der amerikanischen Neger und dem Jazz den Uraufführungstag der >Rhapsody in Blue< die Freiheitsproklamation des Jazz genannt. Nie zuvor ist jedenfalls ein Stück amerikanischer Musik derart als Wesenausdruck Amerikas empfunden worden wie die >Rhapsody in Blue<. Mit diesem Werk hatte Gershwin wirklich >Amerika komponiert< so, wie es auf ihn einstürmte, wie er es erlebte!« LEONARD BERNSTEIN: SYMPHONIC DANCES »AUS WEST SIDE STORY« Leonard Bernstein (1918-1990) gehörte nicht nur zu den herausragendsten Dirigentenpersönlichkeiten seiner Zeit, er galt als musikalisches Multitalent: als Pianist - wie auf dieser CD in Gershwins »Rhapsody in Blue« zu hören - trat er ebenso in Erscheinung wie als Musikkommentator, Musikpädagoge und Buchautor. Und darüber hinaus war er auch noch ein höchst erfolgreicher Komponist. Symphonien, Suiten, Filmmusiken, Lieder und Musicals hat er geschrieben, keines seiner Werke wurde aber so bekannt wie seine »West Side Story«. Längst wird dieses Werk aus dem Jahr 1957 zu den großen Klassikern des Genres gezählt mit einem wesentlichen Unterschied zu vielen anderen berühmten Musicals jener Jahre: mit 5 der »West Side Story« haben Bernstein und seine Co-Autoren Jerome Robbins (Idee), Arthur Laurents (Buch) und Stephen Sondheim (Gesangstexte) ein Thema auf die Bühne gebracht, das seit der Zeit der Entstehung des Werks nichts an Aktualität eingebüßt hat. Bereits 1949 hatte der Tänzer und Choreograph Jerome Robbins die Idee, die berühmte Liebesgeschichte von Romeo und Julia in ein Elendsviertel von New York zu übertragen. Das Stück sollte das Drama eines jüdischen Mädchens und eines katholischen Jungen darstellen. Bernstein war zwar interessiert, aber mit Dirigierverpflichtungen und anderen Kompositionen ausgelastet. Erst sechs Jahre später wurde die Idee erneut aufgegriffen; New York, Teilansicht bei der Ausfahrt um 1926 die Gegensätze zwischen den in Amerika eingewanderten Puertoricanern und den Einheimischen waren damals Tagesgespräch, über Jugendkriminalität wurde in den Zeitungen debattiert. Das Autorenteam beschloss daraufhin statt der Konfessionsproblematik die aktuellen Rassenkonflikte zu thematisieren. Buchautor Arthur Laurents folgte in der Anlage der Figuren und Schauplätze genau der Geschichte von Shakespeares »Romeo and Juliet« (mit dem kleinen Unterschied, dass seine Julia, in der Gestalt Marias am Ende nicht stirbt) und doch ist sein Werk nicht bloß eine schablonenhafte Übertragung der Renaissance-Geschichte in die Gegenwart, sondern eine Neuschöpfung von eigener Atmosphäre. Bernstein schrieb dazu eine »grenzüberschreitende« Musik, in der - ohne die Anforderungen der Broadway-Show zu leugnen - Elemente des Jazz ebenso anzufinden sind wie solche der Symphonie und der großen Gesangsoper. Nach Tryout-Aufführungen in Washington und Philadelphia erlebte Bernsteins »West Side Story« am 26. September 1957 ihre Uraufführung im New Yorker Winter Garden Theatre. »Unser Bernstein-Fan-Club zitterte vor Erregung«, so Marcel Prawy, der die Uraufführung miterlebte und der auch in seiner eigenen Übersetzung 1968 das Werk als deutschsprachige Erstaufführung an die Volksoper Wien brachte. »Der Triumph dieser getanzt-gesungenen Tragödie bedeutete nicht nur den Höhepunkt des amerikanischen Musiktheaters, sondern eine völlige Veränderung des Images von Leonard Bernstein als Komponist. Seine früheren Broadway-Musicals waren reizvolle leichtere Ware, nun aber hatte er seinen Traum einer amerikanischen Fast-Oper verwirklicht. Noch dazu hatte man vorher immer gesagt, er könne zwar gutes Musical-Theater schreiben, aber keine Schlager und nun kamen eben >Tonight<, >Maria< - und das tief ergreifende >Somewhere<.« Diese Nummer ist auch Teil der Symphonic Dances aus »West Side Story«, einer suitenartigen Zusammenfassung vor allem der Tanzszenen des Musicals, entstanden 1960: Der »Prolog« stellt die wachsende Rivalität zwischen zwei jugendlichen Gangs, den >Jets< und 6 den >Sharks< dar; in einer visionären Tanzfolge (»Somewhere«) vereinigen sich beide Banden in Freundschaft, sie befreien sich aus den Mauern der Stadt und finden sich plötzlich in einer Welt, die von Raum, Luft und Sonne geprägt ist (»Scherzo«). Ein »Mambo« führt zurück in die Wirklichkeit; ein Tanzwettstreit findet zwischen den Gangs statt, bei dem sich Tony und Maria erstmals begegnen (»Cha-Cha«) und miteinander reden (» Meeting Scene«). Die >Jets< zeigen offen ihre Feindschaft gegenüber den >Sharks< (»Cool«), es kommt zum Kampf zwischen den beiden Banden, in dem die beiden Anführer umkommen (»Rumble«). Die Liebesmusik des »Finales« entwickelt sich zu einer Prozession, die in tragischer Wirklichkeit die Vision des » Somewhere« in Erinnerung ruft. SERGEJ PROKOFIEFF: »ROMEO UND JULIA« SUITE NR. 1 OP. 64 B Wie für Bernsteins Musical »West Side Story« diente William Shakespeares Drama »Romeo and Juliet« für eine Vielzahl weiterer musikalischer Werke als stoffliche Vorlage; dabei war der englische Dichter nicht der erste gewesen, der die tragische Legende des berühmtesten Liebespaares der Kulturgeschichte zu Papier brachte. Schon vor ihm hatten sich zahlreiche Schriftsteller durch die traurige Liebesgeschichte inspirieren lassen, erst mit Shakespeares Fassung aus den frühen 1590er Jahren bekam sie aber universelle Bedeutung. Auf Shakespeares Drama basieren die »Romeo und Julia«-Opern von Vincenzo Bellini, Charles Gounod, Riccardo Zandonai, Heinrich Sutermeister und Boris Blacher ebenso wie eine Symphonie von Hector Berlioz und eine Fantasie-Ouvertüre von Pjotr Iljitsch Tschaikowsky. Eine erste getanzte Fassung des »Romeo und Julia«-Stoffes dürfte bereits 1785 in Venedig zur Aufführung gekommen sein, die berühmteste und meistgespielte Ballettversion des Liebesdramas aus der Renaissance stammt aber zweifellos aus der Feder von Sergej Prokofieff (1891-1953). 1932 war er nach langjähriger Abwesenheit in seine Heimat zurückgekehrt; 14 Jahre lang hatte er in den USA und Europa verbracht, vor allem in Paris gelebt. Neben zahlreichen anderen Werken waren in der französischen Hauptstadt auch einige Ballette von Prokofieff entstanden, vor allem im Umfang relativ kurze Werke wie »Le pas d'acier«, »L'enfant prodigue« und »Sur le Borsysthène«. In Russland favorisierte man dagegen damals nach wie vor abendfüllende, große romantische Ballette mit durchlaufender Handlung - und ein solches wollte Prokofieff nach seiner Rückkehr nach Russland komponieren. Das KirovTheater in Leningrad (heute wieder St. Petersburg) bemühte sich um die Uraufführung, zog sich dann aber von dem Projekt zurück. Der Grund dafür scheint heutzutage absurd, für die Theaterdirektion lag das Problem aber im tragischen Finale des Sujets; mit der Begründung »Lebende können tanzen, Tote nicht« wurde Prokofieffs »Romeo und Julia«-Ballett abgewiesen. Der Komponist schloss daraufhin einen Vertrag mit dem Moskauer BolschoiTheater und lieferte im Sommer 1935 die fertig-gestellte Partitur ab. Doch auch hier kam es nicht zur Uraufführung, das Theater lehnte das Ballett als »ungeeignet zum Tanzen« ab. Die erste Aufführungvon »Romeo und Julia« fand schließlich 1938 in Brünn statt. In der russischen Heimat des Komponisten wurde »Romeo und Julia« erst über Umwege bekannt - in Form zweier Orchestersuiten, die Prokofieff aus der Partitur 1936 und 1937 ohne Rücksicht auf die originale Abfolge oder das Handlungskonzept - zusammengestellt hatte. Die Suite Nr. 1 beginnt mit einem »Volkstanz«, eigentlich der Beginn des zweiten Akts; in Verona wird Karneval gefeiert, auf dem Marktplatz herrscht fröhliches Treiben. Die folgende »Szene« stammt aus dem ersten Akt und stellt die morgendliche Stimmung in Verona dar. Das »Madrigal« hält die erste Begegnung zwischen Romeo und Julia fest - auf einem Ball, der mit dem Einzug der Gäste (»Menuett«) und einem »Maskenfest« im Hause der Capulets begonnen hat. »Romeo und Julia« ist der berühmte Pas de Deux, mit dem der 7 erste Akt schließt; in einem Liebestanz sinken sich die Protagonisten des Dramas in die Arme. Daran anschließend erklingt in der Suite Nr. 1 noch das Finale und der dramatische Höhepunkt des zweiten Akts, »Tybalts Tod«. Tybalt ist von Romeo getötet worden, an seiner Leiche schwören die Capulets Rache. Nachdem »Romeo und Julia« in Russland durch die beiden Orchestersuiten bekannt geworden war, wagte man sich 1940 am Kirov-Theater endlich auch an eine szenische Realisation des kompletten Werks. Es bedurfte intensiver Probenarbeit, um alle Beteiligten an die tonalen Kühnheiten der Partitur, die vielfältigen und komplizierten Rhythmen und die grellen Harmonien zu gewöhnen. Letztendlich geriet aber die russische Erstaufführung zu einem großen Erfolg. »Romeo und Julia« wird seither zu Peter Williams, »Romeo und Julia«, Gemälde, Öl auf Leinwand (Baruschin-Theatermuseum/Moskau) den berühmtesten Werken der Ballettgeschichte gezählt; berühmte Choreographen (unter anderem Frederick Ashton, John Cranko, John Neumeier und Rudolf Nurejew) haben sich des Werkes immer wieder angenommen. 8