Deutscher Bundestag Ausschuss f. Gesundheit Ausschussdrucksache 16(14)0347 zu Top 11 der TO am 20.02.2008 15.02.2008 Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit des Deutschen Bundestages Frau Dr. Martina Bunge, MdB 11011 Berlin Rolf Schwanitz Parlamentarischer Staatssekretär Mitglied des Deutschen Bundestages HAUSANSCHRIFT POSTANSCHRIFT TEL FAX E-MAIL Friedrichstraße 108, 10117 Berlin 11055 Berlin +49 (0)30 18441-3600 +49 (0)30 18441-3604 [email protected] Berlin, 15. Februar 2008 Sehr geehrte Frau Vorsitzende, anliegend übersende ich einen Bericht des Bundesministeriums für Gesundheit zum Sachstand zu möglichen Risiken bei der Verabreichung des HPV (Humane Papillomaviren)- Impfstoffes Gardasil zur Prävention von Gebärmutterhalskrebs. Um den Bericht hatte auch der Kollege Dr. Harald Terpe im Gespräch der Obleute am 12. Februar 2008 gebeten. Mit freundlichen Grüßen Stand: Februar 2008 Bericht des Bundesministeriums für Gesundheit zur Frage möglicher Risiken bei der Verabreichung des HPV (Humane Papillomaviren)- Impfstoffes Gardasil zur Prävention von Gebärmutterhalskrebs Die humane Papillomaviren (HPV)-Infektion Die Infektion mit humanen Papillomaviren (HPV), insbesondere mit den Typen HPV 16 und 18, ist Voraussetzung für eine Entstehung von Schleimhautveränderungen (Dysplasien), die nach vielen Jahren zum Gebärmutterhalskrebs führen. Die Infektion wird auf sexuellem Weg übertragen. Anders als bei anderen Geschlechtskrankheiten schützt eine konsequente Kondomnutzung nicht hinreichend sicher vor einer Ansteckung. Die Prävalenz von HPVInfektionen mit DNA-Nachweis in Abstrichuntersuchungen wird für Europa auf 8 bis 15 % geschätzt. Die Prävalenz ist unter jungen Frauen am höchsten und fällt mit dem Alter. 74 % der Infektionen werden bei Frauen im Alter von 15 bis 24 Jahren gesehen. Die von einer HPV-Infektion mit den Typen HPV 16 und 18 (aber auch anderen Typen) verursachten Schleimhautveränderungen (Dysplasien) könnten prinzipiell durch eine Früherkennungs-Untersuchung mit einem Abstrich erkannt werden. Dennoch entgehen viele Frauen mit Dysplasien oder Gebärmutterhalskrebs aus den verschiedensten Gründen dieser Früherkennung. Jährlich erkranken ca. 6.500 Frauen an Gebärmutterhalskrebs, ungefähr 1.700 sterben daran. Impfung gegen HPV Grundlage für die Entwicklung von HPV-Impfstoffen ist die Erkenntnis, dass die anhaltende HPV-Infektion, insbesondere mit den Typen HPV 16 und 18, Voraussetzung für eine Entstehung von Schleimhautveränderungen (Dysplasien) und nachfolgend von Karzinomen des Gebärmutterhalses ist. Durch eine Impfung könnten nach Ablauf der Inkubationszeit von 10 bis 15 Jahren voraussichtlich jährlich etwa 4.600 Gebärmutterhalskrebsneuerkrankungen und etwa 1.200 durch Gebärmutterhalskrebs bedingte Sterbefälle verhindert werden. Mittlerweile wurde für zwei Impfstoffe gegen eine HPV-Infektion die Zulassung durch die Europäische Kommission nach Beratung im Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMEA) erteilt, nämlich für Gardasil (weiterer Handelsname Silgard) der Fa. Sanofi Pasteur MSD GmbH im September 2006 und für Cervarix der Fa. GlaxoSmithKline Biologicals S.A. im September 2007. -2- -2Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat auf ihrer 56. Sitzung am 27. und 28. Februar 2007 nach Abstimmung mit den Bundesländern und unter Berücksichtigung der Stellungnahmen weiterer betroffener Kreise eine Empfehlung zur generellen Impfung gegen humane Papillomaviren (HPV) für Mädchen im Alter von 12 bis 17 Jahren verabschiedet. In ihrer Stellungnahme bekräftigte die STIKO: "Die vorliegenden Daten zu Wirksamkeit und Sicherheit von HPV-Impfstoffen begründen ein öffentliches Interesse an der HPV-Impfung, um die Gesundheit von Mädchen und Frauen zu verbessern. Zur Prävention von HPV-Infektionen und HPV-Folgeerkrankungen ist eine abgeschlossene Grundimmunisierung (3 Dosen) der Mädchen vor dem ersten Geschlechtsverkehr wegen der guten und nachgewiesenen Wirksamkeit der Impfung in dieser Zielgruppe sinnvoll." (Epidemiologisches Bulletin Nr. 12 vom 23. März 2007) Berichte über mögliche Nebenwirkungen der HPV-Impfung mit Gardasil Im Rahmen der Spontanerfassung von Verdachtsfällen zu Arzneimittelnebenwirkungen bzw. Impfkomplikationen wurde das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) über den plötzlichen und unerwarteten Tod einer 17-jährigen Frau aus Deutschland unterrichtet, die am Vortag die zweite Injektion des HPV-Impfstoffes Gardasil erhalten hatte. Außerdem gibt es einen Pressebericht über einen Todesfall im Zusammenhang mit einer HPV-Impfung mit Gardasil aus Österreich. Dem PEI liegen inzwischen die beiden Obduktionsberichte der verstorbenen jungen Frauen aus Deutschland und Österreich vor. Der deutsche Todesfall wurde mit sehr aufwändigen Untersuchungsmethoden zusätzlich zur Obduktion histologisch, chemisch-toxikologisch und immunhistochemisch untersucht. Trotz dieser langwierigen Untersuchungen konnte die Ursache des Todes nicht geklärt werden. Anhaltspunkte für einen ursächlichen Zusammenhang des Todes mit der vorausgegangenen Impfung fanden sich ebenfalls nicht. Der österreichische Fall wurde ebenfalls sehr sorgfältig mit weiterführenden Methoden der Infektionsserologie, Mikrobiologie und Toxikologie (immunologische und massenspektroskopische Methoden) untersucht. Auch hier gibt es keinen Hinweis auf die Todesursache. Unklare plötzliche Todesfälle sind sehr seltene Ereignisse, die mit unterschiedlicher Häufigkeit in jedem Lebensalter auftreten. Laut Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes gab es z.B. im Jahr 2006 in Deutschland in der Altersgruppe der 15- bis unter 20-Jährigen 58 Todesfälle mit unklarer Ursache. Unter diesen Fällen waren 22 weibliche Personen, die Gesamtzahl weiblicher Personen in dieser Altersgruppe im gleichen Jahr betrug 2,32 Millionen. Das heißt, dass bei Impfung eines großen Teils dieser Bevölkerungsgruppe auch rein zufällig mit derartigen Todesfällen in zeitlichem Zusammenhang mit der Impfung gerechnet werden muss. Dem PEI wurden seit Markteinführung von Gardasil insgesamt 189 Verdachtsfälle von schwerwiegenden und nicht-schwerwiegenden Nebenwirkungen aus Deutschland gemeldet -3- -3(Stand: Januar 2008), darunter auch zwei Fälle eines Guillain-Barré-Syndroms (GBS). Das GBS ist eine entzündliche Erkrankung der zentralen Nervenwurzeln des Rückenmarks (Radikulitis) und der peripheren Nerven mit Lähmungserscheinungen an Armen und Beinen bis hin zur Atemlähmung. In Deutschland erkranken jährlich etwa 1.000 bis 1.500 Menschen daran. Als Ursache wird eine Autoimmunerkrankung vermutet. Nach Angaben des Herstellers wurden von Gardasil seit Markteinführung im Oktober 2006 in Deutschland und Österreich 2,2 Millionen Impfdosen verkauft (Stand Januar 2008). Unter der Voraussetzung, dass alle verkauften Dosen auch verimpft wurden, ist von insgesamt mindestens 700.000 geimpften Personen auszugehen (drei Dosen pro Impfling zur vollständigen Impfung). Somit ist allein aus statistischen Gründen ein zufälliges, zeitliches Zusammentreffen einer Impfung mit einem spontanen Todesfall oder mit einer GBS-Erkrankung nicht auszuschließen, es ist sogar damit zu rechnen. Gardasil ist in Europa zentral zugelassen. Die Todesfälle sind in der PharmakovigilanzArbeitsgruppe und im Committee for Medicinal Products for Human Use der EMEA (CHMP) diskutiert worden. In einer Stellungnahme der EMEA vom 24. Januar 2008 wird festgehalten, dass das CHMP auf der Basis der derzeit verfügbaren Erkenntnisse eine Änderung der Produktinformation nicht für erforderlich hält: “On the basis of the currently available evidence, the EMEA’s Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) is of the opinion that the benefits of Gardasil continue to outweigh its risks and that no changes to its product information are necessary.” Dieser Bewertung schließt sich das Bundesministerium für Gesundheit an.