1 Manuskript SENDUNG: 6.4.17 9.05 Uhr/ B2 AUFNAHME: STUDIO

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Manuskript
SENDUNG: 6.4.17
9.05 Uhr/ B2
AUFNAHME:
STUDIO:
BIOLOGIE
Ab 8. Schuljahr
TITEL:
Viren gegen Krebs
UNTERTITEL:
Hoffnungen der Forscher
AUTOR:
Joachim Budde
REDAKTION:
Dr. Gerda Kuhn / N. Ruchlak
REGIE:
Joachim Budde
PERSONEN:
GESPRÄCHSPARTNER:
Prof. Dr. Christian Buchholz, Paul-Ehrlich-Institut, Langen
Professor Dr. Kevin Harrington, Institute of Cancer Research, London
PD Guy Ungerechts, Nationales Centrum für Tumorerkrankungen, Heidelberg
Professor Dr. Roberto Cattaneo, Mayo Clinic, Rochester, Minnesota, USA
Prof. Dr. Matthias Gromeier, Duke University, Durham, North Carolina, USA
Fritz Andersen, Patient, USA
Stacy Erholtz, Patientin, USA
Stan Hegland, Patient USA
ED 18.02.2016
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LARRY HEGLAND: Ich habe viele Male gebetet, Gott möge mein Leben beenden.
STACEY ERHOLTZ: Evan war der Tumor mitten auf meiner Stirn.
FRITZ ANDERSEN: 2011 erfuhr ich: Ich hatte einen Tumor in der linken Gehirnhälfte.
AUTOR:
Viren machen krank. Dafür dringen sie in eine Körperzelle ein. Dort schleusen sie
ihren genetischen Code in den der Zelle ein, programmieren sie um, und bringen sie
dazu, massenhaft neue Viren herzustellen – so lange, bis sie platzt. Seit ein paar
Jahren versuchen Wissenschaftler, diese Zellenkiller gegen einen anderen Killer einzusetzen – gegen Krebs.
CHRISTIAN BUCHHOLZ:
Das hat eine längere Vorgeschichte als viele Leute glauben.
AUTOR:
Christian Buchholz leitet am Paul-Ehrlich-Institut in Langen das Fachgebiet Molekulare Biotechnologie und Gentherapie und forscht an solchen onkolytischen Viren – Viren, die Krebs auflösen.
CHRISTIAN BUCHHOLZ:
Es gab schon vor Jahrzehnten Beobachtungen von spontan heilenden Tumoren, die
dann im Nachhinein mit Virusinfektionen in Zusammenhang gebracht worden sind,
ein klassisches Beispiel ist etwa ein Burkitt-Lymphom.
AUTOR:
Von diesem Fall aus Afrika erzählt auch Guy Ungerechts vom Nationalen Centrum
für Tumorerkrankungen in Heidelberg.
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GUY UNGERECHTS:
Von einem Jungen, der einen aggressiv wachsenden Tumor im Augenbereich hatte
und zeitgleich eine Masernvirus-Wildtypinfektion durchgemacht hat, ansonsten völlig
unbehandelt war, und der Tumor ist tatsächlich kleiner geworden zeitgleich mit dieser
Masernvirusinfektion.
AUTOR:
In den Fünfzigern hatten Ärzte dem Krebs nur wenig entgegenzusetzen. Weder
Chemo- noch Strahlentherapie waren entdeckt. Sie mussten experimentieren, sagt
Roberto Cattaneo von der Mayo-Clinic in Rochester im US-Bundesstaat Minnesota.
ROBERTO CATTANEO:
Man findet in der Literatur Studien, die aus heutiger Sicht nicht wirklich ethisch korrekt waren. Diese Ärzte nahmen Körperflüssigkeiten von Patienten, deren Krebs zurückgegangen war, reinigten sie minimal auf und behandelten Krebspatienten damit.
AUTOR:
Doch der Erfolg blieb aus, sagt Kevin Harrington vom Institute of Cancer Research
Das Interesse an den onkolytischen Viren flaute ab, als in den 60ern und 70ern
Chemo- und Strahlentherapie aufkamen. Erst mit der Zeit zeigte sich, dass auch diese Therapien bei manchen Krebsarten und einigen Patienten versagen. Für sie suchte man einen neuen Hoffnungsschimmer, sagt Matthias Gromeier. Der Deutsche erforscht diese Viren an der amerikanischen Duke-University.
MATTHIAS GROMEIER:
Als es möglich war, Viren genetisch zu manipulieren und mit dem technischen Fortschritt und unserem besserem Verständnis der Mechanismen der Viren, kam es
dann zu einer sozusagen Revolution in diesem Feld, wo es dann möglich war, genetisch manipulierte Viren gezielt einzusetzen, also es ist ein sehr altes Feld, aber die
wirklich bedeutenden Fortschritte liegen weniger als 20 Jahre zurück.
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AUTOR:
Einige dieser Viren werden sogar bereits an Patienten getestet. Drei Beispiele.
Beispiel 1: Das Masern-Virus.
STACEY ERHOLTZ:
Evan war der Tumor mitten auf meiner Stirn, nicht zu übersehen, wie ein Golfball.
Meine Kinder hatten ihn Evan genannt, denn Plasmazytom war einfach zu viel Blablabla. Immer wenn Evan auftauchte, wusste ich, dass der Krebs zurückgekehrt war.
Noch ehe irgendwelche Tests anschlugen.
AUTOR:
Stacy Erholtz litt unter einem Multiplen Myelom. Dieser Krebs bildet überall im Köper
kleine Geschwüre, vor allem aber im Knochenmark. Dort befällt der Krebs die Plasmazellen, also jene Zellen, die Antikörper gegen Krankheitserreger bilden. Das
schlimmste daran: Die Krebs-Plasmazellen bringen nur noch wirkungslose Antikörper
hervor und verdrängen die gesunden Plasmazellen. Das setzt die Immunabwehr außer Gefecht, sagt Roberto Cattaneo.
ROBERTO CATTANEO:
Diese Patienten haben sehr wenig Antikörper gegen welche Art von Virenpartikel
auch immer. Gerade darum waren sie gute Ziele für unsere Therapie mit onkolytischen Viren.
AUTOR:
Denn die Ärzte arbeiten mit Masern-Viren, die sie den Patienten über die Blutbahn
verabreichen. Bei gesunden Menschen würde das Immunsystem die Viren wie gewöhnliche Krankheitserreger eliminieren, ehe sie den Krebs hätten angreifen können.
Nur wenige Patienten nahmen an dieser Phase-1-Studie teil. Die Forscher wollten
erst einmal herausfinden, wie viel ihrer Masern-Viren ein Mensch überhaupt verträgt.
Sie begannen also mit niedrigen Dosen und steigerten sie immer weiter. Im Juni
2013 war Stacy Erholtz an der Reihe.
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ROBERTO CATTANEO:
Sie gehörte zu den ersten Patienten, die die maximale Dosis erhielten – so viel, dass
man damit zehn Millionen Kinder hätte impfen können.
AUTOR:
Denn das Masernvirus, das man Stacey Erholtz gespritzt hat, war dasselbe, mit dem
normalerweise Kinder geimpft werden – allerdings mit einer Ergänzung.
ROBERTO CATTANEO:
Mein Kollege Steve Russell hatte die Idee, einen Natriumjodit-Symporter in das Masern-Virus einzubauen. Damit bringt das Virus infizierte Zellen dazu, Jodit aufzunehmen. Das macht die Zellen in der Computertomographie sichtbar. Wir konnten deshalb auf den Röntgenbildern verfolgen, dass sich das Virus tatsächlich in den Tumoren vermehrte.
AUTOR:
40 Minuten dauerte die Infusion. Stacy Erholtz erzählte davon später auf Mayo Clinic
Radio.
STACEY ERHOLTZ:
Ich fühlte von der ersten Minute an, dass etwas passierte. Nach kurzer Zeit bekam
ich wahnsinnige Kopfschmerzen. Ich dachte, mein Kopf würde platzen. Und ich hustete.
Wir stoppten die Infusion kurz, ich bekam ein Mittel gegen den Husten, und es linderte auch die Kopfschmerzen. Ich wollte weitermachen. Kaum war die Infusion zu Ende, ging es mir wieder gut.
AUTOR:
Was war passiert? Das Immunsystem von Stacy Erholtz war aufgewacht und hatte
gegen die Viren und die infizierten Zellen gekämpft – mit entsprechenden Sympto________________________________________________________________________________________________
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men. Zwei Stunden nach der Infusion bekam die Patientin Schüttelfrost, hohes Fieber, ihr wurde übel. Sie durchlebte eine furchtbare Nacht. Dann verschwanden die
Nebenwirkungen.
STACEY ERHOLTZ:
Es war schrecklich, aber es war bei weitem die leichteste Behandlung, die ich je hatte.
AUTOR:
Die Ärzte an der Mayo-Clinic konnten mit Hilfe der Computertomographie verfolgen,
wo die Masernviren zu arbeiten begannen. Stacey Erholtz aber brauchte nur Evan zu
beobachten.
STACEY ERHOLTZ:
36 Stunden, nachdem ich die Maserndosis erhalten hatte, war Evan verschwunden.
ROBERTO CATTANEO:
Nach der Behandlung begann der Krebs aus ihrem Körper zu verschwinden. Der
Tumor auf ihrer Stirn kehrte ein paar Monate später zurück, aber er konnte dieses
Mal bestrahlt werden. Seitdem ist sie frei von Krebs.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Das war eine winzige Studie.
Weiteren Patienten haben die Ärzte inzwischen die maximale Masernvirusdosis verabreicht. Einigen Patienten geht es besser, doch bei keinem ist die Krankheit vollständig verschwunden.
Und bei Stacy Erholtz haben die Forscher den Verdacht, dass etwas hinter dem Verschwinden des Krebses steckt, das sie noch nicht verstehen.
Beispiel 2: Das Poliomyelitis-Virus
FRITZ ANDERSEN:
Die Prognose ist ziemlich schrecklich. Ich war am Boden zerstört. 50 Prozent der
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Betroffenen sterben binnen sechs Monaten, und nach fünf Jahren sind nur noch zwei
Prozent am Leben. Es ist eine wirklich schwere Krankheit.
AUTOR:
Fritz Andersen spricht von einem Glioblastom, einem bösartigen Hirntumor, den Ärzte 2011 in seiner linken Gehirnhälfte fanden, nachdem er aus heiterem Himmel einen
epileptischen Anfall erlitten hatte.
Der 73jährige wurde am Krankenhaus der Duke University in Durham im USBundesstaat North Carolina behandelt. Erst schnitten die Ärzte ihm das Geschwür
aus dem Gehirn. Zuhause in der Nähe von Washington DC bekam er noch eine
Chemotherapie.
Dann stand eine Kontrolluntersuchung an.
FRITZ ANDERSEN:
Der Tumor hatte wie verrückt zu wachsen begonnen, innerhalb von zwei Monaten
auf die vierfache Größe. Es war offensichtlich, dass ich nicht mehr lange leben würde.
MATTHIAS GROMEIER:
Wenn der Tumor wiederkommt, nach der Therapie, dann sieht es ganz schlecht aus,
weil diese Tumoren dann wirklich auf gar nichts mehr ansprechen. Und an diesem
Zeitpunkt ist er in unseren klinischen Versuch eingetreten.
AUTOR:
Matthias Gromeier stammt aus Hamburg. Er forscht seit 20 Jahren an Viren gegen
Tumoren. Er und seine Kollegen von der Duke University setzen auf das Poliomyelitis-Virus, den Erreger der Kinderlähmung. Fritz Andersen sollte der zweite Patient
überhaupt für diese Behandlung sein.
FRITZ ANDERSEN:
Als man mir vorschlug, Polio-Viren in mein Gehirn zu spritzen, war mein erster Gedanke: Oh Gott, vielleicht werde ich am Ende gelähmt sein!
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AUTOR:
Matthias Gromeier und seine Kollegen konnten die Sorgen ihres Patienten zerstreuen: Ohnehin befallen Polioviren Tumorzellen viel leichter als gesunde Zellen.
MATTHIAS GROMEIER:
Und das betrifft Hirntumorzellen, aber auch viele andere Typen von Tumorzellen, und
das bedeutet, dass diese Zellen mit Poliovirus infiziert werden können.
AUTOR:
Zusätzlich beraubten die Duke-Wissenschaftler den Erreger seiner Waffe: Normale
Polioviren stellen in Nervenzellen giftige Proteine her. Die verursachen die Lähmungen. In ihrem therapeutischen Poliovirus mit Namen PVS-RIPO haben die Forscher
das Gift-Gen durch ein harmloses Gen ersetzt. PVS-RIPO funktioniert in gesunden
Hirnzellen nicht mehr. Im Innern der Tumorzellen sind die Bedingungen für das Virus
hingegen ideal. Fritz Andersen ließ sich überzeugen.
FRITZ ANDERSEN:
Die Ärzte öffneten meinen Schädel und pumpten sechs Stunden lang mit einer Infusion die Viren in meinen Tumor. Dann zogen sie die Nadel heraus – fertig. Es ging
mir gut, ich hatte keine Probleme.
AUTOR:
Drei Milliliter Flüssigkeit – etwa ein Teelöffel voll.
Zuerst sahen die Hirnscans schlecht aus.
FRITZ ANDERSEN:
Die Tumorzellen entzündeten sich. Während der Tumor anfangs so groß war wie
eine Weintraube, wuchs die Entzündung langsam auf Daumengröße oder mehr.
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MATTHIAS GROMEIER:
Es dauert wirklich ein Jahr oder auch länger, bis der Tumor schrumpft, erst mal haben wir eine Immunreaktion, wo der Tumor scheinbar größer wird wegen der Entzündung. Es ist auch so, dass totes Tumormaterial im Hirn sehr, sehr langsam abgebaut wird, und aus diesem Grund wissen wir genau, wie wir diese Bilder zu interpretieren haben.
AUTOR:
Seit vier Jahren behandeln die Forscher an der Duke-University immer wieder Patienten mit dieser Methode. Bei einem Viertel von ihnen bleibt der Tumor verschwunden – so wie bei Fritz Andersen.
FRITZ ANDERSEN:
Ich geduldete mich, und die Entzündung begann zu verschwinden. Und dann
schrumpfte der Tumor. Jetzt ist da nur noch ein Ding, klein wie ein Reiskorn, nur
noch eine Narbe.
AUTOR: An der Duke-University haben die Forscher die Viren auf die Zerstörung
von Tumorzellen programmiert. Forscher sprechen etwas martialisch von Targeting,
sie sollen speziell Krebszellen ins Fadenkreuz nehmen. Andere Ansätze, die im Labor bereits getestet werden, tragen ebenfalls Namen, die offenbar der Militärsprache
entliehen wurden: Beim Arming fügen sie Fähigkeiten hinzu, um Krebszellen effektiver zu töten. Beim Stealthing verstecken sie das Virus, sagt Guy Ungerechts, der in
Heidelberg selbst klinische Studien vorbereitet.
GUY UNGERECHTS:
Es soll sozusagen benennen, dass wir Viren bauen, die unsichtbar unter dem Radar
des Immunsystems angewendet werden können.
AUTOR:
Andere Ansätze arbeiten mit Prodrugs, also Vorläufermedikamenten. Sie wollen er________________________________________________________________________________________________
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reichen, dass das Virus die Krebszelle, die es infiziert, ein Enzym herstellen lässt.
GUY UNGERECHTS:
Was diese sogenannte Prodrug spalten kann und damit aktivieren kann, dass aus
dieser Prodrug eine aktive Drug wird, die dann die Tumorzelle töten kann. Wir haben
also damit tatsächlich eine Chemovirotherapie.
AUTOR:
Und auch an der Kombination aus Strahlen- und Virentherapie wird gearbeitet: Über
den Natriumionen-Symporter, wie ihn Roberto Cattaneo für seine Masern zum Beispiel benutzt, könnte man radioaktive Ionen in die kranken Zellen schleusen, die diese von Innen zerstören. Bis diese Methoden am Menschen getestet werden können,
wird es aber noch lange dauern.
Beispiel 3: Das Herpes-Virus
LARRY HEGLAND:
Ich habe viele Male gebetet, Gott möge mein Leben beenden. Ich konnte nicht glauben, dass der menschliche Körper solche Schmerzen haben kann.
AUTOR:
Larry Hegland aus dem US-Bundesstaat Utah erzählt Bill Gephardt, beim Lokalsender KSL-TV, was ihm solche Schmerzen bereitete: Es war das Interferon, mit dem
die Ärzte am Utah Huntsman Cancer Institute in Salt Lake City seinen Schwarzen
Hautkrebs daran hindern wollten zurückzukehren. Das Protein kommt ganz natürlich
im menschlichen Körper vor. Es bekämpft in den Zellen eindringende Viren und wird
bei mehreren Krankheiten als Medikament eingesetzt. Obwohl der Körper es kennt,
verursacht Interferon starke Nebenwirkungen. Hegland verlor 40 Kilogramm Gewicht,
war kraftlos und stürzte häufig.
LARRY HEGLAND:
Nach fünf Monaten dieser Behandlung sagte ich: Ich will nicht mehr. Mir egal, wenn
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ich sterbe.
AUTOR:
Trotz Interferon kam der Krebs zurück: sieben kleine Geschwüre am Handgelenk,
weitere den Arm hinauf.
Auch Hegland schlugen die Ärzte vor, an einer Studie mit einem onkolytischen Virus
teilzunehmen. Sie arbeiten mit einem genetisch veränderten Herpesvirus. Für den
Erreger mit dem unaussprechlichen Namen Talimogene laherparepvec – kurz T-VEC
- hatte der amerikanische Pharmakonzern Amgen die Entwicklung so weit vorangebracht, dass Studien zur Sicherheit und zur Effektivität schon abgeschlossen waren.
KEVIN HARRINGTON:
T-VEC ist ein Virus, das in der natürlichen Form eine akute Infektion der Mundschleimhaut und der Lippen hervorrufen kann, mit wiederkehrenden Fieberbläschen.
AUTOR:
Kevin Harrington vom Institute of Cancer Research an der Universität London ist einer der Studienleiter. Drei Veränderungen haben die Forscher am Herpesvirus vorgenommen, um T-VEC zu schaffen.
KEVIN HARRINGTON:
Wir haben T-VEC das Gen entfernt, mit dem es immer wieder ausbricht und diese
Bläschen verursacht.
AUTOR:
Ohne dieses Gen kann es sich in gesunden Zellen nicht mehr vermehren. Als zweites entfernten die Forscher das Gen, mit dem sich Herpesviren vor dem Immunsystem verstecken. Das hat fatale Folgen für den Krebs: Denn damit macht das Virus
die Tumorzellen, die es infiziert, sichtbar.
KEVIN HARRINGTON:
Und drittens haben wir dem Virus noch ein Gen für das menschliche Protein GM________________________________________________________________________________________________
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CSF eingesetzt. Es regt das Immunsystem an. Wir haben also ein Virus, das spezifisch Krebszellen infiziert und tötet, das sich nicht vor dem Immunsystem verstecken
kann und das zusätzlich das Immunsystem des Patienten anheizt. Die Idee ist, mit
dieser lokalen Therapie einen Effekt im ganzen Körper des Patienten auszulösen.
Unsere Studien haben sehr deutlich gezeigt, dass uns genau das gelingt.
AUTOR:
Hautkrebs eignet sich gut für diese Therapie mit T-VEC, weil auch dieses onkolytische Virus direkt in die Tumoren hineingespritzt werden muss – wie bei Larry Hegland.
LARRY HEGLAND:
Da drin ist es wirklich sehr empfindlich. Wenn sie die Viren hineinspritzen, sticht es,
und wie es sticht!
AUTOR:
Hegland hat vier Fotos von seinem Unterarm, aufgenommen im Abstand von jeweils
einem Monat. Die Geschwüre schrumpften.
Kevin Harrington und Kollegen aus den USA und Großbritannien haben T-VEC an
Patienten getestet. 436 Menschen mit fortgeschrittenem Hautkrebs haben daran teilgenommen. Zwei Drittel wurden in die Gruppe mit T-VEC gelost, ein Drittel erhielt
lediglich das Abwehrprotein GM-CSF – als Kontrolle.
KEVIN HARRINGTON:
Insgesamt sprach der Krebs bei 26 Prozent der Patienten auf T-VEC an. Wo wir lediglich GM-CSF gegeben hatten, lag dieser Wert bei sechs Prozent. Es gab also einen aussagekräftigen Unterschied. Patienten, die als erste Therapie gegen ihren
Krebs T-VEC erhalten hatten, überlebten sogar doppelt so lange wie die in der Vergleichsgruppe. Das zeigt uns deutlich, dass T-VEC sowohl gegen den Krebs wirkt,
als auch das Überleben verlängert.
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AUTOR:
Nur ein Viertel der Patienten sprach auf eine Behandlung mit dem Virus an. T-VEC
ist also kein Wundermittel. Allerdings liegt dieser Wert bei Patienten, die mit einer
Chemotherapie behandelt werden, im einstelligen Bereich. Harrington und seine Kollegen haben noch ein paar Ideen, wie sie die Wirkung weiter verbessern können.
Larry Hegland gehört schon jetzt zu den Glücklichen. Er hat nur dunkle Flecken von
seinen Tumoren zurückbehalten, Narben.
LARRY HEGLAND:
Ich habe mich gefreut wie ein Schneekönig, als man mir sagte, der Krebs sei weg.
Das hat mich umgehauen, weil ich so lange damit hatte kämpfen müssen.
AUTOR:
Christian Buchholz vom Paul-Ehrlich-Institut warnt allerdings vor übertriebenen Hoffnungen.
CHRISTIAN BUCHHOLZ:
Es sind alles andere als Routinearzneimittel, und es sind, das muss man auch sagen, weil immer wieder von solchen Pressemitteilungen aus klinischen Studien sich
natürlich die Patienten, die an einem Tumor laborieren, dass diese Patienten dann
denken, das könnte mir helfen, und da muss man leider sagen, dass das nicht ohne
weiteres übertragbar ist sofort auf andere Tumorpatienten. Das sind wirklich sicher
zehn, fünfzehn verschiedene Virustypen, die zurzeit in klinischen Studien sind, und
es kann sein, dass es dann irgendwann ganz bestimmte Tumortypen gibt, die mit
dem einen Virus besser zu behandeln sind als mit dem anderen.
AUTOR:
Und noch etwas: Zu oft schon ist in der Vergangenheit der Krebs, den neue Therapien vertrieben hatten, doch wieder zurückgekehrt, sagt Matthias Gromeier von der
Duke University.
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MATTHIAS GROMEIER:
Wir haben Fälle in unserer Klinik gehabt, wo über zehn Jahre nach einem kompletten
Verschwinden des Tumors der Tumor trotzdem zurückgekommen ist, also deswegen
ist das ganz schwierig, von Heilung zu sprechen. Das Problem mit Krebs im fortgeschrittenen Stadium ist, das Immunsystem hat aufgehört, die Tumorzellen zu bekämpfen.
KEVIN HARRINGTON:
In den letzten zehn Jahren haben wir zu verstehen begonnen, dass Tumorzellen
dem Angriff des Immunsystems entkommen, indem sie auf ihrer Oberfläche Marker
oder Proteine zeigen, die die Immunantwort gegen den Tumor unterdrücken.
AUTOR:
In den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union ist T-Vec unter dem Namen
Imlygic zugelassen, sagt Christian Buchholz.
CHRISTIAN BUCHHOLZ:
Das ist ein großer Fortschritt, denn es ist ja wirklich ein ganz neuer Typ von Arzneimittel, über den wir hier reden, und das ist, denke ich, das, was die Onkologie, was
die Wirkstoffforschung bei Krebspatienten wirklich voranbringt. Ich denke, dass wir
mehr von diesen Arzneimitteln sehen werden in Zukunft, und dass da die Krebspatienten sicher von profitieren werden.
FRITZ ANDERSEN:
Schon bald nach meiner Behandlung weckte mich meine Frau und sagte: »Lass uns
am Eiffelturm frühstücken gehen.« Ich fragte: »Wann?« Sie sagte: »Nächste Woche.« Warum sollen wir all das Geld sparen? Lass uns eine gute Zeit haben. Und das
machen wir. Wir genießen das Leben nach Kräften.
LARRY HEGLAND:
Ich habe keinen Krebs mehr, ich fühle mich großartig
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