SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE __________________________________________________________________________ SWR2 Musik der Welt Istanbul Die Suche nach dem Geheimnis der Kunst der Maquam Von Friederike Haupt Sendung: Dienstag, 20. Oktober 2015, 23.03 Uhr Redaktion: Anette Sidhu-Ingenhoff Produktion: SWR 2015 __________________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. __________________________________________________________________________ Service: Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Musik der Welt sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 __________________________________________________________________________ Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 2 1) MUSIK: CD AVNI ANIL,Nr. 2 Klarinet Taksim TRT, Turkisher Rundfunk, Istanbul ZEIT:0/43 TEXT DRÜBER Istanbul - griechische, türkische, jüdische, christliche, islamische Geschichte und Geschichten birgt diese einzigartige Stadt am Bosporus, die einst Byzanz und später Konstantinopel hieß. Der Stadtteil Beyoglu ist das alte Pera, das jüdische Viertel, das immer schon multikulturell war, es war auch schon Teil des alten Byzanz gegenüber dem goldenen Horn, dort wo die Hagia Sophia liegt. Heute hat Istanbul eine Ausdehnung von etwa 220 Quadratkilometern und liegt auf zwei Kontinenten. Die Stadt selbst ist eine faszinierende Begegnung zwischen Abendland und Morgenland. Wir sind auf der Suche nach dem Geheimnis der Maquam, nach den türkischen und arabischen und Tonleitern... 2)MUSIK Sufigesänge Yu 1341 CD: „Yunus Emre“Nr. 1 I:Yunus Emr Ensemble,Instambul K: Mehmet Yesilcay. TEXT DRÜBER: Sufimusiker, Musik für die tanzenden Derwische TEXT ÜBER BLENDE: Die Maqhamat sind melodische Formeln, Lieder, Gefühle, modale Systeme in der ansonsten so unterschiedlichen arabischen und iranischen, nordafrikanischen oder eben der türkischen Musik. In der Türkei sollen die Maquam am genauesten ausgeführt werden, sollen die sogenannten Vierteltöne am kleinsten sein. 54 Töne hat die Tonleiter hier – rein theoretisch... MUSIK HOCH. TEXT ÜBER BLENDE: Mindestens sechs Jahre lang muss man das System der Maquam studieren, orientalische Musik ist eine Ausbildung für sich. Was ist der Unterschied zwischen der Tonart Hicas und Hüsseini, zum Beispiel oder zwischen Rast und Sabah? Vierteltöne, die verschiedene Gefühlslagen transportieren…können wir Westler sie überhaupt unterscheiden lernen? Und vielleicht sogar wirklich auch ihre Gefühlslagen in bisschen nachvollziehen O-TON:MICHIPOPP Anfang Probe Singen und Instrument TEXT DRÜBER: Michael Popp, Leiter des Ensembles Estampie bei der Probe für „Music for the one God“ von Mehmet Yesilcay. Hier mit einer syrischen Sängerin. OTON HOCH Es geht um den vorletzten Ton, der muss tiefer gesungen werden, der ist der Viertelton. Sarah lebt seit langem in München, aber im Hinterstübchen irgendwo hat sie die Vierteltöne der arabischen Musik gespeichert, deswegen findet sie sie schnell wieder erklärt Michael. Noch sind wir in München bei einer Probe... O-TON MICHIPOPP HOCH…“ja jetzt hab ich`s“ TEXT: Michael Popp hat in Salzburg bei Nicolaus Harnoncurt studiert. Vielleicht hat ihn das so neugierig gemacht, dass er danach in Istanbul in den Kneipen die Maquam musizieren und improvisieren lernte. Diese Maqam-Tonleitern sind nicht 3 einfach Tonleitern, sie sind an ein Repertoire geknüpft. Michael Pop ist einer der seltenen! westlichen Musiker, die in beiden Systemen spielen können. O-TON MICHIPOPP Ich war glaub ich 25, da hab ich ein halbes Jahr in Istanbul verbracht, habe Ud gelernt, sehr sehr großartige Udspieler, und Sufi gelernt, die Mantren, und mit einem Freund das Nachtleben erlebt und da hab ich das gelernt in der Zeit in den achtziger Jahren die Musiker haben in Nachtbars gespielt mit Bauchtanz und so und wenn die fertig waren sind wir da immer wir in die Kneipen gegangen, bis nachts um vier, da wurde Musiktheorie noch diskutiert, auf die Tischdecken geschrieben, es war toll, eine tolle Zeit. (2. Teil INTERVIEW schneiden) TEXT: Wir beschließen, seinen Eindrücken von damals zu folgen die Welt der Maquam auf den Straßen Istanbuls zu suchen. ATMO bei 1/00 Straßenbahn Atmo: TEXT: Jetzt sind wir in Istanbul. ATMO HOCH TEXT: In Istanbul angekommen empfängt uns eine völlig neue Klangwelt. In meinen Ohren klingt sie warm, herzlich, aber fremd. Michael wünscht mir noch viel Glück und verschwindet mit dem Schiff in den asiatischen Teil der Stadt. Dort will er einen Instrumentenbauer aufsuchen. Scheinbar ziellos also schlendere ich durch die Straßen von Istanbul, auf der Suche nach den Makkam. In der Theorie habe ich schon einige im Gepäck. Hijazz, Rast, Seba, und wie sie alle heißen. Aber die Tonleitern alleine nützen mir nichts, das hat man mir ja schon gesagt... O-TON Straßenmusik TEXT DRÜBER: Man hört hier dieses Gewürz, diese Farbe der fremden Tonleiter ganz gut... O-TON Straßenmusik HOCH 1. Teil orientalisch TEXT DRÜBER: Straßenmusik in der Nähe des Taksim-Platzes, wo die Bäume übrigens noch stehen… O-TON HOCH TEXT DRÜBER: Erst nachdem er mich gesehen hat wechselt der Klarinettist zu einer europäischeren Melodie. Vermutlich einer der vielen Roma oder Sinti, die man hier trifft. Wahrscheinlich ist er viel gereist und kann deswegen seine Spielweise den Hörern anpassen, er wechselt vom Orient in den Okzident und umgekehrt... O-TON HOCH 2.Teil okzident Ende gut ... „weitergehen“ ATMO STRASSE evtl mischen zum Weitergehen 4 TEXT ÜBER LANGSAME BLENDE: In der türkischen, iranischen und arabischen Musikkultur gibt es jeweils ein Riesenrepertoire an Melodien und Liedern in unterschiedlichen Maquam und auch die Rufe der Muezzin erklingen zu verschiedenen Tageszeiten in verschiedenen Maquam. Weil sie das System der Maquam kennen, können Musiker vom Maghreb bis zum schwarzen Meer miteinander spielen, trotz regionaler Unterschiede in der Folklore. Dieses System der klassischen ursprünglich arabischen Musik kennt jeder ausgebildete Musiker. Und ausgebildet sind auch in der Türkei viele. Viele junge Leute begeistern sich hier für die traditionellen Instrumente und die traditionelle Volksmusik und auch für die klassische Musik. Tausende von Lauten, sogenannte Baghlamas, hängen den Musikläden Istanbuls von den Decken, Langhalslauten, kleine teure Saz und Kemanche, das sind die kleinen Geigen z.B. aus Kokosnussschalen. Und natürlich die Trommeln Darbukka, Bechertrommeln, Daff Rahmentrommel und viele viele andere Instrumente, ein gutes Cello wurde mir auch angeboten. Für nur tausend Dollar. In der türkischen Musik ist es mit dabei... MUSIK: AFNI ANIL Nr. 1 türkisches Orchester TEXT DRÜBER: Die Brücke zwischen Orient und Okzident kann man in Istanbul nur kulturell, nur geistig suchen. Auch wenn sie architektonisch existiert, diese Brücke zwischen Europa und Asien, die zwei Stadtteile und zwei Kontinente verbindet. Aber es ist nicht die berühmte Galata-Brücke mit den vielen Anglern drauf, sondern eine Autobahnbrücke. Und sie verbindet auch nicht wirklich zwei Welten. Das aber kann die Musik… und wo finde ich sie, wo wird die Musik eines Landes am besten gepflegt? Im Radio natürlich: O-TON: VORPROBEZWEISEHRGUT Ein ganz normaler Tag im staatlichen Rundfunk in Istanbul. Zunächst erscheint alles ganz genau so zu sein wie bei uns im Bayerischen Rundfunk: Die Chorsänger kommen allmählich zusammen, die Instrumente werden gestimmt, man lacht, tauscht sich eben noch aus, bevor die Probe und die anschließende Rundfunk- Aufnahme beginnt. Der Dirigent macht noch einige Ansagen. O-TON: 2 VORROBEZWEISEHRGUT Aber dann ist eben doch plötzlich alles ganz anders. Es klingt fremd, völlig ungewohnt, was sie da singen. Alle haben die gleichen Noten, es gibt nur eine einzige Melodie, aber wie sie sie singen und wie sie spielen, das bleibt ein Geheimnis-für mich. Die Interpretation, die traditionelle türkische Vortragsweise unterscheidet sich stark von dem, was in den Noten steht. Alles wird von einem Schlagzeug- Set begleitet, das mit einer komplexen Rhythmik das Tempo bestimmt. O-TON: 2 VORROBEZWEISEHRGUT (gut nach ca. 1 Minute.) 5 TEXT DRÜBER: Das ist eine Rundfunk-Chor-Probe an einem ganz gewöhnlichen Tag, die traditionelle klassische Sektion des türkischen Rundfunks TRT in Istanbul vervollständigt ihr Repertoire. Dass ich im Zuschauerraum einfach aufnehmen darf, betrachte ich als Ehre. Es wird zwischendrin erklärt, geändert und man schenkt mir die Notenblätter. Trotzdem könnte ich nicht mitsingen, weil nicht drin steht, was die Sänger hier wirklich machen. Es gibt Verzierungen, Fiorituren, Verschleifungen, Vierteltöne und improvisierte Teile, die stehen nicht im Notentext. Und immer gibt die Rhythmusgruppe den Ton an, zwischen drin wird wieder improvisiert. Es ist ein bisschen wie im Jazz, klingt nur ganz anders. O-TON: ERSTES STÜCK gut ab Ende:3/27 TEXT ÜBER INSTRUMENTAL: Das hier sind Ausschnitte aus einer Probe, die Aufnahme kommt erst später, denn auch hier wird, wie bei uns, streng auf Sendefähigkeit geprüft. Dieser akustische Blick in die Werkstatt ist eine großartige Ausnahme. Der Tonmeister kommt plötzlich auf mich zu und fragt mich auf Deutsch nach seinem Kollegen in Stuttgart, bei dem er gelernt hat. So klein ist die Welt. Das Orchester besteht aus orientalischen und westlichen Instrumenten. Zwei Geigen ein Cello und eine Klarinette, dann die türkischen Geigen, kleine Fideln, die auf dem Knie gespielt werden, die türkische Rohrflöte Ney, eine arabische Laute, Oud und ein Santur oder Kanun aus der Familie des Hackbretts. Irgendwann rufen alle „Taksim Taksim“ und fordern eine Spielerin der kleinen türkischen Fidel auf, eine Improvisation vor offenem Mikrofon zu machen. Danach kommt der Hackbrettspieler dran. Obwohl ich mich in diese Musiksprache erst einhören muss, bin ich beeindruckt, denn diese Art solistischer Kreativität ist bei uns, zumindest in der klassischen Musik, eher selten. O-TON HOCH: TAKSIM Fidel, Hackbrett TAKSIM ab Ende: 2/00 Orchester Chor und Solistin gut nehmen Der Orchestervorstand und der Dirigent stehen nach der Probe noch kurz zum Interview zur Verfügung: Alles was heute gesungen wurde ist in ein und demselben Makkam , Moajar Kürdi, heißt es. Es sind Frühlingslieder, die in den siebziger Jahren komponiert wurden, erklärt der Dirigent Attila Gündüz. Die-Texte, da sind wir uns einig, sind einfache Frühlings- und Liebesgedichte, die von den Komponisten vertont wurden: O-TON: PROBE GUT oder s.o. TEXT: Der Dirigent, Attila Gündüz sammelt diese Stücke der türkischen teils noch lebenden Komponisten. Über siebzigtausend wurden von ihm schon im Istanbuler Rundfunk TRT aufgenommen und archiviert. O-TON: AYDIN we have a very large Repertoire most of it unrecorded. 6 TEXT: Der Dirigent ist eigentlich Rechtsanwalt, lernte aber bei einem Meistermusiker und danach folgte die Ausbildung zum Rundfunkmusiker. TRT der Rundfunk in Istanbul bildet selbst Musiker aus, wer bei einem Meister angenommen und privat studiert hat, wie Gündüz, hat ein hohes Ansehen. Aydin Varol, der Geiger und Orchestervorstand hat am Konservatorium studiert. Und danach lernte er noch am TRT Rundfunkmusiker. Varol ist eigentlich ein Sufimusiker. Er komponiert auch Musik für die tanzenden Derwische. O-TON AYDIN even i am Graduated i learnde a lot here TEXT: Der Orchestervorstand, Aydin Varol spielt Violine. Auf seiner Geige wird er noch ein Makkam vorspielen, ich darf mir eins wünschen. Eine Melodie im Makkam „Saba“ möchte ich hören. Ich erinnere mich, dass ich dieses Makkam früher einmal als intensiv und schön erlebt habe. Vielleicht erkenne ich es wieder. „Saba“ also soll es sein. Aydin aber zeichnet Tränen unter seine Augen, „Saba“ sei doch so traurig von der Gefühlslage her, ob ich das wirklich hören will? Aber er wird es natürlich spielen. Es beginnt immer auf dem Ton „D“ erklärt er und hier hört man in wenigen Sekunden wirklich dieses Gefühl, dieses merkwürdige Gewürz, diesen seltsamen Gusto, den türkische Vierteltöne beinhalten, wenn sie richtig gespielt werden. O-TON: You know which ton Saba sound On the re D-E-F-und jetzt folgt nicht Fis oder G sondern eben der Ton genau dazwischen. Nein, nicht genau dazwischen! O-TON Dreiundeinhalbes Komma sagt Aydin. Dreieihalb Komma groß ist der Viertelton zwischen F und Fis, ja einen Namen habe ich nicht. Wir kennen nur Halbtöne. Aber was ist das eigentlich, dreieinhalb Komma? O-TON MUSIK Das pytagoräische Komma ist gemeint. Die kleine Abweichung, die man findet, wenn man zwölfmal die reine Quinte und fünfmal die Oktave aneinanderreiht. Teilt man die Oktave durch dieses Komma, dann hat sie nicht acht, sondern 54 Töne. Damit arbeitet die orientalische Musik seit dem Mittelalter, soweit die Theorie. Ein Halbton, also eine zwölftel Oktave hat dann neun Kommata. Ein Viertelton hat also die Hälfte, viereinhalb Kommata aber der türkische Viertelton hat nur dreieinhalb Komma, er ist ein bisschen enger als der arabische oder ägyptische Viertelton. Ob das wirklich jemand hört? O-TON Three an a half komma. Oohh - es geht also noch viel kleiner. „Can you feel” hat er gefragt, er hat nicht gefragt: „Can you hear”. Man fühlt diese Vierteltöne also. Für Aydin Varol ist die türkische Musik mit ihren Mikrotönen eine Sprache, um das menschliche Denken und die menschlichen Gefühle auszudrücken… 7 O-TON European music has harmonic with accords but Turkish music with microtones. We describe the feelings with the microtones by the makkams, as the we say that music is a language to tell the human feelings... and listening to the people. O-TON hoch…ahaha you`re welcome Und so klingen dann die fertigen Aufnahmen der klassischen traditionellen Sektion des türischen Radios TRT in Istanbul: Hier „Hicazkar Fasli“, Lieder im Makkam „Hicaz“: MUSIK: Hicazkar Fasli Nr. 1 ZEIT ca 3/00 TEXT: Der 1928 geborene Komponist Avni Anil vertonte Gedichte in verschiedensten Makkam, seine Satzweise geht von der klassischen türkischen Musik bis in die türkische Popmusik. Die Solistin Eilif Güresci Ciftcioglu haben wir in der Probe erlebt. Sie singt, wie alle Solisten, auch im Rundfunkchor mit. Ihre Spezialität ist ihre besondere Kunst der Verzierung und ihre leicht verhauchte Stimme. Hier im Makkam Hüzzam MUSIK: AVNI ANIL Nr. 2 ÖMRÜMÜZUN TEXT DRÜBER: Die Solistin trägt bei 8 Grad Celius Highheels ohne Strümpfe, vielleicht kommt der in der türkischen Musik so begehrte Rauhreif auf ihrer Stimme daher... MUSIK HOCH ZEIT: ca 3/00 TEXT TROCKEN: Abends schlendere ich nochmal allein durch die Straßen in Beyoglu, dem alten Stadtteil Pera, mit den vielen kleinen Musikläden, hier, in diesen zieht es mich. Am Tresen sitzt ein alter Mann mit Geige, neben ihm ein blondgelockter Jüngling, von dem wir gleich noch hören werden. Sein Vater ist es nicht, das erfahre ich langsam. Der Besitzer des Ladens, der hier spielt, ist sein Boss und sein Lehrer und Furkan, der junge Mann, hört ihm zu, nimmt ihn mit seinem Handy auf, spielt gelegentlich selber und vor allem, er lässt sich bereitwillig kritisieren und korrigieren, er hat Respekt vor dem Alten, er scheint ihn sogar ein bisschen zu verehren. O-TON: Furkan nimmt seinen Lehrer mit dem Handy auf, und später wird er sich alles nochmal anhören und nachspielen, so vermute ich. Der Alte erklärt, heute sei sein sechzigster Geburtstag. Vielleicht hat er deswegen Zeit und Lust, mir die unterschiedlichsten Lieder in den unterschiedlichsten Makkam vorzuspielen. Hier lerne ich am meisten. Ich sage nur den Namen eines Maquam, das ich zu hören wünsche, und schon geht es los. Seine Singstimme und die Geige spielen ein und dieselbe Melodie, Trotzdem wird es nicht langweilig… 8 O-TON HOCH Hier, das war der Maquam Uchat, oder auch Bayati genannt. Dann habe ich noch einen Wunsch, denn so langsam verbinde auch ich mit den Namen der Makkam ein bestimmtes Gefühl... O-TON HOCH Makkam Hüssini, das war ein „Allah Akbar“, wie es auch auf den Minaretten gesungen wird. Im Makkam Hüseini, aber wird von den Minaretten der Moscheen nur am Abend gesungen. Es beruhigt. Morgens oder Mittags gibt es andere Makkam. Wer den Stimmen der Muezzin genau lauscht und sie vielleicht sogar nachsingt, kann eine ganze Menge vom System der Makkam lernen. Zu jeder Tageszeit klingen sie verschieden. Das hier habe ich an einem Vormittag aufgenommen, O-TON: Muezzin Es kam aus dem Lautsprecher einer kleinen Moschee in Beyoglu, dem früheren Stadtteil Pera. Hier war in Istanbul schon immer multikulturelles Leben und auch heute findet man eine Synagoge neben einer Moschee und die christliche Geschichte der Stadt ist auch unschwer zu erkennen. Von hier aus entwickelte sich schließlich die Ostkirche bis hin zur Kiewer Rus: Byzanz-Konstantinopel-Istanbul die Stadt selbst ist eine Brücke zwischen Orient und Okzident... Wir sind wieder im Musikladen von Herrn Özdemir: O-TON HOCH Und dieses hier wird gesungen wenn jemand stirbt, sagen der Alte und der Junge und lachen dabei. Seba: O-TON: „musulman“ ... es dauert einen Moment, bis Herr Özdemir sich mit seiner Geige hineinfindet in das neue Makkam, ganz leise zuerst, aber dann wird es umso intensiver. Hier erklingt es. O-TON: “Ahman Ahman“ Und Furkan, der Junge beginnt leise zu trommeln. Er traut sich nicht so richtig. Und dann fehlt uns doch die gemeinsame Sprache, Türkisch oder Englisch wäre gut, aber via Musik verständigen wir uns eben doch einigermaßen. Das war Sabah, und es gi t auch einige, die wir alle kennen: Makkam Rast, zum Beispiel, das ist das, was wir unter einer Dur-Tonleiter verstehen. Im Makkam Rast geht’s weiter mit dieser Musikunterrichtstunde mitten in Istanbul, an einem gewöhnlichen Abend im März. O-TON: Auch wenn es nicht spektakulär zu sein scheint, die Musikszene in Istanbul ist spektakulär, nicht nur auf den Bühnen und in den Theatern, sondern da, wo Leute 9 gern musizieren. Mir kommt vor als stehe die türkische Musik sie auf dem großen, gereiften Fundament der Alten mit ihren hunderten von kleinen Musikläden und der Jungen, die von ihnen lernen. Die Jugendlichen in Istanbul überraschen mich: Wo immer ich mich aufhalte, junge Frauen und Männer stürmen in diese Läden nach Feierabend, fragen nach Trommeln, kaufen Saiten begutachten die Baglamas, die an den Wänden hängen, probieren ein Klavier aus und scheinen glücklich zu sein, sich in dieser musikalischen Welt aufzuhalten. Furkan, der blondgelockte Jüngling, der hier arbeitet, bleibt bis nach Feierabend, nur, um hier zu sein. Irgendwann beginnt auch er auf einer Baglama zu spielen. Das ist eine Langhalslaute mit sieben Saiten, die auf drei Töne gestimmt ist. Die zusätzlichen Saiten ergeben ihr spezielles Klangbild, Instrumente wie dieses werden in der Folklore viel gebraucht, die Grundlage der traditionellen türkischen Kunstmusik. Darf ich aufnehmen? Zwischendrin wird mir Tee gereicht: O-TON FURKAN EXTRA: Baghlama Saz mit Interview ZEIT: TEXT: Seit er sechs oder sieben Jahre alt ist, hat er Unterricht, soviel verstehe ich. Und er ist am Konservatorium. Aus dem Furkan wird mal was, davon bin ich überzeugt. Der Baba, der Alte spielt jetzt die Trommel... O-TON FURKAN EXTRA 2 ganz ZEIT: Der Baba ist wie ein Vater, er ist der Teacher, der Lehrer. Also nochmal Makkam Hüseini, das wollte ich doch vorhin hören. Ob ich das auch lerne? So schnell geht das nicht, das ist schon mal sicher, aber trotzdem werde ich aufgefordert es zu versuchen, aha Solfeggio so geht das. Mit der internationalen Musiksprache „Doremifaso“ werden auch hier die Makkam gelehrt. Nur, wir Deutschen haben dieses System nicht, man nützt es sonst auf der ganzen Welt. Ein bisschen peinlich ist mir schon, dass ich die internationalen Notennamen nicht auf Anhieb singen kann, wie soll ich da türkische Makkam lernen? O-TON: Herr Özdmir singt und spielt TEXT: Na und dann haben wir plötzlich doch kein so großes Verständigungsproblem mehr, der Baba, der Herr Özdemir und ich… O-TON: „Sind Sie Deutsche?“ Herr Özdemir spielt eine hundertjährige deutsche Geige, fünfzig Jahre lang ist sie schon in seinem Besitz, wenn er heut sechzig wird, dann hat er sie mit zehn Jahren wohl bekommen, vielleicht war er ein Kind einer türkischen Gastarbeiterfamilie. Reden möchte er nicht darüber. Furkan geht raus eine rauchen. O-TON: (Türe MUSIK) An nächsten Tag möchte ich es genauer wissen. Ich gehe zum kleinesten Musikgeschäft überhaupt in Istanbul, es heißt Bilge Musik und liegt auf meinem Weg zum Galataturm und dem Derwisch-Museum. Der Laden von Bilgemusik aber ist so 10 klein, dass nur ein einziger Kunde reinpasst. Hunderte Instrumente hängen hier von der Decke, man muss aufpassen, dass man mit dem Kopf nicht dran stößt, wenn man hier sitzt, und spielt. Berkant, der Inhaber ist jederzeit bereit, mir Musikunterricht zu geben. Übrigens alle Instrumente heißen Saz sagt Berkant und lächelt und schreibt mir ein paar Maquamtonleitern auf Papier. Inzwischen verkauft er in der Türe ein paar Trommeln oder Saiten. O-TON Berkant:“Üben und „das ist kein Viertelton.“ Ich kaufe eine Baglama und fange an zu üben. Mit dieser Langhalslaute auf dem Rücken kann ich mich kaum retten vor Tipps und Ratschlägen, auch Fremde sprechen mich auf offener Straße an. So also begegnen sich hier Orient und Okzident und eines ist sicher nur, über Umwege kommt man ans Ziel, und übers Zuhören. Berkant hat mir einige Makkam aufgeschrieben. Jetzt wird es konkreter und komplizierter… O-TON BERKANT: Grundton B B C D E Viertelton F Viertelton …Hüssam und Hüsseini ist wie Uschak mit E… Wir sprechen von der klassischen türkischen und von der klassischen arabischen Musik, die im Mittelalter von Iran aus gehend sich bis Spanien verbreitete und auch heute Grundlage des gemeinsamen Musizierens im Orient ist. Die orientalische ist eine andere Ausbildung, viele Musikhochschulen, ob in Bagdad, in Teheran oder Istanbul, haben eine Fakultät für klassische orientalische Musik, eine zweite für europäische Musik. Und eine dritte für die Volksmusik, mit regionalen Unterschieden natürlich! Die Volksmusik ist die Basis, daraus wurden die Maquam, die Tonleitern, Melodien, modalen Farben der klassischen Musik entwickelt und abgeleitet. Aus einer unübersichtlichen Überzahl von Tonsystemen, den sogenannten Maquam, die überall ein bisschen anders klangen, einigte man sich in Kairo auf einer großen Musikkonferenz im Jahr 1932 auf neun grundlegende klassische Maquam. Atmo TEXT: Jetzt sind wir in Istanbul O-TON ISTANBUL TEXT: Hier spielt der Musikalienhändler Berkant Bilge auf einer Langhalslaute mit Bünden: O-TON „Zum Beispiel ich fange an mit Hicaz (spielt) und dann Kurdi gemacht… jetzt mit ein Kurdi-Lied (spielt) das ist Mixed wschen uschak und Kürdi nützt man Viertelton und auch Halbton, zuerst, wenn ich hochkomme: Viertelton ,wenn ich zurückgehe: F natürlich, also Halbton, Viertelton Halbton (spielt). La Mineur, wie nennt man das in Deutsch?A-Dur? A-moll. La Majeur, Lachen (Spielt Akkorde). Wieviele Maquam gibt es? Wir nützen 25 Maqham , wir haben über 600 Maquam, meistens zwei Maquam geben uns dasselbe Gefühl, der eine ist auf „A“ der andere auf „E“ aber es ist dasselbe Maqham, nur deswegen zwei verschiedene Namen. (spielt) Also, was haben wir gemacht? A G F sharp E flat, D C und B Viertelton und wieder A ,spielt Tonleiter. 11 TEXT: Ein kleines Mädchen kommt an die Tür und lächelt mich an, sie ist etwa sieben Jahre, eine Roma oder Sinti vermute ich. Mein neuer Musiklehrer Berkant sagt, sie möchte, dass du ihr eine Trommel kaufst. Na, dann soll sie uns mal was vorspielen, bevor sie eine bekommt. Das rhythmische Talent des Mädchens begeistert uns und sie zieht glücklich mit einer kleinen gelben Trommel von dannen. Möge es ihr besser damit gehen als den kleinen Kindern, die mit Mundharmonikas auf der Straße spielen und betteln und besser, als den Kindern, die nachts mit ihren Müttern am Taksim am Straßenrand sitzen und frieren, die so zum Betteln unterwegs sind. Vielleicht spielt sie irgendwann in einer Gruppe und wird damit froh. Istanbul hat ein großes Herz, so fühlt es sich an, und dieses Herz vermittelt einen ruhigen, großzügigen Puls. Zum Schluss noch ein Beispiel aus einer Musikkultur, die Orient und Okzident verbindet wie keine zweite: Liturgische jüdische Musik, Maftirim, die über die Jahrhunderte des Zusammenlebens in Istanbul Instrumente und die Spielweise der Sufimusik integrierte. Musik aus Beyoglu, dem alten multikulturellen Stadtteil Pera, im Herzen Istanbuls... MUSIK MAFTIRIM Saz, Baghlama Plus 3/18 zusätzliche Musik ggf. zum Ausblenden ZEIT:56/52 Ende 12 MUSIKMELDUNG: _____________________________________________________ 1) MUSIK: TRT 8695657005434 Türkiye Radyo Arsiv Serisi 29 CD: „AVNI ANIL“ Nr.2 Klarinet Taksim ZEIT:0/43 I: Chor und Ensemble TRT Radio Istanbul, K:Avni Anil ____________________________________________________ 2) MUSIK: Yu 1341 CD: „Yunus Emre“, Eigenlabel Ensemble Nr. 2 ZEIT :2/30 I: Emre Männerchor, traditionelles türkisches Ensemble K:Mehmet Yesilcay, München _____________________________________________________ 3) MUSIK:TRT 8695657005434 Türkiye Radyo Arsiv Serisi 29 CD „AVNI ANIL“ Nr.5 Bir Eylul ZEIT:0/50 I: Chor und Ensemble TRT Radio Istanbul, K:Avni Anil ___________________________________________________ 4) MUSIK: TRT 8695657008268 Türkiye Radyo Arsiv Serisi 200 Hicazkar Fasli Nr.2 Layik ZEIT: 3/12 I: Chor und Ensemble TRT Radio Istanbul, K:Avni Anil ____________________________________________________ 5) MUSIK:TRT 8695657005434 Türkiye Radyo Arsiv Serisi 29 CD:AVNI ANIL Nr. 2 ÖMRÜMÜZUN ZEIT: 3/40 I: Chor und Ensemble TRT Radio Istanbul, K:Avni Anil ____________________________________________________ 6) MUSIK :KALAN MUSIC 2001 Best: 8 691834005099 CD: „MAFTIRIM“ Kontakt: Judeo-Sufi Connection 16.-20.yüzyil Edirne-Istanbul Projekt: Lari Dilmen Nr 4 Hades Kekedem ZEIT:3/16 Nr. 5 MizmorSir Le Yem ZEIT:2/35 I und Arr.: Maftirim Istanbul K:Trad.