Kapitalsortenansatz und Habituskonzept von Pierre Bourdieu IMK II Arens/Ganguin – 3/11/05 Pierre Bourdieu (1930-2002) → Bourdieu war einer der renommiertesten französischen Soziologen des 20. Jahrhunderts!!! Arens/Ganguin – 3/11/05 Lebenslauf 1930 Geburt in einem kleinen Dorf in Südwestfrankreich 1940-1950 Studium an der Sorbonne (Paris) und an der Ecole Normale Superieure (u.a. bei Foucault, Sartre) 1951-1957 Arbeit als Lehrer 1958-1960 Forschungsprofessur in Algier 1960/61 Professur an der Sorbonne 1964 Direktor des europäischen Centers für Soziologie 1982 Berufung auf den Lehrstuhl für Soziologie am College de France 2002 † Paris Arens/Ganguin – 3/11/05 Werke 1970 Zur Soziologie der symbolischen Formen 1972 Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft 1979 Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft (dt. 1982) 1980 Le sens pratique (Sozialer Sinn, Kritik der theoretischen Vernunft, dt. 1987) 1984 Homo academicus (Analyse des frz. Universitätssystems) 1992 Die Regeln der Kunst (Herausbildung der Kunstszene) Arens/Ganguin – 3/11/05 Kulturtheorie • Vergleich von Interaktionen des Alltagslebens mit einem Spiel. • Die Individuen besitzen unterschiedlich viele Potentiale (Kapitalsorten als Ressourcen) verschiedener Art, die sie einsetzen und teilweise transformieren können. • Dabei gilt: "Und jeder spielt entsprechend der Höhe seiner Chips." Arens/Ganguin – 3/11/05 Kapital Zu den grundlegenden Formen des Kapitals zählen: • • • • das ökonomische Kapital das soziale Kapital das kulturelle Kapital das symbolische Kapital → Entscheiden über Platzierung des Akteurs im sozialen Raum Arens/Ganguin – 3/11/05 Ökonomisches Kapital • Alle Formen materiellen Reichtums → (Einkommen, Geld, Produktionsmittel Kapitalerträge, Besitz an beweglichen Werten oder Grundbesitz). • Nach Bourdieu ist das ökonomische Kapital eine sehr wesentliche Kapitalsorte, da er es tendenziell als dominant gegenüber anderen Kapitalsorten ansieht. Arens/Ganguin – 3/11/05 Soziales Kapital (Netzwerke) Definition: „die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind“ (Bourdieu 1983, S. 190f.). = Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen. Arens/Ganguin – 3/11/05 Soziales Kapital (Netzwerke) Ziel: Soziales Kapital als Resultat von Investitionsstrategien verspricht „früher oder später einen unmittelbaren Nutzen“ (Bourdieu 1983, S. 192). Konsequenz: Der, der über tragfähige Netze im Familien-, Freundes- und Kollegenkreis verfügt, kann auch aus deren Ressourcen einen Gewinn ziehen. Aufgabe: Für die Erhaltung & Aufbau dieses Beziehungsnetzwerkes ist „unaufhörliche Beziehungsarbeit in Form von ständigen Austauschakten erforderlich, durch die sich die gegenseitige Anerkennung immer wieder neu bestätigt“ (ebd., S. 193). Arens/Ganguin – 3/11/05 Kulturelles Kapital Das kulturelle Kapital existiert in drei Formen: 1. Inkorporiertes kulturelles Kapital 2. Objektiviertes kulturelles Kapital 3. Institutionalisiertes kulturelles Kapital Arens/Ganguin – 3/11/05 Kulturelles Kapital (inkorporiertes) 1. Inkorporiertes kulturelles Kapital = Denk- und Handlungsschemata, Wertorientierungen, Verhaltensmerkmale (Geschmack, Benehmen, Wissen) Arens/Ganguin – 3/11/05 Kulturelles Kapital (inkorporiertes) • Kostet Zeit und Energie • „Körpergebunden“ und setzt Verinnerlichung voraus • Kapitalart kann nicht an Dritte weitergegeben werden kann, wie etwa der materielle Besitz. • Erworben wird es in der primären Sozialisation der Familie, transformiert in den Bildungsinstitutionen (Schule, Beruf etc.) Arens/Ganguin – 3/11/05 Kulturelles Kapital (objektiviertes) 2. Objektiviertes kulturelles Kapital = kulturelle Güter (Bücher, Gemälde, Musikinstrumente, etc.). Arens/Ganguin – 3/11/05 Kulturelles Kapital (objektiviertes) • Ist materiell übertragbar • Die Aneignung vom objektivierten Kapital erfordert die „Verfügung über kulturelle Fähigkeiten, die den Genuss eines Gemäldes oder den Gebrauch einer Maschine erst ermöglichen“ (Bourdieu 1983, S. 188), also das inkorporierte Kulturkapital. Arens/Ganguin – 3/11/05 Kulturelles Kapital (institutionalisiertes) 3. Institutionalisiertes kulturelles Kapital = Titel (schulische Abschlüsse, akademische Titel etc.) Arens/Ganguin – 3/11/05 Kulturelles Kapital (institutionalisiertes) • Verweist auf das Bildungssystem • Die individuell verliehenen Titel (z.B. Doktortitel) begünstigen wiederum den Zugang, um sich ökonomisches Kapital anzueignen, da Bildungstitel häufig als Voraussetzung für bestimmte Berufslaufbahnen und damit auch für bestimmte Einkommensmöglichkeiten gelten. Arens/Ganguin – 3/11/05 Kulturelles Kapital • Nach Bourdieu unterscheiden sich die Klassen (Oberschicht, Mittelschicht, Unterschicht) durch vehemente Differenzen des kulturellen Kapitals, zum Beispiel in dem, was gegessen, getrunken oder wie gefeiert wird. Arens/Ganguin – 3/11/05 Symbolisches Kapital Symbolisches Kapital = Oberbegriff der sich aus dem Zusammenwirken der anderen drei Kapitalsorten ergibt. ↓ Ansehen, guter Ruf, Prestige einer Person in der Gesellschaft ↓ Rang in der Hierarchie der Gesellschaft Arens/Ganguin – 3/11/05 Symbolisches Kapital • Verweist darauf, wie man sozial wahrgenommen wird • Wird beispielsweise durch Kleidung und Sprachverwendung offenbar • Verweist auf den wahrnehmbaren Lebensstil, der in der Regel typischen sozialen Lagen entspricht, die nicht willkürlich zu wechseln sind; letztlich ein kultureller Einsatz im Konkurrenzkampf um soziale Vorteile Arens/Ganguin – 3/11/05 Kapitalsortenansatz • Die Zuordnung des Einzelnen zu einer sozialen Klasse und die Beurteilung seines sozialen Einflusses funktioniert in der modernen Gesellschaft also nicht nur über die Verteilung… – des ökonomischen Kapitals (materieller Besitz), sondern auch – über das soziale (Verwandtschaft, Beziehungen), – kulturelle (Bildung, Titel) – und symbolische Kapital (Kleidung, Körpersprache, Benehmen). • Das Individuum kämpft darum, diese Kapitalien zu erwerben und zu akkumulieren. • Das symbolische Kapital übernimmt dann die Rolle, die anderen Kapitalien sinnlich wahrnehmbar zu machen. Arens/Ganguin – 3/11/05 Kapitalsortenansatz • Das Ausmaß der Kapitalsorten, über das der Einzelne verfügen kann, bestimmt ganz zentral den Erwerb und die Ausübung von Kompetenzen. • Die unterschiedliche Verfügung über kulturelles Kapital bedingt unterschiedliche Aneignungsformen (und Interessen) an kulturellen Angeboten, so dass sich gesellschaftliche Differenzen weiter verstärken. Arens/Ganguin – 3/11/05 Aufgabe: Bitte überlegen Sie sich zu jeder Kapitalsorte 3 Fragen, mit der die jeweilige Kapitalsorte erhoben werden könnte! → ökonomisches Kapital → soziales Kapital → kulturelles Kapital → symbolisches Kapital Arens/Ganguin – 3/11/05 Kapitalsorten im Überblick Ökonomisches K. = Geld, Grundbesitz etc. Soziales K.= Freunde, Verwandte etc. Kulturelles K. = Wissen, Bücher, Gemälde, Titel etc. Symbolisches K.= Prestige etc., offenbar durch z.B. Arens/Ganguin – 3/11/05 Habitus • Die Alltagskultur Angehöriger spezifischer sozialer Schichten (Klassen) = Habitus • Das Habituskonzept vermittelt zwischen den • fundamentalen Lebensbedingungen und den • Praxisformen eines sozialen Akteurs. • Doppelfunktion: Durch die elementaren Lebensbedingungen der sozialen Lage bestimmt und zugleich generatives Erzeugungsprinzip für Praxis. • Bourdieu spricht hier von strukturierter, strukturierender Struktur. Arens/Ganguin – 3/11/05 Habitus Definition: • Habitus ist ein System dauerhafter und übertragbarer Dispositionen[1], ein System von Mustern, die der Mensch internalisiert hat und die es ihm ermöglichen, beliebige Wahrnehmungen, Gedanken und auch Handlungen in einem kulturellen Raum zu erzeugen (vgl. Bourdieu 1987). [1] Dispositionen sind die organisierte Gesamtheit der Tendenzen eines Individuums, in bestimmter Weise auf einzelne Reizgegebenheiten zu reagieren Arens/Ganguin – 3/11/05 Habitus • Habitus ist nicht frei verfügbar (Zuordnung von Deutungsmustern nach sozialer Klassen- und Schichtzugehörigkeit) • Ausbildung eines vorratsreichen „Habitus“ = soziale Herkunft und Schulbildung von großer Bedeutung, um Kompetenz vollständig zu entfalten. • Ein Habitus ist demnach gesellschaftlich und dadurch zugleich historisch bedingt, also nicht angeboren. • Er beruht auf den individuellen und kollektiven Erfahrungen, die sich in Gestalt von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata offenbaren. Arens/Ganguin – 3/11/05 Habitus • Kriterium, um die Unterschiede des Umgangs mit Kultur etc. zwischen Bürgern verschiedener Klassen zu analysieren • Bourdieu zeigte, dass zwar bei allen Menschen eine grundlegende Kompetenz zur Teilnahme an der Kultur besteht, diese im Verlauf der Sozialisation aber auch genutzt und ausgebaut werden muss. • Die von schicht- und milieuspezifischen Traditionen geprägte kulturelle Sozialisation führt dazu, dass der Arztsohn andere Startchancen als der Bäckersohn hat. Arens/Ganguin – 3/11/05 Habitus • Der jeweilige Habitus äußert sich zum Beispiel im Umgang mit Literatur oder Fotographie und weist mit dem Vermögen, ein Kunstwerk zu decodieren, auch eine ästhetische Kompetenz auf. Arens/Ganguin – 3/11/05 Habitus • Soziales Handeln ist bei Bourdieu spieltheoretisch gefasst. • Auf dem Spiel stehen die eingesetzten Kapitalien sowie die Regeln des Spiels • Sieht man soziale Praxis als im Spiel ablaufend, scheint der alte Gegensatz von Zwang und Freiheit vermittelt und gelöst: Der Spieler agiert innerhalb eines Rahmens, der von Regeln gesteckt wird, ist aber dennoch kreativ darin tätig; ebenso, wie die Zahl der möglichen Situationen trotz der Strukturiertheit durch die Regeln unendlich groß ist. Arens/Ganguin – 3/11/05 Aufgabe • Seit Mitte des 20. Jahrhunderts scheint der persönlich bevorzugte Musikstil einen wichtigen Stellenwert für die individuelle Lebensdefinition eingenommen zu haben. Populärmusik steht mehr denn je im direkten Zusammenhang mit dem Habitus (Kleidung, Drogenkonsum, Frisur, Benehmen…) Arens/Ganguin – 3/11/05 Musikstile - Szene An welchen Habitus denken Sie bei den folgenden Musikstilen? Suchen Sie sich zwei aus. •Metal •HipHop •Rap •Reggae •Techno •Klassik •Gothik Arens/Ganguin – 3/11/05 Zu merken: 1. Kapitalsorten – – – – ökonomisch, kulturell, sozial, symbolisch 2. Der Begriff des Habitus 3. Kulturtheorie als Spiel 4. Theorie der sozialen Ungleichheit 5. Soziologie der Lebensstile Arens/Ganguin – 3/11/05 Literatur Bourdieu, P.: Zur Soziologie der symbolischen Formen. Frankfurt am Main: 1970. Bourdieu, P.: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Baden-Baden: 1987a. Bourdieu, P.: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt am Main: 1987b. Bourdieu, P.: Rede und Antwort. Frankfurt am Main: 1992. Bourdieu, P.: Über das Fernsehen. Frankfurt am Main: 1998. Arens/Ganguin – 3/11/05 Danke für Ihre Aufmerksamkeit Arens/Ganguin – 3/11/05