Lorenzer Kommentargottesdienste

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Lorenzer Kommentargottesdienste
zu Ereignissen der Zeit
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Sonntag, 20. März 2011, 11.30 Uhr
St. Lorenzkirche – Nürnberg
Gehört der Islam
zu Nürnberg?
Eine Charta des
Zusammenlebens
Kommentar:
Erhan Çinar
Stv. Vorsitzender des DITIB Landesverbandes Bayern
- Regionalverband Nürnberg e.V.
Theologischer Kommentar und Leitung:
Dekan Wolfgang Butz
Nürnberg - St. Peter
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www.lorenzkirche.de : Kommentargottesdienst
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„Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“ sagte Bundespräsident Christian Wulff bei seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit 2010.
Dem widersprach der neu gewählte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich bei seiner Antrittsrede vor der Bundespressekonferenz am Anfang März
2011: „Dass aber der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache,
die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt.“
Der Lorenzer KommentarGottesdienst ließ zu diesem Gegensatz Erhan Çinar
vom DITIB-Landesverband Bayern (DITIB ist die Türkisch-Islamische Union
der Anstalt für Religion e.V.) und Dekan Wolfgang Butz (Nürnberg-Süd) zu
Wort kommen.
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Die Kollekte, die erbeten wurde, nahm Bezug auf das Thema des KommentarGottesdienstes vom Februar 2011, als es um die Angst ging, die in Ägypten umgeht:
Die Mitglieder der koptischen Gemeinde in Nürnberg sind in großer Sorge
wegen der Anschläge auf Kopten in Alexandria Anfang des Jahres und in Kairo vor zwei Wochen.
Aktuell befinden sich acht dabei schwer verletzte koptische Christen in München im Klinikum Großhadern, die dort behandelt werden. Die Kosten müssen
durch Spenden aufgebracht werden. Wir bitten Sie um Ihre großzügige Unterstützung.
Spenden erbeten für die St. Mina Kirche
Kto. 155 977 12, BLZ 743 200 73, HVB Landshut
Verwendungszweck: Alexandria-Opfer
ViSdP: Wolfram Steckbeck, Laufamholzstr.1, 90482 Nürnberg. – Die einzelnen Beiträge geben die Meinung der
Kommentatoren wieder – nicht die der Kirchengemeinde St. Lorenz oder des Lorenzer Kommentarteams.
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Kommentar von Erhan Çinar, DITIB-Landesverband Bayern
Es wäre uns eine Freude, unserem neuen Bundesinnenminister Hans-Peter
Friedrich zu seiner Ernennung uneingeschränkt zu gratulieren und unsere
Glückwünsche nicht in dem Schatten auszusprechen, den seine Worte auf die
Muslime und den Islam insgesamt geworfen haben. In seiner Funktion als
Bundesinnenminister wird Herr Friedrich insbesondere auch im Rahmen der
Deutschen Islamkonferenz mit Fragen des Islams in Deutschland und mit der
Lebensrealität der Muslime zu tun haben. Ihm wird in diesen Fragen eine
nicht zu unterschätzende Verantwortung zuteil.
Die Deutsche Islamkonferenz etwa hat bereits viele grundlegende Debatten
zu der besagten Frage aufgeworfen und diskutiert. Auch die DITIB ist ihrer
Verantwortung in dieser Frage gerecht geworden und hat zum Fortschreiten
des Gesamtdiskurses beigetragen.
Umso problematischer erscheint in diesem Licht die Aussage Herrn Bundesinnenminister Friedrichs, mit der viele Debatten wieder auf einen Anfangsstatus
zurückversetzt werden.
Die Frage nach der historischen Verortung des Islams in Deutschland ist an
dieser Stelle vielleicht grundlegender zu beantworten, auch wenn eine einigermaßen solide Kenntnis europäischer Kulturgeschichte dies erübrigen würde. Denn, dass der Islam sowohl in seiner theologischen Ausgestaltung, als
auch in dem Prozess der Zivilisation, den er eingeleitet hat, Europa befruchtet
hat und Epochen, wie etwa die Renaissance, Kulturgüter wie etwa die Werke
des antiken Griechenlands, ohne die islamische Welt nicht denkbar gewesen
wären, sollte allseits bekannt sein. Des Weiteren ist die sehr frühe Exzellenz
der islamischen Welt in den Bereichen Mathematik, Medizin, Astronomie,
Physik, Chemie, Geographie und Technik weitgehend bekannt. Namen wie
Averroës oder Avicenna sind über Jahrhunderte hinweg die Klassiker europäischer Wissenschaft geblieben. Die Forschungszentren Cordoba und Toledo,
die Kunst in der Alhambra sind weitere Begriffe, die eine Welt von islamischer
Gegenwart in Europa bezeichnen.
Dass die Stadtkultur schlechthin nicht wenig der islamischen Gegenwart in
Europa zu danken hat, sollte auch nicht unbekannt sein. Bibliotheken, Schulen, Krankenhäuser und Bäder der frühen Städte sind der islamischen Welt zu
danken. Eine Geschichte Europas ohne die starken Impulse aus der islamischen Welt zu denken, ist mehr als mangelnde Geschichtskenntnis.
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Es wird nicht erkannt, dass selbstverständlich Zivilisationen, Kulturen und Religionen sich beeinflussen und man die Geschichte einer Region und schon
gar nicht eines Landes von dieser Zirkulation gesondert denken kann. Deshalb ist nicht nur die Geschichte Deutschlands, sondern auch die Geschichte
des Westens ohne den Islam nur eine unvollständige Geschichte.
Auch in der Gegenwart ist der Islam nicht lediglich über die Anwesenheit von
Muslimen ein Teil Deutschlands. Vielmehr ist der Islam als Religion und als
kulturelles Erbe auch Mitgestalter der modernen Welt. Die Wertewelt, die Religionen konzipieren und für ihre Gläubigen geltend machen, geht ein in einen
Gesamtwertekonsens, der von allen Seiten tragbar ist. Dass auch die muslimische Welt Werte wie Freiheit, Menschenwürde, Menschenrechte und einen
Pluralismus von vielen Kulturen, Religionen und Akteuren nicht nur anerkennt
und übernimmt, sondern aus ihrer inneren Dynamik produziert, sollte mindestens nach den aktuellen Geschehnissen in der islamischen Welt deutlich geworden sein.
Neben den Beziehungen mit der Islamischen Welt in der Geschichte Deutschlands, sind auch vielfältige Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Islamwissenschaften durchaus vorhanden. Über dies hinweg sind in den letzten Jahren bezüglich der Etablierung islamischer Theologie an deutschen Hochschulen und der Einführung eines bekenntnisorientierten, islamischen Religionsunterrichts nach jahrelangen Bemühungen konkrete Ergebnisse zu verzeichnen.
Und wie könnten über vier Millionen muslimische Gläubige und über tausend
muslimischen Gotteshäuser in Deutschland verortet werden, wenn nicht als
Teil Deutschlands? Ist dies denn nicht auch Ausdruck dessen, dass über die
Gegenwart muslimischer Religionsgemeinschaften auch institutionell der Islam nicht nur ein wichtiges Thema, sondern eben auch ein Teil Deutschlands
ist?
Angesichts all dessen ist zu fragen, wie haltbar die Aussage des Bundesinnenministers ist. Diese übrigens wurde ja auch seitens der Presse und durch
viele weitere Stimmen ernsthaft hinterfragt. Stellenweise ließe sie sich auch
entlarven als ein parteipolitischer Akt, dessen Maß an Diskriminierung jedoch
kaum zu unterschätzen ist und am wenigsten sich dem Amt des Bundesinnenministers ziemt. Doch ist die Aussage vielleicht auch als eine programmatische zu betrachten. Als Hinweis darauf, wie Herr Friedrich seine Politik in
Bezug auf die Muslime in Deutschland gestalten möchte. Etwa, dass es ihm
mehr um die Menschen in Deutschland geht, als um die Religion, mehr also
um die Muslime, denn um den Islam, und dass er sich der gesellschaftlichen
Gegenwart der Muslime annehmen werde, nicht ihrer 'historischen Religiosität', wie es in dieser Logik wohl heißen müsste.
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Eine anschließende Frage, wolle man denn nicht missverstehen, sei auch gestellt: Was ist denn die Konsequenz dieser Äußerungen? Öffnet dies nicht religiöser Diskriminierung Tür und Tor, vor der das Grundgesetz uns alle gleichermaßen schützt? Wenn also das Säkularitätsprinzip Deutschlands bedeutet, neutral den Religionsgemeinschaften gegenüber zu stehen und ein
grundsätzlich positiv zugewandtes, einträchtiges Verhältnis zu ebendiesen zu
pflegen, darin ausgewogen und gleich bleibend zu agieren, um eben gerade
der religiösen Pluralität gerecht zu werden. Und wenn Muslime als Teil und
Ausdruck dieser Pluralität in unserer Gesellschaft sich als Religionsgemeinschaften organisieren und auch als solche einbringen, stellen denn dann diese ausgrenzenden Äußerungen im verschobenen Staats-Religions-Verständnis
nicht eine Verletzung des grundgesetzlich garantierten Gleichheitsprinzips
dar? Welche Zukunftsoptionen bieten diese historischen Platzverweise den
deutschen Muslimen und ihren Glaubensgemeinschaften? Unter welcher Prämisse ist denn dann noch die Rede von einem pluralistischen Miteinander für
eine gemeinsame, starke Zukunft?
Wie auch immer, die Aussage hat bereits kränkend unter den Muslimen gewirkt und einen nicht unerheblichen Teil ihrer Identität verkannt.
Theologischer Kommentar von Dekan Wolfgang Butz:
Liebe Gemeinde zum Kommentargottesdienst,
ist es Arroganz, Dummheit oder schon wahltaktisches Kalkül, die einen Politiker zu solche Aussagen veranlasst und damit auch eine Breitseite gegen den
Bundespräsidenten abschießt: Die in der Bundesrepublik lebenden Menschen
islamischen Glaubens gehören zu Deutschland, nicht jedoch der Islam. „Dass
der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich aus der Historie
nirgends belegen lässt.“ Die Leitkultur in Deutschland sei die christlichabendländische Kultur mit jüdischen Wurzeln (Bundesinnenminister HansPeter Friedrich).
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Da geht einer gewaltig in die Irre. Europa hat seit Jahrhunderten eine ganze
Menge von Bezügen zum Islam.
Ohne die arabischen Zahlen hätte sich bei uns die Mathematik gar nicht entwickeln können. Averroës und Avicenna, islamische Gelehrte, hatten durch
ihre Übersetzungen und Kommentare vor allem zu Aristoteles großen Einfluss
auf die scholastische Theologie.
Cordoba und Granada waren im Mittelalter Zentren der Wissenschaft und Kultur, und es gab einen regen Austausch mit dem christlichen Abendland.
Schon 1143 veranlasste der Abt des Klosters Cluny die erste lateinische Koranübersetzung, und 1313 waren Lehrstühle für semitische Sprachen an europäischen Universitäten eingerichtet. Im 15. Jahrhundert bemühte sich Nikolaus von Kues um gemeinsame Religionsgespräche mit dem Islam.
Nicht zu vergessen sind Goethe mit seinem ost-westlichen Diwan als Brückenbauer zwischen Orient und Okzident und der urfränkische Dichter Friedrich Rückert, der in der ersten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts den Koran
übersetzt und die deutsche Orientalistik begründet hat. So einfach ist es also
nicht mit einer deutschen Leitkultur. Wenn wir das als Programm nehmen,
geht es nicht mehr um Integration, sondern um Ausgrenzung. An dieser Stelle möchte ich Ihnen eine Geschichte aus dem Evangelium vorlesen. Hören Sie
diese Geschichte auf dem Hintergrund von Leitkultur und Integration:
Matthäus 15,21-28
Und Jesus ging von dort weg und zog sich in die Gegenden von Tyrus und
Sidon zurück; und siehe, eine kanaanäische Frau, die aus jenem Gebiet herkam, schrie und sprach: Erbarme dich meiner, Herr, Sohn Davids! Meine
Tochter ist schlimm besessen. Er aber antwortete ihr nicht ein Wort. Und seine Jünger traten hinzu und baten ihn und sprachen: Entlass sie, denn sie
schreit hinter uns her. Er aber antwortete und sprach: Ich bin nur gesandt zu
den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Sie aber kam und warf sich vor
ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir! Er antwortete und sprach: Es ist nicht
schön, das Brot der Kinder zu nehmen und den Hunden hinzuwerfen. Sie aber sprach: Ja, Herr; doch es essen ja auch die Hunde von den Krumen, die
von dem Tisch ihrer Herren fallen. Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: O
Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter war
geheilt von jener Stunde an.
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Der Verfasser dieses Evangeliums war Jude, bevor er Christ wurde, aufgewachsen und geprägt von den religiösen Vorstellungen des Judentums. Er
schrieb sein Evangelium für Christen aus der jüdischen Tradition. Fest verankert war bei den Juden die Vorstellung, dass Israel das auserwählte Volk Gottes ist und er sein Heil nur ihnen schenkt. Eine Geringschätzung anderer Völker war die Konsequenz. Ausländische Hunde wurden Andersgläubige genannt. Sich von diesem Denken zu lösen, war sicher nicht leicht und ein langer Prozess. Es fällt schwer, sich von Wertvorstellungen zu lösen, die man
sozusagen mit der Muttermilch eingeflößt bekam. Unsere Geschichte legt Jesus solche harten Worte in den Mund – den Kindern das Brot zu nehmen und
den Hunden hinzuwerfen. In der Dramaturgie dieser Geschichte spiegelt sich
der religiöse Hintergrund und die Schwierigkeiten des Abschiedes von den
traditionellen Überzeugungen wieder. Jesus hat in dieser Geschichte dazugelernt und ist einen großen Schritt weitergegangen. Mit der Heilung der kranken Tochter der kanaanäischen Frau, die ihm so großes Vertrauen entgegenbrachte, macht Jesus deutlich, dass Gott zwischen Menschen keine Trennlinie
zieht, sondern allen Menschen das Lebensheil schenken will.
Gott gehört niemandem. Er war nie Eigentum Israels, nie Eigentum der Kirche und ist auch nicht Eigentum einer Partei oder einer christlich-jüdischabendländischen Tradition. Sein Heil kennt keine Grenzen. Dies zu verkündigen ist unsere Aufgabe, die wir in seiner Nachfolge stehen. Dieser Glaube hat
Kraft und trägt dort, wo er gelebt wird, unendlich viel zum Heil der Welt bei.
Die Vielfalt dieser Welt ist unsere Chance. Und Jesu Gebot der Nächstenliebe
gilt allen Menschen und überwindet alle Grenzen.
Christen und Muslime in Nürnberg haben in fast zweijähriger Arbeit und intensiven Gesprächen eine Charta erarbeitet, die eine Basis für gelingendes
Zusammenleben sein kann. Sie ist notwendig, denn der Islam ist ein Teil
Nürnbergs und hat seine Wurzeln in der Tradition Abrahams. Es ist unsere
Aufgabe als Christen in dieser Stadt, dass Zusammenleben eine Selbstverständlichkeit wird. Ich wünsche mir, dass wir Vielfalt als Gewinn und Bereicherung erleben. Es ist außerordentlich wichtig, den Gesprächsfaden nicht
abreißen zu lassen, auch wenn Muslime auf Grund solcher Äußerungen wie in
letzter Zeit sagen: „Es hat doch keinen Sinn, was sollen wir noch reden! Die
wollen uns doch nicht!“ Sie sind da und sie sind ein Teil der Stadt. Mittlerweile leben nahezu 40.000 Muslime hier. Und so sollte, wie es Heribert Prantl in
einer Kanzelrede in München ausdrückte, „Leitkultur eine Kultur des Zusammenleben sein: Sie heißt Demokratie. Sie heißt Rechtsstaat. Sie heißt Grundrechte. Diese Leitkultur fordert viel, sie fordert nicht nur Toleranz, sondern
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Respekt vor den Alt- und den Neubürgern. Zum Respekt vor dem anderen
gehört es, ihm nicht seine Religion, seine Kleidung, seine Lebensgewohnheiten wegzunehmen.“
Der Islam ist ein Teil Nürnbergs geworden. Die Charta des Zusammenlebens
bezieht sich auf drei Bereiche des Lebens in unserer Stadt: Recht und Religion, Bildung und Erziehung, Seelsorge und Soziales. Für alle drei Bereiche sind
die Voraussetzung ziemlich genau beschrieben worden, unter denen Integration und gemeinsames Leben möglich ist. Es bedarf der Anstrengung und Unterstützung von allen Bürgern und Bürgerinnen dieser Stadt, die ihnen Heimat ist oder zur Heimat geworden ist. Die Charta ist offen für weitere Entwicklungen und dient als Anregung für das Zusammenleben auch mit anderen Religionsgemeinschaften. So ist sie eine Orientierungshilfe für Auseinandersetzungen, Konflikte und strittige Fragen.
Zum Schluss soll der Schirmherr des Arbeitkreises, Alt-Oberbürgermeister Peter Schönlein, zu Wort kommen. Er schreibt im Geleitwort zur Charta: „Beide
christlichen Konfessionen bekennen sich eindeutig zum Recht auf Teilhabe
anderer Religionen am gesellschaftlichen Leben in unserem Land und rufen
zum konstruktiven Miteinander auf. Dies beinhaltet auch, dass die Möglichkeit
würdiger Religionsausübung für Muslime gegeben sein muss –gegebenenfalls
durch die Errichtung neuer Moscheen. Ebenso gehört dazu die Ausbildung
von islamischen Religionslehrern und Religionslehrerinnen an den Universitäten und islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schule in Deutschland.“
Warum das Ganze, warum die Charta? Der Islam ist in Nürnberg angekommen. Ein Teil dieser Stadt. Deshalb lasst uns beten, unseren Gott darum bitten, dass wir gut miteinander zusammenleben können, Integration gelingt,
wir unsere Nachbarn anschauen und nicht wegschauen, und Ja zu ihnen sagen als Teil unserer Stadtgesellschaft. Die Charta will ihren Beitrag dazu leisten, verfasst von Christen und Muslimen. Unsere Leitkultur kann nur im Annehmen und Leben der Vielfalt in unserer Gesellschaft sein. Amen
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Pressespiegel:
"Islam ist Teil Deutschlands – und somit auch Nürnbergs"
Brisantes Thema beim Kommentargottesdienst
Nürnberg - Der neue Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich sieht keinen Beleg
dafür, dass der Islam zu Deutschland gehört. Doch wie sieht es mit Nürnberg aus?
Um die Frage "Gehört der Islam zu Nürnberg?" drehte sich am Sonntag der Lorenzer
Kommentargottesdienst.
Als „nicht unbedingt geschickt“ wertet Wolfgang Butz die Aussage des CSUPolitikers. „Hier wird ein unnötiger Konflikt losgetreten und dazu noch von einem
Mann, der eigentlich für Integration zuständig ist“, erklärt der Dekan zum Einstieg.
In diese Kerbe schlägt auch Erhan Cinar. Der ist stellvertretender Vorsitzender der
„Türkisch-islamischen Union der Anstalt für Religion“ Regionalverband Nürnberg
e.V., kurz Ditib. Man betreue rund 880 Moscheevereine bundesweit und erreiche damit circa 130000 Muslime. „Die Ditib-Gemeinden bekennen sich zu 100 Prozent zum
deutschen Grundgesetz und zur Verfassung des Freistaats Bayern“, unterstreicht Cinar.
Friedrich würde einen Schatten auf alle Muslime werfen. Außerdem zeugen seine
Worte von mangelnden Geschichtskenntnissen, sagte Cinar weiter. Der Islam habe
nämlich schon seit jeher die europäische Kultur befruchtet und somit an der modernen Welt mitgestaltet. Sind Friedrichs Worte nur als parteipolitischer Akt zu sehen,
oder müsse man die Aussage auch als programmatisch betrachten? Und was würde
dies als Konsequenz bedeuten?
„Friedrich öffnet damit der Diskriminierung Tür und Tor. Hier haben wir es mit einer
Verletzung des durch das Grundgesetz garantierten Gleichheitsprinzips zu tun“, unterstreicht Cinar. Dabei wollen die Muslime zu Lösungen beitragen und beileibe nicht
das Problem darstellen. Sehr positiv sehe Cinar die Entwicklung, dass es in Nürnberg
immer mehr Ärzte, Polizisten oder Lehrer mit Migrationshintergrund gebe.
Ausdrücklich lobt der Ditib-Vertreter die hiesige Stadtspitze sowie Oberbürgermeister Ulrich Maly. Gemeinsam habe man eine Charta des Zusammenlebens erarbeitet.
„Der Islam ist ein Teil Deutschlands und somit auch Nürnbergs. Die Religion gehört
zu dieser Stadt wie der Deckel zum Topf“, lautet Cinars Schlussbemerkung.
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Muss man Friedrich jetzt Arroganz, Dummheit oder wahltaktisches Kalkül vorwerfen? Wolfgang Butz spart sich die Antwort auf diese Frage. Stattdessen trägt er eine
Stelle aus dem Matthäus-Evangelium vor. Diese zeige anschaulich, dass Gott keine
Grenzlinien zwischen den Menschen ziehe. Vielmehr sei die Vielfalt in unserer Welt
als große Chance zu betrachten. „Die deutsche Leitkultur sollte eine Kultur des Zusammenlebens sein“, sagt Butz, „Respekt für den anderen ist ein entscheidendes Kriterium.“
Thomas Susemihl
„Der Islam ist längst in Nürnberg angekommen“
Lorenzer Kommentargottesdienst kritisiert Äußerungen
des Innenministers
Nürnberg - „Gehört der Islam zu Nürnberg?“ Anders als der frisch gekürte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) beantworteten die Macher des Lorenzer
Kommentargottesdienstes diese Frage mit einem eindeutigen Ja.
Dass der Islam Teil unserer Kultur sei, unterschreibe er nicht, hatte Friedrich gesagt
und damit sowohl seinen beiden Amtsvorgängern als auch Bundespräsident Christian
Wulff widersprochen. Die Leitkultur in Deutschland sei die christlich-jüdischabendländische Kultur. „Sie ist nicht die islamische und wird es auch nicht in Zukunft sein.“ Es lasse sich in der Historie nirgendwo belegen, dass der Islam zu
Deutschland gehöre.
Eine Äußerung, mit der Friedrich der Integrationsdebatte und den Bemühungen der
Deutschen Islamkonferenz um einen Dialog mit den Muslimen einen „Bärendienst“
erwiesen habe, wie Dekan Wolfgang Butz kritisierte. Als der für Integration zuständige Minister habe er damit einen „unnötigen Konflikt“ losgetreten.
Ditib: Die Mehrheit der Muslime bekennt sich zum deutschen Staat
Den Kommentar sprach Erhan Cinar, stellvertretender Vorsitzender des DitibLandesverbandes Bayern, einer Organisation, der im Freistaat 140 muslimische Gemeinden angehören. Laut Cinar hat die Ditib 35.000 registrierte Mitglieder; fast
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viermal so viele Menschen nehmen an den Gottesdiensten teil. „Wir vertreten rund
130.000 Muslime in Bayern.“
Und diese stünden ebenso wie die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime
fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. „Von unseren
Gemeinden werden keine Aktivitäten ausgehen, die die Ziele des Grundgesetzes in
Frage stellen.“ Die Mehrheit der Muslime bekenne sich zum deutschen Staat, aber
der sei leider nicht bereit, sich uneingeschränkt zu den Muslimen zu bekennen.
Friedrich habe die Debatte mit seinen Äußerungen weit zurückgeworfen, so Cinar.
Dabei reiche doch schon ein kurzer Blick in die Geschichte, um zu sehen, wie sehr
der Islam Europa befruchtet habe. Seit Jahrhunderten habe die islamische Kultur hier
ihren Platz, habe Wissenschaft und Philosophie beeinflusst. „Sich die Geschichte Europas ohne starke Impulse aus der islamischen Welt zu denken, das ist mehr als mangelnde Geschichtskenntnis.“
Friedrichs Äußerungen in hohem Maße diskriminierend?
Und heute? Die Deutsche Islamkonferenz schätzt, dass rund vier Millionen muslimische Gläubige in Deutschland leben. Wie könnten sie nicht ein Teil des Landes sein?,
fragt Cinar. Friedrichs Äußerungen seien in hohem Maße diskriminierend.
Viele Muslime hätten Deutschland als Heimat gewählt und viel für die Gesellschaft
getan. „Sie fühlen sich wohl hier und möchten das Leben mitgestalten.“ In Nürnberg
klappt das Miteinander aus Sicht der Beteiligten schon gut. Der interreligiöse Dialog
in der Stadt sei vorbildlich, so Cinar. Vor einem halben Jahr erst haben Christen und
Muslime sogar gemeinsam eine „Charta des Zusammenlebens“ erarbeitet.
Auch Dekan Butz kann deshalb die Äußerungen des Innenministers nicht nachvollziehen. „Ist es Arroganz, Dummheit oder schon wahltaktisches Kalkül?“, fragte er.
Die Verbindungen zwischen den Religionen seien über Jahrhunderte gewachsen.
Man solle die Vielfalt der Welt als Chance begreifen, sie als Gewinn und Bereicherung ansehen.
Butz forderte eine Leitkultur als „Kultur des Zusammenlebens“. Der Islam sei längst
in Nürnberg angekommen. „Die Integration gelingt, wenn wir Ja sagen.“ Oder, wie es
eine Besucherin formulierte, die sich mehr Begegnungen der Kulturen wünschte:
„Wir sollten nicht so viel Angst voreinander haben.“
Silke Roennefahrt
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Lorenzer Kommentargottesdienste
zu Ereignissen der Zeit
seit über 40 Jahren in St. Lorenz
Die Termine der Kommentargottesdienste 2011:
Sonntag, 23.01., 20.02., 20.03., 22.05., 19.06.,
17.07., 18.09., 23.10. und 18.12.2011
jeweils um 11.30 Uhr in der St. Lorenzkirche.
Der besondere Kommentargottesdienst
am Buß- und Bettag, 16.11.2011, 18:00 Uhr,
mit Dr. Reinhard Höppner
http://www.lorenzkirche.de
Î Gottesdienste Î Kommentargottesdienst
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