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TITEL UNIBIBLIOTHEK
» BLENDENDE« BILANZ
UNIBIBLIOTHEK POLARISIERT IMMER NOCH: STUDENTEN
KOMMEN IN SCHAREN / DOCH MITARBEITER KLAGEN
von Till Neumann
M
odern, innovativ, transparent – so bejubelt die Uni
Freiburg ihre Bibliothek. Die Zahlen geben ihr auf den
ersten Blick Recht: Bis zu 10.000 Besucher strömen
täglich in den „geschliffenen Diamanten“. Doch im Inneren des
Edelsteins herrscht auch zwei Jahre nach der Eröffnung noch
dicke Luft. Mitarbeiter klagen über Kopfschmerzen, trockene
Augen, Lärm und zu wenig Personal. Das Bauamt bestätigt,
dass es juristische Auseinandersetzungen gibt. „Hier wurde zu
sehr auf Design geachtet und zu wenig auf Funktionalität“,
kritisiert ein UB-Kenner.
53 Millionen Euro hat die UB gekostet. Spätestens seit November ist der Glastempel im Herzen der Stadt bundesweit bekannt. Denn die NDR-Satire-Sendung Extra 3 hat die drei irrsten
Universitätsbibliotheken Deutschlands gekürt. Auf allen drei
Plätzen landete ... Freiburg. Witzig gemacht, wenn auch etwas
überspitzt.
Hingucker: Die UB glänzt, strahlt, spiegelt. Der Basler Architekt Heinrich
Degelo (rechts) hat sie entworfen. Fotos: © tln, NDR
8 CHILLI JUNI 2017
Dem Architekten Heinrich Degelo ist das Pannen-Ranking vielleicht gar nicht so unrecht. „Gute Architektur polarisiert“, sagte
der Basler zum UB-Start. Die Gründe des Extra-3-Triples: eine
Tür, die nicht aufgeht, fehlende Sitzplätze und eine blendende
Fassade (siehe Pannen-Chronik S. 10).
Am Ansturm auf das vor zwei Jahren eröffnete Gebäude hat’s
nichts geändert. Bis zu 10.000 Besucher kommen täglich in die
rund um die Uhr geöffnete UB. „In Spitzenzeiten sind es mehr
als 14.000“, berichtet Bibliotheks-Leiterin Antje Kellersohn. Sie
erzählt von positiven Rückmeldungen aus allen Fakultäten. Die
UB sei ein „großartiges Gebäude“, eine der modernsten Bibliotheken Deutschlands, wenn nicht Europas.
Doch die Kritik ist nicht verstummt. So berichtet ein Mitarbeiter der Bibliothek, dass die Stimmung bei den 250 Kollegen durchwachsen ist. Denn die Arbeitsbedingungen seien
schwierig. Lärm und trockene Luft machten den Angestellten
zu schaffen. Kontaktlinsenträger hätten mit geschwollenen
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Augen zu kämpfen. So mancher trage deswegen wieder Brille.
Auch Kopfschmerzen seien Folge des schlechten Klimas und
hohen Geräuschpegels.
Ist es wirklich so schlimm? Studenten kommen ja zu Tausenden. „Das kann man nicht vergleichen. Die sind keine 40 Stunden die Woche hier“, sagt der Mitarbeiter.
Wer kürzer da sei, habe damit weniger zu
kämpfen. Außerdem sei es einfach hip, in
die UB zu gehen – unabhängig vom Arbeitsklima. Ein anderer Mitarbeiter lässt kein
gutes Haar am modernen Prachtbau: „Da
kann man sich nur an den Kopf langen, was
hier gebaut wurde.“ „Ein Riesenquatsch für
eine Riesensumme“, findet er.
Das chilli geht dem Klima auf den Grund: Wir machen uns
an einem schwül-heißen Junitag mit einem Luftfeuchtigkeitsmesser auf in die UB. Mit dem Hygrometer messen wir in allen
fünf Stockwerken. Das Ergebnis: 36 bis 39 Prozent Luftfeuchtigkeit. Keine beunruhigenden Zahlen, sie entsprechen denen im
KG II der gegenüberliegenden Uni. Idealwerte liegen zwischen
40 und 60 Prozent.
Auch die UB-Leitung scheint die Luft aber umzutreiben. Vor
etwa einem halben Jahr hat es Messungen gegeben, berichtet
ein Student, der viel Zeit dort verbringt. Darauf angesprochen,
verneint das Bauamt der Universität die Prüfungen nicht: „Die
Luftqualität ist weitgehend in Ordnung“, schreibt Unibauamtsleiter Karl-Heinz Bühler auf chilli-Anfrage. Und weiter: „Eine Befeuchtung der Luft sei
nicht vorgesehen und auch bei vergleichbaren Landesgebäuden nicht üblich.“ Ein chilli-Informant sieht das anders: „Die Fassade
war zu teuer, deswegen wurde am Lüftungssystem gespart.“ Auch der Student, der prinzipiell gerne in die UB geht, schlägt in die Kerbe:
„Es wurde hier zu viel auf Design geachtet und zu wenig auf
Funktionalität.“ Optisch findet er die UB überragend. In Sachen
Benutzerfreundlichkeit ausbaufähig.
Die Technik im Gebäude ist komplex. An 7000 Punkten werden Beleuchtung, Temperatur und Luftqualität gemessen. Die
Ergebnisse gehen an die technische Zentrale im Institutsviertel.
Am einfachsten lüftet es sich mit Fenstern. Doch die sind selten
im Glaskasten, der als geschlossenes System funktioniert.
KOPF
UND AUGEN
LEIDEN
JUNI 2017 CHILLI 9
TITEL UNIBIBLIOTHEK
Im Fokus: Die einst schräge Seitentür. Die Pausenuhren für mehr freie Plätze. Das Hygrometer, mit dem wir die Luftfeuchtigkeit in der UB messen.
Für Luftzirkulation in Büros sorgen
Schlitze am Boden. Diese lassen jedoch
auch Geräusche durch. Aus einem Chefbüro seien deswegen Mitarbeitergespräche mitzuhören gewesen, wird berichtet. Als man die Lücken schloss, sei
die Luft zu schlecht gewesen. Also wurde investiert und nachgebessert.
Auszubügeln gab es so manches: die
langsame Drehtür, der gebrochene Boden am Eingang, das Sonnensegel als
Blendschutz an der glänzenden Fassade.
Das größte Lärmproblem gibt es im Erdgeschoss, bestätigen
mehrere Quellen. Vor
allem die Mitarbeiter
an der Infotheke würden darunter leiden.
„Eine Bahnhofshalle
ist bei Hochbetrieb
ruhig dagegen“, erzählt einer. Selbst
wenn im Café Libresso ein Löffel runterfalle, sei das an der Infotheke zu hören.
Zu allem Übel seien auch die Glasscheiben der Fassade zu dünn und damit
akustisch schlechter als geplant. Das sei
bei Vermessungen rausgekommen, berichtet ein Insider.
Dass es Probleme mit der Lautstärke gibt, bestätigt Karl-Heinz Bühler. „In
Stoßzeiten ist der Lärmpegel, bedingt
durch die hohen Nutzerzahlen, höher
als erwartet“, schreibt er. Es seien Maßnahmen geplant, um die Situation zu
verbessern. Diverse Vorschläge seien auf
dem Tisch, aber noch zu diskutieren.
In Mitarbeiterkreisen wird eine bessere
Abtrennung als Lärmschutz gewünscht.
Doch das widerspricht dem offenen
Raumkonzept. Und das ist wiederum
auch nötig. Denn die Luft muss zirkulieren im geschlossenen Gebäude. Frische
Luft kommt aus dem Boden, abweichen
kann die verbrauchte ganz oben – deswegen die freien Durchgänge vom EG
bis ans Dach.
Architekt Heinrich Degelo ist offenbar
wenig kompromissbereit. Der Basler
wehrte sich bereits gegen Änderungen
an der Schrägtür beim Café Libresso, die
Studenten mit Handicap nicht öffnen
konnten. Gibt es Streit mit dem Basler?
„Das Verhältnis ist professionell. Juristische Vorgänge werden zwischen den
Vertragspartnern geklärt“, schreibt Bühler dem chilli. Soll heißen: Nun befassen
sich auch Anwälte mit
den Geburtsfehlern.
Dass regelmäßig nachgebessert werden muss,
überrascht Bühler nicht:
Das sei bei einem Gebäude dieser Größenordnung mit so hohen Nutzerzahlen
nicht immer zu vermeiden. Wie viel
die Optimierungen bisher gekostet
haben, verrät er nicht. Nur so viel: „Es
sind weitere Verbesserungen geplant.
Die Kosten werden den Verursachern
zugeordnet.“
Die Stimmung unter den Mitarbeitern
ist gereizt. An der Infotheke soll es immer wieder zu lautstarken Konflikten
kommen. Von zu wenig Personal berichtet eine Angestellte, auch ausfallende
Elektronik und Beschwerden über Baumängel beschäftigten die Mitarbeiter.
Die UB-Leitung möchte sich dazu nicht
äußern. Die Frage zur Stimmungslage
bleibt unbeantwortet.
„Das offene Raumkonzept funktioniert nur, wenn keiner drin ist“, sagt der
UB-Kenner überspitzt. Hauptproblem
der alten UB sei schlechte Luft gewesen.
Dass das nun wieder Probleme bereite,
sei etwas krank.
Fotos: © tln, Kathrin Eyer
STIMMUNG
IST
GEREIZT
10 CHILLI JUNI 2017
MAI 2014
Die Fassade blendet. Die Uni
spannt Sonnensegel.
JULI 2015
Die UB wird eröffnet. Statt 40
kostet sie 53 Millionen Euro.
JULI 2015
Kurz nach Start bricht der
Steinboden im Eingangsbereich wegen einer schweren
Lieferung. Die UB legt Holzplatten aus und bessert sieben
Monate später nach.
OKTOBER 2015
„Oase der Entschleunigung“
nennt fudder.de die Drehtür
am Haupteingang. Die UB optimiert, die Tür geht schneller.
FEBRUAR 2016
Die 1200 Arbeitsplätze der
UB sind ständig belegt. Rote
Pausenuhren sollen helfen.
MAI 2016
Die Fassade ist undicht. Im
Gebäude stehen Eimer, um
Regenwasser aufzufangen.
JULI 2016
Die schräge Tür beim Café
Libresso ist dauernd defekt. Ihr
Motorantrieb fällt aus. Gegen
den Willen des Architekten
Heinrich Degelo wird sie durch
eine senkrechte ersetzt.
NOVEMBER 2016
Extra 3 kürt Deutschlands irrste
UBs. Freiburg holt das Triple.
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