0 deutsch-digital.de Klassen Aufsatzart Autor Thema copyright Aufsatz 11. Klasse Literarische Charakteristik Martin Hoffmann Hans Christian Andersen: „Der Schatten“ deutsch-digital.de Aufgabenstellung Charakterisiere die Figur des gelehrten Mannes und die seines Schattens. Gehe dabei besonders auf deren jeweilige Beziehung zur Königstochter ein und deute davon ausgehend die Rolle und Funktion der Königstochter im Bezug auf die beiden Figuren. Belege wesentliche Aussagen am Text. Gliederung 1. Kurze Inhaltsangabe des Märchens.......................................................................S. 1 2. Charakteristiken des gelehrten Mannes und des Schattens...................................S. 1 2.1 Der gelehrte Mann...........................................................................................S. 1 2.1.1 Vergleich mit der Philosophie Kants...............................................................S. 1 2.1.2 Entschlüsselung anhand konkreter Aussagen im Text....................................S. 1 2.1.2.1 Forscherdrang..................................................................................................S. 1 2.1.2.2 Naivität............................................................................................................S. 2 2.2 Der Schatten....................................................................................................S. 3 2.2.1 Charakterzüge im Laufe seiner Reisen nach dem Besuch bei der Poesie.......S. 3 2.2.2 Aufzeigen der List im Umgang mit dem Gelehrten........................................S. 3 2.2.3 Charakterliche Ausfaltung am Hof der Königstochter....................................S. 4 3. Deutung.................................................................................................................S. 4 3.1 Rolle und Funktion der Königstochter............................................................S. 5 3.2 Zusammenschluss der drei Charaktere zu einer einzigen Person....................S. 5 4. Ein Märchen für Erwachsene................................................................................S. 5 1 In seinem Kunstmärchen „Der Schatten“ erzählt H.C. Andersen von einem gelehrten Mann, der aus Neugier seinen Schatten losschickt, damit dieser das Haus der Poesie auskundschaftet. Dieser kommt jedoch nicht sofort zu seinem Herren zurück, sondern zieht selbst in der Welt umher und entwickelt eine eigene Persönlichkeit. Durch geschickte und wohldurchdachte Erpressung fördert der Schatten seine gesellschaftliche Stellung und wird ein reiches und angesehenes Individuum. Nach einigen Jahren kehrt er dann zu seinem früheren Herren zurück und fordert ihn auf mit ihm zu reisen. Während des Umherziehens beeinflusst der Schatten seinen ehemaligen Meister zusehends, so dass sich schließlich die Rollen vertauschen und der gelehrte Mann zum Schatten wird. Schließlich heiratet der Schatten eine Königstochter und das Märchen endet damit, dass der Schatten seinen früheren Herren töten lässt, um nicht enttarnt zu werden. „‚Ach,’ sagte der gelehrte Mann, ‚ich schreibe über das Wahre und das Gute und das Schöne; aber kein Mensch macht sich etwas daraus, dergleichen zu hören. Ich bin ganz verzweifelt, denn ich nehme es mir so zu Herzen.’ ‚Das tue ich nie!’ sagte der Schatten, ‚ich werde fett, und danach soll man trachten! Ja, Sie verstehen sich nicht auf die Welt, und Sie werden dabei krank....“ (Z.229-233) Allein dieser Dialog zwischen den beiden Hauptcharakteren zeigt deutlich deren Lebenseinstellung. Mit der Aufgabe, die sich der gelehrte Mann gestellt hat, über „das Wahre und das Gute und das Schöne“ zu schreiben, spiegelt dieser offensichtlich die Philosophie des Aufklärers Immanuel Kant wider, der die drei Gebiete der Schöpferkraft des menschlichen Geistes voneinander differenziert hat: Die wahre mathematische Naturwissenschaft, die gute Ethik und die schöne Ästhetik. (vgl. Phantasie und Wirklichkeit in den „Märchen und Geschichten“ Hans Christian Andersens) Wenn man also die geistige Einstellung des gelehrten Mannes mit der Kants vergleichen kann, zeigt sich ein Forscherdrang voller Vernunft und Rationalität, der aber auch ästhetische und romantische Züge zulässt, wie das Interesse an der Poesie oder die Liebe zur Musik der warmen Länder. Zwar steht nicht sicher fest, ob der Autor mit dieser Formulierung dem gelehrten Mann wirklich Kants Philosophie zuschreiben will, jedoch kann man mit Hilfe weiterer Textstellen diese Annahme festigen. Grundsätzlich ist der junge gelehrte Mann aus den kalten Ländern, wie er hauptsächlich beschrieben wird, wirklich als vielfältig gebildeter Mensch einzuschätzen, was eigentlich erst bei einer Unterhaltung mit der Königstochter in einem der letzten Absätze bewiesen wird: "Und dann ging sie auf den gelehrten Mann an der Tür zu, und sie sprach mit ihm von Sonne und Mond und vom Menschen, dem äußeren und dem inneren Menschen, und er antwortete gar gut und klug.“ (Z. 328-330) Seine Bildung zeigt sich aber auch an anderen Stellen des Textes. So offenbaren beispielsweise die Phantasien über das Haus der Poesie seine literarische und humanistische 2 Bildung: „War es wie in dem frischen Walde? War es wie in einer heiligen Kirche? Waren die Säle wie der sternenklare Himmel, wenn man auf hohen Bergen steht?“ (Z. 186-188), „Aber was sahen Sie? Schritten durch die großen Säle alle Götter der Vorzeit? Kämpften dort die alten Helden, spielten dort süße Kinder und erzählten ihre Träume?“ (Z. 192-194) Doch neben seiner guten Bildung und seinem Interesse als Forscher zeigt der gelehrte Mann eine gewisse Naivität und diese wird ihm mit der Zeit auch zum Verhängnis. In den warmen Ländern und noch im Besitz seines Schattens wird diese Arglosigkeit noch von seinem Forscherdrang verdeckt, mit der Trennung jedoch offenbart sich diese. Zwar zeigt er anfangs durchaus kleine Sorgen: „Was ist das? (...) ich habe ja wirklich keinen Schatten! Also ist er wirklich gestern Abend fort gegangen und nicht wiedergekommen; das ist recht unangenehm!“ (Z. 77-79), aber er kümmert sich nicht um den eigentlichen Verlust seines Schattens, sondern um sein Ansehen in den kalten Ländern. Damit beginnt auch der erste Einfluss des abgesonderten Schattens auf den gelehrten Mann: um nicht als Nachahmer zu gelten, verheimlicht er dessen Existenz. Da nach kurzer Zeit schon ein neuer Schatten nachgewachsen ist, fällt ihm dies in der ersten Zeit auch nicht schwer, was ein weiterer Beleg für seine Sorglosigkeit ist. Nach seiner Rückkehr nutzt der Schatten die Naivität des gelehrten Mannes geschickt und schamlos aus, was später noch ausführlich erörtert werden wird. Die Königstochter betrachtet den gelehrten Mann bis zu seinem Tod als Schatten ihres Geliebten. Wenn sie mit ihm spricht, behandelt sie den Gelehrten jedoch, auf Wunsch des Schattens, wie einen richtigen Menschen. Bis dahin glaubt sich der Gelehrte auch noch als Reisebegleiter seines Schattens und unterhält sich höflich mit der Prinzessin, ohne die wirkliche Identität des Schattens zu verraten. Die eigentliche Bedeutung der Königstochter für sein zukünftiges Leben wird ihm ja erst später bekannt, als er direkt dazu gebracht werden soll als Schatten zu leben. Als seine Naivität am Ende endlich von der Einsicht besiegt wird und er die Prinzessin informieren will, ist die Macht des Schattens schon zu groß. Von einem selbstständigen Menschen wurde der Gelehrte zu einem Sklaven seines eigenen Schattens. Der gelehrte Mann erfährt im Laufe des Märchens scheinbar eine Entwicklung, bei genauerer Betrachtung jedoch folgt er nur stur seiner Grundeinstellung. Für den Verlust der Kontrolle über sein eigenes Leben ist keine Verhaltensveränderung seinerseits verantwortlich, sondern hauptsächlich der Einfluss des Schattens und auch zu einem Teil die Ignoranz seines Umfelds. Er vertritt weiterhin seine Lehre über das Wahre, Gute und Schöne, jedoch kann er kaum noch Interesse damit wecken: „Dem gelehrten Manne ging es gar nicht gut. Sorgen und Plagen verfolgten ihn, und was er über das Wahre und das Gute und das Schöne sprach, war für die meisten wie Rosen für eine Kuh! - er wurde ganz krank zuletzt.“ (Z. 244-246) Im Gegensatz dazu durchläuft der Schatten eindeutig eine große Entwicklung. Anfangs lebt er als getreuer Gefolgsmann seines Herren, ohne sich Gedanken über eine eigenständige Existenz zu 3 machen. Erst mit der Aufforderung seines Herren, sich im gegenüberliegenden Haus umzusehen wird der Schatten selbstständig. Und diese Eigenständigkeit will der Schatten schließlich nicht mehr missen, da er nicht mehr zu seinem Herren zurückkehrt, sondern sein eigenes Leben führen will. Seine einstige Unterdrückung stärkt somit sein Verlangen nach Selbstständigkeit. Erst als Individuum zeigt der Schatten dann eigene Charakterzüge. Mit größter Hinterlistigkeit verschafft er sich im Laufe der Zeit Einfluss und große Macht. Dass er jedoch mit dieser Verschlagenheit solchen Erfolg hat, erfordert auch ein Art Intelligenz. Nur mit durchdachten Plänen kann seine Taktik, die Leute zu erpressen, Wirkung zeigen. Als Ergebnis seiner Machenschaften kann sich der Schatten die besten Kleider leisten, welche neben kostbarstem Schmuck auch ein Professorentitel schmückt: „Und dann rasselte er mit einem ganzen Bund kostbarer Berlocken, die an der Uhr hingen, und steckte seine Hand in die dicke goldene Kette, die er um den Hals trug; nein, wie an allen seinen Fingern die Diamantringe blitzten.“ (Z. 114-116) Er ist von äußerst magerer Statur, dies versteckt er aber geschickt mit seiner Kleidung. Dennoch zieht es ihn, wie er selbst zugibt, zu seinem früheren Herren zurück, den er als eine Art Vater betrachtet: „Sobald Sie meinten, dass ich reif war, allein in die Welt zu gehen, ging ich meinen eigenen Weg.“ (Z. 120-122) Anfangs zeigt der Schatten noch gewissen Respekt und Dankbarkeit gegenüber seinem Meister und will sich sogar freikaufen. Dieser jedoch weist in seiner schon erörterten Unbekümmertheit jegliche Angebote entschieden zurück und fördert damit das Wagnis des Schatten seinen früheren Herren selbst zu unterdrücken, was schon dadurch unterstützt wird, dass er sich seiner Unsterblichkeit bewusst ist: „Ich bin in den allerbrilliantesten Umständen, aber es kam eine Art Sehnsucht über mich, Sie noch einmal zu sehen, ehe Sie sterben, denn Sie müssen ja sterben!“ (Z. 122-124) Mit den Erzählungen über den Ausflug in das Haus der Poesie demonstriert der Schatten schließlich explizit seine Verschlagenheit und vor allem seine ausgeprägte Arroganz. Auf die ersten zwei kurzen Fragen des Gelehrten antwortet der Schatten mit langen geschwollenen Worten, nutzt die anfängliche Verwirrung des gelehrten Mannes aus und überhäuft ihn dabei mit hochmütigen Bemerkungen. Auch zeigt sich hier der erste Beweis seiner Hinterlist: In seiner großen Neugier bejaht der Gelehrte schnell die geschickt platzierte Bitte, die wahre Identität des Schattens geheim zu halten, und bedenkt dabei nicht die Konsequenzen seines Versprechens. Über die wahren Geschehnisse bei der Poesie kann der Schatten eigentlich nichts erzählen, weil er sie ja nicht erlebt hat. Dies will er jedoch nicht zugeben. Stattdessen liefert er nur einen vagen Bericht ab und entgeht allen Fragen des Gelehrten. Der Glauben des Gelehrten, dass er wirklich bei der Poesie zu Gast war, stärkt den Hochmut des Schattens aber enorm. Nach einem weiteren Besuch erkennt der Schatten schließlich die Sorgen, die den Gelehrten plagen, und lädt ihn zu einer Reise ein. Dies ist ein weiteres Beispiel für die Hinterlistigkeit des Schattens. Er nutzt dies als Vorwand seinen alten Herren zum Schatten zu machen. Scheinbar einem stillen Plan folgend 4 gelingt ihm dies ja schließlich auch fast. Bis sie am Bad ankommen, hat der Schatten schon die Kontrolle über den Gelehrten: „Seitdem sagte der Schatten Du zu seinem früheren Herrn. ‚Das ist doch wohl zu toll,’ dachte der, ‚dass ich Sie sagen muss und er sagt Du.’ Doch musste er gute Miene zum bösen Spiel machen.“ Auch die Liebe der Prinzessin basiert nur auf Lügen und nur mit Hilfe des gelehrten Mannes gewinnt der Schatten deren Aufmerksamkeit. Mit wiederum geschickt gewählten Worten gibt er den Gelehrten als seinen Schatten aus und benutzt diesen, um seine eigenen Wissenslücken nicht offenbar werden zu lassen. Einzig das Wissen über das Land, in dem die Königstochter regiert, und sein Können im Tanz kann der Schatten selbst hervorbringen. Gegen Ende des Märchens zeigt sich auch seine wirkliche Intention. Er nutzt die Macht der Prinzessin aus, um den einzigen Zeugen seiner eigentlichen Identität zu töten. Dies offenbart auch die Funktion der Königstochter. Die Möglichkeit eine Prinzessin zu heiraten führt den Schatten an die Spitze seiner Machtgier. Dabei ist der gelehrte Mann der einzige Schwachpunkt im Netz der Lügen, da nur er sein wahres Wesen kennt. Deshalb hat der Schatten es sich zum Ziel gesetzt seinen alten Herren mundtot zu machen. Erst versucht er ihn zu seinem eigenen Schatten zu machen; als ihm dies schließlich misslingt, ist der einzige Ausweg für ihn der Tod des Gelehrten. Wegen des schon angesprochenen gewissen Respekts vor dem früheren Meister ist es ihm jedoch nicht möglich ihn selbst zu umzubringen. Dies ist auch das letzte Hindernis zur absoluten Machtergreifung des Schattens. Diese Lücke wird durch die Königstochter geschlossen, indem sie ihrem zukünftigen Mann die Befehlsgewalt über ihre Wachen erteilt. Somit zeigen sich zwei Funktionen der Rolle der Königstochter im Märchen: Sie erweckt den unermesslichen Machtwahn des Schattens und fungiert als endgültiger Dolchstoß für den gelehrten Mann aus den kalten Ländern. Steigt man mit diesen Ergebnissen eine Interpretationsstufe tiefer in die Geschichte, so kristallisiert sich heraus, dass alle drei Charaktere sich zu einer einzigen Person vereinen. Der gelehrte Mann spiegelt dabei den rationalen Geist mit den schon angesprochenen gewissen naiven Zügen wider, der kaum Erheiterungen erlaubt. Der Schatten dagegen repräsentiert die egozentrische Seite der Person, die das Leben einfach nur in vollen Zügen genießen will, auch wenn dazu eine bestimmte Verschlagenheit von Nöten ist: „ich werde fett, und danach soll man trachten!“ (Z. 232). Die Rolle der Königstochter ergänzt schließlich zur Rationalität und Lebensfreude eine noch fehlende Gesinnung: Die Machtgier. Mit diesen drei Wesenszügen ausgestattet durchläuft die Person eine drastische Entwicklung. Bevor die Lebensfreude durch den Besuch bei der Poesie geweckt wird, hat die Person nur den rationalen Geist verkörpert. Durch das schon angesprochene Desinteresse des Umfelds und der fehlenden Heiterkeit wird dieser Wesenszug dann von der lebensfrohen, 5 egozentrischen Seite übertroffen. Die Rationalität ist in dieser Entwicklungsstufe nur noch der Schatten des leichtlebigen Geistes. Die Prinzessin leitet schließlich den letzten Entwicklungsschritt ein. Die Machtgier veranlasst die Person sich völlig von der rationalen Gesinnung zu trennen, welche die Ausübung uneingeschränkter Macht und Kontrolle bisher noch unterdrückte. „Der Schatten“ von H.C. Andersen lässt mit Sicherheit noch etliche andere Interpretationsansätze mehr zu, doch welche Lehre genau aus dem Märchen zu schließen ist, ist wohl dem Leser immer selbst überlassen. Gerade dies ist ja das wesentliche Merkmal eines Märchens, welches, wie man sieht, nicht nur in der Kinderwelt einen Anlass zum Nachdenken geben kann. Literaturangaben Berendsohn, Walter A.: Phantasie und Wirklichkeit in den „Märchen und Geschichten“ Hans Christian Andersens, Struktur- und Stilstudien. Walluf bei Wiesbaden 1973