Peking - Kein El Dorado - Architektur - art-magazin.de

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OLE SCHEEREN
zu verändern, muss man auch willens sein, sich selbst zu verändern. Es
PEKING
geht darum, tatsächlich in einen Dialog mit seinem Umfeld zu treten.
China gilt als El Dorado für Architekten. Doch die Praxis ist oft
ernüchternd. Werden Sie von Kollegen gefragt, wie es
funktioniert?
Ich habe die Entscheidung getroffen, hier in China zu sein. In diesem
Sinne setze ich mich ernsthaft mit dem Kontext auseinander. Ich lebe mit
dem, woran ich arbeite. Das ist ein großer Unterschied zu denen, die
weit weg sind und sich in der Sicherheit ihrer gewohnten Verhältnisse
wiegen. Aus dieser Festlegung heraus werden bestimmte Dinge getan,
die mal besser, mal schlechter funktionieren. Für manche funktioniert
das gut, für die meisten funktioniert das nicht so gut – da entstehen
Konflikte und Reibungspunkte zwischen den unterschiedlichen Kulturen.
Wenn man die Dinge so tut, dass man wirklich persönlich involviert ist,
dann ist das ein Vorteil.
Außenansicht des Neubaus des chinesischen Staatsfernsehens CCTV in Peking: Zehn
Monate nach dem Großfeuer in dem Neubau beginnt die Schlussphase zur Fertigstellung
(Adrian Bradshaw/dpa)
KEIN EL DORADO
In keinem Land der Erde wird zur Zeit so viel gebaut wie in China.
Der deutsche Architekt Ole Scheeren lebt seit 2004 dort und
spricht über die Arbeit eines Architekten in dem totalitären Land:
"Um seine Umgebung zu verändern, muss man auch willens sein,
sich selbst zu verändern"
// KITO NEDO, PEKING
Im totalitären China Geschäfte machen und arbeiten oder nicht? Diese
Frage war schon lange vor Ai Weiweis Verschwinden kontrovers.
Während das deutsche Feuilleton diskutiert, haben sich die meisten
internationalen Architekten fürs Bauen in China entschieden. Kaum einer
von ihnen kennt das Land so gut wie Ole Scheeren, der für Rem
Koolhaas` Büro OMA den Bau des chinesischen Staatsfernsehens CCTV
leitete. art-Korrespondent Kito Nedo sprach mit ihm in Peking.
Herr Scheeren, Sie sind 2004 nach China gezogen, um als Partner
des Büros OMA den Bau der Sendezentrale des chinesischen
Staatsfernsehens CCTV zu leiten – warum?
Der Gedanke an ein Projekt wie CCTV – an einer neuen Fernsehstation
für China zu arbeiten – war verlockend, weil es nicht nur um eine
technische Einrichtung, sondern um ein Symbol für ein neues China ging.
Das Olympiajahr 2008 war ein Jahr der Parade-Architekturen:
Norman Fosters Flughafenterminal, das Vogelnest-Stadion von
Herzog & de Meuron oder das Opernhaus des Franzosen Paul
Andreu – wann kommen die ersten chinesischen StarArchitekten?
Die Phase des Transfers westlichen Designs ist noch nicht abgeschlossen.
Aber natürlich würde ich mir wünschen, dass die Kollaborationen stärker
werden. Mit CCTV haben wir sehr ernsthaft versucht, das Projekt nicht
einfach nur als einen Export, sondern als einen Dialog zwischen
westlichem Denken und chinesischem Denken zu gestalten. Es gibt eine
immer stärker werdende Gruppe interessanter chinesischer Architekten.
Es entsteht ein großes Selbstbewusstsein, und viele Dinge werden
zukünftig sicherlich verstärkt lokal oder national realisiert werden.
Dennoch wird es weiterhin einen großen Spielraum für Zusammenarbeit
geben.
Sie haben Asien als das kommende kreative Zentrum benannt –
wann werden chinesische Architekten im Westen große
Wettbewerbe gewinnen und dort auch bauen?
Das wird in unterschiedlichen Geschwindigkeiten passieren. Die ersten
Anfänge dieser Entwicklung haben bereits stattgefunden oder stehen
kurz bevor. Ein Beispiel ist das junge chinesische Büro MAD, das bereits
2006 einen Wettbewerb für Wohntürme im kanadischen Mississauga
gewonnen hat. Da beginnt ein Richtungswechsel.
Aber?
Es wird andererseits noch sicher einige Zeit dauern, bis in der hiesigen
zeitgenössischen Architektur eine Form der kritischen Reife eintritt. Die
Schaffung eines kritisch-kreativen Bewusstseins ist die große Aufgabe,
die ansteht. In einem Kontext der euphorischen Massenproduktion und
des schnellen medialen Starkults steht das kritische Denken nicht immer
an erster Stelle oder es wird ihm nicht genügend Zeit gegeben und Wert
beigemessen.
Inwiefern?
Mit dem Beitritt Chinas zur World Trade Organization im Dezember 2001
hatte das Land die erste offizielle Anerkennung als World Player erreicht.
Kurz zuvor bekam Peking die Ausrichtung der Olympischen Spiele
zugesprochen. Damit war eine neue Ära für das Land angebrochen.
Dieser Vorwärtsschub war extrem. Das Projekt, so wie es in der Stadt
positioniert ist, im Central Business District, dem Zentrum des neuen
Pekings, ist ein Manifest dieses neuen chinesischen Zeitalters.
Sie haben mal gesagt, dass das Leben in China ein dialektisches
Verhältnis zum Umfeld und zum Selbst fordert. Was bedeutet das
konkret für die Arbeit als Architekt?
Man kann nicht hierher kommen und darauf bestehen, dass die Dinge
jetzt so laufen sollen, wie man sich das für sich denkt oder aus seinen
alten Zusammenhängen heraus für richtig befindet. Um seine Umgebung
Welche Unterschiede gibt es zur Arbeit in Deutschland?
Wenn man in China arbeitet, ist etwa Maßstäblichkeit etwas völlig
anderes. Alle damit verbundenen Fragen beginnen und enden mit der
Größe der Bevölkerung, derzeit rund 1,3 Milliarden Menschen. Diese
wiederaufzubauen, steht die originale Planung zur Verfügung. Insgesamt
hat sich das Gesamtprojekt um anderthalb Jahre verzögert. Das
Hauptgebäude steht gerade vor der Fertigstellung der letzten Teile des
Innenausbaus. Dann folgt die Installation der Fernsehtechnik.
Maßstäblichkeit ist ungeheuerlich: im Wirtschaftswachstum, auch die
Wann denken Sie, wird das Gebäude tatsächlich in Betrieb
Größe der existierenden Städte. Allein wenn ich aus dem Fenster meines
genommen?
Büros schaue, dann sehe ich drei Lagen von acht- bis zwölfspurigen
Straßen, die einfach eine innerstädtische Stadtkreuzung darstellen. In
Deutschland klingt das wie eine Horrorvision und wird moralisch
betrachtet. In Peking hingegen ist das eine ganz unprätentiöse Realität.
Wie ordnen sich Projekte wie CCTV in das allgemeine
Baugeschehen ein? Welche Rolle spielen Privatinvestoren in der
hiesigen Architektur?
Sicherlich waren CCTV und die Olympia-Bauten Sonderprojekte, die so
nicht von der Privatwirtschaft, und mittlerweile vielleicht auch nicht mehr
von staatlicher Seite realisierbar wären. Das hatte etwas mit einem
Es wird in den meisten Bereichen noch dieses Jahr geschehen. Anfang
2012 sollte das Gebäude voll in Funktion sein und eröffnet werden. Man
wird in Lage sein, von dieser Einrichtung 250 Kanäle gleichzeitig
auszustrahlen. Aber an dem Zeitpunkt, an dem „alles fertig“ ist, ist
sicherlich schon wieder der erste Umbau im Gange. Ein Gebäude einer
solchen Größenordnung wird nie als eine völlig abgeschlossene, stabile
Einheit funktionieren und eine so große Organisation wie CCTV entwickelt
sich dynamisch weiter. Das war auch Teil der Entwurfsarbeit, einen
Großteil des Gebäudes so zu gestalten, dass er flexibel und veränderbar
ist.
historischen Moment zu tun. Davon abgesehen kann man nicht immer
Sind sie noch in das Projekt involviert?
eine so klare Trennlinie zwischen staatlicher Seite und privater Seite in
Nein. Die Entwurfsarbeiten sind abgeschlossen. Sie waren schon zu dem
China ziehen. Es gibt sehr viele Privatinvestoren und Projektentwickler,
die ambitioniert arbeiten. Die bauen natürlich auf bestimmten
ökonomischen Prinzipien auf. Aber es gibt einige, die eine Vision haben,
die weit über das rein Ökonomische hinausgeht, auch weiter, als das im
Zeitpunkt beendet, an dem ich OMA verlassen habe.
Wie kam es zum Ausscheiden bei OMA und zur Gründung Ihres
eigenen Büros – Büro Ole Scheeren – gemeinsam mit ihrem
Westen oft der Fall ist. Es gibt den Mut zur Neuerung. Natürlich bleibt die
Partner Eric Chang im Herbst 2010?
Masse aber auch die Masse. Es ist ja gut, dass eine Stadt als eine
Bei OMA hatte ich eine hervorragende Zeit, es gab keine Zerwürfnisse.
Mischung aus eher Generischem, Unauffälligem und einigen wenigen
Für mich hat sich aber irgendwann die Frage gestellt, wie ich mir die
auffälligen Dingen existiert. In einer Stadt zu leben, in der jedes
nächsten fünfzehn bis zwanzig Jahre vorstelle. Als ich 1995 zu OMA kam,
Gebäude etwas ganz Besonderes ist, das wäre unerträglich.
war das ein kleines Büro mit 30 Leuten – jetzt arbeiten da 200 bis 300
Haben sich die großen architektonischen Ambitionen in China im
Architekten. Ich wollte einfach in einem persönlicherem und fokussierten
Moment erschöpft?
Zusammenhang arbeiten, wie jetzt in unserem neuen Büro. Wir sind
Interessanterweise hat sich die Ambition gar nicht erschöpft. Anfang
weden als 50 Architekten.
2008 gab es Spekulationen darüber, was denn nach den Olympischen
Spielen passiert. Werden wir alle in einer Stadt voller leerer Gebäude
aufwachen? Das ist nicht passiert. Auch das Bauen hat nicht aufgehört.
Es gab einen kurzen politischen Baustopp kurz vor und während der
Olympischen Spiele, um den Schmutz zu bändigen. Für die Gegend um
das CCTV gab es gerade einen großen Wettbewerb mit über 30 Parzellen,
jetzt rund um die 25 Leute und unser Büro sollte eigentlich nicht grösser
Bei Ihrer Arbeit mit OMA ging es ja immer um die Funktion eines
Gebäudes, die Inhalte, aus denen dann ein Form entwickelt
wurde. Welche Idee hätten Sie für das kürzlich wiedereröffnete
Nationalmuseum am Tian'anmen-Platz gehabt, das nun Ihr
Hamburger Kollege Meinhard von Gerkan umgebaut hat?
um in diesem Stadtgebiet die Zahl der Wolkenkratzer noch einmal zu
Das Umbau-Projekt für das chinesische Nationalmuseum hatte zwei
verdoppeln.
inhaltlich wichtige Komponenten. Die eine Frage war die der Bedeutung
Und jenseits von Peking?
Es sind vor allem die „zweiten“ und „dritten“ Städte in China, die immer
aktiver werden. Auch dort werden neue Zentren gebaut, von der
Verwaltung neue Schaustücke hingestellt. Dort herrscht auch ein
ungeheures Wachstum. Der Großteil der chinesischen Bevölkerung lebt
eben nicht in den beiden Zentren Peking und Shanghai, sondern in den
des Ortes: Wie kann man eine architektonische Intervention in einem
solchen Kontext gestalten? Dieser Kontext ist ja eine hochinteressante
Mischung zwischen ungeheurer Stärke, der vorherrschenden
Monumentalität und Symbolik des Ortes und der Problematik, die eben
gleichzeitig aus genau dieser Konstellation hervorgeht.
Und die zweite Frage?
hundert Zentren, den vielen anderen und wenig bekannten
Wie kann man die Vielschichtigkeit und Gegensätzlichkeit dieser von
Millionenstädten.
Brüchen durchzogenen chinesischen Geschichte in einem Gebäude
Zum CCTV gehört das eigenständige TVCC, ein Kulturzentrum und
Hotelkomplex, der bei einem Brand vor zwei Jahren zerstört
wurde. Warum ist es schwierig, den Rohbau zu renovieren und zu
vollenden?
Die Reparaturarbeiten am TVCC sind jetzt seit einigen Monaten in vollem
Gange. Das hat allerdings seine Zeit gedauert. Diese Tragödie hat große
Teile des Projektteams auf der Bauherrenseite durcheinander gebracht.
Einige Leute sind dafür ins Gefängnis gegangen. Der Brand wurde ja von
einem Feuerwrk ausgelöst, das der Bauherr selbst organisiert hatte.
Wie geht es weiter?
Im Moment werden die abgebrannten Teile der Fassade abgetragen, die
Baustruktur, die Substanz des Gebäudes selbst ist vom Feuer nicht
beschädigt worden. Also wird eine neue Fassade aufgesetzt und der
Innenausbau wieder hergestellt. Da entschieden wurde, das Projekt
getreu dem ursprünglichen Entwurf von Rem Koolhaas und mir
aufnehmen, das bereits Teil dieser Geschichte ist? Die Sammlung des
Museums ist inhaltlich in zwei Teile aufgeteilt: Die “Historie” und die
Revolution und die Zeit des Kommunismus. Und ist in solch einem
Gebäude denkbar, auch das zu integrieren was in Zukunft noch passieren
wird? Ich bin mir nicht sicher, ob diese Fragen als wirkliche Themen in
dem jetzt realisierten Projekt zum Ausdruck kommen.
Ole Scheeren, 40, studierte in Lausanne und Karlsruhe Architektur.
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