Manuskript Notizbuch - Bayerischer Rundfunk

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Manuskript
Notizbuch
Titel
Nah dran: Leichte Sprache
AutorIn:
Eva Völker
Redaktion:
Ulrike Hagen, Notizbuch
Sendedatum:
29.08.2016
Sendezeit | Programm:
10.05-12.00 Uhr | Bayern 2
ID/Prod.-Nr.:
Produktion:
Arbeitstage:
Mitwirkende:
Beitragslänge:
Musik:
Wortmeldung:
Moderation/Infos:
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Seite 1
BEITRAG
Musik Reinhard Mey
Einen Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars,
Zur Bestätigung der Nichtigkeit des Durchschriftexemplars,
Dessen Gültigkeitsvermerk von der Bezugsbehörde stammt
Zum Behuf der Vorlage beim zuständ‘gen Erteilungsamt.
Mod.: Behördendeutsch. Es bereitet vielen Menschen Kopfzerbrechen. Es ist
schwer verständlich, ganz gleich ob man Lernschwierigkeiten hat oder nicht.
Solchen Sprachbarrieren hat der Landkreis Fürstenfeldbruck vor knapp einem
Jahr den Kampf angesagt. Und hat zuallererst selbst ein schönes Beispiel
dafür geliefert, wie bitter nötig das ist. Der Landkreis titelte:
Take 1 Zitat 1
"Einladung zur Veranstaltung für die Erstellung eines Aktionsplans für den
Landkreis Fürstenfeldbruck zur Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention"
Mod.: Amtsdeutsch vom Feinsten. Dabei sollte es bei der Veranstaltung
eigentlich darum gehen, Sprachbarrieren auch für Menschen mit
Lernbehinderung abzubauen, also auch Behördensprache zu vereinfachen.
Und die ist oft genug immer noch unnötig kompliziert. So ist in amtlichen
Schreiben schon mal von „wirtschaftlicher Dauerleistung“ die Rede. Dabei
könnte man einfach „Rente“ sagen. Statt des sperrigen Begriffs
„Rechtsmittelbelehrung“ könnte man schreiben: „Das sind Ihre Rechte“. Dass
es nicht immer kompliziert sein muss, hat Thomas Krüger, Präsident der
Bundeszentrale für Politische Bildung bewiesen. Er hielt eine Rede, in der er für
die Europa-Wahl 2014 warb. Und die war ganz anders als viele Dinge, die
sonst so über die Europäische Union gesagt oder geschrieben werden,
durchaus verständlich:
Take 2 Zitat 2
Sehr geehrte Damen und Herren, Europa geht uns alle an.
Was die Europäische Union entscheidet, hat eine Wirkung auf uns alle.
In vielen Bereichen. Zum Beispiel, wenn wir atmen. Wenn wir Wasser trinken.
Wenn wir arbeiten. Wenn wir einkaufen. Wenn wir mit Euro bezahlen. Und
sicher sein können, dass wir damit auch etwas kaufen können. Wenn wir
verreisen. Vieles, was Teil unseres Alltags ist, wird von der Europäischen Union
geregelt. Durch Vorschriften und Gesetze. Und weil die Europäische Union eine
so große Wirkung auf unser Leben hat, sollen alle Menschen darüber Bescheid
wissen. Sie sollen mitreden können. Und mitentscheiden. Sie entscheiden,
wenn sie einer Partei ihre Stimme geben. Bei der Wahl.
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Seite 2
Mod.: Thomas Krüger stellt in der Rede eine Broschüre vor, in der die
Bundeszentrale für politische Bildung die Europawahl in Leichter Sprache
erklärt. Leichte Sprache hat zum Ziel, für möglichst viele Menschen
verständlich zu sein, auch zum Beispiel für Menschen mit
Lernschwierigkeiten. Anne Leichtfuß übersetzt Texte in Leichte Sprache.
Dabei, sagt sie, sind bestimmte Regeln zu beachten:
„Die wichtigste Regel ist vielleicht, dass ich immer nur eine Information in
einen Satz packe. D. h. wenn ich lange komplizierte Schachtelsätze habe,
nehme ich sie auseinander, mache vier oder fünf Sätze draus. Aber der Inhalt
des Gesagten bleibt derselbe.“
Mod.: Kurze Sätze, Subjekt, Prädikat, Objekt, keine Fremdwörter, kein
Genitiv. Das sind die wesentlichen Merkmale der Leichten Sprache. In
Schweden griff die Nationale Bildungsbehörde das Konzept bereits 1968 auf.
In Deutschland wurde die Leichte Sprache zunächst von Menschen mit
Lernschwierigkeiten entwickelt, die sich im Netzwerk Leichte Sprache
zusammengeschlossen haben. Seit die UN-Behindertenrechtskonvention
2009 in Deutschland in Kraft trat, hat das Thema im Lauf der Jahre mehr und
mehr Beachtung erlangt. Die Konvention fordert nicht nur einen leichteren
Zugang zu öffentlichen Gebäuden für Rollstuhlfahrer, sondern auch einen
besseren Zugang zu Informationen für Menschen mit Lernbehinderung. Dies
umzusetzen, ist auch das Ziel von Capito, einem Unternehmen, das Texte in
Leichter Sprache verfasst. Zunächst wird der Text in Leichte Sprache
übersetzt. Ehe er an die Kunden geht, prüfen Menschen mit
Lernschwierigkeiten, ob er auch wirklich verständlich ist.
Take 4 Schneider
Schneider-10 Grüß Euch, Ihr seid ja schon alte Hasen. Was machen wir heute?
Wir haben hier einen Text, der schon in Leichte Sprache übersetzt wurde. Wir
lesen den. Ihr seid die Experten. Wenn wir unsere Arbeit gut gemacht haben,
müsstet ihr den Text verstehen. Ihr helft uns, macht mich aufmerksam, wenn
was unklar ist. Dann versuchen wir das besser zu formulieren. Ihr könnt nix
falsch machen. Wir lesen den Text gemeinsam.
Mod.: Helmut Schneider vom Berufsbildungswerk Rummelsberg in der
mittelfränkischen Gemeinde Schwarzenbruck moderiert die Überprüfung des
Textes. Sie ist Teil des TÜV-zertifizierten Übersetzungsprozesses von Capito.
Der schreibt vor, dass ein Text von mindestens drei Menschen mit
Lernschwierigkeiten auf Verständlichkeit überprüft werden muss. Schneider hat
unter den Auszubildenden des Berufsbildungswerks vier junge Leute
ausgewählt. Er erklärt kurz, worum es geht: eine Broschüre über die
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Seite 3
Geschichte von Herzogsägmühle, einer sozialen Einrichtung der Diakonie. Eine
der Prüferinnen, Loredana, liest eine Passage vor:
Take 5 Loredana u. a.
An Beispielen aus der Geschichte können wir sehen: Wie geht die Gesellschaft
mit Menschen um, die besondere Bedürfnisse haben?
Gut. Wie geht die Gesellschaft mit Menschen um, die besondere Bedürfnisse
haben? – Dass sie die vielleicht helfen, dass sie Hilfe brauchen zum Anziehen,
aufs Klo gehen. Wenn sie Schwierigkeiten haben, sich fortzubewegen. Oder
ja… Mhm.
Studio:
Stück für Stück arbeiten sich Loredana, Monique, Stefan und
Dilsa (sprich: Dilscha) durch den Text. Die vier sind ganz bei der Sache. Sie
haben schon häufiger Texte in Leichter Sprache überprüft:
Take 6 Stefan und Loredana
Stefan-1 (…) Es macht mir auch sehr Spaß. Ich finde es sehr interessant, man
kann viel lernen (…) - Es ist nicht einfach. Aber wenn man sich für solche
Sachen interessiert, weiß man viel, lernt man viel. Das macht mir viel Spaß.
Loredana-1 Ich mache das ganz gerne, es ist sehr interessant, sowas zu
erleben, ich verstehe das schon. Herr Schneider fragt uns, ob wir das auch
verstanden haben, ich finde es echt cool, mir macht‘s auch richtig Spaß.
Mod.: Im Alltag begegnet Stefan immer wieder Texten, die leider alles andere
als verständlich sind:
Take 7 Stefan
Für mich ist es wichtig, gewisse Formulare von der Bank, verständlicher und
einfacher zu machen.
Mod.: Nicht nur Menschen mit Lernschwierigkeiten haben Probleme mit
Formularen von Banken oder Schreiben von Versicherungen. Die strotzen
häufig von Fachchinesisch: Rückkaufswerte, Überschussbeteiligungen,
Dynamisierung. Der Bund der Versicherten fordert schon seit langem eine
verständlichere Sprache, die Ottonormalverbraucher auch wirklich verstehen
kann. Darüber hinaus kritisiert er, dass sich Kunden oft mit komplizierten
Klauseln herumschlagen müssen, wenn sie einen Schaden erlitten haben. Frei
nach Konfuzius könnte man sagen: Die ganze Kunst der Versicherung besteht
darin, nicht verstanden zu werden.
Atmo 1 Gong
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Mod.: Dabei lautet das Zitat, das dem chinesischen Philosophen Konfuzius
zugeschrieben wird:
Take 8 Zitat 3
Die ganze Kunst der Sprache besteht darin, verstanden zu werden.
Atmo 1 Gong nochmal
Mod.: Dieses Zitat hat Anne Leichtfuß für ihre Homepage ausgesucht, auf der
sie ihre Übersetzungsdienste für Leichte Sprache anbietet. Sie überträgt
Texte nicht nur schriftlich, sondern sie dolmetscht auch Vorträge und
Veranstaltungen. Zum Beispiel bei einer Konferenz, die kürzlich im Rahmen
eines Theaterfestivals in Berlin stattfand. Die Moderatorin stellte sie zu Beginn
dem Publikum vor:
Take 8b Mitschnitt No Limits
Guten Morgen, mein Name ist Yvonne Schmitt. Schön, dass Sie alle hier sind.
Wir haben zwei Übersetzerinnen, Anne Leichtfuß und Barbara Wiebki. Anne
übersetzt alle Präsentationen in Leichte Sprache.
Mod.: Alle Teilnehmer konnten sich einen kleinen Empfänger mit Kopfhörer
ausleihen, auf dem sie Kanal 1 für Leichte Sprache auf Deutsch oder Kanal 2
für Englisch einstellen konnten. Anne Leichtfuß sitzt in der hintersten Reihe
des Konferenzraums mit einem Mikrofon, das per Funk mit den Empfängern
der Teilnehmer verbunden ist. Sie folgt den Vorträgen und dolmetscht
simultan in die Leichte Sprache. Gerade geht es um das Stück „Dschinghis
Khan“ des freien Theaters Monster Truck:
Take 9 Leichtfuß
Wir haben uns auf der Bühne mit einem Thema beschäftigt. Das Thema war
Völkerschau. Dort werden Menschen ausgestellt. Menschen aus anderen
Kulturen. Hier kann man ein Foto sehen. Es ist ein Foto aus dem Stück
Dschingis Khan. Die Schauspieler haben Perücken auf. So kann man sehen,
sie spielen Mongolen. Hier sieht man den Schauspieler Johnny. Er hat
mongolische Kleidung an. …
Mod.: Damian Bright aus dem schweizerischen St. Gallen hat der
Übersetzung von Anne Leichtfuß gelauscht:
Take 10 Damian Bright
Ich finde das sehr hilfreich, für Leute, die nicht so gut verstehen, ist es gut, dass
das in der Leichten Sprache ist. Das ist langsamer, aber klarer. Das finde ich
schön.
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Seite 5
Mod.: Anne Leichtfuß ist nach unseren Recherchen die bislang einzige
Expertin für Leichte Sprache bundesweit, die simultan dolmetscht. Bei
Fachvorträgen überlegt sie sich vorher gut verständliche Erklärungen für
schwierige Wörter.
Take 11 Leichtfuß
L4 (…) und versuche schon auch die Struktur des Textes aufzulösen. Am Ende
komme ich mit dem Redner 1:1 raus, kann aber zwischendrin stark abweichen,
ich lasse Floskeln weg, mache dafür einen Exkurs zum Erklären. Das klappt
ganz gut meistens.
Mod.: Damit unterscheidet sich die Arbeit von Anne Leichtfuß gar nicht so
sehr von der eines klassischen Konferenzdolmetschers, der zum Beispiel
einen deutschen Vortrag ins Englische, Französische oder Spanische
übersetzt. Denn auch er dolmetscht nicht Wort für Wort, sondern überträgt
Sinneinheiten in eine andere Sprache. Während man sich zum
Konferenzdolmetscher für Fremdsprachen an einer Universität ausbilden
lassen kann, gibt es fürs Dolmetschen in Leichte Sprache keinen festen Weg.
Anne Leichtfuß hat es sich selbst beigebracht:
Take 12 Leichtfuß
L8-2 (…) Ich habe geübt, z. B. die Fernsehnachrichten gedolmetscht. Das sind
kurze Infoeinheiten, das Sprechtempo ist auch okay. So habe ich angefangen,
das zu trainieren.
Atmo 2Tagesschau Fanfare
Take 13 Leichtfuß
L8-1 Geholfen hat mir vor allem meine Vorerfahrung, ich arbeite für Ohrenkuss,
eine Zeitschrift, die von Menschen mit Down Syndrom gemacht wird. Und da
bin ich oft in eins-zu-eins-Arbeitssituationen mit Menschen mit Down Syndrom
und da habe ich ein ganz gutes Gefühl entwickelt, wo braucht es eine Erklärung
mehr oder eine Wiederholung und dann habe ich ganz praktisch geübt.
Mod.: Die Idee, simultan in die Leichte Sprache zu dolmetschen, stammte
ursprünglich nicht von Anne Leichtfuß:
Take 14 Leichtfuß
L16 (…) Sondern Festivalorganisatoren suchten jemanden, der dolmetscht. Sie
haben mich gefragt, gesagt es sei ein Experiment, wir wollten es gemeinsam
ausprobieren. Ich habe zugesagt, dann aber doch kalte Füße bekommen, aber
vorher geübt. Dann bin ich nach Berlin gekommen und habe bei einem
Symposium simultan übersetzt. Ich fand es toll, spannend, nach dem halben
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Kongresstag hat ein Mensch mit Lernschwierigkeiten mit der Stoppuhr auf der
Bühne gesessen und zusammengefasst, was gesagt wurde, auch
weitergesponnen. So hatte ich eine Rückmeldung, dass er das, was ich
übersetzt habe, auch in den Nuancen verstanden hat.
Mod.: Bei wissenschaftlichen Fachvorträgen komme es vor, sagt sie, dass
zwei Drittel der Konferenzteilnehmer die Kopfhörer aufsetzten, um ihr
zuzuhören:
Take 15 Leichtfuß
L21 Ganz oft habe ich Leute auf meinem Kanal, die nicht zur Zielgruppe für
Leichte Sprache gehören. Sie wollen einfach wissen, wie das funktioniert. Oft
bekomme ich die Rückmeldung, es war entspannt zuzuhören, es wäre schön,
wenn Vorträge ohnehin verständlicher formuliert wären.
Mod.: Je fachsprachlicher die Originaltexte, desto anspruchsvoller die
Herausforderung für Anne Leichtfuß:
Take 16 Leichtfuß
L6 Das ist ne Gratwanderung, ich muss in jedes Thema, was ich bearbeite,
sehr tief einsteigen, damit ich den Inhalt hinkriege ohne zu verfälschen, das
muss man lernen, das muss man ausprobieren, es gibt Texte, da ist es
schwieriger, bei anderen ist es leichter.
Mod.: Doch für hochwissenschaftliche Fachvorträge wird Anne Leichtfuß eher
selten angefragt. Meist geht es um gesellschaftliche Teilhabe für Menschen
mit Lernschwierigkeiten, aber auch um kirchliche und kulturelle Themen. Vor
kurzem aber hatte Anne Leichtfuß einen Auftrag, bei dem es um eine ganz
konkrete Entscheidung ging. Nämlich, ob das Theater Hora aus Zürich, bei
dem auch Schauspieler mit Behinderung mitwirken, eine Gastpieleinladung
nach Kairo und Beirut annehmen sollte. Einige Ensemblemitglieder und
Angehörige hatten Bedenken wegen der heiklen Sicherheitslage in der
Region:
Take 17 Leichtfuß
L35 (…) Anlass der Veranstaltung war, dass die Veranstalter sichergehen
wollten, dass in der Diskussion alle befähigt sind, eine Entscheidung zu treffen,
ob sie fahren sollen oder nicht. Die Schauspieler wurden eingeladen, die
Betreuungspersonen, die Veranstalter waren auch da. Es war eine große
Verantwortung, das so zu transportieren, dass jeder in der Lage ist, eine
Entscheidung zu treffen.
Mod.: Menschen mit Lernschwierigkeiten sollen mitdiskutieren und
mitentscheiden können. Sie dazu zu befähigen, ist ein Ziel, das Leichte
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Sprache verfolgt. Die Koordinatorin von Capito Nordbayern, Stephanie Stöckl,
ergänzt:
Take 18 Stöckl
S15 Wir möchten mit Hilfe von Texten in Leichter Sprache den Menschen
Zugang zu Informationen, d. h. wir wollen sie in die Lage versetzen, sich die
Informationen selbst zu holen, nicht mit Hilfe von anderen.
Mod.: Loredana, Dilsa, Monique und Stefan, die jungen Leute vom
Berufsbildungswerk Rummelsberg und Helmut Schneider sind weiterhin
fleißig dabei, den Text über Herzogsägmühle zu überprüfen:
Atmo 3 Atmo Schneider mit Rascheln
Schneider-14 Dann schauen wir uns die 2. Seite an. Papierrascheln.
Mod.: Im Text kommt das Wort „Jungkolonie“ vor. Helmut Schneider, will
wissen, ob die Erklärung verständlich ist:
Take 19 Schneider
Schneider-16 (…) Was ist jetzt diese Jungkolonie? Monique. Ich würde sagen,
das sind ähm, mit jungen Leuten, so ein Verein. - Die Jungkolonie ist ein
Verein. Was ist die Jungkolonie, was steht im Text?
Loredana-7 Das ist der Name von dem alten Haus, das habe ich gerade
gelesen, es ist der Name von dem alten Haus. Ich sehe das auch so, das ist
der Name, dann sollte man das auch so hinschreiben. Die Jungkolonie ist der
Name eines alten Hauses im Dorf. Dann weiß man’s.
Mod.: Zur Zeit sind es meistens Informations- oder Gebrauchstexte, die in die
leichte Sprache übersetzt und dann überprüft werden. Es gibt auch
Fußballregeln, Bibelgeschichten und Nachrichten in Leichter Sprache. Aber in
einem Bereich sieht Monique auf jeden Fall noch Nachholbedarf:
Take 20 Monique
M2 Für die Jugendlichen auch, (…) Krimis und Fantasy. Es wäre schon, wenn
es das auch in Leichter Sprache gäbe.
Mod.: Bislang gibt es nur einen Verlag, der Bücher zwar nicht in Leichter,
aber in Einfacher Sprache herausbringt. Einfache Sprache folgt keinem festen
Regelwerk und ist etwas komplexer als Leichte Sprache. Der Verlag heißt
„Spaß am Lesen“. Er hat sowohl Klassiker im Programm wie Shakespeares
„Romeo und Julia“ als auch Bestseller wie das Roadmovie „Tschick“ von
Wolfgang Herrndorf, in dem sich zwei Jugendliche in einem alten klapprigen
Lada auf die Suche nach der Walachei machen. Die Version in Einfacher
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Sprache ist gegenüber dem wunderbaren Original stark verkürzt, aber leicht
verständlich und trotzdem sprachlich ästhetisch:
Take 21Zitat 4 Tschick
Wir fuhren geradewegs raus aus Berlin.
Fuhren durch Vororte, über abgelegene Wege und einsame Landstraßen.
Es war das Schönste und Seltsamste, was ich je erlebt hatte.
Fahren ohne Erwachsene.
Es war eine ganz andere Welt.
Irgendwie wirklicher.
Die Farben leuchtender.
Die Geräusche waren wie Musik.
Die Sonne ging auf.
Mod.: Die Einfache Sprache ist der Leichten Sprache zwar sehr ähnlich, hat
aber als Zielgruppe nicht in erster Linie Menschen mit Lernschwierigkeiten,
sondern auch funktionale Analphabeten, also Menschen, die kaum lesen und
schreiben können. Fast siebeneinhalb Millionen Menschen sind bundesweit
betroffen, so die Level-One-Studie der Universität Hamburg aus dem Jahr
2011. Hinzu kommen laut der Studie 13 Millionen Menschen, die zwar nicht
als funktionale Analphabeten gelten, aber nur sehr fehlerhaft schreiben
können. Auch sie profitieren von Einfacher und Leichter Sprache. Insgesamt
stellt die Leichte Sprache also für gut 40 Prozent der erwachsenen
Bevölkerung eine angemessene Form dar, so das Ergebnis der Studie. Der
Bedarf an leichter und einfacher Sprache ist also kein Randphänomen. Und er
wächst, stellt auch Anne Leichtfuß in ihrer Arbeit fest:
Take 22 Leichtfuß
L11 Ich bin in diesem Jahr relativ häufig gebucht worden für
Einsteigerschulungen von Menschen, die mit Flüchtlingen arbeiten. Es ist
herausfordernd, mit einer Gruppe zu arbeiten, deren Deutschkenntnisse relativ
gering sind. Oft fehlt eine gemeinsame Ausgangssprache, so dass Deutsch das
ist. Und das sind oft Menschen, die dort zum ersten Mal mit der deutschen
Sprache in Kontakt kommen, und auch sonst nicht mit Sprache arbeiten.
Atmo 4 Deutschkurs
Guten Morgen. Wie geht es Euch? Heute geht es um das Befinden. Wie geht
es Dir?
Mod.: Ein Sprachkurs für Flüchtlinge aus vielen verschiedenen Ländern, die
erst seit kurzem in Deutschland sind.
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Atmo 5 Deutschkurs im Chor
Mod.: Die Männer und Frauen aus Syrien, Somalia und Eritrea lernen
allererste alltägliche Ausdrücke auf Deutsch:
Atmo 6 Deutschkurs Eman
Mod.: Es ist ein Einsteigerkurs des niedrigsten Sprachniveaus A1. An den
verschiedenen Niveaustufen, zum Beispiel, A1, A2 und B1, die europaweit
festgelegt sind, orientiert sich auch der Dienstleister Capito. Was es damit auf
sich hat, erklärt Helmut Schneider:
Take 23 Schneider
Schneider-5 Das orientiert sich am Europäischen Referenzrahmen, der auch
dem Goethe-Institut zugrunde liegt. Übertragen auf den Alltagsgebrauch: mit
dem niedrigsten Niveau kann ich einfachste Sachen ausdrücken, mit A2 kann
ich selbständig den Alltag gestalten, kann selbstbestimmt agieren, kann aber
nicht mit Fachsprache einen Beruf ausüben. Das ist Niveau B1, damit kann ich
meine Bedürfnisse artikulieren.
Mod.: Ursprünglich wurden diese Niveaustufen für den Unterricht von
Menschen entwickelt, die Deutsch als Fremdsprache lernen. Capito wendet
sie auch an, um Texte in Leichter Sprache für unterschiedliche Zielgruppen
anzupassen. Doch manche Texte sind für Menschen mit und ohne
Lernschwierigkeiten gedacht. Dann sorgt die Leichte Sprache bei manchen
Lesern für Irritationen, berichtet Stephanie Stöckl von Capito:
Take 24 Stöckl
Stöckl21 Das ist eine häufige Schwierigkeit, bei der Gestaltung einer Website in
leichter Sprache oder einem Flyer. Einige fühlen sich nicht ernst genommen,
wenn ihnen ein Text in Leichter Sprache vorgelegt wird, aber wir sagen,
Inklusion kann nur gelingen, wenn wir ihn in Leichter Sprache zur Verfügung
stellen. Am Ende profitieren alle davon, wenn wir Informationen in Leichter
Sprache zur Verfügung stellen.
Mod.: So ist die Entscheidung, eine Information in Leichter Sprache zu
veröffentlichen, manchmal eine heikle Sache, weiß Helmut Schneider:
Take 25 Schneider
Schneider-8 Ein schönes Beispiel, wir sind hier im Berufsbildungswerk
Rummelsberg, wir haben die Ausbildungsregeln übersetzt für die Teilnehmer.
Wir bilden auch Vollberufe aus. Wir haben uns gefragt, nehmen wir die Azubis
nicht für voll, wenn wir die Regeln in Leichte Sprache übersetzen. Manchmal ist
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Seite 10
es auch eine politische Entscheidung. Wir haben uns dazu entschlossen, die
Regeln nur in Leichter Sprache zu verteilen. Weil wir uns an den Schwächsten
orientieren müssen. Das ist auch bei den anderen Azubis ganz gut
angekommen. Es ist zunächst ungewöhnlich, das zu lesen.
Mod.: Bei Texten, die im Internet veröffentlicht werden, kann man die
Entscheidung für schwere oder leichte Sprache einfach dadurch umgehen,
dass man beide Versionen zur Verfügung stellt, die die Leser mit einem
Mausklick auswählen können. Stephanie Stöckl:
Take 26 Stöckl
S6 (…) Ein Mensch mit Einschränkungen hat das gleiche Recht wie wir, seine
Texte, Bedienungsanleitungen, seine Steuererklärung zu verstehen. Daher
sollten sie in Leichter Sprache zur Verfügung stehen.
Mod.: Einen einheitlichen Standard für Leichte Sprache gibt es bislang aber
nicht. Die strengsten Regeln dürften die von Capito sein. Daher hat das
Unternehmen sein eigenes Prüfsiegel, LL für Leicht zu Lesen. Das am
weitesten verbreitete ist das europäische Easy to Read Siegel mit Smiley und
hoch gerecktem Daumen.
Manchmal müssen selbst Texte, die bereits in die Leichte Sprache übersetzt
wurden, nochmal gründlich überarbeitet werden. Zum Beispiel versuchen
Monique, Loredana und die anderen zu ergründen, was in dem Text über
Herzogsägmühle mit dem Begriff „Sozialdorf“ gemeint sein könnte:
Take 27 Schneider u. a.
Wo die Menschen miteinander gut umgehen können. Oder miteinander
umgehen. - Dass man mit denen sozial umgeht im Dorf. – Soll ich Euch was
verraten, ich weiß auch nicht was das ist. Lachen.
Mod. Zur Zeit besteht lediglich für Bundesbehörden die Pflicht, die
wesentlichen Punkte ihres Internetauftritts in Leichter Sprache zu
veröffentlichen. Das forderte die „Barrierefreie Informationstechnikverordnung“
von 2011. Ganz allmählich geht es also dem Beamtendeutsch an den Kragen:
Musik Reinhard Mey Ein Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars…
Unplugged?, evtl. verlangsamen.
-
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ENDE –
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